Beim Glockenguß zu Laucha
Beim Glockenguß zu Laucha.
Gleich einem blühenden Garten grünt das anmutige Unstrutthal. Es ist ja einer der nördlichsten Vorposten des Weinbaus, und zwischen Obstgärten versteckt liegt auch das kleine Städtchen Laucha, dessen Ruf weit über die Grenzen Thüringens gedrungen ist. Seit anderthalbhundert Jahren wirkt ja in seinen Mauern ein berühmtes Geschlecht thüringer Glockengießer und von Laucha sind in den letzten dreißig Jahren allein mehr als tausend wohltönende Kirchenglocken in alle Gauen Deutschlands gewandert! Johannes Ulrich, der Stammvater dieser Glockengießer, war vermutlich schon gegen das Ende des 17. Jahrhunderts aus Hessen in Thüringen eingewandert und seine Nachkommen gründeten die berühmten Gießereien in Apolda und Laucha. Bei einem dieser Ulriche, beim Großvater des jetzigen Inhabers, soll auch Schiller seine Studien zu dem unsterblichen „Lied von der Glocke“ gemacht haben. Ein demselben zum Geschenk gemachtes Bild zu diesem Liede wird von der Familie begreiflicherweise als werthvolles Andenken in hohen Ehren gehalten. Doppelt denkwürdig erscheint also diese Werkstätte, und oft wird sie von Neugierigen aus nah’ und fern aufgesucht, denn der Glockenguß zählt sicher zu den eigenartigsten, anziehendsten Handlungen des Kunstgewerbes. Wie die Glocke entsteht – das ist fürwahr ein spannender Abschnitt aus der Geschichte der menschlichen Arbeit, der uns immer fesselt, obwohl die Fortschritte der Neuzeit an der altbewährten Kunst des Glockengießens so ziemlich spurlos vorübergegangen sind.
Das Christentum war es, das schon frühzeitig die weittönende Glocke zu gottesdienstlichen Zwecken heranzog, und mit dem Aufblühen der äußeren Pracht der christlichen Kirchen entfaltete sich die Kunst des Glockengießens zu ihrer höchsten Vollendung. Stümperhaft waren die ältesten Glocken, die noch hier und dort in Museen aufbewahrt werden. Kuhschellen ähnlich, bestanden sie aus Eisen- oder Bronzeblechen, die mit kupfernen Nägeln zusammengenietet waren. Später lernte man größere, wohltönende Glocken gießen und vor allem waren es Mönche, die diese Kunst ausübten. Erst im 13. Jahrhundert, als die Städte erstarkten und in ihnen die Gewerbe aufblühten, begannen Metallgießer nebenbei sich mit Herstellung der Glocken zu befassen, bis diejenigen, die sich besonders auszeichneten und größere Kundschaft sich erwarben, den Glockenguß als freies Hauptgewerbe ausübten. Die Geheimnisse dieser Kunst vererbten die Väter auf ihre Söhne, und so entstanden berühmte Geschlechter von Glockengießern. Damals arbeiteten diese Leute zumeist im Umherziehen; sie wanderten von Stadt zu Stadt und gossen die Glocken an Ort und Stelle, um den schwierigen Transport der gewichtigen fertigen Stücke zu ersparen. Ihr Ansehen wuchs und die Zeitläufe brachten es mit sich, daß diese Meister nicht nur von kirchlichen Herren, sondern auch von Fürsten und Königen viel umworben wurden. Das geschah, als im 15. Jahrhundert das schwere Geschütz in das Kriegswesen eingeführt wurde. Die Glockengießer waren die einzigen Kunsthandwerker, die den Kernguß großer Metallmassen verstanden, und nun gossen sie neben friedlichen Glocken auch die Verderben speienden Kanonen. Die Fürsten suchten die gewandtesten der Meister durch hohe Gehälter und Ehren an sich zu fesseln und immer mehr schmolz die Zahl der selbständigen Glockengießer zusammen. Kirchenglocken wurden zum größten Teil in staatlichen Kanonengießereien hergestellt. Die Neuzeit hat wiederum ganz veränderte Verhältnisse geschaffen. Die staatlichen Gießereien liefern keine Glocken mehr, das Fabrikwesen hat das Kunsthandwerk überwuchert, Anstalten, die allerlei Maschinen, namentlich Feuerlöschgerate, herstellen, gießen nebenbei auch Glocken und sehr selten sind größere Werkstätten geworden, in welchen ausschließlich Glocken hergestellt werden. Die hohe Blüte dieses Kunsthandwerkes ist dahin. Umsomehr also müssen wir den Männern Anerkennung zollen, die, auf überlieferte Erfahrungen sich stützend, auch in der Neuzeit mustergültige Glocken der Welt schenken, und deshalb dürfte es den Lesern nicht unwillkommen sein, wenn ich sie auffordere, mit mir im Geiste einem Glockenguß in Laucha beizuwohnen.
Es war ein herrlicher Sommertag, als mich die Seitenbahn von Naumburg ins liebliche Unstrutthal hineintrug. An dem malerisch gelegenen Freyburg vorbei, das mit seinem Schloß auf stolzer Höhe und seinen tiefen und gehaltreichen Sektkellereien schon einen eigenen Besuch lohnt, führte mich das Dampfroß in einem halben Stündchen nach Laucha, das, anmutig im Thalgrunde hingelagert, jetzt nur noch durch Bruchstücke seiner alten Ringmauer ahnen läßt, wie notwendig es in alter Zeit eines festen Schutzes gegen die ringsum auf den Berghöhen sitzenden adligen Herrn, die die Städter brandschatzten, wo sie nur konnten, bedurfte. Wo einst der breite Wallgraben sich hinzog, ist jetzt eine prächtige Promenade angelegt, unter deren schattigem Lindendach die Alten ihre müden Glieder ruhen lassen und die Kinder ihre fröhlichen Spiele treiben. Ein paar hundert Schritte ging ich in ihr dahin, dann auf der Brücke über einen trockenen Graben, und da grüßte mich, in Ostbäumen halb versteckt, die Glockengießerei, die, bescheiden genug, aus zwei unmittelbar miteinander verbundenen Gebäuden besteht, der eigentlichen Gießerei und dem daran stoßenden Schuppen, der zu vorbereitenden Arbeiten und zur Aufbewahrung der Geräte, Schablonen etc. dient.
Ich trat in die Gießerei, von Herrn Ulrich freundlich empfangen, und gesellte mich den schon anwesenden Herren und Damen zu, die das bevorstehende Schauspiel gleichfalls angelockt hatte. Neugierig ließ ich meine Blicke durch den weiten Raum wandern, dessen Mauern und Dachsparren vom Ruße gleichmäßig geschwärzt sind. Zum guten Teil ist er von dem riesigen, aus mächtigen Steinen aufgeführten Schmelzofen gefüllt, von dem eine flammende Hitze ausging. Davor scheinbar fester Boden, in dem sich vier spitze Erhöhungen befanden. Es war die Dammgrube, in der vier kleine Glockenformen bereit standen, das flüssige Metall in sich aufzunehmen. Denn der Glockenguß ist nicht, wie der Laie wohl denken mag, das Werk weniger Stunden; tagelange, mühevolle Arbeit geht dem eigentlichen Guße voraus, Arbeit, die mit peinlichster Sorgfalt gethan werden muß, weil das leiseste Versehen, die geringste Versäumnis, den Erfolg des Werkes nicht nur, sondern auch Leib und Leben der Arbeiter gefährdet. Für jeden Guß muß eine besondere Gußform hergestellt werden. Sie wird in der Dammgrube aufgemauert, die sich vor dem Schmelzofen befindet und je nach der Größe der zu gießenden Glocke so tief ausgegraben wird, daß die Spitze der Form über ihren oberen Rand nicht hinausragt. Das Material, dessen man sich dazu bedient, ist Lehm. Auf dem Boden der Grube wird aus Lehmziegeln das Fundament für die Form aufgemauert, mit Kanälen versehen, die den Luftzutritt zu dem in der Form zum Trocknen befindlichen Feuer gestattet. Auf dem [685] Fundament wird dann um eine eiserne Spindel der Kern der Form aufgemauert und mit Lehmschichten überzogen. Dann befestigt man an der Spindel die Schablone, ein Brett, dessen nach innen gekehrte Schmalseite nach dem Profil, das die Glocke erhalten soll, ausgeschnitten ist. Indem nun diese Schablone um die Spindel beständig gedreht wird, erhält die Lehmmasse – der Kern – die richtige Form. Ist das geschehen, so wird der Kern mit einer Fettschicht überzogen, damit die später aufzusetzende Lehmschicht nicht an ihm anhaftet, und alsdann in langsamem Kohlenfeuer gründlich ausgetrocknet. Damit ist der erste Teil der Arbeit zu Ende gebracht.
Nun wird von der inneren Seite der Schablone das Holz in der Stärke heruntergeschnitten, welche der Wandstärke der zu gießenden Glocke entspricht, und mit der so veränderten Schablone eine neu aufgetragene Lehmschicht abgedreht. Diese letztere, die also genau die Form und Gestalt der Glocke hat, führt in der Handwerkssprache den Namen „das Hemd“. Auf dem Hemd, das sich vom Kern stückweis abheben läßt, werden in Wachs oder stark gefettetem Lehm die Inschriften und Verzierungen aufgesetzt, die den Schmuck der Glocke bilden sollen. Ist auch das geschehen, so geht es an die Herstellung des dritten Teiles der Form, des Mantels. Auch er besteht aus mehreren Lehmschichten, aber in seinem Inneren birgt er ein Gerippe aus gebogenen Eisenstäben, das ihm festen Halt giebt. Ist auch er durch langsames Feuer gründlich ausgetrocknet – bliebe in ihm Feuchtigkeit zurück, so wäre unter Umständen eine Explosion zu befürchten – so wird er an den vorstehenden Stabecken des Gerippes in die Höhe gewunden, nachgesehen und verputzt. Alsdann wird das Hemd, das nun seine Schuldigkeit gethan hat, zerschlagen und der Mantel über den Kern gesetzt. Der leere Raum, der sich an Stelle des Hemdes zwischen den beiden jetzt befindet, ist nun die Form, in welche die Glocke gegossen wird. Oben in den Mantel wird schließlich das sogenannte Kronenstück angesetzt, das die Eingußkanäle für das flüssige Metall und Oeffnungen enthält, durch die die eingeschlossene Luft entweichen kann. Dann ist die Herstellung der Gußform vollendet.
Das alles war schon längst geschehen, als wir die Gießerei betraten. Die vier Formen standen fertig in der Dammgrube und diese selbst war von den Arbeitern des Herrn Ulrich mit Sand und Lehm angefüllt und fest zugestampft. Im Schmelzofen aber brodelte und zischte in weißer Glut das Metall, aus dem die Glocken gegossen werden sollten, das Glockengut.
Die Mischung der Metalle, aus welchen die Glocken gegossen werden sollen, beschäftigten einst sehr lebhaft die Fachleute. Man stellte allerlei Versuche an, bis man schließlich fand, daß Kupfer und Zinn allein genügen, um den schönsten Wohllaut zu erzielen. Im allgemeinen nimmt man heute auf 8 Teile Kupfer 2 Teile Zinn, während in älteren Glocken die Mischungsverhältnisse andere sind und außerdem manchmal noch Beimengungen von Blei, Zink, Eisen oder Nickel nachgewiesen wurden. Sehr verbreitet war ehemals die Ansicht, daß eine Zugabe von Silber den Wohllaut und die Reinheit des Glockentones erhöhe; man hat aber nur ausnahmsweise in der Metallmasse alter Glocken Spuren von Silber nachweisen können und die Annahme ist sehr berechtigt, daß Glockengießer, die Silber von ihren Auftraggebern annahmen, dieses einfach unterschlugen.
Sehr häufig geschah es auch, daß Kanonen zu Glocken umgegossen wurden; diese Sitte kam im siebzehnten Jahrhundert auf und so überließ Tilly elf bei Magdeburg eroberte Kanonen der Kirche Mariä Himmelfahrt in Köln zum Glockengusse. Da jedoch die Geschützbronze wenig Zinn enthält, muß in solchen Fällen dem Material vor dem Gusse noch Zinn zugesetzt werden. So gab zum Gusse der großen Glocke für St. Stephan in Wien Kaiser Joseph I. im Jahre 1711 330 Centner Kanonenmaterial von 180 eroberten türkischen Geschützen und der Magistrat der Stadt Wien 40 Centner reines Schlaggenwalder Zinn. Andrerseits wurden in Kriegszeiten Glocken zum Gießen von Kanonen verwendet.
Schon im Jahre 1414 sah sich Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg genötigt, im Kampfe gegen den märkischen Adel Glocken der Marienkirche zu Berlin in Büchsen umgießen zu lassen. [686] Am schlimmsten wurde jedoch gegen die Kirchenglocken zu Zeiten des National-Konvents in Frankreich gewütet. 1793 erschien ein Dekret, das die Gemeinden ermächtigte, die Glocken in Kanonen umzuwandeln. Mit wahrem Fanatismus ging man ans Werk; es wurden, wie Otte in seiner „Glockenkunde“ berichtet, besondere Maschinen erfunden, um die schweren Glocken von den Türmen herabzuschaffen, und acht Mann arbeiteten sechs Wochen lang an der Zertrümmerung der aus dem Jahre 1472 herrührenden 25000 Pfund schweren zweiten Glocke von Notre-Dame zu Paris.
Da die Bronze ein verhältnismäßig kostspieliges Material ist, war man bemüht, für ärmere Kirchengemeinden Glocken aus billigerem Metall zu schaffen. Schon seit dem 17. Jahrhundert versuchte man Glocken aus Eisen zu gießen. Ihr Ton war stark, aber rauh und wenig klangreich, Später goß die ehemalige Königl. Eisengießerei in Berlin eiserne Glocken für arme Kirchengemeinden. Man ist jedoch von der Verwendung des Gußeisens abgekommen, weil derartige Glocken zu leicht zerspringen. Bessere Erfolge erzielte man in neuerer Zeit mit Glocken aus Gußstahl, doch stehen sie im Klange guten Bronzeglocken wesentlich nach.
Der Schmelzofen der Lauchaer Gießerei wird selbstverständlich mit der altbewährten Glockenspeise gefüllt und manche Kanone wurde in ihm geschmolzen. Erst vor Jahresfrist – am Reformationsfeste 1894 – wurde die 115 Centner schwere Dreikaiserglocke des schönen Naumburger Domes aus dem Geschützmaterial gegossen, das Kaiser Wilhelm II. dafür stiftete. Der Schmelzprozeß hatte frühmorgens 3 Uhr begonnen; um 3 Uhr nachmittags konnte der Guß vor sich gehen und dauerte 7 Minuten.
Doch wenden wir unsere Aufmerksamkeit wieder der Gegenwart zu. Einen prüfenden Blick wirft der Meister noch in den Schmelzofen, einen zweiten auf die gefüllte Dammgrube. Er und seine Gesellen haben das ihrige gethan, damit das Werk gelinge – „doch der Segen kommt von oben“. Ein kurzes Wort an die Arbeiter, sie ergreifen die langen, vorn gekrümmten Stangen, mit denen sie dem flüssigen Metall den Weg erleichtern, Meister Ulrich ergreift gleichfalls eine – durch die kleine Versammlung geht ein erwartungsvolles Aufatmen. Und jetzt –
„stoßt den Zapfen aus,
Gott bewahr' das Haus!" –
in schimmernder Glut entquillt das flüssige Glockengut dem Schmelzofen und quillt durch die Kanäle den Oeffnungen der Kronenstücke zu, in denen es rauchend und brodelnd verschwindet. Der weite Raum ist von sengender Hitze erfüllt; mit glühenden Wangen stehen wir und sehen das kostbare Metall die ihm gewiesene Straße ziehen, erst mächtig, dann spärlicher, bis es endlich ganz in die Formen geflossen ist. Bis jetzt ist alles gut gegangen. Aber der Meister weist unsere Glückwünsche zurück. Noch ist es ja nicht gewiß, ob der Guß auch wirklich gelungen ist. Und wenn jemand von uns erwartet hatte, das nun gleich die Glocken blank und schön der Dammgrube entsteigen würden, der sah sich arg enttäuscht. Ehe daran gedacht wurde, sie aus der Form zu schälen, verging noch geraume Zeit. Zuvor mußte das flüssige Metall erstarren und sich abkühlen. Derweil pilgerten wir zum Ratskeller, um uns dort bei einem kühlen Trunke gütlich zu thun.
Aber unsere Glückwünsche waren, wenn auch verfrüht, doch nicht verfehlt gewesen, denn als wir zurückkehrten und die Grube geleert und die Formen zerschlagen wurden, sahen wir mit Freude trotz der den Glocken noch anhaftenden Lehmstücke, was Schiller singt:
Wie ein goldner Stern,
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern
Von dem Helm zum Kranz
Spielt’s im Sonnenglanz.
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Und wir schieden von der Gießerei mit der Ueberzeugung, daß der Meister samt seinen Gesellen ein Recht habe, stolz zu sein auf die glücklich vollendete Arbeit und das schön gelungene Werk.
Freilich, mit dem Guß ist noch nicht alles gethan; es kostet noch Mühe und Arbeit, bis die Glocke glücklich zu dem Glockenstuhl emporgewunden ist, wo sie „als Nachbarin des Donners schweben“ soll „und grenzen an die Sternenwelt“. Aber hat sie dort erst ihren Platz gesunden, so bleibt sie ihm auch treu. Nur ein gewaltiges Unglück könnte sie von dort entfernen. Das Volk freilich weiß es anders. Es erzählt von der Glockenfahrt, die alljährlich am Mittwoch vor Ostern stattfindet. Da fliegen die Glocken nach Rom zum Papst und kehren erst am Sonnabend zurück. Die Entstehung dieser Sage liegt klar am Tage; sie führt einfach darauf zurück, daß in der katholischen Kirche die Glocken vom Gründonnerstag bis Karsamstag schweigen. Aber die wandernde Glocke spielt auch sonst eine Rolle, wie z. B. in der von Goethe behandelten Sage, wo sie das kirchenflüchtige Kind verfolgt. Andre Sagen berichten von Glocken, die, von ihrem ursprünglichen Platz entfernt, auf diesen zurückverlangten. So die Glocke von Berndsweiler in Baden, die im Schwedenkrieg im Wald vergraben worden war. Hundert Jahre später von Wildschweinen ausgewühlt, wurde sie nach Sinnbronn in die Kirche gebracht. Aber wenn man sie dort läutete, rief sie immer:
„Anne Susanne,
Zu Berndsweiler an der Stange
Will ich hange“
bis man sie nach Berndsweiler zurückbrachte, wo sie ihren alten, schönen Klang erhielt. Auch von versunkenen Glocken weiß die Sage zu erzählen, die noch immer fort läuten. So heißt es von [687] der Pfarrkirche zu St. Agatha in Aschaffenburg, daß dort nebeneinander zwei Glocken hingen, die eine Marianne, die andere, die von Silber war, Susanne geheißen. Im dreißigjährigen Krieg raubten die Schweden die silberne Glocke, luden sie in ein Schiff und wollten sie den Main hinaufführen. Aber als sie an die Stelle kamen, wo die Stadtmauer an den Main stieß, sprang die Glocke in den Fluß und liegt noch da. Und wenn jetzt die Marianne geläutet wird, so ruft sie:
und die ferne Stimme der silbernen Glocke antwortet:
Diese Sagen beweisen jedenfalls, wie die Volksseele von früh an sich mit den Glocken beschäftigte und in ihnen gewissermaßen lebende Wesen sah. Das war nicht nur in einzelnen Gegenden der Fall; die Sage von den versunkenen Glocken findet sich überall in unserem deutschen Vaterlande, vom Bodensee bis hinauf zu den Gestaden der Ostsee, wo aus der Tiefe des Meeres die Glocken von Vineta herauftönen, die Wilhelm Müller so schön besungen hat:
Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde
Klingen Abendglocken dumpf und matt,
Uns zu geben wunderbare Kunde
Von der schönen, alten Wunderstadt.
In der Fluten Schoß hinabgesunken
Blieben unten ihre Trümmer stehn,
Ihre Zinnen lassen goldne Funken
Wiederscheinend auf dem Spiegel sehn.
Und der Schiffer, der den Zauberschimmer
Einmal sah im hellen Abendrot,
Nach derselben Stelle schifft er immer,
Ob auch rings umher die Klippe droht.