Beitrag zum Volksaberglauben

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Textdaten
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Autor: G–k.
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Titel: Beitrag zum Volksaberglauben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 537, 538
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Hierzu Ergänzung in Heft 37
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[537] Beitrag zum Volksaberglauben. Daß in Bezug auf wichtige Familienereignisse im Volke noch ein Stück Aberglauben herrscht, ist wohl mehr oder weniger Jedem bekannt, der Gelegenheit gehabt hat, mit dem Volke zu verkehren, und mit Interesse dem Denken und Thun desselben gefolgt ist. Doch sind auch wieder in verschiedenen Gegenden unseres Vaterlandes die Aeußerungen des Volksaberglaubens selbst so verschieden, daß es wohl für den Forscher die Mühe lohnt, dem inneren Zusammenhang desselben in verschiedenen Gegenden nachzuspüren. Nachfolgende Zeilen, deren Stoff dem nördlichen Theile der Mark Brandenburg angehört, mögen Beiträge hierzu liefern.

Ein Wohnungswechsel darf nicht am Montag stattfinden, wenn er nicht unglückbringend sein soll; am Donnerstag darf kein Dienstbote seinen neuen Dienst antreten; am Freitag darf keine größere Reise unternommen werden, wie auch der Beginn der Fahrt am Freitag dem Schiffer ein böses Omen ist. Die Kamille wird in jedem Hause als Hausmittel gehalten, ist aber besonders wirksam und heilkräftig, wenn sie am Johannistage (24. Juni) gepflückt worden ist. Dem Neugebornen muß, wenn es ein Knabe ist, der Vater den ersten Kuß geben, damit er einen ordentlichen Bart bekomme, der das Mädchen verunzieren würde. Dieses bekommt deshalb den ersten Kuß von der Mutter oder von sonst einem weiblichen Wesen. Das erste Zeug, Hemdchen etc. sei nicht neu, sonst zerreißen die Kinder zu viel Kleider, wenn sie größer werden. Darum wird das Zeug der älteren Geschwister für spätere Fälle sorgsam aufbewahrt. Beim Erstgebornen muß eine Freundin oder Nachbarin mit gebrauchter Wäsche aushelfen. Kommen die Nachbarinnen während des Wochenbettes zum Besuch, so sollen sie gemeiniglich das kräftige, wohl auch schon das kluge Aussehen des Kindes loben dürfen, dabei aber ja nicht vergessen hinzuzufügen: „Unberufen!“ oder „segne’s Gott!“ Selbstverständlich findet jede sogleich die größte Aehnlichkeit mit dem Vater oder der Mutter heraus. Daß dabei zuweilen die wunderlichsten Dinge zu Tage kommen können, beweist folgende Geschichte, die sich vor mehreren Jahren im Dorfe M. zugetragen hat. Dem Schreiber dieses wurde sie von einem nahen Verwandten der Familie selbst mitgetheilt.

Bei strenger Winterkälte wurde die Frau eines kleinen Kossäthen von einem Knaben entbunden. Wie gewöhnlich wurden die Fenster dicht verhängt, so daß es im Zimmer ziemlich dunkel war. Den Säugling hatte die Mutter zu sich in’s Bett genommen. Vor dem Bette stand zwar die Wiege; in diese hatte man aber eines der kleinsten, wenige Tage alten Ferkelchen gebettet, weil es draußen im Stalle fast erfroren, oder, wie der volksthümliche Ausdruck heißt, „verklahmt“ war. Gegen Abend kommt eine der Nachbarinnen, um sich nach dem Befinden zu erkundigen und den „lütten Jung’n“ zu sehen. Nach den ersten einleitenden Redensarten beugt sie sich denn vorsichtig über die Wiege und bricht gewohnheitsmäßig gedankenlos in die schmeichelhaft sein sollenden Worte aus: „Du lever Gott, de lett doch justement wie de Oll!“ (Der sieht doch gerade aus wie der Vater!) Erschrocken schlägt die Wöchnerin die Hände zusammen und entgegnet: „O nä, Vaddersch, Du büst woll goar nich recht klook – dat is joa uns lütt Farken. Den Jung’n hew’k bi mi in’t Bett.“ Darauf setzt sie ihr denn die Veranlassung zu dieser ominösen Verwechselung auseinander.

Jungen Mädchen soll es Glück bringen, wenn sie zum ersten Male bei einem Knaben Gevatter stehen, besonders aber, wenn sie diesen über dem Taufbecken halten oder wohl gar nach Hause tragen dürfen. Dieses Letztere soll aber im Geschwindschritte geschehen. Während der Taufe ist es nöthig, daß die Mutter neunerlei Arbeiten verrichte, damit der Täufling fleißig und geschickt werde. Ist es ein Knabe, soll sie lesen, schreiben etc., damit er tüchtig lerne; wogegen die Mutter während der Taufe eines Mädchens weibliche Handarbeiten und häusliche Verrichtungen vornehmen soll. Dadurch wird bei dem Täuflinge Liebe zu den betriebenen Beschäftigungen hervorgebracht. Dabei soll sie wenig sprechen und nicht aus dem Fenster sehen, sonst wird das Kind geschwätzig und neugierig; auch soll sie während dieser Zeit nicht essen oder trinken, damit das Kind später nicht Alles verbringe. Bis zur Taufe soll die Mutter nicht aus dem Hause gehen, und erst nach dieser und nach dem am nächsten Sonntage stattfindenden Kirchgange darf sie die erhaltenen Besuche erwidern.

Auch bei Trauungen sind gewisse Gebräuche wohl zu beachten, da sie glückbringend sind. Während des Ganges zur Kirche sowohl wie auch in dieser selbst darf von den Brautleuten keines sich umsehen, denn es sieht sich ja dann schon nach einem zweiten Gatten um, und der neben ihm stehende muß bald sterben. Die Braut thut wohl, sich in einen Schuh ein Stück Geld zu legen, damit sie im Wohlstande bleibe, respective in denselben komme; beim „Ja“-Sagen soll sie nicht so laut sprechen, aber leise dem Bräutigam auf den Fuß treten, daß ihre Herrschaft im Hause gesichert bleibe. Beim ersten Ueberschreiten der Schwelle des Wohnhauses geht die Frau voran, sie darf aber nicht auf die Schwelle treten, sondern sie muß über dieselbe hinwegschreiten. Ein Stück Brod von der Hochzeitstafel, aufbewahrt beim Brautkranze, bewirkt, daß die Eheleute später ihr Brod haben.

Bei Sterbefällen giebt es der abergläubischen Gebräuche sehr viele. Wie der Tod selbst für das schlichte Gemüth etwas Geheimnißvolles ist, so wird auch Alles, was mit demselben zusammenhängt, Begräbnißfeierlichkeit etc., geheimnißvoll behandelt. Weniger als bei anderen Gelegenheiten wird nach Gründen, nach dem Zusammenhange von Ursache und Wirkung gefragt.

Federn vom Hahn stopft man nicht in Betten, weil dadurch dem darin Sterbenden der Todeskampf zu sehr erschwert werden soll. Ist für den Schwerkranken ersichtlich der Augenblick des Sterbens gekommen, so wird schweigend ein Fenster oder die Thür geöffnet, damit die Seele einen Ausgang habe. Selbst in der Nacht soll jedes Familienmitglied munter sein, und sollte bei ganz kleinen Kindern es unthunlich sein, sie aus dem Bett zu nehmen, so werden sie zum wenigsten munter gemacht und ihnen sogleich die Nachricht gesagt, sollten sie auch nichts davon verstehen. Der Tod des Hausherrn oder der Hausfrau wird den Hausthieren, dem Vieh im Stalle angezeigt. Ist er Bienenzüchter, so muß so auch den Bienen von dem Verlust des Pflegers Anzeige gemacht werden. Ist es Winter, wo die Bienen nicht fliegen, so klopft der Bote an den Korb und sagt es ihnen leise; sie möchten sich sonst todt grämen und der Bienenstand eingehen. Auch müssen die Blumentöpfe im Zimmer von der Stelle gerückt werden. Nachbarn graben das Grab und nehmen zu demselben mit zwei dünnen Ruthen an dem Sarge nach Länge und Breite Maß. Diese Stäbe dürfen aber nicht anderweit verwendet werden, sondern bleiben auf dem Grunde des Grabes liegen, so daß der Sarg auf ihnen steht. Der Leiche wird eine kleine Geldmünze in den Mund gesteckt, analog dem Gebrauch der Griechen, dem Todten einen Obolus für Charon, den Fährmann der Abgeschiedenen, mitzugeben. So lange die Leiche im Zimmer steht, wird der Spiegel verhängt. Ist am Begräbnißtage der Leichenzug vom Gehöft herunter, so wird etwas Wasser aus der Hausthür gegossen, auch wohl mit dem Besen vor derselben gefegt, damit der Verstorbene nicht wiederkomme und gespenstisch umgehe. Vom Gefolge darf sich Niemand umsehen, sonst stirbt in demselben Hause bald wieder Jemand. Dieser Glaube, wie der folgende, zeigt offenbar deutliche Aehnlichkeit mit dem Vampyrglauben. Kein Leidtragender soll eine Thräne in den Sarg fallen lassen, denn der Todte würde keine Ruhe im Grabe finden und bald den Weinenden nachholen. Aus demselben Grunde soll nichts Ererbtes ober mit fremdem Namen Gezeichnetes mit begraben werben. Wozu das führen kann, mag folgende wahre Geschichte beweisen, die sich vor zwei Jahren in M., unweit der mecklenburgischen Grenze, zugetragen hat, und die schließlich mit gerichtlicher Untersuchung und Bestrafung der Betheiligten endigte.

Wie fast in jedem Orte, giebt es auch hier Familien, die Generationen hindurch als wohlhabende und angesehene Leute ansässig waren und deßhalb eine ausgedehnte Verwandtschaft haben. Eine solche Familie – nennen wir sie Buchhorst, da den richtigen Namen zu nennen die Rücksicht auf die Betheiligten verbietet – war in mehreren nahe verwandten Linien hier heimisch. Eine alte kinderlose Tante, eine verwittwete Fuhrmeister, war im Orte allgemein geachtet und beliebt, so daß Jung und Alt sie schlechthin nur „Tanten“ nannte. Sie starb vor nun bald drei Jahren. Da ihr Begräbniß ein „großes“ werden sollte, mußte dasselbe, der dazu nöthigen Vorbereitungen wegen, so weit als möglich hinausgeschoben werden. Da „Tanten“ ziemlich corpulent gewesen war, schwoll der Leib stark auf. Um dieses nach Möglichkeit zu verhindern, wurde auf den Unterleib eine große zinnerne Schüssel gelegt, um, vermöge ihrer Schwere, das gewaltige Auftreiben in etwas zu verhüten. Nun war aber diese Schüssel, wie das übrige Küchengeschirr, theilweise schon seit über hundert Jahren Eigenthum der Familie gewesen und in derselben fortgeerbt, auch, wie das gebräuchlich ist, gezeichnet mit dem Namen des ersten Besitzers und der Jahreszahl der Anschaffung.

Nach dem Tode von „Tanten Fuhrmeister“ erkrankte bald ein zweites Glied der Familie Buchhorst und starb, kurze Zeit darauf ein drittes. Als in nicht allzulanger Zeit das Haupt einer dieser Familien nun auch von einer langwierigen Krankheit befallen wurde, die schon früher ein Mitglied der Familie hingerafft hatte, wurden bald im Geheimen bedenkliche Reden geflüstert. „Tanten“, die doch bei Lebzeiten in allgemeiner Achtung gestanden hatte, holte die ganze Familie nach.

Endlich fand die Leichenwäscherin die vermeintliche Ursache dieser sehr bedenklichen Erscheinung. Sie fragte bei den am nächsten Betheiligten nach, ob bei „Tanten’s“ Begräbniß auch Jemand die zinnerne Schüssel aus dem Sarge genommen habe. Niemand hatte sie im Besitz, es wollte sie auch Niemand herausgenommen haben. Jetzt wurde man sich klar über die häufigen Todesfälle in der Familie und sah mit Entsetzen die traurige Gewißheit vor Augen, daß binnen Kurzem die ganze Familie aussterben müsse, denn die gezeichnete Erbschüssel war mit „Tanten“ begraben worden und Tante holte unerbittlich alle Familienmitglieder in Bälde nach, so lange die verhängnißvolle Schüssel bei ihr im Grabe ruhte.

Nach längeren und, wie man sich vorstellen kann, gewiß ernsthaften, eingehenden Familienberathungen wurde endlich ein verzweifelter Entschluß gefaßt, den nur finstrer Aberglaube und ängstlichste Liebe zum Leben eingeben kann. „Tanten’s“ Grabesruhe mußte gestört werden. Der Todtengräber wurde in’s Geheimniß gezogen, und in einer dunklen Nacht wurde mit dessen Hülfe beim Schein einer Blendlaterne von den Betheiligten das Grab geöffnet, vom Sarge der mit Schrauben befestigte [538] Deckel abgehoben und die verhängnißvolle Schüssel herausgenommen. Bei Tagesanbruch war Alles wieder wie vorher.

Doch wurde später diese That bekannt, und die Betheiligten wurden laut richterlichen Erkenntnisses wegen Uebertretung der §§ X. des Strafgesetzbuches unter Annahme mildernder Umstände zu einigen Wochen Gefängniß verurtheilt. Der Todtengräber wurde abgesetzt. Da aber bis jetzt weiter keine Sterbefälle in der Familie vorgekommen sind, so tröstet sich Jeder über seine Strafe mit dem Bewußtsein, der „seligen Tante“ Ruhe im Grabe verschafft, sich und den Seinigen aber das Leben gerettet zu haben.

Spricht wohl noch irgend Etwas energischer für die Forderung vernünftiger Volksbildung und gesunder Volksaufklärung?

G–k.