Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Bleifarben- und Bleizuckerfabriken
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(Nr. 1646.) Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Bleifarben- und Bleizuckerfabriken. Vom 12. April 1886.
Auf Grund des §. 120 Absatz 3 und des §. 139a Absatz 1 der Gewerbeordnung hat der Bundesrath folgende Vorschriften über die Einrichtung und den Betrieb der Bleifarben- und Bleizuckerfabriken erlassen:
§. 1.
- Sämmtliche Arbeitsräume der Anlagen, in welchen Bleifarben oder Bleizucker hergestellt werden, müssen geräumig und hoch hergestellt, kräftig ventilirt, feucht und rein gehalten werden. Das Eintreten bleihaltigen Staubes sowie bleihaltiger Gase und Dämpfe in dieselben muß durch geeignete Vorrichtungen verhindert werden.
§. 2.
- Staub entwickelnde Apparate müssen an allen Fugen durch dicke Lagen von Filz oder Wollenzeug oder durch Vorrichtungen von gleicher Wirkung so abgedichtet sein, daß das Eindringen des Staubes in den Arbeitsraum verhindert wird.
- Apparate dieser Art müssen mit Einrichtungen versehen sein, welche eine Spannung der Luft in denselben verhindern. Sie dürfen erst dann geöffnet werden, wenn der in ihnen entwickelte Staub sich abgesetzt hat und völlig abgekühlt ist.
§. 3.
- Beim Trockenmahlen, Packen, Beschicken und Entleeren der Glätte- und Mennigeöfen, beim Mennigebeuteln und bei sonstigen Operationen, bei welchen das Eintreten von Staub in den Arbeitsraum stattfinden kann, muß durch Absauge- und Abführungsvorkehrungen an der Eintrittsstelle die Verbreitung des Staubes in den Arbeitsraum verhindert werden. [70]
§. 4.
- Arbeitsräume, welche gegen das Eindringen bleihaltigen Staubes oder bleihaltiger Gase und Dämpfe durch die in den §§. 1 und 2 vorgeschriebenen Einrichtungen nicht vollständig geschützt werden können, sind gegen andere Arbeitsräume so abzuschließen, daß in die letzteren Staub, Gase oder Dämpfe nicht eindringen können.
§. 5.
- Die Innenflächen der Oxydir- und Trockenkammern müssen möglichst glatt und dicht hergestellt sein. Die Oxydirkammern sind während des Behängens und während des Ausnehmens feucht zu erhalten.
- Der Inhalt der Oxydirkammern ist, bevor die letzteren nach Beendigung des Oxydationsprozesses zum Zweck des Ausnehmens betreten werden, gründlich zu durchfeuchten und während des Entleerens feucht zu erhalten. Ebenso sind Rohbleiweißvorräthe während der Ueberführung nach dem Schlemmraum und während des etwaigen Lagerns in demselben feucht zu halten.
§. 6.
- Beim Transporte und bei der Verarbeitung nasser Bleifarbenvorräthe, namentlich beim Schlemmen und Naßmahlen, ist die Handarbeit durch Anwendung mechanischer Vorrichtungen soweit zu ersetzen, daß das Beschmutzen der Kleider und Hände der dabei beschäftigten Arbeiter auf das möglichst geringe Maaß beschränkt wird.
- Das Auspressen von Bleiweißschlamm darf nur vorgenommen werden, nachdem die in letzterem enthaltenen löslichen Bleisalze vorher ausgefällt sind.
§. 7.
- In Anlagen, welche zur Herstellung von Bleifarben und Bleizucker dienen, darf jugendlichen Arbeitern die Beschäftigung und der Aufenthalt nicht gestattet werden. Arbeiterinnen dürfen innerhalb derartiger Anlagen nur in solchen Räumen und nur zu solchen Verrichtungen zugelassen werden, welche sie mit bleiischen Produkten nicht in Berührung bringen.
§. 8.
- Der Arbeitgeber darf in Räumen, in welchen Bleifarben oder Bleizucker hergestellt oder verpackt werden, nur solche Personen zur Beschäftigung zulassen, welche eine Bescheinigung eines approbirten Arztes darüber beibringen, daß sie weder schwächlich, noch mit Lungen-, Nieren- oder Magenleiden oder mit Alkoholismus behaftet sind. Die Bescheinigungen sind zu sammeln, aufzubewahren und dem Aufsichtsbeamten (§. 139b der Gewerbeordnung) auf Verlangen vorzulegen. [71]
§. 9.
- Arbeiter, welche bei ihrer Beschäftigung mit bleiischen Stoffen oder Produkten in Berührung kommen, dürfen innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden nicht länger als 12 Stunden beschäftigt werden.
§. 10.
- Der Arbeitgeber hat alle mit bleiischen Stoffen oder Produkten in Berührung kommenden Arbeiter mit vollständig deckenden Arbeitskleidern einschließlich einer Mütze zu versehen.
§. 11.
- Mit Staubentwickelung verbundene Arbeiten, bei welchen der Staub nicht sofort und vollständig abgesaugt wird, darf der Arbeitgeber nur von Arbeitern ausführen lassen, welche Nase und Mund mit Respiratoren oder feuchten Schwämmen bedeckt haben.
§. 12.
- Arbeiten, bei welchen eine Berührung mit gelösten Bleisalzen stattfindet, darf der Arbeitgeber nur durch Arbeiter ausführen lassen, welche zuvor die Hände entweder eingefettet oder mit undurchlässigen Handschuhen versehen haben.
§. 13.
- Die in den §§. 10, 11, 12 bezeichneten Arbeitskleider, Respiratoren, Schwämme und Handschuhe hat der Arbeitgeber jedem damit zu versehenden Arbeiter in besonderen Exemplaren in ausreichender Zahl und zweckentsprechender Beschaffenheit zu überweisen. Er hat dafür Sorge zu tragen, daß diese Gegenstände stets nur von denjenigen Arbeitern benutzt werden, welchen sie zugewiesen sind, und daß dieselben in bestimmten Zwischenräumen, und zwar die Arbeitskleider mindestens jede Woche, die Respiratoren, Mundschwämme und Handschuhe vor jedem Gebrauche gereinigt und während der Zeit, wo sie sich nicht im Gebrauche befinden, an dem für jeden Gegenstand zu bestimmenden Platze aufbewahrt werden.
§. 14.
- In einem staubfreien Theile der Anlage muß für die Arbeiter ein Wasch- und Ankleideraum und getrennt davon ein Speiseraum vorhanden sein. Beide Räume müssen sauber und staubfrei gehalten und während der kalten Jahreszeit geheizt werden.
- In dem Wasch- und Ankleideraum müssen Gefäße zum Zweck des Mundausspülens, Seife und Handtücher, sowie Einrichtungen zur Verwahrung derjenigen [72] gewöhnlichen Kleidungsstücke, welche vor Beginn der Arbeit abgelegt werden, in ausreichender Menge vorhanden sein.
- In dem Speiseraum oder an einer anderen geeigneten Stelle müssen sich Vorrichtungen zum Erwärmen der Speisen befinden.
- Arbeitgeber, welche fünf oder mehr Arbeiter beschäftigen, haben diesen wenigstens einmal wöchentlich Gelegenheit zu geben, ein warmes Bad zu nehmen.
§. 15.
- Der Arbeitgeber hat die Ueberwachung des Gesundheitszustandes der von ihm beschäftigten Arbeiter einem, dem Aufsichtsbeamten (§. 139b der Gewerbeordnung) namhaft zu machenden approbirten Arzte zu übertragen, welcher monatlich mindestens einmal eine Untersuchung der Arbeiter vorzunehmen und den Arbeitgeber von jedem Falle einer ermittelten Bleikrankheit in Kenntniß zu setzen hat. Der Arbeitgeber darf Arbeiter, bei welchen eine Bleikrankheit ermittelt ist, zu Beschäftigungen, bei welchen sie mit bleiischen Stoffen oder Materialien in Berührung kommen, bis zu ihrer völligen Genesung nicht zulassen.
§. 16.
- Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein Krankenbuch zu führen oder unter seiner Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Einträge durch den mit der Ueberwachung des Gesundheitszustandes der Arbeiter beauftragten Arzt oder durch einen Betriebsbeamten führen zu lassen. Das Krankenbuch muß enthalten:
- 1. den Namen dessen, welcher das Buch führt;
- 2. den Namen des mit der Ueberwachung des Gesundheitszustandes der Arbeiter beauftragten Arztes;
- 3. den Namen der erkrankten Arbeiter;
- 4. die Art der Erkrankung und die vorhergegangene Beschäftigung;
- 5. den Tag der Erkrankung;
- 6. den Tag der Genesung, oder wenn der Erkrankte nicht wieder in Arbeit getreten ist, den Tag der Entlassung.
- Das Krankenbuch ist dem Aufsichtsbeamten, sowie den zuständigen Medizinalbeamten auf Verlangen vorzulegen.
§. 17.
- Der Arbeitgeber hat eine Fabrikordnung zu erlassen, welche außer einer Anweisung hinsichtlich des Gebrauches der in den §§ 10, 11, 12 bezeichneten Gegenstände folgende Vorschriften enthalten muß:
- 1. Die Arbeiter dürfen Branntwein, Bier und andere geistige Getränke nicht mit in die Anlage bringen. [73]
- 2. Die Arbeiter dürfen Nahrungsmittel nicht in die Arbeitsräume mitnehmen, dieselben vielmehr nur im Speiseraum aufbewahren. Das Einnehmen der Mahlzeiten ist ihnen, sofern es nicht außerhalb der Anlage stattfindet, nur im Speiseraum gestattet.
- 3. Die Arbeiter haben die Arbeitskleider, Respiratoren, Mundschwämme und Handschuhe in denjenigen Arbeitsräumen und bei denjenigen Arbeiten, für welche es von dem Betriebsunternehmer vorgeschrieben ist, zu benutzen.
- 4. Die Arbeiter dürfen erst dann den Speiseraum betreten, Mahlzeiten einnehmen oder die Fabrik verlassen, wenn sie zuvor die Arbeitskleider abgelegt, die Haare vom Staube gereinigt, Hände und Gesicht sorgfältig gewaschen, die Nase gereinigt und den Mund ausgespült haben.
§. 18.
- In jedem Arbeitsraum, sowie in dem Ankleide- und dem Speiseraum muß eine Abschrift oder ein Abdruck der §§. 1 bis 17 dieser Vorschriften und der Fabrikordnung an einer in die Augen fallenden Stelle aushängen. Jeder neu eintretende Arbeiter ist, bevor er zur Beschäftigung zugelassen wird, zur Befolgung der Fabrikordnung bei Vermeidung der ohne vorhergehende Kündigung eintretenden Entlassung zu verpflichten.
- Der Betriebsunternehmer ist für die Handhabung der Fabrikordnung verantwortlich, und verpflichtet, Arbeiter, welche derselben wiederholt zuwiderhandeln, aus der Arbeit zu entlassen.
§. 19.
- Neue Anlagen, in welchen Bleifarben oder Bleizucker hergestellt werden soll, dürfen erst in Betrieb gesetzt werden, nachdem ihre Errichtung dem zuständigen Aufsichtsbeamten (§. 139b der Gewerbeordnung) angezeigt ist. Der Letztere hat nach Empfang dieser Anzeige schleunigst durch persönliche Revision festzustellen, ob die Einrichtung der Anlage den erlassenen Vorschriften entspricht.
§. 20.
- Im Falle der Zuwiderhandlung gegen die §§. 1 bis 19 dieser Vorschriften kann die Polizeibehörde die Einstellung des Betriebes bis zur Herstellung des vorschriftsmäßigen Zustandes anordnen.
§. 21.
- Auf Anlagen, welche zur Zeit des Erlasses dieser Vorschriften im Betriebe stehen, finden die §§. 1 bis 4, 5 Absatz 1, 6 Absatz 1, 14 erst vom 1. Januar 1887 an Anwendung. [74]
- Für solche Anlagen können Ausnahmen von den im Absatz 1 bezeichneten Vorschriften durch den Bundesrath zugelassen werden, wenn nach den bisherigen Erfahrungen anzunehmen ist, daß durch die vorhandenen Einrichtungen ein gefahrloser Betrieb sichergestellt ist.
- Berlin, den 12. April 1886.