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Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren bestimmten Anlagen

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Gesetzestext
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Titel: Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren bestimmten Anlagen.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1907, Nr. 7, Seite 34 - 38
Fassung vom: 17. Februar 1907
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 20. Februar 1907
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
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(Nr. 3294.) Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren bestimmten Anlagen. Vom 17. Februar 1907.

Auf Grund des § 120e der Gewerbeordnung hat der Bundesrat folgende Vorschriften, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren bestimmten Anlagen, erlassen:

§ 1.

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Die nachstehenden Vorschriften finden Anwendung auf alle Fabriken und sonstigen gewerblichen Anlagen, in welchen zur Herstellung von Zigarren erforderliche [35] Verrichtungen vorgenommen oder Zigarren sortiert werden, sofern in den Anlagen nicht ausschließlich zur Familie des Arbeitgebers gehörige Personen beschäftigt werden.

§ 2.

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Die Arbeits-, Lager- oder Trockenräume dürfen nicht als Wohn-, Schlaf-, Koch- oder Vorratsräume benutzt werden. Die Zugänge von den Arbeits-, Lager- oder Trockenräumen zu benachbarten Wohn-, Schlaf-, Koch- oder Vorratsräumen sowie die Zugänge von den Arbeitsräumen zu benachbarten Lager- oder Trockenräumen müssen mit selbstschließenden dichten Türen versehen sein, welche während der Arbeitszeit geschlossen sein müssen.

§ 3.

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Räume, in welchen das Abrippen von Tabak, das Wickeln, Rollen oder Sortieren von Zigarren vorgenommen wird, müssen den folgenden Anforderungen entsprechen:
1. Sie dürfen mit ihrem Fußboden höchstens einen halben Meter unter dem ihn umgebenden Erdboden liegen und müssen, wenn sie unmittelbar unter dem Dache liegen, verputzt oder verschalt sein;
2. sie müssen mindestens drei Meter hoch sein;
3. sie müssen mit festen und dichten Fußböden versehen sein;
4. sie müssen mit unmittelbar ins Freie führenden Fenstern versehen sein, welche nach Zahl und Größe genügen, um für alle Arbeitsstellen Luft und Licht in ausreichendem Maße zu gewähren. Die Fenster müssen so eingerichtet sein, daß sie wenigstens für die Hälfte ihres Flächenraums geöffnet werden können;
5. in den Räumen müssen auf jede beschäftigte Person mindestens zehn Kubikmeter Luftraum entfallen.

§ 4.

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Im übrigen gelten für die im § 3 bezeichneten Räume folgende Vorschriften:
1. In den Räumen darf Tabak nicht anders als in angefeuchtetem Zustande gemischt und nicht getrocknet werden.
Tabak oder Halbfabrikate dürfen nur in der durchschnittlich für eine Tagesarbeit erforderlichen Menge gelagert werden. Auch dürfen daselbst nicht mehr Zigarren vorhanden sein, als durchschnittlich an einem Tage angefertigt werden. In Anlagen, in welchen nicht mehr als fünf Arbeiter beschäftigt werden, ist es gestattet, in den Räumen Tabak und Halbfabrikate in der durchschnittlich für eine Wochenarbeit erforderlichen Menge und soviel Zigarren, als durchschnittlich in einer Woche angefertigt werden, aufzubewahren, sofern die Aufbewahrung in dicht geschlossenen Behältnissen erfolgt. [36]
2. Die Räume müssen täglich mindestens dreimal eine halbe Stunde lang, und zwar jedenfalls morgens vor Beginn der Arbeit, während der Mittagspause und nach Beendigung der Arbeitszeit, durch vollständiges Öffnen der Fenster und der nicht in Wohn-, Schlaf-, Koch- oder Vorratsräume führenden Türen gelüftet werden. Während dieser Zeit darf den Arbeitern der Aufenthalt in den Räumen nicht gestattet werden.
3. Die Räume und deren Einrichtungen, insbesondere auch Wände, Decken, Gesimse, Regale sind mindestens zweimal im Jahre gründlich zu reinigen.
Von den Fußböden und Arbeitstischen ist täglich mindestens einmal durch Abwaschen oder feuchtes Abreiben der Staub zu entfernen.
4. In den Räumen sind mit Wasser gefüllte und täglich zu reinigende Spucknäpfe, und zwar mindestens einer für je fünf Personen, aufzustellen.
5. In den Räumen oder in deren unmittelbarer Nähe sind für die Zahl der darin beschäftigten Arbeiter ausreichende Wascheinrichtungen mit Handtüchern und Seife anzubringen.

§ 5.

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Kleidungsstücke, welche während der Arbeitszeit abgelegt werden, sind außerhalb der Arbeits-, Lager- oder Trockenräume aufzubewahren. Innerhalb dieser Räume ist die Aufbewahrung nur dann gestattet, wenn sie in ausschließlich dazu bestimmten verschließbaren Schränken erfolgt. Die letzteren müssen während der Arbeitszeit geschlossen sein.

§ 6.

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In Anlagen, in welchen zehn oder mehr Arbeiter beschäftigt werden, müssen für Arbeiter und Arbeiterinnen getrennte Aborte mit besonderen Eingängen und, sofern vor Beginn und nach Beendigung der Arbeit ein Wechseln der Kleider stattfindet, getrennte Aus- und Ankleideräume vorhanden sein.

§ 7.

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Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter dürfen nur dann beschäftigt werden, wenn sie im unmittelbaren Arbeitsverhältnisse zum Betriebsunternehmer stehen. Das Annehmen und Ablohnen dieser Personen durch andere Arbeiter oder für deren Rechnung ist nicht gestattet. Diese Vorschrift findet auf Arbeiter, die zu einander in dem Verhältnisse von Ehegatten oder Geschwistern stehen oder mit einander in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, keine Anwendung.

§ 8.

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Die höheren Verwaltungsbehörden sind befugt, auf Antrag Ausnahmen von den Vorschriften des § 3 Ziffer 2, Ziffer 4 Satz 2, Ziffer 5 und des § 4 Ziffer 2 zuzulassen, wenn die Arbeitsräume mit einer wirksamen Einrichtung zur [37] Herbeiführung eines ausreichenden Luftwechsels versehen sind. Im Falle der Bewilligung von Ausnahmen von der Vorschrift des § 3 Ziffer 5 müssen jedoch für jede beschäftigte Person mindestens sieben Kubikmeter Luftraum verbleiben.
Die höheren Verwaltungsbehörden können ferner auf Antrag Ausnahmen von der Vorschrift des § 3 Ziffer 2 für solche Räume zulassen, in denen auf die darin beschäftigten Personen ein größerer als der im § 3 Ziffer 5 bezeichnete Luftraum entfällt. Auch können für die Arbeitsräume in Shedbauten sowie für solche Räume, welche mit einer besonders großen Fensterfläche ausgestattet sind, Ausnahmen von der Vorschrift des § 3 Ziffer 4 Satz 2 nachgelassen werden.
Die höheren Verwaltungsbehörden sind befugt, für Anlagen, in denen nicht mehr als fünf Arbeiter beschäftigt werden, in Abweichung von den Vorschriften des § 2 und des § 4 Ziffer 1 Abs. 1 auf Antrag zu gestatten, daß das Trocknen des Tabaks in der Küche oder im Arbeitsraume vorgenommen wird, sofern durch geeignete Einrichtungen ausreichende Fürsorge gegen hiervon drohende Gesundheitsschädigungen getroffen ist.

§ 9.

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Unberührt bleibt die Befugnis der zuständigen Behörden, im Wege der Verfügung für einzelne Anlagen (§ 120d der Gewerbeordnung) oder durch allgemeine Anordnung für alle Anlagen ihres Bezirkes (§ 120e Abs. 2 a. a. O.):
1. Die Anbringung besonderer Einrichtungen zur Herbeiführung eines ausreichenden Luftwechsels in den Arbeitsräumen vorzuschreiben;
2. die für die Instandhaltung und Reinhaltung der Decken und Wände erforderlichen Bestimmungen zu treffen;
3. Anordnungen über die Einrichtung der Arbeitstische und -sitze zu erlassen;
4. Maßnahmen zur Vermeidung von Staubbelästigung bei der Verwendung von Maschinen anzuordnen.

§ 10.

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Der Arbeitgeber hat für die Arbeiter verbindliche Bestimmungen über folgende Gegenstände zu erlassen:
1. Die Arbeiter dürfen nicht auf den Fußboden ausspucken.
2. Die Arbeiter dürfen Zigarren nicht mit dem Munde bearbeiten und die Zigarrenmesser nicht mit Speichel befeuchten.
In den zu erlassenden Vorschriften ist vorzusehen, daß Arbeiter, welche trotz wiederholter Warnung den vorstehend bezeichneten Bestimmungen zuwiderhandeln, vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Aufkündigung entlassen werden können.
Ist für den Betrieb eine Arbeitsordnung erlassen (§ 134a der Gewerbeordnung), so sind die vorstehend bezeichneten Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen. [38]

§ 11.

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In den Arbeitsräumen, in denen das Abrippen von Tabak, das Wickeln, Rollen oder Sortieren von Zigarren vorgenommen wird, muß an der Eingangstür ein von der Ortspolizeibehörde unterzeichneter Aushang befestigt sein, aus welchem ersichtlich sind:
1. die Länge, Breite und Höhe des Arbeitsraums;
2. der Inhalt des Luftraums in Kubikmeter;
3. die Zahl der Personen, welche demnach in dem Arbeitsraume beschäftigt werden dürfen;
4. die von der höheren Verwaltungsbehörde gemäß § 8 für den Arbeitsraum etwa zugelassenen Ausnahmen.
In jedem Arbeitsraume muß ferner eine Abschrift oder ein Abdruck dieser Vorschriften sowie der gemäß § 10 vom Arbeitgeber erlassenen Bestimmungen an einer in die Augen fallenden Stelle aushängen.

§ 12.

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Die vorstehenden Bestimmungen treten am 1. Mai 1907 in Kraft und an die Stelle der durch die Bekanntmachungen des Reichskanzlers vom 8. Juli 1893 (Reichs-Gesetzbl. S. 218) und vom 9. April 1905 (Reichs-Gesetzbl. S. 236) verkündeten Vorschriften über die Einrichtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren bestimmten Anlagen. Jedoch bewendet es für die beim Erlasse dieser Bestimmungen bereits im Betriebe stehenden Anlagen hinsichtlich der Größe des jedem Arbeiter zu gewährenden Luftraums bis zum 1. Januar 1913 bei den Vorschriften des § 5 der Bekanntmachung vom 8. Juli 1893.
Berlin, den 17. Februar 1907.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers.

Graf von Posadowsky.