Benutzer:Darumeis/Texte3

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Autor: Louis Andrée (vermutlich Pseudonym von Oskar Panizza)
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Titel: Zürcher Diskußionen No. 13–15
Untertitel: Flugbätter aus dem Gesamtgebiet des modernen Lebens
aus: Zürcher Diskußionen - Zweiter Jahrgang 1899. Verlag Zürcher Diskußionen Paris 1899.
Herausgeber: Oskar Panizza
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Erscheinungsdatum: 1899
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Erscheinungsort: Paris
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Quelle: Scan aus: Zürcher Diskußionen No. 13–15. Paris 1899. S. 1–24
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No. 13–15.  [Zweiter Jahrgang.]  1899.

 Nachdruk verboten.


Zürcher Diskuszionen.


Karl Ludwig Sand
eine biografisch-psichologische Darstellung
von Louis Andrée (Paris).[WS 1]


„Wißt Ihr Deutsche denn überhaupt, was Revoluzion ist?
Ihr habt keine Ahnung! Aber ich weiß es!“
Napoléon zu den Jenenser Profeßoren 1813.

|1 Es ist gewiß eine der merkwürdigsten geistigen Bewegungen, die wir zu Anfang dieses Jahrhunderts in Deutschland antreffen, jene Bewegung, die man in ihrer ersten Fase den „Tugendbund“, in ihrer weiteren Entwiklung die „Burschenschaft“, noch später den „Zeitgeist“ und die „demagogischen Umtriebe“ genant hat, aus der die Idee zur Wiedergeburt und Einigung Deutschlands hervorgegangen, von der die Gemüter allmälich angestekt wurden, und die schließlich in Bismarck einen Vertreter gefunden hat, der unter wörtlicher Wiederholung der burschenschaftlichen Fraseologie vom „Blut und Eisen“ das ein halbes Jahrhundert vor ihm ausgesprochene Prinzip als Staatsmann verwirklicht hat. Eine wißenschaftliche, psichologisch-erschöpfende Darstellung dieser Bewegung gibt es zur Zeit noch nicht, und ist bei der großen Wahrheitsliebe der Deutschen einerseits, bei dem zweifellos anarchistisch-propagandistischen Charakter, den die burschenschaftliche Bewegung wenigstens im Umkreise Follen's gehabt hat, andrerseits, wol auch für's Erste nicht zu erwarten1). — Wir geben hier nur so viel, als für die unumgängliche Beleuchtung unseres Helden nötig ist. —

|2 Nach der Niederwerfung Deutschlands durch Napoleon war man überall in den leitenden Kreisen in banger Sorge, auf welche Weise eine Wiederaufrichtung der Kräfte des Landes möglich sei; nicht der materjellen Kräfte, nicht der militärischen Hülfsmittel — Rekrutirungen waren verboten — sondern der geistigen. Man fühlte, nur Begeisterung könne Deutschland zu einem neuen, verzweifelten |3 Widerstand gegen den ruhmgekrönten, französischen Feldherrn vermögen. Man brauchte eine Idee: Vaterland, Freiheit, Teutschtum u. dergl. Man wante sich an das Volk. Aber dieses Volk, stumpfsinnig und versklavt, hatte ja nicht das mindeste Intereße, sich neuerdings totschlagen zu laßen. Napoleon brachte ja die Freiheit. Napoleon war ja eben das Schlußstük jener revoluzjonären Bewegung, die die französischen Fürsten, jene Blutsauger der Menschheit, die dem Volk sogar das Salz abpreßten, um im Sommer von Paris nach Versailles Schlitten fahren zu können, erschlagen und verjagt hatte. In Deutschland waren ja genau die gleichen Fürsten. Logischerweise hätten die Deutschen ihre Fürsten ebenfalls erschlagen und Napoleon zujubeln müßen, der ihnen menschenwürdigere Zustände brachte. Viele dachten so. Am ganzen Rhein dachte man so. Goethe war entzükt von diesem Genius der Menschheit. Noch in Heine's Buch „Le Grand“ zitterte die gewaltige Bewegung der Gemüter nach beim Anblik Napoleon's. Die Juden wären ja unter den deutschen Fürsten niemals frei geworden. Erst Napoleon machte sie zu Menschen. Warum solten sie ihm denn nicht dankbar sein? —

Diese deutschen Fürsten waren damals sehr zahm. Sie blikten das Volk mit den freundlichsten Bliken an. Sie wußten ja wol, eine Revoluzjon würden die Deutschen nie machen, und ihrer Köpfe wären sie sicher. Und die Deutschen, in dem warmen Brüderschafts-Verhältnis, in dem sie stets zu ihren Fürsten standen, dachten ja ebenfalls nicht entfernt an's Totschlagen. So machte man den überall Konzeßjonen, die Erbuntertänigkeit wurde aufgehoben, Fichte's „Zurükforderung der Denkfreiheit“ (1793) wurde bewilligt, die lezten Reste der Leibeigenschaft, die Adels-Monopole auf Landgüter wurden abgeschaft, die Fidei-Komiße wurden beschränkt, und man ahnte, welchen Wert ein zahlreicher, kräftiger Bauernstand für ein Land habe; der populäre Stein wurde berufen. Aber man brauchte noch eine Idee. Man wolte dem Volke nicht sagen: Laßt Euch für uns Fürsten totschlagen. Man dachte es; aber man wolte es nicht sagen. Es klang zu schlecht. Und so brauchte man eine Idee: Gott, Vaterland, Teutschland, Sitlichkeit u. dergl., für die man sich totschlagen laßen könne. — In diesem kritischen Zeitpunkte, 1808, — Fichte hatte seine aufmunternden „Reden an die deutsche Nazion“ schon gehalten — kam merkwürdigerweise ein — Slave, ein Herr Mosqua in Königsberg, Oberfiskal, auf den Gedanken, „eine patrjotische Vereinigung zur Tugendübung“ zu gründen [Voigt S. 5], die sich später auch „wißenschaftlich-sitlicher Verein“ nante. Als Zielpunkte waren angeführt: „Vaterlandsliebe, deutsche Selbstheit, körperliche Festigkeit, Geradsinn, Religiosität, festes Streben gegen Unsitte, Laster und Künstelei, Haß gegen Schmeichelei, Kriecherei, Verweichlichung und Menschenscheu, Liebe zur Wißenschaft, Humanität und Brüderlichkeit.“ In dieser Nomenklatur vom Jahr 1808 haben wir |4 schon den ganzen Bestand an Schlagwörtern der späteren Burschenschaft beisammen. Sand und Follen wiederholen ihn wörtlich. „Blut und Eisen“ komt 1810 aus den Gedichten Schenkendorf's hinzu:

„Denn nur Eisen kann uns retten,
Und erlösen kann nur Blut...“

Die Gründung, eine spezifisch norddeutsch-protestantische Bewegung, ist der sog. „Tugendbund“; er fand die staatliche und königliche Genehmigung und breitete sich über ganz Nord- und Mitteldeutschland aus.

Hier sezen wir mit dem Vorleben Sand's, der ein direkter geistiger Abkömling der norddeutschen Tugendbündelei war, ein. Er war in Wunsiedel, dem Geburtsort des fantasiereichen Jean Paul, im heutigen bairischen Oberfranken, als Sohn eines pensjonirten preußischen Justizrats (nicht eines protestantischen Pfarrers, wie liebevoll der katolische geistl. Rat und Geschichtsschreiber A. Buchner in seiner „Gesch. von Bayern“ Bd. X. S. 524. München 1855 annimt), 1795 geboren. Keine Spur von Belastung. Eltern und Geschwister waren alle normal, gesund. Ebenso Sand. Er hatte nach Absolvirung der humanistischen Studien in Hof und Regensburg, wo er die schmeichelhaftesten Zeugniße erhielt — „ich hatte keinen hoffnungsvolleren Schüler als ihn“, schreibt Rektor Saalfrank; „er ist von der Vorsehung mit herrlichen Geistesanlagen beschenkt“ heißt es aus Regensburg [Acten-Auszüge 94 f.] — die Universität Tübingen bezogen, als, 1815, der zweite Feldzug gegen Napoleon ausbrach. Sand ließ sich sofort als freiwilliger bairischer Jäger einschreiben und zog, wie ein von hoher Begeisterung durchlohter, mit Körner'schen Freiheitszitaten durchspikter Brief an seine Eltern ausweist [ebenda 97–100] wolgemut in's Feld. Er kam bis Fontainebleau. Nach der Schlacht bei Waterloo zog man wieder heim. Gefochten hat er nicht. Schon im Dezember des gleichen Jahres ließ er sich als Teologe in Erlangen imatrikuliren. Dort traf ihn bald darauf ein ähnlich tragisches Ereignis, wie seiner Zeit Luther, und scheint einen ähnlich tiefen Eindruk in seinem überhaupt erregbaren Gemüt zurükgelaßen zu haben: einer seiner vertrautesten Freunde ertrank vor seinen Augen, und er selbst war in Lebensgefahr [Tagebücher S. 98–112]. Vielleicht, daß dies Ereignis seiner Lebensfreude einen Stoß gegeben, und, wie bei Luther, ein gewißes weltflüchtiges Gefühl in ihm gewekt hat. Im Sommer 1817 predigte er in der Hauptkirche zu Erlangen und ging dann nach Semesterschluß nach Jena, wo er sich in die neugegründete „Burschenschaft“ aufnehmen ließ. —

Schon im Jahre 1809 hatte sich zu Jena ein Studenten-Verein gebildet, der, im bewußten Gegensaz zu dem Sauf- und Pauk-Zwang der „Landsmannschaften“, durch „Einrichtung von Kränzchen auf die sittliche und wißenschaftliche Bildung der Vereinsmitglieder einwirken wolte“ [Schneider S. 20]. Wir hören hier die Sprache des „Tugendbundes“. Dieser Tugendbund war schon nach kaum einjährigem Bestehen in den Verdacht „staatsverräterischer Handlungen“ gekommen [Voigt 97], und der König von Preußen hatte ihn aus Furcht, es könne in ihm neben dem Gefühl der Tugend auch das der Freiheit entstehen, noch im Jahre 1809 aufgehoben. Aber die Ideen für Einheit, Teutschtum, Unabhängigkeit, Selbstzucht, Nakensteife hatten schon Wurzel geschlagen. Jahn hatte schon in seinem „Deutschen Volkstum“ (1810) und in „Ordnung und Einrichtung der deutschen Burschenschaften“ (die bis auf 1797 zurükgehen), eine Neu-Auffaßung der bürgerlichen Gesellschaft bekundet, und Arndt, der „Hauptsprecher und Anreger politischer Gedanken“, hatte in seinem „Entwurf einer deutschen Gesellschaft“ (1814) seinen vaterländischen Ideen Ausdruk verliehen. Ihnen schloßen sich an u. A. der Kriminalrichter W. Snell in Dillenburg, Prof. C. Welcker, der Dozent G. Welcker, beide in Gießen (die sog. „staatsgefährliche, deutsche oder: Wetterauische Gesellschaft“) [s. Welcker S. 242–272]. Da der König nicht im Stande war, diese Ideen zu seinen Gunsten zu nüzen, so wanten sie sich gegen ihn. Und aus dem Stein, den die Bauleute in Preußen verworfen, erwuchs in Mitteldeutschland der Bau der Burschenschaft und Alldeutschlands. — Im Jahre 1810 hatte sich in Berlin eine Verbindung „Vandalia“ aufgetan, die zwar noch landsmannschaftlichen Charakter hatte, aber durch ihre stark patriotische Gesinnung und ihre begeisterte Aufnahme der von Arndt, Jahn und Fichte ausgesprochenen Ideen bereits burschenschaftliche Färbung trug (Gervinus, Gesch. |5 des 19. Jhrh. Bd. II). Während dem Weiterbestehen dieser Verbindung in Berlin der Boden entzogen ist, sehen wir im Jahre 1811 Leute dieser „Vandalia“ mit Mecklenburgern eine neue „Vandalia“ in Jena gründen. Bald darauf, 1815, entsteht wiederum in Jena die „Jenaer Wehrschaft“, eine Vereinigung von Profeßoren und Studenten, die sich neben den wißenschaftlichen Studien kriegerischen Uebungen hingibt, um jeden Augenblik zur Verteidigung des Vaterlandes bereit zu sein. Eine ähnliche Verbindung entstand kurz vorher in Halle a./S. Alle diese Verbindungen standen unter dem Einfluß der Ideen Jahn's, der zum Zwek kriegerischer Tüchtigkeit die Turnübungen eingeführt, und eine „Burschenschaftsordnung“ herausgegeben hatte. Auch Arndt riet in seinem 1815 erschienenen „Deutschen Studentenstaat“ zu einer wehrhaften Gliederung der akademischen Bürger. Durch den Umstand, daß viele Studenten bereits die Feldzüge gegen Napoleon mitgemacht hatten, und als Lützow'sche Jäger in die Hörsäle zurükgekehrt waren, wurden die „Landsmannschaften“, die an ihrem alten „Pauk-Comment“ festhielten, leichter für die neuen tugendbündlerischen Ideen gewonnen, und so entstand aus alten „Landsmannschaften“, aus Wehrvereinen und gänzlich unorganisirten Studenten, „Finken“, im Juni 1815 in Jena die „Burschenschaft“, eine gänzlich neue Sache mit ganz neuen Ideen, ein äußerlich durch die Revoluzjonsstürme und die Napoleonschen Kriege, innerlich durch ein höheres Freiheitsverlangen und grandjosere Weltauffaßung entstandenes Bedürfnis der jüngeren, gebildeten Deutschen, sich auf sich selbst zu besinnen und sich zusammen zu schließen; entwiklungsgeschichtlich ein Kompromiß der feineren und hoch-idealistischen Impulse des Tugendbundes mit den überkommenen und barbarischen Gebräuchen der Landsmannschaften.2)

In diesen Kreis trat Sand. Es ist eigentümlich, daß er bereits in Tübingen im April 1815, also zwei Monate vor Gründung der Burschenschaft in Jena, nach Ausweis der Akademischen Senats-Akten in einer Verbindung „Teutonia“ rezipirt erscheint, deren Statuten zweifellos rein-burschenschaftliches Gepräge tragen, und die eine noch weit heißblütigere Sprache reden, als der Jenenser Entwurf: „Zwek unseres teutonischen Vereins — heißt es da — ist echter deutscher Burschengeist, hohe Achtung und warme Liebe für unser Vaterland, glühender Haß gegen deßen äußere und innere Unterdrüker, feurige Vorliebe für unsere akademische Freiheit, unantastbare Ehre, die sich vor keiner irdischen Hoheit und Macht beugt...“ u. s. w. [Acten-Auszüge 96]. Man sieht, der Tugendbund hatte auf seinem Weg nach dem Süden mehr Farbe und Wärme bekommen. Er sprach jezt ganz anders als in Königsberg aus dem Munde des Herrn Mosqua. In Erlangen gründete Sand dann 1816 selbst mit 40 Komilitonen eine Burschenschaft, in der deutlich Anklänge an Schiller und Wilhelm Tell's „Rütli“-Schwur zu finden sind, die wiederum „Teutonia“ hieß, deren Vorstand er selbst zweimal gewesen, und deren Konstituzjon er unter dem Titel „Erlanger Burschenbrauch“ selbst ausarbeitete [Acten-Auszüge 102. Tagebücher 41, 59–69, 87]. Berüksichtigt man dies, und berüksichtigt man die ganze Schreibweise Sand's, dann erscheint es in hohem Grade wahrscheinlich, daß er auch der Verfaßer der eben mitgeteilten, warmblütigen Tübinger Konstituzjon ist. Sand war damals 20 Jahre alt. —

Es ist ein eigentümlicher psichischer Zustand, in dem sich damals viele junge Leute in Deutschland befanden. Es ist durchaus falsch, wenn man einzelne Aeußerungen Sand's herausgreift, wie es Karl Braun tut, um deßen Exaltirtheit zu erweisen, und ihn so, da man ihm nicht anders beikommen kann, von sich abzuschütteln3). Auch die burschenschaftlichen Historien-Schreiber sind von |6 diesem Vorwurf nicht freizusprechen. Sand war gesund wie das Mark des Hollunderbaums. So wie er dachten Tausende damals in Deutschland. Und diese Tausende, die zu Wort kamen, waren der Ausdruk des ganzen Volkes. Ein ungeheuer breiter, weicher Gefühlsstrom durchflutete die Herzen dieser Menschen. So etwas wie: „Seid umschlungen Millionen!“ Man hatte an der französischen Nazjon gesehen, was einerseits Temperament und wildes Verlangen, auf der andern Seite Zusammenschluß aller Kräfte zu vollbringen im Stande seien. Selbst die Engländer, die ja politisch in den ruhigsten Verhältnißen lebten, wurden mächtig ergriffen und meinten, sie müßten noch etwas Weiteres tun in der Richtung einer gesicherten Freiheit. Gar nun die Deutschen, die bei Betrachtung ihrer politischen Verhältniße von Ekel und Scham ergriffen wurden. Nachdem man gesehen, daß mit den deutschen Fürsten — mit der einen glänzenden Ausnahme des Großherzogs Karl August von Weimar — absolut nichts zu wollen, daß sie ewig Männer des 18. Jahrhunderts bleiben würden, ließ man sie liegen und schloß sich auf eigne Rechnung zusammen. Viel hoheitsvolle Kraft und inbrünstiges Verlangen gab es da; aber auch viel Verschwommenheit und Sentimentalität. Gemütswallung bleibt eben die erste und sicherste Quelle des Fortschritts. Ohne Begeisterung kann kein Volk existiren. Verstand und kühle Ueberlegung können nur ernüchtern und erkälten. Zudem lebte man damals in der Romantik. Alle die prächtigen Burschenlieder, die heute noch mit Entzüken gesungen werden, so das schöne:

„Vaterlandssöhne, traute Genoßen,
o, wie mein sehnendes Herz sich erschloßen,
seit wir geflochten den treuen Verein!
O, sei gegrüßet mein Eichenhain...“
[Follen, A. L., Freie Stimmen S. 92.]

das liebliche:

„Gott grüß' Dich, Du, mein Maienfeld“    [ebenda Nr. 41.]

oder Karl Follen's gewaltiges:

„Horcht auf, Ihr Fürsten! Du Volk, horch auf!“

welches in 6000 Exemplaren heimlich gedrukt und versant wurde, entstanden um jene Zeit.4) Das „Deutschtum“ schlug damals über alle Köpfe hinweg. Aus der Vergangenheit suchte man das Beste heraus, womit man sich schmüken und was man pflegen dürfe. Man hatte Napoleon besiegt und fühlte sich jezt zum Höchsten berufen. Und die Ingredienzen der damaligen deutschen Seele lauteten: „Vaterlandsliebe, Gottesfurcht, Sitlichkeit.“ Man sieht, hier fehlen die deutschen Fürsten. Man konte damals rein nichts mit ihnen anfangen. Ueberall standen sie im Weg. Sie waren das fünfte Rad am Wagen. — Wie es nun aber |7 bei einer so jung-gährenden Bewegung geht, es fehlt nicht an dem, was die Fisjologie falsche Gährungen nent, und an Extremen. Waren z. B. die Landsmannschaften früher durch ihr rohes Benehmen gegen die Weiblichkeit berüchtigt, so verfielen nun die Burschenschafter in's andere Extrem, in die Scheu vor dem Weib, oder gar in die Askesis. Die Braut, das junge Mädchen, ist jezt ein Wesen, welches zwar erröten und Burschenfahnen stiken darf, aber um keinen Schritt weiter. Sie wird gemieden. Das „Liebchen“, das „Elsulein, lieb Elsulein“ hatte in der modernen deutschen Sitlichkeit keinen Plaz. Ja, der Gießener Kreis unter Karl Follen perhorreszirte sogar jeden weiblichen Umgang.

„Stolz, keusch und heilig sei,
Gläubig und deutsch und frei
Hermann's Geschlecht....“    (Karl Follen.)

Die Lösung der Aufgabe, die den jungen Leuten in Deutschland nach seiner Ansicht zugefallen war, war so gewaltig, daß eine Ablenkung durch sinliche Befriedigung vermieden werden mußte: „Uns, als dem Tote geweihten Opfern, muß Frauenliebe fremd bleiben“ [Braun 272]. — In diesem Kreis steht nun Karl Sand5). —

Eine großartige Bekräftigung und Konzentrirung all' dieser Bestrebungen und neuen Ansäze solte das bekante Wartburgfest am 17.–19. Okt. 1817 bringen. Es war ein höchst glüklicher Gedanke des Turners und Germanisten Maßmann in Berlin, die 300-jährige Gedenkfeier des Tesen-Anschlags Luther's mit dem sowieso jedes Jahr gefeierten Gedenktage der Schlacht bei Leipzig (18. Oktober) zu verbinden, und die gemeinsame Veranstaltung dieser beiden Feste auf der Wartburg, wo Luther seiner Zeit die Bibel übersezt hatte, zu einer ersten, großen Burschen-Rewü zu benüzen. Luther's Gedenken lebte damals überhaupt in Aller Herzen [s. Jacobi, Eichenlaub auf Luther's Grab]. Es ist eine rührende Szene, wenn Sand mit seinen Freunden schon ein Jahr vorher, am 18. Februar 1816, in Erlangen auf dem Zimmer eines Komilitonen „bei Chokolade und Bier des großen Dr. Martin Luther's Sterbetag und Sterbestunde (Nachts 2 Uhr) festlich begehen“, Seckendorff's Leben Luther's lasen, „endlich um die Sterbezeit ‚Eine feste Burg ist unser Gott‘ sangen, Luther ein rührendes Vivat brachten und dann gegen 3 Uhr nach Hause gingen“ [Tagebücher 41]. — In Jena bildete sich sofort ein Festausschuß, dem auch Sand, der mit Beginn des Wintersemesters 1817 Jena bezogen hatte, angehörte. Einladungen erhielten fast alle deutsche Universitäten. Aber, wie sich zeigte, es kamen nur die protestantischen. Und hier offenbart sich deutlich, wie die Burschenschaft in der ersten Zeit ihrer Gründung noch rein den Charakter des norddeutsch-protestantischen Tugendbundes an sich hatte. Völkerschaftlich gesprochen ist die Burschenschaft der norddeutsche Tugendbund in's Sächsische übersezt. Der abstrakte norddeutsche Gedanke durch die weicheren Farben des Südens belebt und durch seine Lieder getragen. Von Jena aus geht die Linie zu den südlichen Universitäten, die bereits burschenschaftliche Kartelle aufwiesen, hinüber nach Erlangen, dann tief hinunter nach Tübingen und wieder hinauf nach Heidelberg. Würzburg ist umgangen6). Landshut, das spätere München, hatte zwar eine Einladung erhalten, und zwar vom Ausschußmitglied Sand selbst, aber es antwortete, von den neuen Bestrebungen sei in Landshut nichts zu spüren. Es war begreiflich: Bayern hatte ja noch wenige Jahre vorher auf Seite Napoleon's gefochten. Und die ganze Disziplin und Studien-Ordnung war ja in Landshut |8 noch rein jesuitisch. Die Adreße der Antwort trug die Aufschrift: „A Monsieur Sand à Jene“ (sic!) [Schmid 29]. — Zirka 700 Studenten, vorwiegend aus dem Norden Deutschlands, zogen am 18. Oktober Morgens 9 Uhr teils im Turnerkostüm, teils im altdeutschen Rok mit Barett und Schläger, mit Eichenlaub geschmükt, unter Glokengeläute auf die Wartburg. Von den Jenenser Profeßoren beteiligten sich Schweitzer, Oken, Fries und Kieser, die alle dann in peinliche Untersuchung gezogen wurden. Oben waren ca. 1000 Personen versammelt. Man sang „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Studiosus Riemann, mit dem eisernen Kreuz geschmükt, hielt die Festrede. Er begann unter Hinweisung auf Luther's befreiende Geistestat, sprach von den trostlosen Verhältnißen Deutschlands nach dem 30-jährigen Krieg, kam dann auf den Befreiungskampf 1813–15 zu reden, und fuhr dann fort: „Das deutsche Volk hatte schöne Hoffnungen gefaßt, sie sind alle vereitelt; alles ist anders gekommen, als wir erwartet haben; viel Großes und Herrliches, was geschehen konnte und mußte, ist unterblieben; mit manchem heiligen und edlen Gefühl ist Spott und Hohn getrieben worden. Von allen Fürsten Deutschlands hat nur Einer sein gegebenes Wort gelöst, der, in deßen freiem Lande wir das heutige Fest der Völkerschlacht begehen.“ — Er forderte dann alle auf, zusammenzustehen im Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit gegen äußere und innere Feinde, sich nicht von dem Glanz des Herrschertrones blenden zu laßen, sondern, wenn es gelte, ein starkes und freies Wort zu sprechen. Er rief Luther, Schill, Scharnhorst und Körner als Zeugen des Gelübdes auf: „Verderben und Haß der Guten allen denen, die in niedriger, schmuziger Selbstsucht das Gemeinwohl vergeßen, die lieber im Staube kriechen, als frei und kühn ihre Stimme zu erheben gegen jegliche Unbill...“ [Schneider 46]. Die Rede machte ungeheuren Eindruk. Man sang den Choral „Nun danket alle Gott!“, und dann sprach noch Profeßor Fries einige feierliche Worte, die schloßen mit: „Ein Gott, Ein deutsches Schwert, Ein deutscher Geist für Ehre und Gerechtigkeit!“ — Man sieht, auch hier fehlen wieder die deutschen Fürsten. Noch vor wenigen Jahren hatten die Mitglieder des „Tugendbundes“ erklärt, sie wolten sich „um den König schaaren“, ihre „Untertanen-Treue stehe felsenfest“, sie legten „ihre Verfaßung auf die Schwelle des Trones nieder“ [Voigt 4, 7, 9], jezt wird ausdrüklich vor dem Tron gewarnt und ihre Inhaber als Verräter bezeichnet. — Profeßor Oken forderte noch auf, es nicht bei der Rührung bewenden zu laßen, sondern zu Taten weiterzuschreiten, und einen gemeinsamen Burschenschafts-Verband zu gründen. Dann ging's zum Mittagsmahl. Man toastete auf Luther, auf den Großherzog Karl August von Weimar, auf die Burschenschaft. Sand verteilte noch oben auf dem Burghof eine „Punctation“, wie er es nante. Er war kein guter Redner und zog daher Gedruktes oder Geschriebenes vor7). Dann zog man hinunter in die Stadtkirche, wohnte dem Gottesdienst bei und ging zum Abendmahl. Es war durchaus eine gottesdienstliche Feier ad hoc. Dann begab man sich zum Markt, sang Vaterlands-Lieder, und die Jenenser und Berliner Burschenschaften führten Turnspiele auf. Mit Einbruch der Dämmerung ordnete man sich zum Fakelzug auf den Wartenberg (gegenüber der Wartburg). Oben wurden die Fakeln zusammengeworfen und das Lied gesungen: „Des Volkes Sehnsucht flamt.“ Stud. phil. Rödiger aus Jena hielt hier die Festrede, die auch gedrukt wurde: „Ein deutsches Wort an Deutschland's Burschen, gesprochen vor dem Feuer auf dem Wartenberg bei Eisenach.“8) Profeßor Fries hatte die Rede gelesen und ausdrüklich gebilligt. Dann schlepte |9 Maßmann einen großen Korb voll Scharteken und alten Gegenständen herbei. In Anlehnung an Luther's Verbrennung der päpstlichen Bannbulle wurden hier eine Menge den Burschenschaften besonders verhaßter Bücher und Simbole unter scherzhaften und höhnischen Reden und Pereat-Rufen den Flammen übergeben. Verbrant wurde: ein Zopf, eine Uniform, ein Exerzierstok, eine Schrift Dabelow's „Der 13. Artikel der deutschen Bundesacte“ (es war dies jener Artikel 13, der den Bundesfürsten 1815 die Pflicht auferlegte, in allen Bundesstaaten binnen Jahresfrist landständische Verfaßungen einzuführen), eine Schrift Harl's „Ueber die gemeinschädlichen Folgen der Vernachläßigung einer angemeßenen Polizey in Universitätsorten“, eine Schrift Janke's „Der neuen Freiheitsprediger Constitutionsgeschrey“, Kotzebue's „Geschichte des deutschen Reichs“, von Kamptz' „Codex der Gensd'armerie“, eine Schrift W. Reinhard's „Die Bundesacte über Ob, Wann und Wie deutscher Landstände“, eine Denunzjazjonsschrift des Geheimrats Schmalz in Berlin (auf die wir unten zurükkommen), eine Schrift Saul Ascher's „Germanomanie“, zwei Dramen des zum Renegaten gewordenen und zum Katolizismus übergetretenen Zacharias Werner „Weihe der Kraft“ und „die Söhne des Thals“, ein Exemplar des Code Napoléon, eine Schrift des Dichters Immermann, in der dieser die Burschenschaften denunzirt hatte, die Statuten der „Adelskette“ (einer aristokratischen Vereinigung damaliger Zeit) und eine Menge gegnerischer Schriften und Zeitungen [Noch acht Beiträge 61–63]. Man glaubte, daß die Idee zu diesem auto-da-fe von Jahn in Berlin ausging, deßen Schüler Maßmann war. Auch Prof. Fries hatte die Liste der zu verbrennenden Gegenstände vorher durchgesehen. Wahrscheinlich hat auch der Großherzog Karl August von Weimar, mit dem die Jenenser Universitätsbehörden in vorzüglichem Verhältnis standen, darum gewußt, denn von den später, nach Sand's Tat, geheim gedrukten „Noch acht Beiträge zur Geschichte Kotzebue's und Sand's“ Mühlhausen 1821, begint der 3te, „Der Studentenfrieden auf der Wartburg“ mit den Worten: „Der Vergünstigung Sr. kön. Hoh., des Durchl. Großherzogs gewiß, haben die Behörden und Bürger von Eisenach alle Anstalten getroffen, den Aufenthalt den zum heiligen Frieden (dies bezog sich auf die Vereinigung der Landsmannschaften mit den Burschenschaften in Jena) wallenden Studenten billig, bequem und angenehm zu machen...“ [Noch acht Beiträge 55]. —

Es ist begreiflich, daß dieses Sich-Aufreken der Jugend unter dem freundlichen Geschehen-Laßen ihrer Lehrer in konservativen und Hof-Kreisen großes Misfallen erwekte. Schon den „Tugendbund“, der doch gewiß an Lojalität nichts zu wünschen übrig ließ, hatte man bald nach seinem Entstehen aufgelöst aus lauter Besorgnis, es möchten sich selbständige Ideen im Volk entwikeln. Jenes furchtbare Gesez im Herzen aller Potentaten, lieber ein Land zu Grunde gehen zu sehen, als es ohne des Fürsten Inizjative oder gegen seine Einsicht zum Fortschritt gelangen zu laßen, das Verhüllen dieses unglükseligen Triebes mit konservativen Frasen und götlichen Redensarten, das Sich-Anklammern an Stiefel, Sporn und Zaumzeug, das Hinglozen auf die alten Vergoldungen, jener ganze jammervolle Geisteszustand, der nur vor den härtesten, brutalsten Tatsachen zu weichen im Stande ist, er hatte damals die deutschen Fürsten im Allgemeinen, den König Friedrich Wilhelm III. von Preußen im Besonderen ergriffen. Und von dieser Krankheit gab es zunächst keine Heilung. Das Tier hat in solchen Zuständen einen sicheren Instinkt als der Mensch. Ein Fuchs, der sich im Fuchseisen gefangen, hat soviel Resignazjon, daß er sich das Bein abnagt und mit 3½ Pfoten Freiheit und Gesundheit rettet. Aber ein Fürst wartet bis zum lezten Moment, läßt sich gegebenen Falls, wie Louis XVI., von den Häschern fahen und erschlagen, nur um die vier Pfoten zu retten. Von den freiheitlichen Ratgebern der preußischen Krone, die wirklich die Situazjon in Deutschland übersahen, war Freiherr von Stein schon seit 1815 nicht mehr beigezogen worden, und Wilhelm von Humboldt wurde 1819 abgesezt. Die konservativen Ohrenbläser bekamen die Oberhand. Fichte's „Reden an die Deutsche Nation“ wurden verboten. Schleiermacher's Gesangbücher und Predigten polizeilich überwacht. Hutten's Werke, in der eben |10 erschienenen neuen Ausgabe von Münch, wurden verboten, „weil man heutzutage keine solche Spott- und Schmähreden gegen den päpstlichen Stuhl ausgehen laßen könne.“ Den Vogel schoß aber ab der Geheimrat von Schmaltz[WS 2], der in seiner Schrift „Berichtigung etc.“ im Jahr 1815 die Fürsten ausdrüklich vor dem in Deutschland herschenden revoluzjonären Geist warnte, den noch fortbestehenden „Tugendbund“ denunzirte und unter Anderem — zwei Jahre nach der Schlacht bei Leipzig — behauptete, der Freiheitskampf gegen Napoleon sei nicht in Folge der sogenanten Begeisterung, sondern nur durch das Pflichtgefühl des Volkes geführt worden, welches gehorsam auf den Ruf des Fürsten hin zu den Waffen gegriffen habe: „Alles eilte zu den Waffen, wie man aus ganz gewöhnlicher Bürgerpflicht zum Löschen einer Feuersbrunst beim Feuerlärm eilt.“ Dies einem Schill, einem Blücher, einem Heer, daß zum überwiegenden Teil aus Freiwilligen bestanden hatte. War es ein Wunder, wenn deutsche Studenten, die freiwillig den Feldzug mitgemacht hatten, auf der Wartburg diese bodenlose Gemeinheit den Flammen übergaben? Herr Geheimrat von Schmaltz[WS 2] erhielt sofort den preußischen roten Adlerorden und einen weiteren Orden vom König von Würtemberg. Niebuhr und Schleiermacher, die als Mitglieder des „Tugendbundes“ angegriffen waren, verteidigten sich in Broschüren und verlangten eine Untersuchung gegen Schmalz. Sie wurde verweigert. Der „Rheinische Mercur“ unter Görres' Leitung verboten. In den Rheinlanden mehrere administrative Unterdrükungsmaasregeln angeordnet.9) — Man sieht, diese ganze großdeutsche Bewegung, die damals durch ihre Beimischung von Mittelalter, Gothik, „blaue Blume“, Romantik, Tieck, Hutten, Luther etc. ursprünglich durchaus nichts Revoluzjonäres an sich hatte, war den Hern in der Regierung und am Hofe gänzlich aus den Händen geglitten. Und erst jezt wurde sie oposizjonell und dann revoluzjonär. Was Bismarck ein halbes Jahrhundert später in so meisterhafter Weise gelungen ist, das Anschwellen des deutschen Gefühls sorgfältig zu beobachten, es dann klüglich und vorsichtig zu steigern, um es im gegebenen Moment in bereit gehaltene Eisenröhren zu faßen und mit Hochdruk zu verwenden, das zerbrach den ungeschikten Händen der damaligen Machthaber, bevor sie es nur recht anfaßten. Und nun blieb den Metternichen, Wilhelms und Ludwigs in Oestreich, Preußen und Baiern freilich nichts Andres übrig, als überall Revoluzjon und Verschwörungen zu wittern. Der Sturm begann auf dem Kongreß zu Aachen im Spätherbst 1818, wo man sich über die lezten Auseinandersezungen mit dem besiegten Frankreich einigte. Dort überreicht ein junger bedeutungsloser Mensch, ein Walache, A. de Stourdza, dem rußischen Kaiser eine gedrukte Denkschrift „Mémoire sur l'état actuel de l'Allemagne“, in der der Geist auf den deutschen Universitäten den in Aachen versammelten Fürsten geradezu denunzirt wird, und die jedenfalls bestelte, rußische Arbeit war, um das zögernde Preußen vollends in die Reakzjon hineinzureißen. Es wird dort in verstekter Weise auf Luther angespielt, der für alle Zeiten in Deutschland das Signal zur Revoluzjon gegeben habe; die jüngsten Vorfälle an den Universitäten werden angedeutet mit l'émeute de Breslau, les vociférations de la Wartbourg, la défection sanglante des étudians de Goettingue, les derniers troubles religieux en Saxe; auf Weimar's Großherzog fält ein starker Hieb, wenn von dem système dangereux gesprochen wird, qui porte les gouvernemens à ne voir dans une université que le véhicule de leurs finances (die reichen Studenten aus aller Herren Länder brachten nach dem fröhlichen, ungebundenen Jena große Geldsummen); schließlich wird Einziehung sämtlicher Privilegien und Lehrfreiheiten gefordert, insonderheit des Rechts der Fakultäten, durch eigne Wahl ihren Lehrkörper zu ergänzen, und eine allgemeine scharfe Ueberwachung des Universitäts-Treibens gefordert: cette surveillance doit, avant tout, s'exercer sur l'association séditieuse dont Jéna est le centre, et qui est connue sous le nom de Burschenschaft (p. 45). Diese Schrift eines Ausländers über Deutschlands Zustände mit Vorschriften, dieselben zu beßern, wird dem rußischen Kaiser überreicht. August von Kotzebue, der rußische Staatsrat, auf den wir bald zu sprechen kommen werden, hat die Schrift ausdrüklich in seinem „litterarischen Wochenblatt“ (Weimar 1819 Nr. 22) gelobt und verteidigt, sie eine „offizielle“, „auf höheren Befehl gedrukte“ genant. Der Schumann des Jahres 1819 wird wol den Autor selbst einigermaasen gekant haben. —

|11 In welcher Weise damals von allen Seiten, offen und anonim gehezt und „lustig drauf los gewühlt“ wurde, mag z. B. ein Aufsaz in der „Berliner Staats-Zeitung“ vom 19. Juli 1819 zeigen, der allerdings nach dem Sand'schen Attentat geschrieben ist, aber doch die ganze Art und Weise in deutlichem Lichte zeigt. Dort heißt es: „Dem Publikum wird daran gelegen seyn, von dem Resultat der ergriffenen polizeilichen Maaßregeln unterrichtet zu sein. Die nachfolgenden Nachrichten werden diesemnach offiziell mitgeteilt. Die für die Ruhe in allen Ländern und für alle rechtliche Staatsbürger so wichtige Untersuchung der bisher in Deutschland statt gehabten demagogischen Umtriebe hat bereits sehr erhebliche Resultate geliefert. Sie bestätigt die von der Regierung bereits ermittelte Existenz einer durch mehrere deutsche Länder verzweigten Vereinigung übelgesinnter Menschen und verleiteter Jünglinge, die den Zweck hat, die gegenwartige Verfaßung Deutschlands und der einzelnen Staaten umzustürzen, und Deutschland in eine auf Einheit, Freiheit und sogenannte Volkstümlichkeit gegründete Republik umzuschaffen ... Sie wollen, wenn sie hinreichend gestärkt sind, ihre Entwürfe durch offene Gewalt ausführen ... ‚Revolutionen‘ gehören zu ihren Mitteln; daher behaupten sie ohne Rückhalt: ‚die Verbeßerung unseres öffentlichen Zustandes ist nur durch Stahl und Eisen zu erreichen‘; daher die rücksichtslose Aeußerung: ‚Staatskonstitutionen können nicht auf trocknem, sondern nur auf naßem Wege, jedoch nicht auf dem der Tinte, eingeführt werden‘, und: ‚Blut ist der Kitt alles Herrlichen‘; daher der Ausspruch: ‚diese große schöne Idee muß mit Blut in's Leben gerufen weiden‘ ... “ u. s. w. (Nachtrag z. d. wichtigsten Lebensmomenten S. 32–34). — Es ist merkwürdig zu beobachten, wie selbst aus diesem hezerisch und tendenzjös gefärbten Artikel noch immer die ersten Spuren der späteren Bismarck'schen Fraseologie hindurchleuchten; und diejenigen seiner Verehrer, die an ihm den „demagogischen Zug“ entdekt haben, können hier für ihre Behauptung einen Beleg finden.10)

Aber der schlimmste der damaligen Hezer war jedenfalls der schon erwähnte August von Kotzebue. Er gehörte zu jenen internazjonalen, vielgewanten, vielgereisten Geschäftsleuten, die in „Ideen“ und „Ansichten“ machen, heute hier scharwenzen und morgen dort schmeicheln, gegen reiche Generalstöchter, Landgüter, Adelsdiplome, Ruhgehalte, aber mindestens Tabatjeren, jede beliebige Ansicht vertreten und ihre jeweiligen Herrn in dem Gefühl der Gottähnlichkeit zu stärken suchen; Menschen, die man in niedriger Stellung „Gauner“, in höherer Stellung „diplomatische Geschaftsträger“ nent. Meist proteschiren sie noch irgend eine der freien Künste, oder üben selbst eine solche aus. Literarisch war Kotzebue freilich sehr begabt, das leidet keinen Zweifel. Und die charakterlose Zeit verlieh ihm sogar den Titel eines „großen, deutschen Dichters“. Er hatte sich schon durch sein Buch „Bahrdt mit der eisernen Stirne“, worin er dem viele schwache Außenseiten darbietenden Freigeist und Schwärmer Dr. Bahrdt mit gänzlich erfundenen, schmuzigen Anekdoten zu vernichten suchte, schwer geschadet; nicht ganz so sehr durch die Schrift selbst, die immer noch in den Ramen literarischer Klopffechterei und persönlicher Rankünen, wenn auch schlimster Sorte, unterzubringen war, als, weil er, eine Entdekung fürchtend, einen seiner Bekanten veranlaßt hatte, sich eidlich als Verfaßer der Schrift zu bekennen, bis er, vor der gerichtlichen Verfolgung in's Ausland flüchtend, von seiner Brodgeberin, der rußischen Monarchin, Katharina II., veranlaßt wurde, sich als Verfaßer zu bekennen.11) |12 — Nach mannigfachen Querzügen durch ganz Europa, wobei er meist sehr gut abgeschnitten hatte, es bis zum rußischen Staatsrat und Mitglied der Akademie der Wißenschaften in Berlin gebracht hatte, ließ er sich 1817 mit einem Gehalt von 15,000 Rubel in Weimar als rußischer, polizeilich-politischer Spion nieder und verhöhnte und denunzirte in seinem „Litterarischen Wochenblatt“ und, was noch schlimmer war, in den von ihm geheim herausgegebenen „Bülletins“, die er, wie es mit der von Stourdza'schen Denunzjazjons-Schrift geschehen war, nur an die Höfe und Minister sante, die gesamte aufstrebende Zeit in Deutschland, alle die besten und geistigsten Kräfte, die Deutschland zur Wiedergeburt verhelfen wolten12)[WS 3]. Man kann sich denken, wie ein solcher Mensch auf die idealen Jünglinge im nahen Jena wirken mußte, die auf der Wartburg die besten und heiligsten Erinnerungen aus Deutschlands Geschichte als Ansporn für eine glükliche Neugestaltung der Gegenwart heraufbeschworen. Auch Goethe, der doch gewiß nicht an „Teutschtümelei“ oder „Germanomanie“ krankte, und auf der andern Seite sich manches Pereat und manche Verhöhnung seiner freien Sitten von den christlich-frommen und sitlich-reinen Burschenschaftern gefallen laßen mußte [Schneider 111–112], war in dieser Sache ganz auf Seite der Studenten, der „jungen Brauseköpfe“, wie er sie nante, und schüzte später Jena, das „liebe, närrische Nest“, wo er konte, gegen die Folgen der Karlsbader Beschlüße. Er hatte für die ihm persönlich angetanen Kränkungen der Musensöhne nur das milde, verzeihende Wort:

„Wie trüg ich wol der Jugend tolles Wesen,
wär' ich nicht selber jung gewesen.“

Auf Kotzebue aber und einen seiner Helfershelfer hat er damals jene Strofe gedichtet, die mit den Worten anhebt:

„Die gründlichsten Schuften, die Gott erschuf...“13)

Aber, was dem Faß den Boden ausschlug, war ein Vorfall, der Kotzebue's geheim-denunzjatorisches Verfahren vor aller Welt aufdekte und zu einem glüklichen, öffentlichen Skandal anwuchs. Der Jenenser Geschichtsprofeßor Luden, der die „Nemesis“ in großdeutschem Sinn und, wie der Titel andeutete, in antifranzößischem Geiste herausgab, hatte im Frühjahr 1818 einen Artikel über die politischen Verhältniße Europas veröffentlicht, in dem auch über Rußland gesprochen wurde. Kotzebue, der geheime Referent für Rußland, machte aus diesem Artikel Auszüge und gab ihnen teils durch Weglaßungen, teils durch Aenderungen, eine derartig Rußland feindselige Wendung, daß Luden im schlimsten Lichte eines politischen Schürers erschien. Diesen Bericht nahm Kotzebue in sein geheimes „Bülletin“ auf. Aber Luden erhielt vor dem Abdruk einen Bürstenabzug aus der Drukerei von befreundeter Seite zugesant. Er erkante sofort den großen Fang, den er gemacht, und veröffentlichte den ganzen Bericht in der „Nemesis“ als Beweismaterjal gegen den Fälscher. Kotzebue tobte und drohte mit politischen Verwiklungen. Die „Nemesis“ wurde von Weimar aus konfiszirt, aber der größte Teil der Nummern war schon versant, und Profeßor Oken drukte außerdem den ganzen Artikel in der „Isis“ nach. Die „Isis“ wurde ebenfalls konfiszirt. Da drukte Wieland, |13 der Sohn des Dichters, den Artikel zum drittenmal im Weimarer „Volksfreund“ ab. Nun war der Skandal öffentlich und Kotzebue's Verfahren vor aller Welt aufgedekt. Er versuchte, den rußischen Kaiser mit hineinzuziehen, aber der allgemeine Unwille war so groß, daß er nach Mannheim flüchtete. —

Doch der Dolch war schon für ihn geschliffen.

Bevor wir nun Sand auf seinem Mordgang begleiten, sei hier noch einer kleinen Gruppe in der Burschenschaft gedacht, der sog. „Schwarzen“ oder „Unbedingten“, welche von Gießen aus sich über West- und Mittel-Deutschland verbreitet hatte, die entschieden die „Propaganda der Tat“, wie wir es nennen, auf ihre Fahne geschrieben, und mit der auch Sand in Berührung gekommen war. — Die burschenschaftliche Bewegung war nicht, wie es z. B. später das Einigungs-Werk Bismarck's war, oder wie es die Reformazion gewesen, das Resultat der Geistesarbeit eines einzelnen Mannes, sondern die koordinirte Arbeit einer ganzen Menge von Gruppen, die dem Zeitbedürfnis entgegenkamen. Jahn's Turnerbund war nicht dasselbe, was Arndt mit seinem „Studentenstaat“ in Absicht hatte; beide entsprechen wiederum nicht ganz dem „Tugendbund“ der vorausgegangenen Jahre; die Berliner „Vandalia“, aus der wesentlich die Jenenser Burschenschaft erwuchs, war nicht identisch mit dieser lezteren; und eine noch ältere Hallenser Verbindung war wieder etwas Anderes. Der Boden war eben überall aufgewühlt und allerorts schlugen die Flammen einer neuen Pfingst-Begeisterung empor. Eine dieser Flammen waren auch die Gießener „Schwarzen“. Im Mittelpunkt der Bewegung finden wir dort die beiden hochbegabten Brüder Karl und Adolf Follen, die Söhne des in Gießen wohnenden heßischen Landrichters Hofrat Christof Follenius; Beide studirten jura, Beide hatten als „freiwillige Jäger“ die Schlacht bei Leipzig und den Feldzug gegen Frankreich mitgemacht. Nach der Rükkehr aus dem Feldzug traten sie, wie viele Andere, nicht mehr den Landsmannschaften bei, sondern gründeten in Gießen 1814 mit Gleichgesinten zuerst die „Deutsche Lesegesellschaft“, dann den „Bildungs- und Freundschafts-Verein“, hießen dann allgemein „die Unbedingten“, nach ihrer Tracht von ihren Gegnern, den Landsmannschaften, „die Schwarzen“. Im Gegensaz zu lezteren legten sie die Kokarde ihrer Landesfürsten ab, kleideten sich in den altdeutschen Rok und ließen das Haar lang wachsen. Sie verschworen das „Saufen“ und unnötiges Pauken, beschäftigten sich auf ihren Zusammenkünften mit filosofischen, historischen, überhaupt wißenschaftlichen Studien und suchten in „Sitte, Sprache, Tracht und Geberde alles Unsittliche und Undeutsche sorgsam zu vermeiden“ [Rocholz 5]. Ihre Statuten hießen der „Ehrenspiegel“. Unter den Ausschußmitgliedern befand sich ein „Censor (Rüger)“. Sie beschäftigten sich aber außerdem mit der zukünftigen politischen Gestaltung Deutschlands, gaben hierbei einem „Freistaat“ den Vorzug vor dem monarchischen Sistem und erklärten, daß „die Suveränität als im Volk beruhend anerkant werden müße.“ Wir finden dann noch folgende höchst bemerkenswerte Grundsäze aufgestelt: „Eine Wißenschaft ohne Leben ist weniger als ein Leben ohne Wißenschaft“; dies solte heißen: das Leben als solches ist mehr wert wie die Wißenschaft, und: die wißenschaftlich erkanten Grundsäze seien unbedingt auch im Leben durchzuführen. — Ferner: „wenn der Staat nicht strafen kann oder will, so kann ein ratloser Zustand eintreten, in dem das Strafrecht des Einzelnen erwacht, wobei dann diesem die Ausübung des Straf-Amts zusteht.“ — Entscheidend ist aber das Folgende: „Die Würdigung einer Tat ist subjektiv; es gibt sonach keine lediglich objektiv böse Handlungen; auch eine ihrer Wirkung nach strafbare Tat wird durch die gute Absicht gerechtfertigt; der Zwek heiligt also die Mittel“ [Rocholz 13–14]. Damit standen die (mit Recht sich so nennenden) „Unbedingten“ zweifellos, ebenso wie die Jesuiten und wie die katolischen und protestantischen Lehrer des „Tirannenmords“ auf dem anarchistischen Standpunkt der „Propaganda der Tat.“ Es haben später der konservative Geschichtsprofeßor und Mitglied des preußischen Herrenhauses Heinrich Leo, der selbst Mitglied der „Unbedingten“ war, und Friedrich Münch, in ihren Aufzeichnungen noch von höchst abgeschmakten „Dolch-Teorien“ gesprochen, und Braun hat (S. 270–75) diese Teorien ohne jede Ahnung ihres historischen Zusammenhanges oder ihres filosofischen und politischen Wertes lächerlich zu machen gesucht, und sie höchst unpaßend ausgemalt. Wir übergehen das, weil unwesentlich. Was hier mitgeteilt ist, genügt vollständig, und Sand's Tat illustrirte dann |14 übergenug14). — Die treibende Kraft des Ganzen war der Dr. jur. Karl Follen, der „eingefleischte Teufel“, wie ihn die Gegner nanten, ein imponirender Geist, sitlich absolut intakt, wie Sand, kühl bis an's Herz hinan, ein abstrakter Kopf wie Bruno Bauer, Hegel, Stirner, Ruge und alle die Andern, daneben ein vorzüglicher Vertreter jener aus dem einsamen Denken wachsenden Unerbitlichkeit, wie sie der chattisch-fränkische Volksstamm als Charakteristikum darbietet. Ueberhaupt hatten die Gießener im Gegensaz zu den herzlichen, fröhlichen Jenensern etwas Finsteres, Brütendes. Zu dem Bund gehörten noch Profeßor Karl Welcker in Heidelberg (Jurist), Profeßor Fries (Filosof, ebenda, später in Jena), Advokat Rühl in Darmstadt, Kriminal-Richter Snell, Advokat Stahl, viele Studenten, darunter Sartorius, Gründler, und eine Menge geheim bleibender „Freunde“ oder „Brüder“ in Freiburg, Heidelberg, Frankfurt, Homburg, Kiel, Jena, Berlin, darunter ganz einfache Leute, wie der Bäker Kahl in Darmstadt. Es sind zum Teil die Leute der obenerwähnten sog. „Wetterauischen Gesellschaft“. Die Statuten waren, soweit sie wenigstens die burschenschaftlich gefärbte Studenten-Verbindung betrafen, durchaus nicht geheim, sondern lagen dem akademischen Senat vor. Eine auf eine Denunzjazjon der sich zurükgedrängt fühlenden Landsmannschaften hin erfolgte Untersuchung durch den akademischen Senat ergab wenig Belastendes, und das heßische Ministerium pflichtete in einer Verfügung vom 14. März 1817 der Universitäts-Behörde im Wesentlichen bei (Rocholz S. 8–9).

Im Herbst 1818 ging Dr. Karl Follen nach Jena und habiltirte sich dort als Privatdozent. Er traf dort mit Profeßor Fries und Karl Sand zusammen. Es begannen nun auch dort die wißenschaftlichen Lese-Vereine. Auch hier erwies sich Follen als ein starker Geist, der die Andern anzog und sie unterjochte. Man hat immer gemeint, Sand wäre eigentlich erst an Follen zum Propagandisten herangereift und kann dies heute noch in den meisten Büchern lesen. Das ist ganz unrichtig. Sand stand durchaus auf eigenen Füßen. Unter dem 5. Mai 1818 findet sich in seinem Tagebuch die Notiz: „Wenn ich sinne, so denke ich oft, es solte doch Einer mutig über sich nehmen, dem Kotzebue, oder sonst einem solchen Landesveräther, das Schwert in's Gekröse zu stoßen“ [Sand, Tagebücher S. 151]. Erst ein halbes Jahr später, im Herbst 1818, lernte er Follen kennen. Schon im Jahr 1812 entwich der 17-jährige Gimnasjast aus Hof, wo Napoleon mit dem Heere durchzog, weil er der Versuchung nicht widerstehen zu können glaubte, ein Attentat auf den „Erzfeind seines Vaterlandes“ zu wagen [Acten 94], was bekantlich wenige Jahre vorher dem Erfurter Pfarrerssohn Friedrich Staps in Schönbrunn misglükt war. Weit mehr hatte ein anderer junger Mann, der studiosus Kaiser, ein junger Hegeljaner, in Erlangen Einfluß auf ihn gewonnen. Sand's Tagebücher, hrsg. von Weßelhöft, bezeichnen ihn nur mit K., Roholz [S. 18] nent ihn aber mit vollem |15 Namen. Man kann hier sehen, wie merkwürdig sich Menschen oft beeinflußen. Weniger tief eindringende Beurteiler unserer geschichtlichen Episode meinten immer, der reine, gottgläubige Sand könne nur durch einen frevelhaften Lehrer des Tirannenmordes zu seiner Tat veranlaßt worden sein, und, da er später einen solchen Propagandisten, Follen, kennen lernte, müße er es gewesen sein. Das pure Gegenteil! Sand war, wie die Stelle vom 5. Mai 1818 überklar zeigt, von Haus aus ein innerlich kochender, explosibler Tatenmensch. Was ihn immer noch zurükhielt, war sein Zweifel über die an sich sitliche Berechtigung seiner Tat, sein Kampf mit Dem, was er seinen „Gott“ nante. Sein positiver Kirchenglaube, der in einer stark pietistisch gefärbten Familientradizjon wurzelte (man lese den innigen Briefwechsel mit der Mutter in den „Tagebüchern“), war schon durch die Lektüre von Herder und die ganze razjonalistische Schule stark in's Wanken gekommen — „es ist jezt aus mit der Betschwester“ [Tagebücher 147], „die Vernunft soll mir die höchste Richtschnur sein“ [ebenda 149], „frisch, frei, fröhlich und fromm wolltest Du uns haben, großer Lehrer der ganzen Menschheit, Jesus“ [ebenda 150] — nun komt ein junger Adept der neuesten Schule, und zeigt ihm, wie man überhaupt mit dem Begriff „Gott“ manipuliren könne und müße. Dieser Kaiser war ein rein spekulativ-filosofischer Kopf von fast grazjösem Können. Zu einer Tat hätte er sich wahrscheinlich nie entschloßen — im Gegenteil, als Follen mit seinen propagandistischen Ideen nach Jena kam, sagt er sich ausdrüklich von dem wißenschaftlichen Lese-Verein der Fries, Follen, Sand etc. daselbst los [Roholz 18] — aber die Heranbildung, die Disziplinirung des Geistes zu irgend welchem Ideen-Komplex verstand er treflich vorzubereiten. Er war eben ein reiner Dialektiker wie Hegel auch. Er hatte die Hegel'sche Idee vom absoluten Ich weitergesponnen und mit jugendlicher Elastizität in's Fantastisch-Abstrakte gehoben. Sand geriet an diesem Neuling in die heftigsten Zukungen. Er erkent ihn wol als den größeren Meister. Es beginnt ein heftiger Widerstreit. Täglich widerlegt er ihn in seinem Tagebuch. Bis er plözlich in seinen Nezen zukte. Und erst jezt entschließt er sich zum Höchsten. Man höre! Kaiser vertritt die Idee, der reine Geist habe Nichts mit der Natur zu schaffen, die Natur sei immer etwas Verächtliches, Hemmendes, Böses, man brauche auf sie, Gemüt, Verstand, Vernunft, Freiheit, keine Rüksicht zu nehmen, der reine Geist schwinge sich klar und frei in die höchste Höhe, vereinige sich mit dem Unendlichen, seze sich als Gott. In dem filosofischen Exposé, das Kaiser dem Sand überreichte, heißt es: „Ich sehe nicht ein, weßhalb der Geist zu seinem Leben der Form des Endlichen bedürfe, das heißt, warum außer Gott, das heißt der Seligkeit der Geister, noch etwas Anderes sei; mir erscheint der Inhalt und der Zwek der sogenanten Natur und des menschlichen Lebens leer und völlig gehaltlos; ich kann daher nicht für die bloße Verbeßerung des menschlichen Zustandes thätig sein, sondern muß meine ganze Kraft auf die Vernichtung der Natur und des menschlichen Lebens verwenden, dadurch ich die Idee der Geisterseligkeit, des wahren geistigen Lebens in mir zu entwickeln habe ......“ [Tagebücher 165–166]. — Der Kundige fühlt, welche Gefahr in diesen Darlegungen für ein explosibles Gemüt schlummert. Sand staunte vor diesen Säzen, die, nebenbei gesagt, Hegelisch vollständig korrekt waren. Er bekämpft sie auf Tot und Leben. Am 22. August schreibt er in sein Tagebuch: „Gott, heute lebte ich mit Kaiser und seinem Aufsaz zusammen. Ich bewundere, was ich keinem Menschen thue, seinen freien, tüchtigen Geist, der — was soll er noch mit dem Körper? — Ich werde hineingeführt auf's neue und ärger und ärger; ich kenne mich als Feigling — nur Du, o Gott, kannst mir zum Klaren helfen“ [ebenda 167]. Aber schon am 10. Oktober schreibt er in Jüterbock auf der Ferienreise in sein Buch: „..... unsere ganze Menschenbildung und unsere Seelen- und Thatenwelt kann nie mehr sein und werden, als ein Morgengrauen, das Dämmern vor Sonnenaufgang. Die ewige Sonne geht uns erst im Himmel auf“ [S. 163]. Da ist doch schon der Kaiser'sche Gedanke von der Verächtlichkeit der Natur in's Teologische übersezt. Im Spätherbst 1818 trift er wieder mit Kaiser in Jena zu Beginn des Wintersemesters zusammen. Er schreibt in sein Buch vom 20. Oktober: „Kaiser kam am Abend zu mir, war gesund, edel und frei, wie je, klar und fest, unerschütterlich, einig in seinen Gedanken. Er erzählte mir, wie er jezt völlig entschieden sei; seine Idee, den Geist aufzufaßen, entwikle sich immer heller in ihm; er sei entschieden, sie auszusprechen, sie zu handhaben, sein Werk zu vollenden. Muthig müße von den Seelen der Himmel erstürmt werden. Vor dem Geiste müße aller Schmutz der Sünde, aller Unterschied, |16 was das Böse sei, völlig als leeres Trugbild sinken, und Menschheit, Erde und Himmelsgebäude wolle er stürzen. ..... So klar, so erhaben, in mächtiger Ruhe sprach er das Alles, wie ich ihn nie sah; ich verlor alles Gefühl der Unheimlichkeit; ich wurde als freier Bruder zu ihm hingezogen. Gott helfe!“ (S. 168–169). Man sieht, wie der Teologe dem Filosofen allmälich unterliegt. Er meint zwar immer noch, er habe seinen Standpunkt vor Kaiser gerettet, aber was soll es heißen, wenn er am 4. Dezember 1818 u. A. schreibt: „O der gewaltigen Stunden, da ich gebrochen in meiner bisherigen Geisterwelt, da ich mich entscheide, unbedingt meinem Volk zu leben, da ich 1000 Fäden löse und zerreiße, die mich hielten, den Opfertod für's Vaterland zu sterben. Ich entscheide mich mit meinem Willen unbedingt, o ewiger, heiliger Gott für dein Reich, die Freiheit“ [S. 172–173]. Den koloßalen Subjektivismus Kaiser's hat er sich zu eigen gemacht, aber er übersezt ihn in's Teologische. Am 5. Dezember 1818: „Alle Gnade verwerfe ich, die ich mir nicht selbst erwerben muß; der Gnaden Gottes will ich nur die Eine, die mit dem Sezen unseres Wesens erschöpft ist, die somit nie wiederkehren kann — [er identifizirt also genau wie Kaiser sein inneres Leben mit Gott; nur drükt er sich teologisch aus]. — Ich entsage dem schlaffen Glauben an ein augenblickliches Hervorgreifen der Hand Gottes hinter den Tapeten in das Spiel der Natur- und Menschenwelt, je mehr sich auf der andern Seite mein eigenes Gemüth hinaufsteigern will; meine Seele soll diese unmittelbaren Berührungen mit Dir, o Gott, nie verkennen .......“ [S. 173]. Man sieht, von der Teologie kam er nicht los. Das grandjose Beispiel Kaiser's steht fortwährend vor seiner Seele. Es gelingt ihm, sein eigenes brennendes Gefühl mit „Gott“ zu identifiziren, seine Seele zu ihm „hinaufzusteigern“. Aber weiter kann er nicht. Den außerweltlichen Gott ließ er nicht los. Er war eben kein Denker. Er war Empfindungsmensch und Muskel-Mensch. Und so war auch seine Vorstellung von Gott etwas Muskuläres, etwas Körperliches, etwas Außerweltliches. Dieser Kaiser war ein reiner Denker, ein gewanter Kopf, ein Prästidigitatör im Denken; er prüfte Gedanken auf ihre ideele Verwertbarkeit, für die Sistembildung, wie Hegel. Sand erwog Gedanken nur im Hinblik auf die Tat, auf die Ausführbarkeit, „seinem Volke zu leben“, „Opfer zu bringen“. Sah er ein Hindernis, wolte er es nicht dialektisch überwinden, sondern mit fisischer Gewalt. — Hegel wäre im nahen Nürnberg, wo er noch als Rektor Schulhefte korrigirte, erschroken, hätte er diese beiden jungen Experimentatoren, von denen der Eine den Himmel, der Andere die Erde aufwühlte, bei der Arbeit gesehen, und hätte er erfahren, was diese Beiden aus seiner „absoluten Idee“ gemacht haben, er, der wenige Jahre später mit dem gleichen Sistem die Stüze des preußischen Staates bilden solte. Auch hier gilt eben das, was wir oben bei anderer Gelegenheit gesagt haben: Jeder Filosof filosofirt was er kann, und die Zeitgenoßen und Schüler lesen aus dieser Filosofie heraus, was ihnen beliebt. — Am 31. Dezember 1818 schreibt noch Sand: „So begehe ich den lezten Tag dieses Jahres in ernster, feierlicher Stimmung, und bin gefaßt, der lezte Christtag wird gewesen sein, den ich eben gefeiert habe. Soll es etwas werden mit unserem Streben, soll die Sache der Menschheit aufkommen in unserem Vaterlande, soll in dieser wichtigen Zeit nicht Alles wieder vergeßen werden, und die Begeisterung wieder auflohen im Lande, so muß der Schlechte, der Verräther und Verführer der Jugend, A. v. K., nieder, — dieß habe ich erkannt. O Gott, dich habe ich noch immer im Gefühl und in der Erkenntniß, so sehr ich auch freier über Dich denken lernte. In mir liegt Alles. Im Gebiete meines Willens liegt Alles .....“ [S. 174]. — Hier bricht das Tagebuch ab. Erst jezt, d. h. mit Beginn des Wintersemesters 1818, könte von einem Einfluß Follen's die Rede sein. Aber man sieht ja aus dem Vorausgegangenen deutlich, in welcher Richtung Kaiser auf ihn gewirkt hatte, und wie Sand schon Ende Oktober fix und fertig war. Das Einzige, was man sagen könte, ist, daß Follen kein konträrer, sondern ein adjuwatorischer Faktor in der allerlezten Entwiklung Sand's gewesen ist. Der Name Follen's selbst komt in den Tagebüchern dieses ehrlichsten Selbstbekenners nicht ein einzigesmal vor. —

Und jezt zog er wolvorbereitet, mit einem Dolch und einem kleinen Schwert bewaffnet, Körners's „Leier und Schwert“ in der Brusttasche, mit 30 Talern Reisegeld, die er sich von Follen entlehnt hatte, unter den heißesten Fleh-Gebeten an Gott, und nachdem er einen ergreifenden Abschieds-Brief an seine Eltern gerichtet hatte, von Jena [März 1819] aus, um das von dem Haße ganz |17 Deutschlands verfolgte Opfer einzuholen15). — Er war ein gedrungen-gebauter Bursch mit schwarzen langen Haaren, die in altdeutscher Manier auf die Schultern herabfielen, großer Stirne, breitem Gesicht, braunen Augen, deren Blik „nicht geistreich“, aber „offen und freundlich“, die ganze Fisionomie „mehr gutmütig als vorzüglich intereßant“ [Acten 93]. Er gehörte also nicht zu jenen idealistischen Lang-Schädlern, die wir vorzugsweise bei Denkern antreffen (Schiller, Moltke, Friedrich der |18 Große), sondern er gehörte zu den Breitschädlern, die wir vorzugsweise bei Männern der Tat finden (Bismarck, Cromwell, Danton). Er trug den schwarzen deutschen Rok der damaligen Burschenschafter und ein schwarzes Samtbarett mit dem goldgestikten Eichenlaub16). Der Weg ging, meist zu Fuß, über Erfurt, Eisenach, Frankfurt, Darmstadt. Ueberall suchte er Freunde und Gesinnungsgenoßen auf, in den lezeren beiden Städten besonders die Mitglieder der „Unbedingten“, darunter Sartorius und Kahl, von welch' lezterem er sich nochmals 6 Karolin, ca. 40 Taler, entlehnte. Am 23. März, nach 14-tägiger Reise kam er in Mannheim an, wo er sich sofort nach Kotzebue's Wohnung erkundigte. —

Entscheidend war für Sand die Ueberzeugung, daß, wenn die Regierungen nicht mehr in der Lage seien, den schädlichen Einfluß eines Einzelnen, weil er zu gewaltig sei, und weil sich Niemand an ihn heranwage, zu brechen, dann ein allgemeiner Notzustand entstehe, „ein Krieg“, in dem der Einzelne seinen Willen durchzusezen berechtigt sei (Acten 219–221). Die Entscheidung für die Tat war für ihn ein schwerer Kampf; nachdem er sich aber für sie entschieden, sagte er Niemandem etwas — „man muß handeln und schweigen“ (Acten 131) — sondern traf im Stillen seine Vorbereitungen und führte sie unvermutet aus. Der Umstand der Geldentlehnung bei Follen und Kahl und das Aufsuchen der „Freunde“ in den Rheinischen Städten könte, rein äußerlich genommen, für die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, eines gemeinsamen Komplotts sprechen; aber innere Gründe sprechen dagegen: einmal jener Zug des Verschloßenen, Unerbitlichen, Mit-sich-selbst-Kämpfenden, den wir bei Sand finden; ferner bedurfte eine so fanatische Kraft, wie er sie repräsentirte, keiner moralischen Anlehnung an Andere; und drittens war es die Klugheit und die feine moralische Rüksicht Sand's, die ihn davon abhielt, durch Mitteilung an Andere diese zu kompromittiren; dieselbe Klugheit, die ihn in Jena einen Brief zurüklaßen hieß, in dem er seinen Austritt aus der Burschenschaft erklärte; wie er auch später vor dem Untersuchungsrichter in seinen Angaben über sich selbst die größte Offenheit an den Tag legte, in den Angaben über Andere aber sehr zurükhaltend war. — Er wurde am Morgen bei Kotzebue nicht vorgelaßen, sondern auf den Nachmittag beschieden. Er ging zurük in's Wirtshaus, aß zu Mittag und unterhielt sich sehr aufgeräumt während mehrerer Stunden mit zwei Landpfarrern an der Wirtstafel „mit wahrhaft filosofischer Ruhe und wie ein Mann, der mit sich und der ganzen ihn umgebenden Welt in holdem Frieden ist“ (Acten 71 f.). Um fünf Uhr ging er wieder zu Kotzebue, ward vorgelaßen, sprach einige gleichgültige Worte und stieß ihn dann im Empfangszimmer mit großer Wucht nieder mit den Worten: „Hier, Du Verräther des Vaterlandes!“ Kotzebue stürzte lautlos zusammen und starb wenige Augenblike darauf; einer der Stöße hatte das Herz durchbohrt. Sand, der Zeit gehabt hätte, zu entfliehen, ging langsam hinaus auf die Straße, kniete nieder, betete: „ich danke Dir Gott für diesen Sieg“ und stieß sich dann ein zweites, kleines Schwert langsam tief in die linke Brustseite, worauf er in Folge des Blutverlustes ohnmächtig wurde. —

Die Tat erregte in Deutschland das ungeheuerste Aufsehen. Mitleid fand Kotzebue fast nirgends. Und wenn der berühmte Brief des Berliner Teologen de Wette, den er Sand's Eltern schrieb, und der nur in Form eines Trostschreibens eine Wiederholung der Lehre vom „Tirannenmord“ war, „das aussprach, was ganz Deutschland dachte“ [Langguth II, 1], dann herschte in ganz Deutschland heimliche Freude und offenkundige Bewunderung für den kühnen Täter17). — Freilich mußte das |19 Gericht seinen Gang gehen, und der Einfluß des durch die Ermordung seines Spionen auf's Höchste gereizten Rußlands war so stark, daß bei der in Berlin befohlenen Totenfeier für Kotzebue die Schauspielerin der „Germania“ weinen mußte (Langguth ebenda). — Am 20. Mai 1820, etwas mehr als ein Jahr nach der Tat, welches er, obwol schwer verwundet, mit großer Faßung und ungebeugten Mutes ertrug, und während deßen er mit den Seinen einen fast entusjastischen Briefwechsel gepflogen, von der Bevölkerung Mannheim's fast auf den Händen getragen und mit zarten Aufmerksamkeiten überschüttet worden, wurde er früh Morgens ½6 Uhr außerhalb Mannheim's enthauptet. Die Szenen, die sich dabei und darnach abspielten, zeigten, daß sich die Menschheit in ihrer etischen Reakzjonsweise seit den Zeiten Jesu nicht verändert hatte. Sein eigener Scharfrichter Widmann bat ihn öffentlich um Verzeihung und erklärte ihn für einen „Helden der nazionalen Idee“. Der Stadtdirektor, der ihm das Urteil vorlas, bedeutete ihm, die Worte im Urteil „zum abschrekenden Beispiel“ seien nur eine juristische Formel. Die vornehmsten Damen Mannheims warteten schluchzend die Nacht vor der Hinrichtung im Zuchthaus, bis er aus der Zelle kam, um von ihm Abschied zu nehmen. Man mußte die Hinrichtung zu einer geheim gehaltenen Stunde vornehmen, weil man einen Aufstand der Menge fürchtete. Ein Wagen, um Sand zum Richtplaz zu führen, war in ganz Mannheim nicht zu bekommen und mußte von auswärts bezogen werden. Auch die Beerdigung der Leiche fand mitten in der Nacht statt, und der Plaz wurde wieder mit vorher ausgehobenen Grasstüken eben belegt, um abergläubischen oder fetischistischen Misbrauch der Leiche zu verhüten. Troz der geheim gehaltenen Stunde hatten viele Hunderte an dem aufgeschlagenen Schafott ausgehart, und kaum war das Militär nach der Exekuzjon abgezogen, so stürzte sich die Menge auf den Richtplaz, um Holzteile aus dem Gerüste abzuschneiden. Mit Blut, Haaren und sonstigen Reliquien Sand's wurde während der folgenden Jahre ein schwunghafter Handel getrieben, und die meisten jungen Damen Mannheim's und Umgegend trugen irgend eine Reminiszenz Sand's im Medaljon. Auch das Mannheimer Schloß hat viele derartiger Sachen noch heute im Besiz. Der Richtplaz heißt heute noch „Sand's Himmelfahrt's-Wiese“. Eine Flut von Gedichten und Baladen beschäftigte sich mit Sand und ging in Form von Flugblattern und Abbildungen durch ganz Deutschland18). Die Zahl der auf Sand bezüglichen Lieder ist z. B. weit größer, als diejenige der auf Schill. Das schönste ist wol das mit:

„Du stehst in unserer Mitte,
O Sand — wer ist Dir gleich!“

anhebende, im echten Volkston gedichtete19).

|20 Was nun folgt, die Karlsbader Beschlüße, das Frohloken Metternich's über die Tat in seinem Sinne, die Einsezung der Mainzer Central-Untersuchungskomißjon zur Aufdekung der demagogischen Umtriebe in ganz Deutschland, die Aufhebung der „Burschenschaft“, das nun erst Entstehen von Geheim-Bünden, des „Jünglings-Bundes“, des „Männer-Bundes“, die maßenhaften Einkerkerungen, die Flucht von Studenten und Profeßoren, das Anbrechen von Deutschland's trübster Zeit, wahrend der Troz und Erbitterung immer tiefer sich in die Herzen einfraß — gehört nicht mehr in den Ramen unserer Darstellung. Wir wollen lediglich noch einige Bemerkungen allgemeiner Natur an diese Studie anschließen.

So wie Sand die Tat ausführte, mit dem sichern Tot vor Augen — „wo wir für die warme Idee des Vaterlandes nur Schande und Rabenstein einhandeln“ [Acten 112] — „wer wird mir's glauben, daß ich den Tot leiden will, wenn ich's nicht wirklich zeige“ [Acten 131] — ist die Frage nach der sitlichen Berechtigung des politischen Mordes identisch mit der des Selbstmordes. Der Selbstmord ist aber als lezte Zuflucht des Menschen aus unerträglichen Situazjonen um so mehr als berechtigt angesehen, als er meist mit elementarer Gewalt den Menschen überkomt und aus einem untrüglichen Instinkt heraus selbst das Tier überwältigt20). Der Tot macht aber frei. Den Selbstmörder über jene Handlungen zur Rechenschaft ziehen, die er von jenem Moment an, da er den eigenen Untergang beschloßen, noch begeht, müßen wir uns schon deshalb versagen, weil sich der Täter unserer Beurteilung entzieht. Und mit dem Objekt fält unser Groll fort. Leute wie Charlotte Corday oder Angiolillo oder Sand vor unser diesseitiges Sittentribunal zu ziehen, fehlt uns das Mandat. Auch Hume meint: „angesichts des Universums ist es ganz gleich, ob ein Mensch oder eine Auster stirbt; und ob ich aus einer menschlichen Ader einige Unzen Blut entleere, oder den Nil oder die Donau von ihrem Lauf ablenke.“ Wer sich selbst tötet, tritt dem Universum gegenüber und hört für sich auf, ein erwägliches Objekt für die Landeshoheit zu sein. Das hat auch das tief-menschliche Gefühl, wie es im Dichter zum Ausdruck komt, ausgesprochen:

„Gebt kein Pardon! Könt Ihr das Schwert noch heben,
so würgt sie ohne Scheu,
und hoch verkauft den lezten Tropfen Leben,
der Tot macht alles frei.“   (Körner.)

Deshalb ist es auch vergebliche Mühe, angesichts der anarchistischen Taten, sobald der Betreffende den eigenen Tot mit in feste Rechnung zieht, in Verwünschungen und Sitlichkeits-Krämpfe auszubrechen. Einem Argument, welches mit dem Tot besiegelt ist, kann ich, der Lebende, niemals entgegentreten. Und rein idealistischen Selbstmorden gegenüber, wie sie der Anarchismus erzeugt, bleibt der menschlichen Gesellschaft rein nichts Andres übrig, als den Stahl der moralischen Anklage gegen die eigene Brust zu züken. Denn was kann man selbst in einem für den Täter denkbar ungünstigst gelegenen Fall, was kann man selbst einem Menschen wie Lucheni, der auf die Frage, warum er die Kaiserin Elisabet ermordet, antwortete: „um mein Leben zu rächen“, menschlicherweise entgegen halten? Jeder Mensch kann, wenn er sein Leben hingibt, mit dem Leben jedes seiner Mitmenschen, rein poßibilistisch gesprochen, tun, was er will. Warum solte dies dann Jemandem zu tun verwehrt sein, der noch den hochidealistischen Zwek einer Demonstrazjon zu Gunsten seiner notleidenden Brüder, zu Gunsten seines Vaterlandes oder dergl., damit verbindet?21)

|21 Also von dieser Seite ist es unmöglich, Sand beizukommen. Das hat auch ganz Deutschland damals gefühlt und ist in de Wette's Brief zum Ausdruk gekommen: „er hat nun gelebt, da er für den höchsten Trieb seines Herzens zu sterben beschloßen hat“ [Acten 255].

Man hat nun versucht Sand als „geisteskrank“ hinzustellen. Seine burschenschaftlichen Komilitonen von damals haben sich energisch dagegen gewehrt. In den „Acten-Auszügen“ heißt es S. 209: „Seine Jenaer akademischen Freunde wollen von einem Hang zur Schwärmerei bei Sand nichts angetroffen haben. Sie stimmen überein, daß er ein ruhiger, braver, besonnener Mensch gewesen, so daß Jeder ihn habe lieb gewinnen müßen. Tieffühlend habe man ihn gefunden, aber nicht schwärmerisch, vielmehr habe er immer mit ruhiger Besonnenheit gesprochen.“ Der Stadtfisikus zu Mannheim, der ihn untersuchte, sagt in seinem Gutachten, „daß Inquisit im Besitz richtiger Sinne und eines vollkommenen Gedächtnißes sei. Was seine Vernunft betrifft, so hat der Unterzeichnete Stadtphysikus nie eine Zerrüttung an derselben wahrnehmen können“ [Acten 211]. Ueber seine Vernehmung heißt es: „Während seines ganzen Verhörs war er vollkommen bei Verstande. Dies zeigen seine wolüberdachten Antworten im Protokoll“ [ebenda S. 213]. Auch der Bericht des Ober-Hofgerichtes an den Großherzog von Baden in Betreff Bestätigung des Totesurteils, welcher mit Sand außerordentlich glimpflich umgeht, und ein direktes Gnadengesuch nur deshalb zu unterlaßen erklärt, weil es außerhalb seiner Befugnis sei, muß zugestehen, daß „nicht die mindeste Spur eines Wahnsinns“ bei Sand zu finden gewesen sei [Acten 246]. Nur die Verteidigung sprach von einer „fixen Idee“ Sand's im Hinblik auf die Gefährlichkeit Kotzebue's für Deutschland. Sand selbst meinte, „seine Grundsäze lägen in der Denkart des Zeitalters, und wären bei manchen seiner Bekanten in der nämlichen Art anzutreffen“ [Acten 205]. Das war wol mit dieser ruhigen Bescheidenheit noch sehr milde ausgedrükt. Ganz Deutschland dachte damals so wie Sand. Er war nur der einzige, der den Mut hatte, „den Gedanken bis zu Ende zu denken.“ Am Nachmittag, da die Nachricht von Sand's Tat in Jena bekant wurde — schreibt der später hochkonservative Heinrich Leo — hätte man leicht „ganze Schaaren neuer Meuchelmörder“ für Deutschland's Sache auftreiben können, und diese Stimmung hielt mehrere Tage an [Schneider 80]. Es scheint also, die ganze Jenaer Burschenschaft litt an derselben „Geisteskrankheit“ wie Sand. Und vielleicht war überhaupt die ganze Burschenschaft nur eine jener „Geisteskrankheiten“, wie sie in monarchischen Staaten zu gewißen Zeiten vorkommen.

Bei Beurteilung derartiger Ereigniße darf man sich nicht auf den beschränkten Standpunkt eines preußischen Geschichtsschreibers à la Treitschke stellen, der in der gesamten burschenschaftlicben Bewegung nichts weiter, wie niederträchtiges Demagogentum erblikt22), weil sie, die einzige tiefere Bewegung der damaligen Zeit, sich aus Preußen's Grenzen hinwegbegeben, und in Mitteldeutschland ihren Siz aufgeschlagen hatte. Auch die rein-wißenschaftlich-psichologische Auffaßung eines Régis und Lombroso, welche die gemeinsamen psichologischen Merkmale von Leuten wie Brutus, Charlotte Corday, Perowskaja, Wera Saßulitsch, Sand etc. zusammenstelt und die ganze Gruppe der politischen Verbrecher mit patologischen Merkmalen behaftet ansieht, komt hier nicht zum Ziele. Diese Betrachtung hat innerhalb der wißenschaftlichen Grenzen ihre Richtigkeit. Für die Weltgeschichte ist sie belanglos. Die Weltgeschichte hat denn doch eine andere Gangart, und die Faktoren, aus denen sich ihr Gewaltschritt zusammensezt, entziehen sich einer lediglich neurologischen Betrachtung. Zugegeben einmal, Sand hätte das eine oder andere patologische Merkmal dargeboten, er wäre noch schwärmerischer gewesen, |22 als er in Wirklichkeit war, oder hätte der Stimme Gottes in seinem Innern noch intensiver gelauscht, als es die Landes-Religion gestattet, oder wäre noch fanatischer und patrjotischer gewesen, als er es wirklich war, was könten wir mit der kleinen Diagnose anfangen? Müßten wir nicht auf die Zustände der Zeit, auf die politischen und geistigen Voraussezungen des damaligen Lebens, auf den genius temporis zurükfallen, um zu einer einigermaasen objektiven Beurteilung zu gelangen? Geisteskrankheit ist eine Exkulpazjon für das Einzelindividuum; sie ist keine Entschuldigung vor der Weltgeschichte; sie ist ein Teil von ihr. — Was kümmert uns heute, ob Luther halluzinirt hat, oder ob Savonarola seine Profezeihungen als „Stimmen Gottes“ gehört hat? Was hätte es für Wert gehabt, etwa den Arabern, als sie halb Spanien erobert und bis vor Wien vorgedrungen waren, zu versichern, ihr fatalistisches Religions-Sistem, welches sie zu furchtlosen Kämpfern gemacht, gehe auf die visjonären Delirjen eines Epileptikers zurük? Wenn die großen Ereigniße der Weltgeschichte auf Geisteskrankheit zurükgehen, tant pis für die Weltgeschichte, tant mieux für die Geisteskrankheit. —

Die Alten meinten, Perikles habe nicht gewagt, die lezten Freiheiten des atenjensischen Staates umzustoßen, weil er in seiner Jugend das Preislied auf die beiden Tirannen-Mörder Harmodius und Aristogeiton mitgesungen23), und weil er wußte, daß, wolte er als Tirann auftreten, sich unter den Atenern immer ein Dolch finden werde, ihn niederzustoßen. Und Lorenzo il Magnifiko ließ auf dem Sterbebett den Halluzinanten Savonarola zu sich bitten, und frug ihn, was er tun müße, um dem Tot ruhig in's Angesicht sehen zu können. Savonarola antwortete: Gib dem Staat jene freiheitliche Verfaßung zurük, in dem Du ihn vorgefunden! Wie, wenn es im Leben der Völker Zustände gäbe, in denen ein Vorwärtskommen ohne das Eingreifen solch' exaltirter Persönlichkeiten, wie jener beiden Atener dort, des Florentiners hier, unmöglich wäre, wenn in der geistigen Entwiklung der Nazjonen Bedingungen einträten, wo es, um über den toten Punkt hinwegzukommen, solcher Leute bedürfte, wie Luther, wie Carlstadt, wie Thomas Münzer, Niklas Storch, der Brüder Denk, und wie diese agreßiven Stimulanten der Reformazjon alle heißen, Menschen, in denen auf der einen Seite der Unwille und das Aufbäumen gegen die geistige Knechtschaft in solchem Maase ihr Hirn in Flammen versezt hat, auf der andern Seite die Hemmungen, wie sie natürliche Schlaffheit und bürokratische Erziehung erzeugen, schließlich überwunden werden, so daß sie wie Delirirende erscheinen, Situazionen, in denen der natürliche Mensch nichts mehr vermag, der „Geisteskranke“ in glüklicher, kindlicher Narrheit allein noch das Höchste wagt, — müßten wir dann nicht zu gewißen Zeiten die dunkle Schiksalsgöttin, die die Loose wirft und die Keimplasmas in der Vererbung mischt, anflehen: Schik' uns Sande, schik' uns Luthers, schik' uns Savonarolas, schik' uns Brutuse? —

Hier wollen wir den Stoff liegen laßen. —

Aber zum Schluß drängt sich uns, indem wir auf den Beginn unserer Arbeit zurükbliken, der von der Burschenschaft und dem Tugendbund, als einer neuen, befruchtenden Geistesströmung in Deutschland ausging, noch eine Bemerkung eigentümlicher Art auf: Mit Ausnahme eines entfernten |23 Hamburger Arztes, der Sand nie gesehen noch gesprochen, hat im Jahre 1819 und bis auf die jüngste Zeit kein Mensch ernstlich an Sand's kompleter geistiger Intaktheit gezweifelt. Dies wäre auch angesichts des Lebenden, mit dem viele Hunderte verkehrt hatten, angesichts seiner Briefe, Reden und Programme, die in aller Hände waren und sogleich nach seinem Tote reichlich gedrukt wurden, ein fast wahnsinniges Unterfangen gewesen. Wir haben auch an Sand's Prosa-Ergüßen gezeigt, wie dieselben nach Form wie Ideengang durchaus im Stile der damaligen Zeit lagen, ja an Schwung und pochender Forderung von einigen Gleichzeitigen noch übertroffen wurden. Noch Nietzsche spricht sich in seiner Basler Vorlesung „Ueber die Zukunft unsrer Bildungsanstalten“ im Jahr 1872 (jezt in Gesammelte Werke Bd. IX) fast bewundernd über ihn aus. Auch hat die Psichjatrie in diesem Jahrhundert keine solchen Fortschritte gemacht, daß etwa da, wo früher Gesundheit oder Vaterlandsliebe oder Dichtkunst oder Begeisterung gefunden worden, jezt „Geisteskrankheit“ konstatirt werden könte. Und auch das, was Lombroso an patologischen Merkmalen aneinanderreiht, indem er die Biografien aller politischen Verbrecher durchgeht, ist ja genau dasselbe, was er auch bei großen Dichtern, Denkern, Feldherrn, Künstlern, überhaupt bei genjalischen Naturen findet; Wahrheiten, die innerhalb der psichologischen Feinmeßkunst gewiß ihre Berechtigung haben, aber nicht direkt in's große Leben, in die Kulturgeschichte übertragen werden können; denn wir würden uns ja doch gewiß wehren, Byron und Napoleon deswegen für „geisteskrank“ erklärt zu sehen, weil sie einzelne patologische Merkmale mit dem Schenie-Tipus Lombroso's aufweisen. —

Erst in neuester Zeit ist der Versuch unternommen worden, Sand für „geisteskrank“ zu erklären. [Langguth spricht sich fast spöttisch über diese Versuche aus (II, 1)]. Und merkwürdig: von burschenschaftlicher Seite geht heute dieser Versuch aus. Dr. Langreuter findet bei Sand „allgemeine geistige Inferiorität“ und „Unzurechnungsfähigkeit“, deren Weiterentwiklung zur kompleten „Originären Verrücktheit“ wahrscheinlich das Schwert des Scharfrichters abgeschnitten habe [Burschenschaftliche Blätter 1896/97. Nr. 3]. Die originäre Verrüktheit ist, wie schon der Name sagt, niemals ein sekundäres Leiden, sondern ein primäres, und gehört nicht erst den „späteren Entwiklungsjahren“ an, sondern schon der frühesten Jugendzeit. Ob der Herr Doktor wol jemals einen Fall von originärer Verrüktheit am Lebenden beobachtet hat? Und ob er wol jemals die Schriften Sand's mit Sorgfalt studirt hat? —

Die Burschenschaft hat verschiedene Versuche gemacht, auf den Knieen rutschend dem Trone in Berlin zu nahen. Es war vergebens. Man hofte und wartete und blieb in demütiger Stellung. Es kam aber nichts. Schließlich telegrafirte sie einstimmig bei schiklicher Gelegenheit, daß „Wilhelm der Große“ wirklich „Wilhelm der Große“ gewesen. Es war wieder vergebens. Es erfolgte keine Antwort. — Im Oktober vorigen Jahres ging durch die Blätter folgende Notiz: „Aus Eisenach schreibt man: Der auf dem Wartenberg zu Pfingsten 1897 mit großen Feierlichkeiten gelegte Grundstein zu dem Burschenschaftsdenkmal ist auf Weisung aus Berlin wieder ausgegraben worden“ [Frankf. Ztg. vom 24. Oktober 1898]. Arme Burschenschaft!

Armes Preußen! Nachdem Du eine Genjalität vom Range Bismarck's hervorgebracht, die unter sorgsamster Ausnüzung aller Umstände, unter peinlichster Berechnung aller Faktoren und Kräfte-Aequivalente ein Deutsches Reich zu Stande gebracht hat, welches das in der Wirklichkeit war, was jenes Burschenschafts-Verlangen in der Idee gewesen, mußt Du in die Hände eines Frevlers fallen — ich rede vom Kultusminister Boße — der Stein für Stein abträgt, alle sorgsamen Schonungen in ihr Gegenteil verkehrt, und unter grundsäzlicher Verachtung aller aufbauenden Kräfte eine Zerstörungs-Arbeit begint, bei deren Anblik auch ein Nicht-Deutscher, auch ein geschworner Deutschen-Feind, auch ein Franzose, eines gewißen Mitleids sich kaum erwehren kann. Ausgrabung des Burschenschafts-Denkmals bei Eisenach, was heißt das? — Das heißt doch soviel, als: Euer Deutsches Reich, das aus den idealen Kräften des Deutschen Volkes hervorgegangen, deßen „Wiege“, wie jüngst der Großherzog von Weimar mit vollem Recht betont hat, „in Weimar und Jena gestanden“, ist mir zu schmuzig. Ich will ein Reich, welches nur aus der Dinastie hervorgegangen, nur von ihr abhängt, nur auf sie hinzielt; und deswegen trenne ich getane Arbeit auf, rechne die Weltgeschichte nach rükwärts und laße die Denkmäler Eurer Einheitsideale ausgraben. — Und was wird nun geschehen? Es werden |24 wieder Burschenschafter sich zusammentun — irgendwelche Burschenschafter, irgendwelche Geistesmenschen, irgendwelche Menschen von Tapferkeit und Idee — und werden einen Einheitsstaat zu verwirklichen suchen, in dem die Impulse und Triebfedern des Volkes ebenfalls ihre Verwirklichung finden, wenn nötig ohne die Dinastieen und gegen die Dinastieen — und was dann kommen wird, kann man ungefähr in der Geschichte der Burschenschaft nachlesen. —

Fußnoten[Bearbeiten]

1 Das auch sonst politisch wertlose, mit der üblichen Unterscheidung von Gut und Böse geschriebene Buch E. v. Zenker's „Der Anarchismus, kritische Geschichte der anarchistischen Theorie.“ Jena 1895, kent den großen und gewaltigen Kameraden Sand's, den ersten Propagandisten auf deutscher Erde, den Privatdozenten Karl Follen (1796–1840) überhaupt nicht, und Sand nur dem Namen nach. — Wir geben dagegen im Folgenden ein Verzeichnis der hauptsächlich für Sand in Betracht kommenden Literatur und zitiren nach dem ersten Nennwort:[WS 4]
  • Fichte, J. G., Reden an die deutsche Nation. Berlin 1808.
  • Jahn, F. L. („Turnvater“), Deutsches Volkstum. Lübeck 1810. 2. Aufl. 1817.
  • Fries, J. F. (Filosof), Julius und Evagoras, oder die neue Republik. Heidelberg 1814.
  • Arndt, E. M., Entwurf einer deutschen Gesellschaft. Frankfurt 1814.
  • [Fries, J. F.,] Bekehret Euch! (Heidelberg) 1814.
  • Lieder auf dem Turnplatze zu singen. Friedland 1815.
  • Arndt, E. M., Deutscher Studentenstaat. Köln 1815.
  • Schmalz, Th., Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik für das Jahr 1808. Berlin 1815.
  • Schmalz, Th., Ueber politische Vereine. Berlin 1815.
  • Niebuhr, B. G., Ueber geheime Verbindungen im preußischen Staate und deren Denunciation. Berlin 1815.
  • Rühs, Fr., Das Märchen von den Verschwörungen. Berlin 1815.
  • Neues, allgemein deutsches Commers- und Liederbuch (hrsg. v. Gust. Schwab). Germania 1815; 2. Aufl. Germania 1816; 3. Aufl. Germania (Tübingen) 1820 u. s. f.
  • Krug, T., Das Wesen und Wirken des Tugendbundes. Leipzig 1816.
  • Fries, J. F., Vom deutschen Bunde und deutscher Staatsverfaßung, mit Vorrede „an Deutschlands Jünglinge“. Heidelberg 1816.
  • Krug, T., Darstellung des unter dem Namen des Tugendbundes bekannten sittlich-wißenschaftlichen Vereins. Berlin 1816.
  • Schmalz, Th., Ueber des Herrn B. G. Niebuhr's Schrift wider die meinige, politische Vereine betreffend. Berlin 1816.
  • Schmalz , Th., Letztes Wort über politische Vereine. Berlin, 1816.
  • Schleiermacher, Fr., An den Herrn Geheimrath Schmalz. Auch eine Rezension. Berlin 1816.
  • Deutsche Burschenlieder. Jena 1817
  • Scheffer, C. A., Darstellung des polit. Zustandes von Deutschland zur Vermeidung einer angedrohten Revolution und zur Berücksichtigung der Ideen vom Tugendbunde. Deutschland 1817.
  • [Stark, R. B. W.,] Ueber den Geist des deutschen Studentenlebens, insbes. zu Jena. Jena 1816.
  • Maßmann, H. F., Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen Burschenfestes auf der Wartburg bei Eisenach am 18. und 19. des Siegesmondes 1817. Gedruckt in diesem Jahre (1817).
  • Jacobi, J. A., Eichenlaub auf Luthers Grab gestreut im Jahr 1817. Erfurt 1817.
  • Rödiger, L., Ein deutsches Wort an Deutschland's Burschen gesprochen vor dem Feuer auf dem Wartenberg bei Eisenach am 18. des Siegesmondes im Jahre 1817, dem dritten Jubeljahr der Geistesfreiheit. Jena 1817.
  • Sand, K., Zum achtzehnten Herbstmonats im Jahr nach Christo Achtzehenhundertundsiebenzehn auf der Wartburg. Jena 1817.
  • Kamptz, K. v., Rechtliche Erörterung über öffentliche Verbrennung von Druckschriften. Berlin 1817
  • Frommann, F. J., Das Burschenfest auf der Wartburg am 18. u 19. Okt. 1817. Jena 1818.
  • Kieser, Dr. D., Das Wartburgfest am 18. Okt. 1817 in seiner Entstehung, Ausführung und Folgen. Jena 1818.
  • Nebe, J. A., Die Feier des evangelischen Jubelfestes i. J. 1817 in Eisenach und auf der Wartburg. Eisenach 1818.
  • Ascher, S., Die Wartburgfeier. Mit Hinsicht auf Deutschlands religiöse u. politische Stimmung. Leipzig 1818.
  • [Hoffmeister, K.,] Beschreibung des Festes auf der Wartburg. Ein Sendschreiben an die Gutgesinnten. Gedruckt in Deutschland (Eßen) 1818.
  • Fr. Fr. v. Bw., Patriotische Betrachtungen über das große Burschenfest auf der Wartburg am 18. u. 19. des Siegesmonats 1817. Hamburg 1818.
  • Fries, J. F., Rechtfertigung des Profeßors Fries gegen die Anklagen, welche wegen seiner Theilnahme am Wartburgfeste wider ihn erhoben worden sind. Aktenmäßig dargestellt von ihm selbst. Jena 1818.
  • Stourdza, M. de, conseiller d'état de S. M. J. de toutes les Russies, Mémoire sur l'état actuel de l'Allemagne. Paris 1818.
  • Stier, E., Ehrenrettung des Kgl. preußischen wirklichen Geheimen Ober-Regierungs-Rathes Herrn von Kamptz. Wider eine ihm zugeschriebene eigene Fluch-Schrift. o. O. 1818.
  • Heidelberger Commersbuch, Liederkranz der Heidelberger Burschen. Frankfurt 1818.
  • Beiträge zur Geschichte der deutschen Sammtschulen seit dem Freiheitskriege 1813. Teutschland 1818.
  • Carové, F., Entwurf einer Burschenschaftsordnung. Eisenach 1818.
  • Carové, F., Rede gehalten am 19. Okt. 1817 zu den auf der Wartburg versammelten deutschen Burschen. Eisennach[WS 5] 1818.
  • [Krug, T. ,] Der deutsche Anti-Stourdza, oder die deutschen Burschenschaften u. das deutsche Volk. Arnstadt 1819.
  • Weitzel, J., Hat Deutschland eine Revolution zu befürchten? 2. Aufl. Wiesbaden 1819.
  • [Haupt, L.,] Teutsche Burschengesänge. Leipzig 1819.
  • [Hoffmann von Fallersleben,] Bonner Burschenlieder. Bonn 1819. || Am 23ten März 1819 Sand's Tat. || Die wichtigsten Lebensmomente Karl Ludwig Sand's aus Wunsiedel (mit Porträt). Nürnberg 1819; 2. verb. Aufl. ebenda 1819.
  • Beckedorff, Dr. L., An die deutsche Jugend über der Leiche des ermordeten Kotzebue. Hannover 1819.
  • Görres, J., Teutschland und die Revolution. Teutschland 1819.
  • Des Sociétés secrètes en Allemagne. Paris 1819.
  • Wahrmund, G., Betrachtungen über die römisch-katholische Kirche mit ihren Jesuiten in besonderer Beziehung auf Kotzebue's Ermordung durch Sand. Eisfeld 1819.
  • Kotzebue's Leben, Wirken u. tragisches Ende, biogr. Skizze. Frankf. 1819.
  • [Rabe], Der vertheidigte Kotzebue, oder letzter gelungener Versuch, die Werke des besagten Mannes gleichsam zu entschuldigen. Leipzig 1819.
  • Kotzebue's vollständige Biografie, oder Leben, Thaten, Schicksale u. trauriges Ende des großen deutschen Dichters. Leipzig 1819.
  • Hundt-Radowsky, H. v., A. v. Kotzebue's Ermordung in Hinsicht ihrer Ursachen und ihrer wechselseitigen literarischen Folgen für Deutschland berechnet. Berlin 1819.
  • Fouqué, F. de la Motte, Der Mord Aug. v. Kotzebue's; Freundes Ruf an Deutschlands Jugend. Berlin 1819.
  • Carové, F., Ueber die Ermordung Kotzebue's. Heidelberg 1819.
  • Memoir of Ch. L. Sand; including a narrative of the circumstances attending the death of A. v. Kotzebue, also a defence of the German universities. With introduction and notes. With portrait. London 1819.
  • Follen , A. L., Freie Stimmen frischer Jugend. Jena 1819.
  • Krug, T., Ueber deutsches Universitätswesen mit Rücksicht auf Kotzebue's literar. Wochenblatt und gewaltsamen Tod. Leipzig 1819.
  • Schulz, O., und Giesebrecht, K., an August Zenne, Ueber die neuen Aßaßinen. Berlin 1819.
  • Anton, K., Entwickelung der Irrthümer, welche Kotzebue's Ermordung veranlaßten. Zur Warnung für Jünglinge. Görlitz 1819.
  • Seckendorff auf Zingst, A. Frhr. v., Die Stimme des Freundes an die studierenden Jünglinge Deutschlands. Leipzig 1819.
  • Görres, G., Kotzebue und was ihn gemordet, in: Die Wage, eine Zeitschrift für Bürgerleben, Wißenschaft und Kunst, hrsg. v. Ludwig Börne. Frankfurt 1819. Heft VI.
  • Morgenblatt für gebildete Stände Nr. 101 und 102. „Züge aus Karl Sand's Leben.“ Stuttgart 1819.
  • Nachtrag zu den wichtigsten Lebensmomenten K. L. Sand's mit der vollständ. Erzählung seiner Hinrichtung am 20. Mai 1820 (mit Kupfer). Nürnberg 1820.
  • [Buchner, Karl,] Ausführliche Darstellung von Sand's letzten Lebenstagen und Augenblicken. Stuttgart 1820; und: Nachtrag (mit Porträt) ebenda 1820.
  • [Hohnhorst, v.,] Vollständige Uebersicht der gegen Sand geführten Untersuchung, mit Porträt und einer Abbildung der Dolche. Stuttgart 1820.
  • Sartorius, G., Ueber die Gefahren, welche Deut{sch}land bedrohen. Göttingen 1820
  • Aktensammlung über die Entlaßung des Prof. D. de Wette vom theol. Lehramt zu Berlin. Zur Berichtigung des öffentlichen Urtheils von ihm selbst herausgegeben. Leipzig 1820.
  • Gegen die Aktensammlung, welche Prof. de Wette über seine Entlaßung vom theol. Lehramt zu Berlin zur Berichtigung des öffentlichen Urtheils herausgegeben hat. Berlin 1820.
  • Memoires de Ch. Louis Sand. Avec portrait. Bruxelles 1820.
  • Haupt, J. L., Landsmannschaften und Burschenschaft. Altenburg 1820.
  • [Weßelhoft, Rob.,] Acten-Auszüge aus dem Untersuchungsprozeß über C. L. Sand (mit Kupfer). Altenburg 1821.
  • [Weßelhoft, Rob.,] Noch acht Beiträge zur Geschichte A. v. Kotzebue's und C. L. Sand's. Mühlhausen 1821.
  • [Weßelhoft, Rob.,] C. L. Sand, dargestellt durch seine Tagebücher und Briefe, von einigen seiner Freunde. Altenburg 1821.
  • Courtin, C., Sand's letzte Lebenstage und Hinrichtung. Frankenthal 1821.
  • Breslauer Burschenlieder. Breslau 1821.
  • [Fabritius{,}] Ueber den herrschenden Unfug auf den deutschen Universitäten, oder Geschichte der academischen Verschwörung gegen das Königthum, Christenthum und Eigenthum. Mainz 1822.
  • Wigand, E. Fr. Chr., De Wette's Brief hervorgezogen und an's Licht gehalten nebst einem andern Briefe an Sand's Mutter. Leipzig 1822.
  • Herbst, F., Ideale und Irrthümer des academischen Lebens in unserer Zeit, oder der offene Bund für das Höchste im Menschenleben. Stuttgart 1823.
  • Weitzel, J., Der heilige Bund. Wiesbaden 1823.
  • Welcker, C., Oeffentliche, actenmäßige Verteidigung gegen die öffentliche Verdächtigung der Theilnahme oder Mitwißenschaft an demagogischen Umtrieben. Stuttgart 1823.
  • Amtliche Belehrung über den Geist und das Wesen der Burschenschaft. Berlin 1824.
  • Russel, John (engl. Staatsminister), Reise durch Deutschland und einige südl. Provinzen Oesterreichs in den Jahren 1820–22. Aus d. Englischen. 3 Bde. Leipzig 1825.
  • Pahl, J., Ueber den Obscurantismus, der das teutsche Vaterland bedroht. Tübingen 1826.
  • Wit, J., genannt von Dörring, Fragmente aus meinem Leben und meiner Zeit. Bd. I u. II. Braunschweig u. Leipzig 1827–30.
  • Weßelhöft, Rob., Teutsche Jugend in weiland Burschenschaften und Turngemeinden, Materialien zu dem ersten Teil der Fragmente aus dem Leben des Abenteurers Johannes Wit, genannt von Dörring. Magdeburg 1828.
  • Mannsdorf, J. D. F., Aktenmäßiger Bericht über den geheimen deutschen Bund und das Turnwesen. Leipzig 1831.
  • Follenberg, C., Aktenmäßige Darstellung der Versuche Deutschland in Revolutions-Zustand zu bringen. Leipzig 1831.
  • Hug, R., Die demagogischen Umtriebe in den Burschenschaften der deutschen Universitäten. Leipzig 1831.
  • Hug, R., Die Centraluntersuchungscommißion zu Mainz und die demagogischen Umtriebe in den Burschenschaften der deutschen Universitäten zur Zeit des Bundestags-Beschlußes v. 20. Sept. 1819. Leipzig 1831.
  • Rocholz, Dr., Die Ergebniße der Untersuchung in Bezug auf den Bund der Unbedingten, oder der Schwarzen. Leipzig 1831 (die fünf lezten Publikazionen gehören zu dem größeren Werke: Gesch. d. geheimen Verbindungen der neuesten Zeit. 8 Hefte. Leipzig 1831–33).
  • Schwärmereien und unglückliches Ende eines Musensohnes. Ronneberg 1831.
  • Jarcke, C., Sand und ein an Kotzebue verübter Mord, psychologisch-criminalistische Erörterung. Berlin 1831.
  • Rechtlieb Zeitgeist, Entlarvung der sog. demagogischen Umtriebe, ein Beitrag zur Geschichte der europäischen Reaction seit d. Jahre 1815. Altenburg 1832.
  • Darlegung der Hauptresultate aus den wegen der revolutionären Complotte der neueren Zeit in Deutschland geführten Untersuchungen. Auf den Zeitabschnitt mit Ende Juli 1838. Frankfurt 1839.
  • Buchner, K., Ueber Karl Follen, in: Theodor Mundt's „Freihafen“. Berlin 1840.
  • Voigt, J., Geschichte des sog. Tugendbundes. Berlin 1850.
  • Keil, Rich. und Rob., Geschichte des Jenaischen Studentenlebens von der Gründung der Universität bis zur Gegenwart [1548–1858]. Leipzig 1858.
  • Pabst, K. R., Theodor Müller's Jugendleben in Meklenburg u. Jena. Aarau 1861.
  • Follen, Elisa, Works of Charles Follen. New-York ca. 1860.
  • Matilde Gräfin von Reichenbach, Arndt und Follen. Zeitgemälde aus den deutschen Befreiungskriegen. Leipzig 1862.
  • Keil, Rob. und Rich., Die Gründung der Burschenschaft (zum 50-jähr. Jubiläum). Leipzig 1865 (2. Aufl. 1873).
  • Klemen, Dr. H., Ein Stück Geschichte der ersten deutschen Burschenschaft. Aus meinem Leben. Lemgo 1867.
  • Elvers, Rud., Viktor Aimé Huber. Bremen 2 Bde. 1872–74.
  • Ruge, Arnold, Aus früherer Zeit. 4 Thle. Berlin 1863–67.
  • Keil, Rob. u. Rich., Die burschenschaftlichen Wartburgfeste v. 1817 und 1867. Leipzig 1868.
  • Hase, Karl, Ideale und Irrtümer. Leipzig 1872.
  • Nietzsche, Friedr., Vorlesungen über die Zukunft unserer Bildungsanstalten, gehalten in Basel 1872. Werke Bd. IX. Leipzig 1896.
  • Münch, Friedr., Erinnerungen aus Deutschlands trübster Zeit. 1873.
  • Braun, Karl, Mordgeschichten. Bd. I. Hannover 1875.
  • Frommann, Fr. J., Das Frommann'sche Haus und seine Freunde 1792–1837. Jena 1876.
  • Menzel, W., Denkwürdigkeiten, hrsg. v. Karl Menzel, Bielefeld 1877.
  • Schmid, W. R., Das Wesen der Burschenschaft. 2. Aufl. München 1880, 4. Aufl. Jena 1890.
  • Leo, H., Aus meiner Jugendzeit. Gotha 1880.
  • Bärnstein, A. P. von, Beiträge zur Geschichte u. Litteratur des deutschen Studententhums. Würzburg 1882.
  • Régis, Dr. E., Les Régicides dans l'histoire. Lyon 1890.
  • Lombroso, C. und Laschi, R., Der politische Verbrecher, deutsch v. Kurella. Hamburg 1892.
  • Loßen, Max, Die christliche Lehre vom Tyrannenmord. Festrede. München 1894.
  • Burschenschaftliche Blätter, hrsg. v. G. H. Schneider. Berlin 1886 ff.
  • Schneider, G. H., Der deutsche Bund Friedr. Ludwig Jahn's und deßen Beziehungen zur deutschen Burschenschaft. Veröffentlichungen des Archivs für die deutsche Burschenschaft, Heft II. Berlin 1895.
  • Goedeke, K., Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. 2. Aufl. Bd. V. Dresden 1897.
  • Schneider, G. H., Die Burschenschaft Germania zu Jena. Jena 1897.
  • Langguth, W., Zur Geschichte der deutschen Burschenschaft. Beil. z. Allg. Ztg. München 1898. Nr. 171–172.
2 In der Verfaßungs-Urkunde heißt es „Freiheit und Ehre sind die Grundtriebe des Burschenlebens: die erstere: Ausbildung und Auslebung der gesamten Persönlichkeit im Geiste der Universität. Selbstgefühl ist die Wurzel der Ehre. Brüderlicher Sinn und das Gemeingefühl, zu einem Ganzen zu gehören, fordern auf zu Verein und Verbindung. Frühere akademische Verbindungen, Bruderschaften, Kränzchen, Orden, Landsmannschaften waren kleinlich und sündhaft, und haben darum ihren Untergang gefunden. Nur solche Verbindungen, die auf den Geist gegründet sind, auf den Geist, der uns das sichern kann, was uns nächst Gott das Heiligste und Höchste sein muß, nämlich Freiheit und Selbständigkeit des Vaterlandes, sind dem Wesen der Hochschulen angemeßen. Eine solche Verbindung der Burschen nennen wir eine Burschenschaft.“ [Schneider 27]
3 Sand erließ z. B. ein Flugblatt, welches sich auf Machinazjonen der zurükgedrängten Landsmannschaften gegen die neugegründete Burschenschaft bezog, und in dem es heißt: „Ich erfahre, zwar nur leise, aber von Umtrieben gegen unsere vaterländische Sache; ich höre von Verrath gegen unsere freisinnige deutsche Burschenschaft! Es ist nicht leicht möglich, diesem geheimen Unwesen auf die Spur zu kommen. Ich stürze deshalb allen denjenigen, die falschen Sinnes hier Anschläge machen, unsere Burschenschaft zu stürzen, die Pläne ausbrüten, hier Orden oder Landsmannschaften zu errichten, hiemit feierlich Jedem einen dummen Jungen!“ [Acten-Auszüge 175]. — Braun meint, das sei doch sicher das Zeichen von Verrüktheit [S. 296]. Durchaus nicht! Jedermann sprach damals so in diesen Kreisen. Auch Bismarck hat seiner Zeit in Göttingen seine Komilitonen nicht viel anders vom Bürgersteig hinuntergerempelt. —
4 Nachfolgend die erste Strofe:
Das große Lied.
Horcht auf, ihr Fürsten! Du Volk, horch auf!
Freiheit und Rach' im vollen Lauf,
Gottes Wetter ziehn blutig herauf!
Reiß aus dem Schlummer Dich, träges Gewürme,
Am Himmel, schau auf, in Gewitterpracht
Hell aufgegangen Dein Todesgestirne!
Es erwacht, es erwacht
Tief aus der sonnenschwangeren Nacht,
In blutsflammender Morgenwonne,
Der Sonnen Sonne,
Die Volkesmacht!
Spruch des Herrn, Du bist gesprochen,
Volksblut, Freiheitsblut, Du wirst gerochen,
Götzendämmrung, Du bist angebrochen .....
Dieses höchst merkwürdige Lied, welches leider zu lang ist, um hier abgedrukt zu werden, und das, wie der ganze Karl Follen, von allen königlichen Literatur-Profeßoren in allen königlichen Literaturgeschichten übergangen ist, finde ich einzig abgedrukt in: Johannes Wit, genannt von Dörring, Fragmente aus meinem Leben und meiner Zeit. Leipzig 1830. Bd. I., wo es S. 430–48 einnimmt. Nur Goedeke kent in seinem „Grundriß“ wenigstens die erste Zeile (III. 264). —
5 Es ist wol auch als fast sicher anzunehmen, daß Sand als unberührter, keuscher Jungherr starb, wie Ludwig II. Sein Stil, die ganze Art seines Auftretens, der finstere, nie beigebende Fanatismus, laßen darüber keinen Zweifel. Das Publikum hat ihm zwar nach seinem Tote ein „Liebchen“ angedichtet. Aber das Publikum empfindet eben immer weiblich. Und die Legende meint, sie muß schmüken und versöhnen. Seine Zeitgenoßen sind einig über seine absolute Sittenreinheit. Einer seiner Jugendfreunde erzählte später, er, der verlobt gewesen, wolte eines Tages sich von Sand verabschieden, um zu seiner Braut zu gehen; und fährt dann fort: „Als ich fortgehen wolte, nahm Sand mich auf den Schoos und bat mich innig: ‚Ich weiß, wohin Du wilst; ach! binde Dich doch nicht! um des Vaterlandes willen!‘ — Und ich war in der Tat geneigt, diese Bitte zu erfüllen.“ [Schmid 35.] Auch dies ist ganz im Sinne der damaligen Zeit, die den Burschenschaften „Keuschheit“ zur Pflicht machte. In der ältesten Burschenschaft wachte ein neunköpfiger Ausschuß über die Keuschheit der Mitglieder. Auch der spätere „Jünglingsverein“, der nur eine heimliche Fortsetzung der 1819 aufgelösten Burschenschaft war, ebenso die aus der Burschenschaft 1830 hervorgegangene „Arminia“, hielten am Keuschheitsprinzip fest. [Schmid, 12, 52, 54, 63–64.] — Bezeichnend ist, daß noch in späterer Zeit einzelne Burschenschaften nur dann den Duell-Zwang als gegeben erachteten, wenn die Schwester verführt worden.
6 Bärnstein [S. 34] teilt mit, Würzburg habe zwar keine Einladung erhalten, aber Vertreter geschickt. Später zeigte Würzburg rege Teilnahme. —
7 Auch dieses kleine Schriftstük ist durchaus klar und einfach, und bewegt sich genau in der gehoben-feierlichen Sprache, deren sich damals Alle bedienten. Da heißt es: „Unsere jetzige Zeit ist reich an hohen Gaben und Gnaden und muß zusammengestellt werden mit jenem ausgezeichneten Zeitalter des Kampfes zur Wiederherstellung unserer Religion. Laßt uns hieraus Aufruf und Zuversicht erholen! — Heute liegt uns mehr eine wissenschaftlich-bürgerliche Umwälzung vor. Unser Wahlspruch ist: Tugend, Wißenschaft, Vaterland (es sind wörtlich die Schlagworte des „Tugendbundes“), — die Wißenschaft haben wir uns zur Braut erkohren. Laßt uns den heiligen Offenbarungen Gottes nachspüren! Schlechte Tändeleien seien uns verhaßt! Unserem Vaterland sei all' unser Dienst geweiht! Die deutsche Sprache erstehe! Das wahre Rittertum erblühe! Das deutsche Land sei frei! — Wer sich zu diesen Ideen bekennt, sei unser geliebter Bruder. Um diese hohe Sache zu verwirklichen, muß eine allgemeine, freie Burschenschaft durch ganz Deutschland erstehen. Diese Burschenschaft muß womöglich offen vor der Welt, aber auch frei und ohne fremdes Einwirken auf sich selbst bestehen.“ u. s. w. [Acten 103–105]. —
8 Auch diese Rede kann man als Stilprobe damaliger Zeit genau neben die Sand'sche stellen, die sie im patetischen Stil eher noch überflügelt: „Ich spreche hier zu Freunden und zu Feinden. Ein deutsches Wort tut nicht weiter schön vor Freunden. Unter den Feinden verstehe ich aber alle Widersacher der Wahrheit, alle die bösen Gewißen, die zusammenfahren vor dem schreklichen Gespenst der öffentlichen Meinung und der Geistesfreiheit. Denn die Hemmkette der Wahrheit ist noch nicht erfunden und kein Henker hat ihre Schwingen gelähmt. — Denkt an die Schande der vorigen Jahre und an die Herrlichkeit der letzten. Das deutsche Land sank unter das eiserne Joch des Zerstörers{.} Fürsten buhlten schamlos um das Verderben. Deutsche mußten jubeln, daß Deutschland sank. — In der Not versprach man uns, ein Vaterland zu geben, ein einiges Vaterland der Gerechtigkeit, aber der theuererkaufte Bundestag ist noch nicht angebrochen und fast will es scheinen, als sei das Volk glühend erwacht, damit hochmütige Ideenlosigkeit ein Freudenmahl halte. Nur ein Fürst hat fürstlich sein Wort gelöst, allen andern ein Vorbild. Mögen ihm die andern nachkommen und bald! Denn Eins hat das deutsche Volk gewonnen, die Kraft des Selbstvertrauens, es will sich nicht wiederum in den ehrlosen Schlaf wiegen laßen. — Wer bluten darf für das Vaterland, der darf auch davon reden, wie er ihm am besten diene im Frieden, denn die Zeit ist gottlob gekommen, wo sich der Deutsche nicht mehr fürchten soll vor den Schlangenzungen der Lauscher und dem Henkerbeil der Tyrannen.“ u. s. w. [Rödiger 3, 14, 16, 17, 18]. —
9 Siehe für die ganze Darstellung: Flathe, Th., Das Zeitalter der Restaurazion und Reformazion. 1815–1851. Onken'sches Geschichtswerk, IV. Abtlg. 2. Teil. Berlin 1883.
10 Uebrigens lange schon vor dem Sand'schen Attentat wurde von Preußen aus gehezt. Am 31. Oktober 1817 erschien in Berlin eine eigens für diesen Zwek geschaffene, nur dieses einemal ausgegebene Beilage zum „Beobachter an der Spree“, der „Brandenburgische Erzähler“, der in einem langen lügenhaften Bericht über das Wartburgfest u. A. erzahlte, es sei daselbst unter Vorsiz von Prof. Oken und in Anwesenheit von Delegirten der deutschen Universitäten die „Akte der heiligen Allianz“ verbrant worden, d. i. jenes von Alexander I. von Rußland mit dem österreich. und preuß. Monarchen aufgestellten Traktats zur gegenseitigen Sicherung des territorjalen, religiösen und sitlichen status quo im Abendland; das klang also ungefähr so, als brächte heute eine Zeitung die Notiz, sagen wir: sozjalistische Studenten hätten auf einem internazjonalen Kongreß die „Versailler Verträge“ verbrant. — Nichts zeigt deutlicher als diese natürlich von der preußischen Regierung ausgegangene lügenhafte Notiz, wie die großdeutsche, im eigentlichsten Sinn lebensfähige und nazjonale Bewegung, die auf preußischem Boden als „Tugendbund“ entstanden, nunmehr vollständig den ungeschikten Berliner Händen entglitten war, und unter Begünstigung des Weimaraner Fürsten in Mitteldeutschland sich zu neuen Trieben entfaltete.
11 August Wilhelm von Schlegel schrieb damals in seiner satirischen „Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten von Kotzebue“ (Jena 1800).
„Im Bahrdt warst Du bemüht, den niedern Haufen
mit Zoten und Pasquillen zu erkaufen:
O Schand und Spott,
Du Sanscülott!
Drauf schreibst Du, noch gebrandmarkt von dem Tadel,
ein Buch für den durch Dich vermehrten Adel.
Verwegne Tat,
Aristokrat!“
12
„Du läufst von Deinem toteskranken Weibe
und dienst damit der Welt zum Zeitvertreibe;
o Schand und Spott,
Du Sanscülott.
Dann höhnst Du in Paris der Zeiten Streben,
den Staat zu Recht und Freiheit zu erheben,
verwegne Tat,
Aristokrat.“
hatte A. W. von Schlegel schon 1800 von ihm gesungen. —
13 Goethe's Werke, Hempel-Ausgabe, Teil III, S. 297; dort S. 299, auch die andere Strofe auf Kotzebue:
„Du hast es lange genug getrieben,
niederträchtig vom Hohen geschrieben,
hättest gern die tiefste Niedertracht
dem Allerhöchsten gleichgebracht...
————————————
Daß Du Dein eignes Volk gescholten,
die Jugend hat es Dir vergolten...
————————————
14 Freilich hatte der später wegen Hochverrats zu 10 Jahren Festung verurteilte, dichterisch hochbegabte Adolf Follen in seinen „Freie Stimmen frischer Jugend“ u. A. gesungen:
„Schalle, Du Freiheitssang!
Feig bebt der Knechte Schwarm,
uns schlägt das Herz so warm,
uns zukt der Jünglingsarm
voll Tatenlust.“
und dann noch kräftiger:
„Freiheitsmeßer gezükt!
Hurrah, den Dolch in die Kehle gedrükt!
Mit Kronen und Bändern,
mit Purpurgewändern
zum Rachealtar ist das Opfer geschmükt!“
Aber merkwürdiger Weise hat gerade Sand an diesen Strofen sich nicht begeistert (sie erschienen im Jahre seiner Mordtat); denn in seinem Gepäk fanden sich Körner's Gedichte, und dort doppelt unterstrichen die Stellen:
„Was soll das ew'ge Zaudern?
Hier hilft nur rasche Tat,
die kraftvoll ohne Schaudern
das Schlangenhaupt zertrat.“
und dann:
„Das höchste Heil, das lezte liegt im Schwerte,
drük Dir den Speer in's treue Herz hinein,
der Freiheit eine Gaße...“ —
Man könte die beiden Gedicht-Pare miteinander vertauschen, es würde nicht viel geändert werden. Was jeder Dichter meint, ist seine Sache; und was jeder Leser meint, ist wiederum seine Sache. Jeder Vogel baut eben sein Nest aus dem Streu, welches er findet; und Jeder sucht sich die poetischen Zitate als ideale Grundlage für sein Handeln, die ihm gefallen.
15 Dieser Brief ist doch so merkwürdig und nach vielen Seiten so beweiskräftig, besonders auch nach der Seite, daß wir es in Sand nimmermehr mit einem leicht-beweglichen, Follen's starkem aber logisch gearteten Geist unterlegenen, jungen Mann zu tun haben, sondern mit einem gemütstiefen, nur aus der eigenen Innerlichkeit schöpfenden, hochpatriotischen, glühenden und fanatischen Jüngling, der, auch in seinem teologischen Gebahren, vielfach an den jungen Luther erinnert, daß wir einige der charakteristischsten Stellen hier wiedergeben wollen: „Jena, Anfang März 1819. Treue, ewig theure Seelen! Warum Euch den Schmerz noch lange mehren? dachte ich und schwankte, Euch über dieses zu schreiben. Zwar möchte, wenn Ihr die Nachricht von dem Geschehenen mit einmal erführet, der herbe Gram leichter und schneller vorübergehen; doch die Liebestreue wäre dadurch verletzt, und ganz gebrochen kann dieser Schmerz nur dadurch werden, daß wir den ganzen Kelch von Wermuth rein ausleeren. Also heraus aus der umschloßnen Brust, hervor du lange große Qual der letzten Rede, die, aufrichtiger Art, einzig den Abschiedsschmerz versüßen kann. — Euch bringt dies Blatt des Sohns, des Bruders letzten Gruß zurück. Gesagt, gewünscht habe ich immer viel, es ist an der Zeit, daß ich die Träumereien laße und die Noth unseres Vaterlandes drängt mich zum Handeln. — Dies ist ohnstreitig der höchste Jammer in diesem Erdenleben, das für uns der entehrendste Schimpf, wenn all' das Schöne, das von Tausenden kühn erstrebt wurde, und wofür sich Tausende kühn geopfert haben, als Traumbild ohne bleibende Folge nun in trübem Mismuth wieder erschlaffen, wenn die Reformation des alten Lebens jetzt auf halbem Wege verknöchern sollte — unsre Enkel würden diese Trägheit zu bejammern haben. Der Anfang zur Erneuerung unseres deutschen Lebens wurde in den letzten 20 Jahren, besonders in der heiligen Zeit 1813, mit getrostem Mute begonnen; das väterliche Haus ist von Grund aus erschüttert; vorwärts, laßt es uns wieder aufführen, neu und schön, recht einen Tempel, wie ihn unsre Herzen ersehnen! Nur wenige stemmen sich als ein Damm gegen den Strom der Entwickelung des höhern Menschlichen im deutschen Volke, warum beugen sich ganze Schaaren nieder unter das Joch dieser Argen, soll uns das erst erwachte Heil wieder ersterben? Viele der ruchlosesten Verführer treiben ungehindert mit uns ihr Spiel bis auf's völlige Verderben unseres Volkes hin ... [er spricht nun in der offensten Weise fast leichtsinnig von seinem Opfer und seinem Vorhaben] ... Er ist unter ihnen der feinste und boshafteste, das wahre Sprechwerkzeug für alles Schlechte in unserer Zeit, und seine Stimme ist recht geeignet, uns Deutschen allen Trotz und Bitterkeit gegen die ungerechtesten Anmaßungen zu benehmen und uns einzuwiegen in den alten feigen Schlummer. Er treibt täglich argen Verrath am Vaterland, und steht dann, geschützt durch seine heuchlerischen Reden und Schmeichlerkünste, trotz seiner Schlechtigkeit da als ein Abgott für die Hälfte Deutschland's, die von ihm geblendet gerne das Gift einnimmt ... Soll nicht das größte Unglück über uns kommen, soll die Geschichte unsrer Tage nicht mit ewiger Schmach behaftet sein, so muß er nieder! — Ich spreche immer: soll etwas Heilbringendes werden, so laßt uns Kämpfe und Mühe nicht scheuen; die rechte Freiheit des deutschen Volkes erwächst uns nur dann, wenn von Braven gewettet und gewagt wird, wenn der Sohn des Vaterlandes in dem Streit für Recht und für die höchsten Guter mit Hintansetzung alles Lieben nur den Tod liebt. Wer soll, da es sein muß, auf diesen erbärmlichen Wicht, auf diesen bestochenen Verräther losgehen? In Angst und bitteren Thränen zum Höchsten gewendet, warte ich schon eine geraume Zeit auf einen, der mir zuvorkommen und mich, nicht zum Morde geschaffen, ablöse, der mich erlöse aus meinem Schmerz und mich laße auf der freundlichen Bahn, die ich mir erwählt habe. Es zeigt sich Keiner, und es hat auch jeder so gut wie ich das Recht, auf einen Andern zu warten. Zögerung macht unsern Zustand immer schlimmer und erbärmlicher und wer soll uns von der Schande befreien, wenn er ungestraft den deutschen Boden verlaßen, seine durch Verrath gewonnenen Schätze verzehren wird? Wer soll helfen, retten aus dieser unseligen Lage, wenn nicht Jeder, und in meinem Gebiete zunächst ich, den Beruf fühlt, Gerechtigkeit zu verwalten und zu handhaben, was für's theure Vaterland geschaffen werden soll? Also nur muthig daran! Auf ihn will ich getrosten Muthes losgehen, ihn den Schänder und Verführer unserer Brüder, den grausen Verräther niederstoßen, daß er aufhöre, uns in die Hände der arglistigen Feinde zu geben. Dazu treibt mich ernste Pflicht; seit ich erkannt habe, welch' Hohes in dieser Zeit für unser Volk zu erstreben ist, und seit ich ihn kenne, den falschen, feigen Schurken, ist dies für mich, wie für jeden Deutschen, der das Wohl des Ganzen beachtet, ein strenges Muß geworden. — Möchte ich alle Regen und Gemeinsinnigen darauf hinverweisen, wo Falschheit und Gewalt droht, und bei Zeiten die Furcht Aller und die rüstige Jugend gegen die rechte Spitze kehren, um das gemeinsame Vaterland, Deutschland, den immer noch unwürdigen Staatenbund, aus der nahen Gefahr zu retten. Möchte ich Schrecken über die Bösen und Feigen, Muth über die Guten verbreiten! — Schriften und Reden wirken nicht, nur die That kann jetzt einen; möchte ich wenigstens einen Brand schleudern in die jetzige Schlaffheit, und die Flamme des Volksgefühls, das schöne Streben für die Sache der Menschheit, das seit 1813 unter uns lodert, unterhalten und mehren helfen; so wären alle meine höchsten und letzten Wünsche erreicht. Deshalb bin ich, obgleich aufgescheucht aus allen schönen Träumen für ein künftiges Leben, doch auch ruhig und voll Zuversicht, ja selig, seit ich durch Nacht und Tod mir die Bahn vorgezeichnet weiß, meinem Vaterland heimzuzahlen, was ich ihm schulde. — So lebet wohl, ihr treuen Seelen, es fällt die schnelle Trennung schwer und Euere Erwartungen, wie meine Wünsche sind wohl getäuscht; doch mag das Eine vorbereitet haben und trösten, was die Noth des Vaterlandes erheischt, zuerst von uns selbst zu erlangen, was sich bei mir zum unverbrüchlichsten Grundsatz eingelebt hat ... [er suponirt die Vorwürfe der Eltern, die ihn unter so großen Opfern hätten erziehen laßen:] ... In die Wißenschaften ließet Ihr mich einführen, in freier Geistesbeschäftigung habe ich gelebt, habe in die Geschichte geschaut und bin wieder zurückgekehrt in mein eigenes Gemüth, um durch freie Forschung des Verstandes mir über mich selbst und die Größe meiner Umgebungen klar zu werden. Ich habe die Wißenschaften in gewöhnlicher Ordnung nach Kräften betrieben, wurde in den Stand gesetzt, das Gebiet unsers menschlichen Wißens zu überschauen und habe mich wieder ausgesprochen darüber mit Freunden und Männern, habe das Land bereist, Menschen und ihr Getriebe kennen gelernt ... Aber sollte mich dies Alles abhalten, der nahen Gefahr des Vaterlandes selbst abzuwehren? Muß mich Eure unsägliche Liebe nicht gerade anfeuern, den Tod einzusetzen für das gemeinsame Wohl und unser Aller Streben? Ob ich Eure Liebe erkenne oder dagegen leichtfertig wäre? Glaubt's nicht! Was sollte mich ausrüsten zum Tode, wenn nicht gerade jene Liebe zu Euch und dem Vaterland, die mich treibt, sie Euch zu beweisen? ... [Er suponirt den Vorwurf der Mutter: in der Jugend habe sie ihn gepflegt, jetzt, wo sie selbst der Pflege bedürfe, gehe er von hinnen:] ... Theure Mutter, mochte nicht auch die Pflegerin eines andern so klagen, wenn er für das Vaterland hinginge? und wenn es keiner thun wollte, wo bliebe das Vaterland? Gewiß aber, Du klagest nicht und erkennst dergleichen Rede nicht, edle Frau! Schon einmal habe ich Deinen Ruf vernommen [er spielt auf den Feldzug von 1815 an], und wenn mein Land jetzt hereintreten wollte für die deutsche Sache, so würdest Du auch diesmal zum Kampfe mich fortschicken ... Verlaßen auf dem einsamen Weg, den ich wandeln soll, habe ich keine Aussicht, als auf den ewigen Vater; in Ihm faße ich aber auch Muth und Stärke, die letzte Bangigkeit zu überwinden und meine ernste That zu vollführen ... Gebet selbst den Harm auf, und achtet nicht so sehr meinen Thränenguß, als vielmehr auf die Liebe, die zwischen uns besteht und nie untergehen wird. Dann aber stehet weiter mit dem Vaterlande und führet Eure Kleinen [er spricht von den jüngeren Geschwistern], denen ich so gerne ein leitender Freund geworden wäre, baldigst hinaus auf die gewaltigen Berge, und laßet sie dort auf dem erhabenen Altar, in Mitte des Vaterlandes sich weihen und gelübden, nie ruhen und vom Schwerte laßen zu wollen, bis die Brüder in Freiheit geeinigt, bis alle Deutsche, wie das Eine Volk, so auch in Einem Reiche freier Verfaßung auf's Innigste verbunden sind! ... Gesegnet sei im deutschen Volke die kampfrüstige Schaar, die die Sache der reinen Menschheit zu fördern muthig entschloßen ist, und unter ihnen möchte ich sie sehen, deren Liebe ich mich rühme bis an mein Ende.
Das letzte Heil, das Höchste liegt im Schwerte,
Drück Dir den Speer in's treue Herz hinein,
Der Freiheit eine Gaße!
Euer in Liebe Euch ewig verbundener Sohn und Bruder und Freund Carl Ludwig Sand.“ [Acten-Auszüge, S. 119–124]. —
16 Das bekannte Profilbild, welches man meistens abgezeichnet findet, und welches auch Schneider („Die Burschenschaft Germania“ S 47) reproduziert hat, ist offenbar stark geschmeichelt, und macht mit dem breiten Spizenkragen, der auf das Samtkolett fält, den langen Loken, dem schwärmerisch nach oben gerichteten Blik geradezu einen mädchenhaften Eindruk. Es stamt zudem aus sehr jugendlicher Zeit. Das beste, aber nicht schönste Bild dürfte das sein, welches sich in den „Acten-Auszügen“ findet, en-face-Porträt mit der Unterschrift „Sand im vierten Monat seiner Verhaftung.“ Hier sehen wir ein breit-ausladendes Gesicht, vorspringende Bakenknochen, resolutes Drein-Schauen, trozigen Blik, wuchtige Schultern, kurz angesezten Hals, breite Hand, kurz: den Tatmenschen.
17 „Die Leidenschaft wird geheiligt — schrieb de Wette — durch die gute Quelle, aus der sie fließt. Daß dies bei Ihrem frommen und tugendhaften Sohn der Fall gewesen, bin ich fest überzeugt. Er war seiner Sache gewiß; er hielt es für recht, das zu tun, was er tat, und so hat er recht getan. Ein Jeder handle nach seiner besten Ueberzeugung, so wird er das Beste tun. — Ohne irgend einen Anteil an dieser Art von Leidenschaft wird kaum eine große Tat von dem Menschen vollbracht werden können; das Licht der Begeisterung wird immer zur Glut auffordern. — So wie die Tat geschehen ist, durch diesen reinen, frommen Jüngling, mit diesem Glauben, mit dieser Zuversicht, ist sie ein schönes Zeichen der Zeit. — Wer das Leben wagen kann, hat das wahre Hochgefühl desselben, und schäze man doch nicht den Wert desselben nach seiner Dauer, sondern nach seiner inneren Fülle und Schönheit. — Ein Jüngling sezt sein Leben daran, einen Menschen auszurotten, den so Viele als einen Gözen verehren. Solte das ohne alle Wirkung sein?“ — Der berühmte Teologe und Herausgeber der Briefe Luther's wurde wegen dieses Schreibens gegen den Willen der Universität vom König von Preußen abgesezt. —
18 Eine sehr bemerkenswerte, 215 Nummern umfaßende Kolekzion von unsern Zeitabschnitt betreffender Schriften, zum Teil aus dem Nachlaße Maßmann's, darunter 27 Nummern über Sand, 26 Nummern über das Wartburgfest, 30 Nummern über den Tugendbund, viele Komers- und Liederbücher damaliger Zeit, befindet sich gegenwärtig im Besiz der Buchhändler Breslauer und Meyer in Berlin (W., Leipzigerstraße 134), eine andere Anzahl Sand betreffender Porträts und Illustrazionen besizt das Antiquariat von Emil Hirsch in München (Karlsstraße 6). Beide Handlungen haben mir das Wertvollste daraus in freundlichster Weise zur Verfügung gestelt.
19 Bei Ditfurth, F. W. Frhr. von, Historische Volkslieder der Zeit von 1756–1871. Berlin 1872. Bd. II. S. 9 — Dort auf S. 10 ein zweites. — Siehe auch das höchst sentimentale:
„Siehst Du vorm Thor die Wiese grün
und bunte Maienblümlein blühn?...“
in „Noch acht Beiträge“ S. 93. — Welchen Umfang diese Flugschriften-Literatur angenommen hatte, mag ein östreichisches Rundschreiben v. J. 1820 erweisen, welches die Grazer Tagespost jüngst mitteilte und das folgendermaasen lautete: „Circulare. An sämmtliche Bezirkskommißariate. Die k. k. Polizey-Hofstelle hat unterm 8. gegenwärtigen Monaths Folgendes zu erinnern befunden: Unter die bösen Zeichen der gegenwärtigen Zeit gehört die Erscheinung, daß die Hinrichtung des Mörders Sand seine fanatischen Anhänger neuerdings zu mancherley Umtrieben und Versuchen, ihre schlechten Grundsätze zu verbreiten, angespornt hat. Unter andern vernehme diese Hofstelle, daß die Greuelthat des Mörders in einer Menge von Liedern, Gedichten und Flugschriften, welche in Winkelbuchdruckereyen ohne Wißen der auf diesen Unfug gegenwärtig aufmerksamen deutschen Regierungen zu Tag gefördert werden, wenn auch nicht vollständig angepriesen, dennoch in einem Licht dargestellt wird, welches Mitleiden, Theilnahme und selbst Hochschätzung dieses Meuchelmörders erzeugt. Diese Lieder, Gedichte und Flugschriften finden nach neuen Wahrnehmungen auch Eingang in die k. k. Staaten, zwar nicht auf dem gewöhnlichen Wege durch den Buchhandel, sondern durch Reisende, Handwerkspurschen, Studenten und Handlungsdiener. In dieser Hinsicht wurde dieses k. k. Kreisamt mit hoher Präsidialverordnung vom 22. dieses, und heutigem Empfange Nr. 1683 befehliget, sämmtliche Bezirksobrigkeiten als Polizeybehörden auf diese Gattung Reisender aufmerksam zu machen, und die Verfügung zu treffen, daß jeder, welcher derley Lieder, Gedichte und Schriften auf Sand und deßen gleichgesinnt Konsorten — diese Schriften mögen gedruckt, geschrieben, und ihrem Inhalte nach, mehr oder weniger bedenklich sein, — besitzt und verbreitet, deßhalb zur Rechenschaft gezogen, nach der Strenge der Vorschriften geahndet, und hiebey jedesmal die bedenklichen Schriften und Lieder vertilgt, von jedem solchen Falle aber dem hohen Präsidium Kenntniß gegeben werde. Sämmtliche Bezirksobrigkeiten werden demnach angewiesen, diese hohe Anordnung sich pünktlichst gegenwärtig zu halten, auf solche Reisende durch Wirthe und Gemeinderichter strenge wachen zu laßen, von jeder solcher Amtshandlung aber diesem Kreisamte ungesäumt die Anzeige zu erstatten. K. k. Kreisamt Cilli, am 27. September 1820. Ziernfeld, k. k. Gubernialrath und Kreishauptmann.“ —
20 Siehe die schöne Abhandlung über diesen Gegenstand von David Hume. „Of Suicide, Essays moral, political and literary{“}. ed. by Green and Grose. London 1882. vol. II. p. 406–414.
21 Siehe auch die warmherzige Verteidigung Charlotte Corday's durch Jean Paul in deßen „Dr. Katzenberger's Badereise“. III. Abtlg. im Anhang. —
22 Oder man lese z. B. das hilflose Gejammer eines heutigen deutschen Profeßors, Fr. von Bezold's, in „Zur Geschichte des politischen Meuchelmords“, Beil. z. Allg. Ztg. 1899. Nr. 92–93, wo, ähnlich wie in Zenker's Buch, die Furcht vor der Konfiskazion, oder die Angst, es möchte die ruhig-objektive Behandlung einer heute schwierig-gestalteten Frage die Gunst in einer höheren Region verscherzen, oder ein Blatt in gewißen Kreisen misliebig machen, zu niedrigen Schergendiensten zwingt. Die „Beilage“ nahm ehedem eine stolzere Haltung ein. Nirgends mehr eine Spur von jener antiken Große, welche sich mit seinem Schiksal identifizirt und das Unvermeidliche mit Patos und heldischer Seelenruhe vollführt. Ist das etwa die Folge der ausschließlichen Beschäftigung mit Naturwißenschaften und der Vernachläßigung der klaßischen Studien? Dann wäre es gut, wenn die Herrn zu Zeiten wieder etwas Latein läsen: Cicero, de officiis, oder Seneca, de providentia. Und nirgends eine Spur von jenem Gefühl für die Aeternität des Geschehens und des Anstands, der für Jahrhunderte wirkt. Würde denn irgend einer dieser Herrn sich heute herbeilaßen, etwa einen Bericht über Brutus Tat von einem Hof-Historiografen der Kaisers Oktavian zu lesen? Würden sie die Scharteke nicht in die Eke werfen? Würden sie nicht unweigerlich zu Tazitus greifen? Nun, und wollen sie denn einmal in die Eke geworfen werden? Und werden sie nicht einmal zweifellos in die Eke geworfen werden? Quid profitemini professores? — Was bekennet Ihr Herrn Profeßoren? — Komt denn Profeßor von Profit, und nicht von profiteri, bekennen? —
23
„Im Mirtenzweige will den Dolch ich tragen,
wie Harmodius und Aristogeiton,
als sie den Tirannen töteten,
die Atener machten gesezesgleich.
„Liebster Harmodius! Du, nicht gestorben,
auf den seligen Inseln, sagt man, bist Du,
wo auch der Schnell-Läufer Achilles
und Tydeus Sohn sein soll, Diomedes.
„Im Mirtenzweige will den Dolch ich tragen,
wie Harmodius und Aristogeiton,
da der Atene sie opferten,
den Tirannen-Menschen schlachteten.
„Eu'r Ruhm wird verewigt sein auf Erden
liebster Harmodius und Aristogeiton,
weil Ihr den Tirannen tötetet,
weil die Atener Ihr machtet gesezesgleich.“
siehe Ilgen, Karl, Scolia hoc est carmina convivalia Graecorum. Jena 1798.

Anmerkungen (Wikisource)[Bearbeiten]

  1. Vermutlich ein Pseudonym von Oskar Panizza.
  2. a b lies: Schmalz
  3. Hier fehlt bei den Fußnoten die korrespondierende Nummer
  4. Der besseren Lesbarkeit halber wurde das folgende Verzeichnis nicht wie im Original als Fließtext (mit Gedankenstrich als Trenner der Einträge), sondern als Liste wiedergegeben.
  5. lies: Eisenach – so üblicherweise im Text und auch auf der Titelseite des Werkes: Rede gehalten am 19ten October 1817 zu denen, auf der Wartburg versammelten, deutschen Burschen durch Friedr. Wilh. Carové, der Philosophie Beflissenen auf der hohen Schule zu Heidelberg. Eisenach. Bey Joh. Friedr. Bärecke. (MDZ München Google)