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Benutzer:Jowinix/Die vier George

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die vier George.
Zeit-, Hof- und Sittenbilder
von
W. M. Thackeray.
Deutsch
von
A. Kretzschmar.
Erster Band.
Wurzen,
Verlags-Comptoir.
1862.
Die vier George.
Erster Band.


Georg der Erste.


Erstes Kapitel.

Vor noch wenigen Jahren war ich sehr genau mit einer alten Dame bekannt, um deren Hand sich Horace Walpole beworben, der von Georg dem Ersten auf den Kopf geklopft worden war.

Diese Dame hatte an Doctor Johnson’s Thür gepocht; sie war mit Fox, der schönen Georgina von Devonshire und jener brillanten Whig-Gesellschaft unter der Regierung Georg’s des Dritten genau bekannt gewesen. Sie hatte die Herzogin von Queensberry, die Gönnerin Gray’s und Prior’s, die bewunderte junge Schönheit des Hofes der Königin Anna, gekannt.

Oft, wenn ich die Hand meiner alten Freundin ergriff, war es mir, als setzte ich mich dadurch in

Zusammenhang mit der alten Gesellschaft von Witzlingen und Weltleuten.

Ich konnte siebenmal zwanzig Jahre zurückschauen – ich sah im Geiste Brummell, Selwyn, Chesterfield und die Männer der Eleganz und der Vergnügungen; ich sah Walpole und Conway, Johnson, Reynolds, Goldsmith, North, Chatham, Newcastle; ich sah die schönen Ehrendamen am Hofe Georg’s des Zweiten; die deutschen Höflinge Georg’s des Ersten, an dem Hofe, wo Addison Staatssecretair war, wo Dick Steele ein Amt bekleidete, wohin der große Marlborough mit seinem stolzen, übermüthigen Weibe kam, als Pope, Swift und Bolingbroke noch lebten und schrieben.

Von einer so umfangreichen, lebensvollen, glänzenden Gesellschaft in vier kurzen Abschnitten einen vollständigen Begriff zu geben, ist unmöglich; wir können aber hier und da einen Blick in jene entschwundene Welt der George werfen, sehen, wie sie und ihre Höfe aussahen, die sie umgebenden Menschen in Augenschein nehmen, die Sitten, Moden und Vergnügungen der Vergangenheit betrachten und sie mit den unsrigen vergleichen.

Ich erwähne dies gleichsam als Vorrede, weil

der Gegenstand dieser Vorlesungen falsch verstanden worden ist und man mich getadelt hat, daß ich nicht ernste, historische Abhandlungen gegeben habe, welche zu versuchen doch niemals meine Absicht war.

Nicht über Schlachten, über Politik, über Staatsmänner und politische Maßregeln hatte ich mir vorgenommen, Vorlesungen zu halten, sondern die Sitten und das Leben der alten Welt zu skizziren, einige Stunden mit Geplauder über die alte Gesellschaft hinzubringen und mit der Frucht der angenehmen Lectüre manches Tages und mancher Nacht meinen Zuhörern einige Winterabende zu verkürzen zu suchen.

Zweites Kapitel.

Unter den deutschen Fürsten, welche zur Zeit Luther’s regierten, befand sieh der Herzog Ernst von Celle, dessen jüngerer Sohn, Wilhelm von Lüneburg, der Stammvater des erlauchten Hauses Hannover war, welches gegenwärtig in Großbritannien regiert.

Herzog Wilhelm hielt seinen Hof in Celle, einer kleinen Stadt von etwa zehntausend Einwohnern, die an der Eisenbahn zwischen Hamburg und Hannover mitten in großen Sandebenen an dem Fluß Aller liegt. Als Herzog Wilhelm hier wohnte, war es ein sehr armseliger Ort, fast aus lauter hölzernen Häusern bestehend, mit einer großen Kirche von Ziegelsteinen erbaut, die er sehr fleißig besuchte und worin er und andere Mitglieder seines Hauses begraben liegen.

Er war ein sehr religiöser Herr und ward von dem kleinen Kreise von Unterthanen, über welche er herrschte, bis das Schicksal ihn sowohl des Augenlichts als des Verstandes beraubte, Wilhelm der Fromme genannt.

Zuweilen in seinen spätern Tagen hatte der gute Herzog lichte Augenblicke, wo er dann von seinen Musikern die geistlichen Melodieen, welche er vorzugsweise gern hörte, aufspielen ließ.

Man denkt dabei unwillkürlich an einen seiner Nachkommen, welcher zweihundert Jahr später – blind, alt und ebenfalls des Verstandes beraubt – im Schlosse Windsor Melodieen von Händel sang.

Wilhelm der Fromme hatte fünfzehn Kinder, acht Töchter und sieben Söhne, welche, da das auf sie vererbte Vermögen gering war, loos’ten, welcher von ihnen heirathen und das tapfere Geschlecht der Welfen fortpflanzen sollte.

Das Loos traf Herzog Georg, den sechsten Bruder.

Die Andern blieben ledig oder schlossen, nach der fürstlichen Mode jener Zeit, Ehen zur linken Hand.

Es ist ein seltsames Bild, wenn man sich denkt, wie der Fürst in seiner kleinen hölzernen Hauptstadt

stirbt und seine sieben Söhne das Loos werfen, wer die Krone erben und weiter überliefern soll.

Herzog Georg, der glückliche Gewinner, machte eine Reise durch Europa, während welcher er auch den Hof der Königin Elisabeth besuchte, und im Jahr 1617 kehrte er zurück und ließ sich mit einer Gemahlin von Darmstadt in Celle nieder. Seine übrigen Brüder wohnten der Ersparniß wegen ebenfalls alle in Celle.

Es dauerte nicht lange, so starben sie Einer nach dem Andern – alle diese ehrlichen Herzöge, Ernst und Christian, und August und Magnus, und Georg und John – und sie liegen begraben da drüben in der ziegelsteinernen Kirche zu Brendford an den sandigen Ufern der Aller.

Doctor Vehse entwirft ein ergötzliches Bild von der Lebensweise unserer Herzöge in Celle.

Wenn der Trompeter auf dem Thurme geblasen hat – befiehlt Herzog Christian – das heißt um neun Uhr des Morgens und um vier Uhr des Abends, muß Jeder bei Tische sein, und wer nicht da ist, bekommt Nichts zu essen.

Keiner der Diener, er wäre denn mit einem Auftrage fortgeschickt worden, darf in der Küche oder

im Keller essen. oder ohne besondere Erlaubniß seine Pferde auf Kosten des Herzogs füttern. Wenn das Mahl in dem Hofzimmer aufgetragen ist, so macht ein Page die Runde und heißt einen Jeden ruhig und gesetzt sein, und verbietet alles Fluchen, Schwören und rohe Benehmen, eben so wie alles Herumwerfen von Brod, Knochen oder Braten und das Einstecken derartiger Gegenstände.

Jeden Morgen um sieben Uhr bekommen die Knappen ihre Morgensuppe, und mit dieser eben so wie mit dem Mittagsmahl zugleich ihren Tischtrunk – jeden Morgen, mit Ausnahme des Freitag Morgens, wo Predigt war und es Nichts zu trinken setzte. Jeden Abend bekommen sie ihr Bier und Abends ihren Schlaftrunk.

Der Kellermeister hat ganz besonders Auftrag, weder Edelmann noch Gemeinen in den Keller gehen zu lassen. Wein kommt blos auf die Tafel des Fürsten oder des Rathes, oder Kanzlers, und jeden Montag befiehlt der alte ehrliche Herzog Christian, daß die Rechnungen gemacht und die Ausgaben für die Küche, für den Wein- und Bierkeller, für das Backhaus und den Stall zusammengestellt werden.

Herzog Georg, der, welcher geheirathet hatte,

blieb nicht zu Hause, um von dem Bier und Wein mit zu genießen, oder die Predigten mit anzuhören. Er ging hin, wo es etwas zu kämpfen gab and wo Gewinn zu holen war. Er diente als General in der Armee des des niedersächsischea Kreises, der protestantischen Armee; dann ging er zum Kaiser über und focht mit seinen Heeren in Deutschland und Italien, und als Gustav Adolph in Deutschland erschien, nahm Georg Dienste als schwedischer General und bemächtigte sich der Abtei Hildesheim.als seines Antheils an der Beute.

Hier starb im Jahre … Herzog Georg, und hinterließ vier Söhne, von deren jüngstem unsere königlichen George abstammen.

Drittes Kapitel.

Unter den Kindern des Herzogs Georg scheinen die alten gottesfürchtigen, schlichten Lebensgewohnheiten von Celle aus der Mode gekommen zu sein.

Der zweite Bruder besuchte fortwährend Venedig und führte dort ein lustiges, lasterhaftes Leben.

Es war dies zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts die lebenslustigste aller Städte, und Militairs eilten nach Beendung eines Feldzuges dorthin, so wie die Krieger der Alliirten im Jahr 1814 nach Paris eilten, um dort zu spielen, sich zu erlustiren und an allen Arten ruchloser Vergnügungen Theil zu nehmen.

Dieser Prinz also, welcher Venedig und dessen Freuden liebte, brachte italienische Sängerinnen und Tänzerinnen mit nach dem ruhigen alten Celle und,

was noch schlimmer war, er erniedrigte sich dadurch, daß er eine französische Dame von weit geringerer Geburt, als die seinige war, heirathete. Es war Eleonore von Olbreuse, von welcher unsere Königin abstammt,

Eleonore hatte eine. schöne Tochter, die ein bedeutendes Vermögen erbte, welches ihrem Cousin, Georg Ludwig von Hannover, den Wunsch einflößte, sie zu heirathen, so daß sie eben in Folge ihrer Schönheit und ihres Reichthums ein trauriges Ende nahm.

Es würde uns zu lange aufhalten, wenn wir erzählen wollten, wie die vier Söhne des Herzogs Georg seine Gebiete unter sich theilten, und wie dieselben endlich in den Besitz des Sohnes des jüngsten der vier Brüder kamen.

In dieser Generation ward der protestantische Glaube in der Familie beinahe wieder ausgerottet, und wo hätten wir in England dann einen König hernehmen sollen?

Der dritte Bruder fand ebenfalls Vergnügen an dem Aufenthalt in Italien, wo die Priester ihn und obendrein seinen protestantischen Kaplan bekehrten.

In Hannover ward wieder Messe gelesen, und

italienische Sopranistin quäkten ihre lateinischen Verse anstatt der Kernlieder, welche Wilhelm der Fromme und Doctor Luther sangen.

Ludwig der Vierzehnte gab diesen und anderen Bekehrten eine freigebige Pension. Eine Menge Franzosen und glänzende französische Moden kamen an den Hof unseres Herzogs.

Es ist unberechenbar, wie viel jener königliche Prahler Deutschland kostete. Jeder Fürst ahmte den französischen König nach und hatte sein Versailles, sein Wilhelmshöhe, oder Ludwigslust, seinen Hof und dessen Glanz, seinen mit Statuen geschmückten Garten, seine Wasserkünste und Tritonen, seine Schauspieler, Tänzer, Sänger und Musikanten, seinen Harem, seine Diamanten und Herzogthümer für die Bewohnerinnen dieses Harems, seine riesigen Festlichkeiten, seine Spieltische, Turniere, Maskeraden und Bankette, die eine Woche lang dauerten und welche das Volk mit seinem Gelde bezahlen mußte, wenn es welches hatte, oder mit seinem Fleisch und Blut, wenn es kein Geld hatte, denn es ward zu Tausenden von seinen Herren und Meistern verkauft, die einen großartigen Soldatenhandel trieben, am Spieltische oft ein Regiment auf eine einzige Karte setzten, oder ein

Bataillon für das Halsband einer Tänzerin hingaben und gleichsam ihr Volk in die Tasche steckten.

Wenn man mittelst aus jener Zeit herrührender Reisebeschreibungen einen Blick auf das Europa zu Anfange des vorigen Jahrhunderts wirft, so ist das Schauspiel ein entsetzliches.

Ausgeplünderte, verheerte Gegenden, halb verbrannte Hütten und zitternde Landleute sieht man, welche eine klägliche Ernte einsammeln, Söldnerschaaren, die von Bajonetten vorwärts getrieben werden, und Korporale mit Stöcken und Kantschuen, um sie in die Kaserne hinein zu prügeln.

An diesen vorüber rasselt der vergoldete Wagen des Landesherrn durch die tiefausgefahrenen Gleise der grundlosen Straße, und er flucht auf die Postillone, die sich mühen, die Residenz so bald als möglich zu erreichen. Dicht dabei, aber fern von dem Lärm und dem Getöse der Bürger und Gewerbtreibenden, liegt Wilhelmslust oder Ludwigsruhe oder Monbijou, oder Versailles – es kommt kaum darauf an, was für eins – nahe bei der Stadt durch Waldungen abgeschlossen von dem verarmten Lande, der ungeheure, abscheuliche, vergoldete, unförmliche Marmorpalast, wo der Fürst wohnt und der Hof, und die

zierlichen Gärten und großartigen Wasserkünste, und der Wald, wo die zerlumpten Bauern das Wild treiben müssen – es ist ihnen bei Todesstrafe verboten, nur eine Feder anzurühren, und die lustige Jagd fegt vorbei mit ihren karmoisinrothen, goldenen Uniformen, und der Fürst sprengt voran und bläst sein königliches Horn, und seine Herren und Damen reiten hinter ihm her und der Hirsch wird niedergehetzt, und der Oberjägermeister überreicht unter schmetternder Fanfare dem Fürsten den Hirschfänger, und dann geht der Hof nach Hause zu Tische, und unser edler Reisender, mag es nun der Baron von Pöllnitz oder der Graf von Königsmark, oder der vortreffliche Chevalier de Seingalt sein, sieht die Procession durch die zierlichen Baumgänge des Waldes schimmern und eilt in das Gasthaus, und läßt seinen adeligen Namen bei dem Hofmarschall anmelden.

Dann kleidet sich unser Edelmann in Grün und Gold, oder Roth und Silber, nach der kostbarsten pariser Mode und wird durch den Kammerherrn eingeführt, und macht seine Verbeugung vor dem lustigen Fürsten und der gnädigen Fürstin, und wird den vornehmsten Herren und Damen vorgestellt, und

dann kommt das Souper und eine Pharobank, wo er, ehe es Tag wird, tausend Goldstücke verliert oder gewinnt.

Wenn es ein deutscher Hof ist, so kann man zu diesem Bilde des Hoflebens noch eine gehörige Quantität Trunkenheit hinzufügen; mag der Hof aber ein deutscher, oder französischer, oder spanischer sein, – wenn man aus den Palastfenstern über die zierlich verschnittenen Waldfernsichten hinausschauen kann, so sieht man draußen das Elend; der Hunger schleicht um die kahlen Dörfer herum und treibt gedankenlos ein wenig unsicheren Feldbau, oder sammelt furchtsam dürftige Ernten ein.

August der Starke sitzt wohlgenährt und munter auf seinem Thron; er kann mit seiner Faust einen Stier erlegen und auch fast aufessen. Seine Maitresse, Aurora von Königsmark, ist das reizendste, witzigste Wesen; seine Diamanten sind die größten und herrlichsten von der Welt, und seine Feste und Gelage eben so glänzend, wie die von Versailles.

Was Ludwig den Großen betrifft, so ist er mehr als sterblich. Hebe Deine Blicke ehrerbietig empor und siehe, wie er Frau von Fontanges oder Frau von Montespan unter seiner wallenden Lockenperrücke

hervor mustert, während er durch die große Galerie schreitet, wo Villars und Vendome, Berwick, Bossuet und Massillon harren. Kann es einen glänzenderen Hof, stolzere und stattlichere Edelleute und Ritter und reizendere, liebenswürdigere Damen geben?

Einen größern Monarchen oder einen elenderen, ausgehungerteren Unglücklichen, als den Bauer, seinen Unterthan, kann man nicht sehen.

Wir wollen diese beiden Vorbilder in der Erinnerung behalten, wenn wir die alte Gesellschaft richtig zu beurtheilen wünschen.

Wir sollen uns auch des Ruhmes und der Ritterlichkeit erinnern? Ja, wir erinnern uns der Anmuth und Schönheit, des Glanzes und der feinen Lebensart; der tapfern Courtoisie von Fontenoy, wo die französische Linie die Herren von der englischen Garde bittet, zuerst zu feuern; der edlen Beständigkeit und Villars, seines Generals, welcher die letzte Armee mit dem letzten Thaler des Schatzes ausrüstet und bei Denain dem Feinde entgegengeht, um für Frankreich zu sterben oder zu siegen.

Aber rund um all’ diesen königlichen Glanz herum liegt eine in Sklavenketten geschlagene, ruinirte Nation. Wir sehen überall Menschen, die ihrer Rechte

beraubt werden, verheerte Gemeinden – Glauben, Gerechtigkeit, Verkehr mit Füßen getreten und beinahe vernichtet – ja, in dem Mittelpunkte des Königthums selbst, welche entsetzliche Verworfenheit und Schmach, welche Verbrechen!

Oft ist es nur eine einfältige, freche Metze, vor welcher die edelsten Herren und einige der stolzesten Frauen der Welt den Nacken beugen; es ist der Preis einer elenden Provinz, den der König in Diamanten um den weißen Hals seiner Maitresse bindet.

In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, sage ich, geht dies in ganz Europa so. Sachsen ist absolut eine Wüstenei wie die Picardie und Artois, und Versailles ist blos größer, aber nicht schlechter, als Herrenhausen.


Viertes Kapitel.

Es war der erste Kurfürst von Hannover, welcher die glückliche Heirath schloß, die uns Briten das Geschlecht der hannöverschen Souveraine schenkte.

Neun Jahre, nachdem Karl Stuart den Kopf durch Henkershand verloren, heirathete seine Nichte, Sophie, eins der vielen Kinder eines andern unglücklichen entthronten Souverains, des Kurfürsten von der Pfalz, den Herzog Ernst August von Braunschweig, und brachte neben ihrem andern dürftigen Heirathsgut auch die Anwartschaft auf die Krone der drei Königreiche mit.

Eine der schönsten, heitersten, verständigsten, schlauesten und gebildetsten der Frauen war diese Sophie, die Tochter des armen Friedrich, des Winterkönigs von Böhmen.

Die andern Töchter der schönen, unglücklichen Elisabeth Stuart gingen zur katholischen Kirche über, diese aber blieb zum Glück für ihre Familie, der reformirten Religion, ich kann nicht sagen, treu, nahm aber wenigstens keine andere an.

Ein Agent des französischen Königs, Gourville, selbst ein Bekehrter, bemühete sich, sie und ihren Gatten zur Einsicht der Wahrheit zu bringen und sagt uns, er habe eines Tages die Herzogin von Hannover gefragt, zu welcher Religion ihre Tochter, damals ein hübsches Mädchen von dreizehn Jahren, sich bekenne.

Die Herzogin antwortete, die Prinzessin habe bis jetzt noch gar keine Religion. Man warte nämlich erst, bis man wüßte, zu welcher Religion sich ihr künftiger Gemahl bekennen würde, ob zur protestantischen, oder zur katholischen, bevor man sie überhaupt in religiösen Dingen unterrichten ließe.

Und der Herzog von Hannover sagte, als er Gourville’s Vorschläge vollständig angehört, eine Veränderung werde in seinem Hause allerdings vortheilhaft sein, er selbst aber sei zu alt, um sich noch zu verändern.

Diese schlaue Frau hatte so scharfe Augen, daß

sie wußte, wie sie dieselben bei gewissen Gelegenheiten zu schließen hatte, und war blind gegen viele Fehler, welche, wie es schien, ihr Gemahl, der Bischof von Osnabrück und Herzog von Hannover, beging.

Er liebte nämlich sein Vergnügen, wie andere Monarchen – war ein lustiger Fürst, der den Freuden der Tafel und der Flasche ergeben war; er ging gern nach Italien, wie seine Brüder vor ihm gethan, und wir lesen, wie er ganz jovial 6700 Mann seiner Hannoveraner an die Regierung der Republik Venedig verkaufte. Sie zogen tapfer fort nach Morea unter dem Befehl von Ernst’s Sohne, des Prinzen Max, aber nur 1400 von ihnen sahen die Heimath wieder.

Die deutschen Fürsten trieben, wie schon bemerkt worden, in diesem Artikel ein flottes Geschäft. Man entsinnt sich, wie Georg’s des Dritten Regierung ganze Regimenter Hessen kaufte und welchen Gebrauch wir davon während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges machten.

Die. Ducaten, welche Herzog Ernst für seine Soldaten bekam, verthat er in einer Reihenfolge der glänzendsten Festlichkeiten. Nichtsdestoweniger war der joviale Fürst sparsam und behielt sein Interesse

scharf im Auge; er erlangte die Kurwürde, verheirathete seinen ältesten Sohn mit seiner schöne Cousine von Celle und schickte seine Söhne als Befehlshaber von Armeen hinaus in den Kampf – bald für diese Partei, bald für jene.

So lebte er, ging seinem Vergnügen nach und entwarf seine Pläne als ein lustiger, kluger Fürst, obschon, fürchte ich, nicht als ein sehr moralischer Fürst, von welcher Gattung wir überhaupt im Laufe dieser Vorlesungen sehr wenig Exemplare sehen werden.


Fünftes Kapitel.

Ernst August hatte im Ganzen sieben Kinder, von welchen einige ungerathen waren und sich gegen das von dem Kurfürsten eingeführte System des Erstgeburtsrechts und der Nichttheilung des Eigenthums empörten.

„Gustchen,“ schreibt die Kurfürstin in Bezug auf ihren zweiten Sohn, „Gustchen ist ausgeschlossen und sein Vater will ihm Nichts mehr geben. Ich lache während des Tages und weine die ganze Nacht darüber, denn ich bin mit meinen Kindern wie eine Närrin.“

Drei von den sechs Söhnen blieben im Kampfe gegen Türken, Tartaren und Franzosen. Einer davon betheiligte sich bei einer Verschwörung, revoltirte, floh nach Rom und ließ einen Agenten zurück, welchem der Kopf abgeschlagen ward.

Die Tochter, von deren erster Erziehung wir oben sprachen, ward an den Kurfürsten von Brandenburg verheirathet und zu ihrer Religion auf diese Weise endlich die protestantische gewählt.

Eine Nichte der Kurfürstin Sophie – welche bewogen worden, die Religion zu wechseln und den Herzog von Orleans, Bruder des französischen Königs, zu heirathen, eine Frau, deren redliches Herz stets bei ihren Freunden und dem lieben alten Deutschland war, obschon ihr kleiner dicker Körper in Paris oder Marly, oder Versailles weilte – hat uns in ihrer ungeheuer umfangreichen Correspondenz – wovon ein Theil in deutscher und französischer Sprache gedruckt worden – Erinnerungen an die Kurfürstin und an Georg, ihren Sohn, hinterlassen.

Elisabeth Charlotte war in Osnabrück, als Georg im Jahre 1660 geboren ward. Nur mit genauer Noth entging sie einer körperlichen Züchtigung, weil sie an diesem segensreichen Tage im Wege war.

Sie scheint dem kleinen Georg eben so wenig gewogen gewesen zu sein, wie dem erwachsenen, und schildert ihn als widerwärtig, hart, kalt und schweigsam.

Schweigsam mag er gewesen sein und nicht ein lebenslustiger Fürst, wie sein Vater vor ihm, dabei aber war er ein kluger, ruhiger, egoistischer Potentat, der seinen eigenen Weg ging, seine Angelegenheiten selbst besorgte und sein eigenes Interesse ausgezeichnet gut verstand.

Bei Lebzeiten seines Vaters und an der Spitze der acht oder zehntausend Mann zählenden Streitmacht von Hannover, diente Georg dem Kaiser an der Donau gegen die Türken, bei der Belagerung von Wien, in Italien und am Rhein. Als er Kurfürst ward, führte er seine Angelegenheiten mit großer Klugheit und Gewandtheit.

Sein Volk in Hannover war ihm sehr gewogen. Er trug seine Gefühle nicht zur Schau, aber er weinte von Herzen, als er fortging, und das Volk weinte vor Freuden, wenn er einmal wieder kam.

Er bewies ungewöhnliche Klugheit und Kaltblütigkeit des Benehmens, als er in sein Königreich kam. Er ließ sich nicht zu Ueberhebung verleiten, denn er bedachte mit Recht, daß er ja vielleicht früher oder später wieder vertrieben werden könnte.

Daher betrachtete er sich blos als Miethsmann und suchte sein kurzes, ungewisses Verweilen in

St. James und Hampden Court so gut als möglich zu benutzen.

Allerdings plünderte er ein wenig und theilte den Raub mit seinem deutschen Gefolge, aber was konnte man Anderes von einem Monarchen erwarten, welcher daheim seine Unterthanen zu so und so viel Ducaten per Kopf verkaufen konnte und sich niemals ein Gewissen daraus machte, auf diese Weise über sie zu verfügen?

Er bewies einen bedeutenden Grad von Schlauheit, Klugheit und auch Mäßigung.

Der deutsche Protestant war ein wohlfeilerer, besserer und gutmüthigerer König, als der katholische Stuart, auf dessen Stuhl er saß, und gegen England in so weit redlich, als er England sich selbst regieren ließ. –

Als ich den Plan zu diesen Vorlesungen entwarf, machte ich es mir zur Pflicht, die häßliche Wiege zu besuchen, in welcher unsere George groß gezogen wurden

Die alte Stadt Hannover sieht wahrscheinlich jetzt noch ziemlich ganz so aus, wie zu der Zeit, wo Georg Ludwig sie verließ. Die Gärten und Pavillons von Herrenhaus«n sind kaum verändert seit dem

Tage, wo die dicke alte Kurfürstin Sophie auf ihrem letzten Spaziergange darin niederfiel und der Tochter Jakob’s des Zweiten, deren Tod den Braunschweiger Stuarts in England den Weg bahnte, um nur wenige Wochen in’s Grab voranging.

Die beiden ersten königlichen George und ihr Vater Ernst August besaßen in Bezug auf das Heirathen ganz königliche Begriffe, und Ludwig der Vierzehnte und Karl der Zweite zeichneten sich in Versailles und St. James kaum mehr aus, als diese deutschen Sultane in ihrer kleinen Stadt an den Ufern der Leine.

In Herrenhausen kann man jetzt noch das sehr ländliche Theater sehen, auf welchem die Platens tanzten und Maskenspiele aufführten und vor dem Kurfürsten und seinen Söhnen sangen.

Man sieht hier noch dieselben steinernen Faune und Dryaden, welche durch die Zweige schimmern, grinsend und ihre stummen Weisen blasend, gerade wie zu der Zeit, wo geschmückte Nymphen sie mit Guirlanden bekränzten, unter den laubreichen Arkaden mit vergoldeten Krummstäben erschienen, Widder mit vergoldeten Hörnern führten, als Diana oder Minerva in Lustwagen herabstiegen und den aus

dem Feldzuge heimgekehrten Prinzen unermeßliche allegorische Schmeicheleien sagten.

Es herrschte damals in Europa ein merkwürdiger Zustand der Moral und der Politik, eine seltsame Folge des Triumphs des monarchischen Princips. Die Adelsherrschaft war niedergeworfen, die Edelleute waren in ihren Zwistigkeiten mit der Krone so ziemlich besiegt, und der Monarch war Alles in Allem. Er ward fast ein Gott und die stolzesten, aus den ältesten Geschlechtern stammenden Edelleute des Landes verrichteten gemeine Dienstleistungen für ihn.

Wer trug Ludwig dem Vierzehnten das Licht, wenn er zu Bett ging? Welcher Prinz vom Geblüt hielt dem König das Hemd, wenn seine allerchristlichste Majestät dieses Kleidungsstück wechselte? Die französischen Memoiren des siebzehnten Jahrhunderts enthalten eine Menge solcher Einzelnheiten und derartiges Gewäsch.

Die Tradition ist auch jetzt noch nicht erloschen in Europa. Jeder von den Myriaden, welche bei dem glänzenden Schaugepränge der Eröffnung des Krystallpalastes in London zugegen waren, muß gesehen haben, wie zwei edle Lords, hohe Beamte des königlichen Haushalts, mit alten Stammbäumen,

mit gestickten Röcken, mit Sternen auf der Brust und Stäben in den Händen, während des königlichen Zuges beinahe eine Meile weit rückwärts gingen.

Sollen wir über diese aus der alten Welt stammenden Ceremonieen uns wundern – sollen wir uns ärgern – oder sollen wir darüber lachen?

Man betrachte sie wie man wolle, je nach seiner Laune und mit Verachtung, oder mit Ehrerbietung, oder mit Aerger und Kummer, je nachdem man gestimmt ist.

Gesler’s Hut steckt auf der Stange. Begrüße dieses Symbol der unumschränkten Gewalt mit inniggefühlter Ehrfurcht, oder mit einem mürrischen Achselzucken der schweigenden Zustimmung, oder mit einem grinsenden Bückling, oder mit einem hartnäckigen rebellischen Nein – ziehe Deinen Filz bis über die Ohren und weigere Dich, ihn vor diesem mit Flittern besetzten Sammet und wallenden Federbusche abzunehmen. Ich mache keine Glossen über das Benehmen der Zuschauer, sondern sage weiter Nichts, als daß Gesler’s Hut auch heute noch auf dem Marktplatze von Europa aufgesteckt steht, und nicht wenig Leute immer noch davor knieen.

Man setze tölpische, hohe holländische Statuen

an die Stellen der marmornen von Versailles, man denke sich die Wasserkünste von Herrenhausen an die Stelle der von Marly; man besetze die Tische mit Schweinskopf, Specksuppe, Leberkuchen und dergleichen Delicatessen, anstatt der französischen couisine, man denke sich, wie Frau von Kielmannsegge mit dem Kammerjunker Grafen Quirini tanzt, oder französische Lieder mit dem fürchterlichsten deutschen Accent singt; man denke sich ein grobes Versailles, und wir haben Hannover vor uns.

„Ich bin nun in die Region der Schönheit gelangt,“ schreibt Mary Wortley im Jahre 1716 aus Hannover. „Alle Frauen haben buchstäblich rosige Wangen, schneeweiße Stirnen und Nacken, schwarze Augenbrauen und in der Regel auch kohlschwarzes Haar. Diese Vorzüge werden ihnen auch bis zum Tage ihres Todes nicht untreu, und machen bei Kerzenlicht einen sehr schönen Effect; ich für meine Person aber möchte wünschen, daß ein wenig mehr Abwechselung in dieser Schönheit wäre. Sie sehen einander so ähnlich, wie Mistreß Salm’s Wachsfiguren, und schweben in eben so großer Gefahr, zu zerschmelzen, wenn sie dem Feuer allzunahe kommen.“

Die schlaue Mary Wortley sah dieses geschminkte

Serail des ersten Georg von Hannover im Jahre nach seiner Gelangung auf den britischen Thron. Es wurden damals große Festlichkeiten gefeiert.

Lady Mary sah hier auch Georg den Zweiten.

„Ich kann,“ sagte sie, „ohne Schmeichelei und ohne Parteilichkeit versichern, daß unser junger Prinz alle Vorzüge besitzt, die man in seinem Alter haben kann – mit Ausdruck von Witz und Verstand, und in seinem Benehmen etwas so Gewinnendem, daß es nicht des Vortheils seines Ranges bedarf, um reizend und liebenswürdig zu erscheinen.“

Anderwärts finde ich ähnliche Lobreden auf Frederick, Prinz von Wales, den Sohn Georg’s des Zweiten, natürlich auch auf Georg den Dritten und in ganz besonderem Grade auf Georg den Vierten.

Es war damals Regel, daß man von Prinzen geblendet ward, und die Augen des Volks blinzelten ganz ehrlich vor diesem königlichen Glanze.


Sechstes Kapitel.

Der kurfürstliche Hofstaat von Hannover war zahlreich und für die damaligen Zeiten auch gut bezahlt, vor allen Dingen mit einer Pünktlichkeit bezahlt, deren sich wenig andere europäische Höfe rühmen konnten.

Es wird meinen Zuhörern vielleicht Vergnügen machen, zu wissen, wie der kurfürstliche Hof zusammengesetzt war.

Den ersten Rang nahmen die Prinzen des Hauses ein, und den zweiten der einzige Feldmarschall der Armee – „das Contingent zählte achtzehntausend Mann.“ sagt Pöllnitz. „und der Kurfürst hatte noch anderweite vierzehntausend Mann Truppen in seinem Sold.“ –

Dann folgen in gebührender Ordnung die Civil-

und Militairbehörden, die geheimen Räthe, die Generale der Cavallerie und Infanterie, welche die dritte Klasse bilden. Dann kommen der Oberkammerherr, die Oberhofmarschälle, die Oberstallmeister, die Generalmajore der Cavallerie und Infanterie der vierten Klasse, bis herab zu den Majors, den Hofjunkern. den Pagen, den Secretairs oder Assessoren in der zehnten Klasse, die sämmtlich von Adel waren.

Der Stallmeister hatte 1090 Thaler Gehalt, der Oberkammerherr 2000 – ein Thaler war ungefähr drei Schillinge unseres Geldes.

Es gab zwei Oberkammerherren und einen für die Prinzessin; fünf Kammerherren und fünf Ceremonienmeister. elf Pagen und Personen zum Unterricht dieser jungen Edelleute – wie z. B. einen Gouverneur, einen Präceptor, einen Fechtmeister und einen Tanzmeister, diese letztern mit einem schönen Gehalt von 400 Thalern.

Es gab drei Leib- und Hofärzte mit 800 und 500 Thalern; einen Hofbarbier mit 600 Thalern; einen Hoforganisten, zwei Musikanten, vier französische Geiger, zwölf Trompeter und einen Hornisten, so daß an Musik, geistlicher sowohl als weltlicher, in Hannover kein Mangel war.

Es gab zehn Kammerdiener und vierundzwanzig Lakaien in Livrée; einen maître d’hôtel und mehrere Küchendiener, einen französischen Koch, einen Leibkoch, zehn Köche, sechs Küchenjungen, zwei Bratenmeister – man denkt sich dabei ungeheure Bratspieße, welche sich langsam umdrehen, während sie von den ehrlichen Bratenmeistern begossen werden – einen Pastetenbäcker, und endlich drei Scheuerweiber mit dem bescheidenen Gehalte von elf Thalern.

In der „Zuckerstube“ gab es vier Conditoren, ohne Zweifel für die Damen, sieben Beamte in den Wein- und Bierkellern; vier Brodbäcker und fünf Leute in dem Geschirrzimmer.

In den Ställen gab es sechshundert Pferde – nicht weniger als zwanzig Gespanne fürstlicher Wagenpferde, acht auf ein Gespann – sechzehn Kutscher, vierzehn Postillone, neunzehn Stallknechte, dreizehn Gehülfen, außer Schmieden, Wagenmeistern, Thierärzten und andern Stallbedienten.

Die weibliche Dienerschaft war nicht so zahlreich. Es schmerzt mich, zu finden, daß sie aus blos zwölf bis vierzehn Personen bestand, wie es denn auch für den ganzen Hof blos zwei Waschweiber

gab. Diese Leute hatten damals nicht so viel zu thun, wie jetzt.

Ich gestehe, es macht mir Vergnügen, in den Chroniken nach dergleichen Bagatellen herumzustöbern. Ich bevölkere die alte Welt gern mit ihren alltäglichen Gestalten und Bewohnern – nicht sowohl mit Helden, welche ungeheure Schlachten schlagen und zurückgeworfene Bataillone wieder in’s Treffen führen, oder mit Staatsmännern, die in dunkle Cabinete eingeschlossen sitzen und über wichtige Gesetze oder furchtbare Verschwörungen nachdenken – als vielmehr mit Menschen, die mit ihrer alltäglichen Arbeit oder mit ihrem Vergnügen beschäftigt sind.

Ich sehe den Edelmann im Walde jagen oder bei Hofe tanzen, oder sich vor Serenissmo tief verbeugen. Hans Koch und seine Küchenjungen bringen die Mahlzeit aus der Küche; die lustigen Kellermeister bringen die Flaschen; der dicke Kutscher fährt den schwerfälligen vergoldeten Wagen mit acht Rossen in Geschirren von scharlachrothem Sammet und Maroquin, ein Postillon sitzt auf dem Sattelpferde, und ein paar oder ein halbes Dutzend Läufer rennen neben dem Wagen her mit kugelförmigen Mützen, langen Stöcken mit schweren silbernen Knöpfen

und über und über mit Silber und Gold betreßten Jacken.

Ich sehe, wie die Weiber und Töchter der Patrizier von den Balcons herabschauen, wie die Bürger, bei ihrem Bier und ihrer Mumme sitzend, aufstehen und die Mützen ziehen, wenn die Cavalcade mit Fackelträgern durch die Stadt kommt, während die Trompeter sich fast die Lunge ausblasen und ganze Schwadronen gestiefelter Leibgardisten in blanken Kürassen und auf riesigen Streitrossen sitzend, den Wagen Sr. kurfürstlichen Durchlaucht von Hannover nach Herrenhausen escortiren oder vielleicht auch bei Monplaisir, dem Landhause der Frau von Platen, welches auf der Hälfte des Weges von der Residenz nach dem Sommerpalaste liegt, Halt machen.

Siebentes Kapitel.

In dm guten alten Zeiten, von welchen ich spreche, wo das gemeine Volk heerdenweise fortgetrieben und verkauft ward, um gegen die Feinde des Kaisers an der Donau zu fechten, oder König Ludwig’s Truppen am Rheine zu schlagen, zogen Edelleute von Hof zu Hof, um bei einem oder dem andern Fürsten Dienste zu suchen, und übernahmen ganz natürlich das Commando über die gemeinen Soldaten, welche kämpften und starben, fast ohne Hoffnung auf Beförderung.

Adelige Abenteurer reis’ten von Hof zu Hof, um eine Anstellung zu suchen.

Es geschah dies aber nicht blos von Männern, sondern auch von adeligen Frauen, und wenn diese Letztern schön waren, und die Fürsten geneigte Notiz

von ihnen nahmen, so blieben sie an den Höfen, wurden die Favoritinnen der kurfürstlichen Durchlauchten oder königlichen Hoheiten, und empfingen große Summen Geld und prachtvolle Diamanten.

Gleichzeitig wurden sie auch zu Herzoginnen und Marquisen und dergleichen befördert, und verloren wegen der Art und Weise, auf welche sie zu dieser Beförderung gelangt waren, in der öffentlichen Achtung nicht sonderlich.

Auf diese Weise kam zum Beispiel Mademoiselle de Querouailles. eine schöne französische Dame, in einem speziellen Auftrage Ludwig’s des Vierzehnten nach London, und ward von unserem dankbaren Lande und Monarchen adoptirt und figurirte dann als Herzogin von Portsmouth.

Auf dieselbe Weise fand die schöne Aurora von Königsmark auf ihren Reisen Gnade vor den Augen August’s von Sachsen und ward die Mutter des Marschalls von Sachsen, der uns bei Fontenoy schlug; und auf diese Weise reis’ten auch die reizenden Schwestern Elisabeth und Melusine von Weißenbug – nachdem sie von Paris, wohin sie in gleicher Absicht gereis’t waren, durch die kluge Eifersucht der damals herrschenden Favoritin vertrieben worden – nach

Hannover und wurden die Favoritinnen des damals dort regierenden Herrscherhauses.

Jene schöne Aurora Königsmark und ihr Bruder sind wundervoll als Typen sonstiger Sitten und seltsame Illustrationen zu dem Texte, welcher die Moral der Vergangenheit behandelt.

Die Königsmarks stammten aus einer alten adeligen Familie in Brandenburg, von welcher eine Linie sich in Schweden angesiedelt hatte, wo sie sich bereicherte und mehrere gewaltige Männer von ausgezeichneter Tapferkeit hervorbrachte.

Der Gründer des Geschlechts war Hans Christoph, ein berüchtigter Haudegen und Plünderer im dreißigjährigen Kriege. Einer von Hans’ Söhnen, Otto, erschien als Gesandter am Hofe Ludwig’s des Vierzehnten und mußte bei seinem Empfange vor dem allerchristlichsten König eine schwedische Rede halten. Otto war ein berühmter Stutzer und Kriegsmann, die gelernte Rede aber hatte er vergessen, und was glaubt man wohl, was er that? Weit entfernt, aus der Fassung zu kommen, declamirte er seiner allerchristlichsten Majestät und dem Hofe einen Theil des schwedischen Katechismus vor. Natürlich verstand von allen Anwesenden kein Mensch Etwas davon, als sein

eigenes Gefolge, welches freilich kaum im Stande war, die in Gegenwart des Königs sich gebührende Aufmerksamkeit zu bewahren.

Otto’s Neffe, Aurora’s älterer Bruder, Carl Johann von Königsmark, ein Günstling Carl’s des Zweiten, ein schöner Mann, ein Stutzer, ein Krieger, ein Schurke von mehr als gewöhnlichem Schlage, entging in England, wo er Tom Thynne von Longlead ermordete, nur mit Mühe dem wohlverdienten Tode am Galgen. Er hatte damals einen kleinen Bruder mit sich in London, der ein eben so schöner Mann, ein eben so großer Stutzer und ein eben so großer Schurke war, als sein älterer Bruder. Dieser junge Mann, Philipp von Königsmark, war auch mit in jene Mordgeschichte verwickelt, und vielleicht kann man es nur beklagen, daß es ihm gelang, seinen schönen Hals aus der Schlinge zu ziehen.

Er ging nach Hannover und ward hier bald zum Obersten eines kurfürstlichen Dragonerregiments ernannt. Während seiner frühern Jugend war er Page am Hofe von Celle gewesen und man sagte, er und die hübsche Prinzessin Sophia Dorothea, welche nun mit ihrem Cousin Georg, dem Kurprinzen, vermählt war, hätten einander als Kinder

geliebt. Diese Liebe sollte jetzt, obschon nicht in unschuldiger Weise, erneuet werden und ein furchtbares Ende nehmen.

Es ist kürzlich eine Biographie der Gemahlin Georg’s des Ersten von Doctor Doran erschienen, und ich gestehe, daß ich über das Urtheil. welches dieser Autor fällt, und über seine Freisprechung dieser unglücklichen Frau sehr erstaunt bin.

Daß sie einen kalten, egoistischen Lüstling zum Manne hatte, kann Niemand bezweifeln; daß der schlimme Gatte aber auch ein schlimmes Weib hatte, das ist eben so klar. Sie ward des Geldes oder der Convenienz halber mit ihrem Cousin vermählt, wie alle Prinzessinnen vermählt wurden. Sie war sehr schön, lebhaft, witzig, gebildet; seine Rohheit berührte sie unangenehm, sein Schweigen und seine Kälte entfremdeten sie ihm, seine Grausamkeit beleidigte sie. Kein Wunder daher, daß sie ihn nicht liebte.

Wie konnte auch Liebe ein Theil des Vertrags bei einer solchen Ehe sein?

Das auf diese Weise freigebliebene Herz schenkte die arme Frau ihrem Jugendgeliebten, Philipp von Königsmark, einem der größten Strolche, von welchen

die Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts zu erzählen weiß.

Hundert und achtzig Jahre, nachdem dieser Mensch in sein jetzt noch unbekanntes Grab gebettet worden, stößt ein schwedischer Professor in der Universitätsbibliothek zu Upsala auf eine Kiste Briefe, welche Philipp und Dorothea an einander geschrieben und welche ihre klägliche Geschichte erzählen.

Der bezaubernde Königsmark hatte in Hannover zwei Frauenherzen erobert. Außer der reizenden jungen Gattin des Kurprinzen, Sophia Dorothea, hatte er auch einer abscheulichen alten Hofdame, der Gräfin von Platen, eine heftige Leidenschaft eingeflößt. Die Prinzessin scheint ihn mit einer vieljährigen Treue verfolgt zu haben. Ganze Stöße Briefe folgten ihm auf seinen Feldzügen und wurden durch den kühnen Abenteurer beantwortet. Die Prinzessin wollte mit ihm fliehen, um von ihrem widerwärtigen Gemahl um jeden Preis hinwegzukommen. Sie bat ihre Eltern, sie wieder zu sich zu nehmen; sie ging mit dem Gedanken um, sich nach Frankreich zu flüchten und katholisch zu werden, ja sie hatte schon ihre Juwelen zusammengepackt und höchst wahrscheinlich alle Einzelnheiten mit ihrem Geliebten in jener

nächtlichen langen Unterredung besprochen, nach welcher Philipp von Königsmark für immer verschwunden war,

Königsmark hatte einmal im Weinrausche – es giebt kaum ein Laster, welches, wie er selbst zeigte, dieser Mann nicht geübt hätte – bei einem Souper in Dresden sich seiner vertrauten Bekanntschaft mit den beiden hannöverschen Damen, nicht blos mit der Prinzessin, sondern auch mit einer andern einflußreichen Dame in Hannover gerühmt. Die Gräfin Platen, die alte Favoritin des Kurfürsten, haßte den jungen Kurprinzen. Die junge Dame besaß lebhaften Witz und machte sich fortwährend über die alte lustig. Die Witzworte der Prinzessin wurden der alten Platen hinterbracht, gerade so wie heute noch unsere müßigen Worte umhergetragen werden, und so kam es, daß Beide einander haßten.

Achtes Kapitel.

Die Charaktere in dem Trauerspiel, über welches der Vorhang nun im Begriff steht, zu fallen, sind so schwarz und unheimlich, wie nur je ein menschliches Auge sie geschaut.

Wir sehen hier den lebenslustigen alten Fürsten, der verschmitzt, intriguant, den Trunk und die Bequemlichkeit liebt – nach meiner Ansicht macht sein guter Humor die Tragödie nur um so schauerlicher –; seine Gemahlin, welche wenig spricht, aber Alles beobachtet; seine alte geschminkte Isebel von einer Maitresse; seinen Sohn, den Kurprinzen, ebenfalls verschmitzt, ruhig, egoistisch und in der Regel schweigsam, ausgenommen, wenn er durch die unerträgliche Zunge seiner liebenswürdigen Gemahlin zur Wuth aufgestachelt ward; die arme Sophia

Dorothea mit ihrer Koketterie und ihrer leidenschaftliche Anhänglichkeit an ihren Strolch von Geliebten, mit ihren abenteuerlichen Unklugheiten und ihren tollen Kunstgriffen, und ihrer wahnsinnigen Treue und ihrer wüthenden Eifersucht in Bezug auf ihren Gemahl – obschon sie ihn verabscheuete und hinterging – und ihren ungeheuern Lügen; die Vertraute, natürlich, durch deren Hände die Briefe gehen, und endlich Lothario, den schönsten, verworfensten, unwürdigsten Menschen, den man sich denken kann.

Wie verfolgt diese verkehrte Treue der Leidenschaft den Bösewicht! Wie wahnsinnig treu ist das Weib, und wie staunenerregend lügt sie! Sie hat zwei oder drei Personen behext, die ihre Partei nehmen und an das von ihr begangene Unrecht durchaus nicht glauben.

Wie Maria von Schottland findet sie Männer, welche bereit sind, selbst in der Geschichte für sie zu conspiriren, und Leute, welche mit ihr zu thun haben, sind wie bezaubert und bestrickt und vom Teufel besessen.

Wie eifrig hat Miß Strickland Maria’s Unschuld vertheidigt! Sind nicht unter meinen Zuhörerinnen Viele, welche dasselbe thun? Ihre Unschuld! Ich

entsinne mich, daß, als ich noch Knabe war, eine große Partei hartnäckig erklärte, Caroline von Braunschweig sei ein Engel und eine Märtyrerin. Ebenso war auch Helene von Griechenland unschuldig. Sie lief niemals mit Paris, dem gefährlichen jungen Trojaner, davon. Menelaus, ihr Gatte, mißhandelte sie, und eine Belagerung von Troja hat es gar nicht gegeben.

Ebenso war auch Blaubart’s Weib unschuldig. Sie guckte niemals in die Kammer, wo die andern Weiber mit abgeschlagenen Köpfen lagen. Sie ließ niemals den Schlüssel fallen oder befleckte ihn mit Blut, und ihre Brüder hatten ganz Recht, wenn sie Blaubart, dem blutdürstigen Unmenschen, den Garaus machten!

Ja, Caroline von Braunschweig war unschuldig, und Madame Lafarge hat niemals ihren Mann vergiftet, und Maria von Schottland richtete den ihrigen niemals zu Grunde, und die arme Sophia Dorothea war niemals untreu, und Eva stahl niemals den Apfel – es war eine hinterlistige feige Lüge der Schlange.

Georg Ludwig ist als ein mörderischer Blaubart mit Schmähungen und Verwünschungen überhäuft

worden, während er doch an dem Vorgange, bei welchem Philipp von Königsmark in’s Jenseits befördert ward, keinen Antheil hatte.

Der Kurprinz war abwesend, als die Katastrophe eintrat. Die Prinzessin war auf hunderterlei Weise gewarnt worden, sanft und mild von den Eltern ihres Gemahls, grimmig und zornig von ihm selbst, achtete aber auf alle diese Rathschläge nicht mehr, als dergleichen arme bethörte Geschöpfe zu thun pflegen.

Sonntags, am 1.Juli 1694, Nachts machte Königsmark bei der Prinzessin einen langen Besuch und verließ sie, um sich zur Flucht zu rüsten, Ihr Gemahl war nach Berlin verreist, ihre Wagen und Pferde waren bestellt und zur Flucht bereit.

Mittlerweile hatten die Spione der Gräfin Platen diese Nachricht ihrer Herrin hinterbracht. Sie ging sofort zu Ernst August, und ließ sich von dem Kurfürsten einen Befehl zur Verhaftung des Schweden geben. Vier Trabanten wurden beauftragt, ihm auf dem Wege, auf welchem er kommen mußte, aufzulauern und ihn festzunehmen. Er wollte sich durch die vier Mann durchschlagen und verwundete mehr als einen von ihnen. Sie fielen über ihn her, hieben ihn nieder, und als er verwundet auf dem Boden

lag, kam die Gräfin, seine Feindin, die er hintergangen und beleidigt, heraus und sah ihn liegen. Er fluchte ihr mit seinen sterbenden Lippen, und das wüthende Weib versetzte ihm einen Fußtritt auf den Mund.

Gleich darauf gab man ihm vollends den Rest; seine Leiche ward den nächstfolgenden Tag verbrannt und alle Spuren von ihm vertilgt.

Den Trabanten, welche ihn getödtet, ward bei schwerer Strafe das strengste Schweigen zur Pflicht gemacht. Die Prinzessin war angeblich krank und blieb in ihren Gemächern, aus welchen sie im October desselben Jahres – sie war damals achtundzwanzig Jahr alt – hinweggeführt und als Gefangene auf das Schloß Ahlden gebracht ward, wo sie nicht weniger als zweiunddreißig Jahr lebte.

Vorher war zwischen ihr und ihrem Gemahl die Scheidung erklärt worden. Sie hieß von nun an die Prinzessin von Ahlden, und ihr schweigsamer Gemahl nannte ihren Namen nicht wieder.

Neuntes Kapitel.

Vier Jahre nach dieser Katastrophe starb Ernst August, der erste Kurfürst von Hannover, und Georg Ludwig, sein Sohn, gelangte zur Regierung. Sechzehn Jahre regierte er in Hannover, worauf er, wie wir wissen, König von Großbritannien, Frankreich und Irland und Vertheidiger des Glaubens ward.

Die lasterhafte alte Gräfin Platen starb im Jahr 1706. Sie hatte das Augenlicht verloren, nichtsdestoweniger aber erzählt die Sage, sie habe den Geist des ermordeten Königsmark fortwährend an ihrem Bett gesehen.

Im Jahr 1700 starb der kleine Herzog von Gloucester, das letzte der Kinder der armen Königin Anna, und die Leute von Hannover erlangten nun sofort in England eine ungeheuere Bedeutung. Der

Kurfürstin Sophia ward die nächste Anwartschaft auf den englischen Thron zuerkannt. Georg Ludwig ward zum Herzog von Cambridge ernannt; großartige Deputationen wurden von England nach Deutschland hinüber gesendet, die Königin Anna aber, deren schwaches Herz an ihren Verwandten in St. Germain hing, konnte nie vermocht werden, ihrem Cousin, dem Kurfürsten von Hannover und Herzog von Cambridge, zu erlauben, ihr persönlich seine Ehrfurcht zu bezeugen und seinen Sitz im Oberhause einzunehmen.

Hätte die Königin nur noch einen Monat gelebt; wären die englischen Tories eben so kühn und entschlossen gewesen, wie sie gewandt und schlau waren, hätte der Fürst, den die Nation liebte und bemitleidete, sein Glück zu erfassen verstanden, so hätte Georg Ludwig niemals in der königlichen Kapelle von St. James deutsch gesprochen.

Als die Krone dem Kurfürsten Georg Ludwig wirklich zufiel, beeilte er sich durchaus nicht, sie aufzusetzen. Er wartete noch eine Weile daheim, nahm liebreichen Abschied von seinem lieben Hannover und Herrenhausen, und machte sich ganz gemächlich auf den Weg, um den „Thron seiner Ahnen“ zu besteigen,

wie er ihn in seinen ersten Reden an das Parlament nannte.

Er brachte eine compacte Schaar Deutsche mit, deren Gesellschaft er liebte und die Se. königliche Person umgaben. Er hatte seine treuen deutschen Kammerherren, seine deutschen Secretaire; seine Neger, die er in den Kriegen gegen die Türken selbst erbeutet, seine beiden häßlichen schon bejahrten deutschen Favoritinnen, die Frau von Kielmannsegge und Schulenburg, welche er später respective zur Gräfin von Darlington und zur Herzogin von Kendall machtet

Die Herzogin war lang und mager von Statur und erhielt deßhalb den unehrerbietigen Spitznamen „die Kletterstange.“

Die Gräfin dagegen war eine sehr korpulente Dame, und man nannte sie deßhalb den „Elephanten.“

Diese Damen liebten Beide Hannover und dessen Freuden. Sie klammerten sich an die Lindenbäume der großen Allee von Herrenhausen und wollten den Ort anfänglich nicht verlassen.

Die Schulenburg konnte eigentlich ihrer Schulden wegen nicht kommen; als der Elephant aber

fand, daß die Kletterstange nicht abreis’te, packte er seine Koffer und entschlüpfte trotz seiner Plumpheit ziemlich gewandt aus Hannover.

Nun setzte sich sofort auch die Kletterstange in Bewegung und folgte ihrem Geliebten Georg Ludwig.

Es ist als spräche man von Capitain Macheath und Polly und Lucy. Den König, den wir gewählt hatten, die Höflinge, die sein Gefolge bildeten, die englischen Edelleute, welche kamen, um ihn zu bewillkommnen, und von welchen der schlaue alte Cyniker vielen den Rücken kehrte – ich gestehe, es ist dies ein wundersames satyrisches Gemälde. Ich bin zum Beispiel ein Bürger, welcher auf dem Hafendamme von Greenwich wartet und den König Georg mit lautem Hurrah begrüßt. Dennoch aber kann ich mich kaum enthalten, über die ungeheure Abgeschmacktheit dieser Ankunft zu lachen.

Hier liegen wir Alle auf unsern Knieen. Der Erzbischof von Canterbury wirft sich nieder vor dem Oberhaupt seiner Kirche, während die Kielmannsegge und die Schulenburg mit ihren dunkelrothen Gesichtern hinter dem Vertheidiger des Glaubens hervorgrinsen. Mylord, der Herzog von Marlborough, kniet ebenfalls hier, er, der größte Krieger aller

Zeiten; er, der den König Wilhelm betrog – den König Jacob den Zweiten – die Königin Anna – der England an die Franzosen verrieth, den Kurfürsten an den Prätendenten und den Prätendenten an den Kurfürsten – und eben so sehen wir hier Mylords Oxford und Bolingbroke, von welchen der letztere soeben den erstern zum Sturz gebracht hat und der, wenn er nur noch einen Monat Zeit gehabt hätte, den König Jacob nach Westminster geführt haben würde.

Die großen Whig-Gentlemen machten ihre Verbeugungen mit gehörigem Decorum, jener schlaue alte Intriguant kennt aber den Werth ihrer Loyalität.

„Loyalität gegen mich,“ denkt er bei sich selbst, „ist eine Abgeschmacktheit. Es giebt fünfzig Erben, die dem Throne näher stehen als ich. Ich bin blos ein Zufall und ihr wackern Whig-Gentlemen nehmt mich um Euretwillen, nicht um meinetwillen. Ihr Tories hasset mich, Du Erzbischof, der Du auf den Knieen liegst und vom Himmel schwatzest, Du weißt, daß ich mich um Deine neununddreißig Artikel keinen Pfifferling scheere, und daß ich von Deinen dummen Predigten kein Wort verstehe. Ihr, Mylords Bolingbroke und Oxford, Ihr wißt, daß Ihr vor einem

Monat gegen mich conspirirtet, und Du, Mylord, Herzog von Marlborough – Du würdest mich oder sonst Jemanden auf der Stelle verkaufen, wenn Du Deinen Vortheil dabei fändest. Komm, meine gute Melusine, komm, meine redliche Sophie, wir wollen in mein Privatzimmer gehen und einige Austern und ein paar Flaschen Rheinwein zu uns nehmen und dann eine Pfeife rauchen. Laßt uns unsere Situation so gut benutzen als wir können; laßt uns nehmen, was zu bekommen ist. Mögen diese großmäuligen, lügenhaften Engländer schreien und sich mit einander herumschlagen, wie sie wollen.“

Wäre Swift nicht für die Staatsmänner der unterliegenden Partei gewonnen gewesen, welch’ ein schönes satyrisches Bild würden wir von diesem allgemeinen sauve qui peut unter der Torypartei gehabt haben!

Wie still wurden die Tories! Wie machten das Ober- und Unterhaus sofort Kehrt und wie würdevoll hießen die Majoritäten den König Georg willkommen!

Bolingbroke machte in seiner letzten Rede vor dem Oberhause auf die Schmach der Pairschaft aufmerksam, wo mehrere Lords durch eine einzige allgemeine

Abstimmung Alles verdammten, was sie in frühern Parlamenten durch viele besondere Beschlüsse gutgeheißen hatten.

Eben so schmachvoll war ihre Handlungsweise. St. John’s Argument war ganz gut. aber die Abstimmung fiel dennoch zu seinem Nachtheile aus.

Es waren schlimme Zeiten für ihn angebrochen. Er führte philosophische Reden und betheuerte seine Unschuld. Er sehnte sich nach Zurückgezogenheit und war bereit, die Verfolgung und Zurücksetzung über sich ergehen zu lassen; als er aber hörte, daß der ehrliche Mat Prior, welcher von Paris zurückgerufen worden, im Begriff stand, in Bezug auf frühere Vorgänge zu plaudern, ergriff der Philosoph Reißaus und zog seinen schönen Kopf aus dem häßlichen Bereich des Richtbeils.

Oxford, der Träge und Gutmüthige, besaß mehr Muth und erwartete den Sturm zu Hause. Er und Mat Prior bekamen Beide Herberge im Tower angewiesen, aber Beide brachten ihre Köpfe unversehrt wieder aus dieser gefährlichen Menagerie heraus.

Als Atterbury einige Jahre später in dieselbe Höhle gebracht ward und man fragte, was weiter

mit ihm geschehen solle, sagte Cadogan, Marlborough’s Lieutenant:

„Was mit ihm geschehen soll? Werft ihn dem Löwen vor.“

Dem britischen Löwen jener Zeit lag jedoch nicht viel daran, das Blut friedlicher Pairs und Poeten zu trinken, oder die Knochen von Bischöfen zu zermalmen. Nur vier Personen wurden wegen der Rebellion von 1715 in London hingerichtet und zweiundzwanzig in Lancashire. Ueber tausend, welche mit den Waffen in der Hand festgenommen worden, unterwarfen sich der Gnade des Königs und baten, nach den königlichen Kolonieen in Amerika transportirt zu werden.

Ich habe gehört, daß die Nachkommen dieser Leute sich bei den Streitigkeiten, welche sechzig Jahre später entstanden, auf die Seite der Loyalisten stellten. Es ist angenehm, zu finden, daß ein Freund von uns, der würdige Dick Steele, sich dafür erklärte, daß den Rebellen das Leben geschenkt würde.

Zehntes Kapitel.

Wie amüsant ist es, zu bedenken, wie Alles hätte kommen können! Wir wissen, wie die unglücklichen schottischen Edelleute auf Lord Mar’s Ruf ausrückten, die weiße Kokarde, welche seit jener Zeit stets eine Blüthe melancholischer Poesie gewesen, aufsteckten und sich um die verhängnißvolle Stuart-Fahne bei Braemar sammelten. Mar, mit 8000 Mann, während ihm nur 1500 gegenüberstanden, hätte den Feind über den Tweed werfen und ganz Schottland besetzen können, aber der Heerführer des Prätendenten wagte nicht vorzurücken, obschon er den Sieg gewonnen.

Das Schloß von Edinburg wäre in König Jacob’s Hände gefallen, wenn nicht die Leute, die es erstürmen sollten, im Wirthshause die Zeit versäumt

hätten, um seine Gesundheit zu trinken, so daß sie zwei Stunden zu spät auf dem Sammelplatze unter den Mauern des Schlosses eintrafen.

Sympathie war in der Stadt genug vorhanden – der beabsichtigte Angriff scheint dort bekannt gewesen zu sein – Lord Mahon citirt Sinclair’s Bericht eines nicht betheiligten Gentleman, der Sinclair erzählte, er sei an diesem Abend in einem Hause gewesen, wo achtzehn Mann getrunken hätten, um, wie die witzige Wirthin sagte, zu dem Angriff auf das Schloß sich „das Haar zu pudern.“

Gesetzt, sie hatten nicht so lange Zeit gebraucht, um sich das Haar zu pudern? Dann wäre das Schloß von Edinburg, die Stadt und ganz Schottland in König Jacob’s Gewalt gewesen. Der Norden von England erhebt sich und marschirt über die Barnet-Haide auf London; Wyndham steht in Somersetshire, Packington in Worcestershire und Vivian in Cornwall. Der Kurfürst von Hannover und seine häßlichen Maitressen packen in London das Geschirr und vielleicht die Kronjuwelen zusammen und fliehen bis Harwich und Helvoetsluys zurück nach dem lieben alten Deutschland.

Der König – Gott segne ihn – landet in

Dover unter tobendem Beifallsgeschrei, die Kanonen donnern, der Herzog von Marlborough weint Freudenthränen und sämmtliche Bischöfe knieen im Schlamme. Nach wenigen Jahren wird in der St. Paulskirche Messe gelesen, im Münster von York Metten und Vesper gesungen und Doctor Swift wird aus seinem Diakonat zu St. Patrick heraus geworfen, um dem Pater Dominic von Salamanca Platz zu machen.

Alle diese Veränderungen waren damals möglich und etwa dreißig Jahre später hätten wir alles Dies haben können, ohne pulveris exigui jactu, jenes kleine Einstreuen von Haarpuder, wodurch die schottischen Verschwörer in dem Wirthshause aufgehalten wurden.

Man versteht den Unterschied, daß ich zwar Geschichte – für deren Erforscher ich mich durchaus nicht ausgeben will – und Leben und Sitten mache, so wie sie in diesen Skizzen geschildert werden.

Die Rebellion bricht im Norden aus. Die Geschichte liegt vor uns in hundert Bänden, in keinem aber unparteiischer, als in der vortrefflichen Erzählung des Lord Mahon. Die Clans in Schottland haben sich erhoben. Derwentwater, Mithisdale

und Forster stehen gerüstet in Northumberland. Dies sind historische Thatsachen, in Bezug auf welche ich auf die Chroniken verweise. Die Garde muß die Straßen bewachen und die Einwohner verhindern, weiße Rosen zu tragen. Ich lese von ein paar Soldaten, die beinahe zu Tode gepeitscht wurden, weil sie am 29. Mai Eichenreiser auf den Hüten getragen, was abermals ein Zeichen zu Ehren der geliebten Stuarts war.

Hiermit haben wir es zu thun und nicht mit den Märschen und Schlachten der Armeen, welchen die armen Teufel angehörten – mit Staatsmännern und wie sie aussahen und wie sie lebten, aber nicht mit politischen Maßregeln, welche Sache der Geschichte sind.

Zum Beispiel gegen das Ende der Regierung der alten Königin verläßt der Herzog von Marlborough das Königreich – nach was für Drohungen, nach was für Bitten, Lügen, dargebotenen, angenommenen oder verweigerten Bestechungen, nach was für Kreuz- und Winkelzügen, das mag die Geschichte sagen, wenn sie kann oder darf.

Die Königin ist todt, und wer wäre begieriger, zurückzukehren, als der Herzog? Wer ruft: „Gott

segne den König!“ lauter und begeisterter, als der große Sieger von Blenheim und Malplaquet?

(Beiläufig gesagt, wird er immer noch einiges Geld für den Prätendenten nach Frankreich hinüberschicken, aber nur ganz verstohlen.)

Wer legt die Hand an sein blaues Band und schlägt die Augen anmuthiger gen Himmel empor, als dieser Held?

Er hält einen quasi-Triumpheinzug in London durch Temple Bar in seiner ungeheuern, vergoldeten Kutsche – und die ungeheure vergoldete Kutsche bricht in der Nähe von Chancery-Lane zusammen und Se. Hoheit muß eine andere besteigen. Hier sehen wir ihn. Wir befinden uns mitten unter dem großen Haufen, nicht bei den vornehmen Leuten, welche die Procession bilden. Wir sind nicht die Muse der Geschichte, sondern blos die Zofe, die Plaudertasche – der Kammerdiener, vor dessen Augen Niemand ein Held ist, und während jener aus seinem Wagen in das zunächst zur Hand befindliche Fuhrwerk steigt, sehen wir die Nummer der Droschke, wir betrachten seine Sterne, Ordensbänder und Stickerei und wir denken bei uns selbst: O Du unergründlicher Intriguant! O Du unüberwindlicher

Krieger! O Du schöner lächelnder Judas! Welchen Herrn würdest Du nicht küssen oder verrathen! Welcher auf den eisernen Spießen jenes Thores steckende verwitternde Verrätherkopf brütete je auch nur den zehnten Theil des Verrathes aus, welcher unter Deiner Perrücke thätig gewesen ist!

Eilftes Kapitel.

Wir haben nun unsere George in die Stadt London gebracht, und wenn wir den Anblick derselben genießen wollen, so können wir sie in Hogarth’s lebensvoller Abbildung von Cheapside sehen, oder davon in hundert Büchern jener Zeit lesen, welche die Sitten jenes Zeitalters schildern.

Unser lieber alter Spectator betrachtet lächelnd die Straßen mit ihren unzähligen Aushängeschildern und beschreibt sie mit seinem liebenswürdigen Humor.

„Unsere Straßen sind angefüllt mit blauen Ebern, schwarzen Schwänen und rothen Löwen, abgesehen von fliegenden oder gepanzerten Schweinen mit anderen Kreaturen, die außerordentlicher sind, als irgend welche in den Wüsteneien Afrika’s.“

Einige dieser seltsamen alten Figuren sind noch

jetzt in der Stadt London vorhanden. Man sieht noch jetzt über dem alten Hotel in Ludgate Hill die Belle Sauvage, auf welche der 8pectator in jener Nummer so scherzhaft anspielt, und die wahrscheinlich keine andere war. als die reizende Amerikanerin Pocahontas, die den kühnen Capitain Smith vom Tode errettete.

Wir sehen den Löwenkopf, in dessen Rachen die für den Spectator selbst bestimmten Briefe geworfen wurden, und über der Thür eines großen Bankiers in Fleetstreet das Ebenbild des Felleisens, welches der Gründer der Firma trug, als er vom Dorfe herein nach London kam.

Man bevölkere diese so geschmückten Straßen mit Schaaren von schwankenden Sänftenträgern, mit Dienern, welche laut schreiend für ihre Herren Platz machen, mit dem Decan in seinem Priesterrock, während sein Lakai vor ihm hermarschirt, oder Mistreß Dinah, die nach der Kapelle trippelt, während ihr Bursche das große Gebetbuch trägt; mit hausirenden Handelsleuten, die ihre hundert verschiedenen Rufe gröhlen (ich entsinne mich, vor vierzig Jahren als Knabe in der City von London eine Menge

dergleichen vertraute Rufe gehört zu haben, welche jetzt verstummt sind).

Man denke sich die Stutzer, die sich nach den Chocoladenhäusern drängen, beim Austritt aus demselben auf ihre Tabaksdosen pochen/und mit ihren Perrücken über den rothen Vorhängen zum Vorschein kommen.

Man denke sich Saccharissa, aus den obern Fenstern winkend und lächelnd, und eine Menge Soldaten, die an der Thür sich geräuschvoll durcheinander treiben – Herren der Leibgarde, in Scharlach gekleidet, mit blauen Aufschlägen und goldbetreßten Näthen, Gentlemen der berittenen Grenadiere in ihren Mützen von himmelblauem Tuch, mit dem in Gold und Silber darauf gestickten Hosenband, Hellebardierer in ihren langen rothen Röcken, wie zur Zeit Heinrichs des Achten mit breiten Manschetten und niedrigen Sammetmützen. Vielleicht kommt die Majestät des Königs selbst vorüber nach St. James. Wenn er in’s Parlament fährt, so geschieht es in seiner achtspännigen Kutsche, umgeben von seiner Garde und den hohen Kronbeamten.

Außerdem bedient Se. Majestät sich blos einer Sänfte, welcher sechs Lakaien voranschreiten, während

sechs Trabanten zu beiden Seiten daneben hermarschiren. Die diensthabenden Offiziere und Beamten folgen dem König in Kutschen. Er muß ziemlich langsam gehen.

Unser Spectator und Tatler gewähren eine Menge ergötzliche Einblicke in das Stadtleben jener Zeit. An der Hand dieser liebenswürdigen Führer gehen wir in die Oper, in die Komödie, in das Puppenspiel, in die Auction, ja selbst in die Hahnengrube. Wir können an der Temple-Treppe ein Boot nehmen und Sir Roger de Coverley und Mr. Spectator nach Spring Garden begleiten, welches einige Jahre später Vauxhall genannt wird und wofür Hogarth malt.

Wer hätte nicht Lust, einen Schritt in die Vergangenheit zurückzuthun und sich Mr. Addison vorstellen zu lassen? – nicht dem sehr ehrenwerthen Joseph Addison, Esqu.; dem Staatssecretair Georg’s des Ersten – sondern dem köstlichen Schilderer der Sitten seiner Zeitgenossen, dem Manne, der, wenn er selbst auf guter Laune war, für den angenehmsten Gesellschafter in ganz England galt?

Ich möchte mit ihm zu Lockits gehen und eine Bowle mit Sir R.Steele trinken, der soeben von König Georg zum Ritter geschlagen worden und

zufällig kein Geld hat, um seinen Antheil an der Zeche zu bezahlen.

Mr. Addison in sein Bureau nach Whitehall zu folgen – daran läge mir nichts. Hier gerathen wir in die Politik. Unser Geschäft ist Vergnügen und die Stadt und das Kaffeehaus und das Theater und die Mall.

Herrlicher Spectator! Gütiger Freund unserer Mußestunden! Glücklicher Gesellschafter, ächter christlicher Gentleman! Wie viel größer und besser bist Du als der König, vor welchem der Secretair kniet.

Wir können auch hören, wie Ausländer sich über das alte London äußern. Hören wir, was mein schon oben genannter Freund Karl Ludwig Baron von Pöllnitz, darüber sagt:

„Ein Mann von Verstand,“ sagt er, „oder ein feiner Herr braucht in London um Gesellschaft nie verlegen zu sein. Er verbringt seine Zeit auf folgende Weise. Er steht spät auf, zieht seinen Rock an, läßt den Degen zu Hause, nimmt seinen Stock und geht wohin ihm beliebt. Der Park ist gewöhnlich der Platz, wohin er seine Schritte richtet, denn hier ist die Börse für Leute von Rang und Stand. Es ist ganz dasselbe wie mit den Tuilerien in Paris,

nur hat der Park eine gewisse einfache Schönheit, welche sich nicht beschreiben läßt. Die Hauptpromenade heißt die Mall. Sie ist zu jeder Stunde des Tages besucht, besonders aber des Morgens und Abends, wo Ihre Majestäten oft mit der königlichen Familie lustwandeln, die dann nur von einem halben Dutzend Trabanten begleitet sind und allen Leuten gestatten, gleichzeitig mit ihnen spazieren zu gehen.

„Die Damen und Herren erscheinen stets in reichen, kostbaren Anzügen, denn die Engländer, welche vor zwanzig Jahren nur beim Militair goldene Tressen trugen, sind jetzt eben so mit solchen und mit Stickerei überladen wie die Franzosen. Ich spreche hier von vornehmen Leuten, denn der Bürger begnügt sich auch jetzt noch mit einem Anzug von feinem Tuch, einem guten Hut, einer guten Perrücke und feiner Wäsche.

„Jedermann ist hier gut gekleidet und selbst die Bettler sehen nicht so zerlumpt aus wie anderwärts.“

Nachdem unser Freund, der Mann von Stand, seinen Morgenspaziergang in der Mall gemacht, geht er wieder nach Hause, um sich vollständig anzukleiden und schlendert dann nach einem Kaffee- oder

Chocoladenhause, welches von Personen besucht wird, die er zu sprechen wünscht.

„Denn,“ heißt es bei Pöllnitz weiter, „es ist bei den Engländern Regel, Häuser dieser Art wenigstens einmal täglich zu besuchen, wo sie von Geschäften und Neuigkeiten sprechen, die Zeitungen lesen und oft einander ansehen, ohne den Mund aufzuthun.

„Es ist auch sehr gut, daß sie so stumm sind, denn wären sie Alle so redselig, wie andere Nationen, so wären die Kaffeehäuser unerträglich, und man würde in Gegenwart so Vieler nicht hören, was der Eine oder der Andere spricht. Das Chocoladenhaus in St. James-Street, wohin ich jeden Morgen gehe, um die Zeit hinzubringen, ist stets so voll, daß man sich darin kaum umdrehen kann.“

Zwölftes Kapitel.

So angenehm aber die Stadt London auch war, so brachte doch König Georg der Erste so wenig Zeit als möglich darin zu und hielt sich, wenn er auch da war, stets in Gesellschaft seiner Deutschen.

Es war mit ihnen, wie mit Blücher hundert Jahre später, als der kühne alte Reitersmann von der St. Pauls-Kirche herabschauete und seufzte: „Da gäbe es Etwas zu plündern!“

Die deutschen Weiber plünderten, die deutschen Secretaire plünderten; die deutschen Köche und Intendanten plünderten, selbst Mustapha und Mahomet, die deutschen Neger, bekamen einen Antheil an der Beute.

„Nehmt was Ihr kriegen könnt.“ war die Maxime des alten Monarchen.

Er war allerdings kein großer, stolzer Monarch, er war kein Gönner der schönen Künste, aber er war auch kein Heuchler, er war nicht rachsüchtig, er war nicht verschwenderisch, Obschon in Hannover Despot, war er doch in England ein gemäßigter Herrscher. Sein Zweck war, es sich so viel als möglich selbst zu überlassen, und so oft als möglich außerhalb desselben zu leben. Sein Herz war in Hannover.

Als er auf seiner letzten Reise krank ward, steckte er, als er durch Holland fuhr, sein bleiches Antlitz zum Wagenfenster heraus und keuchte: „Osnabrück! Osnabrück!“

Er war schon über fünfzig Jahr alt, als er zu uns kam; wir nahmen ihn, weil wir ihn brauchten, weil er in unsern Kram paßte. Wir lachten über sein ungeschlachtes deutsches Wesen und verhöhnten ihn. –

Er nahm unsere Loyalität für Das, was sie werth war, steckte so viel Geld ein als er konnte, und bewahrte uns wenigstens vor Papisterei und Holzschuhen.

Ich für meine Person wäre zu jener Zeit auf

seiner Seite gewesen. So cynisch und egoistisch er auch war, so war er doch jedenfalls besser als ein König von St. Germain mit den Instructionen des französischen Königs in der Tasche und einem Schwarm Jesuiten im Gefolge.

Man glaubt, die Schicksalsgöttinnen interessirten sich für königliche Personen ganz besonders, und so gab es auch im Bezug auf Georg den Ersten allerlei Vorbedeutungen und Prophezeihungen.

Ganz besonders beunruhigte ihn, wie man sagte, die Prophezeiung, daß er sehr bald nach seiner Gemahlin sterben würde, und in der That, kaum hatte der bleiche Tod die unglückliche Fürstin in ihrem Schlosse Ahlden hinweggerafft, so warf er sich auf Seine Majestät den König Georg den Ersten in seinem Reisewagen auf der Straße von Hannover.

Welcher Postillon wäre auch im Stande, es diesem bleichen Reiter zuvorzuthun?

Man erzählt, Georg habe einer seiner Wittwen linker Hand versprochen, ihr nach ihrem Tode wieder zu erscheinen, wenn es ihm vergönnt wäre, den Schimmer des Mondes wieder zu besuchen, und als bald nach seinem Hintritt wirklich ein großer Rabe zu d«m Fenster der Herzogin von Kendal in Twickenham

hineingeflogen kam, bildete sie sich ein, der Geist des Königs wohne in diesem Gefieder und trug für ihren schwarzen Gast ganz besondere Sorge.

Rührende Seelenwanderung – königlicher Leichenvogel – wie ergreifend ist der Gedanke, daß die Herzogin über ihm weinte!

Als diese keusche Vermehrung unserer englischen Aristokratie starb, wurden ihre sämmtlichen Juwelen, ihr Geschirr, ihre ganze Beute hinüber geschafft nach Hannover zu ihren Verwandten.

Ich möchte wissen, ob ihre Erben auch den Vogel übernahmen, und ob derselbe noch über Herrenhausen herumflattert.

Die Tage jener seltsamen Religion der Königsanbetung sind vorüber in England – jene Tage, wo Priester im Tempel Gottes dem Fürsten schmeichelten; wo Kriecherei für eine veredelnde Pflicht galt – wo Schönheit und Jugend sich eifrig um königliche Gunst bewarben – und wo weibliche Schmach für keine Unehre galt. Eine bessere Moral und bessere Sitten am Hofe und unter dem Volke gehören zu den unschätzbaren Folgen der Freiheit, welche Georg der Erste zu retten und zu sichern kam.

Er hielt seinen Vertrag mit seinen englischen

Unterthanen, und wenn er eben so wenig als andere Menschen und Monarchen frei war von den Lastern seines Zeitalters, so müssen wir ihm wenigstens dankbar sein, daß er die Freiheiten des unsrigen bewahrte und überlieferte.

In unserer freien Luft ist der häusliche Heerd des Königs eben so geläutert worden wie der des Volkes, und die Wahrheit, bei uns das Geburtsrecht der Hohen wie der Niederen, welche furchtlos selbst über die Vornehmsten unter uns zu Gericht sitzt, kann von ihnen jetzt blos mit Worten der Achtung und des Lobes sprechen.

Es finden sich Flecken in dem Bildniß des ersten Georg, und es hat Züge, welche Niemand von uns zu bewundern braucht; unter den edleren Zügen aber sehen wir Gerechtigkeit, Muth und Mäßigung, und diese dürfen wir schon anerkennen, ehe wir das Bild nach der Wand herumdrehen.


Georg der Zweite.
Erstes Kapitel.

Am Nachmittage des 14. Juni 1727 hätte man zwei Reiter die Straße von Chelsea nach Richmond entlang galoppiren sehen können. Der vorderste, in den großen Reiterstiefeln der damaligen Zeit, war ein sehr korpulenter Cavalier mit breitem, rundem, jovialem Gesicht und an der Art und Weise, wie er sein Pferd antrieb, konnte man sehen, daß er nicht blos ein kühner, sondern auch ein gewandter Reiter war.

In der That war auch Niemand ein größerer Freund ritterlicher Leibesübungen, und auf den Jagdrevieren von Norfolk ritt kein Landjunker kühner hinter dem Fuchse her und ließ einen fröhlicheren Jagdruf erschallen, als der Mann, welcher jetzt die nach Richmond führende Straße entlang donnerte.

Es dauerte nicht lange, so erreichte er Richmond Lodge und verlangte den Besitzer dieses Hauses zu sprechen. Die Herrin des Hauses und ihre Damen, bei welchen unser Freund vorgelassen ward, sagten, er könne jetzt nicht mit dem Herrn sprechen, wie dringend sein Anliegen auch sein möge.

Der Herr hielt nämlich sein Mittagsschläfchen; er that dies alle Tage, und wehe Dem, der ihn darin störte!

Nichtsdestoweniger schob unser stämmiger Freund in den großen Stiefeln die erschrockenen Damen auf die Seite, öffnete die verbotene Thür des Schlafzimmers, in welchem ein kleiner Herr auf dem Bett lag, und hier kniete der eifrige Bote in seinen Reiterstiefeln nieder.

Der auf dem Bett Liegende fuhr in die Höhe und fragte unter vielen Flüchen und in starkem deutschen Accent, wer da sei und es wage, ihn zu stören?

„Ich bin Sir Robert Walpole,“ sagte der Bote.

Der erwachte Schläfer haßte Sir Robert Walpole. –

„Ich habe die Ehre,“ fuhr dieser fort, „Eurer Majestät zu melden, daß Ihr königlicher Vater, König

Georg der Erste am vergangenen Sonnabend, dem 10. dieses, in Osnabrück gestorben ist.“

„Das ist eine verdammte Lüge!“ schrie Seine geheiligte Majestät König Georg der Zweite. Sir Robert Walpole begründete aber die Thatsache, und von diesem Tage an bis dreiunddreißig Jahre später herrschte Georg, der Zweite dieses Namens, über England.

Wie der König das Testament seines Vaters dem erstaunten Erzbischof von Canterbury vor der Nase verschwinden ließ, wie er ein cholerischer kleiner Monarch war; wie er den Höflingen seines Vaters mit der Faust drohete; wie er in der Wuth seinen Hut und seine Perrücke mit dem Fuße umherschleuderte und Alle, mit denen er in Zwistigkeiten kam, Spitzbuben, Lügner und Schurken nannte – das steht in allen Geschichtsbüchern, eben so wie er schnell und schlau sich mit dem kühnen Minister aussöhnte, den er während seines Vaters Lebzeiten gehaßt und der ihm nun fünfzehn Jahre seines eigenen lang mit bewundernswürdiger Klugheit, Treue und gutem Erfolg diente.

Wäre Sir Robert Walpole nicht gewesen, so hätten wir den Prätendenten zurückbekommen. Ohne

seine hartnäckige Liebe zum Frieden, hätten wir Kriege gehabt, welche auszuhalten die Nation weder stark noch einig genug war.

Ohne seine entschlossenen Rathschläge und seinen gutgelaunten Widerstand hätten deutsche Despoten vielleicht versucht, ein hannoversches Regierungssystem bei uns einzuführen. Wir hätten Empörung, Aufruhr, Mangel und tyrannische Mißherrschaft gehabt, anstatt ein Vierteljahrhundert des Friedens, der Freiheit und materiellen Gedeihens, so wie das Land noch niemals genossen, bis jener Verführer des Parlaments, jener ausschweifende, betrunkene Cyniker, jener muthige Freund des Friedens und der Freiheit, jener große Patriot, Bürger und Staatsmann es regierte.

In Bezug auf Religion war er wenig besser als ein Heide. Er riß unsaubere Witze über Schwarzröcke und Federfuchser und lachte über Hoch- und Niederkirche.

Im Privatleben schwelgte der alte Ungläubige in den gemeinsten Vergnügungen; er verbrachte seine Sonntage bei der Flasche in Richmond und seine freie Zeit mit dem lauten Getöse oder in Houghton mit gemeinem Volke bei Rindfleisch und Punsch.

Um die Wissenschaften kümmerte er sich eben so wenig, als sein Herr. Er beurtheilte die menschliche Natur so niedrig, daß man sich schämt, gestehen zu müssen, daß er Recht hatte, und daß die Menschen auf so gemeine Weise sich bestechen ließen.

Mit seinem feilen Miethlings-Unterhause vertheidigte er aber unsere Freiheit, und durch seinen Unglauben hielt er das Pfaffenregiment nieder. Es gab damals in Oxford Geistliche, die eben so listig und gefährlich waren wie irgend ein Priester außerhalb Roms, und er schlug Beide in die. Flucht.

Er gab den Engländern keine Eroberungen, aber er gab ihnen Frieden und Ruhe und Freiheit; die dreiprocentigen Staatspapiere stiegen beinahe auf pari und der Weizen kostete fünf- bis sechsundzwanzig Schilling der Quarter.


Zweites Kapitel.

Es war ein Glück für uns, daß unsere ersten George nicht Männer von großem Geiste waren; ein ganz besonderes Glück aber war es, daß sie Hannover so sehr liebten, daß sie England seinen eigenen Weg gehen ließen.

Unsere größten Leiden begannen, als wir einen König bekamen, der auf den Namen eines Briten stolz war und, weil er in dem Lande geboren, sich vornahm, es zu beherrschen.

Er taugte aber zur Regierung Englands eben so wenig, als sein Großvater und Urgroßvater, die es nicht versuchten.

England hatte während dieser Zeit sich auf den richtigen Weg gefunden.

Der gefährliche alte Geist der Cavalierloyalität

starb allmählig aus, die stolze alte englische Hochkirche ward leer; die Fragen, welche auf einer und der andern Seite – der Seite der Loyalität, Prärogative. Kirche und des Königs und der Seite des Rechts, der Wahrheit, der bürgerlichen und religiösen Freiheit – ganze Generationen wackerer Männer gegen einander geführt hatten, verstummten allmählig.

Als Georg der Dritte auf den Thron gelangte, hatte der Kampf zwischen Loyalität und Freiheit sein Ende erreicht, und Charles Edward ging alt, betrunken und kinderlos in Italien dem Tode entgegen.

Wer sich für die Geschichte der europäischen Höfe im vorigen Jahrhundert interessirt, kennt die Memoiren der Markgräfin von Baireuth und weiß, was für ein Hof der von Berlin war, wo die Cousins Georg’s des Zweiten herrschten.

Friedrichs des Großen Vater prügelte seine Söhne, seine Töchter, seine Minister; er ließ in ganz Europa lange, starke junge Männer stehlen, um Grenadiere aus ihnen zu machen; seine Gelage, seine Paraden, seine Trinkgesellschaften, sein Tabakscollegium – alles Dies ist hundertfältig beschrieben. Jonathan Wild, der Große in Sprache, Vergnügungen

und Benehmen, ist kaum delicater als dieser deutsche Monarch.

Ludwig der Fünfzehnte, sein Leben, seine Regierung und sein Thun und Treiben sind in tausend französischen Memoiren geschildert.

Unser Georg der Zweite war wenigstens kein schlechterer König als seine Nachbarn. Er nahm die königliche Befreiung vom Rechtthun, welche andere Souveraine sich anmaßten, auch für sich in Anspruch.

Uns in England erscheint er als ein kleiner langweiliger Mensch von niedrigen Geschmacksrichtungen, dennoch aber erzählt uns Hervey, dieser cholerische Prinz sei sehr sentimental gewesen, und seine Briefe – deren er ungeheure Quantitäten schrieb – hätten eine gefährliche, bestrickende Macht ausgeübt.

Mit uns Engländern suchte er sich niemals auf vertraulichen Fuß zu stellen. Man hat ihn des Geizes beschuldigt, dennoch aber gab er nicht viel Geld weg und hinterließ auch nicht viel.

Die schönen Künste liebte er nicht, aber er that auch nicht, als ob er sie liebte. Im Bezug auf die Religion war er eben so wenig ein Heuchler, als sein Vater. Er beurtheilte die Menschen nach einem niedrigen Maßstabe; hatte er aber bei der Umgebung,