Benutzer:Jowinix/Gerstäcker Texte

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Ein berühmter Name[Bearbeiten]

In: Hausblätter. Herausgegeben von Friedrich Wilhelm Hackländer und Edmund Hoefer. Adolph Krabbe, Stuttgart, 2. Band 1855, S. 451–458 Commons

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Ein berühmter Name.

Skizze von Friedrich Gerstäcker.

Viele Menschen fühlen einen unbestimmten Drang in sich, berühmt zu werden; manchen wird das schwer, andere aber sind leicht befriedigt und halten sich dafür, sobald ihnen das Schicksal nur die geringste Gelegenheit bietet, eine solche Voraussetzung vor sich selber zu rechtfertigen; ein kleines Ordensband hat solchen schon Thränen der Freude entlockt. Es ist das eine Diminutiv-Gattung von Ehrgeiz, die den Besitzer oft unendlich glücklich und sein sonst vielleicht sehr ruhig und langweilig dahin fließendes Leben wenigstens für ihn selbst interessant macht. In die richtige Bahn gelenkt ist er auch nicht allein harmlos, sondern sogar der menschlichen Gesellschaft nützlich, und zwar in einem sehr verjüngten Maßstabe, etwa im Verhältniß der Landkarten, dasselbe Element, was der Muttererde das Feuer in ihrem Innern, was dem Wasser die Strömung, was der Luft und einem Bitterwasser-Trinker die Bewegung ist. Dagegen aber kann eben dieser, wenn ich so sagen darf, unentwickelte Ehrgeiz, in eine falsche Bahn gelenkt, auch dem Eigenthümer gefährlich werden, und Spitzbuben und Räuber hatten nicht selten zu ihren nichtswürdigen Handlungen eine ursprünglich edle Triebfeder, wie man ja auch schmutzige Sachen in ein reines Gefäß füllen kann. Das Gefäß läutert denn freilich nicht den unedlen Stoff, sondern wird selbst besudelt, und der also auf falsche Art Ehrgeizige muß zuletzt in dem natürlichen Lauf der Dinge zu Grunde gehen, oder müßte es vielmehr, da derlei Sachen auf Erden doch nicht immer ihre Erledigung finden.

[452] Es ist wunderbar, auf welche verschiedene Art dieses gewisse Etwas in unserem Menschengeschlecht zur Blüthe kommt, und doch nur in so wenigen Fällen wirklich genießbare Früchte trägt, denn ich rede hier nicht von dem Ehrgeiz, der seine Belohnung schon darin findet, einfach und ordentlich in der Stellung seine Pflicht zu thun, die ihm sein Geschick oder Beruf angewiesen, – dieser ist mehr einem regelmäßig, gepflanzten Kornfeld zu vergleichen, das zu seiner bestimmten Zeit aufschießt, blüht, Saamen trägt, in Garben gebunden und gedroschen wird, der menschlichen Gesellschaft Nahrung zu geben; Gottes Segen liegt auf ihm. Nein, ich meine hier mehr jene einzelnen wild zerstreuten Körner, die Zufall und Wind hier- und dorthin gesäet haben, und die mit einem eigenen Streben aus sich heraus die übrige Welt durch etwas Außerordentliches in Erstaunen zu setzen und ihr zu beweisen wünschen, daß sie eben keine gewöhnlichen Menschen sind, und vor allen Dingen verdienen, ihren Namen mit irgend einer ausgezeichneten Bemerkung, als der Meier oder der Schultze, auf die Nachwelt gebracht zu sehen.

Dafür, daß solche Sachen möglich sind, gibt es genug Beweise. Was für ein Lärm wird mit einem Schiller und Goethe, einem Raphael, einem Cäsar etc. gemacht, warum sollen auch sie es nicht zu etwas Außerordentlichem bringen; das einzig Nöthige ist Glück, das Talent haben sie in sich, denn Gott hätte ihnen sonst nicht diesen unbestimmten Drang in die Brust gelegt. Das einzige Schwierige bei der ganzen Sache bleibt nur, den richtigen C anal zu finden, in den dieser unbestimmte Drang hineingeleitet werden muß, alles Uebrige ist Kinderspiel, die Maschinerie treibt sich von selber, denn die Kraft ist furchtbar! –

Solche Menschen werden gewöhnlich Künstler, oft aber auch Freiheits- und Religionsschwärmer, seltener Soldaten, obgleich der letztere Stand gerade der richtige für sie wäre. Uebrigens sind sie immer gefährlich: als Maler der Leinwand, als Schriftsteller den Buchhändlern, als Architekten dem Publikum überhaupt, als Religionsschwärmer den Heiden, als Freiheitshelden und Völkerbeglücker den Völkern, wenn nicht in diesem Falle etwa der Staat ebenfalls dabei interessirt wäre, die Völker vor ihnen zu schützen, – als Soldaten endlich dem Feind, und außerdem noch immer sich selber. Aber eine gewisse Achtung können wir ihnen nie versagen, und mit stiller Wehmuth denke ich noch immer eines kleinen Deutschen, den [453] dieser Drang, nach vielen Kämpfen mit einem unerbittlichen, stets verneinenden Geschick, zuerst nach den vereinigten Staaten von Nordamerika trieb, wo ich ihn kennen lernte, und ihn dann m die stille, kühle Erde bettete.

Mein Freund hieß Uelsicht und schon in der Schule, wie er mir oft erzählt, hatte er nicht geruht, bis er der Erste in jeder Klasse gewesen und die besten Censuren seiner Lehrer als Siegestrophäen nach Hause getragen; aber dabei blieb es nicht. Er besuchte einst einen Freund, der Talent zum Malen hatte und hübsche Sachen zeichnen und skizziren konnte. Von dem Augenblick an nagte ihm ein Wurm am Herzen, daß er es ebenfalls dahin bringen müsse, – sein Entschluß war im Nu gefaßt, er wollte ein berühmter Maler werden, und verwendete Jahre darauf, einem Phantom nachzuziehen. Es lag nicht in ihm; die Fertigkeit eignete er sich an, das Mechanische der Kunst; aber der Geist fehlte ihm, den der starke Wille nicht zu ersetzen vermochte, und überdies hatte sich auch schon wieder eine neue Idee seiner bemächtigt. Er las einen Roman, der ihn entzückte, und am nächsten Tage schon lehnte seine Palette in der Ecke und er lief hinaus in den Wald, nicht Studien an Bäumen und Büschen zu machen, wie vordem, sondern einen Plan auszuarbeiten für einen Roman, den er schreiben wollte. Dadurch mußte sein Name berühmt werden, – ein einzelnes Bild konnte ein einzelner Mensch in den Winkel stellen und es war vom Erdball verschwunden; ein Buch wurde in tausenden von Exemplaren gedruckt und nach allen Weltgegenden verschickt, und auf jedem stand sein Name.

Natürlich versäumte er darüber all seine übrigen Geschäfte, aber das Buch wurde wirklich fertig. – Leider nur fand er keinen Buchhändler, der es ihm drucken wollte.

Als das umsonst war, warf er sich auf die Politik. Wenn ihn aber der Staat auch ungehindert seine Zeit hatte verschwenden lassen, Oelfarbe auf Leinwand zu verstreichen oder Manuskripte aufzuhäufen, so wurde das doch etwas anders, sobald er an die Oeffentlichkeit trat und die staatlichen Einrichtungen von unten betrachtete, die nun einmal unter jeder Bedingung von oben betrachtet sein wollen, wenn sie den richtigen Eindruck auf den Beschauer hervorbringen sollen. – Das Licht fällt wahrscheinlich von der Seite besser auf das Gemälde.

[454] Falsche Ansichten sind aber ebenfalls strafbar, und Uelsicht hatte in dieser Sache wenigstens noch in so fern Glück, als er bei Zeiten seinem Vaterland entkam und auf ein Bremer Schiff gelangte, das ihn im Triumph unter russischer Flagge, – es war Jahre 1849, wo sich die Deutschen noch die russische Flagge kauften, um unbelästigt aus dem Canal zu kommen, – nach Nordamerika hinüberführte.

Hier begann Uelsicht ein neues Leben; er warf sich mit einem wahren Feuereifer auf die englische Sprache, um ihrer bald mächtig zu werden, und fing wieder, unter oft günstigen, oft ungünstigen Auspizien seine alte Arbeit an, einen berühmten Mann aus sich zu machen. Er widmete sich jetzt dem Maschinenbau, von dem er sich schon in Deutschland unter der Hand eine oberflächliche Kenntniß verschafft, und suchte so seinem Namen durch irgend eine neue überraschende Erfindung eine Glorie zu verleihen; aber die Modelle, welche er baute, wollten allein nicht arbeiten, erzwingen ließ sich die Sache auch nicht, und er mußte sie zuletzt in Verzweiflung wieder aufgeben, nachdem er mehr Geld hineingesteckt als er eigentlich entbehren konnte.

Er wäre nun freilich gern wieder nach Deutschland zurückgegangen, denn eine fatale Schwierigkeit, seinen Namen berühmt zu machen, zeigte sich unter den Engländern und Amerikanern für ihn schon darin, daß dieselben diesen Namen gar nicht aussprechen konnten. Sie haben weder ein ü, noch ein ch, und Uelsicht mußte täglich fast die bittere Kränkung erfahren, ihn auf jede nur mögliche und unmögliche Weise verunstaltet zu sehen. Aber es blieb nicht einmal dabei. Denn das amerikanische Wort Dutchman, welches eigentlich Holländer bedeutet, womit der ungebildete Amerikaner aber auch, und noch dazu nur zu oft im verächtlichen Sinne den Deutschen bezeichnet, verfolgte ihn wohin er ging, so daß er endlich, weil ihm nach Deutschland die Rückkehr doch abgeschnitten war, in Verzweiflung die westlichen Staaten der Union aufsuchte und dort Farmer wurde.

Hier kam er auf eine neue unglückliche Idee. Kaum hatte er sich nämlich durch unendlichen Fleiß eine kleine Farm angelegt und fing an, die Früchte seiner Anstrengungen zu ernten, als er ausfand, daß noch weiter im Westen, in der eigentlichen Wildniß, kleine Ströme oder Plätze oft nach den Ansiedlern genannt wurden, die sich dort zuerst ansiedelten. Da war Potters Creek und Hillworths Slew und Ermelds Flat, – jetzt förmliche [455] Ansiedlungen, die den Namen des Glücklichen bekommen und – unsterblich gemacht hatten.

„Uelsichts Creek,“ einen ganzen Fluß nach sich genannt, – er wußte in der That nicht, was ihm, nach einem selbst entdeckten Planeten, – aber er war kein Astronom, – oder nach einer entdeckten Insel, – aber er war kein Seefahrer, – lieber gewesen wäre! Auf einem Jagdzug, den er in jene Gegenden unternahm, fand er auch wirklich eine passende Stelle; ein kleiner Creek oder Bergstrom, an dem sich noch keine Seele niedergelassen, kam aus den Ozarkgebirgen herunter und hatte eigentlich keinen bestimmten Namen. Die nächsten Nachbarn nannten ihn nur, um ihn wenigstens bezeichnen zu können, die fork (Gabel), weil er sich in einen andern, größeren ergoß; fork werden aber alle solche Plätze genannt, und hier zeigte sich ihm die endliche Möglichkeit eines Erfolges.

Er verkaufte, trotz dem Abreden und den Vorstellungen seiner Nachbarn Hab und Gut, packte seine nothwendigsten Acker- und Hausgeräthe auf einen Wagen und arbeitete sich durch eine förmliche Wildniß endlich auf diesen Vorposten der Civilisation. Er war auch der einzige Deutsche in jener ganzen Gegend, und die Nachbarn dort, wenn man Leute, die zehn und zwanzig englische Meilen aus einander wohnen, überhaupt Nachbarn nennen kann, bewunderten die Ausdauer des Fremden, dessen geheime, aber mächtige Triebfeder sie nicht kannten, und halfen ihm, wo sie nur konnten, bei seiner ersten Einrichtung in der „range.“ Uelsicht dagegen versäumte nichts, seinen Namen unter ihnen populär und bekannt zu machen, da ja derselbe, wie er recht gut wußte, mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Er schrieb an alle bald um dies, bald um das, wobei er die Briefe großentheils selber befördern mußte, und suchte ihnen bei jeder Zusammenkunft die Aussprache des unglücklichen Namens so geläufig als möglich zu machen.

Solcher Art säete er seinen Namen in die Wildniß, begoß ihn mit Whiskey, wo er nur irgend Gelegenheit dazu bekam, da eine freigebige Hand in dieser Hinsicht in den westlichen Staaten manches durchsetzt, und kam endlich, als er die Sache lange und reiflich genug überdacht glaubte, mit dem offenen Vorschlag heraus, der „Fork,“ die nun doch einmal nicht immer nur fork genannt werden konnte, seinen Namen zu geben und das kleine, klare Bergwasser Uelsichts Creek zu nennen.

[456] Und warum nicht? – Kein Mensch hatte etwas dagegen; es war eigentlich eine Sache, die sich von selbst verstand, daß der Creek den Namen des ersten Ansiedlers bekam, ja den „Nachbarn“ sogar selbst bequem, eine genauere Benennung für den Platz auf so leichte Weise zu finden. Wer dort wohnte, nahm doch das eigentliche und in der That alleinige Interesse in Anspruch, und wie anders hätte da Wasser heißen sollen, wenn nicht nach ihm, der demselben durch seine Ansiedlung erst Bedeutung verliehen?

Uelsicht schien in der That den Gipfel seiner Wünsche, das Ziel erreicht zu haben, dem er ein Lebensalter hindurch unverdrossen und beharrlich nachgestrebt. Uelsichts Creek! – Wenn er einmal lange unter den grünen Eichen moderte, die er sich schon zu einem besonderen Begräbnißplatz ausersehen, wenn blühende Städte und Dörfer diese Thäler belebten, und Dampfessen zahlreicher Fabriken ihre schwarzen Zeichen an den blauen Himmel warfen, war sein Andenken zwischen den Tausenden nicht erloschen; sein Name bestand fort, und die Chronik dieses Distrikts nannte ihn einst als leitenden Stern und segnete sein Andenken. Uelsicht war jedenfalls unsterblich geworden.

Sein Name selber machte ihm da einen bösen Strich durch die Rechnung; der Creek bekam denselben allerdings, das verstand sich von selbst, aber Uelsicht hatte keine Ahnung, daß ihn seine Nachbarn um dem fatalen ü und ch zu entgehen, zu dem sie ihre Zungen nun einmal nicht gewöhnen konnten, kurzweg the durchman nannten. Ueberdies war er der einzige Deutsche in der ganzen range, wie in den westlichen Wäldern ein bestimmter Jagd- oder Weidedistrikt genannt wird, und eine Verwechslung nicht möglich. Der Creek theilte natürlich dasselbe Schicksal; es fiel keinem der dortigen amerikanischen Ansiedler ein, ihre Zungen mit dem hartnäckigen Uelsicht „abzubrechen,“ wie sie’s nannten, und „the dutchman’s creek“ hieß der Platz, wo sich der Deutsche angesiedelt, schon nach den ersten acht Tagen.

Das erste Bewußtsein aller zertrümmerten Hoffnungen dämmerte dem ehrgeizigen Ansiedler auf, als er eben einen Brief an einen Jugendfreund nach Deutschland beendet, und darin den Frieden und die stille Ruhe seines Gemüthes ausgesprochen hatte, ohne einen eigentlichen Grund dafür anzugeben; [457] es versteht sich freilich von selbst, daß Uelsichts Creek, wenn auch nur nebenbei, darin erwähnt wurde.

Während er im Siegeln begriffen war, kam ein junger Bursche aus irgend einer benachbarten Range auf seinem Pony, die Büchse vorn quer über den Sattelknopf, an seine Fenz geritten und rief nach Sitte der Backwoods das Haus an: „Hallo the house!“ – Uelsicht trat in die Thüre, sah den Fremden und rief ihm sein gastliches – „Hallo Fremder – steigt ab und kommt herein!“ entgegen. „I say,“ rief aber dieser zurück, ohne der Einladung gleich Folge zu leisten, – „ist dies der Platz, den sie in der Ansiedlung dutchman’s creek nennen?“ – „Dutchman’s creek?“ rief Uelsicht zurück, und ein eigenes fatales Gefühl zuckte ihm durch das Herz, ohne daß er eigentlich noch recht wußte, weßhalb, „nein – dies ist Uelsichts Creek!“ – „Creek was?“ sagte der Amerikaner. – „Uelsicht.“ – „Wie buchstabirt Ihr das?“ – „U, e, l, s, i, c, h, t.“ –

„No – das ist’s nicht – Dutchman’s creek soll der Platz heißen – wo ist squirrel hollow?“ – „Etwa eine Meile weiter oben.“ – „Ahem – und die pine ridge?“ – „Gleich hier unterhalb.“ – „Damn it, dann bin ich doch recht,“ sagte der Amerikaner, – „so ist’s mir beschrieben, und das Dings da, was Ihr vorhin nanntet, Ulziks oder Ilziks, wie war’s? – ist wohl Euer Name?“ – „Uelsicht,“ sagte der Deutsche, tief aufseufzend.

„Well, Ihr seid der Mann!“ rief aber der Fremde jetzt, vom Pferd springend, das er an einen jungen Baum mit dem Zügel befestigte. Er war herübergekommen, dem Deutschen Kühe zu verkaufen, und Uelsicht konnte nach kurzer Unterredung mit dem jungen Burschen nicht länger im Zweifel bleiben, daß sein Platz wirklich von den bornirten Nachbarn, die nicht einmal im Stande waren, ein fremdes Wort auszusprechen und zu behalten, mit dem unseligen Beinamen „Dutchman’s Creek“ belegt und verdammt war.

Noch an demselben Abend ritt er in die Ansiedlung, protestirte gegen die Benennung und brachte sämmtliche geographische Beweise, daß das Land der Dutch ein ganz anderes und keineswegs sein Vaterland sei. – Umsonst. Die Leute lachten und drehten die Landkarte, die er ihnen mitgebracht, nach allen Seiten herum, konnten aber keine Form hineinbringen und versicherten ihn allerdings, Dutchman’s Creek solle von jetzt an einzig und allein seinen Namen bekommen. Aber es war zu spät, Dutchman’s [458] Creek blieb es und heißt in der That so, bis auf den heutigen Tag, und Uelsicht verkaufte, als er sich endlich nicht mehr verhehlen konnte, daß all seine Anstrengungen, all seine Opfer umsonst gewesen, seine wenigen Habseligkeiten um einen Spottpreis an seine „Nachbarn“ und zog in den Wald, in dem wilden, abenteuerlichen Leben desselben seine herben Enttäuschungen zu vergessen.

Dort sah ich ihn wieder, den ich früher in Cincinnati hatte kennen lernen; aber er zog sich von jedem noch so seltenen Umgang zurück, kränkelte, verschmähte selbst dann jede nachbarliche Hülfe und starb endlich in den ungesunden Missisippisümpfen in seiner Hütte, wo ihn ein anderer Jäger fand und unter einem stattlichen Sassafrasbaume begrub.

Seinen Namen hatte der aber wahrscheinlich nie gehört, denn in jener Gegend war er nur unter seinem Vornamen Georg bekannt, und die kleine Lichtung, auf der früher seine jetzt zerfallene und von einem Waldbrand zerstörte Hütte stand und sein Grab lag, wurde später, als ich den Platz wieder besuchte – wunderliches Verhängniß!– „the dutchman’s grave“ genannt.

Die Nacht auf dem Wallfisch[Bearbeiten]

Die Nacht auf dem Wallfisch. Skizze. In: Hausblätter. Herausgegeben von F. W. Hackländer und Edmund Hoefer. Adolph Krabbe, Stuttgart, 1. Band, 1855, S. 39–57 Commons

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Die Nacht auf dem Wallfisch.
Skizze
von
Fr. Gerstäcker.

Der englische Wallfischfänger „König Harold“ kreuzte in der Nähe der Kingmillsgruppe, ziemlich unter der Linie, auf Spermfische, in der Absicht, die Wintermonate hier zuzubringen, um mit Beginn des Frühjahrs wieder nach Norden auf den Fang des rechten Wallfisches auszulaufen. Vergebens waren sie aber jetzt Monate lang hin- und hergefahren und durch die sonst besten Jagdgründe für diese Fische wieder und wieder auf- und abgesegelt, die Ausgucks in den Tops der Masten, die dort oben den ganzen Tag gehalten werden, um nach etwa auftauchenden Fischen auszuschauen, und einander zu gewissen Stunden ablösen müssen, blieben still und stumm, und wenn wirklich einmal ein Ruf kam, glaubte schon Niemand mehr daran, denn es hatte sich fast jedesmal als ein nicht zu gebrauchender Finback oder vielleicht eine School kleinerer Braunfische ausgewiesen, auf die man nicht Jagd machen wollte.

Die Sonne brannte dabei heiß und sengend auf das, ihren vollen Strahlen preisgegebene Deck nieder und das Schiff, so still und reinlich, mit den klein gerefften Segeln in der leichten Brise sah gerade so aus, als ob es hier an einem freundlichen, aber etwas langen Sonntag Nachmittag zum Vergnügen herum fahre, und eben keinen andern Zweck, kein bestimmteres Ziel kenne. Die Leute haben dabei natürlich immer ihre Arbeit; Segel müssen ausgebessert, das Tackelwerk, stehendes wie laufendes, muß nachgesehen werden, die Eisen und Lanzen für den Fang des Fisches selber dürfen nicht rosten, und den „Bootsteurern“ liegt die besondere Pflicht ob, sie blank und im Stand zu halten; auch der Böttcher an Bord hat seine Arbeit, mit den Fässern zu einem etwaigen Fang gleich bereit zu [40] sein, und der Zimmermann macht sich eine Beschäftigung an den zur Vorsorge mitgenommenen Booten, hie und da morsche Stellen daran zu finden und neue Stücke einzusetzen. Aber in der ganzen Sache ist kein Leben, keine wirkliche Thätigkeit; man sieht, daß die Leute, die sich schon Monate lang auf dieselbe Art herumgetrieben, eben nur arbeiten, um nicht müßig zu stehen, und von der Arbeit fort schweift bei Allen der sehnsüchtige Blick über die leicht gekräuselte Meeresfläche, in der allerdings vergeblichen Hoffnung, vom Deck aus den aufgeblasenen Strahl eines Fisches zwischen dem Blitzen der Wogen zu erkennen, den aber die Leute oben in den Masten, wenn etwas derartiges in Sicht wäre, schon lange angeschrieen hätten.

There she blows! („Dort bläst sie.“)

Wie auf Kommandowort ruht jede Arbeit – der Böttcher wirft seinen Hammer, der Tischler seinen Hobel hin, und der Kapitän, der unten in seiner Kajüte auf dem Sopha gelegen und gelesen oder geschlafen hat, um die entsetzlich langweilige Zeit eines solchen müßigen Umherfahrens zu tödten, springt die Kajütstreppe hinauf, um zu windwärts und nach dem Mann oben im Top zu sehen und die Details über die „aufgekommenen“ Fische erfahren zu können.

There she blows!“ ruft der Mann oben wieder – und blow – blow – blow – setzt er langsam und gedehnt hinzu, als mehrere Strahlen nach einander aufschießen, jeden Strahl bezeichnend.

„Wohinaus zu?“ lautet der Ruf vom Deck, und der ausgestreckte Arm des Ausgucks bezeichnet die Richtung; aber der Arm deutet zu windwärts, d. h. gegen den Wind an, und die Bootsteuerer rufen in wilder Eile ihre Bootsmannschaften zusammen, die ersten zu sein, die fertig in See sind – immer eine ehrenvolle Auszeichnung. Das kleine Wasserfaß wird gefüllt, die Butte mit dem aufgerollten Tau für die Harpunen, die auf einem Gestell an der Want dicht über dem Boot gestanden, damit sie dieses durch ihre Schwere nicht schädige, wird hineingelassen, das Boot selber gleitet unter dem Krahnen nieder auf’s Wasser – die Leute folgen, wie Katzen an den Außenwänden des Schiffes niederkletternd, die Riemen werden eingelegt, und wie der Harpunier oder boatsheader seinen Platz hinten am Steuerriemen eingenommen, stoßen sie ab; und der Bug des scharfgebauten leichten kleinen Fahrzeugs strebt schäumend und die Fluth an beiden Seiten zurückwerfend der bezeichneten Richtung zu.

Kommen die Fische in leewärts, d. h. unter dem Winde auf, dann [41] können ihnen die Schiffe selber mit vollen Segeln bis zu einer gewissen Entfernung folgen, ohne sie scheu zu machen, und die nun rasch ausgesetzten Boote gleiten ebenfalls mit ihren Segeln geräuschlos und unbemerkt an ihre Beute hinan; die Jagd ist in dem Fall auch immer weit schneller gemacht und sicherer sowohl, als auch weit weniger mühsam. Wollte das Schiff aber zu windwärts aufkreuzen, um den Fischen den Wind abzugewinnen, so würde dadurch viel Zeit verloren gehen, und die Beute jedenfalls nur höchst selten eingeholt werden. Das Aufrudern ist deshalb, wenn auch das mühsamste, doch gewiß in diesem Fall das schnellste und sicherste, und das Schiff folgt dann mit der zurückgelassenen Mannschaft so rasch es eben kann seinen Booten, um diese nach vollendeter Jagd wieder auf- und einen etwa geworfenen und getödteten Fisch langseits zu nehmen.

Die vier Boote des „König Harold“ ruderten denn auch, so rasch sie die elastischen Riemen vorwärts treiben konnten, dem Wind gerad’ in die Zähne, und kamen nach einer etwa halbstündigen wackeren Arbeit in Sicht der ersten „Strahlen“ der dort wahrscheinlich spielenden und bald auf-, bald untertauchenden Fische. Von Bord des Wallfischfängers wurde ihnen bis dahin mit einem an einer Stange befestigten und schwarz bemalten runden Korbe, das Zeichen gegeben, nach welcher Richtung die Fische sich wandten. Ein dort postirter Matrose mußte diesen nämlich, der auf sehr weit hin sichtbar ist, hinaushalten, und die Boote richteten oder änderten darnach ihren Cours.

Ein eigener Wetteifer herrscht aber bei solcher Fahrt, nicht allein unter den Bootssteuerern und Harpunieren, wer zuerst an einen Fisch „festkommt“, sondern unter der ganzen Mannschaft; es wird zur Ehrensache, welches Boot den ersten glücklichen und auch einträglichen Wurf gethan, indem bei solcher Jagd Alle, vom Kapitän zum Schiffsjungen hinunter, auf Antheil ausgehen, und die Leute thun gewiß ihr Aeußerstes, nicht hinter den anderen zurück zu bleiben.

Die drei schnellsten Boote hatten denn auch heute wieder die beste Aussicht bald in Wurfsnähe zu kommen, während das vierte, das ein junger tollköpfiger Ire befehligte, trotz der wirklich verzweifelten Anstrengung seiner Mannschaft nicht im Stande war ihnen nach zu kommen, und als sich in den ersten Booten die Bootssteuerer schon zum Harpunenwurf fertig machten, wohl eine ganze Kabelslänge noch hinter diesen zurück war. Gerade da ging rechts von ihnen, aber freilich noch eine weite Strecke [42] entfernt, ein einzelner Strahl auf, und wenn sich auch die Boote nicht gern zu weit von einander trennen, um im Fall der Noth einander Hülfe leisten zu können, sah doch der hinten an seinem Steuerriemen stehende junge Ire kaum den einzelnen Strahl, der ihm auch nach der Richtung zu Fische versprach, als er den Bug seines Bootes blitzschnell herum warf, und von den übrigen Booten ab, dem neu aufgetauchten Wilde nachjagte.

In dem Augenblick hatten die anderen Boote zu viel mit sich selber zu thun, um darauf zu achten; und die rudernden Matrosen, die mit dem Gesichte nach rückwärts im Boot saßen und den veränderten Cours ihrer Kameraden sahen, konnten sich leicht denken, daß dort ebenfalls Fische aufgekommen waren, und hatten nicht das Mindeste dagegen, einen Concurrenten auf ihrer Hetze los zu werden. Ueberdies befanden sie sich näher bei den Fischen, als sie im Anfang selber gedacht, denn als diese plötzlich nach unten gegangen waren und eine Zeitlang fort blieben, während die Boote, so rasch sie konnten, ihren Cours beibehielten, tauchten sie plötzlich kaum dreißig Schritt vor ihnen wieder empor, und ein Fisch kam sogar in Wurfsnähe von dem ersten Harpunier auf, dessen Bootsteuerer denn auch seine Eisen augenblicklich an ihm festwarf. Die anderen beiden kamen ebenfalls fest, ehe sie zehn Minuten gelaufen waren, das Eisen des zweiten Bootes riß aber wieder aus und der Fisch ging tief, so daß das zweite Boot, jetzt außer dem Bereich der anderen Fische, dem dritten folgte, und dessen Beute mit zu sichern suchte, was ihm auch nach einiger Anstrengung gelang. In voller Flucht gingen aber die festgekommenen Fische gerade nach Norden auf, die Boote hinter sich drein reißend, daß die Wellen an ihrem Buge hoch empor schäumten, bis es dem dritten Harpunier zuerst gelang, seine Lanze hinter der Finne seines Fisches einzuwerfen und ihm den Todesstoß zu geben, während der erste Harpunier wohl noch eine englische Meile weiter mit fortgenommen wurde, dann aber den seinigen ebenfalls tödtete, und auf seinen Rudern liegen blieb, das Schiff zu erwarten. Mit dem gewaltigen Fisch im Schlepptau wäre es ihm nicht möglich gewesen zu rudern.

So weit hatten sie sich übrigens von ihrem Schiff entfernt, daß sie den Rumpf schon nicht mehr über Wasser sahen, und mühselig genug mußte dieses jetzt zu ihnen gegen die schwache Brise aufkreuzen, die nicht einmal recht in seine Segel fassen wollte, und wieder und wieder über Stag gehen, dem Nord-Ost die verlorenen Meilen abzugewinnen.

[43] Die drei Boote sahen sich jetzt auch, freilich vergebens, nach dem vierten um, das ihnen ganz aus Sicht gekommen, und suchten rund um sich her, das vielleicht gesetzte hellere Segel desselben irgendwo zu erkennen; es blieb verschwunden, und sie trösteten sich damit, daß sie es von Bord und den Masten aus wohl jedenfalls im Auge behalten haben und genau die Richtung kennen würden, die es genommen.

Der „König Harold“ war aber keineswegs ein sehr schneller Segler, wenigstens nicht dicht am Winde, und der Nachmittag ging darüber hin, bis es ihm gelang, zu den beiden Fischen aufzukreuzen und sie an beiden Seiten seines Bords zu befestigen. Der zweite Harpunier war schon früher an Bord zurück gekehrt, um mit der also vergrößerten Mannschaft das Schiff leichter regieren zu können; und ein Mann wurde jetzt wieder mit dem Fernglas nach oben geschickt, sich zu vergewissern, wo das vierte Boot läge, damit man ihm, falls es ebenfalls einen Fisch hätte, lieber alle anderen Boote zu Hülfe schicke, um die Beute in’s Schlepptau zu nehmen.

„Nun Sirrah, nach welcher Richtung liegt es?“ fragte der Kapitän vom Deck aus, als er die bis jetzt gemachte Beute geborgen wußte, und nun auch dem anderen Boot seine Aufmerksamkeit zuwandte: „ist es weit von hier?“ „Kann es nirgends finden, Sir!“ lautete die Antwort zurück, und der Mann begann von Neuem den Horizont um den ganzen Compaß herum zu bestreichen. „Ach Unsinn, Du brauchst nicht nach windwärts zu sehen, da hinzu ist es nicht!“ rief der Kapitän wieder hinauf, „laß die Sonne rechts und such’ aufmerksam nach Süden hinüber – dort muß es liegen.“

Der Mann gehorchte der Weisung, schaute aber ohne ein scheinbares Resultat so lange durch das Glas, daß der Kapitän endlich ungeduldig wurde, und selber auf die Schanzkleidung sprang und die Wanten hinauf lief nach dem Boot auszuschauen, dessen Verschwinden ihn doch jetzt anfing, zu beunruhigen.

„Da drüben ist es mir schon ein paar Mal so vorgekommen, Sir,“ sagte der Mann, dem er das Glas abgenommen und deutete nach Süd-Süd-West hinunter – „als ob ich einen etwas dunkleren Punkt auf dem Wasser erkennen könnte, wenn ich aber genauer hinsah, war es immer wieder verschwunden.“ „Wo hinaus?“ „Gerade dorthin, etwa in der Richtung, wo die kleine weiße Wolke liegt – vielleicht noch ein wenig mehr nach Westen.“

[44] Der Kapitän folgte der angegebenen Richtung eine Zeit lang mit dem Glas, schüttelte dann mit dem Kopf, und fing an weiter zu suchen. Aber vergebens blieb er oben, bis die Sonne hinter den Horizont sank, und dabei alle auch die geringsten Gegenstände auf das klarste und deutlichste hervortreten ließ. Er konnte nicht das Mindeste von dem Boot bemerken, das doch auch jedenfalls um diese Zeit, wo es wußte, daß man es besonders mit dem Glase suchen würde, sein Segel hätte setzen müssen, dessen weißer Schein weit hin über das Wasser leuchtet. Auch der erste Harpunier war jetzt nach oben gekommen – dem Boot mußte jedenfalls ein Unglück geschehen sein, und die Leute fingen an unruhig deshalb zu werden. Aber auch dieser konnte durch das ihm gereichte Glas nicht das Mindeste erkennen, was einem Boot oder Segel glich, und die jetzt rasch einbrechende Dämmerung, der die Nacht in jenen Breiten auf dem Fuße folgt, machte ein weiteres Ausschauen bald unmöglich.

Dem Kapitän des „König Harold“ blieb aber keine Wahl, was er in diesem Fall zu thun habe; auf- und abkreuzen konnte er schon der langseits genommenen Fische wegen nicht, hätte er aber nur eine Richtung gewußt, wohin er halten solle, würde er doch vielleicht selbst die gemachte Beute im Stiche gelassen haben, um seine verlorenen Leute wieder aufzufinden. So aber hatte er noch immer die Hoffnung, daß er sie in Lee finden würde, und dorthin trieb jetzt das Schiff, an dem alle Segel aufgegeit waren, überdies mit dem Passat und der Aequatorialströmung. War dann am nächsten Morgen noch Nichts von dem Boot zu sehen, so konnte er, was über Nacht von den Fischen noch nicht eingeschnitten worden, mit einer darauf gesteckten Flagge zurücklassen, und nach dem verlorenen Boot umherkreuzen. Aber dann blieb ihnen auch wenig Hoffnung es wieder zu finden, und es wäre das eben nur geschehen, um sich selber nicht den Vorwurf machen zu müssen, daß man einen Theil der Kameraden leichtsinnig aufgegeben habe. Die höchste Wahrscheinlichkeit blieb immer, daß ein, vielleicht verwundeter Spermfisch das Boot zertrümmert und die Mannschaft nicht im Stande gewesen war, sich so lange mit Schwimmen an der Oberfläche zu halten. Die See war freilich ruhig genug, aber der furchtbare Hai wittert rasch das Blut eines geworfenen Fisches; und wie jetzt sechs oder sieben dieser gierigen Bursche ihr Schiff umschwammen und ungeduldig das Anschneiden der Beute erwarteten, daran herumzerrten und rissen, und doch die scharfen Fänge nicht in die riesige zähe Masse [45] einschlagen konnten, so waren sie auch sicher dort aufgekommen, wo sich das andere vermißte Boot befand, und wehe den Unglücklichen, die, des schützenden Fahrzeugs beraubt, ihrem Heißhunger preisgegeben waren.

Aber auch die Möglichkeit blieb noch immer, daß das unbeschädigte Boot durch die Jagd nur zu weit nach Lee zu verschlagen worden, um so bald wieder aufrudern zu können; ein Boot ist nur ein kleiner Fleck auf dem ungeheueren Ocean, und kann bei dem besten Fernrohr wohl dem Auge entgehen. Dann wußten sie aber auch recht gut, welcher Richtung sie zu folgen hatten, und um ihnen die auch für die Nacht klar und deutlich anzugeben, wurden zwei Laternen auf dem Vor- und Haupttop befestigt, damit sie das Schiff nicht etwa in der Dunkelheit vorbeiruderten. Nach Dunkelwerden, dann um Mitternacht und vor der Morgenwacht ließ der Kapitän ebenfalls die kleinen Kanonen lösen, die er auf dem Deck stehen hatte, um auch durch den Schall dem Boot die Richtung anzudeuten; aber umsonst, die Nacht verging und von den Vermißten war Nichts zu hören noch zu sehen.

Das Einschneiden der Fische ging indessen rüstig vor sich; der Blubber oder Speck war angestoßen, und wurde, mit einem besonders dazu eingerichteten Windwerk, aufgeholt, und selbst das Auskochen begann zugleich mit dem Anbordnehmen, um keine Zeit zu versäumen und das unter der Linie sonst leicht in Verwesung übergehende Material aus dem Weg zu bekommen. Große mit Streifen Blubber genährte Fackeln hingen in einer aus Eisenbändern gefertigten Art von Käfig oder Netz über Bord, und warfen ihren blutrothen flammenden Schein über ein wildbewegtes, reges Bild. Noch vor Mitternacht war auch der eine gewaltige Fisch schon eingeschnitten, und mit dem schwermächtigen Blubberhacken wurde der riesige Kopf, der im Wasser noch von der Wirbelsäule abgestoßen worden, ganz an Bord gehoben, so daß sich das Schiff neigte unter der gewaltigen Last, als er über die Seite kam.

Mit Tagesanbruch, wo die ganze Mannschaft schon scharf an dem zweiten Fisch arbeitete, mußten aber wieder ein paar von den Harpunieren, jeder mit einem Fernrohr, nach oben, und vergebens hatten sie schon bis zu Sonnenaufgang den Horizont nach jeder Richtung hin durchsucht und Nichts entdecken können, als der Blick des ersten Harpuniers auf einen dunklen Punkt in dem jetzt hellblitzenden Wasser traf, und diesen festhielt. Die Entfernung war aber selbst für das gute Glas zu groß, etwas Genaueres [46] unterscheiden zu können, nichts desto weniger wurde der Kapitän gleich davon in Kenntniß gesetzt, der dann ebenfalls nach oben kam.

Jedenfalls schwamm dort irgend etwas auf dem Wasser, was es auch sein mochte, aber es lag zu windwärts. Sie mußten in der Nacht daran vorbei getrieben sein und, um sich erst davon zu überzeugen, was es sein könne, wurde der zweite Harpunier mit seinem Boote beordert, hinzufahren. Wenn auch nicht das vermißte Boot, denn so sah es nicht aus, war es möglicher Weise ein todter Wallfisch und lohnte nicht allein die Mühe danach zu sehen, sondern konnte sie auch auf die Spur der Verlorenen bringen, da der Fisch, wenn er von ihnen geworfen worden, jedenfalls noch eine der Schiffsharpunen oder „Eisen“ in sich trug.

Der Befehl wurde hinunter an Deck gerufen, und wenige Minuten später stieß das Boot schon vom Bord und schoß von den vier kräftigen Riemen getrieben, pfeilschnell der Richtung zu, die ihm von dem Hauptmast aus durch den ausgehaltenen Korb fortwährend angedeutet ward; der Kapitän aber blieb oben in der großen Bramstengensalung, um den einmal gefaßten Punkt nicht wieder aus dem Glas zu verlieren und den Erfolg des Bootes beobachten zu können.

Wohl eine halbe Stunde war dieses indeß, nur dem Zeichen vom Bord aus folgend, gerudert, ohne selber etwas nach vorne wahrnehmen zu können, als endlich der vorne im Boot auf der Bank stehende Harpunier einen dunklen Gegenstand gerade vor sich und dicht über dem Wasser zu erkennen glaubte. Der eingezogene Korb an Bord zeigte ihnen ebenfalls, daß sie die rechte Richtung hätten, und nicht lange mehr dauerte es, so rief der Harpunier plötzlich, indem er sich nach seinen Leuten halb umwandte und mit dem Arm nach vorne deutete:

„Greift aus, meine Burschen, greift aus – das ist bei Gott ein Mensch, der da auf einem Floß oder Boot oder sonst was steht – greift aus, denn wie mir scheint, kommen wir eben noch zur rechten Zeit!“ Dann ein lautes „Hallo!“ ausstoßend, suchte er dadurch den Gegenruf von da drüben zu erwecken; aber kein Laut antwortete ihm, und indem sie nun alle Kraft in den Druck der Ruder legten, daß sie sich fast zum Zerspringen bogen, schäumte das scharfgebaute schlanke Fahrzeug seinem wunderlichen Ziel entgegen.

„Ein Mann! ein Mann!“ riefen aber auch die Leute jetzt im Boot, die neugierig den Kopf nach ihm wandten, und: „damn my eyes!“ [47] brummte der Bootssteuerer, der ebenfalls mit dem Steuerriemen in der Hand hoch im Boot stand – „if that ai’nt Patrik!“ (Verdamm meine Augen, wenn das nicht Patrik ist.)

Patrik, by God!“ rief jetzt auch der Harpunier – „aber wo sind die Andern?“ Jede weitere Frage erstarb jedoch in den neuen Ausrufen des Staunens, als sie näher kamen und nicht allein wirklich den vierten Harpunier, den jungen Iren Patrik in dem Schiffbrüchigen erkannten, sondern auch fanden, daß er keineswegs auf einem Floß oder umgedrehten Boot, sondern auf einem todten Spermfisch kniete, der mit seiner Last einige Zoll unter der Oberfläche des Wassers lag. – Die linke Hand hatte er dabei um das kurze Tau einer noch in dem Blubber steckenden Harpune geschlagen, was ihn allein auf seinem schlüpfrigen Stand gehalten, und mit der rechten hielt er den Harpunenstiel, den er von der Leine losgeschnitten, so krampfhaft umfaßt, daß er ihn nicht einmal lassen wollte, als das Boot an ihn hinanschoß, und sich Aller Arme nach ihm ausstreckten, um ihm hinein zu helfen.

Der arme Teufel sah dabei todtenbleich aus und brachte keinen Laut über die Lippen – ja sein Blick schweifte wild und stier selbst über die Kameraden hin, als ob er sie nicht mehr kenne; wie mechanisch nur richtete er sich selber auf, in das Boot zu steigen, brach aber dort, sobald er nur die festen Planken unter sich fühlte, ohnmächtig zusammen. Er hatte eine furchtbare Nacht durchlebt, und wir müssen zu dem Augenblick zurückgehen, wo er mit seinem Boote die übrigen verließ, um den einzeln aufgekommenen und von der übrigen School abschwimmenden Fisch zu verfolgen.

In etwa fünfhundert Schritt Entfernung von dem Sperm ruderten sie hinter ihm drein, und gewannen an ihm, wie er mehrmals untertauchte und dann langsam, keinen Feind hinter sich ahnend, wieder nach oben kam. Mehr und mehr drehte er dabei von dem bisher gehaltenen Cours ab, möglicher Weise vielleicht um in einem weiten Bogen zu dem früheren Spielplatz zurück zu kehren; aber auch diesen Cours änderte er wieder und zog jetzt, während das Schiff selber, wie man im Boot recht gut sehen konnte, über den anderen Bug von ihnen fort lag, gerade gen Westen mit Wind und Strömung. Patrik, wie bemerkt der Harpunier oder Boatsheader des vierten Bootes, ließ nun, da ihnen der Wind günstig geworden, seine Segel setzen, um dem Fisch desto schneller und geräuschloser folgen zu können.

[48] Dieser aber, ob er nur so auf eigene Faust in rasche Fahrt kam, oder doch, trotz aller Vorsicht, etwas von den Verfolgern gewittert hatte, lief jetzt so schnell durch das Wasser, daß selbst das leichte Boot mit einer günstigen Brise nur wenig an ihm gewinnen konnte. Da plötzlich, als sie nach mühsamer Arbeit schon fast in Wurfsnähe hinangekommen, und der Bootssteuerer auch bereits zum Wurf mit seinem Eisen ausholte, ging er nach unten, und das Boot schoß ich nächsten Augenblick über die Stelle hin, in der die Fluth noch hinter dem gesunkenen Ungethüm kräußte und wirbelte.

„Segel ein!“ scholl da der rasch und dringend gegebene Befehl des Harpuniers; die kleine Raa fiel im nächsten Augenblick, das Boot glitt nur noch langsam, einmal im Schuß, ein Stück weiter auf seiner Bahn, und der Bootssteuerer stand, auf den Wink seines Oberen, mit gehobener Harpune still und regungslos vorn im Boot, um gleich zum Wurf bereit zu sein, wenn der Fisch sich wieder zeigen sollte; aber er selber zweifelte, daß das Thier hier wieder nach oben kommen würde, und deutete, fragend dabei den Harpunier ansehend, weiter nach vorn. Dieser obgleich noch jung an Jahren, war doch ein alter Wallfischfänger, und die ganze Art wie der Fisch niedergegangen, schien seine Vermuthung zu rechtfertigen, daß er hier nur einen plötzlichen Halt gemacht, und nicht weit gehen würde, bevor er auf’s Neue zur Oberfläche käme. Während das Segel nun an den Mast flappte und der Harpunier das Schootenfall desselben noch um die Hand gewickelt hielt, um keinen Augenblick zu verlieren, wenn sie dennoch die Verfolgung wieder aufnehmen müßten, sahen die Leute an den jetzt leise wieder vorgenommenen und für jeden Fall eingelegten Rudern aufmerksam in die klare Fluth unter sich nieder, in der allerdings etwas ungewissen Hoffnung, den vielleicht darunter hinschwimmenden Fisch zu sehen und seine genommene Richtung dadurch bestimmen zu können. „Da schwimmt was!“ rief plötzlich Einer der Leute mit halbunterdrückter erschreckter Stimme – „gerade von unten herauf!“ „Bst!“ warnte aber der Ruf des Offiziers – „leise – leise! Ihr scheucht ihn fort! Wo?“ – „Da kommt er – da kommt er!“ schrieen aber drei oder vier Stimmen jetzt zu gleicher Zeit und fast instinktartig griffen sie nach den Rudern. –

„Zurück mit Euch – zurück – um Euer Leben!!“ schrie aber auch in diesem Augenblick der Harpunier, der über Bord gebeugt, die hellgrüne riesige Gestalt blitzesschnell aus der Tiefe herauftauchen sah, und die Gefahr [49] recht gut kannte, der sie ausgesetzt waren, wenn der Koloß ihr Boot so im Aufkommen nur leise traf. Fast in demselben Augenblicke fielen auch die Ruder in das Wasser, und das Boot, von dem Gegenschlag derselben zurückgeschnellt, konnte kaum um seine eigene Länge den Platz geräumt haben, als der riesige abgestumpfte Kopf eines mächtigen Spermfisches, den weiten schmalen Rachen halb geöffnet, an die Oberfläche tauchte und mit dem halben Kopf darüber hinausschnellte, um gleich darauf mit einem gewaltigen Satz, das Wasser dabei in vollen dicken Strahlen seitwärts ausstoßend, nach vorne zu schießen, um dem fremden Gegenstand, dem Boot, das er jedenfalls gesehen haben mußte, zu entgehen.

Vorn im Boot und dicht über dem „Berg von Blubber“, der sich eigentlich unter seinen Füßen aus der Fluth hob, stand der Bootsteuerer mit gehobenem Eisen; aber sein Arm zitterte, und noch im Bereich des furchtbaren Gegners, der sie mit einem Schlag zermalmen konnte, wagte er es nicht, die Harpune in den fliehenden Koloß zu schleudern. „Wirf – wirf, in’s drei Teufels Namen!“ schrie aber Patrik, die Gefahr total mißachtend und in dem Moment nur ihrer Jagd gedenkend, die ihnen die Beute fast in Armes Bereich gebracht, – „Mensch, du läßt dir ja den Fisch unter den Händen weg!“ Und die eigene Lanze aufgreifend, schien er den Augenblick mit wilder Lust zu erwarten, wo er den scharfen Stahl hinter die Finne des Wildes schleudern könnte.

Noch zögerte der Bootsteuerer, aber es waren nur Sekunden, die ihm zum Besinnen blieben, denn ließ er den günstigen Moment ungenutzt vorbei, so war die Frage, ob er bei dem jetzt scheu gemachten Fisch je wieder kehrte. Aber das Segel, von des Harpunierers Hand rasch angezogen und gehalten, hatte schon den Wind gefaßt, und indem er den Steuerriemen scharf gegen die Hüfte preßte, um den Bug des Boots herum zu bringen, ließ er es schäumend hinter dem flüchtigen Fische drein fliegen. Und jetzt sauste die Harpune, von der kräftigen Hand des jungen Engländers geschleudert, tief in den Rücken des Gegners und haftete in dem zähen Blubber.

Im Nu war das Segel wieder genommen, waren die Ruder eingeworfen und der Bootssteuerer gab jetzt, indem er zurücksprang und seinen Platz am Steuerruder nahm, dem Harpunier Raum die Lanze zu werfen und dem Leviathan der Tiefe den Todesstoß zu geben. Denn der Hapunier ist der erste Offizier in einem Wallfischboot, der Bootssteuerer der zweite; im Anfang der Jagd haben aber beide ihre Plätze gewechselt, oder [50] vielmehr die rechten noch nicht eingenommen, denn der Harpunier steuert das Boot an den Fisch hinan, was eine sehr sichere geübte Hand erfordert, und der Bootssteuerer steht vorne mit der Harpune, den Fisch zu werfen und an ihn fest zu kommen. Hat aber die Harpune gefaßt, dann nimmt der eigentliche Harpunier mit der Lanze (eine wirkliche Lanze ohne Widerhaken) zum Tödten des Wallfisches den Platz vorn im Boot ein und sein Wurf muß gerade hinter die Finne auf einen etwas ausgehöhlten dunkleren Fleck treffen, wo das mächtige Thier allein tödtlich verwundet werden kann.

Die Leine, an der die Harpune saß, sauste indessen rauchend durch die vorn auf dem Boot zu dem Zweck angebrachte offene Klüse (Stoßpinnen) und das Boot schoß blitzesschnell hinter dem herüber und hinüber zuckenden Fisch drein.

Patrik stand jetzt vorne im Boote, die Lanze zum Wurf aufgehoben, und die Leute holten mit Macht Leine ein, ihr kleines Fahrzeug wieder zum Todesstoß für den Gefangenen an ihn hinan zu ziehen. Jetzt kamen sie hinan, Patrik bog sich zurück, und während der Schwanz des riesigen Thieres fast dicht neben ihnen das Wasser schlug und es sich hob, um der jetzt ihm bewußten Gefahr zu entgehen, sauste der tödtliche Stahl in die weiche Flanke des Feindes tief hinein. Im Nu riß sie aber der Harpunier mit einem triumphirenden Blitzen der Augen zurück, den Stoß zu wiederholen, als sich der Fisch im Schmerz und Todeswuth rasch und plötzlich wandte, daß die See seine Seiten peitschend, zischte und schäumte.

„Dickes Blut, dickes Blut!“ jubelten die Leute in diesem Augenblick, aber „zurück!“ schrie die Stimme des Harpuniers in lautem gellendem Ton, und wie sich der Bootsteuerer mit ganzem Gewicht in seinen Riemen warf, und weit hinaus über das Boot lehnte, um den Bug desselben rasch herum zu werfen, und bevor die Leute selbst ihre Ruder in die Dollen werfen konnten, kam das gereizte Thier, das seinen Feind jetzt so dicht vor sich sah, mit offenem Rachen heran, und das Boot fassend und zermalmend riß es die dünnen Planken auseinander, als ob sie von Papier gewesen wären.

Patrik sah die Gefahr, wußte was ihnen bevorstand, und mit ruhiger fester Hand schleuderte er die schon wieder gehobene Lanze gerad’ nach dem Auge des Feindes, das er traf und durchbohrte; aber das Boot konnte er nicht damit retten. Das wüthende Thier fühlte im Todeskampf vielleicht nicht einmal die neue Wunde. Denn das dicke schwarze Blut ausblasend [51] und nur noch in dem einen Bewußtsein, dem der Rache, knirschte es das Boot zusammen, und die schäumende blutige Fluth wirbelte im nächsten Augenblick über eine Masse von Trümmern und Schwimmenden, die nur ein Brett zu fassen suchten in dem nächsten Gefühl der Erhaltung.

Nur Patrik selbst hatte fast unbewußt und krampfhaft noch im Sturz die Leine gepackt, in der die Harpune saß. Als sie sich um seinen Arm schlang, riß sie ihn wenige Minuten später mit fort durch die blutige Fluth, hinaus in freies Wasser und nach unten, und er wäre verloren gewesen, wenn der Fisch nur noch für Sekunden länger Leben behalten hätte. Aber der erste Wurf hatte ihn zu sicher getroffen, und wieder nach oben kommend, schwamm er ein- zweimal im Kreise herum, peitschte mit den riesigen Flossen die zitternden Wogen um sich her und trieb dann langsam und todt in der blutigen Fluth.

Patrik, der mit ihm wieder nach oben gekommen und von dem getödteten Fisch so unfreiwillig eigentlich in’s Schlepptau genommen war, zog sich jetzt rasch zu dem mit der Oberfläche gleich schwimmenden Koloß hin, und die dort noch haftende Harpune ergreifend half er sich in demselben Augenblick hinauf, als ein wilder Schrei dicht hinter ihm ertönte. Erschreckt wandte er sich darnach um – der Hülferuf klang gar so entsetzlich und markdurchschneidend; aber ihm selber stieß es wie mit einem Messer in’s Herz, als er, gar nicht weit von sich entfernt, die dunklen Flossen zweier Haie erkannte, die rasch und gierig herüber und hinüber schossen, während das Gurgeln im Wasser dicht hinter ihm, und das Peitschen der Wogen die Stelle verrieth, wo einer seiner Kameraden den Todeskampf kämpfte in den erbarmungslosen Fängen einer dritten Bestie.

Wie sich die Geier und Raben sammeln um ein sterbendes Vieh, so steigt aus dem Grunde herauf der Hai, plötzlich und unerwartet, dem Schwimmer zum Verderben, und was er einmal gefaßt, das ist auch sein und er hält es sich herumwirbelnd wie in eisernen Fängen.

Hie und da trieben jetzt noch einzelne der Unglücklichen aus dem zerschmetterten Boote, die sich theils an die Ueberreste desselben geklammert, theils einen Riemen gefaßt hatten, sich über Wasser zu halten; aber nur noch drei waren übrig von all den kräftigen lebensfrohen Gestalten, die keck und trotzig noch wenige Minuten vorher der Gefahr ins Auge geschaut, und die Hyänen der Tiefe wütheten jetzt unter ihnen. Was half der mit dem Arm nach ihnen geführte machtlose Schlag, was der gellende Aufschrei der [52] Verzweiflung – er war Musik in den Ohren der kalten furchtbaren Raubthiere mit den Katzenaugen und der riesigen Kraft, und der blutige Schaum, der in der nächsten Sekunde auf der Oberfläche des Meeres schwamm, war das Leichentuch der Unglücklichen und zeichnete ihr Grab.

„Das ist furchtbar!“ stöhnte Patrik, der kaum die Kraft behielt sich auf dem ihn jetzt noch schützenden Körper des Wals zu halten, – „Furchtbar, so enden zu sollen, und keine Hiilfe!“ – und das Auge suchte verzweifelnd in der Wasserwüste um ihn her das rettende Schiff, das weit, weit am Horizont von ihm ab kreuzte, den anderen Booten nach. Und wenn sie ihn dann auch vermißten und suchten, und das Boot nicht mehr finden konnten mit dem Glas, und hier auf- und absegelten Tage lang, was half es ihm? – Nur Stunden, Minuten vielleicht waren ihm noch gegeben, und seine Henker wälzten und jagten sich um ihn her und sprangen und tauchten in wilder befriedigter, aber nimmer gesättigter Lust.

Schaudernd barg er das Gesicht in die Hand, die eigene Gefahr fast vergessend, um den Todeskampf der Kameraden um sich her nicht zu sehen, der ja doch nur ein Spiegelbild dessen war, was ihn selber erwartete; aber das Zischen und Schlagen des Wassers um ihn her zwang ihn zuletzt, mit dem Instinkt der Selbsterhaltung, die sich bis zum letzten Augenblick selbst an den Strohhalm klammert, auf eigene Rettung zu denken, oder sein Schicksal doch wenigstens so lange hinaus zu schieben wie möglich, um eben der Möglichkeit einer Hülfe überhaupt noch Raum zu geben.

Die Harpune in dem Rücken des Wals, die er um ihr mehr Festigkeit zu geben, noch tiefer in den Blubber hineindrückte, bot ihm eine Stütze, sich auf der schlüpfrigen glatten Masse zu erhalten. Denn wenn er auch ein paar Mal daran dachte, das Eisen herauszuschneiden und sich desselben als Schutzwaffe gegen den gierigen Hai zu bedienen, den Gedanken mußte er doch immer wieder aufgeben. Hinunter gespült in die Fluth wäre selbst das scharfe Eisen nicht Wehr genug gegen den schnellen Hai gewesen, der herüber und hinüberschießend, sein Opfer doch zuletzt gefaßt und dann trotz allen ihm vielleicht versetzten Wunden in die Tiefe gezogen hätte.

Aber eines konnte er thun. Der Stiel der Harpune, ein kurzer, stämmiger Eichenstock von vielleicht zwei Zoll im Durchmesser, stack noch im Eisen fest, und den hob er heraus, befreite ihn mit dem kurzen Messer, das in seinem Gürtel hing und das jeder Matrose bei sich trägt, von der Leine, die er noch Zeit behielt von der Harpune zu lösen und wieder daran zu festigen. [53] Und indem er die Harpunenleine dann zum besseren Halt um seine linke Hand schlang, faßte er den stämmigen Stock jetzt mit frohem Selbstvertrauen in die Faust und sah mit zusammengebissenen Zähnen und neu erwachtem Muth dem ersten Angriff des Feindes entgegen, der indessen lange auf sich warten ließ.

Die Haie waren für den Augenblick gesättigt und spielten mehr in den Strömen Blutes, die rings das Wasser färbten, als daß sie nach neuer Beute verlangten; in dem Blut selbst hatten sie auch weiter keine Witterung mehr und suchten nur manchmal, wenn auch vergebens, einen Halt an dem schlüpfrigen, breiten Körper zu bekommen, ja schwammen auch wohl faul und schläfrig hinter den aus dem Boot geschlagenen, treibenden Brettern und Riemen her, hier eins fassend und eine Weile im Rachen haltend und dort eins mit dem runden, schaufelförmigen Oberkiefer vor sich hinstoßend.

Das Wetter war glücklicher Weise still und ruhig, und nur der Ostpassat warf leichte Wellen, in deren Wogen der Fisch sich ebenfalls hob und senkte, auch über Patrik hin, aber keiner der Haie war bis jetzt so nahe gekommen, daß er ihn gesehen, oder wenn gesehen, beachtet hätte, und er hoffte schon vielleicht unangegriffen seinen Platz behaupten zu können, bis das Schiff zu seiner Rettung herbei käme, oder wenigstens seine Boote schickte. Aber wo war das Schiff? – Heiliger Gott, keine Aussicht auf Entsatz noch in langer Zeit! Denn selbst auf die Entfernung hin konnte es dem Auge des Seemanns nicht verborgen bleiben, daß es noch immer von ihm abhalte, in den Wind hinein. Die anderen Boote waren also ebenfalls festgekommen und, mit den genommenen Fischen langseits, gar nicht einmal mehr im Stande nach ihm zu suchen.

Die Sonne brannte ihm dabei heiß und sengend auf den Scheitel, und die Zunge klebte ihm am Gaumen. Wasser! – die kühle Fluth netzte seinen Fuß, und sollte er darin verschmachten? – Er kniete nieder und wusch sich Stirn und Schläfe und Augen und Lippen, um einige Kühlung zu haben in der Gluth, und dann band er sich, da er beim Zerschlagen des Bootes auch seinen Hut mit eingebüßt, sein Taschentuch über den Kopf, um ihn etwas gegen die stechenden Strahlen zu schützen.

Durch diese Bewegung mußte aber einer der Fische auf ihn aufmerksam geworden sein, oder konnte auch, wenn gleich gesättigt und übersättigt, doch die Gier nach neuer Beute nicht mäßigen; denn wie er den Kopf eben [54] emporrichtete, bemerkte er, daß eine der größten ihn umschwimmenden hoch aus dem Wasser ragenden dunklen Rückenfloßen gerade und rasch auf ihn zugeschwommen kam. Er behielt auch in der That kaum Zeit sich emporzurichten und mit seiner Wehr zum Schlag auszuholen, als ein tüchtiger Bursch von vielleicht dreizehn Fuß Länge herangeschossen kam und sich mit der gerade steigenden Woge halbum auf den Rücken des Wals drehen wollte, um was dort oben sich noch befand, herunterzulangen. Mit der Gefahr kehrte dem Seemann all der frische tollkühne Muth zurück, und den schweren Harpunenstock schwingend in der Faust und mit der Linken das Tau noch immer fassend, um seinen festen Stand zu bewahren, traf er den eben die Oberfläche berührenden Kopf des Ungethüms mit so kräftigem, gut gezieltem Schlag, daß der Hai halb betäubt von dem Fisch zurückglitt und wegsank, ehe er sich zu einem neuen Angriff rüsten oder vielleicht auch entschließen konnte.

Aber andere Haie hatte das Geräusch, das Plätschern und Schlagen herbeigelockt, und wenn sie auch nicht gleich einen unmittelbaren Angriff auf das kecke Menschenkind machten, das ihnen in ihrem eigenen Element zu trotzen wagte, so umschwammen sie doch den Ort wo er stand in immer engeren Kreisen und kamen ein paar Mal selbst so nahe, daß Patrik sie mit dem starken Ende des Holzes genugsam über die Kiemen traf, um ihnen in Zukunft mehr Respekt einzuflößen. Der Hai ist aber ein gierig stöckisches Vieh und kehrt, wenn gleich selbst schwer verwundet, immer wieder zu einer einmal gewitterten Beute zurück, so lang er noch die Kraft dazu in sich fühlt. So auch hier. Wieder und wieder mußte sie das schwere Holz belehren, daß hier noch Nichts für sie zu holen sei, so lange wenigstens nicht, als sich der junge Ire noch stark genug fühle, gegen Hunger und Durst, gegen den sengenden Sonnenstrahl und die stete furchtbare Anstrengung seiner Nerven in der entsetzlichen ihn umgebenden Gefahr anzukämpfen.

Und das Schiff? – keine Rettung von dort! Tiefer und tiefer sank die Sonne und weit, zu windwärts noch, lag das Schiff mit seinen hell schimmernden Segeln. Gieriger aber wurden die ihn umschwimmenden Bestien, die vergebens ihre Fänge in die zähe Haut des Spermfisches einzuschlagen suchten, und wie die Sterne sich im Osten entzündeten und nach und nach über den ganzen Himmel flammten, bis selbst in den hellen Streif hinein, der noch auf dem westlichen Horizonte lag, sah er die glühenden Strahlen in der leuchtenden Fluth herüber und hinüber streichen, wie die [55] Fische zu- und abwärts schwammen, und die Gefahr für ihn wuchs mit der Nacht.

Wohl erkannte er die für ihn ausgehangenen Laternen seines Schiffes, ja er sah, als es völlig dunkelte, den hellen Feuerschein der Blubberlampen und das matte Licht sogar, das von den Kochöfen der Thransieder ausging und in den aufgegeiten Segeln seinen Wiederschein fand; aber was half das ihm? Wie durfte er hoffen, von dem Schiffe aus in dunkler Nacht gesehen und aus seiner furchtbaren Lage gerettet, befreit zu werden? Und würden menschliche Kräfte bis zum nächsten Morgen das so ertragen können?

Er war bereits kaum noch im Stande sich auf den Füßen zu halten, und suchte kurze Erholung wenigstens darin, daß er Minutenlang, oder so lange ihn die immer wieder näher kommenden Fische ließen, auf seinem wunderlichen Floße kniete und selbst versuchte, sich, wenn auch im Wasser, oh nur ein einziges Mal der Länge nach auszustrecken. Vergebene Hoffnung! Seine Peiniger ließen ihn nicht ruhen, und die Gefahr war zu furchtbar nah, von ihnen überrascht, gefaßt und seinem Tode entgegen gerissen zu werden, als daß er sich muthwillig ihrem Angriff aussetzen durfte. Der gierigste der Burschen, ein junger Fisch von kaum mehr als acht Fuß Länge, packte sogar einmal die Harpune selbst, hinter die er getreten, und hielt sie lang genug, um von der zurückweichenden Welle halbtrocken auf dem Spermfisch gelassen zu werden; da traf ihn aber Patriks Harpunenstiel dermaßen über den tückisch drohenden Schädel, daß er betäubt von dem schlüpfrigen Wal zurückglitt, das Weiße vom Bauch aufdrehte und versank. Aber andere nahmen seinen Platz ein, und nur der Gluthenstreif, den sie im dunklen Wasser zogen, verrieth ihr Nahen und mahnte den Unglücklichen jedesmal, dem neuen Angriff die Stirn zu bieten.

Stunde um Stunde verging so in dem entsetzlichen Ringen um sein Leben; aber neue Hoffnung erwachte in ihm, als das Schiff jetzt näher und näher kam, und der wieder abgefeuerte Schuß hell und klar zu ihm herüber tönte.

Jetzt konnte er schon das Deck selber erkennen, ja die Gestalten sogar, die sich in demselben Lichte hin- und her bewegten. „Ahoy! – o ahoy!“ tönte sein wilder verzweifelter Schrei hinüber zu den Kameraden, die ohne ihn zu bemerken, an ihm vorüber treiben wollten – „ahoy!“

Wieder galt es sein Leben zu vertheidigen, denn die Fische, von dem Ruf der menschlichen Stimme angelockt, kamen von allen Seiten herbei, [56] und die dunklen Rücken streiften und theilten die Oberfläche des Wassers an vielen Stellen. Da und dorthin traf sein Schlag, das Ende des zähen Holzes war schon zersplittert in den verzweifelten Streichen – Streiche, die einen Stier betäubt haben würden, und bei dem Hai nur höchst selten mehr Wirkung ausübten, als ihn auf kurze Zeit zurück zu treiben.

Und das Schiff? – Da drüben trieb es, fast in Rufes Nähe; wieder schmetterte ein Kanonenschuß zu ihm herüber, und die darauf folgende Pause benutzte er auf’s Neue, den gellenden Hülferuf dorthin zu senden, wo ihm so nah und doch unerreichbar die Rettung lag. Aber der Wind kam von dort herüber; so deutlich er den Schall des Geschützes hörte, ja selbst dann und wann den einzelnen Laut einer Stimme vom Deck zu unterscheiden glaubte, so wenig vermochte sein eigener Ruf hinüber zu dringen. Nur die Feinde um ihn her machte er mehr und mehr rege und gierig, und ihre Angriffe wurden häufiger.

Was die Hoffnung auf Rettung bis dahin wach gehalten, seine Kraft, sein guter Muth – sie sanken, als er das Schiff vorbeitreiben sah, sanken, als ihm kein Mittel geblieben war, seine Nähe zu verkünden. Nur der krampfhafte Trieb der Lebenserhaltung hielt ihn noch aufrecht, es zu vertheidigen gegen den Angriff der gierigen Bestien – bis zum letzten Athemzug.

So schwand die Nacht – das südliche Kreuz am Himmel drehte sich langsam – langsam nach Westen, und dort hinten im fernen Ost dämmerte der Tag. Er sah das noch – erkannte, wie die Sonne dem Meer entstieg, erkannte wieder die Umrisse seines Schiffs, die schlanken Masten und die aufgegeiten Segel, wollte noch das letzte versuchen, sein Dasein zu verkünden, und versuchte das Hemd auszuziehen und es zu schwenken, dem Ausguck im Mast ein deutliches Zeichen, – er vermochte es nicht mehr. Die Glieder waren ihm starr und steif, selbst die Stimme versagte ihm den Dienst und schwand in ein leises Röcheln, die Augen brannten, der Kopf wirbelte ihm, und eine neue wilde Idee, wie ein Irrlicht auf weitem Meer, blitzte in ihm auf und schien alles Andere, jeden Gedanken an Hülfe oder Rettung, jede Hoffnung, jeden weiteren Blick um sich her zu verdrängen. Er fing an unter den ihn noch immer rastlos umschwimmenden Haien sich den einen auszusuchen, auf den er sich werfen und den er mit dem scharfen kurzen Messer, das er trug, zugleich mit sich vernichten wolle. Wieder und wieder hatte ihn der bedrängt und ihm nicht Ruhe noch Rast gelassen [57] auch nur eine Stunde lang: immer auf’s Neue, wenn auch immer wieder mit dem schweren Holz empfangen und zurückgeschlagen, kehrte er zurück, der gierigste unter der gierigen Schaar, und Rache wollte er an dem.

Aber die Kräfte verließen ihn, die furchtbare Aufregung seines Geistes und Körpers drohte ihn zu bewältigen, und während die Haie seit Tagesanbruch, wenn sie auch nicht den getödteten Wal verließen, doch keinen direkten Angriff mehr auf den Mann machten, der ihnen ja doch bald zur Beute fallen mußte, war er in die Knie gesunken und folgte halb bewußtlos nur mit den Blicken den dunklen, dräuenden Flossen. Er hatte das Schiff ganz vergessen.

Das laut herüber gerufene Hallo des rettenden Bootes weckte ihn zuerst aus seiner Betäubung, – er sah das Boot, aber er schien kaum zu begreifen, was es wolle, wo er sich eigentlich befinde. Aber er richtete sich noch einmal auf – fühlte sich von anderen Armen unterstützt, von freundlichen herzlichen, ermuthigenden Worten begrüßt, und sank ohnmächtig zurück.

Der Harpunier hatte nun allerdings Ordre bekommen, wenn er den dunklen Punkt, den sie von Bord aus gesehen, erreiche und einen todten Wallfisch finde, ein Zeichen durch das Wehen einer mitgenommenen weißen Flagge zu geben, und dann dort zu bleiben, bis ihm die anderen Boote zu Hülfe geschickt werden konnten, um den todten Fisch in’s Schlepptau zu nehmen. Sie hatten aber nicht erwartet, einen einzelnen, halbtodten Kameraden darauf zu finden. Er gab deshalb allerdings das Zeichen und stieß die mitgenommene Flagge in den Körper des todten Wals, damit die anderen Boote den Platz finden könnten, ruderte dann aber, so rasch ihn die Riemen seiner Leute vorwärts zu bringen vermochten, mit dem Geretteten zum Schiff zurück. Drei von den Haien, die sich die schon sicher gehoffte Beute nicht so leicht wieder wollten entreißen lassen, folgten dem Boot, und wurden von dem Harpunier, der sich wohl denken konnte, wie sie den Kameraden dort geängstigt und bedrängt, einzeln vom Boot aus mit der Lanze geworfen und erlegt.

Der Herr von der Hölle[Bearbeiten]

Der Herr von der Hölle. Eine verzweifelte Geschichte. In: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Herausgegeben von Ernst Dohm und Julius Rodenberg. A. H. Payne, Leipzig, Band 5, 1870, S. 385–412 Commons

[385]

Der Herr von der Hölle.
Eine zweifelhafte Geschichte.
Von Fr. Gerstäcker.
1. Kapitel.
In Verzweiflung.

Ueber dem freundlichen Lahnthal stand der Mond[1] und warf sein wildes Licht auf die bewaldeten Höhen, auf den blitzenden kleinen Strom und auf einen von Menschen schwärmenden Platz nieder, der sich aber dort unten seinen eigenen Lichterglanz gebildet hatte und wahrlich den sanften Schmelz nicht achtete, der da draußen, in unbeschreiblichem Zauber, auf der Landschaft lag.

Wunderliche Welt! wunderliches Menschenvolk darin, das sich überall einnistet und ausbreitet und die Natur selber seinen Leidenschaften dienstbar macht.

Oben auf den Bergen lag der stille Frieden Gottes. Versteckt auf der in Myriaden von Thauperlen funkelnden Wiese, die schlankem geschmeidigen Körper scharf in dem Schatten der Mondenstrahlen abgezeichnet, äste sich ein kleines Rudel Rehwild, und darüber hin strich die Nachtschwalbe mit ihrem melancholischen Ruf – die Grille zirpte und leise rauschte in der vom Rhein herüberwehenden Brise das junge saftige Buchenlaub. Unten aber im Thal, aus der Erde Grund herauf, quoll geheinmißvoll aus räthselhafter Tiefe der heiße Quell – noch Blasen werfend in der kühlen Abendluft, wie er sich den unterirdischen Gluthen eben entrungen, und daneben, ja sogar darüber, hatte das Menschenvolk seine Wohnungen selbst in den starren Fels hinein gebohrt und hauste da nach Herzenslust.

Wie ein Palast hob es sich dort mit hohen, lustigen und jedem nur erdenkbaren Luxus ausgestatteten Räumen, von rauschender Musik durchströmt, von zahllosen Lampen erhellt und mitten darin, das Centrum des Ganzen bildend – der eigentliche Blocksberg, zu dem in der Nacht des ersten Mai der böse Feind seine Anhänger zieht, sie dort zu einem wilden Fest vereinigend –, standen die grünen Tische mit Gold, Silber und Banknoten bedeckt. Das Auge der Opfer, die sich um die gefährlichen [386] Stellen drängten, sah aber nicht den milden Mondenglanz, der draußen an den Hängen lag – ihr Ohr vernahm nicht einmal die rauschende Musik umher, viel weniger noch das geheimnißvolle Murmeln der unterirdischen Quellen, denn nur an dem blitzenden, klingenden Gold auf den Tischen hingen die Sinne. Was kümmerte sie die Welt und wenn sie sich in ihrer ganzen Pracht entfaltet hätte!

Aus den hell erleuchteten Räumen in die Mondnacht hinein schritt eine kleine schmächtige Gestalt, das Antlitz todtenbleich, das dünne röthliche Haar wirr um die Schläfe hängend und dabei so vollständig rath- und gedankenlos, daß er selbst ohne Hut hinaus in’s Freie wollte. Der Portier an der Thür wußte aber besser, was sich schickt; er war außerdem Menschenkenner und hatte die kleine dürftige Gestalt schon aufmerksam betrachtet, als sie die erleuchtete Halle nur betrat – ja sogar dem fadenscheinigen Rock den Eintritt verweigern wollen. Jetzt reichte er ihm schweigend und mit einem bedauernden Achselzucken – denn ein Trinkgeld stand nicht in Aussicht – den Hut und der kleine blasse Mensch stürmte hinaus – fort. Und nicht einen Blick warf er umher – zwischen den Bänken,Tischen und Stühlen, die draußen unter den Schattenbäumen im Freien standen, wand er sich hindurch, der schmalen eisernen Brücke zu, die über die Lahn führte. Diese überschritt er; an dem Bassin vorüber, in welchem die heißen Wasser abgekühlt werden, ging er, den Blick fest auf den Boden geheftet, – drüben passirte er das letzte Haus und schlug sich dann, hügelan, in ein kleines Wäldchen hochstämmiger süßer Kastanien hinein, das, von Blüthen bedeckt und wie mit Silber übergossen, seine ganze Pracht entfaltete.

Aber was kümmerte den Unglücklichen die herrliche Mondnacht und der Schmelz der Blüthen. Finstere Gedanken zerquälten sein Hirn und mit festverschränkten Armen schritt er durch den kleinen Kastanienhain bis zum oberen Rand hinan, wo er sich aus Sicht von jeder menschlichen Wohnung, von jedem begangenen Weg befand. Dort erst hielt er an und warf den scheuen Blick umher.

Es dauerte übrigens nicht lange bis er Das gefunden, was er zu suchen schien: einen starken, gerade ausgehenden Ast eines der stärkeren Kastanienbäume und dort – wie an einem Ziel angelangt, die Stirn in finstere Falten gezogen, das Auge düster drohend, schleuderte er seinen Hut zu Boden und begann seine Vorbereitungen zu einem letzten, verzweifelten Schritt.

Er knöpfte seine Weste auf und schlang ein nicht dickes, aber sehr festes Seil los, das er sich um die Taille gewunden hatte. Dann, ohne sich auch nur einen Moment zu besinnen, machte er mit kundiger Hand an dem einen Ende eine Schleife und warf das andere Ende über den Ast.

Hier aber traf er auf eine Schwierigkeit, auf die er anfangs nicht gerechnet haben mochte. Der Ast stand vortrefflich aus, aber er war für seine kleine Statur zu hoch, wie der Baum ebenfalls zu dickstämmig, um ihn zu erklettert: – der angehende Selbstmörder schien wenigstens in solchen gymnastischen Künsten nicht geübt.

[387] Er hielt jetzt einen Moment in seiner Arbeit inne, um sich zu überlegen wie er dies Hinderniß am besten überwinden könne. Es war auch in der That nicht so leicht und er dachte gerade daran, sich vielleicht einen bequemeren Baum auszusuchen, als er plötzlich zusammenschrak; denn dicht und unmittelbar neben sich hörte er eine Stimme, die mit der größten Ruhe und Unbefangenheit sagte:

„Der Baum ist ein bischen unbequem – Sie hätten sich einen etwas niedrigeren Ast aussuchen sollen. Ich glaube der dort drüben wäre besser geeignet.“

Der Selbstmörder fuhr, wie von einer Natter gestochen herum und sah, unter den Bäumen, aber gerade von einem Strahl des hindurchbrechenden Mondlichtes getroffen, die Gestalt eines anständig gekleideten Herrn, der dort mit dem Rücken an dem Stamm einer Kastanie lehnte und allem Anschein nach schon dort gewesen sein mußte, als er selber den Platz betrat; denn die Schritte eines Nahenden hätte er jedenfalls gehört. Der aber doch zur Verzweiflung getriebene junge Mensch war nicht in der Stimmung, Rücksicht auf irgend Jemanden zu nehmen. Was hatte der Lauscher hier zu thun? ihn an seinem Vorhaben zu verhindern? Die Folgen über ihn, und mit seiner rechten Hand blitzesschnell in die Tasche greifend, zog er ein kleines Einschlagmesser heraus, öffnete dasselbe rasch und sagte dann mit drohender Stimme:

„Was wollen Sie hier? Wie sind Sie hierhergekommen? Beim Himmel, wenn Sie versuchen wollten mich hier zu stören, so haben Sie sich an den falschen Mann gewandt. Wo ich im Begriff bin mein eigenes Leben in die Schanze zu schlagen, können Sie sich wol denken, daß ich keine Rücksicht auf das eines Fremden nehme. Fort von hier! Wenn Sie nur den geringsten Versuch machen sollten mir zu nahen, so renne ich Ihnen dies Messer in den Leib.“

„Aber, verehrter Herr“, sagte der Fremde, ohne sich durch die Drohung einschüchtern zu lassen, oder auch nur eine Bewegung zu machen, als ob er dem Gebot Folge leisten wolle, „ich habe nicht die entfernteste Absicht Sie zu stören, oder Ihnen in einem guten Vorsatz hinderlich zu sein. Ich stehe Ihnen im Gegentheil mit Vergnügen zu Diensten, wenn ich Ihnen dabei in irgend Etwas nützen kann.“

Der Unglückliche betrachtete ihn noch immer mißtrauisch. Es war eine nicht übermäßig große, schlanke Gestalt mit regelmäßigen, aber blassen Gesichtszügen – oder gab ihm nur das grelle Mondlicht diese Färbung? Nach der neuesten Mode gekleidet, quollen unter seinem Cylinderhut volle, rabenschwarze Locken vor und indem er jetzt den leichten Ueberrock zurückschlug – als ob ihm etwas warm darunter würde, zeigten sich verschiedene bunte Decorationen auf seiner Brust. Er gehörte jedenfalls den höheren – wenigstens den bevorzugten Ständen an.

„Ich verstehe Sie nicht“, sagte der Unglückliche, nachdem er den Fremden ein paar Momente in düsterem Schweigen betrachtet hatte; „Sie wollen mir helfen, meinem Leben ein Ende zu machen, das ich nicht im Stande bin länger zu ertragen? Weshalb?“


[388] „Sie nennen gleich den Grund mit“, sagte der Fremde mit einer leichten Handbewegung. „Wenn Sie wirklich nicht im Stand sind es länger zu ertragen, so ist es Ihnen doch eine Last und was sollte mich da abhalten Ihnen zu nützen? Weil die Handlung vielleicht ungesetzlich ist? Die Sache würde komisch sein, wenn sie nicht auch ihre ernste Seite hätte – aber entschuldigen Sie“, unterbrach er sich selber, „wenn ich Sie durch mein Geschwätz so lange aufhalte. Der Ast da ist Ihnen ein wenig zu hoch, ich habe aber, als ich hierher kam, dort drüben eine kleine Leiter stehen sehen, die der Gärtner wahrscheinlich zu irgend einem Zweck benutzt; ich glaube, daß dieselbe Ihrem Zweck vollständig genügen wird und wenn Sie erlauben hole ich Ihnen dieselbe – ich bin den Augenblick wieder hier.“ – Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten ging er vielleicht zwanzig Schritt unter den Bäumen hin und kehrte wirklich gleich darauf mit einer kleinen Leiter zurück, die er neben dem Unglücklichen mit der unbefangensten Miene von der Welt an den Baum lehnte.

Der Selbstmörder hatte ihn noch immer dabei im Verdacht, daß Alles dieses nur ein Vorwand sei, um an ihn hinan zu kommen, damit er plötzlich auf ihn springen und ihn an der That verhindern könne; er trat auch ein paar Schritte von dem Mann zurück und hielt das gezückte Messer noch immer in der Hand – fest entschlossen keiner menschlichen Gewalt zu weichen. Der Fremde aber achtete nicht einmal auf die drohende Bewegung; er nahm in der That gar keine Notiz von dem jungen Mann und als er die Leiter so gestellt hatte, daß man jetzt von ihm ans bequem den Ast erreichen konnte, wandte er sich wieder ab, ging zu seiner alten Stelle und sagte dann ruhig:

„So, lieber Freund, jetzt sind Sie nicht im Geringsten mehr gehindert; wenn Sie die Schlinge gemacht und um den Hals gelegt haben, brauchen Sie nur die Leiter mit den Füßen umzustoßen und das Resultat wird ein vollständig befriedigendes sein. – Bitte, geniren Sie sich auch nicht etwa meinetwegen; ich bin schon sehr häufig Zeuge solcher oder ähnlicher Handlungen gewesen und vollständig daran gewöhnt.“

Der junge Mensch war, als er diese Stelle betrat, fest entschlossen seinem wahrscheinlich verfehlten Leben ein Ende zu machen und er hätte auch alle Schwierigkeiten, die sich ihm da in den Weg stellen konnten, in seiner, doch nun einmal verzweifelten Stimmung überwunden. Dieses Entgegenkommen eines Fremden aber, diese wahrhaft entsetzliche Gefälligkeit, mit der er die Hand lieh, einen Mitmenschen zum Selbstmörder zu machen, ja das kalte ironische Lächeln, das auf seinen Zügen lag, strich ihm doch wie ein eisiger Reif über die Seele und starr den Blick auf ihn geheftet rief er:

„Mensch oder Teufel, der Du bist – hebe Dich weg von mir! – Eine eigene Angst überkommt mich in Deiner Nähe – fort und laß mich allein sterben.“

Ein Lächeln flog über die Züge des Fremden.

„Es ist sehr freundlich von Ihnen“, sagte er, „daß Sie mich mit

[389] dem vertraulichen Du anreden und wenn Sie nicht in solcher entsetzlichen Eile wären, die mondbeschienene Erdoberfläche Zu verlassen, so könnte es vielleicht zu einer näheren Bekanntschaft fuhren – doch die Menschen sagen: des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und wer sich aus diesem Himmelreich selber eine Hölle machen will, dem“, setzte er achselzuckend hinzu, „kann man es natürlich nicht wehren. Ich störe außerdem nie ein Vergnügen – also á revoir mon cher, denn – wenn Sie Ihren Vorsatz ausführen, soupiren wir vielleicht heute Abend noch zusammen.“

Damit lüftete er leicht den Hut, drehte sich ab und wollte den Platz eben verlassen, als der junge Verbrecher, vielleicht durch die Verzögerung und das Zusammentreffen mit einem Fremden – möglicher Weise auch durch die entsetzliche Bereitwilligkeit wankend gemacht, mit der dieser ihn in seinem Vorsatz zu bestärken schien, ihn noch einmal anrief:

„Und ist das alle Hülfe, die Sie mir leisten wollten?“

Der Fremde drehte sich lachend um und sagte:

„Wünschen Sie vielleicht Geld von mir zu borgen?“

„Teufel!“ knirschte der junge Verbrecher zwischen den Zähnen, wandte sich ab und ergriff jetzt entschlossen die Leiter – was auch hatte er auf Erden. noch zu suchen – aber der Fremde schien sich anders besonnen zu haben. Er ging nicht, sondern kehrte um, kam bis auf fünf Schritte etwa, wo der junge Mann schon die Schlinge befestigte, heran und sagte:

„Hören Sie einmal, lieber Freund. Sie scheinen mir ein nicht unbedeutendes Ahnungsvermögen zu besitzen. Warten Sie noch einen Augenblick mit Ihrer Abreise, es wäre doch möglich, daß ich auch hier auf Erden noch eine Beschäftigung für Sie fände.“

„Sie? für mich?“ sagte der junge Selbstmörder mit finsterem Blick „Wer sind Sie denn überhaupt?“

„Der Teufel“, sagte der Fremde ruhig – und nur mit einem leisen spöttischen Zug um die Lippen. „Sie nannten ja vorhin meinen Namen.“

„Der Teufel?“ rief der Unglückliche und ein eigenthümliches Zittern flog über seinen Leib – die stille Nacht – der fahle Mondschein, der einsame Ort, ja die unheilige Absicht selbst, in der er sich hier befand, das Alles mochte zusammenwirken, um sein Herz mit einem unbestimmten Schauder zu erfüllen – aber das konnte doch nur Momente dauern und mit heiserer Stimme lachte er wild auf.

„Das wäre in der That ein sehr vortrefflicher Gesellschafter für meine Reise – wenn es überhaupt einen Teufel gäbe. – Nur so viel ist sicher, ein Herz haben Sie nicht, oder Sie könnten nicht mit einem Menschen in meiner Lage Ihren Scherz noch treiben. Fort! Sie sind nicht im Stande mir zu helfen.“

„Das käme auf einen Versuch an“, sagte der Fremde. „Sie brauchen jedenfalls Geld, weiter nichts.“

„Und selbst eine kleine Summe könnte mir nichts nützen“, sagte der

[390] junge Spieler finster, „mein Unglück liegt tiefer – ich habe meinen Beruf verfehlt und jede Hülfe jetzt würde nur dazu dienen, mein Schicksal um Monate – ja vielleicht Wochen hinaus zu verzögern.“

„Ihren Beruf verfehlt? Caramba“, sagte der Fremde, und der Teufel soll allerdings immer nur spanisch, aber dabei anständig fluchen, „an solchen Leuten habe ich eigentlich von jeher ein Interesse genommen. Ich Verkehre am allerliebsten mit Menschen, die ihren Beruf verfehlt haben. Kommen Sie herunter und lassen Sie uns ein halbes Stündchen mit einander Plaudern; wollen Sie sich nachher noch absolut hängen, so haben Sie die ganze Nacht vor sich und kein Mensch wird Sie daran verhindern. Was sind Sie eigentlich?“

„Zuerst beantworten Sie mir die nämliche Frage, die ich vorhin an Sie gerichtet“, sagte da der junge Mann, der jetzt von der Leiter wieder herabstieg, aber trotzdem noch mit einem heimlichen Grausen in das bleiche Antlitz des Fremden sah.

„Und habe ich das nicht schon gethan?“ sagte dieser ruhig. „Ich bin wirklich der Teufel.“

„Sie treiben Ihren Spott mit mir“, rief der junge Mann, indem er aber doch die Gestalt des Fremden mit einem scheuen Blick überflog.

„Und wie soll ich mich legitimiren?“ erwiederte achselzuckend der Fremde; „glauben Sie etwa, daß ich Hörnern und Pferdefuß herumlaufe, wie mich einzelne alberne Menschen schildern, um Kinder und Schafsköpfe damit fürchten zu machen? Mit einer solchen Gestalt könnte ich mich natürlich vor Niemandem blicken lassen. Am Tag aber von Geschäften überladen, besuche ich gern Abends im Mondenschein die Erde und gehe dann eben mit dem Monde; denn irgendwo scheint er doch die ganze Nacht.“

„Und was wollen Sie von mir?“ sagte der junge Mann scheu, und fühlte wie ein Zittern durch seine Glieder lief – „meine Seele?“

Der Fremde lachte laut auf. „Und glauben Sie wirklich, daß ich mich einer einzigen lumpigen Seele wegen hier eine Stunde zu Ihnen gesellt hätte? Das wäre der Mühe werth! Ich habe meine Freude an ganz anderen Dingen und, wie gesagt, viel mehr Vergnügen daran, Leute, die ihren Beruf verfehlt haben, in die richtige und passende Bahn zu bringen, als sie abfahren zu sehen, ohne daß sie der Welt – und mir etwas genützt hätten. Wie heißen Sie?“

„Guido Lerche.“

„Und Ihr bisheriger Beruf?“

Guido Lerche schwieg und sah düster nach dem Fremden hinüber, endlich sagte er: „Schriftsteller – Dichter – aber wenn Sie Der wirklich wären, für den Sie sich ausgeben, so müssen Sie doch auch mich und meinen Beruf kennen.“

Achselzuckend erwiederte der Fremde: „Die Menschen sagen allerdings häufig: „Der Teufel soll alle Schriftsteller und Schriftstellerinnen Deutschlands kennen“; es ist das aber nur eine ganz gemeine Schmeichelei – [391] ich bin es nicht im Stande. Sie müssen mich deshalb entschuldigen. – Wahrscheinlich schreiben Sie anonym?“

Guido Lerche biß sich auf die Unterlippe; er stand schon gewissermaßen mit einem Fuß in einer anderen Welt, aber die kleine Eitelkeit dieser hatte ihn trotzdem noch nicht ganz verlassen; der Fremde aber, der es bemerken mochte, sagte etwas freundlicher:

„Kommen Sie, lieber Herr Lerche – lassen Sie vor der Hand noch den Strick los und uns Beide einmal vernünftig mit einander sprechen. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich schon vielen Leuten geholfen habe und sobald Sie sich nur ein klein wenig anstellig zeigen, ist die Sache auch gar nicht etwa so schwer. Nur mit dummen Menschen mag ich nichts zu thun haben, oder die brauchen mich vielmehr nicht. Sie arbeiten mir aber sehr häufig durch ihre Dummheit in die Hände und anfangen läßt sich doch nichts mit ihnen – man muß sie eben einfach gehen lassen.“

„Und Sie wollen mir helfen?“ sagte Lerche, ohne aber bis jetzt noch seine Stellung zu verändern – „und wie das anfangen? Soll etwa meine unsterbliche Seele der Preis sein?«

„Seien Sie nicht kindisch“, erwiederte der Fremde; „wenn mir etwas an Ihrer „unsterblichen Seele“ läge, so brauchte ich Sie ja nur nicht zu stören. Sie machen sich überhaupt von Ihrer Seele und meinem Verlangen danach einen total falschen Begriff und beurtheilen die Sache einfach wie der große Haufen nach den verschiedenen Märchen, die sie darüber hören, und die gewöhnlich geradezu abgeschmackt sind.“

In Guido Lerche’s Herzen dämmerte in dem Moment zuerst wieder eine Hoffnung. War es denn nicht möglich, daß er hier einen reichen – und dann natürlich verrückten Engländer gefunden hatte, der zufällig Zeuge seines beabsichtigten Selbstmordversuchs gewesen, und nun in seiner barocken Weise ihm zu helfen wünschte? Er mußte wenigstens wissen, was der Fremde, der sich hier für den Teufel ausgab, eigentlich von ihm wolle und ob er in ihm einen Retter gefunden – der letzte Ausweg blieb ihm ja dann noch immer unverwehrt. Er ließ den Strick los, trat von den untersten Sprossen der Leiter herunter und die Arme verschränkt auf den Fremden zu, der ihn ruhig, wo er stand, erwartete. Jetzt sagte er freundlich:

„Kommen Sie, Herr Lerche, wir wollen uns da drüben, am Rand des kleinen Wäldchens, unter einen Baum setzen, wo der Thau das Laub nicht getroffen hat, und dort erzählen Sie mir einfach – aber, wenn ich bitten darf, so kurz als möglich, Ihre Schicksale. – Ich bedarf nur der Andeutungen und verstehe ganz vortrefflich zwischen den Zeilen zu lesen.“

Lerche betrachtete ihn aufmerksam. Wie ein Engländer sah er eigentlich nicht aus – schon die schwarzen, gelockten Haare sprachen dagegen – weit eher wie ein Italiener oder Spanier; er hatte auch außerordentlich weiße und zarte Hände, und in der seidenen feuerrothen Cravatte funkelte ein prachtvoller Diamant. Ohne eine Antwort abzuwarten, [392] schritt aber der Fremde der bezeichneten Stelle zu, und es war in der That ein wundervoller Platz, wie man ihn sich nicht reizender hätte aussuchen können.

Voll und klar stand der Mond am blauen, sternbesäten Himmel; nur hie und da zogen lichte und durchsichtige Wolkenschleier darüber hin und warfen für Momente einen Halbschatten auf die Erde. Ueber ihnen wölbte sich das breite Dach des Kastanienbaumes – vor ihnen senkte sich allmählich der leise ablaufende Hang dem kleinen Strom entgegen, unfern von dem, aus eingeschlossenen Mauern hervor, die weißen Dämpfe der dort zum Abkühlen gesammelten heißen Quelle stiegen. – Drunten im Thal aber und drüben auf dem andern Ufer der Lahn blitzten die Lichter der zahllosen Hôtels, und von dort her tönte auch noch die rauschende Melodie eines lustigen Galopps, zu der sich die geputzten Paare auf dem Parquet des Saals im Kreise schwenkten. Still und majestätisch aber lagen dahinter die mondbeschienenen und dicht bewaldeten Hänge der Berge, und stiller, heiliger Frieden ruhte über dem ganzen Bild.

Der Fremde schien die prachtvolle Scenerie selber mit Wohlgefallen zu betrachten. Er warf sich auf das weiche Laub nieder und den rechten Ellbogen auf den Boden stützend, sagte er:

„Allerliebste Gegend hier – und so kühl und frisch heute Abend. Bitte, Herr Lerche, nehmen Sie Platz und nun erzählen Sie mir einmal, was Sie eigentlich zu einem Schritt getrieben, den Ihr Menschen doch nur einmal im Leben wagen könnt, während Ihr dabei völlig und unrettbar in das Dunkel einer geheimnißvollen Zukunft hinausspringt. – Merkwürdig – nicht einmal ein unvernünftiges Pferd springt über eine Breterwand, wenn es nicht sehen kann, wo es drüben im Stande ist, die Füße hinzusetzen.“

„Und weshalb nehmen Sie ein solches Interesse an mir?“ sagte Lerche düster, indem er aber doch der Einladung Folge leistete und sich neben dem Fremden auf das wie ausgeschüttete Laub niederwarf.

„Werden Sie nicht langweilig“, erwiederte der Fremde – „woher vermuthen Sie, daß ich überhaupt Interesse an Ihnen nehme? Ich will nur sehen, ob Sie sich hier auf der Welt nicht noch nützlich machen können – wäre das nicht der Fall, so würde ich Sie nicht weiter belästigen. Also erzählen Sie frisch von der Leber weg; es ist noch früh und Sie haben übrig Zeit.“

„Aber“, sagte Lerche – „wenn ich mich einem vollkommen Fremden anvertrauen soll, so muß ich doch wenigstens im Ernst wissen, mit wem ich es zu thun habe. Wer sind Sie? Wie heißen Sie?“

„Wer ich bin, habe ich Ihnen schon vorhin gesagt. Wie ich heiße? Ihre Nation hat zahllose Namen für mich – manche sogar beleidigender Art, wenn mich die kindliche Einfalt derartiger Menschen überhaupt beleidigen könnte.“

„Sie treiben Ihren Scherz mit mir“, sagte Lerche – „Ihr gutes Herz verleitet Sie, einem Unglücklichen zu helfen, ohne ihn zu Dank verpflichten zu wollen.“

[393] „Mein gutes Herz?“ lachte der Fremde jetzt wirklich grell und unheimlich auf. – „Das ist vortrefflich, Herr Lerche, ich fange wirklich an zu glauben, daß Sie ein Dichter sind, denn Sie haben Phantasie. Mir ist schon viel im Leben nachgesagt worden, aber ein gutes Herz – hahahaha – das ist in der That äußerst komisch! Aber bitte, beginnen Sie. – Mit wem Sie es zu thun haben, wissen Sie jetzt. Doch geniren Sie sich nicht. Neues können Sie mir nicht berichten, denn im Leben der Menschen wiederholen sich ja derartige Dinge, und nur von Ihrem sechzehnten Jahre fangen Sie an – die Kindergeschichten brauche ich nicht zu wissen. Wer war Ihr Vater?“

„Ein Weinhändler“, sagte Lerche, der sich doch nicht recht behaglich in der Nachbarschaft des Fremden fühlte – aber es mußte ein Engländer sein, denn ein anderer Mensch wäre gar nicht auf den Gedanken gerathen, sich direct für den Teufel auszugeben.

„Ein Weinhändler! – hm – das ist gut“, nickte sein Nachbar zufrieden – „und zu welchem Lebensberuf wurden Sie bestimmt?“

„Ich sollte demselben Geschäft folgen“, sagte Lerche – hatte aber keinen besondern Trieb dazu. Der harten Arbeit als Küper war mein schwächlicher Körper nicht gewachsen – ich fühlte immer einen Hang zur Poesie und ging frühzeitig zum Theater.“

„Sehr gut“, nickte der Teufel – „aber damit ging es nicht.“

„– – Nein“, sagte Lerche zögernd – „Intriguen und Chicanen wurden gegen mich gesponnen.“

„Natürlich“, lächelte sein Nachbar – „Sie finden nie einen schlechten Schauspieler, gegen den nicht die bösartigsten Intriguen angezettelt werden.“

„Aber ich war kein schlechter Schauspieler“, fuhr Lerche auf.

„Bitte, fahren Sie fort“, nickte der Andere. „Sie verließen die Bühne, weil der schlechte Geschmack des Publikums Ihre Verdienste nicht zu würdigen wußte, und gingen –?“

„Nach Amerika –“

„Caramba“, sagte der Fremde wieder – „das ist weit. Aber es gefiel Ihnen auch dort nicht.“

„Nein – das materielle Volk dort drüben hat keinen Sinn für Poesie – in der That keinen andern Gedanken, als immer nur Geld – Geld – Geld. – Wenn ich hätte mit Spitzhacke und Schaufel arbeiten wollen –“

„Aber das wollten Sie nicht!“

„Nein, es drängte mich nach Deutschland zurück –“

„Sie borgten das Geld zur Ueberfahrt –“

Herr Lerche sah ihn überrascht an. – „Es blieb mir nichts Anderes übrig“, sagte er.

„Selbstverständlich“, nickte der Fremde.

„Hier in Deutschland warf ich mich auf die Schriftstellerei“, fuhr Lerche fort, dem der Gegenstand unangenehm sein mochte, „aber der Teufel soll die Buchhändler holen!“

[394] „Bitte!“ sagte der Fremde.

„Es ist nichts als Protection, Schwindel oder Betrug. – Ich habe Romane geschrieben, bei denen mir selber die Haare zu Berge stiegen – Gedichte, die ich vorgelesen und bei denen mich die Zuhörer zuletzt um Gotteswillen baten, aufzuhören, weil ihre Nerven zu sehr angegriffen wurden und sie die Thränen nicht mehr zurückhalten konnten – umsonst, ich fand keinen Verleger. – Dann warf ich mich auf die dramatische Kunst – ich schrieb Dramen, die von einer ergreifenden Wirkung hätten sein müssen, wenn ich eine einzige Direction gefunden, die sie aufgeführt – Operntexte – Alles vergebens – ich wurde der Verzweiflung preisgegeben.“

„Und wovon lebten Sie die ganze Zeit?“ frug der Fremde.

„Ich – suchte mich so ehrlich als möglich durchzubringen –“

„Natürlich durch weitere Schulden –“

„Ich mußte allerdings Gelder aufnehmen“, sagte wieder zögernd Herr Lerche – „ich – konnte nicht verhungern.“

„Hm – ich weiß jetzt genug“, sagte der Fremde trocken, „und es bleibt mir nur noch übrig, Sie um Auskunft zu bitten, was Sie zu diesem letzten verzweifelten Schritt getrieben?“

„Mein Unglück ist bald erzählt“, sagte Herr Lerche. “Ich hatte einen Band meiner besten Gedichte zusammengestellt – den Extract meiner Poesie, wenn ich es so nennen könnte – eine 59er Auslese Cabinetswein – der Buchhändler wollte mir kein Honorar geben, verstand sich aber dazu, den Band in Commission zu verlegen und hübsch auszustatten. – Jahre vergingen – ich schrieb endlich an den Geldmenschen und bat ihn um Abrechnung – die Abrechnung kam. Sie enthielt auf der einen Seite den genauen Kostenüberschlag für Druck, Papier, Buchbinder, Insertionsgebühren etc., auf der andern Seite den Absatz – es blieben noch sechs Gulden Saldo zu seinen Gunsten.“

„Das war kein brillantes Geschäft“, sagte achselzuckend der Fremde.

„Nein“, fuhr Lerche düster fort, „da trieb mich die Verzweiflung und ich nahm die sechs Gulden und ging damit zum grünen Tisch –“

„Entschuldigen Sie“, sagte der Fremde, „Sie müssen sich da versprochen haben. Sie sagten mir vorher, daß die sechs Gulden zu seinen, also des Verlegers, Gunsten gewesen wären. Folglich waren Sie ihm dieselben noch schuldig; wie konnten Sie also damit zur Spielbank gehen?“

»Ich borgte mir die sechs Gulden vom Wirth auf meinen Reisesack“, sagte Herr Lerche.

„Sehr gut“, nickte der Fremde. „Sie arbeiteten dadurch mit doppelt negativem Capital – vortrefflich. Also Sie gingen zur Spielbank – verloren aber natürlich.“

„Auch den letzten Gulden“, bestätigte Lerche. „und die Verzweiflung trieb mich endlich hier heraus.“

„Aber wo bekamen Sie den Strick so geschwind her?“

Herr Lerche zögerte diesmal sehr lange mit der Antwort, endlich [395] sagte er: „Da ich Ihnen nun doch einmal Alles gebeichtet habe, sollen Sie auch Das erfahren. Ich hatte ihn mir gekauft, um mich daran im Hôtel aus dem Fenster zu lassen, wenn ich, wie voraussichtlich, meine Wirthshausrechnung nicht bezahlen konnte.“

Der Fremde richtete sich bei den Worten im Nu in die Höhe und dem jungen Mann die Hand hinüberreichend, sagte er freundlich:

„Herr Lerche, ich kann Sie meiner vollen Hochachtung versichern. Sie haben unbestreitbar Talent, denn daran hätte ich selber nicht gleich gedacht. – Ich müßte mich auch sehr irren, oder Ihre Zukunft ist gesichert. Erlauben Sie mir jetzt nur noch eine Frage, und glauben Sie nicht, daß ich sie undiscret thue; aber ich muß es zu Ihrem eigenen Besten wissen. – Wie viel Schulden haben Sie, und vor allen Dingen, wem schulden Sie?“

Herr Lerche schwieg, aber nicht aus Zurückhaltung, denn allerlei Gedanken kreuzten ihm das Hirn. Der großmüthige Fremd wollte jedenfalls seine Schulden bezahlen und er machte sich nun im Geist einen Ueberschlag, wie viel er angeben solle, ohne dabei etwas zu vergessen. Endlich schien er damit im Reinen und sagte:

„Meinem Schneider schulde ich dreißig Thaler –“

„Selbstverständlich!“ lautete die Antwort.

„Meinem Schuhmacher fünfzehn, sind fünfundvierzig. – Meinem Wirth für Essen und Wohnung hundertundsechzig, macht zweihundertundfünf, dem Buchhändler acht Thaler, sind zweihundertunddreizehn – im Frühstückskeller zweiundvierzig Thaler etwa, macht zweihundertfünfundfünfzig. – Meiner Wäscherin elf Thaler – gleich zweihundertsechsundsechzig, und dann – habe ich noch zweihundertfünfzig Thaler baar Geld aufgenommen.“

„Von wem?« frug der Fremde rasch.

„Von der ersten Liebhaberin unseres Theaters.“

„In der That? Eine Herzesneigung?“

„Nein.“

„Auf Wechsel?“

„Nein.“

„Also auf Ehrenwort?“

„Ja“, sagte Herr Lerche zögernd, während der Fremde einen Blick nach dem Baum hinüberwarf, an dem der Strick noch hing. „Was sich also mit meiner Schuld hier in Eins auf etwas über 500 Thaler belaufen würde.“

„Also einem Wucherer sind Sie nichts schuldig?“

„Nein – fünfhundert Thaler könnten mich retten.“

„Was nennen Sie retten?“ sagte der Fremde verächtlich. „Wenn Sie die fünfhundert Thaler bekämen und Ihre Schulden wirklich damit bezahlten, so wären nur Ihre Gläubiger besser daran, Sie selber aber genau auf dem alten Fleck wie vorher. Nur in dem Fall, daß Sie dieselben nicht bezahlten“, setzte er langsamer hinzu – „wären Sie gebessert, aber auch nur für eine kurze Zeit, denn das alte Elend würde [396] doch immer wieder über Sie hereinbrechen. Um Ihnen wirklich zu helfen, Herr Lerche, dazu gehört mehr als fünfhundert Thaler.“

„O, Sie sind so gütig!“ sagte Lerche, wirklich betroffen von den Worten.

„Dazu gehört aber“, fuhr der Fremde fort, ohne von dem Lob die geringste Notiz zu nehmen, „daß Sie selber den Beruf finden, der für Sie paßt, und darin will ich Ihnen behülflich sein. Alles Andere ist nur ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein und hält Sie allein ein paar Monate länger am Leben, womit, nebenbei, Niemandem besonders gedient wäre.“

,,Aber was verstehen Sie unter einem Lebensberuf?“ sagte Lerche, dessen Hoffnungen bei den Worten einen gelinden Stoß bekamen; denn baar Geld wäre ihm viel lieber gewesen, als ein Lebensberuf.

„Lassen Sie mich aufrichtig sein“, sagte der Fremde, „denn nur dadurch kann ich Ihnen beweisen, daß ich es gut mit Ihnen meine – Sie haben Nichts gelernt und von einem Beruf zum andern übergewechselt; Sie können auch nichts Selbstständiges und Vernünftiges schaffen, sonst würden Sie jedenfalls einen Verleger für Ihre Arbeiten gefunden haben. Ihr sonstiger Charakter läßt nichts zu wünschen übrig und ich würde Ihnen ohne Weiteres eine Auswanderungsagentur vorschlagen, wenn Ihnen Ihre poetische Neigung darin nicht im Wege stünde. So weiß ich nur noch einen Ausweg für Sie, auf dem Sie sich Ihr Brod jedenfalls verdienen können: Sie müssen Theaterrecensent werden und sich womöglich an einer Theaterzeitung und Agentur betheiligen.“

„Aber die mißglückten Versuche, die ich selber –“, sagte etwas schüchtern Herr Lerche.

„Bester Freund, die lassen Sie dann Anderen entgelten“, lachte sein freundlicher Rathgeber. „Denn wer selber etwas schreiben kann, wird natürlich nicht Recensent. Ihre Gewissenhaftigkeit steht Ihnen doch hoffentlich nicht dabei im Wege? – Und überdies“, fuhr der Fremde leichthin fort, „werden Sie mit der Zeit auch so verbittert werden, daß Ihnen die Galle schon von selber kommen wird, und nichts in der Welt nährt besser als Galle –“

„Ich habe immer das Gegentheil geglaubt“, wagte Lerche eine schüchterne Entgegnung; denn wenn ihm der Fremde nichts weiter geben wollte, als den Rath, so hätte er ihn eben so gut können sich selber überlassen, und dann wäre jetzt Alles überstanden gewesen.

Der Fremde würdigte ihn keiner Antwort; er hatte still vor sich nieder gesehen und leise dazu mit dem Kopfe genickt.

„Eine Auswanderungsagentur würde Ihnen nicht genügen“, sagte er endlich – „je mehr ich mir die Sache überlege, desto mehr bin ich davon überzeugt. Daß Sie aber als Recensent Ihr Glück machen werden, ist gewiß. Wir sprechen uns wieder.“

„Verehrter Herr“, bemerkte Lerche endlich, „das ist Alles recht schön [397] und gut, aber wie soll ich dazu gelangen, selbst nur darin einen Anfang zu bekommen?“

„Ich gebe Ihnen einen Empfehlungsbrief mit an die Theateragentur in X“, sagte der Fremde, „die bringt Sie in die rechte Bahn – ich stehe mit ihr in Geschäftsverbindung.“

„Aber womit käme ich selbst nach X?“ seufzte Lerche; „ich habe keinen rothen Heller mehr im Vermögen. Wenn Sie mir nur wenigstens die fünfhundert Thaler auf mein ehrliches Gesicht borgen wollten. – Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –“

Der Fremde lachte laut auf. „Die Menschen“, sagte er endlich, „nennen mich immer einen „dummen Teufel“, aber so dumm ist der Teufel denn doch wahrhaftig nicht, daß er einem deutschen Dichter Geld borgen sollte. – Caramba, die Idee ist nicht übel.“

„Sie nennen sich immer den Teufel“, sagte Lerche, dem es doch anfing, unheimlich in der Nähe des blassen Mannes zu werden, noch dazu, da sich dieser direct weigerte, ihm irgend welchen Vorschuß zu machen; „wenn Sie nun wirklich der Herr wären – und ich muß Ihnen gestehen, daß ich mir bis dahin ein solches Wesen anders gedacht habe –“

„Mit feuersprühenden Augen und Hörnern, wie?“ lächelte der Fremde.

„Wenn auch vielleicht nicht so – aber doch –“

„Und was wollten Sie vorhin sagen?“

„Wirklich also den Fall genommen“, wiederholte Lerche, „so wäre es doch für Sie ein Leichtes, mir auch ohne directen Vorschuß zu Geld zu verhelfen. Sie brauchten mir nur einen einzigen Thaler anzuvertrauen und drüben an der Spielbank könnte ich –“

„Das geht nicht“, unterbrach ihn kopfschüttelnd der Fremde; „ich habe mit den Herren da drüben einen ganz bestimmten Contract und kann nicht gegen mein eigenes Geld spielen.“

„Aber wie soll ich hier fortkommen?“

„Hm“, sagte der Fremde und sah ihn von der Seite an – „und wenn ich Ihnen nur die geringste Summe anvertraute, so machten Sie doch Dummheiten, liefen wieder hinüber und wären Ihr Geld in einer Viertelstunde los – denn Segen ist nicht darin.“

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –“

Der Fremde pfiff durch die Zähne. – „Sie halten mich für eben so leichtgläubig wie Ihre erste Liebhaberin“, sagte er; „aber ich will Ihnen wenigstens von hier forthelfen“, setzte er hinzu. „Ich sehe recht gut ein, daß Sie sich darin nicht selber zu helfen wissen, denn zum directen Stehlen scheinen Sie mir zu ungeschickt. – So viel sage ich Ihnen aber, werfen Sie ein einziges Stück des von mir erhaltenen Geldes auf den grünen Tisch, so verschwindet es im Nu, hinterläßt nichts als einen häßlichen Fleck – und die Folgen haben Sie sich nachher selber zuzuschreiben.“

„Und wie viel würden Sie die Güte haben –“

[398] „Hier sind zehn Thaler“, sagte der Fremde, indem er in die Tasche griff und die zehn Silberstücke Herrn Lerche hinreichte, „das wird gerade hinreichen, um Sie nach X zu bringen.“

„Und dort dann?“

„Gehen Sie diese Karte in der Redaction des Theaterblattes ab; der Eigenthümer ist ein guter Freund von mir.“

„Und wie soll ich hier im Hôtel meine Rechnung bezahlen?“

„Bester Freund“, lachte der Fremde, „die Idee mit dem Strick ist viel zu ausgezeichnet, als daß ich dazu beitragen möchte, sie zu vereiteln. Wenn Sie aber meinem Rath folgen, so befestigen Sie das Seil so, daß Sie es, wenn Sie unten sind, nachziehen können – es wird lang genug sein, und Sie können es vielleicht noch einmal gebrauchen.“

Lerche schauderte zusammen – war es die Berührung des Geldes oder der Gedanke an einen nochmaligen Selbstmordversuch, auf den der Fremde so kalt und fast höhnisch anspielte – aber das Geld brannte ihm nicht in der Hand, wie er anfangs in der That gefürchtet hatte, und scheu und leise sagte er nur:

„Verlangen Sie einen Schein dafür?“

Wieder legte sich der Zug von kaltem Spott über die unheimlichen Züge des Fremden.

„Glauben Sie, daß ich lumpiger zehn Thaler wegen einen Pact mit Ihnen eingehen würde, oder daß mich etwa gar nach Ihrer Seele verlangt? – Reisen Sie vollkommen ruhig, ich werde Sie nicht weiter beunruhigen; denn daß selbst mir ein Schein von Ihnen nichts hülfe, wissen Sie genau so gut wie ich.“

„Und wie soll ich Ihnen danken?“

„Daß Sie augenblicklich in Ihr Hôtel zurückgehen, Ihre Sachen in Ordnung bringen und dann gleich den Nachtzug nach Gießen benutzen.“

Lerche hatte sich bemüht, den auf der Karte fein gestochenen Namen bei Mondenlicht zu lesen, aber war es nicht im Stande – die Karte selber schien schwefelgelb und trug einen grellrothen schmalen Rand.

„Es steht nur mein Name darauf“, sagte der Fremde, der es bemerkte, „Edler von der Hölle – also auf Wiedersehen, lieber Freund!“ Und rasch richtete er sich empor, nickte dem jungen Mann vertraulich zu und war schon in den nächsten Secunden in den dunklen Schatten des Kastanienwäldchens verschwunden.


2. Kapitel.
In Ruhe.

Lange Jahre waren nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen – lange, bewegte Jahre, und wenn auch die Welt im Allgemeinen ruhig weiter ging, so verbittern sich doch das rastlose Menschenvolk indessen die kurze, ihm hier vergönnte Spanne Zeit nach besten Kräften. [399] Nationen schlugen sich mit Nationen und vertragen sich wieder, und nur im ganz Kleinen bohrten sich die einzelnen Exemplare der „Gesellschaft“ hartnäckig ihren Weg. Was auch da draußen im Großen und Ganzen geschehen mochte, es kümmerte sie nicht, denn nur ihr eigenes Interesse trieb sie weiter, um in dem allgemeinen Drängen und Treiben nach vorwärts – noch womöglich fur sich selber einen Sitzplatz zu bekommen.

Selbst nicht, während auf dem Welttheater große Effect- und Sensationsstücke gegeben wurden, hatte das Stadttheater zu X aufgehört, den geschichtlichen Dramen mit Offenbach’schen Opera und Possen Concurrenz zu machen, und auf den „Bretern, die die Welt bedeuten“, ging es mit Intriguen und Vorwärtsdrängen, mit diplomatischen Ränken und Kniffen, ja oft mit offenem Kampf und Hader genau so zu wie draußen in der Weite.

Zu einer der Hauptstraßen in X, aber weit hinten in einem nicht besonders reinlich gehaltenen Hof, von dem aus man noch zwei dunkle, schmale Treppen hinaufsteigen mußte, befand sich das Redactionsbureau der X–er Theaterzeitung, und wenn das Entrée schon nicht besonders versprechend war, das Innere des Bureaus sah eigentlich noch ungemüthlicher aus.

Es bestand aus einem einzigen langen Gemach mit drei Fenstern nach dem dunklen Hof hinaus und mochte einmal in früherer Zeit geweißte Wände und weiße Gardinen gehabt haben, die aber jetzt nur ein etwas lichteres, brochirtes Muster auf dunkelbraunem Grunde zeigten. An jedem Fenster stand ein doppeltes Stehpult, von denen aber nur zwei einfach besetzt waren – das obere stand leer, obgleich darauf gehäufte offene Briefe und kleine Broschüren auch die zeitweilige Benutzung dieses anzeigten.

An den beiden anderen arbeiteten zwei – an jedem ein Einzelner – etwas dürftig aussehende Individuen mit bleichen Gesichtern und Schreibärmeln – blutjunge Menschen, die sich hier für ihr kärgliches Brod die Finger wund schrieben, und dafür, wenn auch nur indirevt, in die Kunst eingeweiht wurden, ein solches Geschäft zu führen. Sie waren nämlich stete Zeugen der dort eintreffenden Besuche – geschäftlicher wie „freundschaftlicher“ Art, und wenn sie weiter nichts dabei lernten, so gewannen sie doch dort in einer Woche mehr Menschenkenntniß, als wenn sie sich Jahrelang in dem Strudel der großen Welt herumgetrieben hätten.

Der Raum selber sah wüst genug aus; eine Unmasse von Broschüren lag über den Boden, theils zusammengebunden, theils einzeln, zerstreut, so daß sich die Hausmagd sogar nicht einmal mehr mit dem Besen dazwischen getraute. Meubel gab es dabei fast gar nicht, zwei Rohrstühle ausgenommen und ein altes, steinhartes Sopha mit einem Ueberzug, von dem sich schon seit Jahren die Farbe nicht mehr erkennen ließ. Der „älteste Mann“ im Geschäft erinnerte sich auch nicht, je gesehen zu haben, daß irgend Jemand gewagt hätte, sich darauf zu setzen.

[400] Sonst hingen noch an den Wänden eine Anzahl von Lithographien, Photographien und Stahlstichen berühmter Künstler, an denen man auch genau wissen konnte, ob sie dem Bureau mit oder ohne Rahmen geschenkt waren. – Die ohne Rahmen waren nämlich nur einfach mit Stiften an die Wand genagelt, und wenn den Betreffenden daran lag, ihr Bild hier erhalten zu sehen, nun so mochten sie einen Rahmen nachliefern.

Der Briefträger kam und legte ein Packet Briefe auf den Schreibtisch des Principals, Herrn Cuno Köfer’s, der aber noch nicht erschienen war, denn er liebte Morgens seine Ruhe. Unter den Briefen befanden sich zwei unfrankirte; der Postbote zeigte sie aber nur lächelnd einem der jungen Leute und schob sie dann wieder in die Tasche zurück. Er kannte die Geschäftsordnung im Hause – unfrankirte Briefe wurden nie angenommen, denn man hatte zu bittere Erfahrungen mit deren Inhalt gemacht. Gewöhnlich waren sie in einem mehr als groben Styl geschrieben und wimmelten von Injurien, enthielten aber stets, statt der Unterschrift, die Photographie des Betreffenden, und auf die ließ sich nicht klagen; denn die konnte ein Jeder einkleben.

Uebrigens kamen solche „kleine Unannehmlichkeiten“ auch zuweilen in frankirten Briefen vor, wanderten dann aber gleich in den Ofen, denn dem Papierkorb durfte man sie nicht anvertrauen, oder die Schreiber hätten sich darüber lustig gemacht.

Trotz der frühen Morgenstunde saß aber schon ein „Besuch“ im Comptoir, dem Einer der jungen Leute das Sopha angewiesen, der aber trotzdem einen Rohrstuhl vorgezogen hatte. Es war ein noch blutjunger Mensch, etwas auffallend gekleidet. Er trug seine braunen, lockigen Haare, sorgfältig gebrannt, in einem großen Toupet auf der rechten Seite, vollkommen moderne Kleidung, eine himmelblaue, seidene Cravatte, eine große Tuchnadel, eine goldene Uhrkette und ziegelrothe Glacéhandschuhe. So zuversichtlich er sich aber auch sonst seinem ganzen Aeußern nach benehmen mochte, hier schien er sich in einer etwas gedrückten Stimmung zu befinden. Er saß – die Füße eingezogen und den wolgebürsteten Hut zwischen den Knieen, auf seinem Rohrstuhl, als ob er fürchtete, daß derselbe jeden Augenblick mit ihm zusammenbrechen könne. Er sah auch verschiedene Male nach seiner Uhr – die Zeit verging ihm jedenfalls sehr langsam, aber er wagte nicht den entschiedenen Wunsch auszusprechen, Herrn Köfer gleich zu sprechen – er wußte recht gut, daß er den betreffenden Herrn dann in böse Laune gebracht hätte, und das wollte er vermeiden.

Wol dreiviertel Stunden mochte er so gesessen haben, ohne daß aber die Schreiber die geringste Notiz von ihm nahmen, als plötzlich die eine Seitenthür ausging und Herr Köfer selber, ohne weitere Anmeldung, auf dem Schauplatz erschien.

Die beiden Schreiber verbeugten sich mit einem achtungsvollen „Guten Morgen“ und der Besuch erhob sich ebenfalls rasch von seinem Sitz. Herr Köfer hatte aber keinen Blick für sein „Bureau“. Den [401] gewöhnlichen, selbstverständlichen Morgengruß seiner „Leute“ beantwortete er mit einem grunzenden, unarticulirten Laut, der wahrscheinlich „Morgen“ heißen sollte, aber eben so gut jedes andere Wort bedeuten konnte. Von dem Besuch nahm er gar keine Notiz, sondern trat nur zu seinem Pult, wo er die dort liegenden Briefe aufnahm und mit überreifer Erfahrung in derartigen Correspondenzen flüchtig sortirte, ehe er daran ging, einen over den andern zu erbrechen.

Dann öffnete er den ersten, sah nur nach Ueber- und Unterschrift, dann den zweiten eben so, und nahm eben den dritten auf, als der Besuch sich doch glaubte bemerkbar machen zu müssen, und deshalb sich räusperte und ein paar Schritte vortrat.

Herr Köfer war kein hübscher Mann. Schon in den Fünfzigen, mit einem Kopf voll dünner Haare, die jetzt mit Weiß gesprenkelt waren, mit den fast zu deutlich hinterlassenen Spuren von Pockennarben, mit kleinen, grauen, etwas wässerigen Augen und einem fast zahnlosen Mund, lag ein gewisser Zug von Verbissenheit in dem fetten Gesicht – den man freilich seinem ganzen Geschäft zugute schreiben mußte. Das brachte Aerger über die Undankbarkeit der Menschen im Allgemeinen und der Bühnendichter und Schauspieler im Besondern, zur Genüge mit sich.

Auch sein Aeußeres war nicht sehr versprechend, denn geistig thätige Menschen verwenden gewöhnlich nicht viel auf das – Herr Köfer verwandte sogar nur ein Minimum darauf. Er war noch in seiner „Morgentoilette“, d. h. er hatte sich noch nicht einmal gewaschen und gekämmt und nur einen Schlafrock übergezogen – und was für einen Schlafrock. Neu mußte er allerdings einmal ein Prachtstück gewesen sein, mit rothem, echt gefärbten Futter, mit wollenem, großblumigen, türkischen Damast und einer hellblauen Schnur, mit eben solchen riesigen Quasten daran, aber, Du lieber Gott, der Zahn der Zeit nagt sogar an felsigem Gestein – an Granit und Porphyr – weshalb nicht auch an einem Schlafrock, so unappetitlich derselbe auch aussehen mochte. Der türkische Damast starrte von Schmutz, sowol an den Aermeln wie an den Taschen und vorn herab, die Ränder glänzten ordentlich. Auch ein altes, rothbaumwollenes Taschentuch, das ihm rechts mit einem langen Zipfel heraushing, erschien nur wie eine nichts verbessernde Draperie. Das Hemd, welches er außerdem ohne Halstuch und nur vorn mit einem Band zugebunden trug, gehörte – wenn nicht einer andern Generation, doch jedenfalls einer andern Woche an, und der große goldene Siegelring, der ihm dabei am rechten Zeigefinger stak, konnte nicht dazu dienen, die Toilette zu erhöhen.

Als er des jungen Fremden ansichtig wurde, warf er einen eben nicht freundlichen Blick auf ihn, erwiederte seinen Gruß auch nur durch ein ähnliches Knurren wie vorher und sagte dann mürrisch:

„Sind Sie denn noch in X–, Herr von – Wie heißen Sie gleich?“

„Von Goldstein, Herr Köfer.“

[402] „Ja so – also Herr von Goldstein – ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie hier den Erfolg unserer Anfragen nicht abwarten sollten?“

„Aber ich kann nicht fortkommen, verehrter Herr“, sagte der junge Mann schüchtern – „wenn Sie nur im Stande wären mir hier zwei oder drei Gastrollen auszuwirken – ich würde mich ja mit einem sehr mäßigen Honorar begnügen.«

„Und weshalb sprechen Sie nicht selber mit dem Director?“

Der junge Schauspieler zuckte mit den Achseln, „Es war Alles vergeblich“, sagte er, „und dreimal habe ich schon den Versuch gemacht.“

„Und was soll ich Ihnen denn nützen?“ frug Herr Köfer barsch; „habe ich ein Theater, oder solt ich Sie hier im Contor spielen lassen? Sie sehen, ich bin beschäftigt, Herr von – von Goldstein, und kann auch in der That nichts weiter für Sie thun.“

„Wenn Sie nun“, bemerkte der junge Schauspieler schüchtern, indem der Agent schon wieder einen Brief aufbrach – „mir auf die künftige Gage, von der ich Ihnen ja doch die ausbedungenen Procente schulde, nur einen kleinen Vorschuß leisten wollten – nur soviel als ich nothwendig brauche, um –“

„Ein Austernfrühstück zu geben – ha?“ sagte Herr Köfer mit einem malitiösen Lächeln – „glauben Sie, daß ich ein Millionär bin, um den herumvacirenden Herren Schauspielern mit Darlehen unter die Arme zu greifen und habe ich nicht etwa schon genug Verlust durch Ihre ewigen Störungen gehabt?“

„Aber an wen sonst soll ich mich wenden?“ sagte Herr v. Goldstein in halber Verzweiflung. „Sie kennen meine Familie – Sie wissen, daß Ihnen das Geld unverloren ist, wenn sie sich auch jetzt von mir losgesagt.“

„Thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich ungeschoren“, bemerkte Herr Köfer, indem er wieder einen Brief öffnete. „Glauben Sie denn, daß ich von der Luft lebe und habe ich schon das Geringste von Ihnen gehabt – Scheerereien und Abhaltungen und Correspondenzen ausgenommen? – Sie waren bis jetzt nicht einmal im Stande mir das ausgelegte Porto zu vergüten und glauben dann auch noch, man soll da Lust und Liebe zur Sache behalten und mit Eifer darangehn?“

„Aber ich weiß nicht einmal, wie ich hier fortkommen soll!“

„Das geht mich Nichts an“, brummte Herr Köfer, indem er den jungen Mann gar nicht mehr ansah, „verkaufen Sie Ihre goldene Bummelage an der Uhr, man kann auch ohne das ein guter Schauspieler sein – oder machen Sie sonst, was Sie wollen.“

Der Setzerjunge kam in diesem Augenblick in’s Bureau und brachte eine Correctur der Theaterzeitung, auf der aber noch eine halbe Spalte weiß gelassen war und ausgefüllt werden mußte und Herr Köfer frug:

„Ist denn Herr Dr. Lerche noch nicht dagewesen?“

„Nein, Herr Köfer“, lautete die Antwort des einen Schreibers zurück.

„Wo bleibt denn nur der verzweifelte Mensch heute so lange? Der Junge mag warten – er muß gleich kommen und es ist die höchste Zeit, daß die Nummer fertig wird.“

[403] Von Herrn von Goldstein nahm Niemand mehr Notiz und der unglückliche Künstler entfernte sich endlich, ohne daß ihm auch nur Jemand für seinen Gruß gedankt hätte.

Auf der Treppe noch begegnete er einem andern Herrn, der aber weit zuversichtlicher auftrat. Er war ebenfalls etwas auffallend gekleidet, hatte aber ein intelligentes, scharfgezeichnetes Gesicht und jedenfalls Selbstvertrauen. Er klopfte auch gar nicht an, sondern öffnete die Thür und schritt direct auf den immer noch mit Durchsehen der Briefe beschäftigten Köfer zu, ohne selbst seinen Hut abzunehmen.

„Lieber Köfer – guten Morgen.“

„Ah, Herr Bomeier“, sagte Herr Köfer, indem er ihm die noch ungewaschene Hand reichte, die der Fremde aber im Schutz seiner Glacéhandschuhe kräftig schüttelte – „sehr angenehm, Sie bei mir zu sehn, ging ja famos gestern Abend, wie ich gehört habe – und noch dazu ein neues Stück – allen Respect, die Direction wird glücklich sein, Sie zu gewinnen.“

„Bitte, lieber Köfer – keine Complimente“, sagte der gefeierte Künstler lächelnd – „es machte sich. Habe auch mein Engagement schon gestern Abend noch mit der Direction abgeschlossen, eben Contract unterzeichnet und wollte Sie nur bitten mich von jetzt an als Abonnenten Ihres geschätzten Blattes zu betrachten – Hier im Couvert finden Sie meine Adresse – nicht wahr, das Abonnement wird vierteljährlich pränumerando bezahlt?“

„Ist so Usus, verehrter Herr.“

„Schön – ich habe für das erste Quartal den Betrag gleich eingeschlossen.“

Herr Köfer befühlte mit seinen zwei Fingern das Couvert.

„Sehr dankbar – soll Ihnen pünktlich zugesandt werden.“

„Also guten Morgen lieber Köfer – ich habe noch viel zu thun.“

„Das glaub’ ich, Herr Bomeier – das glaub’ ich – sehr angenehm gewesen“ und mit seiner linken Hand den Schlafrock vorn etwas zuhaltend begleitete er den Herrn bis halb durch sein Comptoir oder ging wenigstens mit einer achtungsvollen Verbeugung hinter ihm her, was den beiden Schreibern so imponirte, daß sie ebenfalls von ihren Drehstühlen aufstanden und sich verbeugten.

Herr Köfer hatte kaum Zeit gehabt auf seinen Platz zurückzukehren und einen Blick in das Couvert zu werfen, aus dem ihm eine angenehm gelbe preußische 25 Thlr. Note entgegenlächelte, als sich die Thür schon wieder öffnete und das schwere Rauschen eines Kleides den beschäftigten Mann auf einen Damenbesuch vorbereiten konnte. – Herr Köfer war nun eigentlich noch nicht in Toilette und jeder andere Mensch wäre dadurch in Verlegenheit gerathen, nicht aber der Theater-Agent. Damenbesuch war bei ihm etwas viel zu Allgewöhnliches, um irgend welche Rücksicht darauf zu nehmen und wenn selbst Niemand Geringeres als die gefeierte Primadonna zu ihm hereinrauschte.

Herr Köfer, der seine Briefe wieder aufgenommen hatte, blieb ruhig [404] an seinem Pult stehen. Da aber die Dame in einem wahren Sturm durch das Comptoir fegte, wußte er auch, daß wieder irgend ein Wetter im Anzug sei und bereitete sich mit ver größten Kaltblütigkeit vor, dem zu begegnen.

„Herr Köfer“, sagte die Dame, ohne nur einen Morgengruß für nöthig zu halten und suchte dabei in ihrer etwas geräumigen Ledertasche nach einem Stück Zeitung, das sie endlich zu Tage brachte – „Sie entschuldigen mich, wenn ich Ihnen mit der Thür in’s Haus falle, aber ich muß auf die Probe.“

„Mein Fräulein“, sagte Herr Käfer trocken – „es sollte mir ungemein leid thun, Sie aufzuhalten.“

Fräulein Ostachini, wie die Dame hieß, oder wie sie sich vielmehr nannte, denn ihr eigentlicher Name war „Gelbholz“, hielt dem Theateragenten das Papier vor und sagte:

„Kennen Sie diese Zeitung?“

„Es wäre merkwürdig, wenn ich sie nicht kennte“, erwiederte Herr Köfer mit einem flüchtigen Blick darauf, denn es war seine eigene und der Herr wußte jetzt schon vollkommen genau was die enragirte Sängerin von ihm wollte.

„Und diese Recension haben Sie in Ihr Blatt aufgenommen?“ rief die Dame, die sich augenscheinlich Mühe gab ihr italienisches Temperament (Gelbholz) zurückzuhalten. – „Diese Reeeusion über den – Backfisch – über diese Mamsell Bergen, die eine Stimme hat wie eine Trompete und aussieht wie ein Bauermädel – wie eine Kuhmagd mit ihren dicken rothen Backen und aufgedunsenen Gestalt? Und hat sie nur eine Idee von Gesang, Tremuliren – ja wol, das bringen wir nicht fertig – nicht ein einziges Mal in der ganzen Oper – und die Gans will auch noch von „getragenem“ Gesang reden!“

„Aber mein bestes Fräulein“, sagte Herr Köfer, der indessen seinen Brief ruhig weiter gelesen hatte, denkt die Dame kam jede Woche zwei Mal in einer ähnlichen Angelegenheit – „wenn Fräulein Bergen wirklich ausgezeichnet singt und von dem Publikum drei, vier Mal an einem einzigen Abend herausgerufen und mit Kränzen beworfen wird, so werden Sie uns doch wenigstens gestatten daß wir das einfach referiren.“

„Aber wer hat sie denn mit Kränzen beworfen?“ schrie die lebhafte Italienerin (Gelbholz) – „Jedes Stück kostet ihr zwanzig Groschen bei der Gemüsehändlerin und die übrigen hat ihr der verrückte Graf, der Engländer besorgt, mit dem sie ein Verhältniß hat.“

„Mein verehrtes Fräulein“, sagte Herr Köfer vorwurfsvoll, die Dame verstand aber die Andeutung nicht und da sie sich einmal in ihren Grimm hineingearbeitet hatte, fuhr sie unerbittlich fort:

„Und einer solchen Person streuen Sie in Ihrem Blatt Weihrauch und nennen sie einen „Stern“, der das Größte ahnen ließe? – eine zweite Schröder-Devrient und Sonntag? und das mir in’s Gesicht, der ich ihr nur aus alberner Gutmüthigkeit die Rolle abgelassen habe? – Eine zweite Sonntag — es ist wahrhaftig zu lächerlich und nicht etwa [405] weil die Sonntag wirklich das war, was die Recensenten aus ihr machten, sondern nur weil sich das Publicum jetzt, das sie nie gehört hat und also auch nicht darüber urtheilen kann, nur das Außerordentlichste darunter denkt. Was wollen Sie denn nachher noch über mich schreiben?“

Herr Köfer hatte wirklich mit einer merkwürdigen Gemüthsruhe diese heftigen und leidenschaftlichen Aeußerungen angehört, oder vielmehr über sich ergehen lassen, weil er doch recht gut wußte, daß er diesen Strom nicht dämmen konnte. Er mußte ruhig ablaufen. Jetzt nachdem die Dame schwieg – und er öffnete indessen einen Brief nach dem anderen – sagte er:

„Verehrtes Fräulein, ich schreibe überhaupt gar nichts – Briefe an meine Correspondenten ausgenommen – also mir können Sie keine Vorwürfe machen. Ich lese nicht einmal meine eigene Zeitung und gehe nicht in’s Theater – was ich aber über Fräulein Bergen gehört habe klang sehr lobenswerth und ihre Jugend –“

„Jugend – bah –“, sagte Fräulein Ostachini – „sie ist noch nicht hinter den Ohren trocken und schon die größte Kokette, die es auf der Welt geben kann. Die versteht’s – und was muß die Welt denken, wenn neben mir ein solches – Geschöpf in der Weise herausgestrichen wird?“

„Aber, mein bestes Fräulein“, sagte Herr Köfer, „was wollen Sie? – wie ich gehört habe hat es vorgestern Abend wirklich Kränze und Bouquets geregnet und wenn sich das Publikum selber –“

„Reden Sie nicht, als ob Sie eben erst auf die Welt gekommen wären“, unterbrach ihn Fräulein Ostachini mit einer wegwerfenden Bewegung des Kopfes – und sie that Herrn Köfer darin Unrecht, denn mit seinem unrasirten Gesicht und den grauen Bartstoppeln sah er wahrhaftig nicht so aus – „als ob man nicht wisse, woher die Kränze und Bouquets kommen und wie billig das ist, wenn man es geschickt gemacht hat. Wenn ihr nur jeder ihrer Courmacher ein Bouquet geworfen hätte, wäre sie im Grünen erstickt. – SolidenDamen (Fräulein Ostachini zählte 38 Jahre) – sind allerdings solche Hülfsquellen verschlossen – aber desto scheußlicher ist es“, fuhr sie gereizt fort, „wenn sich die unabhängige Presse auch noch dazu hergiebt, Vorspann an dem Triumphwagen einer solchen – Person zu nehmen. Sängerin, bah – sie hat keine Spur von Coloratur; der eine Triller war eine wirkliche Parodie auf jeden Gesang und bei den hohen Tönen erfaßte mich fortwährend eine unsagbare Angst, daß sie jetzt umkippen müsse – und das Spiel – wie eine Wahnsinnige fuhr sie auf der Bühne herum und das heißt nachher ein Kunsttempel – man möchte verrückt darüber werden.“

„Und womit kann ich Ihnen eigentlich dienen?“ sagte Herr Köfer, indem er eben seinen letzten Brief aufbrach; die gelesenen hatte er auf verschiedene Haufen sortirt.

Fräulein Ostachini gerieth wirklich in Verlegenheit um eine Antwort, denn eigentlich hatte sie nur schimpfen und ihrem Herzen Luft machen wollen – einen weiteren Zweck konnte ihr „Besuch“ natürlich nicht haben.

[406] „Mir?“ sagte sie endlich – „mir sollen Sie gar nicht dienen; aber dem Publicum, indem Sie nicht solche wahnsinnige Recensionen hinaus in die Welt werfen, die diese Mamsell vergöttern und einen Stern aus einem völlig talentlosen Ding machen. Wer soll denn da noch Liebe zur Kunst haben, wenn man sieht, daß die größte Mittelmäßigleit in solcher Weise verherrlicht wird? Meiner Meinung nach erheischte doch schon die Würde Ihres Blattes, daß Sie nicht einer solchen Profanirung zugänglich wären.“

„Die Würde unseres Blattes?“ sagte Herr Köfer und selbst ihm kam diese Behauptung komisch vor; „aber, mein liebes Fräulein, wir recensiren nur oder geben vielmehr der Stimme des Publicums Ausdruck – unparteiisch versteht sich und allein im Sinne der Kunst, – und darin werden Sie mir doch gewiß Recht geben, daß junge aufstrebende Talente unterstützt werden müssen.“

„Junge Talente!“ sagte Fräulein Ostachini; „die Person hat sich schon auf drei, vier Theatern herumgetrieben. Doch Sie werden es erleben. Am Sonntag singt sie die Julia und eine schöne Vorstellung mag das werden. Das sage ich Ihnen aber, wenn Sie in diesen Lobhudeleien fortfahren, so sind wir die längste Zeit Freunde gewesen. Ich verlange von einer Theaterzeitung ein unparteiisches, durch keine Rücksichten oder Protectionen beeinflußtes Urtheil.“

„Fräulein Ostachini!“ sagte Herr Köfer.

„Ja der That“, rief aber die aufgeregte Dame – „und nicht die geringste Rücksicht für mich selber – aber auch eben so für Andere und Ihrem Herrn Lerche bitte ich das von mir auszurichten.“

„Und sonst kann ich Ihnen mit nichts dienen?“ sagte Herr Köfer, während die Dame ihren Shawl fester um die Schultern zog.

„Heute nicht“, sagte Fräulein Ostachini, nicht in der Stimmung höflich zu sein; „guten Morgen, Herr Köfer!“ und mit den Worten fegte sie zum Bureau hinaus und nahm alle die Papierschnitzeln, Bindfaden, Nußschaalen und sonstigen Gegenstände mit, die in ihrer Bahn lagen und die die alte Kathrine in den letzten Tagen versäumt hatte auszukehren.

Herr Köfer sah ihr über seine Brille nach – ohne sie zu begleiten, wie er es vorher bei Herrn Bomeier für nöthig befunden; dann aber, als sie die Thür hinter sich zuschlug murmelte er leise:

„Ja wol – nicht die geringste Rücksicht für mich selber und das Unglück möchte ich erleben, wenn wir nur ein einziges Mal sagten daß ihre Stimme – die so scharf geworden ist, daß sie Einem durch Mark und Bein schneidet, ein wenig belegt gewesen wäre – Herr Du meine Güte, ich glaube Sie drehte das Contor um.“

Der eine Schreiber, der sich kurz vorher ein Packet Briefe geholt hatte, die ihm Herr Köfer bei Seite gelegt, kam damit wieder zu seinem Pult.

„Aber ich muß in die Druckerei zurück“, sagte der Setzerjunge, der noch immer in der Ecke stand.

„Und der Doktor kommt noch immer nicht!“ rief Herr Köfer und [407] fuhr sich mit der Hand durch die ungekämmten Haare. „Springen Sie doch einmal hinüber, Splitzner und sehen Sie, wo er bleibt.“

Der „erste“ Commis legte die Briefe auf. –

„Dr. Hesbach wünscht Abrechnung über sein hier in Commission befindliches Stück“, sagte er, indem er den einen Brief vorschob; „er behauptet in den Zeitungen gelesen zu haben, daß es in Breslau, Köln, Cassel, Dresden, Frankfurt a. M. und Wiesbaden gegeben sei.“

„Ist denn das Honorar dafür eingekommen?“

„Ja, Herr Köfer.“

„Schön, dann schreiben Sie ihm, sobald es käme sollte er augenblicklich Abrechnung erhalten.“

„Es ist eingekommen, Herr Köfer“, sagte der junge Mann.

„Esel“, erwiederte Herr Köfer, „haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen gesagt habe? Und die andern Briefe?“

„In diesem hier verlangt ein Herr Pleschner ebenfalls Abrechnung. Er sagt, daß er –“

Herr Köfer nahm den Brief, riß ihn auseinander und warf ihn in den Papierkorb – „weiter! –“

„Noch ein solcher Brief von Dr. Rabener. Sein Lustspiel wäre auf sieben Bühnen zur Ausführung gekommen und er hätte noch nichts davon gehört.“

„Ich auch nicht“, sagte Herr Köfer, nahm den Brief, knillte ihn zusammen und steckte ihn in Die Tasche.

„Herr Blesheim wünscht ebenfalls Abrechnung“, fuhr der junge Mann fort. „Er behauptet, Sie hätten ihm auf seine vier letzten Briefe gar nicht geantwortet.“

„Das ist sehr leicht möglich“, sagte Herr Köfer – „die Herren scheinen weiter gar nichts zu thun zu haben als Briefe zu schreiben – wir müssen ihnen das abgewöhnen. Stecken Sie den Wisch in den Papierkorb. Was sonst noch?“

„Anmeldung von neuen Stücken.“

„Bekannte Namen?“

„Nein.“

„Fort damit.“

Die Thür ging wieder auf und Herr Guido Lerche trat, von dem zweiten Commis gefolgt, der ihm auf der Treppe begegnet war, ins Zimmer.

„Aber, Herr Lerche – der Setzeriunge wartet schon zwei Stunden auf Sie“, sagte Herr Köfer vorwurfsvoll.

„Kann ich Armeen aus der Erde stampfen?“ citirte Herr Lerche und ging ohne einen Gruß an seinen Platz, Herrn Köfer gerade gegenüber; „ich bin die Nacht erst um halb drei nach Hause gekommen und habe trotzdem schon heute Morgen den Artikel beendet. Ich muß ihn nur noch einmal durchlesen, nachher kann ihn der Junge mitnehmen.“

Herr Guido Lerche hatte sich in den Jahren, in denen wir das Vergnügen nicht hatten, ihm zu begegnen, sehr zu seinem Vortheil verändert, [408] was wenigstens sein physisches Selbst betraf. Er war dick und rund geworden, trug einen kleinen, aber sehr buschigen Schnurrbart, leinene Vorhemdchen und papierne Vatermörder, sah also immer sehr reinlich aus und zeigte einen nicht unbedeutenden Ansatz zu einer mühsam erworbenen rothen Nase.

„Wo waren Sie denn bis halb drei Uhr“, sagte Herr Köfer, der insofern Interesse daran nahm, als Herr Lerche schon seit fünf Jahren als Gatte seiner Schwester sein Schwager und dabei „stummer“ Theilhaber des Geschäfts geworden.

„Wo ich war?“ sagte Guido – „Bomeier gab ein famoses Champagner-Souper nach dem Theater und wir haben uns köstlich amusirt. Ist ein ganz famoser Kerl.“

„Sind Sie mit der Recension fertig?“

„Gewiß.“

„Darf ich Sie bitten?“

Lerche reichte ihm das Blatt hinüber und Herr Köfer warf kaum den Blick darauf, als er ausrief:

„Aber, bester Lerche – Sie reißen ja das Stück furchtbar herunter und es hat ausgezeichnet gefallen! Der Autor ist beinah nach jedem Act gerufen und der Regisseur hatte alle Hände voll zu thun, ihn nur zu entschuldigen. Das Publicum war ganz außer sich.“

„Lieber Schwager“, sagte Herr Lerche verächtlich, „thun Sie mir den einzigen Gefallen und nennen Sie mir nur gar nicht das Wort Publicum. Was ist Publicum? Eine Masse, die Entrée bezahlt, um das Institut zu erhalten und sich ein paar Stunden Abends zu amusiren. Für ihr Eintrittsgeld haben sie dann allerdings Sitz, aber wahrhaftig keine Stimme und mit Ihrer Erfahrung müssen Sie doch lange schon wissen, daß eine solche Masse wol steuerpflichtig sein kann und sein muß, aber nie die geringste Rücksicht auf ihr Urtheil verlangen darf.“

„Aber der Autor hat einen so bekannten Namen“, sagte Herr Köfer, doch noch nicht vollständig überzeugt.

„Und was thut das?“ rief Herr Lerche. „Das Urtheil über dramatische Productionen haben wir in der Hand, nicht das Publicum und wer ist der Autor überhaupt? Kennen wir ihn? Hat er es auch nur der Mühe Werth gefunden, uns einen Anstandsbesuch zu machen? – he?“

„Das allerdings“, sagte Herr Köfer.

„Gut“, bemerkte Herr Lerche, „den Herren müssen wir wenigstens Lebensart lehren und sie davon überzeugen, daß sie ohne uns Nichts sind – nachher werden sie gehen und fressen aus der Hand. Ueberlassen Sie das mir, Schwager. Ich weiß, wie man mit derartigem Gelichter umspringen muß.“

Herr Köfer hatte indessen die Recension über das gestern gegebene Stück weiter verfolgt. – „Hm“, sagte er dabei – „Bomeier wird damit zufrieden sein – kann nicht mehr Verlangen, aber – haben Sie sich da verschrieben? – Was bedeutet denn der letzte Satz?“

„Welcher?“

[409] Herr Köfer las: „Fassen wir aber das Ganze in wenige Worte zusammen und bewundern wir fortan sein großes Talent für Form, für Stylistik – seine Begabniß sich das Außerordentlichste anzueignen – seine reizende schöne Factur, seine zarten Fühlhörner und seine ernsthafte – ich möchte fast sagen passionirte Indifferenz2 ... das verstehe ich nicht.“

„Lieber Schwager“, sagte Herr Lerche, mit der linken Hand eine abwehrende Bewegung machend – „überlassen Sie das mir. Sie verstehen das allerdings nicht, aber es drückt in höherer Weise aus, was unser geistiges Ich bei einer solchen Leistung empfindet. Bomeier ist in der That ein Künstler erster Classe und ich hoffe nur, daß er unserem Institut erhalten bleibt. Etwas Rohes, was er noch an sich hat, wollen wir dann schon abschleifen und poliren.“

„Na“, sagte Herr Köfer – „dann geben sie nur dem Jungen da das Manuscript, daß er in die Druckerei kommt, denn er wartet schon eine ewige Zeit. Ich will hinüber gehen und mich rasiren lassen – mein Barbier kommt jetzt“, und ein viereckiges Stück Marmor mit einer Lyra darauf als Handgriff auf seine verschiedenen Briefschaften stellend, verließ er das Bureau, um sich auf kurze Zeit in seine eigenen Räume zurückzuziehen.

Herr Lerche hatte indessen den Setzerjungen abgefertigt und die verschiedenen eingelaufenen Zeitungen aufgegriffen, in deren Lectüre er sich vollkommen vertiefte. – Die Schreiber waren ebenfalls in voller und eifriger Arbeit und so mochte es geschehen, daß ein Fremder, von ihnen Allen unbemerkt, das Comptoir betrat und durchschritt. Herr Lerche hatte wenigstens nicht das Geringste gehört, als plötzlich dicht neben ihm eine Stimme sagte:

„Guten Morgen Herr Lerche!“

Guido fuhr in der That zusammen; als er aber über das Zeitungsblatt hinweg sah, erkannte er einen sehr anständig gekleideten Herrn vollkommen in Schwarz, mit sehr sauberer Wäsche, der dicht vor ihm stand und ihm freundlich, ja fast vertraulich zunickte.

Lerche starrte ihn überrascht an, denn die Züge des Fremden kamen ihm so merkwürdig bekannt vor und doch konnte er sich in dem Augenblick um’s Leben nicht besinnen, wo er ihn nur je gesehen hätte. Der Fremde aber, der ihn lächelnd betrachtete, fuhr ruhig fort.

„Also glücklich im Hafen der Ruhe angelangt? – Sie sehen gut aus, lieber Lerche und haben sich ordentlich herausgemacht. Das Unterkinn steht Ihnen vortrefflich und ich hätte Sie beinah gar nicht wiedererkannt.“

„Mit wem habe ich die Ehre?“ sagte Herr Lerche, der durch das vornehm nachlässige Wesen und diese anscheinende Vertraulichkeit ganz aus seiner gewohnten Rolle fiel und gar nicht grob wurde – „ich muß Ihnen gestehen, daß ich mich nicht erinnern kann jemals das Vergnügen gehabt zu haben –“

[410] „Erinnern sich nicht?“ lächelte der Fremde freundlich – „ja, läßt sich denken. Erstlich ist es auch eine Reihe von Jahren her, daß wir uns trafen und dann verändert das Glück die Menschen oft wunderbar. Ich selber konnte mir aber doch die Freude nicht versagen, Sie wieder einmal aufzusuchen und da ich hier gerade ganz in der Nachbarschaft Geschäfte hatte ….

„Aber wer sind Sie?“ rief Herr Lerche, dem plötzlich eine Ahnung dämmerte, indem er dabei ganz blaß wurde.

„Ich?“ lachte der Fremde – „der Teufel! – kennen Sie mich nicht mehr?“

„Ave Maria und Joseph“, sagte Herr Lerche.

„Seit! Sie nicht kindisch“, erwiederte der Fremde – „die Schreiber werden schon aufmerksam – ich will auch gar nichts von Ihnen, sondern freue mich nur, daß es Ihnen gut geht und – daß mein Rath bei Ihnen angeschlagen ist. – Sie befinden sich wohl?“

„Danke Ihnen“, sagte Herr Lerche in der größten Verlegenheit, denn er wußte wahrhaftig nicht, wie er mit dem Mann daran war. Er erkannte jetzt auch die Züge desselben wieder, die er damals allerdings nur undeutlich im Mondlicht gesehen; es war das nämliche bleiche, aber in nichts veränderte Antlitz – die Jahre waren spurlos an ihnen vorübergegangen und noch wie damals ruhten bis dunklen, ausdrucksvollen Augen auf ihm und schienen sich fest in ihn hineinzubohren.

„Ihr Schwager ist wol nicht zugegen?“ sagte der Fremde endlich, als Herr Lerche noch immer keine Worte fand ihn anzureden.

„Nur einen Augenblick auf sein Zimmer hinübergegangen; er muß gleich wieder zurückkommen“, sagte Lerche mit der größten Zuvorkommenheit. „Sie kennen ihn?“

„Wir sind alte Freunde“, lächelte der Fremde „und stehen auch in Geschäftsverbindung.“

„Wollen Sie denn nicht einen Augenblick Platz nehmen?“

Es lag ein eigener, malitiös humoristischer Zug um die Lippen des Fremden. Lerche fühlte sich aber dabei um so unbehaglicher, als er sich bewußt war ihm noch zehn Thaler zu schulden, die er nur höchst ungern zurückgezahlt hätte. – Und wer war der räthselhafte Mensch überhaupt? – Der, für den er sich ausgab, konnte er nicht sein, und jetzt stand er auf einmal mitten in der Stube und Keiner hatte ihn kommen hören.

„Herr“, sagte der Fremde nach kurzem Nachdenken, „ich möchte allerdings Herrn Köfer erwarten – er wird sich freuen mich wieder zu sehen. – Bleibt er lange?“

„Er muß augenblicklich wiederkommen.“

„Schön“, sagte der Fremde – „dann wart’ ich“ und einen der Rohrstühle benutzend – selbst er getraute sich nicht auf das Sopha – nahm er an der Seitenwand Platz, ohne aber auch mir für einen Moment den Blick von Herrn Lerche abzuwenden, den dieser fühlte ohne ihm zu begegnen.

[411] „Merkwürdig“, nahm dann der Besuch das Gespräch wieder auf, „wie sich doch die Zeiten und Menschen verändern! Erinnern Sie sich noch, Herr Lerche, wie wir uns damals in Ems trafen?“ Damals waren Sie ein junger schlanker Mensch – etwas abgemagert vielleicht und etwas reducirt ebenfalls, am Leben Verzweifelnd, und jetzt? Ich habe mir eben das Vergnügen gemacht und Ihre Familie besucht –“

„Sie waren drüben bei mir?“ sagte Herr Lerche rasch und fast wie erschreckt

„Ich glaubte Sie noch zu Hause zu finden. Was für eine prächtige Frau Sie haben – so wolbeleibt und so resolut – Sie scheinen ein wenig unter dem Pantoffel zu stehen, Lerche – wie?“

„Ich?“ sagte Herr Lerche und wurde blutroth – „woher vermuthen Sie das?“

„O“, lächelte boshaft der Fremde – „nur nach einigen kleinen Andeutungen. Sie werden es mir auf meine Worte glauben, daß ich darin einige Erfahrung besitze. Ich spielte nur zum Scherz darauf an, daß Sie vielleicht heute Mittag nicht zum Essen kommen würden –.“

„Alle Wetter“, rief Herr Lerche erschreckt – „wir waren gestern Abend etwas lange auf –“

„Ihre Frau Gemahlin deutete etwas Derartiges an“, lachte der Fremde, „so daß ich nicht weiter in sie drang. Ich selber streite mich nicht gern mit älteren Damen, denn man zieht stets den Kürzeren. Aber Sie scheinen sich sehr wohl zu befinden – eine sehr hübsche Einrichtung, eine ganze Reihe von Kindern mit so Prächtigen rothen Haaren – und die liebenswürdige Gattin.“

„Ich glaube da kommt Herr Köfer“, sagte Lerche, dem das Gespräch anfing unangenehm zu werden, indem er nach einer draußen gehenden Thür horchte. Es dauerte auch nicht lange so trat der Principal in das Zimmer, ohne aber den Besuch gleich zu bemerken, oder auch zu beachten; denn er ignorirte grundsätzlich alle Leute, die geduldig auf ihn warteten.

„Donnerwetter“, sagte er, wie er nur den Raum betrat, „was riecht denn hier nur so furchtbar nach Schwefel?“

„Sie müssen mich entschuldigen; Herr Köfer“, sagte der Fremde, „ich habe mir eben eine Cigarre angezündet. Es ist wahrscheinlich das Streichhölzchen.“

Herr Köfer blieb mit halboffenem Munde vor ihm stehen und sah ihn so stier an, als ob er einen Geist gesehen hätte.

„Von der Hölle“, stammelte er endlich und sein sonst aufgedunsenes rothes Gesicht war merklich bleich geworden – „wo kommen Sie einmal wieder her? Ich – habe Sie in ewig langer Zeit nicht gesehen?“

„Geschäftsreisen, lieber Freund“, sagte der Fremde leichthin, indem er den Dampf einer Cigarre von sich blies – „die mich auch wieder in Ihre Nähe gebracht haben, und doch einmal in X., konnte ich mir natürlich das Vergnügen nicht versagen.“

„Ich weiß nicht, ob sich die Herren kennen“, bemerkte etwas verlegen Herr Köfer – „Herr Lerche – mein Schwager und jetziger Theilhaber [412] des Geschäfts – Herr von der Hölle – mein erster Compagnon, lieber Lerche, mit dem ich das Bureau gegründet habe – aber ich erinnere mich jetzt, Sie brachten mir ja selber seine Karte.“

„Ja“, sagte von der Hölle, „und ich freue mich wirklich, zwei so würdige Leute zusammengeführt und befreundet zu haben. Ihr Geschäft muß jetzt blühen, lieber Köfer. Wenn Ihre Charaktere auch ziemlich ungleich sein mögen, so ergänzen sich doch Ihre Eigenschaften – und dann der versprechende Nachwuchs. Ich bin ganz glücklich, Alles so vortrefflich gedeihen zu sehen und kann jetzt befriedigt X. wieder verlassen.“

„Und weiter hat Sie nichts hierher geführt?“ sagte Herr Köfer, doch etwas erstaunt.

„In Ihr Haus? nein. Einige andere Geschäfte bleiben natürlich noch zu erledigen. Allerdings hatte ich schon früher öfter versucht einmal mit Ihnen abzurechnen, lieber Köfer. (Herr Köfer wurde leichenblaß), aber ich glaube nicht –“, setzte er gutmüthig hinzu – „daß ich gerade jetzt zur gelegenen Stunde komme.“

„Die Geschäfte sind in der letztere Zeit so schlecht gegangen –“, versicherte der Agent, mit einem unwillkürlichen Blick auf seinen Schwager.

Von der Hölle lächelte – „ich weiß es, verehrter Herr, aber Sie wissen auch, daß ich mehr auf die Zinsen als das Capital rechne. Für jetzt bin ich vollkommen zufrieden. – Lieber Herr Lerche, es war mir außerordentlich angenehm Sie wieder einmal gesehen zu haben – bitte empfehlen Sie mich nochmals Ihrer liebenswürdigen Frau Gemahlin. – Lieber Köfer – ich hoffe doch, daß wir im nächsten Jahr unser kleines Geschäft reguliren können, wie?“

„Ich hoffe bestimmt“, sagte Herr Köfer und es war augenscheinlich, daß er sich Mühe gab in Gegenwart seiner Schreiber ein etwas würdevolles Ansehen zu behaupten.

„Also auf Wiedersehen – bitte, keine Complimente“ und mit raschen Schritten glitt er mehr als er ging durch das Comptoir, der Thür zu.

Als Köfer – der unter keiner Bedingung gerade bei diesem Herrn die nöthige Artigkeit außer Acht lassen wollte – hinter ihm drein schoß und die Thür wieder öffnete, war er schon fort – und ganz unten auf der Treppe. – -

Im nächsten Jahr – ziemlich um dieselbe Jahreszeit – machte ein Vorfall in X viel Aufsehen. Herr Köfer nämlich, der Eigenthümer des Theaterbureaus, wurde vermißt, überall gesucht und nirgends gefunden und die verschiedensten Gerüchte kamen darüber in Umlauf. Einige behaupteten er sei im Fluß verunglückt – nach Anderen sollte er in Hamburg gesehen worden sein, um sich nach Amerika einzuschiffen – Gewisses konnte man aber nirgends über ihn erfahren und nur die Schauspieler in X. versicherten auf das Bestimmteste: „daß ihn der Teufel geholt habe.“

Wie dem auch sei – er kam nicht wieder zum Vorschein und Herr Lerche setzt, unter der alten Firma, das Geschäft fort.


  1. Im Schwabenland geht die Sage, daß der Mondschein nicht dem lieben Gott, sondern dem Teufel gehöre, und zu Dem, der darin arbeite oder etwas darin vornehme, komme der Teufel und biete ihm selber Arbeit an.

Hasenjagd bei Gotha[Bearbeiten]

In: Hausblätter. Herausgegeben von Friedrich Wilhelm Hackländer und Edmund Hoefer. Adolph Krabbe, Stuttgart, 1867, 2. Band, S. 470–480

[470]

Hasenjagd bei Gotha.
Skizze
von
Friedrich Gerstäcker.

Es gibt wohl kaum ein Wesen auf der Welt, dem unausgesetzter und unerbittlicher nachgestellt würde, als dem armen Lampe. – Lepus timidus – ja wohl, er hat auch alle Ursache timidus zu sein, denn einmal ist es ihm noch nie eingefallen, sich als Held zu geriren, und dann soll Einer auch nicht furchtsam werden, wenn sich die ganze Welt gegen ihn verschwört, und alle es nur darauf abgesehen zu haben scheinen, ihm nach dem Leben zu trachten.

Wen hat der Hase eigentlich nicht zum Feind? Draußen im Feld und Gehölz stellt ihm unausgesetzt der Fuchs, Marder, Iltis, wilde Katze, ja selbst das kleine Wiesel nach, das ihn anspringt, sich an ihm festsaugt und nicht eher von ihm läßt, bis er erschöpft und todt zu Boden stürzt. Ja das nicht allein; sogar der Habicht stößt auf ihn nieder, wenn er sich draußen im Sonnenschein die über Nacht naß gewordene Wolle trocknen will – und nun erst der Mensch: Vom richtigen Waidmann hinab, bis zum nichtsnutzigen Bauernjungen hinunter, der in der Setzzeit, mit einer Pelzmütze auf und bloßen Beinen, draußen mit Vaters alter Flinte im Feld herumläuft und nach allem knallt, was lebt, gibt es kaum ein männliches Individuum, das nicht wenigstens einmal den Versuch gemacht hat, eines dieser armen Geschöpfe umzubringen. Mit oder ohne Jagdkarte – es knallt jedenfalls, wo er sich blicken läßt, und selbst Leute, die ganz entschieden einem Verein gegen Thierquälerei angehören, sehen nicht das geringste Unrechte darin, schon fast außer Schußweite hinter einem davonspringenden Lampe herzuschießen und ihm nur wenigstens noch ein paar Schrote in den Leib zu jagen. Daß sich [471] das arme Geschöpf nachher in einer Hecke verkriecht und an dem erhaltenen Blei elend verkümmert, macht ihnen nicht die geringsten Scrupel. „Getroffen hab’ ich ihn,“ sagt der Mann, rückt sich seine Brille zurecht, schaut ihm nach, so weit er ihm mit den Augen folgen kann, und stopft dann seine Flinte kaltblütig für ein neues Opfer.

Die eigentlichen Hasenjagden werden verschieden betrieben, und wenn der Hase auch schon vom 1. September jeden Jahres (in manchen Ländern vom 20. oder 24. August) für vogelfrei erklärt wird, so beginnen seine wirklichen Leiden und Drangsale doch erst Ende Oktober oder November und erreichen vor Weihnachten, bis in den Januar hinein, ihren Höhepunkt. Mit dem 2. Februar ist dann die Jagd wieder geschlossen, und alle des mißhandelten Geschlechts, die glücklich genug waren, diesen Zeitpunkt zu erleben, haben wieder auf sieben Monate Frieden.

Schon im September, auf der Hühnersuche, erleiden sie aber manches Trübsal – sowohl von „hasenreinen“ Jägern als Hunden, und manches arme junge Häschen, das kaum laufen gelernt, und noch vertrauungsvoll, unter einem Kohlblatt vor, nach dem Himmel hinaufblickte, wird von schlecht dressirten oder zu jagdeifrigen Kötern aufgegriffen und in der Blüthe seines Lebens geknickt. Andere bekommen den Pelz voll feiner Hühnerschrote und schütteln die Löffel ganze Gemarkungen lang vor lauter Erstaunen über die ungewohnte und rauhe Behandlung. Es ist aber noch nicht systematisch auf ihre Vernichtung abgesehen, und sie werden nur nebenbei, unter der Rubrik „Küchenhasen“ gepfeffert, und einzeln, in Jagdranzen, nach Hause getragen.

Ende Oktober beginnen dagegen die Treibjagden – eigentlich erst im November, und am liebsten, wenn schon etwas Schnee liegt und der Boden hart gefroren ist, denn bei weichem Wetter „hält“ der Hase zu fest und läßt sich zu leicht von den Treibern übergehen, hinter denen er dann aufsteht und noch für ein anderes Mal zu brauchen ist.

Die Treibjagden werden auf verschiedene Weise gemacht. Die gewöhnlichsten sind die sogenannten „Kesseltreiben“, bei denen das Frühstück den Hauptmoment bildet. Schützen und Treiber werden dazu, von einem Punkt aus, nach zwei verschiedenen Richtungen abgeschickt, und zwar so, daß immer ein Schütze und dann ein oder zwei Treiber – je nach der Größe des Reviers, einander folgen und gleiche Entfernung von einander halten sollen, damit sie den zur Jagd bestimmten Raum – wenn sie endlich in einem Bogen wieder an ihren äußersten Spitzen zusammentreffen, gleichmäßig umstellen [472] und einschließen. Ich sage, sie sollen gleiche Entfernung von einander halten, aber – sie thun es gewöhnlich nicht, denn es gibt immer eine Menge von alten Schlauköpfen dabei, die auch schon bei der Jagdgesellschaft als „Löchermacher“ betüchtigt sind. Diese zögern entweder, bei gleichmäßigem Abgehen, unter irgend einem Vorwand, oder laufen auch ihrem Vormann davon, nehmen dann den nächsten Treiber dicht an sich heran und bilden so in der Schützenkette ein „Loch“, was arglose und auf die Läufe gebrachte Hasen veranlassen soll, bei ihnen durchzubrennen.

Sind es recht gute Schützen und führen sie Zündnadel- oder Lesoucheur-Gewehre, so mag es gehen, wenn es auch die Nachbarn ingrimmig ärgert; hat aber ein Sonntagsjäger bei einem solchen „Loch“ seinen Stand – noch dazu mit einer Stopfflinte, zu deren Laden er eine Viertelstunde Zeit braucht, dann geht nicht selten Hase nach Hase ungeschädigt durch und die Entrüstung wird allgemein.

Beim Kesseltreiben, wo Schützen und Treiber allmälig nach Innen drängen, verringert sich natürlich rasch der eingeschlossene Raum und die Schützen und Treiber kommen dadurch auch dichter zusammen, bis sie zuletzt einen Kreis umschließen, aus dem kein armer Hase mehr ungeschädigt entkommen kann.

Hierbei zeichnen sich nun wieder die „Ducker“ aus – gewöhnlich dieselben, die beim Beginn des Treibens „Löcher machten“, indem sie sich, sowie nur ein Hase in Sicht kommt, zur Erde niederducken, bei trockenem Wetter auch wohl geradezu hinlegen, um Lampen dadurch glauben zu machen: dort wäre niemand und er könne ungehindert durch. Kommt er dann wirklich – aber nur in Ausnahmsfällen – so sind sie nie fertig und der Hase schlenkert gewöhnlich, mit einem locker geschossenen Hinterlauf, und zum Vergnügen einiger dahinter her hetzenden Hunde, die nachher das ganze Treiben stören – davon.

Gefährlich ist diese Jagd bei gefrorenem Boden, wenn das Treiben eng zusammen geht. Allerdings wird ein bestimmtes Zeichen gegeben, von dem ab die Hasen herausgelassen werden müssen und: „nicht mehr in’s Treiben schießen!“ schreit es von allen Seiten, wenn ein verspäteter und etwas leichtsinnig abgegebener Schuß fällt – aber du lieber Gott, was hilft das! Dort steht ein Schütze – er hat den ganzen Tag versucht mit Löcher machen, Ducken, Hasen anlaufen und allen möglichen anderen Listen eines der unglücklichen Schlachtopfer zu überlisten, auch wohl geknallt genug, aber mit [473] nicht dem geringsten Erfolg, denn mit Ausnahme eines „Kompagnie-Hasen“, den aber sein Nachbar auf das entschiedenste beansprucht, obgleich beide Schüsse unmittelbar hinter einander fielen, kann er sich noch keiner Beute rühmen. Jetzt hinkt ein schwer mitgenommener Hase direkt auf ihn zu, und dort drüben kommt schon ein losgelassener Hund an, um ihn zu apportiren – wenn er nicht rasch schießt, entgeht ihm diese letzte Gelegenheit und – kracht fällt der Schuß, der den armen Lampe allerdings von seinen letzten Leiden befreit, zugleich aber auch eine Flut von Verwünschungen und Flüchen wachruft, denn die auf den gefrorenen Schollen abprallenden Gellschrote sind zwischen Treiber und Schützen hineingespritzt und haben – wenn auch gerade kein Unglück, doch Schrecken angerichtet.

Jetzt ist das Treiben beendet, der letzte Hase entweder erlegt oder verjagt; die erbeuteten Hasen werden flüchtig überzählt und in Körbe geworfen, und Jäger wie Treiber wandern zu, dem nächsten Trieb hinüber.

Eine andere Art dieser Jagd ist das sogenannte „Anlegetreiben“, das aber schon einige Vorbereitungen erfordert, denn es werden für die aufzustellenden Schützen vorher Löcher gegraben, in denen sie geschützt sitzen oder stehen und die anlaufenden Hasen erwarten können. Diese sehen hinter den Erdhaufen, da sie überhaupt ziemlich schlecht äugen, keine Gefahr, und kommen unbeirrt heran; wer aber an ein solches Treiben nicht gewöhnt ist, unterschätzt sehr leicht die Entfernung des Wildes und schießt auf eine zu weite Distance und dann gewöhnlich zu kurz. Selbst gute Schützen fehlen in solchen Erdlöchern sehr häufig zu ihrem eigenen Erstaunen, bis sie die Entfernung abschreiten, auf welche sie geschossen haben. Das sicherste ist, sich vor Beginn eines solchen Treibens in einem Halbkreis um das Loch her sechzig bis siebzig Schritte abzumessen, und auf irgend eine Weise in gewissen Entfernungen zu bezeichnen. Man ist dann sicher, daß man keinen Hasen krank schießt und keine Patrone verschleudert.

Bei recht starkem Frost ist es übrigens kein besonderes Vergnügen, in einem solchen gegrabenen Loch regungslos zu sitzen, besonders wenn man keinen Anlauf hat; wozu noch kommt, daß die Hasen, an verschiedenen Tagen und bei verschiedenem Wind auch, wenn aufgejagt, ihren besonderen Weg nehmen. Wenn man die ersten kommen sieht, so kann man sich ziemlich fest darauf verlassen, daß auch die nachfolgenden die nämliche Richtung beibehalten, und wer da aus dem Weg sitzt, bekommt vielleicht ein oder den anderen [474] versprengten zum Schuß, darf aber fest überzeugt sein, daß er nicht oft gestört wird.

höchst interessant sind die sogenannten „Verlappungen“ der Hasen, die in der Nacht vorgenommen werden müssen. An irgend einem Holzrand, an welchem hin die Schützen angestellt werden sollen, müssen noch vor Tagesgrauen, wenn die Hasen draußen im Felde sind, die Federlappen aufgestellt werden, und verstehen die Leute ihre Sache, so bilden sie an den Plätzen, wohin ein Schütze kommen soll, einen sogenannten „Sack“ – eine Einbiegung nach dem Holz zu. Die Schützen treten dann mit der ersten Morgendämmerung – eher etwas zu früh, als zu spät – auf ihren Stand und erwarten nun geduldig den anbrechenden Tag, mit dem sich alle Holzhasen in ihre verschiedenen Lagerplätze zurückziehen.

Noch liegt die Nacht auf der Flur und läßt die nächste Umgebung nur in düsteren, undeutlichen Umrissen erkennen, aber das Auge gewöhnt sich bald daran, und jetzt erkennt man auch einen mattgrauen, lebendigen Gegenstand, der langsam angehumpelt kommt und seine Richtung gerade auf den ihm nächsten Holzrand zu nimmt. Es ist Lampe, der sich zu Ruh begeben will und jetzt lässig, wie in voller Sicherheit, seinen gewöhnlichen Wechsel verfolgt. Was kann ihm auch hier, bei stockfinsterer Nacht, noch passiren – er hat den Weg ja hundert- und hundertmal gemacht. – Da plötzlich rennt er gegen die Federlappen an und macht erschreckt einen Satz zurück, denn die ganze Reihe geräth dadurch in Bewegung. – Alle Wetter, was ist das? – Natürlich könnte er mit Bequemlichkeit darüber hinspringen, aber das wagt er nicht, denn er weiß nicht, ob am Ende nicht doch eine Gefahr dahinter laure. Er heppt also vorsichtig daran hin – aber das Ding ist lang und nimmt gar kein Ende, und damit kommt er ganz aus seinem gewöhnlichen Cours. –

Nochmals hält er und macht jetzt ein Männchen, um sich besser zu orientiren, aber rechts wie links zieht sich der nämliche fremde und vom Wind leicht bewegte Streifen hin. Das geht nicht – er muß machen, daß er zu Holz kommt, und wieder auf die Vorderläufe fallend, fängt er an, sich etwas rascher fortzuwagen – immer aber an den Federlappen hin, bis er dem nächsten Schützen in’s Bereich kommt. Jetzt knallt’s, und der arme vertrauungsvolle Hase liegt – wenn der Schütze nicht etwa in dem Dämmerlicht zu volles Korn nimmt und zu hoch schießt – strampelnd und zuckend am Boden.

[475] Jetzt knallt es auch da und dort, und so früh am Morgen ist es noch, daß man deutlich den Feuerschein aus den Gewehren erkennen kann. Das behindert aber die noch im Feld befindlichen Hasen keineswegs, die nämliche Richtung einzuschlagen, ja läßt sie ihren kurzen Weg nur noch mehr beeilen, um aus dem freien Felde fort und in’s schützende Holz zu kommen. Drei und vier hinter einander nehmen jetzt die Lappen an, scheuen aber, wie es heller wird, schon mehrere Schritte davor und springen ab – keiner aber von allen dreht um und nimmt seinen Weg zurück, sondern sie suchen das Ende dieser unheimlichen Einzäunung und laufen dadurch rettungslos einen oder den andern der Schützen an.

Alle diese Jagden sind aber nur darauf berechnet, die Hasen in größter Zahl zu erlegen, und es kommt dabei nicht darauf an, welcher Schütze den größten Anlauf hat, welchem sie hauptsächlich zugetrieben werden sollen. Das aber stellt sich anders auf größeren Revieren heraus, wo besonders ein regierender Herr eine Jagd hält, und die Jägerei deßhalb auch alles thut, um ihn selber am meisten zum Schuß zu bringen. Der Leser wird von einer solchen Jagd am besten einen anschaulichen Begriff bekommen, wenn ich ihm das erste Hasentreiben beschreibe, dem ich in der Gesellschaft Sr. Hoheit des Herzogs von Coburg-Gotha beiwohnen durfte.

Er war im Monat Dezember, ziemlich rasches und besonders windiges Wetter, wie es in der Nähe des sehr hoch liegenden Gotha so häufig ist. Wir waren – nur zwei Schützen – mit dem Herzog am Abend vorher von Coburg herübergekommen, hatten in Gotha übernachtet und frühstückten am nächsten Morgen um zehn Uhr. Um halb elf waren die Wagen bestellt, und zwar drei Extraposten, da sich die herrschaftlichen Pferde, weil der Hof erst im Januar nach Gotha übersiedelt, noch in Coburg befanden.

Rasch nach einander, jeder in einem besonderen Wagen, fuhren wir ab, und zwar noch etwa eine Stunde derselben Chaussee folgend – dann theilten sich die Wege – mein Jagdgefährte, ein Herr von R., bekam den rechten Flügel, ich den linken und Se. Hoheit sollte das Centrum einbringen. Zu mir stieg ein Kreiser auf den Bock, um dem Postillon den genauen Weg anzugeben, und jetzt ging’s fort, zuerst einen langen Feldweg hinab, dann quer über eine gelbe Stoppel, wo wir schon in der Ferne die lange, vereinzelte Treiberlinie erkennen konnten. Auf diese rasselten wir zu, und zwar einen mit einem kräftigen Pferd bespannten Karten zum Ziel nehmend, der, wie sich bald herausstellte, mein specieller Hasenkarren werden sollte.

[476] Allerdings war es mir im ersten Moment ein eigenthümliches Gefühl, ein besonderes Fuhrwerk für meine Jagdbeute zur Verfügung zu haben, denn ich hatte noch die Leipziger Hasenjagden im Gedächtniß, auf denen ein Mann mit einem Tragkorb vollkommen ausreicht und sogar, in leider nur zu vielen Fällen, überflüssig – oder wenigstens ein Luxusartikel ist; aber ich ließ ihn mir trotzdem gefallen, stieg aus, sah noch, wie die Extrapost umlenkte und wieder dem nächsten Dorf zufuhr, um dort die Pferde einzustellen, und rückte dann in die Treiberlinie ein.

Der Herzog hatte, wie ich gesehen, drei oder vier Gewehre bei sich, mit seinen Leibjägern zum Laden – Herr von R. führte ebenfalls ein paar Gewehre und einen Forstgehülfen zum Laden mit. Ich selber hatte meine Zündnadelflinte, mit der ich schon allein fertig zu werden hoffte. Es mußte viel Hasen geben, wenn sie der zu toll wurden, und noch sah ich keinen einzigen.

Die Treiber standen entsetzlich weit aus einander – oder hätten wenigstens weit stehen sollen, schienen die Sache aber nicht so ängstlich zu nehmen, sondern waren in kleine Trupps zusammen getreten, um sich mit einander zu unterhalten und ihren verschiedenen Branntweinflaschen zuzusprechen. Drei, vierhundert Schritt weit war dann kein Mensch zu sehen, bis wieder zu einem andern kleinen Trupp. Das Treiben hatte noch nicht begonnen: „der Herzog war noch nicht eingetreten,“ wie mir die Leute sagten.

Endlich fiel ein Schuß – aber in weiter, weiter Ferne – der Knall klang dumpf und hohl – aber die Jagd mußte begonnen haben, und es kam Leben in die Mannschaft. Die verschiedenen Knäuel lösten sich auf und die Treiber zogen sich jetzt – aber immer noch paarweise, um die Unterhaltung nicht ganz abzubrechen, in ihre Linie hinein.

Vergebens hatte ich mich indessen nach der anderen Treiberlinie umgesehen, das Terrain, das bejagt werden sollte, schien enorm groß, und rechts und links am Horizont bildete unsere Seite nur eine einzige Linie. Ich hatte auch noch keine rechte Idee wie das ganze Treiben gemacht werden sollte, sah aber wohl, daß ich auf tausend Schritte wenigstens nach rechts oder links keinen weiteren Schützen zu suchen brauchte.

„Da läuft einer!“ hörte ich rufen und sah, daß auf der leisen Anhöhe vor uns ein Hase mobil geworden. Er war vielleicht aufgescheucht – ging auch möglicherweise nur dort spazieren.

Jetzt kam der Ruf von rechts herunter: „Fortrücken!“ – Die Leute zogen sich langsam auf der Linie hinab, ohne in das Treiben selber einzudrücken, [477] und der Kreiser, der, mit dem Stock in der Hand, bei mir blieb, sagte mir nun, daß es keilförmig gemacht würde. Oben in der Spitze ging der Herzog und unten, quer vor, eine enorm lange Wehr bildend, standen die Netze.

So wanderten wir wohl drei Viertelstunden langsam, und oft wieder eine Weile stehen bleibend, in der nämlichen Richtung fort, und wenn auch dort, wo ich den Herzog wußte, einzelne Schüsse fielen, war ich selber noch nicht in die Verlegenheit gekommen, mein Gewehr abzufeuern, und fing schon an, den Hasenkarren für eine Art von Verzierung zu halten. Im Treiben wurde es aber doch jetzt lebendig; sonderbarer Weise schienen die Hasen, die sich da blicken ließen, aber nur zwei Course einzuschlagen. Die einen liefen nämlich von rechts nach links – die anderen begegneten ihnen von links nach rechts, und manchmal hielten sie auch unterwegs, als ob sie sich Bemerkungen mittheilten, und Einzelne kehrten dann um, und liefen mit den anderen.

Jetzt hatte ich eine kleine wellenförmige Höhe oder Anschwellung des Bodens erreicht, und konnte weit weit, drüben die andere Linie erkennen. Zugleich kam der Befehl zum „Eindrücken“ und wir zogen uns jetzt, die Richtung nach links aber immer noch beibehaltend, schräg gegen einander. Nun fing es aber auch an stärker zu knallen – mein Gegenüber – Freund R. fing ebenfalls an zu feuern und vom Herzog fiel Schuß auf Schuß. Da kam auch der erste Hase zu mir. Sporenstreichs lief er dicht an der Treiberlinie nieder, mich ebenso wenig beachtend, wie die Leute mit den Stöcken.

„Numero eins“ zählte der Kreiser, als ich ihn umlegte. – „Lieber Freund,“ lachte ich, „ich glaube wir können sie nachher zählen, wenn sie auf dem Wagen liegen. Sie werden nicht so dick kommen.“ – „Das lassen Sie gut sein,“ meinte der, „wenn Sie nur genug Patronen – aber Donnerwetter!“ unterbrach er sich rasch, „Sie haben ja keine Hähne an der Flinte!“ Er hatte noch nie ein Zündnadelgewehr gesehen. Ich wollte ihm auch eben die Waffe zeigen, bekam aber keine Zeit mehr, denn ein kleiner Trupp von Hasen brach quer auf mich herüber, und ich hatte alle Hände voll zu thun, um ihnen gerecht zu werden.

Und jetzt wurde das Feld lebendig. Herauf und herunter lief einer nach dem anderen an der Linie, und mein alter Kreiser zählte schon „sechsunddreißig – siebenunddreißig – das war eine famose Doublette – das Ding ohne Hähne schießt ja ganz verteufelt, und wie fix das Laden geht!“

[478] Jetzt kam der Herzog über die Höhe. Deutlich konnte ich sehen, wie die beiden Reihen der jetzt ziemlich dicht zusammengerückten Treiber oben bei ihm sich fast begegneten. Nur eine Oeffnung von vielleicht hundert Schritt ließen sie, und in deren Mitte ging der Herzog mit seinen beiden Büchsenspannern und noch zwei Leuten, die seine Munition und ein paar Hülfsgewehre trugen.

Nun konnte ich auch den Lauf der Hasen verfolgen, die, wenn sie aus ihrem Lager aufgescheucht wurden, ohne weiteres Besinnen gerade vom Herzog fort den Trieb hinabliefen. Dort aber rannten sie, wie mich der Kreiser versicherte, gegen die da aufgestellten Netze an, wo ebenfalls noch ein paar Schützen aufgestellt waren, prallten dort zurück, und jagten nun, was sie konnten, den eben gemachten Weg zurück. Kamen sie da aber wieder an, so sahen sie wohl einen kleinen dunklen Trupp Menschen in der Mitte, rechts und links davon aber auch wieder eine wohl fünfzig Schritt breite, offene Bahn, und dort brannten sie dann, ohne sieh weiter aufzuhalten oder aufhalten zu lassen, durch.

Dort stand aber der Herzog mit seinen englischen Gewehren, die allerdings eine kleine Handvoll Schrot mit der entsprechenden Pulverladung schießen, aber es war wirklich ein Vergnügen, zu sehen, wie sich die Hasen nach beiden Seiten überkugelten, und zwei, drei schienen manchmal wirklich zu gleicher Zeit umzufallen. Allerdings hat der hohe Herr die seltene Fertigkeit, nach rechts wie links gleich gut anlegen und feuern zu können (eine Eigenschaft, die Einem auch oft auf dem Anstand nützlich wäre, wenn der Bock von der verkehrten Seite kommt), und dann fehlt es ihm auch nicht an Uebung.

Mir blieb übrigens nicht lange Zeit, ihm zuzusehen, denn jetzt fingen auch bei mir die Hasen an, immer dichter zu kommen. Eine kurze Zeitlang feuerte ich wirklich so rasch, wie ich mit meiner Zündnadelflinte laden konnte, und das will viel sagen, und die Treiber hatten vollauf Arbeit, die erlegten Hasen aufzulesen – der Wagen war nicht allein mehr zur Verzierung da.

Indessen rückten wir den Netzen so nahe, daß ich sie deutlich in ihrer langen, durchsichtigen Linie erkennen konnte. Dabei waren die Treiber, die sich, während sie näher gegen einander drängten, auch immer mehr den Netzen zuzogen, so dicht zusammen gekommen, daß sie nicht allein Mann an Mann, sondern an vielen Stellen drei und vier hinter einander standen. Nun hörte es da unten auf, Hasenjagd zu sein, und wurde zur Hasenschlächterei. Nur [479] der Herzog selber behielt noch freie Bahn, ließ die Hasen, wie sie ankamen, sämmtlich heraus, und stellte sie draußen nacheinander auf den Kopf. Er schoß wirklich meisterhaft, ich sah ihn nicht ein einziges Mal fehlen, und das nur konnte mich auch mit der Massenvertilgung versöhnen.

Wir hatten jetzt den sogenannten „Abschußplatz“ erreicht – eine schmale Wiese, hinter der die Netze standen, während die Treiber von beiden Seiten herbei drängten und vielleicht noch sechzig oder achtzig Hasen auf dem kaum hundert Schritt im Quadrat haltenden Raum herumliefen.

Ich selber hing natürlich die Flinte auf den Nacken, denn durch die Treiber konnte kein Hase mehr – wo sich einer durchpressen wollte, fingen sie ihn zwischen den Knieen, und in das Treiben hinein konnte und wollte ich nicht mehr schießen. Dafür blieb mir aber um so viel mehr Zeit, die Beendigung des Triebes zu beobachten, und ich mußte dabei besonders die Fertigkeit einiger Treiber bewundern, die nach den vorbeihetzenden Hasen mit ihren Stöcken so geschickt warfen, daß sie viele von diesen dermaßen hinter die Löffel trafen, um sie wie einen Sack niederzuwerfen.

Unten an den Netzen knallte es aber noch immer, und ich bemerkte dort jetzt zwei ebenfalls einzelne Schützen, die da ihren Stand gehabt. Einer von diesen hatte sein Gewehr schon so wie ich umgehangen und schoß nicht mehr. Der Andere schien aber noch in voller Thätigkeit.

Die armen Hasen, von der sie umgebenden Menschenmasse und dem Schießen und Schreien ganz verwirrt gemacht, versuchten allerdings noch hie und da durchzubrechen, sobald sie aber fanden, daß das nicht mehr ging, rannten sie sporenstreichs auf die Netze zu, und prallten mit solcher Gewalt gegen dieselben an, daß sie sich oft darin überschlugen, den Versuch durchzubrechen aber trotzdem in aller Angst erneuten. Gar nicht selten kam es auch dabei vor, daß ein Hase mit dem Kopf in einer der Maschen hängen blieb, und dann gar kläglich strampelte, um wieder frei zu kommen. Viele wurden auf diese Art von den Treibern lebendig gefangen, und von uns Schützen hätte wohl Keiner daran gedacht, auf ein solches unglückliches Geschöpf zu schießen. Der Herr aber, von dem ich schon gesagt, mußte anderer Meinung sein, denn wo er einen solchen Hasen im Netz hängen sah, pirschte er sich rasch und vorsichtig auf sechs bis acht Schritt an, zielte sorgfältig und mit dem Krach der Flinte hing Lampe leblos in den ebenfalls mit zerschossenen Maschen. – Es war die reine Scharfrichterarbeit.

Was noch an gesunden Hasen eben ausgebrochen war, hatte der Herzog [480] außer dem Trieb erlegt. Die angeschossenen Hasen wurden entweder durch die Treiber gefangen und mit einem Schlag hinter die Löffel getödtet, oder von den jetzt losgelassenen Hunden apportirt und das Treiben war beendet.

Die verschiedenen Hasen wurden jetzt von den Wagen abgeworfen und waidegerecht aufgelegt und zwar in zwei langen Reihen, während der Hofjägermeister daran niederschritt, und immer den zehnten ein Stück vorzog, um sie nachher leicht überzählen zu können. Das Resultat ergab 189 Stück für Se. Hoheit, 62 für mich, 71 für Herrn von R. und 56 für die beiden Herren am Netz, im Ganzen mit den von den Treibern todtgeschlagenen und angeschossen gefangenen 398 Stück. Dabei hatte die Jagd etwa um zwölf oder halb ein Uhr begonnen und war um drei Uhr beendet, also ein ganz anständiges Resultat.

Der Hauptzweck eines solchen Treibens ist nun allerdings, das meiste Wild einem einzigen oder doch nur wenigen Schützen zuzutreiben, und der Zweck wird vollständig erfüllt, aber es entspricht auch in jeder anderm Hinsicht den Anforderungen, die man an ein Hasentreiben stellen kann, daß nämlich soviel als möglich der Eingekreisten den verschiedenen Schützen zugetrieben werden und nicht zu viel durch die Treiber gehen.

Die Hasen scheinen bei diesen keilförmigen Treiben wirklich nur eine Richtung zu nehmen. Zuerst die Linie hinab den Netzen zu, in die viele blind hinein rennen. Kaum aber finden sie hier das Hinderniß, als sie auch wieder scharf umdrehen und nur in einzelnen Fällen seitwärts auszubrechen suchen. Selbst an den Netzen laufen sie nur kurze Strecken hin, wenden gewöhnlich sehr bald und laufen dann direkt der Spitze des Keils zu, die Treiberlinie oft in ihrer ganzen Länge bis auf zwanzig oder dreißig Schritt haltend.

Solche Jagden sind aber freilich durch die nöthigen Netze und große Anzahl von dazu erforderlichen Treibern ziemlich kostspielig, und deßhalb auch nur leicht von fürstlichen Herren auszuführen. Die gewöhnlichen Jagdinhaber werden es deßhalb auch wohl bei den gebräuchlichen Kessel- oder vielleicht Anlegetreiben lassen.


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