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Dritter Akt Iphigenie in Aulis von Euripides, übersetzt von Friedrich Schiller
Vierter Akt.
Fünfter Akt


Erster Auftritt.[Bearbeiten]

[1]

Achilles. Der Chor.

Achilles.
Wo find’ ich hier den Feldherrn der Achiver?
(Zu einigen Sclaven.)
Wer von euch sagt ihm, daß Achill ihn hier

970
vor dem Gezelt erwarte? – Müßig liegt

an des Euripus Mündung nun das Heer;
ein jeder freilich nimmt’s auf seine Weise.
Der, noch durch Hymens Bande nicht gebunden,
ließ öde Wände nun zurück und weilet

[2]
975
geruhig hier an Aulis Strand. Ein andrer

entwich von Weib und Kindern. So gewaltig
ist diese Kriegeslust, die zu dem Zug
nach Ilion ganz Hellas aufgebothen,
nicht ohne eines Gottes Hand! – Nun will ich,

980
was mich angeht, zur Sprache kommen lassen,

wer sonst was vorzubringen hat, verfecht’
es für sich selbst! – Ich habe Pharsalus
verlassen und den Vater – Wie? Etwa,
daß des Euripus schwache Winde mich

985
an diesem Strand verweilen? Kaum geschweig’

ich meine Myrmidonen, die mich fort
und fort bestürmen – „Worauf warten wir
denn noch Achill? Wie lang’ wird noch gezaudert,
bis wir nach Troja unter Segel gehn?

990
Willst du was thun, so thu’ es bald, sonst führ’

uns lieber wieder heim, anstatt noch länger
ein Spiel zu seyn der zögernden Atriden.“


Zweiter Auftritt.[Bearbeiten]

[2]

Clytemnestra zu den Vorigen.

Clytemnestra.
Glorwürd’ger Sohn der Thetis! Deine Stimme
vernahm ich drinnen im Gezelt, drum komm’ ich

995
heraus und dir entgegen –


[3]

Achilles
(betroffen.)
 Heilige
Schamhaftigkeit! – Ein Weib – von diesem Anstand –

Clytemnestra.
Kein Wunder, daß Achill mich nicht erkennet,
der mich vordem noch nie gesehn – Doch Dank ihm,
daß ihn der Scham Gesetze heilig sind!

Achilles.

1000
Wer bist du aber? Sprich! Was führte dich

in’s griech’sche Lager, wo man Männer nur
und Waffen sieht?

Clytemnestra.
 Ich bin der Leda Tochter,
und Clytemnestra heiß’ ich. Mein Gemahl
ist König Agamemnon.

Achilles.
 Viel und genug

1005
mit wenig Worten! Ich entferne mich.

Nicht wohlanständig wäre mir’s, mit Frauen
Gespräch zu wechseln.

[4]

Clytemnestra.
 Bleib. Was fliehest du?
Laß, deine Hand in meine Hand gelegt,
das neue Bündniß glücklich uns beginnen.

Achilles.

1010
Ich dir die Hand? Was sagst du Königinn?

Zu sehr verehr’ ich Agamemnons Haupt,
als daß ich wagen sollte, zu berühren,
was mir nicht ziemt.

Clytemnestra.
 Warum dir nicht geziemen,
da du mit meiner Tochter dich vermählest?

Achilles.

1015
Vermählen – Warlich – Ich bin voll Erstaunen –

Doch nein, du redest so, weil du dich irrest.

Clytemnestra.
Auch dieß Erstaunen find’ ich sehr begreiflich.
Uns alle pflegt – ich weiß nicht welche – Scheu
bei’m Anblick neuer Freunde anzuwandeln,

1020
wenn sie von Heurath sprechen sonderlich.


Achilles.
Nie, Königinn, hab’ ich um deine Tochter
gefreit – und nie ist zwischen den Atriden
und mir ein solches unterhandelt worden.

[5]

Clytemnestra.
Was für ein Irrthum muß hier seyn? Gewiß,

1025
wenn meine Rede dich bestürzt, so sezt

die deine mich nicht minder in Erstaunen.

Achilles.
Denk nach, wie das zusammenhängt! Dir muß,
wie mir, dran liegen es herauszubringen.
Vielleicht, daß wir nicht beide uns betrügen!

Clytemnestra.

1030
O der unwürdigen Begegnung! – Eine

Vermählung, fürcht’ ich, läßt man mich hier stiften,
die nie seyn wird und nie hat werden sollen.
O wie beschämt mich das!

Achilles.
 Ein Scherz vielleicht,
den jemand mit uns beiden treibt! Nimm’s nicht

1035
zu Herzen edle Frau. Veracht’ es lieber.


Clytemnestra.
Leb’ wohl. In deine Augen kann ich ferner
nicht schaun, da ich zur Lügnerinn geworden,
da ich erniedrigt worden bin.

[6]

Achilles.
 Mich laß
vielmehr so reden! – Doch ich geh’ hinein,

1040
den König, deinen Gatten, aufzusuchen.

(wie er auf das Zelt zugeht, wird es geöfnet.)


Dritter Auftritt.[Bearbeiten]

[6]

Der alte Sclave zu den Vorigen.

Sclave.
(in der Thüre des Gezelts.)
Halt Aeacide! Göttinnsohn, mit dir
und auch mit dieser hier hab’ ich zu reden.

Achilles.
Wer reißt die Pforten auf und ruft – Er ruft
wie außer sich.

Sclave.
 Ein Knecht. Ein armer Nahme,

1045
der mir den Dünkel wohl vergehen läßt,

mich –

Achilles.
 Wessen Knecht? Er ist nicht mein, der Mensch.
Ich habe nichts gemein mit Agamemnon.

Sclave
Des Hauses Knecht, vor dem ich stehe. Tyndar,
(auf Clytemnestra zeigend)
ihr[WS 1] Vater, hat mich drein gestiftet.

[7]

Achilles.
 Nun!

1050
Wir stehn und warten. Sprich, was dich bewog,

mich aufzuhalten.

Sclave.
 Ist kein Zeuge weiter
vor diesen Thoren? Seid ihr ganz allein?

Clytemnestra.
So gut als ganz allein. Sprich dreist – erst aber
verlaß das Königszelt und komm hervor.

Sclave
(kommt heraus.)

1055
Jezt, Glück und meine Vorsicht, helft mir die

erretten, die ich gern erretten möchte!

Achilles.
Er spricht von etwas, das noch kommen soll,
und von Bedeutung scheint mir seine Rede.

Clytemnestra.
Verschieb’s nicht länger, ich beschwöre dich,

1060
mir, was ich wissen soll, zu offenbaren.


Sclave.
Ist dir bekannt, was für ein Mann ich bin,
und wie ergeben ich dir stets gewesen,
dir und den Deinigen?

[8]

Clytemnestra.
 Ich weiß, du bist
ein alter Diener schon von meinem Hause.

Sclave.

1065
Daß ich ein Theil des Heurathsgutes war,

das du dem König zugebracht – Ist dir
das noch erinnerlich?

Clytemnestra.
 Recht gut. Nach Argos
bracht’ ich dich mit, wo du mir stets gedienet.

Sclave.
So ist’s. Drum war ich dir auch jederzeit

1070
getreuer zugethan als ihm.


Clytemnestra.
 Zur Sache.
Heraus mit dem, was du zu sagen hast.

Sclave.
Der Vater will – mit eigner Hand will er –
– das Kind ermorden, das du ihm gebohren.

Clytemnestra.
Was? Wie? – Entsetzlich! – Mensch! du bist von Sinnen.

[9]

Sclave.

1075
Den weißen Nacken der Bejammernswerthen

will er mit mörderischem Eisen schlagen.

Clytemnestra.
Ich Unglückseligste! – Ras’t mein Gemahl?

Sclave.
Sehr bei sich selbst ist er – Nur gegen dich
und gegen deine Tochter mag er rasen.

Clytemnestra.

1080
Warum? Welch böser Dämon gibt’s ihm ein?


Sclave.
Ein Götterspruch, der nur um diesen Preis,
wie Kalchas will, den Griechen freie Fahrt
versichert.

Clytemnestra.
Fahrt! Wohin? – Beweinenswerthe Mutter!
Beweinenswürdigeres Kind, das in

1085
dem Vater seinen Henker finden soll!


Sclave.
Die Fahrt nach Ilion, Helenen heim
zu hohlen.

Clytemnestra.
 Daß Helene wiederkehre
stirbt Iphigenie?

[10]

Sclave.
 Du weißt’s. Dianen
will Agamemnon sie zum Opfer schlachten.

Clytemnestra.

1090
Und diese vorgegebene Vermählung,

die mich von Argos rief – Wozu denn die?

Sclave.
Daß du so minder säumtest, sie zu bringen,
im Wahn, sie ihrer Hochzeit zuzuführen.

Clytemnestra.
O Kind! Zum Tode kamest du. Wir kamen

1095
zum Tode!


Sclave.
 Ja, bejammernswürdig, schrecklich
ist euer Schicksal. Schreckliches begann
der König.

Clytemnestra.
 Weh mir! Weh! Ich bin verloren.
Ich kann nicht mehr. Ich halte meine Thränen
nicht mehr.

Sclave.
 Ein armer, armer Trost sind Thränen

1100
für eine Mutter, der die Tochter stirbt!


[11]

Clytemnestra.
Sprich aber: Woher weißt du das? Durch wen?

Sclave.
Ein zweiter Brief ward mir an dich gegeben.

Clytemnestra.
Mich abzumahnen oder anzutreiben,
daß ich die Tochter dem Verderben brächte?

Sclave.

1105
Dir abzurathen, daß du sie nicht brächtest.

Der Herr war Vater wiederum geworden.

Clytemnestra.
Unglücklicher! Warum mir diesen Brief
nicht überliefern?

Sclave.
 Menelaus fieng
ihn auf. Ihm dankst du alles was du leidest.
(er geht ab.)

Clytemnestra
(wendet sich an Achilles.)

1110
Sohn Peleus! Sohn der Thetis! Hörst du es?


Achilles.
Bejammernswerthe Mutter! – – Aber mich
hat man nicht ungestraft mißbraucht.

[12]

Clytemnestra.
 Mit dir
vermählen sie mein Kind um es zu würgen!

Achilles.
Ich bin entrüstet über Agamemnon,

1115
und nicht so leicht werd’ ich es hingehn lassen.


Clytemnestra
(fällt ihm zu Füßen.)
Und ich erröthe nicht, mich vor dir nieder
zu werfen, ich, die Sterbliche, vor dir,
den eine Himmlische gebahr. Weg eitler Stolz!
Kann sich die Mutter für ihr Kind entehren?

1120
O Sohn der Göttinn! Hab’ Erbarmen mit

der Mutter, mit der Unglückseligen Erbarmen
die deiner Gattinn Nahmen schon getragen!
Mit Unrecht trug sie ihn. Doch hab’ ich sie
als deine Braut hieher geführt, dir hab’ ich

1125
mit Blumen sie geschmücket – Ach! ein Opfer

hab’ ich geschmückt, ein Opfer hergeführt!
O! das wär’ schändlich, wenn du sie verließest:
War sie durch Hymens Bande gleich die Deine
noch nicht – Du wardst als der geliebteste

1130
Gemahl der Unglücksel’gen schon gepriesen!

Bei dieser Wange, dieser Rechte, bei
dem Leben deiner Mutter sei beschworen!
Verlaß uns nicht! Dein Nahme ist’s, der uns

[13]

in’s Elend stürzt – Drum rette du uns wieder.

1135
Dein Knie, o Sohn der Göttinn! ist der einz’ge

Altar, zu dem ich Aermste fliehen kann.
Hier lächelt mir kein Freund. Du hast gehört,
was Agamemnon gräßliches beschlossen.
Da steh ich unter rohem Volk – ein Weib,

1140
und unter wilden, meisterlosen Banden,

zu jedem Bubenstück bereit – auch brav,
gewiß recht brav und werth, sobald sie mögen![1]
Versichre du uns deines Schutzes, und
gerettet sind wir! Ohne dich verloren.

Chor.

1145
Gewaltsam ist der Zwang des Bluts! Mit Quaal

gebiert das Weib, und quält sich für’s Gebohrne!

Achilles.
Mein großes Herz kam deinem Wunsch entgegen.
Es weiß zu trauern mit dem Gram und sich
des Glücks zu freuen mit Enthaltsamkeit.

Chor.

1150
Die Klugheit sich zur Führerinn zu wählen,

das ist es, was den Weisen macht!

Achilles.
Es kommen Fälle vor im Menschenleben,
wo’s Weisheit ist, nicht allzuweise seyn,
es kommen andre, wo nichts schöner kleidet,

[14]
1155
als Mäßigung. Geraden Sinn schöpft’ ich

in Chirons Schule, des Vortrefflichen.
Wo sie gerechtes mir befehlen, finden
gehorsam die Atriden mich, die Stirne
von Erzt, wo sie unbilliges gebiethen.

1160
Frei kam ich her, frei will ich Troja sehn,

und den Achiverkrieg, was an mir ist,
mit meines Armes Heldenthaten zieren.
Du jammerst mich. Zu viel erleidest du
von dem Gemahl, von Menschen deines Blutes.

1165
Was diesem jungen Arme möglich ist,

erwart’s von mir! – Er soll dein Kind nicht schlachten.
An eine Jungfrau, die man mein genannt,
soll kein Atride Mörderhände legen.
Es soll ihm nicht so hingehn, meines Nahmens

1170
zu seinem Mord mißbraucht zu haben!

Mein Nahme, der kein Eisen aufgehoben,
mein Nahme wär’ der Mörder deiner Tochter,
und Er, der Vater, hätte sie erschlagen.
Doch theilen würd’ ich seines Mordes Fluch,

1175
wenn meine Hochzeit auch den Vorwand nur

gegeben hätte, so unwürdig, so
unmenschlich, ungeheuer, unerhört,
die unschuldsvolle Jungfrau zu mißhandeln.
Der Griechen lezter müßt’ ich seyn, der Menschen

1180
verächtlichster, ja hassenswerther selbst

Als Menelaus müßt’ ich seyn[2]. Mir hätte

[15]

nicht Thetis, der Erinnen eine hätte
das Leben mir gegeben, wenn ich mich
des Königs Mordbegier zum Werkzeug borgte.

1185
Nein bei des Meerbewohners Haupt, bei’m Vater

der Göttlichen, die mich zur Welt gebohren!
Er soll sie nicht berühren – nicht ihr Kleid
mit seines Fingers Spitze nur berühren.
Eh’ dieß geschiehet, decke ewige

1190
Vergessenheit mein Phthia, mein Geburtsland,

wenn der Atriden Stammplatz, Sipylus,
im Ohr der Nachwelt unvergänglich lebet.
Es mag der Seher Kalchas das Geräthe
zum Opfer nur zurücke tragen – Seher?

1195
Was heißt ein Seher? – Der auf gutes Glück

für eine Wahrheit zehen Lügen sagt.
Geräth es? Gut. Wo nicht, ihm geht es hin.
Es gibt der Jungfraun Tausende, die mich
zum Gatten möchten – Davon ist auch jezt

1200
die Rede nicht! Beschimpft hat mich der König.

In meinen Willen hätt’ er’s stellen sollen;
ob mir’s gefiele, um sein Kind zu frein?
Gern’ und mit Freunden würde Clytemnestra
in dieses Bündniß eingewilligt haben.

1205
Und hätte Griechenland aus meinen Händen

alsdann zum Opfer sie verlangt, ich würde
sie meinen Kriegsgenossen, würde sie
dem Wohl der Griechen nicht verweigert haben.

[16]

So aber gelt’ ich nichts vor den Atriden,

1210
nichts, wo was großes soll verhandelt werden.

Doch dürfte, eh’ wir Ilion noch sehn,
dieß Schwerdt von Blut und Menschenmorde triefen,
wenn man’s versuchte, mir sie zu entreissen.
Sei du getrost. Ein Gott erschien ich dir.

1215
Ich bin kein Gott. Dir aber will ich’s werden.


Chor.
An dieser Sprache kennt man dich, Achill,
und die Erhabene, die dich gebohren.

Clytemnestra.
O Herrlichster! Wie stell ich’s an, wie muß
ich reden, um zu sparsam nicht zu seyn

1220
in deinem Preis, und deine Gunst auch nicht

durch mein ausschweifend Rühmen zu verscherzen.
Zu vieles Loben, weiß ich wohl, macht dem,
der edel denkt, den Lober nur zuwider.
Doch schäm’ ich mich mit ew’ger Jammerklage,

1225
mit Leiden, die nur ich empfinde, dich,

den Glücklichen, den Fremdling zu ermüden.
Doch Fremdling oder nicht – wer Leidenden
beispringen kann, wird auch mit ihnen trauern.
Drum hab’ mit uns Erbarmen. Unser Schicksal

1230
verdient Erbarmen. Meine Hofnung war

dich Sohn zu nennen – ach sie war vergebens!
Auch schreckt vielleicht dein künftig Ehebette

[17]

mein sterbend Kind mit schwarzer Vorbedeutung,
und du wirst eilen, sie zu fliehn![3] Doch nein,

1235
was du gesagt, war alles wohl gesprochen,

und willst du nur, so lebt mein Kind. Soll sie
etwa selbst flehend deine Knie umfassen?
So wenig dieß der Jungfrau ziemt, gefällt
es dir, so mag sie kommen, züchtiglich,

1240
das Aug’ mit edler Freiheit aufgeschlagen.

Wo nicht, so laß an ihrer Statt mich der
Gewährung süßes Wort von dir vernehmen.

Achilles.
Die Jungfrau bleibe, wo sie ist. Daß sie
verschämt ist, bringt ihr Ehre.

Clytemnestra.
 Auch verschämt seyn

1245
hat sein gehörig Maß und seine Stunde.


Achilles.
Ich will es nicht. Ich will nicht, daß du sie
vor meine Augen bringest, und wir beide
boshaftem Tadel Preis gegeben werden.
Ein zahlreich Heer, der heimatlichen Sorgen

1250
entschlagen, trägt sich gar zu gern, das kenn’ ich,

mit häm’schen, ehrenrührigen Gerüchten.
Und mög’t ihr flehend oder nicht vor mir
erscheinen, ihr erhaltet weder mehr

[18]

noch minder – denn beschlossen ist’s bei mir,

1255
kost’s was es wolle, euer Leid zu enden.

Das laß dir gnügen. Glaub’, ich rede ernstlich.
Und sterben mög’ ich, hab’ ich deine Hofnung
mit eitler Rede nur getäuscht. Rett’ ich
die Jungfrau – nein, da werd’ ich leben.

Clytemnestra.
 Lebe

1260
und rette immer Leidende!


Achilles.
 Nun höre,
wie wir’s am besten einzurichten haben.

Clytemnestra.
Laß hören! Dir gehorch’ ich gern.

Achilles.
 Zuvor erst
muß man es mit dem Vater noch versuchen.

Clytemnestra.
Ach, der ist feig und zittert vor der Menge!

Achilles.

1265
Vernünft’ge Gründe können viel.


[19]

Clytemnestra.
Ich hoffe nichts. Doch sprich, was muß ich thun?

Achilles.
Fall’ ihm zu Füßen! Fleh’ ihn an, daß er
sein Kind nicht tödte! Bleibt er unerbittlich,
dann komm zu mir! – Erweichst du ihn, noch besser.

1270
Dann braucht es meines Armes nicht, die Jungfrau

bleibt leben, ich erhalte mir den Freund,
auch bei dem Heer vermeid’ ich Tadel, hab’ ich
durch Gründe mehr als durch Gewalt gestritten.
Und so wird alles glücklich abgethan,

1275
zu deinem und der Freunde Wohlgefallen,

und meines Armes braucht es nicht.

Clytemnestra.
 Du räthst
verständig. Es geschehe, wie du meinest.
Mißlingt mir’s aber – wo seh’ ich dich wieder?
Wo find’ ich Aermste diesen Heldenarm,

1280
die lezte Stütze noch in meinen Leiden?


Achilles.
Wo’s meiner Gegenwart bedarf, werd’ ich
dir nahe seyn, und dir’s ersparen, vor
dem Heer der Griechen dich und deine Ahnherr’n

[20]

durch Jammer zu erniedrigen. So tief

1285
herunter müßte Tyndars Blut nicht sinken:

– ein großer Nahme in der Griechen Land!

Clytemnestra.
Wie dir’s gefällt. Ich unterwerfe mich.
Und, gibt es Götter, Treflichster! Dir muß
es wohl ergehn! Gibt’s keine – Warum leid’ ich?[4]
(Achilles und Clytemnestra gehen ab.)


Vierte Zwischenhandlung.[Bearbeiten]

[20]

Chor.

1290
Wie lieblich erklang

der Hochzeitgesang,
den zu der Zitter tanzlustigen Tönen,
zur Schalmei und zum libyschen Rohr,
sang der Kamönen

1295
versammelter Chor

auf Peleus Hochzeit und Thetis der Schönen!

Wo die Becher des Nektars erklangen
auf des Pelion wolkichten Kranz,
kamen die zierlich gelockten und schwangen

1300
goldene Solen im flüchtigen Tanz.

Mit dem melodischen Jubel der Lieder
feierten sie der Verbundenen Glück.
Der Berg der Centauren hallte sie wieder,
Pelions Wald gab sie schmetternd zurück.

[21]
1305
Unter den Freuden des festlichen Mahls

schöpfte des Nektars himmlische Gabe
Jovis Liebling, der phrygische Knabe
in die Bäuche des goldnen Pokals.
Funfzig Schwestern der Göttlichen hüpften

1310
lustig daneben im glänzenden Band,

tanzten den Hochzeitreigen, und knüpften
reitzende Ring’ mit verschlungener Hand.

Gegenstrophe.
Grünen Kronen in dem Haar,
und mit fichtenem Geschosse,

1315
Menschen oben, unten Rosse,

kam auch der Centauren Schar,
angelockt von Bromius Pokale
kamen sie zum Göttermahle.

Heil dir, hohe Nereide!

1320
sang mit lautem Jubelliede

der Thessalierinnen Chor,
Heil dir! sang der Mädchen Chor.
Heil dir! Heil dem schönen Sterne,
das aus deinem Schooß ersteht!

1325
Und Apoll, der in die Ferne

der verborgnen Zukunft späht,
und der auf den unbekannten
Stamm der Musen sich versteht,

[22]

Chiron, der Centaure – nannten

1330
beide schon mit Nahmen ihn,

der zu Priams Königsitze
kommen würde an der Spitze
seiner Myrmidonenscharen
in des Speeres Wurf erfahren,

1335
wüthen dort mit Mord und Brand

in des Räubers Vaterland –
auch die Rüstung, die er würde tragen,
künstlich von Hephästos Hand
aus gediegnem Gold geschlagen,

1340
ein Geschenk der Seligen,

die den Seligen empfangen.
So ward von den Himmlischen
Thetis Hochzeitfest begangen!

Epode.
Dir, Agamemnons thränenwerthem Kinde,

1345
nicht bei der Hirten Feldgesang

erzogen, und der Pfeife Klang,
still aufgeblüht im mütterlichen Schooß,
dem Tapfersten der Inachiden
dereinst zur süßen Braut beschieden,

1350
dir, Arme, fällt ein ander Loos!

Dir flechten einen Kranz von Blüthen
die Griechen in das schöngelockte Haar.

[23]

Gleich einem Rinde, das der wilde Berg gebahr,
das, unberührt vom Joch, aus Felsenhöhlen,

1355
unfern dem Meer, gestiegen war,

wird dich der Opferstahl entseelen.
Dann rettet dich nicht deine Jugend,
nicht das Erröthen der verschämten Tugend,
nicht deine reitzende Gestalt!

1360
Das Laster herrscht mit siegender Gewalt.

Es spricht mit frechem Angesichte
den heiligen Gesetzen Hohn.
Die Tugend ist aus dieser Welt geflohn,
und dem Geschlecht der Menschen drohn

1365
nicht ferne mehr die göttlichen Gerichte.


Anmerkungen.[Bearbeiten]

  1. [63] Gewiß recht brav, sobald sie mögen.) Diese Stelle hat Brumoy zwar sehr gut verstanden, auch den Sinn, durch eine Umschreibung freilich, sehr richtig in’s Französische über getragen, aber ihre wirkliche Schönheit scheint er doch nicht erkannt zu haben, wenn er sagen kann: je crains, de n’avoir été que trop fidelle à mon original, à ses dépens et aux miens. Die Stelle ist voll [64] Wahrheit und Natur. Clytemnestra, ganz erfüllt von ihrer gegenwärtigen Bedrägniß, schildert dem Achilles ihren verlassenen Zustand im Lager der Griechen, und in der Hitze ihres Affekts kommt es ihr nicht darauf an, in ihre Schilderung des griechischen Heers einige harte Worte mit einfließen zu lassen, die man ihr als einer Frau, die sich durch ein außerordentliches Schicksal aus ihrem Gynäceum plözlich in eine ihr so fremde Welt versezt, und der Discretion eines trotzigen Kriegsheers überlassen sieht, gerne zu gute halten wird. Mitten im Strom ihrer Rede aber fällt es ihr ein, daß sie vor dem Achilles steht, der selbst einer davon ist; dieser Gedanke, vielleicht auch ein Stirnrunzeln des Achilles, bringt sie wieder zu sich selbst. Sie will einlenken, und je ungeschickter desto wahrer! Im Griechischen sind es vier kurze hinein geworfene Worte: χρήσιμον δ᾽, ὅταν θέλωσιν[WS 2], woraus im Deutschen freilich noch einmal soviel geworden sind. Prevôt, dessen Bemerkungen sonst voll Scharfsinn sind, verbessert seine Vorgänger hier auf eine sehr unglückliche Art: Clytemnestre, sagt er, veut dire et dit, à ce qu’ il me semble, aussi clairement qu’il étoit nécessaire, qu’Achille peut se servir de son ascendant sur l’armée pour prévenir les desseins d’Agamemnon. Le P. Brumoy n’eût point trahi son auteur en [65] exprimant cette pensée. Nein! Ein so gesuchter Gedanke kann höchstens einem eiskalten Kommentator, nie aber dem Euripides oder seiner Clytemnestra eingekommen seyn!
  2. [65] Ja, hassenswerther selbst als Menelaus müßt’ ich seyn.) Der griechische Achilles drückt sich beleidigender aus. „Ich wäre gar nichts und Menelaus lief in der Reihe der Männer.“ Hassen konnte man den Menelaus als den Urheber dieses Unglücks, aber Verachtung verdiente er darum nicht.
  3. [65] Und du wirst eilen sie zu fliehn!) Ich weiß nicht, ob ich in dieser Stelle den Sinn meines Autors getroffen habe. Wörtlich heißt sie: „Erstlich betrog mich meine Hofnung, dich meinen Eidam zu nennen; alsdann ist dir meine sterbende Tochter vielleicht eine böse Vorbedeutung bei einer künftigen Hochzeit, wovor du dich hüten mußt. Aber du hast wohl gesprochen am Anfang wie am Ende.“ Der französische Uebersetzer erlaubt sich einige Freiheiten, um die Stelle zusammenhängender zu machen. Mais d’un autre côté, quel funeste présage pour votre hymen, que la mort de l’épouse, qui vous fut destinée! le second malheur intéresse l’épous aussi bien que la [66] mère. Enfin qu’ajouterois - je à vos paroles etc. Hier und nach dem Buchstaben des Textes ist es nur eine Warnung; ich nahm es als einen Zweifel, eine Besorgniß der Clytemnestra. So sehr diese durch Achilles Versicherungen beruhigt seyn könnte, so liegt es doch ganz in dem Charakter der ängstlichen Mutter, immer Gefahr zu sehen, immer zu ihrer alten Furcht zurück zu kehren. Auch das, was folgt, wird dadurch in einen natürlichen Zusammenhang mit dem vorhergehenden gebracht. „Aber alles, was du sagtest, war ja wohl gesprochen,“ d. i. ich will deinen Versicherungen trauen.
  4. [66] Gibt’s keine Götter – warum leid’ ich?) Gewöhnlich übersetzt man diese Stelle: ἐι δὲ μὴ, τί δεῖ πονεῖν; als eine allgemeine moralische Reflexion: gibt’s keine Götter – wozu unser mühsames Streben nach Tugend? Moralische Reflexionen sind zwar sehr im Geschmack des Euripides, diese aber scheint mir im Mund der Clytemnestra, die zu sehr auf ihr gegenwärtiges Leiden geheftet ist, um solchen allgemeinen Betrachtungen Raum geben zu können, nicht ganz schicklich zu seyn. Der Sinn, in dem ich diese Stelle nahm, wird durch seine nähere Beziehung auf ihre Lage gerechtfertigt, und der Buchstabe des Textes schließt ihn nicht aus. [67] „Gibt es keine Götter, warum muß ich leiden, d. h. warum muß meine Iphigenie einer Diana wegen sterben?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: hr
  2. Vorlage: χρήςιμον δ᾽, ὅταν θέχωσιν


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