Berglandschaften um Innsbruck

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Autor: J. C. Platter
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Titel: Berglandschaften um Innsbruck
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 488, 493
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[488]

Stefans-Brücke.   Nördliche Kalkalpen.  Patscherkofl (2214 m)

Langenthal-Fall.     
Blick von der Wittingwarte auf die Gebirgszüge um Innsbruck.
Originalzeichnung von W. Humer.

[493]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Berglandschaften um Innsbruck.

Von J. C. Platter.

Das schöne Innsbruck! Wie oft schon wurde die alte Tirolerhauptstadt als die „bergumkränzte“ in Lied und in Prosa gefeiert, und doch ist man bis jetzt wohl noch nie einer bildlichen Gesamtdarstellung dieses so vielfach besungenen Alpen-Kranzes, dieser hellgrünen Hochlandsmatten und wildzerrissenen Kalkgeschröfe, aller der Pyramiden und Felsenzacken und bläulich schimmernden Gletschermassen begegnet. Gewöhnlich zeigen die Bilder von Innsbruck die schmucke Stadt mit ihren großstädtisch breiten Straßen und hohen Häusern, von Kuppeln und Thürmen malerisch überragt und von dem breiten Firngewässer des Innstroms durchzogen, von den Bergen aber ragt immer nur ein Theil herein – entweder gegen Süden die Saile und Serles und das Domgebilde des Patscherkofls, oder aber die gleich einer schützenden Wand gegen Norden vorgelagerte Riesenkette der Kalkalpen. In dem jungen Innsbrucker Maler Wilhelm Humer hat sich jetzt ein Künstler gefunden, dem es gelungen ist, die Berglandschaften des mittleren tirolischen Innthales in ihrer gewaltigen Gesamtheit mit packender Naturtreue wiederzugeben. Es handelt sich bei einer derartigen Aufgabe in erster Linie um die Wahl des geeigneten Standpunktes, und wenn nun auch gerade die Umgebung der schönen Alpenstadt eine ganze Reihe der lohnendsten Aussichtshöhen besitzt, so dürfte dennoch wohl keine derselben an die Wittingwarte auf dem Schönberg, oder überhaupt an das Dörfchen Oberschönberg am Eingang ins Stubaithal hinanreichen. Gehört doch das nahe Stubai zu den Perlen des schönen Landes Tirol und wird nicht umsonst als ein würdiges Seitenstück zu dem benachbarten Oetzthal bezeichnet! Wie dieses, so gewährt auch das Stubaithal einen herrlichen Einblick in die ewigschöne Eiswelt der Alpen, welche hier mit der gewaltigen Masse von achtzig Gletschern sich dem Hochlandfahrer erschließt. Mehr als vierzig Spitzen im Stubaier Gebiete erreichen eine Höhe von dreitausend Metern und darüber; in der Thalniederung dagegen hat Stubai viel Aehnlichkeit mit dem vielgeliebten Zillerthal. Waldesdunkel und Wiesengrün wechseln mit freundlichen und oft recht stattlichen Dörfern, in denen gute Gasthöfe winken und ein biederes, arbeitbeflissenes Völklein haust. Die Vegetation reicht weit hinein bis zu den innersten Almen und hier beginnen an den gewaltigen Mauern und Thoren aus Felsen und Firn die Zaubergefilde der Bergmännlein und der Eisjungfrauen, die sich mit den fahrenden Rittern vom silbernen Edelweiß gar prächtig vertragen.

Wem nun aber Zeit und Umstände nur gestatten, aus einiger Entfernung die Wunder dieser höchsten Höhen zu schauen, für den ist der Schönberg wie geschaffen. In mehr als tausend Metern Seehöhe hat dort auf freiem Wiesenplane der in Jäger- und Touristenkreisen weitbekannte Innsbrucker Bürger Alois Witting neben seinem schmucken „Jagerhof“ eine für jedermann frei zugängliche, schmucke Alpenwarte erbaut, von der aus sich uns die auf dem Bilde Seite 488 und 489 dargestellte weitausgedehnte Rundschau eröffnet.

Da ist zunächst in südwestlicher Richtung das Stubaithal mit dem Kirchlein von Oberschönberg im Vordergrund; darüber erhebt sich die Serles, „der schönste Berg in Nordtirol“, und in der Niederung weisen aus den grüngebetteten Dörfern die Kirchthürme von Mieders, Telfes, Fulpmes etc. zum Himmel empor. Das dolomitartig zerrissene Geschröfe gegenüber der Serlesspitze, die Kalkkögel (Schlickermannlein, Seespitz etc.), gemahnt besonders im Schimmer der Morgensonne an das Alpenglühen des „Rosengarten“ drinnen im Etschland, währenddessen auch die Eispyramiden über den Gletschern, mit dem in der Mitte sichtbaren „Zuckerhütl“ an der Spitze, wie Feuer funkeln und glänzen. In der rechten unteren Ecke unseres Bildes hat der Zeichner in dem Langenthal-Fall den schönsten Wasserfall im Stubai vorgeführt, während auf der entgegengesetzten Seite unserer Darstellung, über die Gebäulichkeiten des Jagerhofes hinweggesehen, die Berge im Wippthal bis hinauf zum Brennerpasse sich zeigen. In nordöstlicher Richtung von der Wittingwarte erscheint jenseit des Sillflusses die mächtige Kuppe des Patscherkofls, an welchen im Mittelgebirge das Dörfchen Patsch wie ein Küchlein an die Henne sich schmiegt. Darüber hinaus aber zieht in majestätischer Reihe die von unzähligen Spitzen und Zacken, Scharten und Pässen durchbrochene Kette der nördlichen Kalkalpen durch das Innthal hin.

Hier kann man besonders im Spätfrühling ein interessantes Naturschauspiel beobachten. Mit der fortschreitenden Schneeschmelze erscheinen nämlich im obersten Theile der Felsenkette zuerst da und dort schwarze Flecken die sich bald zu allerlei riesenhaften Silhouetten gestalten, während rings um die Figur die weithin noch lagernden Schneemassen als weißer Rahmen die Linien der Zeichnung umschließen. In dieser Weise zeigt sich am Solstein ein Priester mit dem Weihwasserwedel, gerade über Innsbruck erscheinen zwei zankende Weiber, deren phantastische Hauben immer größer und deren hakenförmige Nasen immer länger werden, je weiter die Schneeschmelze fortschreitet. Das überraschendste Bild aber zeichnet die spielende Natur stets ganz nahe an den Gebirgskamm in der Figur des „Falkenjägers“ hin. Der Falkenjäger erscheint als schlanker Jüngling in Pagenkostüm mit Federbarett, auf dem rechten Arm trägt er den flugbereit stehenden Falken. Mit der zunehmenden Schneeschmelze nimmt der zierliche Junker ziemlich rasch an Beleibtheit zu, bis dann schließlich der gar dick gewordene Herr immer undeutlicher wird und endlich in der übrigen, schneefrei gewordenen Bergfläche verschwindet. Solcher „Ausaperungsfiguren“, die übrigens von Innsbruck aus ebenfalls sichtbar sind, ließen sich noch manche anführen: so erscheint z. B. am Patscherkofl ein alter verwitterter Jäger mit seinem Dachshund, welch letzterer allerdings mitunter nach wenigen sonnigen Stunden schon zu einem solch ungeschlacht riesigen Ungethüm sich auswächst, daß in ihm der kleine wohlgetroffene „Daxl“ von vorhin nicht mehr zu erkennen ist.

Alle diese Schaustücke und noch viele andere Sehenswürdigkeiten bieten sich dem Alpenfahrer auch auf dem Wege vom Schönberg über die Brennerstraße nach Innsbruck zurück. Da ist zunächst die links auf unserem Bilde sichtbare Stefansbrücke, welche in einem einzigen Riesenbogen den vom Stubaithal herausstürmenden Rutzbach überspannt. Unweit davon erinnert die altehrwürdige Herberge „zur Schupfen“ als einstiges Hauptquartier Andreas Hofers an die vier Schlachten am Berg Isel. Wenn aber der Wagen in feierlicher Abendstille gegen das Innthal niederrollt, so grüßt vom Iselberg herüber das Hofer-Denkmal selbst, indes am Nachthimmel die Sterne funkeln und von der Stadt herauf tausend und abertausend Lichter glänzen, so daß die weitgedehnte Häuserfläche in strahlendem Flammenmosaik gar prächtig sich abhebt von den gespensterhaft dunkeln Massen der darüber sich thürmenden Berge.

In diesem Jahre entfaltet sich in Innsbrnck und dessen Umgebung ein besonders reges Sommerleben aus Anlaß der am 17. Juni eröffneten tirolischen Landesausstellung, mit der mancherlei besondere Festlichkeiten sich verbinden. Dazu gehört in erster Reihe ein großes Tiroler Schützenfest zur Eröffnung des neuen Landeshauptschießstandes, sowie eine Andreas Hofer-Feier auf dem Berg Isel, wobei die altberühmten Schützenmannschaften und Sturmkompagnien aus allen Thälern hüben und drüben vom Brenner die blutgetränkten Tiroler Siegesstätten bevölkern werden. Die Ausstellung selbst giebt ein umfassendes Bild von dem Leben und Schaffen des Tiroler Alpenvolks; von der unscheinbaren, aber wetterfesten Almhütte bis zu den erlesensten Weinen und Früchten des sonnigen Etschthals findet man alles beisammen, was den Tiroler ernährt und kleidet, was ihn beschäftigt und erfreut. Und wenn dann die Besucher nach Innsbruck kommen, sich dieses gedrängte Bild eines abgeschlossenen Volkslebens anzuschauen, dann wird wohl auch mancher hinaufpilgern auf der alten Brennerstraße, auf der einst Kaiser und Päpste, Kriegs- und Dichterfürsten[1] hin und wider zogen, und wird hinaufsteigen nach Oberschönberg, sich dort auf der Wittingwarte in die Rundschau zu vertiefen, die in überwältigender Größe sich rings um ihn aufthut.



  1. In Oberschönberg erinnert heute noch die „Goethe-Zirbel“ an die Durchfahrt des Dichters nach Italien, und am Aufstieg bei der Stefansbrücke besagt ein Marmorstein vom Volke „das Papstl“ genannt, daß Anno 1782 Papst Pius VI. auf diesem Wege von Deutschland nach Rom zurückkehrte. Von deutschen Kaisern aber sind wohl viele diese Straße gezogen, da von den 114 Kaiserfahrten nach oder aus Italien 66 auf die Brennerstraße entfallen.