Berliner Nimrode
[724] Berliner Nimrode. (Zu dem Bilde S. 721) Fröhlich Gejaid! Das Jahr hat mehr gehalten, als der allzu lange und strenge Winter versprach, die Schauermären, die den Jagdherrn im Vorfrühling empfingen, als er zum erstenmal einsam ins Revier hinaus fuhr, um die Birkhähne balzen zu sehen und die „Schirme“ aufstellen zu lassen, die erschrecklichen Berichte der Bauern, daß Hirsch- und Dammwild und Hasen in Legionen eingegangen seien und daß von Rebhühnern im August nichts zu erspähen sein würde, haben sich, St. Hubertus sei Dank, im Laufe der Monate als rechtes Jägerlatein erwiesen. Die große, hauptstädtische Gemeinde des speergewandten Heiligen fand sommerüber ihre Rechnung, und nun der Herbst gekommen ist und die Jägerei ihren Höhepunkt erreicht hat, findet sich kaum noch ein kurzsichtiger Schütze, der ganz ohne die Muttern so ersehnte Beute blieb. Weil aber die sonnigen Tage gezählt sind und weil es mit dem Frühstücken auf grüner Heide, einem der seligsten Genüsse des Jägerlebens, dann vorbei ist, beeilt sich alles, was eine Doppelflinte trägt, sie noch kräftiglich auszunutzen. Niemals hat es der Jagdherr leichter als jetzt, eine stattliche Schar blutdürstiger Kumpane zusammenzutrommeln; jetzt giebt ihm keiner einen Korb. Auf dem Berliner Centralbahnhof Friedrichstraße wickeln sich Tag für Tag die kreuzfidelen Entwicklungsscenen des Nimrod-Dramas ab, und zuweilen erreicht der Andrang der vergnügten Weidmänner fast den imposanten Umfang, den er sonst nur am 1. Mai, dem Tage der Eröffnung der Rehjagd, annimmt. Keiner, auch der bummligste und trägste nicht, auf den sonst doch „absolut kein Verlaß“ ist, versäumt die Abfahrtsstunde; eine eigene Frische, thatenfrohe Unternehmungslust liegt auf allen Gesichtern ausgeprägt, und wer seinem Jubel nicht lauten Ausdruck verleiht, der hängt gewiß ruhmvollen Erinnerungen aus der letzten Campagne nach.
Der Berliner ist ein passionierter Jäger und mit ganzem Herzen bei der
Sache; er nutzt die schönen „grünen“ Tage wacker aus, und seine
weidmännische Geschicklichkeit genießt mit Fug hohe Achtung bei allen, die zur
Zunft gehören. Die Mark mit ihren weiten, verlorenen Kiefernheiden,
ihren Sümpfen, Brüchen und Seen birgt ohnehin tausendfach mehr
Romantik als die Spötter draußen im Reiche meinen; in ihr findet der
Jäger ein weites dankbares Feld für seine Thätigkeit, die namentlich dem
Großstädter sich so nützlich erweist, die ihn für mehrere Tage aus allen
hastenden Geschäften, aus aller Nervosität herausreißt und ihn in die
Natur hinein auf sich selbst stellt. Ja, für die Berliner Nimrode hat der
Segensruf: Weidmannsheil! eine ganz besondere Nebenbedeutung. R. N.