Beschreibung des Oberamts Freudenstadt/Kapitel B 30
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Die Pfarrkirche, nebst dem Pfarr- und Schulhaus bilden im Verein mit einigen freundlichen Bauernwohnungen die malerischste Gruppe des Dorfs, welche sich an der linken Seite des Flüßchens beinahe in der Mitte, jedoch mehr im südlichen Theil des langgestreckten Dorfes befindet. Die Kirche hat noch einen dreiseitig schließenden Chor, dessen Fenster mit germanischem Maßwerk in den spitzen Bogentheilen geziert sind, dagegen ist das Langhaus verändert und modernisirt. Der aus 3 Stockwerken bestehende, mit einem Satteldach gedeckte Thurm enthält in dem untern Theile Schießscharten, während in dem dritten Stockwerke germanische, mit Maßwerk gefüllte Fenster angebracht sind. Von den auf dem Thurm befindlichen Glocken wurde die größere 1760 gegossen; die kleinere, sehr alte, trägt die vier Evangelistennamen. Über dem spitzbogigen, in die Kirche führenden Durchgang des Thurms ist ein Wappenschild mit 2 gekreuzten Schlüsseln angebracht. Im Jahr 1851 wurde die Kirche gründlich erneuert, das Innere erhielt eine neue, im germanischen Geschmack gefaßte Orgel; im gleichen Styl wurden die Emporenbrüstungen und die neuen Chorstühle ausgeführt. Die Bau- und Reparationskosten an Kirche und Thurm bestreitet die Stiftungspflege soweit sie nicht über 50 fl. sich belaufen, im andern Fall hat die Gemeindekasse in’s Mittel zu treten.
Der mit einer Mauer umfriedigte Gottesacker, auf dem jede Familie ihren eigenen Begräbnißplatz hat, liegt um die Kirche.
Das Pfarrhaus, an dessen Vorderseite eine schönwüchsige Linde steht, wurde im J. 1830/31 in einem modernen Styl massiv aus buntem Sandstein erbaut; es ist vom Staat zu unterhalten.
Das ansehnliche Schulhaus, in welchem sich auch die Gelasse für den Gemeinderath und die Schullehrerwohnung befinden, wurde im Jahr 1843 mit einem Gemeindeaufwand von 10.000 fl. neu erbaut.
Eine Menge laufender Brunnen liefern sehr gesundes Trinkwasser im Überfluß, auch fließt die kleine Kinzig, welche in dem Freudenstadter Gemeindewald Kasernenwald entspringt, an vielen Gebäuden des Orts vorbei. Das Flüßchen erhält auf der Markung | Reinerzau bedeutende Zuflüsse, namentlich außer mehreren minder namhaften: den Teufelsbach, das Hüttenbächle und den Röthenbach, so daß es von der sog. Berneck (der nördlichste Theil des Orts) floßbar wird und hiedurch den Bewohnern des holzreichen Thals zu Gewerbe und Handel äußerst nutzbringend wird. Beim Abgange des Schnees und nach anhaltenden Regengüssen tritt die kleine Kinzig öfters stark aus und richtet großen Schaden an, wie in den Jahren 1752, 1760, 1761, 1807, 1809, 1815, 1819 und 1824. In letzterem Jahre stieg das Wasser in der Nähe der Kirche 10′ und weiter unten sogar 17′ über den gewöhnlichen Wasserstand; auch im Februar 1827 erreichte es die ungewöhnliche Höhe von 7′. Das Flüßchen ist fischreich und führt hauptsächlich viele Forellen; das Fischrecht hat der Staat, welcher es an Ortsbürger verpachtet. In einer tief verborgenen Waldschlucht am Schwarzenbühl bestand früher ein ziemlich großer See, der sog. alte Weiher, der längst trocken liegt, indeß weiß das Volk noch verschiedene Mährchen von Nixen des ehemaligen Sees zu erzählen. An den Ufern desselben soll ein Kloster gestanden seyn, wie denn noch einzelne behauene Steine herumliegen; vermuthlich stand hier ein Waldbruderhaus. Im sog. Büstenloch, etwa 1/2 Stunde nördlich von der Berneck befindet sich ein malerischer, gegen 80′ hoher Wasserfall.Die Einwohner sind im Allgemeinen großgewachsene, kräftige Leute, deren Haupterwerbsquellen in Flößerei, Holzhandel und Waldarbeiten bestehen; in Folge dieser Beschäftigungen trifft man bei ihnen neben körperlicher Abhärtung eine gewisse Derbheit, die zuweilen in Rohheit ausartet. Die Einwohner theilen sich in Hofbauern und Taglöhner; erstere sind zum Theil sehr wohlhabend und besitzen neben beträchtlichen Feldgütern ausgedehnte Waldungen. Der gewöhnliche Güterbesitz beträgt 75 Morgen Felder und 50–60 Morgen Waldungen. Die Höfe, deren meist zusammenhängende Güter ohne Flurzwang bewirthschaftet werden und nächst den Hofgebäuden liegen, fallen meist nach dem Tode des Besitzers unvertheilt an das jüngste Kind, Sohn oder Tochter, während die älteren Geschwister ihr Auskommen als Taglöhner zu suchen haben.
Nicht nur das in den eigenen Waldungen erzeugte, sondern auch in Staatswaldungen aufgekaufte Holz wird als Langholz auf der von der Berneck an floßbaren Kinzig verflößt und in Schenkenzell an badische Holzhändler mit Vortheil abgesetzt, was ein rühriges Treiben in dem sonst abgelegenen, einsamen Thale hervorbringt. Die Taglöhner arbeiten in Gemeinschaft mit den Knechten, deren jeder Bauer mehrere hat, das ganze Jahr hindurch in den Waldungen und bei | der Flößerei, wobei sie öfters mit Lebensgefahr das gefällte Holz von den steilen Höhen herabzubringen und nicht ohne Gefahr zu verflößen haben. Einen interessanten Anblick gewährt nicht nur das sog. Riesen des Langholzes und das Schlitten des Scheiterholzes, sondern auch der Abgang eines Floßes, welchen die muthigen, unerschrockenen Flößer mit sicherem, kräftigem Arm über die gefährlichsten Floßgassen in den mannigfaltigen Krümmungen des Flüßchens durchzuführen wissen. Von Gewerben sind außer den für die nöthigsten Bedürfnisse arbeitenden Handwerkern 2 Mühlen (eine mit 2 Mahlgängen und einem Gerbgang, die andere mit einem Mahlgang und einem Gerbgang), 2 Sägmühlen und einige Schildwirthschaften zu nennen. Über den Bergbau in den zu beiden Seiten des Reinerzauer Thales anstehenden, primitiven Gebirgen s. oben im allgem. Theil „Gewinnung von Mineralien“; gegenwärtig wird noch eine Grube in buntem Sandstein mit einem Steiger und 5 Bergleuten, jedoch bisher ohne Erfolg betrieben.Gute Bausteine (bunter Sandstein) werden allenthalben gebrochen oder los herumliegende Trümmergesteine hiezu benützt.
Die sehr große, gegen 3 Stunden an der Grenze gegen das Großherzogthum Baden sich ausdehnende, größtentheils mit Wäldern bestockte Markung ist äußerst uneben und besteht hauptsächlich aus dem sehr tief eingeschnittenen Kinzigthale, welches sie der Länge nach durchzieht und das mit seinen steilen, hohen Gehängen und einzelnen Seitenthälchen, den Gemeindebezirk bildet; nur im Westen der Markung auf dem sog. Roßberg tritt eine waldige Hochebene von einiger Bedeutung auf. Der für die Landwirthschaft benützte Boden besteht meist aus den Verwitterungen der primitiven Gebirgsarten und theilweise aus dem Todtliegenden; er ist im Allgemeinen wenig fruchtbar, ziemlich hitzig und daher in nassen Jahrgängen ergiebiger als in trockenen. Der für den Wald benützte Boden ist rothsandig (Verwitterung des bunten Sandstein und des Todtliegenden) und eignet sich vortrefflich für die Waldkultur. In den Thalebenen haben sich fruchtbare Alluvialböden abgelagert, die an einzelnen Stellen Neigung zur Moor- und Torfbildung zeigen.
Die klimatischen Verhältnisse sind ziemlich rauh und Frühlingsfröste wie kalte Nebel schaden bei dem heftigen Thalzug nicht selten, daher auch die Obstzucht in ganz unbedeutender Ausdehnung statt findet. Hagelschlag kommt ziemlich häufig vor. Der an den steilen Vorhügeln der Thalgehänge mühsam betriebene Feldbau gewährt nur geringen Ertrag, so daß die meisten Lebensmittel von außen bezogen werden müssen. Man baut hauptsächlich Roggen, Hafer, Kartoffeln | und erzielt einen durchschnittlichen Ertrag von 5–6 Simri Roggen und 20–24 Simri Hafer pr. Morgen; der ausgedehnte Wiesenbau, dem größtentheils Wässerung zukommt, liefert pr. Morgen durchschnittlich 25 Ctr. Heu und 8 Ctr. Öhmd; wegen des stellenweise auftretenden Moorgrundes ist das Futter theilweise sauer. Die höchsten Preise eines Morgens Wiese betragen 200 fl., die geringsten 110 fl. Die Preise des Ackerfeldes bewegen sich zwischen 20 und 100 fl. pr. Mrg.Die Rindviehzucht, in einer kleinen Landrace (Bergvieh) bestehend, befindet sich in gutem Stande; 2 Farren werden von Privaten gehalten. Viehaustrieb findet noch in die eigenen Waldungen statt; der Handel mit Vieh ist unbeträchtlich. Die früher stark betriebene Schweinezucht hat abgenommen, dagegen ist die Zucht der Bienen sehr namhaft; Wachs und Honig bleibt im Ort.
Der Verkehr mit der Umgegend ist durch Vicinalstraßen, nach Alpirsbach, über Schömberg nach Freudenstadt und durch eine weitere dem Reinerzauer Thal entlang nach Schenkenzell hergestellt.
Die Gemeinde besitzt außer 28 Morgen Waldungen kein Vermögen. Dagegen besteht das Vermögen der Stiftungspflege in etwa 5000 fl., auch ist eine Schulstiftung von 40 fl. vorhanden. (Vgl. über den Gemeinde- und Stiftungshaushalt Tab. III.)
Innerhalb der Markung auf dem Burgstall, einem von dem Roßberg zwischen 2 steilen Schluchten hinziehenden Bergvorsprung stand eine Burg, von der noch wenige Reste des Burggrabens und einzelne Mauersteine gefunden werden.
Auf der Hochfläche des Roßbergs, westlich von obigem Burgstall, soll nach der Volkssage eine Stadt Namens Rosenberg gestanden seyn; man sieht noch wallartige Erhöhungen und einen rundausgemauerten Brunnen, den sog. Gallenbrunnen. An demselben zieht eine alte Straße unter der Benennung Heuweg in der Richtung von Wittichen gegen Kniebis vorüber, von der noch stellenweise das ehemalige Pflaster vorhanden ist.
Die zu der Gemeinde Reinerzau gehörigen beiden Weiler. Ober- und Unter-Zwieselberg liegen nur 1/8 Stunde von einander entfernt auf dem hohen Gebirgsrücken zwischen dem kleinen Kinzig- und Rippoldsauer Thale. Vermöge dieser hohen Lage ist das Klima sehr rauh, jedoch gesund; der magere, unfruchtbar Boden besteht aus den Verwitterungen des bunten Sandsteins und liefert nur bei reichlicher Düngung einigen Ertrag.
Die durchaus verschindelten und mit Schindeln gedeckten vereinzelt stehenden Gebäude gehören unbemittelten Holzhauern, die sich hier in dem sog. Pfaffenwald angesiedelt und zunächst ihren Wohnungen eine kleine Strecke Walde ausgerodet und zu Feld angelegt | haben, daher auch der Ort von dem Volke nur der Pfaffenwald genannt wird. Das Trinkwasser wird aus Pumpbrunnen bezogen; der Teufelsbach entspringt in der Nähe von Unter-Zwieselberg und der eigentliche starke Ursprung der kleinen Kinzig ist 1/4 Stunde nordöstlich von Ober-Zwieselberg.Der Name ist abzuleiten von Zwisel (Gabel), s. Schmeller, bayer. Wörterb. 4, 309.
Zwieselberg ist der einzige Ort des Bezirks, dessen Einwohner der kath. Confession angehören; dieselben sind derzeit noch in das 3/4 St. westlich gelegene katholische Pfarrdorf Rippoldsau im Großherzogthum Baden eingepfarrt und die schulpflichtigen Kinder besuchen die Schule daselbst, wohin ein steiler, beschwerlicher Fußweg führt; in Sitten, Tracht, Mundart gleichen daher die Zwieselberger mehr den Badensern als den übrigen Bewohnern des Bezirks. Der erst in neuerer Zeit von Seiten der Gemeinde Freudenstadt verbesserte Fußweg von Freudenstadt nach Rippoldsau führt durch Oberzwieselberg und bringt viele Lebendigkeit in den sonst abgeschieden gelegenen Ort, indem alle Fußgehenden diesen Weg einschlagen, um hiedurch einen Umweg von 2 Stunden, den die Landstraße macht, abzuschneiden. Die Ortsentfernung bis zur nordöstlich gelegenen Oberamtsstadt beträgt 11/2 Stunden und bis zu dem südlich gelegenen Reinerzau 2 Stunden.
Die Landwirthschaft spielt hier eine ganz untergeordnete Rolle und beschränkt sich auf den Anbau von etwas Roggen, Hafer, Kartoffeln und ganz wenig Gerste. Die Wiesen gewähren, da sie auf der Hochfläche liegen und nicht bewässert werden können, einen geringen Ertrag, daher auch der Viehstand unbedeutend ist.
Ober-Zwieselberg, welches zunächst an der Landesgrenze zwischen Württemberg und Baden liegt, war früher der Sitz eines Grenzzollers.
Was das Dorf Reinerzau betrifft, so ist die älteste Schreibart „Reinhardesowe“. Vlricus plebanus (Leutpriester) de Reinhardesowe erscheint in einer um 1255 ausgestellten Urkunde des Abts Berthold von Alpirsbach für das Kloster Kirchberg, eine spätere ist Renharzow. Als die Erzgruben aufkamen, schob man dem Namen die Bedeutung Rein-Erz-Au (Au mit reinem Erz) unter.
Der Ort gehörte zur Herrschaft Loßburg, deren Schicksale er meist theilte.
Am 29. Sept. 1344 entlehnten Walther von Geroldseck genannt von Tübingen und dessen Söhne Georg und Heinrich von dem Kloster Alpirsbach 100 Pf. Heller und verpfändeten ihm dafür das Wasser | und die Fischerei in R. bis zum Burgstall Wittichen hinab (Crusius, Anal. Suev. 3, 244).Noch vor der Herrschaft Loßburg, den 3. Okt. 1500, wurde R. von Gangolf von Geroldseck an das Kloster Alpirsbach verkauft. Diesem Kloster gehörte sofort der Ort mit „Grund, Boden, aller Obrigkeit, Herrlichkeit, Gerechtigkeit, Gebot und Verbot“ (Reyscher, Stat. Rechte 55; über die hiesigen Rechte des Klosters s. auch das Weisthum von 1539 bei Grimm, Weisthümer 1, 395).
Mit dem Orte kam auch die Collatur und Kastvogtei der Kirche und der dabei befindlichen St. Margarethen-Stiftung an das Kloster. Vor der Reformation gehörten die von Wittichen auch zur hiesigen Kirche und noch im vorigen Jahrhundert die wenigen in letzterem Orte angesiedelten evangelischen Haushaltungen (Binder 525).
Die hiesige Kirche wurde in der letzten katholischen und der ersten protestantischen Zeit von Alpirsbach aus versehen. Erst 1561 erhielt der Ort wieder einen eigenen Pfarrer. Der Pfarrsatz gehört der Krone.
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