Beschreibung des Oberamts Heilbronn/Kapitel A 3

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III. Einwohner.
1. Statistik der Bevölkerung.


Von den beiden bestehenden Zählungen ergab die der faktischen, ortsanwesenden Bevölkerung am 3. Dec. 1861 die Einwohnerzahl 33.043, die der rechtlichen, ortsanwesenden Bevölkerung vom gleichen Datum 32.004. Somit ist die Zahl derjenigen, welche sich an dem bezeichneten Termin in dem Bezirke aufhielten, ohne daselbst ihren oder im Fall der Unselbständigkeit ihrer Eltern ordentlichen Wohnsitz zu haben, um 1039 größer gewesen, als die Zahl derjenigen, die zwar innerhalb des Bezirks als Ortsangehörige in den Familienregistern eingezeichnet wurden, aber sich gleichwohl außerhalb desselben aufhielten. Unter den 64 Oberämtern des Landes sind 54, in welchen das umgekehrte Verhältniß stattfindet, d. h. die rechtliche Bevölkerung größer ist als die faktische. Im ganzen Königreich überwiegt| jene um mehr als 100.000 Einwohner. Heilbronn gehört daher zu den wenigen Bezirken, in welchen die anwesenden Ortsfremden zahlreicher sind, als die abwesenden Ortsangehörigen, und zwar schon in beträchtlichem Maße, was seinen Grund allein darin haben kann, daß die Gewerbthätigkeit und der Wohlstand der Stadt Heilbronn stets eine Menge fremder Arbeitskräfte aller Art an sich zieht. Daß hierin der Grund liegt, wird noch deutlicher dadurch, daß wenn man die Stadt und die ländlichen Wohnplätze abgesondert betrachtet, auf jene allein ein Überschuß von 1864 Ortsfremden, auf diese dagegen ein Überschuß der Ortsangehörigen von 825 fiel. In den 40er Jahren war die Zahl der Ortsfremden sogar ziemlich höher und stieg bis zu 2500; durch den Abzug der Garnison im Jahr 1849 sank jene Zahl um etwa 7–800, auch war die Frequenz des Kreisgefängnisses früher namhaft bedeutender, als in der neuesten Zeit.

Von sämmtlichen Oberämtern haben nur 5, Stuttgart (Stadt), Ulm, Reutlingen, Ludwigsburg, Göppingen, eine absolut größere Bevölkerung. Auf die Quadratmeile fallen 9602 Einwohner. An Dichtigkeit der Bevölkerung gehen nur 4 Bezirke des Neckarlandes vor, außer Stuttgart (Stadt), Cannstatt, Eßlingen, Ludwigsburg. Wenn man die Stadt Heilbronn mit ihrer Markung abrechnet, so wohnt übrigens die Bevölkerung in den ländlichen Wohnplätzen nicht so dicht, als in den am Neckar hinauf bis Nürtingen gelegenen Oberämtern. Die Ortsmarkungen sind etwas größer, der Boden weniger parcellirt, als in dem altwürttembergischen Neckarthal.

Den Gang der Bevölkerung durch einen längeren Zeitraum hindurch zu verfolgen, wird dadurch erschwert, daß es bis zum Jahr 1834 nur Zählungen der Ortsangehörigen, nicht auch der faktischen Bevölkerung gab, und daß seit dem 1. Sept. 1842 der Oberamtsbezirk Heilbronn durch Zutheilung der Gemeinden Abstatt und Gruppenbach eine Veränderung erlitt. Man muß daher, um die jetzige Bevölkerung mit der früheren vergleichen zu können, die Einwohnerzahl jener beiden Gemeinden vorher in Abzug bringen. Der Unterschied der Ortsangehörigen und Ortsanwesenden war jedoch in den früheren Jahrzehenden weit nicht so bedeutend, als er in den letzten 20 Jahren durch ein blos faktisches und nicht zur amtlichen Cognition und Aufnahme in die Familienbücher gelangendes Wegziehen geworden ist. In der Stadt Heilbronn betrug er im Jahr 1822, wo in einigen größeren Städten auch die Ortsfremden gezählt wurden, 786, wovon der größte Theil auf die Garnison fiel; in den | Dörfern ist auch für jene Zeit ein Minus der faktischen Bevölkerung gegen die rechtliche Aufnahme anzunehmen, da immer viele junge Leute in der Stadt Dienst und Arbeit suchten.

Unter Beachtung dieser Verhältnisse ergiebt sich, daß die Bevölkerung des Bezirks sich von 1821–1861, also in 40 Jahren, um 50 Procent, somit jährlich um 1,22 % vermehrt hat. Im ganzen Königreich aber beträgt der jährliche Zuwachs während dieser Periode nur 0,45 %; wenn sich die Volkszahl desselben überall so vermehrt hätte, wie im Oberamt Heilbronn, müßte es jetzt 21/4 statt 13/4 Millionen Einwohner haben. Unterscheidet man aber innerhalb des Bezirks wieder Stadt und Land, so ist die Einwohnerzahl der Stadt von 7841 im Jahr 1822 auf 14.333 im Jahr 1861 gestiegen, also jährlich um 2,23 %. Die Landbevölkerung dagegen stieg seit 1819 nur von 12.950 auf 16.500, also jährlich nur um 0,65 %. Von den Städten des Landes zeigen nur Stuttgart (2,7 %), Canstatt (2,5 %) und Eßlingen (2,6 %) während dieses Zeitraums eine größere Zunahme; ohne den Abgang der Garnison würde auch diese Differenz sich ausgleichen.

In der ungünstigen Zeit der ersten 50er Jahre, wo die Bevölkerung des Königreichs von 1849–1855 um 4,3% abnahm, trat auch im Bezirke Heilbronn ein Stillstand, und von 1852–55 ein kleiner Rückschritt, von 32.568 auf 32.229 ein. Auch 1858 war mit 32.311 der Stand von 1852 noch nicht wieder ganz erreicht. In der Stadt dagegen stieg auch während dieses Zeitraums die Einwohnerzahl, wiewohl in 6 Jahren nur von 13.687 auf 14.029. Der Ausfall trifft daher nur die Amtsorte und ist Folge der starken Auswanderung.

In Beziehung auf Geburten und Sterbfälle zeigt die Statistik des Oberamtsbezirks im Vergleich mit der des ganzen Landes meist mittlere Verhältnisse, wie aus den folgenden Zusammenstellungen hervorgeht.

Nach der in den Württembergischen Jahrbüchern 1856, 2tes Heft, erschienenen Abhandlung von Sick: Zahl und Verlauf der Geburten im Königreich Württemberg während der Jahre 1846 bis 1856 kam

im Oberamt Heilbronn, in Württemberg. Die Extreme.
eine Geburt auf 25,61 Einw. 26,30
{
Münsingen 20,3
Wangen 43,8
|
im Oberamt Heilbronn, in Württemberg. Die Extreme.
auf 100 weibl. Geb. kamen 106,0 männl. 106,31
{
Waldsee 112,10
Aalen 101,48
unter 100 Gebor. waren 96,17 reifgeb. 96,57
{
Maulbronn 97,70
Stadt Stuttgart 93,70
unter 100 Gebor. waren 5,01 todtgeb. 4,07
{
Waldsee 3,10
Freudenstadt 5,40
von 10.000 Müttern starben bei der Geburt 34 39
{
Wangen 1500
Neresheim 9300
auf 10.000 Geburten fielen Zwillings- und Mehrgeburten 112 129
{
Gerabronn 17500
Sulz 8800

Aus den älteren Zählungen, welche die ortsangehörige Bevölkerung zu ihrer Grundlage haben, ist noch anzuführen:

Das Verhältniß der Geburten zur Einwohnerzahl war

in Württemberg:
1812–22 1822–32 1832–42 1842–52 1812–52
1 : 26,2 1 : 26,1 1 : 23,1 1 : 24,6 1 : 25
im Oberamt Heilbronn:
1812–22 1822–32 1832–42 1842–52 1812–52
1 : 24,9 1 : 25,7 1 : 21,4 1 : 22,3 1 : 23,6

Die Zahl der Geburten war hiernach immer sehr ansehnlich und über dem Landesdurchschnitt.

Das Verhältniß der unehelich Geborenen zu der Zahl aller Geborenen war

in Württemberg:
1812–22 1822–32 1832–42 1842–52 1812–52
1 : 9,08 1 : 8,1 1 : 8,68 1 : 8,3 1 : 8,5
im Oberamt Heilbronn:
1812–22 1822–32 1832–42 1842–52 1812–52
1 : 9,9 1 : 9,1 1 : 12,0 1 : 12,1 1 : 10,08

Für die Stadt Heilbronn selbst kam in den 10 Jahren 1836 bis 1846 eine Geburt schon auf 20 Einwohner, und unter den Geborenen waren 7,5 Procent Uneheliche.

Die Verhältnißzahl der unehelichen Geburten ist hiernach etwas günstiger als im Landesdurchschnitt. Da jedoch nach der von der | ortsangehörigen Bevölkerung ausgehenden Zählung das Ergebniß gerade in diesem Punkt kein ganz dem wirklichen Sachverhalt entsprechendes ist, und der Unterschied zwischen der faktischen und rechtlichen Bevölkerung gerade in der Stadt Heilbronn sehr ansehnlich ist, da überdieß auch aus andern Gründen viele uneheliche Geburten in die Taufregister der ländlichen Gemeinden gelangen, die dem wahren Sachverhalt nach den Städten zu imputiren wären, so ist auf jene Proportion kein Gewicht zu legen, und das thatsächliche Verhältniß nach der faktischen Bevölkerung dürfte eher über als unter dem Landesdurchschnitt stehen.

Hinsichtlich der Sterblichkeit entnehmen wir der statistischen Aufnahme der Sterbefälle im Königreich in den Jahren 1846–1856 folgende Notizen:

Oberamt Heilbronn. Württemberg. Die im Königreich vorkommenden Extreme.
Einwohner. Einwohner.
1 Sterbefall kam einschließlich der Todtgeborenen auf 32,16 31,64
{
Stuttgart 41,40
Münsingen 24,80
ohne Einrechnung der Todtgeborenen auf 34,27 33,25
{
Stuttgart 44,40
Laupheim 25,90
auf 100 weibl. Gestorbene 107,8 männl. 103,08
{
Ulm 110,30
Nagold 95,70
unter 100 Gest., excl. Todtgeb., standen im ersten Lebensjahre 40,4 42,18
{
Blaubeuren 60,04
Mergentheim 29,68
im 2. bis 7. Lebensjahre 12,06 9,99
{
Oberndorf 14,70
Ulm 5,70
im 8. bis 14. Lebensjahre 2,27 2,39
{
Oberndorf 4,40
Laupheim 1,02
somit im 1. bis 14. Lebensjahre 54,73 54,56.
Unter 100 im Alter von mehr als 14 Jahren Gestorb. waren alt:
15–20 J. 4,42 4,2
{
Reutlingen 6,70
Biberach 2,17
|
Oberamt Heilbronn. Württemberg. Die im Königreich vorkommenden Extreme.
Einwohner. Einwohner.
21–45 J. 29,23 23,84
{
Stuttgart 33,54
Herrenberg 19,67
46–70 J. 43,33 45,54
{
Neuenbürg 51,85
Ulm 39,31
über 70 J. 23,02 26,42
{
Wangen 33,57
Neuenbürg 18,53
auf 1 Gest. unter 14 Jahren (excl. Todtg.) kommen Lebende unter 14 Jahren 19,96 19,58
{
Backnang 30,13
Ulm 10,46
auf 1 Gest. über 14 Jahre kommen Leb. über 14 Jahre 51,57 49,66
{
Stuttgart 63,87
Sulz 39,90
von 100 Gest. (excl. Todtg.) starben ohne ärztliche Hülfe 43,05 54,64
{
Blaubeuren 75,60
Stuttgart 11,16
unter 10.000 Gestorb. sind Verunglückte 119 85
{
Göppingen 15500
Spaichingen 4000
Selbstmörder 67 36
{
Stuttgart 10000
Gaildorf 1700
auf 100 Gest. (incl. Todtg.) kommen Geb. (incl. Todtgeb.) 125,55 120,34
{
Aalen 137,20
Wangen 88,42
auf 100 Lebendgebor. kommen Gestorbene (excl. Todtgeb.) 78,69 82,45
von 100 Geb. (incl. Todtgeb.) starben im 1. Lebensjahr (incl. Todtgeborene) 35,25 37,36
{
Ulm 52,48
Mergentheim 26,66
von 100 Lebendgeb. starben im 1. Lebensjahre 31,78 34,78
{
Ulm 51,52
Mergentheim 23,14
| Aus den älteren statistischen Aufnahmen über die ortsangehörige Bevölkerung fügen wir bei:

Das Verhältniß der Gestorbenen zur Einwohnerzahl war

in Württemberg:
1812–22 1822–32 1832–42 1842–52 1812–52
1 : 31,3 1 : 34,2 1 : 28,8 1 : 31,8 1 : 31,5
im Oberamt Heilbronn:
1812–22 1822–32 1832–42 1842–52 1812–52
1 : 30,0 1 : 31,6 1 : 26,8 1 : 30,7 1 : 29,8

Entsprechend der größeren Geburtenzahl und, sofern die Kindersterblichkeit überall ein Hauptfaktor in der Zahl der Sterbefälle ist, wohl auch in Folge dieser größeren Geburtenzahl ist die Mortalität etwas ungünstiger als nach dem Landesdurchschnitt.

Diese Übersichten zeigen, daß, obwohl unter den meisten Rubriken der Spielraum, innerhalb dessen in Württemberg die einzelnen Bezirke von einander abweichen, sehr beträchtlich ist, doch die Verhältnisse von Heilbronn sich fast immer nahe an den Landesdurchschnitt halten. Die beträchtlichsten Abweichungen von dem Landesdurchschnitt sind eine ziemlich größere Zahl von Todtgeborenen, ein beträchtliches Übergewicht von männlichen Gestorbenen über die weiblichen, eine ziemlich schwächere Kindersterblichkeit, eine bedeutend größere Zahl von Selbstmördern und von Verunglückten. Wenn insbesondere die Zahl der im Alter von 21 bis 45 Jahren gestorbenen Personen den Landesdurchschnitt beträchtlich übersteigt, so erklärt sich dieß daraus, daß in Städten, wo viel Ortsfremde wohnen, mit beträchtlicher Industrie und besonderen Instituten, Garnisonen, Strafanstalten etc. die Altersklasse von 21 bis 45 Jahren in einem übernormalen Verhältniß vertreten ist, und deßhalb naturgemäß auch eine größere Zahl derselben unter den Gestorbenen gefunden wird, als bei einer normalen Mischung der Altersstufen. Derselbe Grund, aus dem in dieser Rubrik die Hauptstadt die höchste Ziffer hat, erklärt auch die Abweichung Heilbronns von dem Landesdurchschnitt.

Nach den vorstehenden Zahlen würde der Überschuß der Geburten über die Sterbfälle einen jährlichen Bevölkerungszuwachs von 0,9 % begründen. Da dieser Zuwachs in Wahrheit aber 1,22 % betragen hat, so geht daraus hervor, daß zugleich ein namhafter Überschuß der Hereingezogenen über die Hinausgezogenen stattgefunden hat, indem auf je 10.000 Einwohner ein Jahreszuwachs von 90 Personen durch den Überschuß der Geburten und von 32 Personen durch Zufluß von außen trifft.

| Über diesen Punkt ist das statistische Material nicht mit gleicher Vollständigkeit bearbeitet worden, wie in Betreff der Geburten und Sterbfälle, und die näheren Angaben beziehen sich nur auf den Zeitraum von 1836–1856, in dessen zweite Hälfte im Allgemeinen nur ein mäßiger Zuwachs, in manchen Bezirken des Landes sogar ein Rückschritt der Bevölkerung fällt; doch sind auch diese Notizen noch genügend, um einen Einblick in den Sachverhalt zu gewähren und die Bedeutung erkennen zu lassen, die in einem so gewerbthätigen Bezirke den Umzügen zukommt.

In den zehn Jahren von 1837–1846 sind im Ganzen 3144 Personen, 1371 männliche und 1773 weibliche, aus andern Orten des Königreichs in den Bezirk hereingezogen, und 2831 Personen, 1230 männliche und 1601 weibliche, in andere Orte des Königreichs hinausgezogen; somit ergibt sich ein Überschuß der Hereingezogenen von 313 Personen. Von jenen 3144 Hinausgezogenen treffen 1574 auf die Stadt (737 männliche und 837 weibliche) und 1570, also fast genau die Hälfte auf die Dörfer. Von den Hinausgezogenen aber kommen 1148 Personen auf die Stadt (545 männl., 603 weibl.) und 1683 auf die Dörfer; diese haben somit einen Ausfall von 108 Personen, die Stadt einen Zuwachs von 426 Personen.

Aus fremden Staaten sind während desselben Zeitraums eingewandert 262 Personen (105 männl., 157 weibl.), dagegen ausgewandert 527 Personen (239 männl., 288 weibl.); der Überschuß der Auswanderung betrug somit 265 Personen, und der Gesammtzuwachs der ortsangehörigen Bevölkerung somit nur noch 51 Personen. Auf die Stadt allein treffen an dem Überschuß der Auswanderer 38 Personen.

In den zehn Jahren von 1846–56 sind im Ganzen im Bezirk 12.364 Kinder geboren und 9845 Personen gestorben, so daß der Bevölkerungszuwachs hiernach 2516 Personen hätte betragen müssen. Die ortsanwesende Bevölkerung stieg aber nur um 1300 Personen, und es sind somit 1216 Personen mehr weg- als zugezogen. Davon kommen etwa 7–800 Personen auf den Wegzug des bis 1848 in Heilbronn garnisonirenden Infanterieregiments, und um 4–500 überwog der Abfluß nach außen den Zuzug.

Die Zahl der Auswanderer war allein im Jahr 1854 um 443 Personen größer als die der Einwanderer, im Jahr 1855 um 257, 1856 um 126. Der Zuwachs durch Hereingezogene aus andern Theilen des Königreichs muß somit auch in dieser Zeit noch sehr | beträchtlich gewesen sein, um den Abgang durch Auswanderung wieder zu ermäßigen.

Den Unterschied der Geschlechter betreffend, kommen auf 100 männliche Einwohner im Landesdurchschnitt 107,3 weibliche, im Oberamt Heilbronn dagegen nur 104 weibliche. Der Grund hievon liegt in den Verhältnissen der Stadt Heilbronn, wo auf 100 männliche 102,4 weibliche Personen treffen, während in den Dörfern der mittlere Durchschnitt des Königreichs herrscht. In der Stadt Heilbronn erklärt sich jene Differenz wieder daraus, daß bei der blühenden Gewerbthätigkeit viele Lehrlinge, Gesellen und Gehülfen aller Art, auch Schüler höherer Lehranstalten von auswärts hereinkommen. So stehen im Alter von 15–20 Jahren 1283 männliche und nur 1105 weibliche Personen, was einen männlichen Überschuß von 178 Personen ausmacht. Die Zahlen würden sich nahezu ganz ausgleichen, wenn nicht das Zuchtpolizeihaus ausschließlich weibliche Gefangene hätte.

Die Bevölkerung enthält 9595 Personen unter, 23.448 Personen über vierzehn Jahren. Die Personen unter vierzehn Jahren machen somit 29 % des Ganzen aus, in sehr naher Übereinstimmung mit dem Landesdurchschnitt von 28,9 %, während in andern Bezirken die Zahlen von 20 % (Stuttgart) bis 34 % (Freudenstadt) variiren. In der Stadt Heilbronn ist das Verhältniß nur 25,9 %.

Im Übrigen ist das Material zur Zeit noch nicht vollständig bearbeitet, aus welchem die Vertheilung der Bevölkerung nach Altersklassen im ganzen Land und in den einzelnen Bezirken zu ersehen sein wird. Wir beschränken uns daher darauf, da die Landgemeinden in diesem Punkt wenig Bemerkenswerthes darbieten können, die Vertheilung der Bevölkerung der Stadt Heilbronn nach Altersklassen in ihren Hauptmomenten beizufügen.

Es standen am 3. Dec. 1861 von der Stadtbevölkerung im Alter von

Durchschnittliche
Stärke einer
Jahresklasse.
0–05 Jahren 1534 Personen *   306
6–10 1165 *   233
11–15 1366 *   273
16–20 2049 *   409
21–25 1549 *   309
26–30 1471 *   294
31–35 932 *   186
|
36–40 1025 *   205
41–45 863 *   172
46–50 691 *   138
51–55 550 *   110
56–60 471 *   094
61–65 266 *   053
66–70 170 *   034
71–75 129 *   025
76–80 57 *   011
81–85 21 *   004
86–90 11 *   002

Auf 10.000 (oder Procente mit 2 Decimalen) reducirt, und je 10 Jahre zusammengefaßt, ergiebt sich die Reihe:

Es waren

00–10 Jahre alt 18,84
11–20 23,84
21–30 21,08
31–40 13,69
41–50 10,85
51–60 7,13
61–70 3,04
71–80 1,29
81–90 22

An dieser Liste ist das Bemerkenswerthe, daß, während sonst die Stärke der Altersklassen von der niedrigsten bis zur höchsten in stetiger Abnahme begriffen und die jüngste immer die stärkste ist, in Heilbronn die Altersklasse von 16–20 Jahren weitaus die erste ist, den zweiten Platz die von 21–25, erst den dritten die von 0–5, den vierten wieder die von 26–30, den fünften die von 11–15, und erst den sechsten die von 6–10 Jahren einnimmt.

Diese Thatsache erklärt sich in der Hauptsache abermals daraus, daß die ortsfremden Einwohner der Stadt vorzugsweise in die Altersklasse von 15–30 Jahren fallen. Doch kommt als ein weiteres und wichtiges Moment hinzu, daß in den ungünstigen 50er Jahren eine sehr bedeutende Abnahme der Geburtenzahlen bemerkbar ist, weßhalb die Jahresklassen derjenigen, die im Dec. 1861 im Alter von 5–10 Jahren standen, ungewöhnlich schwach besetzt sind. Die Altersklasse | der im Jahr 1854 Geborenen betrug 1861 nur 203; die der 19jährigen dagegen 464 Personen.

Wenn man die unter 14 und die über 65 Jahre alten Personen als nicht producirend zählen will, so gehören 71,4 % der Bevölkerung zu den producirenden, 28,6 % zu den nichtproducirenden Klassen; ein Verhältniß, das zu den günstigeren zu rechnen ist.

Im Alter von mehr als 80 Jahren standen an dem Termin des Dec. 1861 im ganzen Oberamt 72 Personen (35 Männer und 37 Frauen). Davon kommen auf die Stadt 32 (17 Männer, 15 Frauen), auf die Landgemeinden 40. Die ältesten Personen des Oberamts: ein 94jähriger Wittwer und eine 92jährige Wittwe, gehörten der Stadt Heilbronn an.

Dem Civil- oder Familienstand nach waren in Heilbronn im Jahre 1861

21.353 Personen (10.639 männl., 10.714 weibl.), ledig,
9.911 (04.975 4.936 ), verheirathet,
1.724 (00.552 1.172 ), verwittwet,
32 (00.017 15 ), geschieden.

Es waren somit genau 30 % verheirathet; während der Landesdurchschnitt 31,03 % beträgt. In der Stadt Heilbronn waren nur 28,7 % verheirathet; auf dem Land entspricht das Verhältniß fast genau dem Landesdurchschnitt. Die geringere Zahl in der Stadt kommt wieder ganz von der Größe der im Alter von 14–30 Jahren stehenden, durch Ortsfremde verstärkten Klassen her. Von den 1957 Personen, die zwischen 30 und 40 Jahren standen, waren hier 1278 verheirathet, 52 verwittwet, 627 (314 männl., 313 weibl.) ledig. Von 1554 Personen zwischen 40–50 Jahren waren 1316 verheirathet, 129 verwittwet, 241 ledig (100 Männer, 141 Frauen). Von 1675 Personen über 50 Jahren waren noch 161 ledig (68 männliche, 93 weibliche).

Wenn man als das mittlere Alter der Verheirathung dasjenige Lebensjahr betrachtet, in dessen Altersklasse die Zahl der Verheiratheten zuerst die der Unverheiratheten erreicht oder übersteigt, so ist dieß im Oberamt Heilbronn für das weibliche Geschlecht das 27te Jahr; denn von den 27jährigen weiblichen Personen waren 138 verheirathet und 129 ledig, während unter den 26jährigen noch 260 unverheirathete und 112 verheirathete weibliche Personen gezählt wurden. Für das männliche Geschlecht ist das mittlere Verheirathungsjahr das 29te, denn von den 29jährigen Männern waren 105 verheirathet, 103 ledig, während unter den 28jährigen noch 2/3 ledig | und 1/3 verheirathet war. In der Stadt Heilbronn war erst unter den 29jährigen Frauen die Mehrzahl verehelicht (52 verheirathet und 43 unverheirathet); dagegen unter den 30jährigen wieder 56 verheirathet und 80 ledig, dann unter den 31jährigen 64 verheirathet und 31 ledig. Bei den Männern überwog hier die Zahl der Verheiratheten erst in der Altersklasse der 31jährigen (45 gegen 37). Der Landesdurchschnitt ist in diesem Punkte für beide Geschlechter das 31. Lebensjahr.

Bei der Aufnahme von 1861 zählte man im Bezirk 6626 Familien, insofern so viele Haushaltungszettel eingereicht wurden; so daß auf eine Haushaltung durchschnittlich 4,9 Personen kamen. Berechnet man die Familien nach der Zahl der bestehenden und der gelösten, aber in einem Theil noch fortwirkenden Ehen, so ergeben sich bei 4975 Ehen, 552 Wittwer, 1172 Wittwen und 32 geschiedenen Personen 6731 Familien, also eine ziemlich übereinstimmende Zahl.

In den 20 Jahren von 1838–57 wurden im Oberamt Heilbronn 4025 Ehen eingesegnet, wovon auf die Stadt nur 35, auf das Land 65 Procente kamen. Diese auffallende Differenz erklärt sich zum Theil daraus, daß die Trauungen von Heilbronnern mit auswärtigen Frauen hier nicht mitgezählt werden, wofern sie nicht innerhalb des Bezirkes erfolgten, solche Trauungen aber häufiger bei den Stadtbewohnern als den Landbewohnern vorkommen.

Das Oberamt Heilbronn besteht aus 1 Stadt, 16 Pfarrdörfern, 3 Weilern, 8 Höfen, 16 einzelnen Wohnsitzen, und hat somit im Ganzen 44 Wohnplätze. (Die Rubrik der Dörfer, die nicht zugleich Pfarrsitze sind, und der Pfarrweiler fehlt.) Das System der geschlossenen Dorfwirthschaft ist fast durchaus vorherrschend. Kein Bezirk des Landes von gleichem Umfange hat eine so kleine Zahl von Wohnplätzen.

Die städtische Bevölkerung macht 43,3, die ländliche 56,7 Procent des Ganzen aus.

Von den 16 Dörfern sind drei als große zu bezeichnen, Böckingen, Großgartach und Neckargartach, mit einer Einwohnerzahl von 17–1900, 9 als mittelgroße, Abstatt, Biberach, Bonfeld, Flein, Frankenbach, Kirchhausen, Sontheim, Thahlheim und Gruppenbach; die Einwohnerzahl bewegt sich zwischen 992 (Abstatt) und 1349 (Thalheim). Vier gehören zu den kleinen Dörfern: Unter- und Obereisesheim, Fürfeld und Horkheim, die Einwohnerzahl bewegt sich zwischen 528 (Untereisesheim) und 783 (Fürfeld). Wenn man aber von dem politischen Gemeindeverband absieht, so gehören auch Abstatt | und Gruppenbach mit 7–800 Einwohner noch in die Klasse der kleineren Dörfer, dagegen sind dann die Weiler Happenbach mit 317, Donnbronn mit 264, Obergruppenbach mit 146 Einwohner besonders aufzuzählen. In diesem dem Oberamtsbezirk erst später einverleibten nordwestlichen Theil participirt das Oberamt noch an der in den Oberämtern Backnang, Marbach, Weinsberg beginnenden, im Nordosten des Landes vorherrschenden Weilerwirthschaft, die zwischen der oberschwäbischen Hof- und der altwürttembergischen Dorfwirthschaft ein Mittelglied bildet.

Die Zahl der Wohngebäude ist 3613; es kommen somit 9,13 Einwohner auf 1 Wohngebäude. Die Ziffer des Landesdurchschnitts ist 6,82. Der Grund dieser Abweichung liegt natürlich darin, daß in der Stadt Heilbronn sehr häufig, ja in der Regel zwei oder mehr Familien in einem Hause wohnen.

Auf die Stadt treffen 1135 Wohngebäude, somit auf eines 12,2 Personen.

Unter den 33.043 ortsanwesenden Einwohnern waren am 3. December 1861

28.438 Evangelische,
4.011 Katholiken,
151 eigener Confession,
443 Juden.

Die Reichsstadt Heilbronn mit ihrem Gebiet, die altwürttembergischen, die Löwenstein-Wertheim’schen, die Gemmingen’schen Orte waren evangelisch. Den Grundstock der katholischen Bevölkerung bilden die Deutschorden’schen Besitzungen Kirchhausen, Sontheim, welche ganz, und Biberach und Thalheim, welche theilweise dem katholischen Bekenntniß angehören. Im Übrigen nimmt durch die natürlichen Wirkungen des bürgerlichen Verkehrs in einem paritätischen Land die confessionelle Mischung ihren stetigen Fortgang, namentlich in der Stadt Heilbronn, in welcher die katholische Gemeinde, die vor 40 Jahren noch nicht 400 Mitglieder zählte, auf 1003 Seelen angewachsen ist.

Die 151 Christen eigener Confession sind hauptsächlich Baptisten, Deutschkatholiken, Methodisten.

Die Zahl der Juden ist in der Stadt Heilbronn in raschem Wachsthum begriffen, während sie in den Ortschaften abnimmt; wie seit zwei Decennien, namentlich aber vollends seit Einführung der Gewerbefreiheit, eine Wanderung der israelitischen Bevölkerung vom Lande in die Städte auch anderwärts wahrzunehmen ist. In der | Stadt Heilbronn waren 1861 36 ortsangehörige, dagegen 137 ortsanwesende Juden. Gegenwärtig wohnen bereits etwa 50 jüdische Familien in der Stadt.

Über die Vertheilung der Bevölkerung nach Stand und Beruf fehlen genauere Ermittlungen. Die Zahl der Landwirthe und Gewerbtreibenden wird jedoch aus dem volkswirthschaftlichen Abschnitte zu ersehen sein. Andere Stände kommen statistisch kaum in Betracht. In der Zahl der öffentlichen Diener unterscheidet sich Heilbronn von den Oberämtern mit fast ausschließlich ländlicher Bevölkerung nur wenig.


2. Stamm und Eigenschaften der Einwohner.
a. Stamm.

Das Oberamt Heilbronn lag zwar fast ganz im schwäbischen Kreis; doch sind die Einwohner nicht mehr dem schwäbischen Stamm beizurechnen, sondern dem fränkischen, und zwar dem rhein- oder westfränkischen, der gerade in dieser Gegend einerseits an das Ostfränkische und andererseits an das Schwäbische oder Alemannische grenzt.

Die alte Stammgrenze zwischen Alemannen und Franken lag noch ziemlich nördlich von Heilbronn, denn auch Bietigheim ist noch auf fränkischem Boden. Als die alten Stammherzogthümer zerfielen und sich in kleinere Territorien auflösten, gelang es den Grafen und Herzogen von Württemberg, in den südlichen Grenzbezirken des alten Frankenlandes ansehnliche Erwerbungen zu machen, die durch die Ämter Weinsberg, Neuenstadt und Möckmühl noch über Heilbronn hinaus lagen und das reichsstädtische Gebiet von drei Seiten einschlossen. Dieß mochte der Anlaß sein, daß man die zwischen der Pfalz und Württemberg gelegenen kleineren Besitzungen der Reichsstädte Heilbronn, Wimpfen und des Deutschen Ordens aus geographischen Gründen noch dem schwäbischen Kreise zutheilte.

Wenn aber das rheinfränkische oder specieller das pfälzische Element das in der Bevölkerung des Heilbronner Bezirks vorherrschende ist, so lag es in der Natur der Sache, in den Verhältnissen eines kleinen zwischen größeren Staaten eingeschobenen Grenzbezirks, einer auf Gewerbe und Handel angewiesenen, nach demokratischen Grundsätzen regierten Reichsstadt, daß auch viele Ansiedler aus den benachbarten Gegenden und aus weiterer Ferne hereinzogen. Schon im Mittelalter kamen des Handels wegen Fremde vom Rhein, selbst von Italien in die Stadt. Nach dem dreißigjährigen Kriege, als viele | Häuser und Güter durch Sterben der Angehörigen fast herrenlos geworden oder leicht zu erwerben waren, siedelten sich Viele aus der Nähe und Ferne neu in der Stadt an. Die Elemente, aus denen die Bevölkerung erwuchs, sind daher mannigfaltig gemischt, was sich zu allen Zeiten als förderlich und anregend für die körperliche und geistige Entwicklung einer Bevölkerung erwiesen hat.


b. Eigenschaften.

Der Körperbau ist im Allgemeinen gut. Da die meisten Einwohner gehörige Nahrung haben, so sind sie muskulös und kräftig. Auch die Weingärtner, von denen in benachbarten Oberämtern viele von schwerer Arbeit niedergebeugt einhergehen, sind in der Stadt Heilbronn und in ihrer Umgegend gerade einherschreitende, kräftige Leute, so daß die Musterungscommissionen bei der Recrutirung die jungen Weingärtner der Stadt zu den schönsten Jünglingen des Landes zählen. Auch giebt es nicht wenige große Leute im Oberamte.

Nach den Ergebnissen der Recrutirung von 1838–57 waren im Oberamt Heilbronn von 100 Visitirten 9,54 untüchtig wegen mangelnder Körpergröße. Der Landesdurchschnitt war 10,23 %. Im benachbarten Bezirke Weinsberg war die Zahl fast doppelt so groß: 18,83. Unter den Bezirken des Neckarlandes gehört das Verhältniß in Heilbronn zu den günstigsten; nur Stuttgart und Cannstatt gehen im Neckarkreise voran; die oberschwäbischen Ämter dagegen, sowie einige am oberen Neckar haben die Verhältnißzahlen von 4–6 %. Wegen Gebrechen waren im Oberamt Heilbronn von 100 Visitirten 40,04 untüchtig; auch dieß Verhältniß ist etwas günstiger als der Landesdurchschnitt von 41,10.

Der Gesundheitszustand der Stadt Heilbronn, noch mehr jedoch in den Amtsorten kann ein günstiger genannt werden und bietet keine besonders hervorzuhebende Erscheinungen dar. Es ist daher nur Weniges darüber zu bemerken.

Wie sich in Heilbronn, wo die aus Rußland zurückgekehrten württembergischen Soldaten sich im Frühjahre 1813 sammelten, zuerst im Lande diejenige Art von Typhus gezeigt hat, der bis dahin nur bei den Völkern slavischen Ursprungs geherrscht hatte (Febris Hungarica), so war es wieder Heilbronn, das zuerst im Lande, im Jahre 1828, von dem Abdominal-Typhus angesteckt wurde, der nach und nach rheinaufwärts gestiegen ist. Dieses Schleim- und Nervenfieber trat im Herbst 1833 heftig, im Sommer 1834 sehr stark, in den Sommern 1835, 1840 und 1841 minder stark auf, insbesondere in | den Theilen der Stadt, welche durch Überschwemmungen des Neckars heimgesucht worden waren.

Seit 1841 hatte es keine endemische Ausbreitung, und die sporadischen Fälle sind selten.

Die Notizen, welche vom Oberamtsphysikate über den Einfluß atmosphärischer Verhältnisse auf den Gesundheitszustand der Bewohner, über die stationären Bedingungen desselben, z. B. die Art der Gewerbe, die Wirkungen stehender Wasser, der Nahrungsmittel, Getränke u. s. w. gesammelt worden sind, lauten günstig.

Die Stadt hat durch Ausfüllung des Stadtgrabens, Abbruch der hohen Ringmauer, Anlegung unterirdischer Abflußkanäle u. dgl. an Salubrität sehr gewonnen; und die Befürchtung, die Sümpfe neben dem Eisenbahndamme, und die Ausdünstungen der großartigen Fabriken werden der Gesundheit nachtheilig werden, hat sich bis jetzt nicht bestätigt. Denn es sproßten aus den Sümpfen alsbald Weiden und andere Pflanzen hervor, und der frische Luftzug des weiten Neckarthales und die üppige Vegetation desselben verdrängt die schädlichen Dünste.

Die Blattern, an welchen noch im Jahr 1784 92, im Jahr 1801 100 Kinder in der Stadt gestorben sind, wurden durch Inoculation derselben seit dem Jahre 1798, noch mehr durch Impfen der Kuhpocken seit 1802 nach und nach ausgerottet. Nur durch Einschleppung von Außen kamen in neuerer Zeit sporadische Fälle von Blattern, häufiger von Varioliden vor, bis Ende 1855 und Anfangs 1856 in der Oberamtsstadt wieder eine Pockenepidemie einzelne Personen hinraffte, andere mit Narben bedeckte.

Auch von bösartigen Kinderkrankheiten blieb das ganze Oberamt lange sehr verschont, bis im Jahre 1856 und 1857 und 1862 der Scharlach sich sehr ungünstig zeigte. In Heilbronn starben im Jahre 1856 und 1862 daran und an den Folgen sehr viele Kinder.

Die Masern kommen häufig vor, doch nicht in zu großer Ausdehnung und sie sind selten bösartig, ebenso der Keuchhusten.

Wenn auch in den vielen Fabriken der Stadt nicht selten Verletzungen, sogar Tödtungen durch die Gewalt der Maschinen vorkommen, und die Bleikolik bei Arbeitern in den Bleiweißfabriken (die jedoch in neuester Zeit viel seltener ist als früher), so äußern doch im Ganzen die zahlreichen Fabriken und Gewerbe keinen schädlichen Einfluß auf den allgemeinen Gesundheitszustand und die Sterblichkeit, weil die Nahrungsmittel hier reichlicher sind, als in vielen anderen | Fabrikorten, die Polizei solche strenge überwacht, die vielen Brunnen treffliches erfrischendes Wasser liefern, und außer dem Neckar noch besondere Badeanstalten zur Reinigung des ganzen Körpers gute Gelegenheit darbieten.

Schon die alten Heilbronner hatten für öffentliche Badstuben Sorge getragen. Nicht nur die Israeliten hatten ihr Judenbad, auch für die Christen waren drei öffentliche Gebäude, zwei mit Bädern für Erwachsene und eines als Kinderbad eingerichtet. Verpflichtete Bader standen diesen Anstalten vor. Im Jahr 1600 erließ der Rath eine Badeordnung, und es war insbesondere Sitte, daß alle, welche zu einer Hochzeit giengen, den Samstag zuvor Bäder gebrauchten. Der dreißigjährige Krieg machte all diesem ein Ende. Im Frühjahr 1735 mußte man den Russen, die unter Lascy hier im Quartier lagen, russische Bäder bauen, und erst 1831 wurde hier wieder ein russisches Schwitzbad erbaut, 1837 das Linsenmeyer’sche Bad eingerichtet, 1851 eine Schwimmschule auf dem Neckar.

Solche Reinigungsanstalten und das Baden im freien Neckar sind in einer Fabrikstadt besonders wohlthätig.

Die Krätze, welche in den Jahren 1848 und 1849 sehr überhand genommen hatte, hat sich nach und nach wieder vermindert.

Die Gesundheitsverhältnisse in den Amtsorten sind noch günstiger als in der Oberamtsstadt. Viele Wochen können vergehen, bis in einem Dorfe bösartige Erkrankungsfälle vorkommen, und es ist eine große Seltenheit, wenn eine Typhus-Epidemie in einem solchen sich zeigt, wie im Jahr 1855 zu Großgartach. Die epidemischen Kinderkrankheiten kommen allerdings, wie anderwärts, vor, zumal in neuerer Zeit das Scharlachfieber. So waren im Jahr 1856 Neckargartach, Frankenbach und Kirchhausen von Scharlach und Masern heimgesucht, und in Flein, Happenbach und Abstatt steigerten sich diese Krankheiten zur Epidemie, so daß Staatsfürsorge nothwendig war. Auch die Lustseuche ist in den Dörfern selten; leider aber nimmt sie mit der Zahl der fremden Fabrikarbeiter in der Stadt zu. Schon das Heilbronner Rathsprotokoll vom Dienstag nach Trinitatis 1537 spricht von einem „Franzosenhäuslein“, in welches des Todtengräbers Weib gewiesen worden ist, bis sie der „Franzosen“ geheilt wurde.

Im Jahr 1853 hat im Lande eine statistische Aufnahme der an bestimmten Krankheitsformen und Gebrechen Leidenden, und zwar der Irren und Cretinen, der Blinden und Taubstummen stattgefunden.

| Zur Charakteristik des Heilbronner Bezirks entnehmen wir den Ergebnissen jener Aufnahme folgende Notizen:

Die Zahl der Irren betrug 33 Personen, 20 männliche und 13 weibliche; darunter waren 8 Trübsinnige oder Schwermüthige (5 männl., 3 weibl.), 3 Tobsüchtige oder Rasende (3 männl.), 12 Wahnsinnige oder Verrückte (6 männl., 6 weibl.), 10 im späteren Alter blödsinnig Gewordene (6 männl., 4 weibl.). Dazu kamen 41 Cretinen (19 männl., 22 weibl.), somit Geisteskranke überhaupt 74 (39 männl. und 35 weibl.).

Es kam hiernach 1 Irrer auf 925 Einwohner. Der Landesdurchschnitt war 1:943 Einwohner; die Extreme waren 1:518 (Stuttgart) und 1:2503 (Marbach). Der Bezirk Heilbronn nahm die 28te Stelle unter den 64 Oberämtern ein, wenn man bei demjenigen, der die meisten Irren hat, zu zählen anfängt.

Ein Cretine kam auf 744 Einwohner; der Landesdurchschnitt war 1:484; die vorkommenden Extreme waren 1:102 (Gaildorf) und 1:1512 (Ellwangen, Stuttgart). Heilbronn hatte die Ordnungszahl 41.

Ein Geisteskranker kam hiernach auf 412 Einwohner. Der Landesdurchschnitt war 1:320; die Extreme 1:96 (Gaildorf) und 1:767 (Ellwangen).

Taubstumme gab es 21 (10 männl., 11 weibl.). Ein Taubstummer kam auf 1453 Einwohner. Der Landesdurchschnitt war 1:962; die Extreme Hall 1:370 und Münsingen 1:3215. Heilbronn hatte die Ordnungszahl 42.

Blinde wurden 24 gezählt (17 männl., 7 weibl.). Ein Blinder kam auf 1271 Einwohner; der Landesdurchschnitt war 1:1194; die Extreme 1:649 (Blaubeuren) und 1:2799 (Freudenstadt). Heilbronn hatte die Ordnungszahl 38.

Von den 74 Geisteskranken trafen 21, von den 24 Blinden 9, von den 21 Taubstummen 5 auf die Stadt Heilbronn.

Über die musikalische Anlage der Bevölkerung läßt sich bemerken, daß der Ton der Stimmen etwas höher zu sein scheint, als in Schwaben. Klangreiche Stimmen sind nicht selten, was man bei den Herbstgesängen beobachten kann. Die zweite Stimme wird nicht immer in Terzen, sondern auch in Quinten gesungen.

Da die meisten Bewohner des ganzen Oberamts dem fränkischen Stamme angehören, so sind sie redseliger und lebhafter, als die Schwaben. Der Handel, welcher in Heilbronn schon lange her schwunghaft betrieben wird, und die bedeutenden Märkte, bringen | die Einwohner der Stadt und Umgegend viel mit Handelsleuten, Schiffern u. s. w., insbesondere mit den noch beweglicheren Rheinländern in Geschäftsberührung. Von jeher sehen sich auch viele Jünglinge, welche sich dem Handel oder Gewerben widmen, gerne in der weiten Welt um, ehe sie sich in der Heimath niederlassen, so daß der Bezirk sich sehr von solchen unterscheidet, deren Bewohner sich fast ausschließlich mit Ackerbau und Waldwirthschaft beschäftigen.

Diese eigenthümlichen Verhältnisse haben ihr Gutes und ihr Schlimmes. Der Heilbronner ist fleißig und unternehmend und wagt eher, als daß er seine Hände in den Schooß legt; er ist gefällig gegen Fremde, hat etwas feinere Formen im Umgange, ist höflicher, wird aber vielleicht vom Schwaben an inniger Herzlichkeit übertroffen; er ist schnell entschlossen, übereilt sich aber deßhalb auch oft und würde manchmal besser thun, länger zu überlegen, und Neuerungen, die man ihm anpreist, vorher besser zu prüfen. Er hat Geschmack und Sinn für das Schöne und Gefällige. Er ist freigebig, wohlthätig gegen Nothleidende und eher zur Verschwendung als zum Gegentheil geneigt. Geizige werden immer seltener, dagegen fehlt es nicht an Aushausern, die in den Tag hinein leben und sich auf die Unterstüzungen Anderer verlassen, insbesondere in der Stadt, wo von Manchen unverschämte Anforderungen an die Armenanstalten und an Wohlhabende gemacht werden.

In Religionssachen zeigt der Heilbronner mehr die Eigenthümlichkeiten des fränkischen als des schwäbischen Stammes. Intoleranz und Schwärmerei liegen ihm fern. Jedoch hat in neuerer Zeit auch das Sektenwesen mehr um sich gegriffen.

Göthe sagt in einem Briefe dd. Heilbronn 28. Aug. 1797: Die Menschen sind durchaus höflich und zeigen in ihrem Betragen eine gute, natürliche, stille, bürgerliche Denkart. Die Mägde sind meist schön, stark und fein gebildete Mädchen und geben einen Begriff von der Bildung des Landvolks.

All dieses gilt vorzugsweise von dem Stadtbewohner, aber die Einwohner der nächstliegenden Orte neigen sich ebenfalls zu diesen guten und schlimmen Eigenschaften hin.

In Beziehung auf die Mundart bildet Heilbronn einen nicht uninteressanten Knotenpunkt, in welchem sich verschiedene Dialecte kreuzen. Im Allgemeinen ist die Heilbronner Mundart unzweifelhaft eine fränkische, wenn auch mit schwäbischer Schattirung zu nennen. Näher betrachtet stoßen hier drei Dialecte zusammen, der rheinfränkische in seiner pfälzischen, der ostfränkische in der hohenlohe’schen, | der schwäbische in der Unterländer Spielart. Von diesen drei Elementen ist das pfälzische Element das stärkste, das schwäbische das schwächste. Was dem Pfälzischen und Ostfränkischen gemeinsam ist, wird sich fast durchaus in der Heilbronner Redeweise wieder finden. Insbesondere ist in dieser Beziehung die Vermeidung der vielen Diphtonge und Nasallaute gegenüber von dem Schwäbischen charakteristisch. Die oî, aû, ei des Schwaben fließen in der Regel in einfache Vokale zusammen, namentlich in das lange ā, z. B.: I maan, i glaab’, i waß, ma Fraa, ’s Flaasch etc. Zu den bekanntesten Unterscheidungszeichen gehört ferner die Aussprache des g als ch nach Vokalen, und als „ich“ nach r und l, Morrichá für Morgen, saachá für sagen. Ebenso charakteristisch ist die Vorliebe für Kürzungen langer Silben und Verdopplung der Consonanten, z. B. Fridderich für Friederich, er lefft für er läuft, norr für nur, Haffá für Hafen. Das b wird in solchen Fällen wie ein doppeltes w ausgesprochen: awwer statt aber, Gawwel statt Gabel, mer hawwá statt wir haben, Owwerichkeit für Obrigkeit. Das U, das im Schwäbischen gern vor n in ein nasales langes O übergeht, wie in ōnd, hondert (statt und, hundert), wird rein ausgesprochen; es wird sogar umgekehrt das o vor n gern in ein u verwandelt, sunst statt sonst, gspunná für gesponnen. Nur vor r verwandelt sich das u in ein o: Worscht, Dorscht, norr für Wurst, Durst, nur. Ei u eu haben die Neigung sich in ai zu verwandeln: Hai statt Heu, zwai, Fraitach; wo sie nicht ganz, wie in den obigen Fällen, in ein langes a übergehen.

Dagegen fehlen dem Heilbronner noch die eigentlichen Specifica der Pfälzer Mundart, das Ausstoßen des f in Pf: Palz statt Pfalz; die Verwandlung des nd in nn: anners statt anders; die Vorliebe für das e und ä: statt ei, ai, wie in Räsen statt Reisen, eener statt einer, Mähns statt Mainz, Häddelberg; ebenso der geregelte Gebrauch der Vorsilbe ge im Perfekt, die der Heilbronner nur vor Vokalen und einigen bestimmten Consonanten, und dann mit Ausstoßung des e gebraucht, z. B. glaabt für geglaabt, trunken für getrunken, gmaant für gemeent (gemeint).

Dem Ostfranken (zunächst Hohenloher) gegenüber fehlt dem Heilbronner das lange o für a: kôlt für kalt, Hôs für Hase, das Diminutivum lich: ein Häffelich, Madlich etc.

Vom Schwäbischen hat die Heilbronner Mundart unter Anderm den Gebrauch des sch in vielen Fällen, wo das Fränkische das bloße s sezt. So wird das schwäbische Ischt, das der Franke in is verwandelt, in Heilbronn zu einem Isch. Der Schwabe sagt: was | moîscht, der Pfälzer was meenst’de, der Heilbronner was maansch. Auch das Diminutivum le, wo der Pfälzer che, der Ostfranke lich sezt, gehört dahin.

Dem Rheinländer machen sich diese schwäbischen Züge der Heilbronner Sprechweise schon sehr bemerklich; dem Schwaben dagegen verschwinden sie gegenüber von dem fränkischen Gesammtcharakter.

Wenn der Schwabe die Heilbronner Mundart mit der jüdischen vergleicht, so beruht dieß darauf, daß der von vielen Juden bei uns gesprochene Dialect ebenfalls eine Mischung süddeutscher Mundarten mit Vorherrschen der rheinfränkischen ist.

Diese Mischung in der Heilbronner Mundart hat innerhalb des Bezirks noch verschiedene Nuancen. In den badischen Gränzorten Fürfeld, Bonfeld, Ober- und Unter-Eisesheim ist das Pfälzische noch stärker vertreten; in den altwürttembergischen und nördlichen Orten Horkheim, Abstatt, Gruppenbach sind die schwäbischen Elemente vorherrschender; die Stadt mit den reichsstädtischen und deutschorden’schen Gemeinden steht in der Mitte.


c. Leben und Sitten.
1. Wohnung.

Die Häuser haben meistens einen steinernen Stock, auf welchem zwei Stockwerke aus Riegelwandungen stehen. Alle sind mit gebrannten Ziegeln bedeckt und zwar in der Stadt schon seit 1500. In den Dörfern haben die Wohnhäuser meistens zwei Stockwerke; die Scheuern sind auf dem Lande gewöhnlich vom Wohnhause abgesondert. Der Reichthum an Bausandsteinen, Kalksteinen, Lehm, Gyps und Bausand begünstigt sehr den Bau guter Häuser, nur die Balken und Bretter werden zum Theil aus größeren Entfernungen herbeigeführt.

Die Dörfer in der Nähe der Residenz und etwa die nach einer Feuersbrunst neu aufgebauten Dörfer des Landes ausgenommen, werden nirgends bessere Gebäude zu finden sein, als im Oberamte Heilbronn.


2. Nahrung und Kleidung.

Bei der Fruchtbarkeit des Bodens, welcher Getreide, Kartoffeln und Gemüse aller Art, Obst, Weintrauben und Mohn hervorbringt, und bei einer starken Viehzucht kann es nicht fehlen, daß auch der Bauer gute Kost und reichliches Getränke genießt; auch seine Kleidung ist so gut, als nur irgendwo in Württemberg.

| In der Stadt sieht man keine barfüßigen Leute, und auf den Dörfern gehen nur Kinder barfuß, und auch diese blos im Sommer. Die Tracht hat nichts Eigenthümliches; auch in den Dörfern verschwindet immer mehr der dreispitzige Hut, die Lederhose und der Zwillchrock.


3. Besondere Gewohnheiten

finden sich wenige vor. Bei Taufen, Hochzeiten und Leichen wird wie im übrigen Lande gegessen und getrunken. Sogenannte Zechhochzeiten kommen aber nicht vor. Da die meisten Einwohner selbst Wein haben, so werden solche Familienmahlzeiten gewöhnlich in den Wohnungen der Familienväter gehalten.

Von altdeutschen Gebräuchen finden sich nur noch wenige Spuren. Das Fest des ersten Austreibens der Kühe in Heilbronn am Pfingstmontag, wobei die Kühe mit Blumen und Kränzen geschmückt und auf burleske Weise mit Kleidungsstücken, oft mit satyrischen Anspielungen auf lächerliche Moden, behängt worden sind, hat mit der Aufhebung der Viehweide aufgehört (1807).

Das Osterfest bringt auch hier noch den Kindern gefärbte Eier und Backwerke, den Alten das leckerhafte Fleisch gut gemästeter Osterochsen, weil die Metzger der Stadt unter einander wetteifern, in der Osterwoche den schwersten Ochsen zu schlachten.

Am Tage Johannes des Täufers (24. Juni), zur Zeit wo auch die alten Deutschen das Fest des Sonnenrades (Jolfest) gefeiert haben, springen noch jetzt die ledigen Leute in Sontheim über ein Feuer, und die Weingärtner in Heilbronn bekränzten noch bis 1803 eine hölzerne Bildsäule des Heiligen, die zu einem Schmause getragen wurde. Jetzt wird noch der sogenannte „Johannissegen“ dadurch gefeiert, daß man Abends Tische vor die Häuser trägt, und daran mit Verwandten und Freunden sizend, Wein, Kuchen etc. verzehrt.

Das Martinsfest (11. Nov.) wird nicht gefeiert, nur Knaben vermummen sich noch als „Pelzmärte“, machen ein Getöse mit Schellen und werfen wohl auch noch Erbsen an Fenster, daß die Scheiben klirren.

Allgemein aber ist es wie im übrigen Deutschland, daß man auf Weihnachten die Seinigen mit Kleidern und andern Gaben, die Kinder mit Spielsachen und Zuckerbackwerk beschenkt, und daß dabei ein Fichtenbaum mit Lichtern, vergoldeten Nüssen, Marcipan u. s. w. behängt, im Zimmer aufgestellt wird.

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4. Vergnügungen.

Der Städter unterhält sich nur zu viel in Gasthäusern und Weinschenken. In keinem Orte des Königreichs wird so viel Wein verzehrt, als in der Stadt Heilbronn, wo in mehr als 200 Häusern Gelegenheit dazu ist, und da auch die Weingärtner ihren selbst erzeugten Wein ausschenken dürfen, so ist schon das siebente Wohnhaus ein solches gewesen, in dem man zechen kann.

Wenn der Wein wohlfeil ist, so geht sein Verbrauch in’s Unglaubliche. Ein einziger Bäcker, dem Gasthof zur Sonne gegenüber, hatte in den Jahren 1816 bis 1820 jährlich 2400 fl. bis 2700 fl. Umgeld zu bezahlen. Er schenkte jährlich 400 bis 500 Eimer, an manchen Tagen 11/2 Eimer in nur zwei Zechstuben aus.

Daher kommt es, daß das Umgeld allein von der Stadt jährlich im Durchschnitt 30.000 fl. beträgt, eine Summe, welche die ganzen Oberamtsbezirke Neckarsulm und Brackenheim mit einander nicht zu entrichten haben.

Doch ist darunter auch die Abgabe für Bier und Branntwein begriffen. Das Biertrinken nimmt mit dem Tabackrauchen von Jahr zu Jahr mehr überhand, das Branntweintrinken hat seit den Kriegsjahren wieder abgenommen.

Diese Menge Getränke werden jedoch nicht allein von den Einwohnern genossen; die vielen Reisenden, Schiffer, Fuhrleute, Flözer, Tausende von Marktleuten an Messen, Märkten, und die Besucher von Festen bringen ebenfalls durstige Kehlen in die Stadt.

Der Besuch der Heilbronner Messen, insbesondere am 1. Mai, und der sechs Viehmärkte gilt dem Landvolk aus der ganzen Umgegend als eine Volksbelustigung, wobei viel Wein, Würste und Backwerk verzehrt wird. Bewegliche Kochherde werden vor Häusern und beim Schießhause, wo die Märkte abgehalten werden, errichtet, auf denen den ganzen Tag das Schmalz in den Bratkacheln zischt, und der Geruch von Bratwürsten und Kesselfleisch zum Genusse einladet. Aber auch der strenggläubige Jude findet in der Bude eines Israeliten koscheren Wein und erlaubte Speisen.

Es fehlt an Schaubuden, an Bildern mit Mordscenen und Ähnlichem so wenig, als auf anderen großen Märkten des Landes.

Das Schönste auf den Heilbronner Viehmärkten bleibt immer die große Menge Viehes vom Neckarschlage, das im Schatten hundertjähriger Weidenbäume aufgestellt ist, und um welches nicht nur Metzger und Landleute der Umgegend, sondern auch viele Händler aus dem Hohenlohe’schen, aus den Rheingegenden u. s. w. feilschen.

| Da weiß sich denn der Bauer allein gar nicht mehr zu helfen und zu rathen. Umgeben von der großen Menge Viehs, die ihm entgegen blickt, weiß er nicht, was er wählen, wie viel er bieten solle, und der Verkaufslustige weiß nicht, wie viel er verlangen solle. So kommen dann die Juden als Schmuser zu Hülfe. Sie ertheilen dem unschlüssigen Bauern den Rath. Der Verkäufer will aber mehr, es wird hin und her geredet, und wenn die Bauern sich über den Preis fast geeinigt haben, so nimmt der Schmuser jeden bei einer Hand und patscht die Hände fast mit Gewalt zusammen. Die Leute sind nun einig, der Jude erhält sein Schmusgeld, gratulirt dem Käufer zu dem erkauften Vieh und eilt, um noch mehr Händel (Kauf-Verträge) zu Stande zu bringen.

So viel auch diese Juden verdienen, so sieht man doch keinen Betrunkenen, denn sie sind nüchtern und sparsam, während manche Christen gegen Abend vom Weine überwältigt nach Hause taumeln und manche Frau den Mann mit dem Vieh heimführen muß.

Auch auf den Kirchweihen spielt der Wein die Hauptrolle, dabei der Gesang und der Tanz.

Mit Karten und Kugeln wird aber weniger gespielt als im Bierlande.

Die Hauptbelustigung der Heilbronner ist die Weinlesezeit oder der sogenannte Herbst. Nirgends wird die Traubenlese so fröhlich vorgenommen als hier. Wo nämlich ein geringerer Wein wächst, als in Heilbronn, da kann man sich seiner nicht so recht erfreuen und wo ein sehr feiner Wein gezogen wird, wie z. B. am Rhein, da ist er zu kostbar. Das ganze Dichten und Trachten des Winzers am Rhein geht dahin, keinen Tropfen des edeln Saftes zu verlieren, und denselben so sorgfältig als nur immer möglich zu behandeln. Dort ist die Weinlese ein sehr sorgenvolles Geschäft, in Heilbronn verbreitet sie Freude, und bei der Gastfreundschaft der Heilbronner freuen sie sich darüber, wenn andere die Trauben ihrer Berge lieblich finden und wenn die Gäste von dem Weine begeistert werden.

In Heilbronn haben nicht blos die Weingärtner Weinberge, sondern viele wohlhabende Leute.

Diese hören es gerne, wenn die Mädchen, welche die Lese vornehmen, muntere Lieder singen, und der Buttenträger sie mit tiefer Stimme begleitet.

Noch während der Tag grauet, ziehen die „Leser“ singend vom Hause des Weinbergbesitzers durch die Stadt hinaus in die Berge. Unter scherzenden Reden werden die Trauben in die Kübel geschnitten, | dem Buttenträger auch manchmal heimlich ein Buzen (kurzer Pfahl mit Weinranken) in den Butten gesteckt, und singend und jolend tanzt der Treter im Tretzuber herum. Jubelgeschrei, wenn die Weinlese gut ausfällt, hallt von den Bergen und Knaben und Jünglinge schießen Pistolen und Böller ab. Zur Mittagszeit lagert sich die Lese um ein lustiges Feuer, Brod und Wein verzehrend.

Damit aber der Wein auf die süßen Trauben, die im Übermaaß genossen worden sind, nicht sauer schmecke, so muß ein scharfer Käse das Brod würzen.

Nach dem Essen wird weiter gelesen, bis die eingebrochene Dämmerung der Arbeit ein Ende macht. Aber jetzt eilt man noch nicht nach Hause, wie anderwärts, jetzt wird noch einmal gegessen und getrunken und gescherzt und gesungen, bis die aus Pfählen des Weinbergs geschnitzte Fackel hell auflodert, und die ganze Lese mit der Familie des Weinbergherrn singend und jubelnd nach Hause zieht.

Abends werden da und dort Feuerwerke in den Weinbergen abgebrannt, und die Gäste Nachmittags mit Kaffee, nachher mit Wein, Trauben und Braten bewirthet. Nicht leicht fehlt die Bratwurst, im Weinberge selbst gebraten, und mit einem Stück Brod aus der Hand verspeist.

Es macht einen sehr freundlichen Eindruck, wenn man an einem Weinleseabend die Tausende von fröhlichen Menschen jeden Standes und Alters beobachtet, wie sie in der frischen Herbstluft einen gesunden Appetit zeigen, welchen der gastfreundliche Wirth zu befriedigen sucht, wie überall gejubelt und gesungen, da und dort getanzt und gesprungen und gespielt wird, wie die Glöckchen der trabenden Mostkarrenpferde läuten, die Schießgewehre krachen und bei Nacht die Raketen brausen, die romanischen Lichter ihre Sterne ausstreuen, die Feuerräder brillante Funken sprühen und bengalische Flammen die Weinberge in den schönsten Farben erleuchten.

Vom Wartberge aus glaubt man die Wachtfeuer eines großen Feldlagers, und wenn bei eingebrochener Nacht hunderte von Fackeln von den Bergen herabsteigen und nach der Stadt wallen, den gestirnten Himmel unter sich zu erblicken.


d. Familienverhältnisse.
Majorate, Fideicommisse, Lehengüter kommen im Bezirke nur bei Adeligen vor. Die Bauerngüter gaben zwar Zehenden, Gülten, Landachten u. dergl., aber ihre Vererbung erfolgte nach dem | gemeinen Rechte, so daß z. B. der Erstgeborene als der Älteste der Familie kein Vorrecht hat.


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