Beschreibung des Oberamts Leonberg/Kapitel B 20
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Das im Jahr 1699 gegründete Dorf Perouse liegt 2 Stunden westlich von der Oberamtsstadt; der nicht große, in die Länge gedehnte Ort ist an zwei geraden, parallel laufenden, steinbeschlagenen Straßen gebaut, die von einigen Querstraßen rechtwinklig durchschnitten werden. Die meist kleinen, jedoch freundlichen Wohnungen stehen beinahe alle frei, indem sie durch Hofräume und Gärtchen von einander getrennt sind.
Die 1738 erbaute Pfarrkirche liegt an einer Kreuzstraße, in der Mitte des Orts; auf dem nördlichen Giebel sitzt ein kleines Thürmchen mit Uhr und einer 1837 von L. Neubert in Ludwigsburg gegossenen Glocke. Die Unterhaltung der Kirche haben die Gemeinde- und die Stiftungspflege gemeinschaftlich zu bestreiten. Der Begräbnißplatz liegt von allen Seiten frei an der Südseite des Orts. Das zunächst der Kirche gelegene, 1762 erbaute Pfarrhaus hat ebenfalls die Gemeinde zu erhalten, welche bei ihrer Mittellosigkeit nur die nothdürftigen Baukosten darauf verwendet. Das ziemlich gut erhaltene, geräumige Schulhaus liegt der Kirche gegenüber und enthält zugleich die Wohnung des Lehrers und Gelasse für den Gemeinderath. Neben der Volksschule, an welcher nur ein Lehrer unterrichtet, besteht auch eine Industrieschule.
Das Pfarrdorf hat eine hohe, freie Lage und vermöge dieser und der ganz nahe liegenden Waldungen eine sehr gesunde, jedoch etwas rauhe Luft; dagegen fehlen laufende Brunnen und die Gemeinde ist an einen erst im Jahr 1807 gegrabenen Zugbrunnen gewiesen, der in sehr trockenen Sommern schon versiegte, so daß das Wasser aufwärts geholt werden mußte. Indessen bestehen noch einige Cisternen und eine Wette am südöstlichen Ende des Orts.
Die Einwohner, deren Voreltern aus Piemont einwanderten (s. unten), haben sowohl an ihrem Äußern als in ihrem Charakter noch manche Spuren italienischer Abstammung; sie sind gewandt im Umgang, rührig, speculativ und sehr fleißig, aber auch wegen der vielen Holzexcesse, welche sie in den nahe gelegenen Waldungen begehen, berüchtigt. Ihre Mundart ist im Laufe der Zeit beinahe ganz die schwäbische geworden, während sich ihr früheres Patois, ein Gemenge von der französischen und italienischen Sprache, nur noch in einzelnen Familien erhalten hat. Trotz ihrer Rührigkeit sind die Einwohner meist unbemittelt, da bei der im Verhältniß zu der Bevölkerung kleinen Ortsmarkung ihre Haupterwerbsquellen, Feldbau und Viehzucht, gering sind, und der Kleinhandel, so thätig sie ihn auch betreiben, ihnen wenig einbringt. Die Feldmarkung, | welche sich nur gegen Süden und Westen ausdehnt, während die nördliche und östliche Grenze derselben an den äußersten Häusern des Dorfs hinzieht, ist ziemlich eben und hat im Allgemeinen einen mittelfruchtbaren, kalkhaltigen Boden, der sich zum Anbau der gewöhnlichen Cerealien ziemlich eignet.Die Landwirthschaft wird im Dreifeldersystem gut betrieben; man baut Dinkel, Hafer, Gerste, ziemlich viel Weizen, etwas Roggen, Linsen, Wicken und in der zu 1/4 angeblümten Brache Kartoffeln, Futterkräuter und etwas Mohn; Hanf wird in Ländern nur zum eigenen Bedarf gezogen. Auf den Morgen rechnet man Aussaat an Dinkel 1 Schffl., an Hafer 4 Sri., an Weizen 21/2 Sri. und der Ertrag wird im Durchschnitt zu 6 Schffl. Dinkel, 31/2 Schffl. Hafer und 21/2 Schffl. Weizen per Morgen angegeben. Der höchste Preis eines Morgens Acker beträgt 400 fl., der mittlere 200 fl. und der geringste 20 fl. Die Wiesen, denen größtentheils Wässerung zukommt, ertragen im Durchschnitt per Morgen 24 Cent. Heu und 10 Cent. Öhmd; ihre Preise bewegen sich von 200-300 fl. per Morgen.
Die Obstzucht ist mittelmäßig und beschränkt sich auf Mostsorten und etwas Zwetschgen; Frühlingsfröste und Thaue schaden zuweilen dem Obst, das übrigens im Allgemeinen ziemlich gut gedeiht, so daß in ganz günstigen Jahren noch einiger Verkauf nach Außen stattfindet.
Die nicht sehr ausgedehnte Rindviehzucht wird durch zwei der Gemeinde gehörige Farren unterhalten; der Handel mit Vieh, zuweilen auch mit Pferden, ist von keinem Belang. Schafzucht besteht nicht; ein fremder Schäfer beweidet mit etwa 200 Stücken die Brach- und Stoppelweide und bezahlt hiefür der Gemeinde einen jährlichen Pacht von etwa 115 fl., woneben die Pferchnutzung jährlich 150-200 fl. einträgt. Die Zucht der Schweine ist unbedeutend, ebenso die der Bienen.
Was die Gewerbe betrifft, so beschränken sich diese auf die nöthigsten Professionisten; auch bestehen im Ort 2 Schildwirthschaften und 2 Kramläden. Der emsige Betrieb des Kleinhandels mit Obst, Erdbeeren, Himbeeren, Gemüse, Flachs, Hanf u. s. w. gewährt mancher Familie ihr, wenn auch spärliches, Auskommen.
Die Gemeinde besitzt nicht nur kein Vermögen an Liegenschaften oder Kapitalien, sondern hat noch über 3000 fl. Schulden und dabei die Obliegenheit, Kirche, Pfarr- und Schulhaus zu unterhalten. Das Vermögen der Stiftungspflege besteht in 800-900 fl. Kapitalien. (S. Tab. III.)
Grundherrliche Gefälle auf der Markung hatte nur der Staat zu beziehen, welcher auch Großzehentherr ist. In den kleinen Zehenten theilte sich mit der Ortspfarrei jene zu Heimsheim.
| Nördlich am Ort vorüber führt in schnurgerader Richtung die ehemalige Römerstraße von Canstatt nach Pforzheim.Perouse ist, wie bereits erwähnt, im Jahr 1699 von 60 eingewanderten Waldenser-Familien auf Gütern, welche auf der Markung Heimsheim in Folge des dreißigjährigen Krieges öde lagen, gegründet worden (Keller, Geschichte der Waldenser, S. 33; Moser, Gesch. der Waldenser, S. 256, 270). Der Name ist von der piemontesischen Heimath übertragen; indem sich die Communauté de Perouse (Perosa) hier niederließ. Anfänglich bestanden die Wohnungen der Colonisten nur aus Hütten von Holz, welche sie für den augenblicklichen Bedarf leicht erbauten; das erste solide Gebäude war ein kleines Bethaus, nach dessen Vollendung bald das Dorf in seiner gegenwärtigen Gestalt erbaut wurde. Der erste, vermuthlich miteingewanderte Pfarrer Javel, mußte Anfangs die Kinder in den benachbarten Kirchen zu Heimsheim und Mönsheim taufen, und erst vom Jahr 1703 an wurden die Taufen etc. im Ort selbst vollzogen. Die ursprüngliche Confession der Eingewanderten war die reformirte, später zogen lutherische Familien aus der Umgegend in den Ort, so daß etwa 1/3 der Einwohner sich zur lutherischen Lehre bekannte. Letztere waren nach Heimsheim eingepfarrt und die übrigen, denen noch bis zum Jahr 1825 französisch gepredigt wurde, hatten ihren eigenen reformirten Pfarrer, der unter dem reformirten Dekanat Canstatt stand. Im Jahr 1825 vereinigten sich beide Confessionen, wo dann auch die lutherischen Mitglieder der Gemeinde aus Heimsheim ausgepfarrt wurden, das der Gemeinde zustehende Präsentationsrecht des Pfarrers und Schulmeisters aufhörte und die Besetzung dieser Stelle dem Staate zukam.
Im November 1839 wurde das Eigenthum der Gemeinde von dem der Gemeinde Heimsheim ausgeschieden und der Gemeinde Perouse eine eigene Markung zugetheilt.
Wie bei Heimsheim erzählt, übergab Herzog Karl Alexander im Jahr 1734 seiner Gemahlin das Dorf Perouse auf ihre Lebenszeit.
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