Beschreibung des Oberamts Leutkirch/Kapitel A 7
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Gegen das Ende des 11. Jahrhunderts stieg die Macht der Welfen, welche ihre Besitzungen im Norden des Bodensee durch Wegnahme vieler St. Gallenscher Klostergüter, durch das Erbe des Grafen Otto von Buchhorn (1089) und durch die Fehde mit Ulrich und Mangold von Bregenz (1093) in der Art vermehrten, daß sie einen großen Theil auch dieses Bezirkes in ihren Besitz bekamen.
Ihre Nachfolger waren die Hohenstaufen, die jedoch gegen das Ende ihrer Blüthe viele Güter als Dienst- und Soldlehen hingaben. Nach ihrem Fall änderte sich der Besitzstand vielfältig. St. Gallen verlor gegen das Ende des 13. Jahrhunderts fast alle seine diesseitigen Güter. Wurzach kam an das Haus der Waldburge (1300. S. Ortsbeschreibung), Waltershofen an die Schellenberge und von diesen ebenfalls an die Waldburge. Zeil, die Freigemeinden und Leutkirch wurden an die Montfort verpfändet, von welchen Zeil vorerst als Pfandschaft, später als Reichslehen an die Waldburge kam. Die Herrschaft Marstetten gieng als Kemptensches Lehen an verschiedene Edle, zuletzt durch Kauf an Waldburg-Wurzach über, wie denn das Waldburg’sche Haus auch die Petershausen’schen Güter und die Reichsritterschaftliche Herrschaft Altmannshofen acquirirte. Von benachbarten edeln Geschlechtern hatten die Erolzheim, Ellerbach, Schellenberg u. a. besonders im Illerthal Besitzungen. Die Stadt Leutkirch, geschützt durch ihre Bündnisse mit den Reichsstädten behauptete ihre Unabhängigkeit und wurde Reichsstadt, während die| Freigemeinden mit der Landvogtei an das Erzhaus Österreich kamen und in der Folge dessen Unterthanen wurden. Zu ansehnlicher Blüthe erhob sich das Kloster Roth, das seine Güter durch Kauf und Schenkung vermehrte und sich in die Reihe der unmittelbaren Reichsabteyen stellte, während Ochsenhausen und Weingarten ihre diesseitigen Besitzungen ebenfalls ausdehnten.So bildete sich allmählig der unter acht Herren getheilte Besitzstand des Bezirkes aus, der bis zu dem Anfang dieses Jahrhunderts bestand, und oben S. 3 angegeben worden, im Einzelnen aber aus der Ortsbeschreibung näher zu ersehen ist.
Der Reichsfriedens-Hauptreceß (1803) führte die Veränderung herbei, daß der Graf von Wartemberg die aufgehobene Abtey Roth nebst Gebiet, und der Graf Schäsberg das ochsenhausische Amt Thannheim als Reichsgrafschaften erhielten. Das Weingarten’sche Amt Ausnang (Gem. Hofs) das an Nassau-Oranien fallen sollte, sequestrirte Österreich und behielt es durch Vertrag von 1804. Die Reichsstadt Leutkirch fiel als Mediat-Stadt dem Kurfürsten von Bayern zu.
Durch den Preßburger Frieden von 1805 und die Rhein-Bundesacte vom 12. Juli 1806 verlor Österreich seine Besitzungen in Schwaben; die reichsständischen und ritterschaftlichen Herrschaften wurden mediatisirt, und kamen unter die Oberhoheit der Könige von Bayern und Württemberg, und zwar die Fürsten von Zeil und Wurzach, und die Grafen von Wartemberg-Roth und Schäsberg-Thannheim unter die Württembergische, die Fürstlich Wolfegg’sche Herrschaft Waltershofen unter bayrische Souveränität. Auch erhielt Bayern die österreichische sogenannte obere Landvogtey und das Amt Ausnang. Durch den Staatsvertrag vom 18. Mai 1810 aber trat die Krone Bayern alle ihre Besitzungen und Rechte im dermaligen Oberamtsbezirk an Württemberg ab, welches nun in den alleinigen Besitz desselben gelangte und daraus in demselben Jahr ein eigenes Oberamt mit dem Sitz in Leutkirch bildete.
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Die Pflanzung und Ausbreitung des Christenthums unter den Bewohnern dieser Gegenden ist das Werk der irischen Glaubensboten, der Heiligen Columban und Gallus, und der Jünger des Letztern, Mang und Theodor, welche in der ersten Hälfte des 7ten Jahrhunderts vom Allgäu, namentlich aber von Bregenz und Kempten aus, ihre segensvolle Wirksamkeit theils unmittelbar, theils mittelbar auch über unseren Bezirk ausdehnten.[2] Die älteste urkundlich erwähnte Kirche ist die „Leutkirch" selbst, Chirichun, v. J. 827.
Der ganze Bezirk liegt in dem Sprengel des ehemaligen Bisthums Constanz. Die Pfarreien waren größerntheils dem Landcapitel Isny, einige auch den Landcapiteln Dietenheim und Wurzach zugetheilt. So lange Archidiaconate bestanden, gehörten die beiden letzteren Capitel zum Arch. Illergau, das erstere zum Arch. Allgäu.
a) Dem Landcapitel Isny gehörten an: Leutkirch, Aichstetten, Aitrach, Altmannshofen, Diepoldshofen, Gebratzhofen, Engeratzhofen, Meratzhofen, Herlatzhofen, Reichenhofen, Zeil, Urlau, Willerazhofen, Hofs, Seibranz, Waltershofen.
b) Dem Landcapitel Wurzach: Wurzach, Ellwangen, Hauerz, Threerz.
c) Dem Landcapitel Dietenheim: Berkheim, Haslach, Kirchdorf, Ober-Opfingen, Thannheim.
Alle diese katholischen Pfarrstellen sind jetzt in dem im Jahr 1810 gebildeten Decanatsbezirk Leutkirch vereinigt, und seit 1817 dem Landesbisthum Rottenburg untergeordnet. Nur wenige Parzellen, welche in der Ortsbeschreibung bemerkt werden, sind als Filialien auswärtiger Pfarreien den Decanaten Wangen und Waldsee zugetheilt.
Kloster-Stiftungen und geistliche Vereine bestanden: a) die Prämonstratenser- oder Norbertiner-Reichsabtey| Roth; b) das Collegiatstift Zeil; c) zwei Frauenklöster Franciscaner-Ordens in Leutkirch und Wurzach, und d) ein Franziscaner-Layenbruderhaus auf dem Heiligkreuzberg bei Wurzach.Die Reformation fand nur in Leutkirch bleibenden Eingang, welche Stadt eine evangelische, dem Decanat Ravensburg zugetheilte Pfarrei mit zwei Geistlichen hat.
Daß die Römer eine Straße zur Verbindung ihrer festen Punkte Vemania (bei Isny) und Kelmünz gezogen haben, ist eben so wahrscheinlich, als es vergeblich seyn würde, ihre Spuren noch nachweisen zu wollen, da nicht leicht eine geradere Richtung aufgefunden werden kann, als die ist, welche die gegenwärtige Straße von Isny nach Leutkirch, Aitrach und ins Illerthal einhält, und also die neue Straße auf der Grundlage der alten fortzulaufen scheint. Allein, auch wo sie von einander abweichen mögen, haben sich doch nicht leicht die Spuren des alten Weges erhalten, da das locale Material eine Anlage für lange Dauer nicht begünstigt. (S. Oberamtsbeschreibung v. Wangen S. 113). Eine solche Abweichung ist vielleicht nur in der Gegend von Altmannshofen anzunehmen, wo „der alte Postweg“ zwischen dem Blutsberg und Buchkapf hindurch gerade nach Aitrach zieht, südwärts aber gegen Leutkirch ein alter Weg den Hohberg hinansteigt, und auf dem Kamm fort in dem Leutkircher Wald als künstliche Anlage („Hochsträß“) deutlich erkennbar, nach Leutkirch läuft. Von einer Römerstraße, welche von Aitrach oder Marstetten über Threerz nach Hauerz und Wurzach gezogen seyn soll, findet sich nichts, als daß man bei Wurzach beim Torfstechen auf eine gepflasterte Straße gekommen seyn will. Ebensowenig läßt sich eine Straße nach Kißlegg nachweisen.
Hin und wieder ist die angegebene Straße von Vemania nach der Iller von Überbleibseln fester Plätze,| Schanzen und Grabhügeln begleitet, wobei es aber, wenn jene wirklich römisch wären, auffallen müßte, daß sie zum Theil nicht der feindlichen, sondern der heimathlichen Seite zugekehrt sind. Am meisten dürfte das römische Alterthum der Befestigung zu vindiciren seyn, welche in alten Zeiten den Hohberg (jetzt Wilhelmshöhe) über der Stadt Leutkirch krönte, wohin die Sage ein Schloß, Bolanda genannt, verlegt. Im Jahr 1658 wurden Ziegel, Mauerstücke, Hacken und dergl. aufgegraben, und zu verschiedenen Zeiten römische Münzen gefunden (s. Loy, Geschichte von Leutkirch, S. 15 und 17). Da nach Obigem hier die Reichsgrenze anzunehmen ist, so muß dieser dominirende Punkt von Wichtigkeit gewesen seyn. Auf dem Buchkapf bei Aichstetten findet sich eine wohlerhaltene Schanze, deren innerer Raum mit Inbegriff des Walls 446 Quadratfuß beträgt. (Das Nähere siehe Württ. Jahrb. a. a. O.) Gerade nördlich von dieser über dem waldigen Bergabhang bei St. Johann sieht man eine andere viereckige Schanze, deren Namen Bauernschanze wohl deutlich genug auf ihre Entstehung im Jahr 1525 hinweist. Eine kleine Verschanzung umgiebt auch einen Theil des Wäldchens Hardt, wovon gleich unten. Weiter hinab sieht man in der Nähe von Mooshausen im Walde Spuren alter Verschanzungen. (S. auch Kronwinkel in der Ortsbeschreibung.) Die am besten erhaltene und regelmäßigste Schanze liegt 3/8 Stunden nördlich von Thannheim, am Abhang der bewaldeten Höhe nach dem Illerthal. Sie führt – nach den gefälligen Mittheilungen des Herrn Oberamtsarztes Dr. Fricker und des Herrn Rentbeamten Eggmann – den Namen Tafel und – in frühern Schriften – Tanzlauben, ohne Zweifel von dem schön geebneten Boden des innern Raumes. Die Volkssage weiß hier von Hexentänzen, Geistererscheinungen u. dergl. zu erzählen. Wenn gleich auch diese Befestigung bisweilen das „Bauernschänzle“ genannt wird, so ist ihre Anlage doch wohl älter, und im Bauernkriege nur wieder benützt worden. Sie kommt ganz mit dem Buch bei Wangen | (s. Oberamtsbeschreibung von Wangen S. 112) überein, ist ein vollkommenes Quadrat von 155 Schritten auf jeder Seite, hat einen 4 Schritt breiten Graben und einen mannshohen, an den Ecken noch höheren, Wall. Eine breite Einfahrt befindet sich auf der Ost-, eine engere auf der westlichen Seite. Endlich ist 1/8 Stunde westlich von Berkheim der Heidenbühl zu bemerken, an dessen Fuß Befestigungen, nebst Waffenstücken, Hufeisen, Münzen aufgefunden wurden. Siehe Berkheim.Grabhügel. Fünf solche wurden in dem Hardt, einer kleinen Waldfläche, 3/4 Stunden nördlich von Aichstetten von Sr. Durchlaucht dem Fürsten von Zeil entdeckt und die Aufgrabung des größten derselben veranstaltet. Der Inhalt (eine schöne Fibula, Metallstücke, ein Schlüssel etc.) befindet sich in der Sammlung des Herrn Fürsten, wie auch eine Lanze und ein Schwert, die man in Aichstetten selbst wahrscheinlich aus alten Grabstätten nebst andern Dingen erhoben hat. Ein ganz ähnlicher Waldfleck ist das sogenannte Härdtle beim Sophienhof (Gemeinde Thannheim) wo Herr Paulus gegen 14 Grabhügel wahrnahm.
Eigenthümlich ist an diesen Grabstätten, daß sie in der Thalebene sich finden, während solche Hügel anderwärts auf Höhen und Landrücken in der Regel angetroffen werden.
An Ritterburgen war auch dieser Bezirk nicht arm; aber fast alle sind bis auf einige Spuren verschwunden, so z. B. Albers (Gemeinde Gospoldshofen), Blutsberg (Gemeinde Altmannshofen), Burkardshofen (Gemeinde Diepoldshofen), Dietenberg (Gemeinde Spindelwaag), Hauerz, Hünlishofen (Gemeinde Diepoldshofen), Kronwinkel (Gemeinde Thannheim), Rothis (Gemeinde Hofs), Schelleneigen (Gemeinde Berkheim), Waizenhofen (Gemeinde Altmannshofen).
Nur Marstetten (Gem. Mooshausen) zeugt noch in schönen Ruinen von seiner ehemaligen Größe und Festigkeit. Auch von dem alten Schlosse Zeil sind noch einige wenige Überreste vorhanden.
Bewohnte Schlösser sind: Zeil, Wurzach (altes und neues Schloß), Roth (ehemalige Abtei), Thannheim (ehemalige Expositur). Erhalten ist auch das kleine Schloß Altmannshofen und das ehemalige Furtenbachsche Schlößchen Hummelberg bei Leutkirch, ein Privatgebäude.
Abgegangene Orte lassen sich mit Bestimmtheit keine angeben, mit Ausnahme des Ortes Batzenhofen (G. Kirchdorf) und eines Zackenhofen, das in der Nähe der Stadt Leutkirch gelegen haben muß.[3] Zu kleinen Weilern und Höfen sind besonders im dreißigjährigen Krieg einige Orte herabgekommen, z. B. Oy, Kronwinkel, Haizen, Attenhofen, Lampertsried. Von Namensvertauschungen sind Beispiele: Arnholz, jetzt Laubeck; Manzenweiler, jetzt Ergach; Oy,| jetzt Sophienhof; Wielands, jetzt St. Verena; mit eben diesem St. Verena ist der ehemalige Weiler Eppenberg oder Eppen vereinigt worden, nachdem man die Gebäude abgetragen hatte. Die Namen Geboldshofen und Hacken gingen in dem allgemeineren Starkenhofen unter.Erwähnung verdienen endlich auch die alten steinernen Kreuze, welche in diesem Bezirke hin und wieder an Kreuzwegen, z. B. zwischen Starkenhofen und Seibranz, bei Ellwangen, Kirchdorf, Oberopfingen, angetroffen werden. Sie sind gewöhnlich 5–6 Schuh hoch, 3 breit und einen dick. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts hat man Beispiele, daß ein Todtschläger verurtheilt wurde „des entleibten Sel zu Gedechtnus, an die Buoß, da ihme des entleibten Wittfraw oder Freünd die Statt anzeigen werden, ain gut stajne Kreütz uffzurichten vnd zu setzen.“[4] Während dieß die geschichtlich bekannte Veranlassung zu diesen Kreuzen ist, gibt ihnen die Volkssage eine andere Deutung, indem man behaupten will, daß sie an den Stellen errichtet worden seyen, wo die deutschen Kaiser bei ihren Fahrten durch das Reich Rast gehalten hätten.
Den Namen der Freien auf Leutkircher Haide führten sie von einer Strecke Feldes von 187 Jaucherten 8 R. Meßgehalt zwischen den Markungen von Heggelbach, Haid und Leutkirch (s. oben). Dieses Feldstück, noch bis in die neueren Zeiten die Freihaide genannt, blieb in alten Zeiten deßwegen unangebaut, weil es zu den großen Versammlungen der Freien diente, d. h. ihre Dingstätte für gerichtliche und andere Verhandlungen war. Nachdem die freie Verfassung allmälig abgethan und das Freigericht von dort weggezogen war, zog die österreichische Landvogtei die Haide als eine Domäne ein, und verlieh sie ums Jahr 1512 theils an Leutkircher Bürger, theils an Bewohner von Heggelbach gegen einen Haberzins (Haidhaber genannt) zur Kultur und Nutzung.[8]
| Aus den Zeiten ihrer wirklichen Unmittelbarkeit haben wir keine Nachrichten von den freien Leuten. Die ältesten Dokumente, welche ihrer Erwähnung thun, sind zugleich auch die Urkunden der Verpfändungen, welche der kaiserlichen Reverse ungeachtet, wiederholt mit ihnen vorgenommen wurden. Wie oben gesagt worden, so waren ums Jahr 1300 wahrscheinlich die Montforte im Besitze der Pfandschaft, welche von Kaiser Heinrich VII. eingelöst und 1311 an Dietegen von Kastel nebst der Burg Zeil und der Stadt Leutkirch um 800 Mark verpfändet wird. (Urk. von 1311 und 1313 s. unten bei Zeil). Wie lange diesem Dietegen von Kastel die Freien verpfändet blieben (wegen der Stadt und Zeil s. unten), weiß man nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Aber schon 1330 bestätigt K. Ludwig der Bayer (Wegelin n. 7) die von K. Friedrich dem Schönen den Montforten oder Grafen von Bregenz abermals eingeräumte Pfandschaft der Freien zugleich mit der Stadt, empfängt dafür von Hugo Graf von Bregenz 700 M. S. (Wegelin n. 8), und schlägt 1333 weitere 200 Mark auf diese Pfandschaft. Der im Jahr 1337 von demselben Kaiser ertheilte Bestätigungsbrief aller ihrer Freiheiten (s. oben und Weg. n. 4) hinderte nicht, daß von Kaiser Karl IV. im Jahr 1364 unter andern auch die Freien auf der Haide mit ihren Steuern an seinen Landvogt in Ober-Schwaben Ulrich, Grafen zu Helfenstein, verpfändet wurden, ohne daß die Montfort’sche Pfandschaft eingelöst worden wäre, welche derselbe Kaiser im Jahr 1348 dem Grafen Wilhelm zu Tettnang sogar selbst bestätigt hatte. Daher blieben die Montfort fortan im Besitz der Pfandschaft, während Kaiser Karl dem Grafen von Helfenstein 1366 eine weitere Summe auf diese Pfandschaft schlägt (Weg. n. 10, 11) und sie | 1370 bestätigt (n. 12). Im Jahr 1382 versetzen Konrad und Friedrich von Helfenstein unter Anderem auch dieses Pfand der Stadt Ulm, welche aber dasselbe schon 1396 an die Helfenstein wieder zurückgab (Weg. 13–15). Es ist nicht zu bezweifeln, daß dieses Pfandrecht für die Helfenstein, so wie für die Stadt Ulm nutzlos war, da die Montforte während dieser ganzen Zeit sich im Besitze behaupteten (Kammergerichts-Urthel bei Weg. n. 17. S. 19) und ohne daß man wußte, daß das Helfensteinsche Pfandrecht eingelöst worden wäre, 1402 von Kaiser Ruprecht ausdrücklich darin bestätigt wurden. Allein dieß änderte sich, nachdem im Jahr 1415 Kaiser Sigismund die Freien auf der Haide zu der Landvogtei in Ober- und Niederschwaben geschlagen und ohne alle Rücksicht auf das Montfort’sche Pfandrecht, an Truchseß Johann zu Waldburg verpfändet hatte (Weg. n. 58). Zwar blieb Graf Heinrich, so lang er lebte, in dem von Kaiser Sigismund 1422 ihm bestätigten Posseß, aber sein Sohn Wilhelm wurde, der im Jahr 1434 wiederholten kaiserlichen Bestätigung ungeachtet, von Truchseß Georg „der Haide gewalttätig entwehret und entsetzt.“ Von jetzt an kamen die Montforte nie wieder in den Genuß ihres Rechtes, wiewohl es an kaiserlichen Bestätigungen desselben von Kaiser Sigismund bis auf Leopold I. (1663 vergl. Chmel Reg. Fried. IV. 43) und selbst an einem Kammergerichts-Urthel vom Jahr 1474 (Weg. 17) nicht fehlte, nach welchem die Grafen Hugo und Ulrich von Montfort im Besitze ihrer Pfandschaft ungehindert seyn sollten, und in Folge dessen die Freien durch kaiserlichen Gebotsbrief (Weg. n. 18) aufgefordert wurden, diesen Herren hinfort mit Pflichten und Rechten gehorsam und gewärtig zu seyn. Da mit den Rechten der Großen so willkührlich verfahren wurde, wie sollten die alten Privilegien der „arm Lüt auf der Haid,“ wie sie sich in einer ihrer Beschwerdeschriften nennen, gewissenhafter gewahrt worden seyn? Während der Kämpfe zwischen den Truchseßen und den| Montfort und wegen der Übergriffe von Seiten der Landvogtei stellten sie sich unter der Stadt Leutkirch Schutz-, Schirm- und Bürgerrecht gegen jährliche 15 Pfund Pfennige, je auf 5 Jahre, das erstemal 1433, das zweitemal 1469 (Urk. im k. Staatsarchiv). Kaiser Friedrich aber, der die Reichslandvogtei sammt den Freien an sein Haus bringen wollte, ließ durch seinen Bruder Herzog Abrecht von Österreich 1452, und nach dessen Tod durch Herzog Sigmund 1464 die Landvogtei von den Truchseßen einlösen. (Weg. n. 61, 67), worauf das Erzhaus Österreich 1486 (n. 73) durch Erzherzog Sigmund in den wirklichen Besitz der Landvogtei gelangte. Es bedarf der Bemerkung nicht, daß man freigebig war mit jenen leichtfertigen Papieren, in welchen der Leute „all und jeglich Gnad, Fryheit, Recht, Handtvesten, Brieff und Privilegien, so sie... redlich erworben, und darzu ihr alt Herkommen und gut Gewohnheiten, so sie bishero gebraucht und löblich hergebracht“ noch im Jahr 1669 feierlichst verbürgt wurden (Weg. n. 6 vergl. Chmel. p. 13, 145). Das Schutz- und Schirmrecht, das die Landvogtei übte, dehnte diese nach und nach zu völliger Landeshoheit aus, und die freien Reichsbürger der Haide schuf sie zu Unterthanen des Erzhauses um. Daß sich hiefür keine Jahrszahl und keine Urkunde angeben läßt, ist bei Manipulationen dieser Art natürlich. Der Anfang scheint damit gemacht worden zu seyn, daß man ein eigenes landvogteiisches Gericht in Tautenhofen errichtete, wogegen die Freien sich ums Jahr 1490 vergeblich beschwerten (Weg. n. 19, vergl. n. 5). Im Jahr 1580 wurde, weil es wegen fortgesetzter Neuerungen von Seiten der Landvogtei, zu „etwas Mißverständ und Irrung“ gekommen, eine Art Vertrags-Instrument aufgesetzt (Weg. n. 20), wonach von Seiten des Erzherzogs Ferdinand einige außerwesentliche Punkte der alten Privilegien (z. B. freier Zug, aber nur in Orte der Landvogtei; Fremde durch Heirath bei sich auf- und anzunehmen, wenn sie keine „nachjagende Herren“ haben, d. h. nicht leibeigen | sind) „gnädigst bewilliget“ werden, der wesentlichen Freiheiten aber, hinsichtlich der Steuer und des Gerichtszwanges, keine Erwähnung gethan, sondern die Erwartung ausgedrückt wird, daß die „freien Leuthe als Ihro Fürstl. Durchlaucht gehorsambiste Unterthanen aller übrigen der Landvogtey Schwaben Satzungen und Ordnungen gehorsamlichen geleben wollen.“ Hinsichtlich der Frohnen heißt es gar naiv: „dieweilen sich die Leutkircher Freyen des Fronens halber jederzeit willfährig und gutwillig erzeigt haben, so soll es auch hinführo bey solchem Herkommen bleiben.“ Da sie also aufgehört hatten, reichsunmittelbar zu seyn, steuerten sie auch nicht mehr zum Reich,[9] sondern trugen alle direkten und indirekten Abgaben, so wie die sonstigen Lasten mit den übrigen österreichischen Unterthanen, zahlten aber doch für Schutz und Schirm ihrer Freiheiten 45 Gulden.[10] Der Name der freien Leute wurde in den der Unterthanen der obern Landvogtei oder des Amts Gebratzhofen verwandelt, und dieses Amt dem Oberamt Altdorf untergeordnet. Den Gerichtsammann des Amts ernannte der Landvogt. Von dem Amtmann, der mit seinem Gericht oder sogenannten freien Ausschuß Civilsachen in erster Instanz entschied, ging die Berufung an den Landvogt und das Oberamt, und von diesem an das Hofgericht. In Strafsachen bildete das Gericht des obern Amtes ein vom Oberamt Altdorf beschicktes Frevelgericht, das Fälle von minderer Wichtigkeit abzuwandeln befugt war. In den letzten Jahrzehenten des vorigen Jahrhunderts aber wurde die Gerichtsbarkeit aller Art zur großen Beschwerde der ehemals Freien vollends ganz nach dem 6 Stunden entfernten Altdorf gezogen, und der Gerichtsammann fast gänzlich außer Aktivität gesetzt.[11] | Das Amt Gebratzhofen hatte bei seinem Anfall an Bayern im Jahr 1806 in 633 Häusern 3489 Bewohner.[12] Es blieb bayerisch bis 1810, wo es mit Leutkirch an Württemberg kam und dem neugebildeten Oberamt Leutkirch zugetheilt wurde. Im Jahr 1811 erfolgte die Eintheilung in die Schultheißereien Gebratzhofen, Herlatzhofen, Niederhofen, Tautenhofen und Wuchzenhofen. Später wurde Niederhofen dem letzteren, Tautenhofen dem zweiten Orte zugeschieden. Nur zur Bestreitung der Kriegs- und anderer Prästationen erhielt sich noch eine besondere Verbindung im ehemaligen Amte Gebratzhofen mit einer Landschaftskasse, welche erst im Jahr 1822 aufgelöst wurde. In alten Zeiten wurde, wie oben gesagt worden, das Landgericht der Freyen auf einem Haidfeld unweit der Stadt Leutkirch gehalten. Außer dieser Mallstätte hatten aber die Freyen auf der Haide und in der Pürs noch drei weitere, Ravensburg, Wangen, und bis zu Ende des 15. Jahrhunderts Lindau, dafür Altdorf. Der Sprengel dieses Landgerichts erstreckte sich anfänglich nur über den eigentlichen District der leutkircher Freyen und über die Pürs in ihrem oben angegebenen Umfange. Nachdem aber zu Anfang des 16ten Jahrh. die benachbarten Landgerichte zu Memmingen, Marstetten (in Bayern), Weißenhorn etc. in Abgang gekommen waren, erweiterten sich die Grenzen des „Kaiserlichen freien Landgerichts in Ober- und Niederschwaben auf Leutkircher Haide und in der Gepürs“, wie es von 1530 bis zum Anfang dieses Jahrhunderts sich nannte, und begriffen (mit Ausnahme der vier vorarlbergischen Herrschaften, die 1555 von diesem L. G. eximirt wurden) das Land vom Bodensee bis Constanz über Pfullendorf, Möskirch bis an die Donau bei Scheer, von hier dem linken Donauufer entlang bis Gögglingen, über die Brücke daselbst auf Kirchberg an der Iller, dann die Iller| hinauf bis Illereichen, von da bis an die Grenzen der ehemaligen Markgrafschaft Burgau, um diese herum bis auf das Lechfeld, den Lech hinauf bis nach Reute an der Grenze Tyrols, sodann über Thannheim bis hinter den Bregenzer Wald und wieder an den Bodensee.[13] Die Form dieses Gerichts, eines Restes allemannischer Verfassung und Gesetzgebung, war dieselbe wie bei den übrigen alten Landgerichten. Es bestand aus 12 Schöffen und einem Vorstand, dem Landrichter, der aus Gewalt und im Namen des Kaisers richtete und von diesem ernannt wurde. Der älteste Richter in der Pürs, der in Urkunden als solcher ausdrücklich sich genannt findet, ist Graf Hartmann von Dilingen, nach dessen Tod König Conrad IV. Herzog in Schwaben 1259 dem Graf Ulrich von Württemberg (dem Stifter) das Judicium in Pyerse überträgt. Der Dingstuhl stand auf freiem Platz an offener Heerstraße,[14] und das Verfahren war mündlich und einfach.Gewöhnlich war der K. Reichslandvogt in Ober-Schwaben zugleich der Landrichter, der übrigens das Gericht nicht immer, und später gar nie in Person hegte, sondern seinen Stellvertreter, ebenfalls Landrichter genannt, hatte, der in seinem und des Reichs Namen die Geschäfte besorgte. In früheren Zeiten wurden diese Unter-Landrichter gemeiniglich aus den Freien auf der Haide genommen; so finden wir 1348 Conrad den Schultheiß von Allmishofen, 1360 Jacob von Urlau und Rimpach, 1376 Conrad den Stoßer, 1447 Heinrich Stüdlin von Leutkirch, und als dessen Stellvertreter 1453 Joß Wäh „ein Frei ab Leutkircher Haid".
Übrigens gehört die weitere Geschichte und spätere Einrichtung dieses Instituts, das in der Folge immer mehr| von seiner Eigenthümlichkeit verlor, nicht mehr unserem Bezirke an, indem Leutkirch, wohin die Dingstätte von der alten Haidkapelle weg schon im 15ten Jahrh. verlegt worden zu seyn scheint, im Jahr 1514 aufhörte, eine der vier Mallstätten zu seyn, wogegen diese Eigenschaft auf die Stadt Isny überging. So wenig als man angeben kann, in welchem Verhältniß das Frei-Landgericht zu dem gleich nach der Stellung der Freien unter die österreichische Landvogtei eingesetzten Gericht in Tautenhofen (s. oben) gestanden habe, ebensowenig läßt sich die Ursache der gänzlichen Wegverlegung des uralten Haidgerichts aus der Gegend, ausmitteln. Den häufig angegebenen Grund, daß in Leutkirch keine tüchtigen Urthelsprecher mehr zu finden gewesen seyen, wieß diese Stadt von jeher mit Indignation zurück (s. Loy S. 109). Nach Wegelin (I. S. 227) geschah es in Folge eines landgerichtlichen Fried-Geleitbruches, welchen sich die Stadt habe zu Schulden kommen lassen.- ↑ Siehe Haggenmüller, Gesch. von Kempten. 1r Band S. 37 und 368.
- ↑ Absichtlich übergehen wir hier die Fabeleien Thomas Lyrers und Anderer, von einem römischen Fürsten Curio und seinen Söhnen, oder einem schottischen König und Apostel Lucius, welche schon sehr frühe das Christenthum in diesen Gegenden ausgebreitet haben sollen.
- ↑ In Urk. des K. Wenzeslaus v. J. 1397 und K. Ruprecht 1401 (Staats-Archiv) wird Leutkirch ermächtigt, die Straße, „so durch Zackenhofen geht, durch die Stadt zu zwingen.“
- ↑ Siehe ausführlich hierüber Stadelhofer, Hist. Roth. II. p. 148 ff.
- ↑ Hauptwerk: [Wegelin] Gründlich historischer Bericht von der Kaiserlichen und Reichs-Landvogtei in Schwaben, wie auch dem frei Kaiserlichen Landgericht auf Leutkircher Haid und in der Pürs etc. 1755. Fol. Dazu ein zweiter Band, die Urkunden enthaltend.
- ↑ Die auf bloßer Sage beruhenden Edeln von Uttenhofen und Engelboldshofen ausgenommen. Von einem adeligen Sitz findet sich übrigens auch dort keine Spur.
- ↑ In der Verpfändungs-Urkunde heißt es in der Regel: „Die Freyen auf der Haiden, und die gewonlichen Stewren, so sie jährlichen gebent.“ Z. B. Wegelin S. 10, 11.
- ↑ Nach längeren Streitigkeiten erfolgte am 31. Oct. 1800 die Ausscheidung der früher durcheinander gelegenen Leutkirch’schen und Heggelbach’schen Haidfelder, wobei auch Ansprüche der Zeil’schen Ortschaft Haid mit Abtretung von vier Jaucherten (vorbehältlich der österr. Grundherrlichkeit) befriedigt wurden. Triebabth. Instrum. im K. Staatsarchiv. – Noch nicht hinlänglich aufgeklärt ist es, was wir unter dem See auf Leutkircher Haide, der zum erstenmal in der Pfand-Urkunde K. Karls vom J. 1364 erwähnt ist, zu denken haben. Er heißt (Wegelin n. 10): „Der See, der auf Leutkircher Haide gelegen ist“ (Wegelin n. 11, 12, 13, 14.). „Der See, den man nennt Leutkircher See“ und erscheint bloß in den Urkunden der Helfenstein’schen Pfandschaft vom J. 1364-1396. Es scheint, daß dieser Name den zur Cultur gebrachten Boden eines ehemaligen Sees, vielleicht zwischen Urlau und Leutkirch, bezeichnete.
- ↑ In der Reichsmatrikel von 1521 stehen sie noch. Siehe Dacheröden S. 7.
- ↑ Bericht, was gestalten das Oberamt der Landvogtei Schwaben beschaffen etc.; im Leutkircher Stadtarchiv.
- ↑ Pro memoria derer Unterthanen in der obern Landvogtei. (Ohne Datum.) Im Leutkircher Stadtarchiv.
- ↑ Als ein Bestandtheil der Österr. Landvogtei wurde das Amt anfänglich von Württemberg in Anspruch genommen und erscheint deßwegen im Staatshandbuch für 1807 und 8.
- ↑ Doch sind diese Grenzen vielfach angefochten, und theils von der Landvogtei erweitert, theils von verschiedenen Reichsständen enger angenommen worden.
- ↑ In der Eingangsformel heißt es deßwegen gewöhnlich: „An des Rychs fryen Keyserlichen Stroß.“ In den spätern Zeiten: „Vor offen verbannten freyen Landgericht als das an offener freyen Landstraße besessen und gehalten worden.“