Beschreibung des Oberamts Schorndorf/Kapitel B 8

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Geradstetten.
Gemeinde II. Kl. mit 1877 Einw.; a. Geradstetten, Pfarrd. 1781 Einw.; b. Bauersberg W. 49 Einw.; c. Kernershof W. 37 Einw.; d. Rollhof 10 Einw. – Ev. Pfarrei.


Der Gemeindebezirk liegt theils in dem hier nur 1/4 Stunde breiten Remsthale, theils in den Gehängen der nördlich sich erhebenden Berglen, welchen die gegenüber stehenden Höhen des Schurwaldes hier ziemlich nahe treten. Beide Bergzüge sind mit 1/41/2 Stunden langen, in das Remsthal ausmündenden, Thälchen durchfurcht, wodurch hervortretende Höhen sich bilden, wie z. B. der theilweise hieher gehörige S. 11 genannte Schönbühl. Durch eines der Thälchen fließt vom Schurwalde her der Lochbach, indeß ein südöstlich gelegenes vom Schweinbach bewässert ist. Zwei weitere Thälchen, durch deren eines der Zehendbach rinnt, verlieren sich in den Berglen. Sowohl das Thal, als die Bergzüge sind| namentlich mit schönen Baumgütern angebaut. Nördlich von Geradstetten in den Berglen liegen der Rollhof und etwas entfernter der Bauersberg; der Kernershof liegt ebenda, in dem Geradstetten und Grunbach trennenden Seitenthälchen. Die Gegend ist reich an nie vertrocknenden Quellen; deren zwei speisen 5 laufende Brunnen mit Wasser in Überfluß. Nahe bei Geradstetten, am Fuß eines etwa 12′ hohen Rains, befindet sich ein Hungerbrunnen, der sich aus 2 Quellen ergießt. Wenn diese, namentlich die obern, fließen, so hält man es für ein Zeichen kommender Theurung. Im Jahr 1816 flossen sie so stark, daß der ganze Rain durchnäßt war und zusammenrutschen wollte; 1845 und 1846 flossen sie ebenfalls, 1847 aber vertrockneten sie. Die südlich 10 Minuten vom Dorfe fließende Rems hat, seit 1832/37 mit einem Aufwande von 1155 fl. 38 kr. für die Gemeinde 6 Krümmungen abgegraben worden, einen ziemlich geraden Lauf und nimmt die zuvor erwähnten Bäche auf. Der sehr fruchtbare Boden besteht auf der Höhe aus Sand mit steinigem Untergrund, an den Abhängen aus tiefgehendem, blauem und rothem Keuper-Mergel, hier „Kerf“ genannt, im Thal aber aus 25′ tiefem, schlammigem Sand. Gewitter sind nicht häufig und Hagelschlag ist selten; die Luft ist rein und gesund und Frühlingsfröste kommen nicht oft vor. In dem nördlich gelegenen Gemeindewald findet sich unbenützte Töpfererde, und auf anderen Punkten der Markung Brüche von Sandstein und von Gyps, welcher sowohl zum Düngen benützt, als zum Bilderformen verkauft wird.

Alle Grundrechte stehen dem Staate zu, die Zehenten von der Kellerei, der Pfarrei und dem Stifte Beutelsbach her. Namens der einzelnen Pflichtigen hat die Gemeinde 178 fl. 58 kr. Zinsen, 28 Sch. 2 S. Frucht, 3 E. 9 I. 5 M. Wein, 162 fl. 40 kr. Heuzehenten und Theilwein, 55 fl. 13 kr. forstliche Rechte und 222 fl. Jagdfrohnen um 10.240 fl. 59 kr. abgelöst und noch 1289 fl. 29 kr. und 87 Sch. Frucht für den Zehenten zu entrichten.

Das Pfarrdorf Geradstetten – in älteren Zeiten Gerhardstetten – Sitz eines Revierförsters, 11/2 Stunde westlich von Schorndorf, liegt an der von Stuttgart nach Nürnberg führenden Hauptstraße, die durch den Ort führt, und lehnt sich an den Fuß der Berglen an. Es ist ziemlich enge gebaut, daher im Innern nicht sehr freundlich, aber reinlich. Die Häuser sind größtentheils gut erhalten und ansehnlich, aber ihre Zahl – 214 Haupt- und 46 Neben-Gebäude (1690 waren nur 93 Wohnhäuser) – reicht für die wachsende Einwohnerschaft nicht mehr zu. Die Kirche zum h. Conrad steht mitten im Dorf auf einem erhöhten Platz, ist bis unter das Dach von Stein, hat einen hohen massiven Thurm mit auffallender Spitze und 3 Glocken, ein schönes Chor mit Kreuzgewölbe,| und soll 1359 erbaut worden sein. Sie ist in gutem Zustand erhalten. Das daneben stehende Pfarrhaus liegt von allen Seiten frei. Ebenda stehen die 1776 und 1813 erbauten zwei Schulhäuser. Das jetzige Försterhaus wurde 1846 von einem Privaten erkauft. Das Rathhaus ist 1824 neu erbaut worden. Zwei Schlößchen, die im Dorfe waren, stehen längst nicht mehr. Die Einwohner sind sehr fleißig und betriebsam; ein größerer Theil hat aber dessen ungeachtet nur ein dürftiges Auskommen. Die Hauptnahrungsquelle ist der Weinbau. Die Markung hat an Baufeld 49 M. Gärten, 4376/8 M. willkürlich gebaute Felder, 4463/8 M. Wiesen und 3574/8 M. Weinberge; also nicht ganz 7/8 M. Feld auf den Kopf. Seit 1818 wurden 49 M. Wald in Obstgärten und 17 M. Allmand in Baufeld verwandelt. In diese Markung theilen sich auch die schon genannten 3 Höfe, welche Bestandtheile der Gemeinde und vom Dorfe 1/41/2 Stunde entfernt gelegen sind; nämlich:

a) Bauersberg, früher Schifterlinshof, und

b) Kernershof oder Kernersberg, an einen mit Weinreben bepflanzten Vorberg sich anlehnend, auf welchem

c) Rollhof liegt.

Die Bevölkerung (1726 – 700, 1774 – 987, 1781 – 1106, 1815 – 1613 sammt den Parcellen) hat sich in 100 Jahren mehr als verdoppelt, wobei diese Gemeinde die wenigsten unehlichen Geburten zählt (s. oben S. 25).

Die Landwirthschaft ist, namentlich auch durch die Bemühungen des Schultheißen Lederer, in gutem Zustand, da Alles aufgeboten wird, den höchstmöglichen Ertrag zu erzielen. Die Mistjauche wird sorgfältig benutzt. Zur Erntezeit gehen etwa 20 Personen als Taglöhner in benachbarte Bezirke. Die theilweise auf Höhen und an Abhängen liegenden Fruchtfelder werden zwar auch hier nach dem Grundsatz der Dreifelderwirthschaft bebaut, aber nicht so, daß sie in Zelgen eingetheilt wären; vielmehr wechselt Jeder für sich auf seinem Gute ab, so daß Winter-, Sommer- und Brach-Felder durch einander liegen. Die meisten Felder werden mit der Hand bearbeitet, daher auch nur 10 Pflüge vorhanden sind. Dinkel, Einkorn und Weizen werden am meisten, Haber fast gar nicht gebaut. Die Dinkel- und Weizenernte deckt aber das Bedürfniß nicht. Der Ertrag ist beim Dinkel 12-, beim Roggen 6-, bei Weizen und Gerste 8fach. An Reps wird auf der Höhe der eigene Bedarf gebaut. Klee ist das einzige Futterkraut. Wälschkorn und Bohnen, wodurch die Markung im Ertrag sich auszeichnet, können allein nach Außen verkauft werden. Hanf, der von mittlerer Güte, wird ziemlich viel, Flachs aber wenig gezogen. Die im Verhältniß zur Ackerfläche unverhältnißmäßig vielen Wiesen sind zweimähdig, können nicht gewässert werden und geben gutes Futter, wovon jedoch nichts nach Außen verkauft wird. Die Weinberge,| an und auf Höhen liegend, haben 2800 Stöcke auf den Morgen, am häufigsten Sylvaner, woneben noch weiße und rothe Elblinge, Gutedel und Klevner vorkommen. Im Jahr 1694 heißt ein hiesiger Weinberg „der Frenschweingart,“ ein anderer „der Rothwein.“ Der Wein ist recht beliebt und reiht sich an den Schnaither und Beutelsbacher an. Den besten erzeugt die mittlere Lage an den Bergabhängen. Der mittlere Ertrag ist 5–6 E. vom M.; der höchste Preis 1846 war 60 fl. Die Preise der Äcker bewegen sich zwischen 500–1000 fl., der Wiesen 400–1000 fl., der Weinberge 600–1100 für den M. Sehr namhaft ist die Obstzucht: Tafel- und Most-Obst aller Art wird gezogen; von großem Umfang ist der Kirschenbau, der 1847 einen Erlös von 10.000 fl. gewährte. Auch junge in den Weinbergen gezogene Obstbäume werden verkauft. Die Rindviehzucht könnte bedeutender seyn; die rothe Landrace ist einheimisch, die Haltung aber gut. Die Schafweide ist aufgehoben, daher keine Schafzucht; auch Schweine werden nicht gezüchtet.

Von den Gewerben sind nächst einer Ziegelei von größerem Betriebe nur einige Weber, welche den bei Hebsack erwähnten Blousenzeug weben, und dann einige Victualienhändler nach Stuttgart zu erwähnen. Rühmende Erwähnung verdient die Bemühung des gegenwärtigen Ortsgeistlichen, um den Ärmeren in der arbeitslosen Zeit mit Hanf- und Flachs-Spinnen einen Verdienst zu verschaffen.

Das Gemeindevermögen gehört zu den bedeutenderen: 664 M. Grundeigenthum, 9973 fl. verzinsliche und 3312 fl. unverzinsliche Forderungen, so daß keine Gemeindeumlage nöthig ist. Unter ersterem sind gegen 500 M. meist Laubwald in gutem Zustand. Das Stiftungsvermögen beträgt 3769 fl. mit nur 38 fl. Schulden. Die Gemeinde hat ein Armenhaus, auch sind gegen 1900 fl. Stiftungen zu Armenzwecken vorhanden, die jedoch das Bedürfniß bei Weitem nicht decken.

Die Kirche hat außer den genannten Höfen keine Filialien. Das Patronat war von jeher landesherrlich. Neben der Volksschule, an welcher ein Schulmeister, ein Unterlehrer und ein Gehilfe stehen, ist eine 1822 errichtete Industrieschule vorhanden, an welcher das ganze Jahr hindurch 2 Lehrerinnen unterrichten. Die Schulstiftungen betragen 628 fl., der Schulfonds 545 fl.

Der Begräbnißplatz ist außerhalb des Ortes, östlich an der Landstraße.

An Geradstetten (alt Gerhartstettin) hatten früher unter württembergischer Lehensoberherrlichkeit mehrere Herren Theil, namentlich die von Ebersberg, von Lichtenstein, von Urbach und von Zilnhart. Walther von Ebersberg empfing 1344 sein hiesiges Gut (1/4 des Ganzen) von Württemberg zu Lehen (Sattler, Grafen 1. Beil. Nr. 104); im J. 1374 verkaufte Walther von Ebersberg seinen Theil an Geradstetten mit Zugehörungen| an Seifried von Zilnhart, und im J. 1429 veräußerten gleichfalls die Herren von Ebersberg 1/4 des Dorfes an Wolf von Zilnhart (Gabelk.) Schweniger von Lichtenstein, seine Mutter und Geschwistrige verkauften den 6. Mai 1356 um 590 Pfd. hllr. ihren Antheil an Geradstetten den Grafen Ulrich und Eberhard von Württemberg. Die von Urbach wurden im Jahr 1369 mit ihrem Viertheil des Dorfes von dem Grafen Eberhard belehnt (Scheffer 29). Am Ende des 14. Jahrhunderts besaß Hans von Seldeneck ehemalige urbachische Güter in Geradstetten und gab 1400 seinen lehnbaren Antheil dem Lehnsherrn, Graf Eberhard, auf, mit der Bitte, Seifried von Zilnhart damit zu belehnen. (Sattler, Herz. 11,153.) Jörg von Urbach verkaufte im J. 1415 einen Antheil an Geradstetten an Seifried von Zilnhart (Sattler, a. a. O.), im J. 1429 1/4 des Dorfes an Wolf von Zilnhart (Gabelk.). Walthers von Urbach Wittwe, Agathe von Baldeck veräußerte im J. 1467 März 31. ihre Güter und Gilten daselbst an Graf Ulrich von Württemberg. Die von Zilnhart wurden im J. 1400 mit einem Viertheil des Dorfes von Graf Eberhard belehnt (Scheffer 37); Hans von Zilnhart verkaufte im J. 1506 August 20. sein Dritttheil an der Hälfte, welches von seinem Bruder Jörg auf ihn gekommen war, für 1600 fl. an Herzog Ulrich (Sattler, Herzoge 1,92), der damals 1 Hof, 1 Hube, 3 Lehen und Gefälle besessen; das Übrige (1/3) brachten Herzog Friedrich Carl Administrator im J. 1687 um 12.650 fl. von den Gebrüdern Friedrich Dietrich und Johann Philipp von Zilnhart an Württemberg (Urk.). Aus Anlaß des letzteren Kaufes gerieth das herzogliche Haus mit dem ritterschaftlichen Kanton Kocher in einen Proceß wegen der Collectation (Burgermeister Cod. dipl. equestr. 2, 188. desselben Thes. jur. equestr. 2, 27, Lünig 12, 135), welcher erst 1770 durch Vergleich erledigt wurde; laut diesem Vergleich sollte dem Haus Württemberg das jus collectandi cum annexis in dem fraglichen Dritttheil verbleiben, dagegen aber sollten dem Kanton 10.000 fl. baar vergütet werden (Cramer Wetzl. Nebenstunden 112, 608).

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Die Gründung einer hiesigen Meßpfründe durch Ritter Bernold von Urbach, der dazu einen Hof in Möglingen stiftete, fällt in’s J. 1359; sie war Filial von Winterbach. Die Urkunde sagt, die hiesige Kapelle zu St. Conrad sei mit der Mutterkirche Winterbach annexa parochiali ecclesiae in Schorndorf. Erst im J. 1496 wurde hier eine selbstständige Pfarrei errichtet, da die Einwohner oft wegen der Größe des Wassers nicht nach Winterbach kommen konnten. Daneben bestand noch eine Frühmesse. Aus dem zuvor angegebenen Grunde bezog der Pfarrer von Schorndorf den kleinen Zehenten, den er 1507 in eine jährliche Abgabe von 51/2 fl. verwandelte.

| Am 10. Oct. 1600 ereignete sich hier der traurige Fall, daß der Schorndorfer Obervogt, Jacob von Gültlingen, seinen Vetter und Freund Conrad von Degenfeld, welchen er zu einer allzu heitern Mahlzeit eingeladen hatte, in der folgenden Nacht erstach, indem er diesen Freund, welcher vom Bette sich erhoben hatte und auf- und abging, für ein Gespenst hielt, eine That, welche Gültlingen schon am folgenden 14. Oct. auf Kabinetsordre Herzog Friedrichs I. mit dem Tod durch Scharfrichterschwert büßen mußte; die Hinrichtung wurde auf dem Markt in Waiblingen vollzogen. Das Andenken an diese schaurige Geschichte lebte noch lange Zeit in einem Volksliede fort. (Handschr. der K. öffentl. Bibl. hist. fol. Nro. 296. Moser, patr. Archiv 9, 287–346. Arnim, des Knaben Wunderhorn 2, 264–270.)

Zwischen dem Dorf und dem Rollhof in den Berglen, wo jetzt noch ein Bezirk „im Burgstall“ heißt, stand eine Burg Selneck (Seldeneck), über welche nähere Nachrichten mangeln. Ob der bei Schorndorf 1291 genannte Rufo de Gerhartstetin zu dem Geschlechte ihrer Besitzer gehört, ist unbekannt.

Zwischen Geradstetten und Grunbach lagen die 1634 zerstörten, je aus 2 Höfen bestandenen Weiler Ober- und Unter-Vehrenbach (oder Fehrbach), welche nachmals nicht wieder aufgebaut wurden, so daß der Ortsname nur noch in einem Bezirk, welcher „Fehrbacher Feld“ heißt, fortlebt.


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