Beschreibung des Oberamts Welzheim/Kapitel A 3
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a. Seelenzahl. Der Bezirk enthielt:
- 1 November 1812 17.003 Angehörige
- 1822 18.337 "
- 1832 19.952 "
- 15 December 1842 22.755 "
Von der angehörigen Bevölkerung waren im Jahr 1822 abwesend 717, dagegen fremde anwesend 1211; die anwesende Bevölkerung belief sich also damals auf 18.831. Im Jahr 1837 (15. Dec.) betrug dieselbe 20.429 und im Jahr 1843 21.869.
Auf eine geographische Quadratmeile kommen nach dem neuesten Stande von 1843 5000 Angehörige; der Bezirk ist demnach stärker bevölkert (um 3,4 Prozent) als die mittlere Bevölkerung des Königreichs (4834 auf 1 Quadratmeile) beträgt.
b) Geschlechts-Verhältniß. Das mehr der weiblichen Bevölkerung belief sich, bei dem oben angegebenen neuesten Stande, auf 411, oder auf 1000 männliche Einwohner kommen 1036 weibliche. Im Jahr 1832 war dieser Überschuß 544, im Jahr 1822 305 und im Jahr 1812 219.
c) Altersstufen. Von der Bevölkerung des Oberamts im Jahr 1832 waren in einem Alter bis zum vollendeten
vorhanden | demnach auf 10.000 Einw. | |||||
männl. | weibl. | männl. | weibl. | |||
6. Jahre | 1587 | 1574 | 1635 | 1536 | ||
vom 6–14. Jahre | 1688 | 1843 | 1740 | 1798 | ||
" 14.–20. " | 996 | 1056 | 1026 | 1030 | ||
" 20.–25. " | 895 | 961 | 922 | 938 | ||
" 25.–40. " | 2069 | 2217 | 2132 | 2163 | ||
" 40.–60. " | 1740 | 1988 | 1793 | 1940 | ||
" 60.–70. " | 479 | 420 | 494 | 410 | ||
" 70.–80. " | 213 | 170 | 220 | 166 | ||
" 80.–90. " | 35 | 18 | 36 | 18 | ||
" 90.–100. " | 2 | 1 | 2 | 1 | ||
9704 | 10.248 | 10.000 | 10.000 | |||
ᐠ––––––⌵––––––ᐟ 19.952 |
Bei der Zählung vom Jahr 1822 kamen
auf 10.000 männliche | auf 10.000 weibliche Personen | |||
unter 14 Jahren | 3209 | unter 14 Jahren | 3317 | |
von 14–18 Jahren | 980 | über 14 Jahren | 6683 | |
von 18–25 Jahren | 1320 | 10.000 | ||
von 25–40 Jahren | 1873 | |||
von 40–60 Jahren | 1855 | |||
über 60 Jahren | 763 | |||
10.000 |
Verehlichte | 6358 | oder 3179 Ehen |
Wittwer | 361 | |
Wittwen | 572 | |
Geschiedene | 23 | |
Unverehelichte | 12.638 | |
19.952 |
Es kommen also auf 1 Ehe 6,3, auf 1 Familie 4,8 Personen. Das erste Ergebniß stimmt mit dem Landes-Durchschnitt überein, während das zweite nur um 0,1 höher steht. Nach den Aufnahmen der anwesenden Bevölkerung für den Zollverein war die Familienzahl am 15. December 1837 4182, 1840 4264 und 1843 4413.
e. Kirchliches Verhältniß
im Jahr | 1822 | 1832 | |
Christen: | |||
α. evangelisch-lutherische | 16.750 | 18.157 | |
β. evangelisch-reformirte | – | – | |
γ. römisch-katholische | 1587 | 1795 | |
Juden | – | – | |
18.337 | 19.952 |
f. Standesverhältniß im Jahr 1822 (bei den spätern Aufnahmen blieb diese Classifikation unberücksichtigt):
- Adeliche 8
- Bürgerliche 18.329
- —————
- 18.337
g. Gewerbs- und Nahrungs-Verhältnisse im Jahr 1822 (wie bei f.) :
Bauern und Weingärtner | 1229 | |
Taglöhner | 635 | |
Gewerbsleute | 1054 | |
In öffentlichen Diensten | 587 | [1] |
Renteniere | 76 | |
In Almosen stehende | 134 | |
3715 |
(Nach 10jährigen Durchschnitten von 1812/22 und 1832/42.
a. Geburten. Die Menge der jährlichen Geburten betrug:
1812/22 | 1832/42 | ||
männliche | 355,0 | 517,3 | |
weibliche | 340,6 | 469,2 | |
zusammen | 695,6 | 986,5 | |
darunter uneheliche | 93,7 | 149,9 |
Todt kamen zur Welt im Durchschnitt der Jahre von 1812/22 – 35,9
b. Sterbfälle. Gestorben sind jährlich:
1812/22 | 1832/42 | ||
männliche | 292,3 | 371,1 | |
weibliche | 271,7 | 328,3 | |
zusammen | 564,0 | 699,4 |
c. Wanderungen. Es wanderte jährlich
ein: | |||||
männl. | weibl. | männl. | weibl. | ||
aus fremden Staaten | 0,6 | 0,5 | 0,3 | 1,0 | |
aus andern Orten des Königreichs | 79,9 | 110,2 | 145,1 | 188,2 | |
80,5 | 110,7 | 145,4 | 189,2 | ||
aus: | |||||
in fremde Staaten | 7,3 | 7,4 | 7,2 | 5,9 | |
in andere Orte des Königreichs | 74,4 | 104,0 | 137,8 | 191,5 | |
81,7 | 111,4 | 145,0 | 197,4 | ||
also mehr ein | 0,4 | ||||
mehr aus | 1,2 | 0,7 | 8,2 |
Die Auswanderungen treffen hauptsächlich nur die Thalorte, da der Höhebewohner seine Wälder selten verläßt.
d. Veränderungen im Stande der Ehen. Neue Ehen wurden im Durchschnitt der Jahre von 1812/22
jährlich geschlossen 126,9
- und aufgelöst, durch Tod 120,0
- durch Scheidung 1,5
e. Wachsthum und Verhältnisse der Bevölkerung.
Die Bevölkerung hat in dem Zeitraum von 1812/22 um 1334, nämlich 624 männliche, 710 weibliche Personen (0,76 Procent jährlich), von 1832/42 um 2803, nämlich 1468 männliche, 1335 weibliche Personen (1,53 Procent jährlich) zugenommen; der natürliche Zuwachs| der Gebornen über die Gestorbenen belief sich im ersten Zeitraum auf 1316, im zweiten auf 2871.[2]Das Verhältniß der Geborenen zur Bevölkerung war von 1812/22 wie 1:25,2 oder auf 10.000 Einwohner kamen 397 Geborene; von 1832/42 wie 1:21,4 oder auf 10.000 Einw. kamen 468 Geborene. In beiden Zeiträumen sind diese Verhältnisse günstiger, als jene vom ganzen Lande (1 Geburt auf 26,4 und 23,4 Lebende). Unter 100 Geburten waren von 1812/22 13,5, von 1832/42 15,2 uneheliche (oder die ehelichen verhalten sich zu den unehelichen wie 1:6,4 und wie 1:5,6); in beiden Dezennien stellen sich diese Verhältnisse ungünstiger als jene vom ganzen Lande (1:8,1 und 1:8,7). Mit Unterscheidung der Geschlechter kommen auf 1000 weibliche Geborene von 1812/22 1042 und von 1832/42 1103 männliche Geborene.
Sterbfälle treffen auf 10.000 Einwohner von 1812/22 321,5 (1:31,1 Lebende), von 1832/42 331,4 (1:30,2 Lebende). Dieses Verhältniß stellt sich beim ersten Dezennium etwas schlimmer, im zweiten aber besser, als jenes vom ganzen Lande (1:31,5 und 1:29,3). Mit Rücksicht auf die Alterstufen starben nach dem Durchschnitt von 1812/22:
von 10.000 Geb. männl. Geschl. | von 10.000 Geb. weibl. Geschl. | ||
vor der Geburt | 701 | 567 | |
bis zum 1. Jahr | 4027 | 3493 | |
vom 1.–7. Jahr | 1338 | 1424 | |
vom 7.–14. Jahr | 294 | 342 | |
vom 14.–25. Jahr | 328 | 276 | |
vom 25.–45. Jahr | 653 | 913 | |
vom 45.–60. Jahr | 868 | 1042 | |
vom 60. u. darüber | 1793 | 1943 | |
10.000 | 10.000 |
Unter den einzelnen Gemeinden des Oberamts-Bezirks zeichnen sich durch bemerkenswerthe Verhältnisse aus, und zwar durch geringere Sterblichkeit, nach dem Durchschnitt der 10 Jahre von 1832/42: Lorch auf 1000 Einwohner 31,1 Verstorbene; Unter-Schlechtbach 31,8; Groß-Deinbach 32,2; durch größere Sterblichkeit: Alfdorf auf 1000 Einwohner 36,2 Sterbfälle; Waldhausen 34,4; Kirchenkirnberg 34,2. Die meisten alten Leute (mehr als 70 Jahre zählend) lebten im Jahre 1832 zu Plüderhausen, auf 1000 Einwohner 30,3; zu Waldhausen 28,8; zu Unter-Schlechtbach 26,2; zu Alfdorf 26,1. S. auch zuvor.
Die meisten Geburten zählten: Kaisersbach auf 1000 Einwohner 50,5; Pfahlbronn 49,7; Welzheim 49,4; die| wenigsten hatten: Unter-Schlechtbach auf 1000 Einwohner 41,7; Plüderhausen 42,0; Lorch 42,7.Die meisten unehelichen Geburten kamen vor: zu Kaisersbach, unter 100 Geburten 19,6; zu Alfdorf 18,9; zu Kirchenkirnberg 17,3; zu Lorch 17,0. Die wenigsten zu Welzheim 9,2; Unter-Schlechtbach 11,6; Wäschenbeuren 12,4.
Die auf der Hochfläche häufiger vorkommenden Krankheitsformen haben im Durchschnitt den entzündlichen und rhevmatischen Charakter, was theils in der kräftigen Körperbeschaffenheit der Bewohner, theils aber und vorzugsweise in der reinen vielfach bewegten Bergluft, dem wechselvollen Streichen des West-, Nordwest- und Nordost-Windes und dem damit verbundenen häufigen, oft überraschenden Temperaturwechsel seinen Grund hat. Auch ist der Bandwurm auf dem Walde nicht selten. Epidemische Krankheiten kommen nur selten vor. Im Frühling 1837 herrschte die Grippe durch den ganzen Bezirk, nahm übrigens einen gutartigen Verlauf und hatte zuerst den gewöhnlichen katarrhalischen, später den rhevmatischen, alsdann den gastrischen und selbst gallichten Charakter. Eine Masern-Epidemie war ihr vorausgegangen. Merkwürdiger Weise wurden damals in Wäldern versteckte Häuser ebensowenig verschont, als isolirt auf den höchsten Höhen gelegene Höfe, oder in den Schluchten abgelegene Wohnungen, und selbst Thiere, namentlich Katzen, Hühner und Gänse erkrankten sehr häufig. Unter den chronischen Krankheiten ist Wassersucht und namentlich Brustwassersucht wohl diejenige, welche die meisten Opfer fordert, und die vorzüglich vernachlässigten Katarrhen und Brustentzündungen ihr Entstehen verdankt, indem ärztliche Hilfe im Allgemeinen äußerst selten und nur dann nachgesucht wird, wenn die höchste Lebensgefahr eingetreten ist.[3] Noch ist anzumerken,| daß in den Thalorten bis unlängst Todesfälle auffallend häufig genannt wurden, welche durch Sturz vom „Oberling“ in der Scheune und von Tannen beim „Nesteln“ oder Streuablösen herbeigeführt werden.
Was die moralischen Eigenschaften und die Lebensweise[4] des Volkes betrifft, so sind dieselben nach der geographischen Lage verschieden. Von der Nordseite die ganze Lein entlang, ragt das Limpurgische herein: ein mehr fränkischer als schwäbischer Schlag, lustiger, verschlagen, gefälliger und gewandter von jenseits, offener derber, verlässiger diesseits. Genußsucht und ein gewisses Mißtrauen gegen „Herren“ haben sie gemeinschaftlich. Wohl zu unterscheiden sind überall die eigentlichen Bauern auf ihren Höfen – einzelnen sowohl als geschlossenen in Dörfern. Sie bilden eine entschiedene Dorfaristokratie. Ihre Söhne, zumal die erstgebornen, sind stolz und ebenso kommt seltener eine ihrer Töchter zu Fall. Die ansiedelnden Taglöhner und die Familien der nachgebornen Kinder bilden die zweite Klasse der Bevölkerung. Die Ehen erstgeborner Kinder sind eine nahmhafte Angelegenheit des Ortes; die Eltern bringen große Opfer, den Hofnamen zu erhalten, lassen sich zuweilen „Ausgedinge“ oder „Leibgedinge“ gefallen, welche ihre eigene Selbstständigkeit kosten und sie nicht selten zu beklagen haben, wenn der Altvater nicht zuvor in dem Gemeinde- oder Stabs-Rath seinen Sitz hat. Die Hof- und Haus-Namen stehen so sehr in Ehren, daß sie den Geschlechtsnamen oft fast ganz verdrängen, indem der neue Besitzer vom Hofe genannt wird. Es ist noch meist eine demokratische Oligarchie durchfühlbar – die Hofbauern sind die Tonangeber, die andern ihre Taglöhner; Handwerker und Wirthe flattiren diesen bäurischen Edelleuten, die zuweilen „ganze Wälder verschlucken.“ Auf seinen Wald nämlich hat der Bauer auf dem Walde den größten Stolz – „’s reißt da Waald noch net ei!“ – Dieser Stolz ist aber der Gesittung weniger nachtheilig, als man glaubt; ihm liegt ein entschiedener Wohlstand zu Grund, den wir in den Thalorten und in jenen Waldorten, wo die Zerstückelung der Höfe häufiger ist, nicht finden. Genußsucht ist allgemein. Wenn der Säugling am Tage oder gleich nach dem Tage der Geburt, selbst im strengsten| Winter, vom fernen Filial zur Taufe in die Mutterkirche getragen wird, bleibt er auf der Backmulde am glühendheißen Ofen liegen, bis Gevatterleute und Hebamme satt gegessen und getrunken haben; darum sind auch schon Kindlein aus dem Kissen (einem Kopfkissen, in welches der Säugling gebunden ist) verloren, doch wieder gefunden worden. Mit der Taufe tritt zwischen dem Taufzeugen und Päthchen ein ungemein inniges, auf das ganze Leben sich erstreckendes, Verhältniß ein. Die Todten werden reichlich „beweint;“ eine Leiche kann einen Hofbauer bei hundert Gulden kosten, und darum sind auch die Geleite in diesen großen Pfarreien sehr zahlreich. Die Hochzeiten aber können mehrere Tage lang zu Zechgelagen Anlaß geben. Zuerst wird die Hochzeit mit dem Wirthe verabredet: für die Nächstbetheiligten die erste Zeche; dann 2–3 Hochzeittage mit Tanz und Spiel. Es ist auf der Höhe des welzheimer Waldes nicht eben etwas Übertriebenes, hiebei ein Dutzend Mastschweine, etliche Kälber und Rinder als Wurstzulagen, 10–12 Eimer Wein und für 80 bis 90 fl. „Mütschelen“ aufgehen zu sehen; dann was der Bauer von 4–6 Pfd. Braten, die ihm nach „Voressen“ in saurer Brüh und nach Rindfleisch zum Reis (Suppe) aufs Sauerkraut neben Blut-, Brat- und Leber-Würsten gelegt worden, übrig hat, nimmt die Bäuerin im Ridicül – in einer Art Kissenüberzug – mit heim, und sie kann’s ordentlich zurecht legen auf dem Wägelen, bis „ihr Bauer“ (d. h. ihr Mann) die letzte Bouteille Ehrentrunk auf dem Sitz unter Musik und Glückwunsch geleert hat. Dem Feste folgt der Abrechnungstag mit dem Wirthe: wieder ein besonderer Zechtag. Freilich die große Hochzeit hält nur der Bauer; aber diese ist Ostentation des Vermögens, der Freundschaft und öffentlichen Geltung. Jeder zehrt dabei auf seine Kosten mit Weib und Kind, die Ledigen abermals für sich selbst, und schon wenn der Bräutigam sammt Hochzeitläder mit Degen und Blumenstrauß, oder (im Thale) die Braut mit einer Brautjungfer, ein weißes Sacktuch in der Hand, kommt, ist in dem, in der ganzen Gegend üblichen, Einladungsspruch auf diese Vergeltung von Glanz und „Ehre“ hingedeutet: „Was auser Begehr isch, würdt Euch schau bekannt sey. d’Hauzig isch nächsta Deistig im Steara – kommat in d’Kirch; im Steara werdet Ihr finda, was euser[ws 1] Begehr isch; ’s soll Elles reacht werda und mer wellat d’Ehr au schau wieder wett macha.“ In jedem Hause wird ihnen der Brodlaib dargeboten, von dem sie eine Schnitte abnehmen und von den so gesammelten Schnitten hernach eine Suppe bereiten, welche die Brautleute mit ihren nächsten Angehörigen verzehren. Sie essen im Wirthshause mit neuen Löffeln, die von da an ihr Eigenthum bleiben. Braut und Brautjungfern tragen überall hohe, kronenartig gestellte, Aufsätze auf den Köpfen, | und den Gästen werden Rosmarinsträuße gereicht. Im Zuge zur Kirche kommt zuerst die Braut, welche auch zuerst zum Altar tritt. Sobald das Paar die Stühle verläßt, tritt ein Befreundetes sogleich genau an die Stelle, welche der Fuß der zum Altar Tretenden bedeckt hat. Beide, die Braut zur Rechten, stellen, um böse Einflüsse zurückzuhalten, am Altar so nahe sich aneinander, daß man zwischen ihnen nicht hindurch sehen kann. Nach der Trauung folgt der Brauttanz, am Abend aber wird der Braut unter Musik der Brautkranz abgenommen. Findet in der Kirche zugleich eine Taufe Statt, was sehr gerne gesehen wird, so ist die Braut unter allen Umständen verbunden, dem Säugling ein Geschenk in das Kissen zu legen. Die Wirthe können schon bei ihrer Niederlassung und Hochzeit ihre ausgebreitete „Freundschaft“ bei der Wahl geltend machen; denn alle diese Freunde, d. h. Verwandte, sind ihre regelmäßigen Kunden mit Taufschmaus, Hochzeit und Leichentrunk, für Einkehr an Sonn-, Feier- und Fest-Tagen; da entscheidet nicht des Wirths Gewandtheit und Gefälligkeit, nicht einmal die Qualität der Speisen und Getränke. Zu diesen Zechen sind auch die Märkte mit Musikanten, die Nachkirchweih, die Versteigerungen, die größeren Kaufsverträge einzurechnen. Ja, im Orte der Mutterkirche sind die Sonn- und Feier-Tage, an denen die Filialisten vor und nach der Kirche einkehren und manchmal sitzen bleiben, förmliche Zechtage. So ist die Klage einer Bäuerin zu verstehen, daß sie nicht mehr hausen könne, seit ihr Mann – ein Filialist – alle Sonn- und Feier-Tage in die Kirche gehe. Zu Dank für Lob und Bewunderung seiner „Rechtschaffenheit,“ daß „er’s könne,“' daß „es der Wald ertrage,“ läßt der größere Bauer an Nebentischen geringere Gesellschafter trinken; da „bringt’s“ Einer dem Andern, und dieses Zutrinken ist meist die Ehrentaxation, die sich der Rechtschaffene, d. h Wohlhabende, viel kosten läßt. Außer diesen Zechen sind noch der Ostermontag und der Pfingstmontag große Trinktage. – An Vergnügungen fehlt es also dem jungen Volke gar nicht; in solch großen Parochien kommen jährlich 2–4 Märkte, in 4–6 Wirthshäusern Tanz und Musik, eine Kirchweih und 30–40 Hochzeiten vor. Dazu kommen sogenannte Komödien, Marionetten und Gaukler, die sich nicht selten in Tänze auflösen; Sommers an Sonn- und Feiertagen Kegelspiel, am Schlusse häufig Tanzmusik, Winters Karten und dazu die Lichtkarze. Selten gehen diese über Mitternacht dauernden Belustigungen ohne Prügeleien ab. Im Herbste, am Neujahr, bei Taufen und beim Mägdewandern wird das Pulver nicht gespart. Auch lieben sie es an Sonntagabenden auf der Landstraße spazieren zu gehen und zu singen. Wirkliche Volksfeste sind nicht eingeleitet; auf jene Vergnügungen aber wirken bereits da | und dort die Gesangvereine vortheilhaft ein. Dieser rohen Ausbrüche der Lust ungeachtet, sind die Leute keineswegs sittenlos. Es ist vielmehr ein treuer, folgsamer, fleißiger Menschenschlag, und gutmüthig, wer ihn zu behandeln versteht. Er gehorcht der Obrigkeit, ist ehrerbietig gegen Vorgesetzte und ehrt seine Lehrer in Kirche und Schule. Der Waldbewohner wandert nicht leicht aus, weil ihm seine Wälder und Fluren so lieb sind, wie ein alter Freund. Die Ehen, wenigstens der Höhebewohner, sind meist geordnet, und wenn der Bube vergohren hat, wird er ein emsiger, aufopfernder Hausmann; denn sie lieben ihre Kinder, welchen die Bildungsfähigkeit aus den hellen Augen leuchtet. Es sind auch allermeist treue Unterthanen, und wissen die Verbesserung ihrer Zustände zu ehren. Nirgends widersetzen sich die Leute den Schuleinrichtungen, die doch so tief in ihr Leben einschneiden; wenn gleich nicht zu läugnen ist, daß die Gewohnheit des Herkommens noch häufig das größte Hinderniß der Cultur ist, indem auf dieselbe die Alten ebenso erpicht sind, wie auf ihre Hofnamen. Auffallend groß ist die Abneigung der Waldbewohner gegen Gewerbe mit sitzender Lebensart (s. unten); wo es aber gilt, Körperkraft und Muth zu entwickeln, da sind sie am Platze. Daher ist auch ihr Benehmen bei Feuersbrünsten ausgezeichnet. Dabei sind sie auf dem Markte des Lebens nichts weniger als dumm. Sie lieben ihren Nächsten und der Reiche borgt auch dem Armen. Für ihren Wohlthätigkeitssinn zeugen die öffentlichen Rechnungen und der Umstand, daß alle arme Kinder untergebracht werden können. Selbst der religiöse Barometer ist gestiegen, ohne einen hohen pietistischen oder andern mystischen Grad zu zeigen. Es herrscht zwar noch viel Aberglauben, besonders bei unerklärten Krankheiten. Alles, was sie nicht erklären können, ist „gemacht“ und verhext; sie opfern auch in katholischen Kirchen und bei Standbildern – aber thut dieses nur das Landvolk, unter diesem nur der Waldbauer? Der Grund mancher Fehler und Hemmnisse der Civilisation, aber auch der Grund mehrseitigen Wohlstandes, liegt in dem Vereinödungssystem; allein diese Zersplitterung hat selbst für dieses Landvolk viel Poetisches, und Manche sind in Wahrheit poetischer und witziger, als es, da es ihnen an freier Mittheilungsgabe fehlt, kund werden kann. Über Trunkenheit und abergläubische Gebräuche und Ansichten wird auch in den Thalorten geklagt; aber auch hier sind die Leute bei guten Naturanlagen in geistiger Entwicklung nicht zurückgeblieben, sie sind empfänglich für geistige Eindrücke, wohlthätig und kirchlich. Die industrielle Regsamkeit sollte aber größer seyn. In Bezug auf Sittlichkeit, religiöse Cultur und Sitteneinfalt zeichnen sich die Waldbewohner, die man häufig noch für so roh hält, vortheilhaft vor | den übrigen aus, obgleich ihnen eine allzugroße Indulgenz gegen verschiedene Neigungen, Schwächen und Gewohnheiten des Sinnesmenschen zum Vorwurf gemacht wird.
Das liebste Getränke auf dem Walde ist der Wein, den der rechte Bauer nicht schlecht im Keller hat: remsthäler oder weinsberger Thalwein. Der Obstmost wird meist noch aus unreifem Obst und allzuviel Wasser bereitet. Häufig ist der Genuß des oft mit nachtheiligen Ingredienzen geschärften Branntweins. Vereine gegen denselben gedeihen nicht auf dem Berge; denn gebrannte Wasser geben dem Holzmacher schnelle Wärme im Winter, löschen mit Wasser den Durst im Sommer, sind zu wohlfeil und zähmen den Hunger, schaden auch bei rauher Kost weniger. Auch das Bier ist ziemlich allgemein und gut. Gut bereiteter Kaffee wird vom weiblichen Geschlechte in ansehnlichen Quantitäten genossen. Erdbirnen, Roggenbrod – oft blau vom Ruß – bei Kirchweihen, Speisungen und Trinkgelagen weißes Brod mit Safran vergoldet – sogenanntes Krapfes – Milch, Butter, Knollen- und andere Käse, gewöhnliche Gemüse, worunter Sauerkraut obenan, Schwein-, Rind- und Kalb-Fleisch, Eier und Mehlspeisen sind die Speisen. Es wird viel gegessen und viel getrunken. In der Kochkunst sind die Leute aber nicht stark. Den Kranken wird Zuckerbrod zu Wein gekauft, den sie sogar in hitzigen Fiebern darreichen. Der Wein ist ihnen nebst Weißbrod nothwendig nach der Aderlässe, die sich fast regelmäßig wiederholt. „Hau mer schau lang nimmä g’lau“ heißts bei Allen. In den Thalorten hat der wohlhabende Bauer seinen, wenn auch nur in Obstmost bestehenden, Haustrunk. Die Mehrzahl lebt aber von Milch, Kartoffeln, Kraut und Mehlspeisen. An Fastnacht, Kirchweih u. s. w. werden Küchlein, Weißbrod und Kuchen mit Obst gebacken. Auf dem Walde werden die Stuben, in der Regel auch bei geringerer Kälte, tüchtig geheizt, wobei die Leute so leicht gekleidet sind, wie in der Heuernte.
Das obenerwähnte starre Herkommen der Waldbauern, das sich seine Mundart nicht biegen läßt, war auffallend nachgiebig gegen Modernisirung der Kleidung. Nur das kurze Mieder ist meist geblieben, das aber die Taille so verlarvt, daß der Leib vom Kopf bis zum Fuß eine geradlinige Pyramide bildet. Dazu wird ein Bändelhäubchen getragen, unter welchem die bebänderten Zöpfe herabwallen, so lange die Schöne noch unverheiratet ist. Der Bauernbursche auf dem Walde dagegen, noch in kurzen Lederhosen, an welche sich vest die hohen Stiefel anschließen, ein blaues Wamms mit weißen Knöpfen vest geschlossen, aus der Seitentasche Besteck vorstehend, mit schrägaufgesetzter, grüner, pelzverbrämter Sammtkappe und silberbeschlagenem Ulmerkopf mit kurzem krummem Rohr| stellt in der That etwas vor; der Bauer in blauem, rothgefüttertem Rocke, unterm Dreispitz, am langen Stocke nicht minder. Bei alten Waldbauern sieht man noch manchmal den runden Schlapphut. In und um Kirchenkirnberg jedoch ist die Kleidung schlecht, meist von rauhem Linnen und nur Sonntags theilweise Wollentuch. In Lorch, wo wenige Bauern, ist die Tracht meist städtisch; in den übrigen Thalorten dagegen trägt der Mann an Werktagen Wamms und Beinkleider von Linnen, Sonntags aber einen blauen Rock mit vielen großen weißen Knöpfen, schwarze Weste meist von Manchester mit zahlreichen runden, weißen Knöpfen (in früherer besserer Zeit aus Silbermünzen bestehend), schwarze, kurze Lederhosen, statt deren die Jüngeren lange Tuchbeinkleider tragen, mit Stulpstiefeln. Manche tragen noch rothe Tuchwesten, auch Wämmser, oder schwarze, blaugefütterte Leinwandröcke. Hier wird der dreieckige Hut schon so getragen, daß seine Schaufel das Gesicht bedeckt. Blau und Schwarz sind die Hauptfarben, auch der weiblichen Tracht; zum dunkeln Kleide kommt an Festtagen noch ein weißes Halstuch. Doch liebt die Jugend an Schürzen und Tüchern helle und bunte Farben.Von besonderen Sitten und Gebräuchen heben wir noch folgende aus:
Hie und da, z. B. auf der linken Hochebene des Remsthales, kommt noch das Spiel des „Pfingstlümmels“ vor, wobei ein in Tannenreiser und andere Zweige eingehüllter Knabe von zwei andern in der Nachbarschaft umhergeführt wird, Geschenke eingesammelt werden u. s. w. Offenbar heidnischen Ursprungs (s. J. Grimm, deutsche Mythologie 440, 452, 455 etc.). An den Pfingsttagen gehen die ledigen Bursche überall mit neuen Peitschen aus dem Dorfe, um ein länger anhaltendes, taktmäßiges Knallen zu beginnen. In der Nacht vor dem 1. Mai pflanzen die Bauern auf dem Walde von Welzheim und Gschwend auf der Miststätte vor jedem Hause ebenso viele Tannenbäume als Pferde, und ebenso viele Birkenstauden, als Stücke Rindvieh im Stalle sind, auf; was Prescher (in Gräters Bragur VI. 1. 121) auch für einen Überrest heidnischer Götterverehrung hält. Ferner ist das Eierlesen, früher in einigen Orten zu Pferde, allgemein und hat sich in Waldhausen als Jugendfest erhalten. Am Donnerstag vor dem Christfest ferner wird (z. B. um Lorch) eine junge, schwarze Henne eingeschläfert und auf den Boden gelegt, indeß sich junge Leute in einem Kreise versammeln und ihr Erwachen erwarten. Verläßt sie nun den Kreis, so wird angenommen, daß diejenigen, zwischen welchen sie weggeht, im Laufe des Jahrs heirathen; verunreinigt sie aber die Stelle, an welcher ein Mädchen sich befindet, so gilt es als ein Zeichen, daß dasselbe demnächst unehlich niederkomme. Gefallene Mädchen dürfen| nicht mehr bunte Bänder in die Zöpfe flechten, sondern sollen letztere innerhalb der Jacke angeheftet tragen. Unternimmt eine Wöchnerin (Lorch) den ersten Kirchgang, so wird alsbald hinter ihr die Hausthüre geschlossen und darf nicht eher geöffnet werden, als bis die Heimkehrende, die unterwegs mit Niemand reden soll, anpocht. Bis zur Taufe darf das Licht nicht ausgelöscht werden. So lange ein Todter im Hause liegt, soll (ebenda) nicht in der Erde gearbeitet, auch nichts unternommen werden, womit kreisförmige Bewegungen (wie beim Spinnen am Rad, beim Fahren) verbunden sind. Der männliche Theil der Leichenbegleitung zieht mit bedeckten Häuptern zur Kirche und nimmt während des Gottesdienstes die Kopfbedeckung nicht ab. – Viele ältere Volksgebräuche, zumal in größeren Orten, verschwinden übrigens zusehends.Die Mundart ist eigentlich nur die breite schwäbische, aber nicht so breit, als auf der Alp, mit einem etwas jüdelnd singenden Ton, der ein fränkischer Anklang ist. Jedoch wird das P wie Pf und das S am Schlusse wie Sch ausgesprochen; letzteres aber nicht überall und in allen Wörtern, indem sie nicht „Weitmersch,“ sondern „Weitmers“ und nicht „Allesch,“ sondern „Elles“ sprechen.
Wie schon oben erwähnt, besteht auf dem Walde Majoratsrecht, indem der Hof dem Erstgebornen, Sohne oder Tochter, gegen billigen Anschlag („Kindskauf“) und zwar gewöhnlich sehr frühe, schon bei des Vaters Lebzeiten, überlassen wird, wobei sich der Vater ein sogenanntes „Ausding“ an Früchten und andern Lebensbedürfnissen, oder die Mitgenießung einiger Grundstücke vorbehält. Im Übrigen gilt die landrechtliche Errungenschafts-Gesellschaft.
- ↑ Die Liste von 1822 giebt unter der Rubrik „Bedienstete“ folgende Unterabtheilungen:
- in königl. Militärdiensten 262
- in Civildiensten 89
- in gutsherrschaftlichen Diensten 8
- in Commundiensten 228
- Zusammen 587
- ↑ Es gibt mehrere Orte, deren Einwohnerzahl sich seit 1774 verdoppelt und sogar verdreifacht hat. S. die Ortsbeschreibung.
- ↑ Herr Pfarrer Scholl bemerkt: „In der Regel erst, wenn die Krankheit einen bedenklichen Charakter hat, wird ein Recept oder der Arzt geholt; vorher thut’s der Medicaster oder Quacksalber. Ist der Kranke schlecht geworden, so holt man den Pfarrer zum letzten Abendmahl. Diese Beiziehung des Arztes und Pfarrers enthalten die Personalien bei den Leichenpredigten, worin die Familie bezeugt haben will, daß nichts versäumt worden sey.“ – Dicke, mit Federn gestopfte, Betten gelten als große Wohlthat auf dem Walde. Auch verspricht man sich hier, wie sich unten zeigen wird, fast bei allen Krankheiten sehr Vieles vom Genusse des Weines. Doch gehen sie aber auch für ihre Kranken gerne weit zu frischen reinen, aber weichen Brunnquellen.
- ↑ Nach einer trefflichen Schilderung des Herrn Pfarrer Scholl in Alfdorf, die wir leider der Raumersparniß wegen abkürzen mußten. Soweit nicht das Gegentheil bemerkt, bezieht sich die Mittheilung hauptsächlich auf die Waldorte; die nicht minder schätzenswerthen Nachrichten über die Thalorte, welche hier mitverbunden werden, verdanken wir der Güte des Herrn Pfarrer Meyer in Lorch.
- ↑ Korrektur nach Beschreibung des Oberamts Hall S. 327: S. 38, Z. 8 v. u. ist statt Euer – euser, d. h. unser – zu lesen
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