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Bilder aus Varna

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Textdaten
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Autor: Julius von Wickede
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Titel: Bilder aus Varna
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28–29, S. 327–330; 340–343
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder aus Varna.
Ankunft in Varna. – Ein gut Quartier. – Der Hafen von Varna. – Besuch auf einer türkischen Fregatte. – Der Capitain des Schiffes. – Die Kajüte. – Das Innere eines türkischen Kriegsschiffes. – Wie die türkischen Matrosen diniren. – Englische Waghalsigkeit. – Befestigung Varna’s.

Da wir unsere Ankunft in Varna durch unseren vorausgeschickten Dollmetscher Stephan-Gregorio hatten vorher anzeigen lassen, so erhielten wir trotz der nächtlichen Stunde, indem die ganze Stadt, mit Ausnahme ihrer vielen Straßenhunde und der Wächter schon begraben lag, doch noch ein sehr gutes Quartier. Das gütige Geschick wollte, daß dasselbe bei einem alten, echten Türken und nicht wie leider bisher immer der Fall gewesen, bei einem Griechen im Hause war, und wir hatten wahrlich alle Ursache mit diesem Tausche zufrieden zu sein. Mit würdevollem Anstand empfing uns der alte Achmed, so hieß unser Wirth, ein sich zur Ruhe gesetzter früherer Schiffscapitain und das „Islam aleihum,“ womit er uns an der Schwelle des Hofes begrüßte, klang so herzlich, daß man schon dem Tone seiner Stimme es anmerken konnte, wie wirklich gut es gemeint sei.

Ein kleines Gartenhaus, in dem zwei leere Zimmer für die beiden englischen Offiziere und mich und einige kleine finstere Kammern für Stephan-Gregorio und den anderen Diener sich befanden, diente zu unserer Behausung und stand uns zur alleinigen Verfügung. Auf unserer ganzen Reise hatten wir kein so gutes Quartier gehabt und waren wirklich froh, daß wir hier ein solches bekommen. Zwar war das Ameublement unserer beiden Zimmer fast mehr wie einfach und bestand nur aus einigen großen, groben Wollenteppichen, die in der einen Ecke lagen und des Nachts zum Schlafen, des Tages aber zum Sitzen dienten und zwei großen, kaum vier Fuß hohen Tischen von einfach weißem Holz, nebst einigen Waschgefäßen von grobem Thon und einem Kohlenbecken, wie solche in der ganzen Türkei üblich sind. Der große Vorzug dieser Wohnung war aber ihre lobenswerthe Reinlichkeit und der gänzliche Mangel an Ungeziefer jeglicher Art, und wer je in diesen Gegenden gereist ist, weiß, was dies zu bedeuten hat. Aus unseren Fenstern, die des Nachts durch hölzerne Läden geschlossen wurden, bei Tage aber völlig offen standen, da Fensterscheiben von Glas nicht vorhanden waren, hatten wir eine schöne, freie Aussicht auf den Meerbusen, an dem Varna liegt, und da der Ort selbst, wie alle bulgarischen Festungen, im Innern schmutzig und sehr häßlich ist, so war dies keine geringe Annehmlichkeit für uns. Die Verpflegung, die wir von unserem Wirthe bekamen, bestand des Morgens in sehr gutem Kaffee, alles Uebrige kochte entweder Stephan-Gregorio mit der größten und wirklich anerkennenswerthen Geschicklichkeit, die er in allen solchen Dingen besaß, auf einem kleinen Herd oder wir nahmen unsere Mahlzeiten in einer gerade nicht sehr lobenswerthen Restauration ein, die von einem widerlich zudringlichen und geschwätzigen Griechen verwaltet wurde. An Lebensmitteln aller Art war übrigens kein Mangel und besonders Hammelfleisch, Feldhühner, Tauben, treffliche Seefische, dann Reis, Mais, Hirse, Melonen, sonstige schmackhafte Früchte und dazu guten griechischen und italienischen Wein konnte man vollauf, wenn auch freilich zu etwas theuren Preisen bekommen. Ich selbst blieb übrigens nur einige Tage in Varna, da ich von dort wieder nach der Donau ritt, um diese stromaufwärts heraufzudampfen, meine beiden englischen Gefährten aber, von denen ich mich hier trennte, indem dieselben später nach Constantinopel reisten, verweilten mehrere Wochen daselbst.

Ziemlich hoch stand am andern Morgen schon die Sonne am Horizont, als wir aufwachten und unseren freundlichen Wirth, seine lange Morgenpfeife gemächlich rauchend, vor unserem Lager stehen sahen. „Was beliebt Euch meine Herren,“ lautete die Frage des guten Alten und er freute sich sehr, als wir ihm sagten, daß wir vortrefflich geschlafen hätten und mit unserem Quartier überhaupt vollkommen zufrieden wären. Unser erster Gang, nachdem wir den Kaffee getrunken, war nun zum Meere, was gar so verlockend vor unseren Augen sich ausbreitete, um ein Bad in demselben zu nehmen. Ein leichtes Boot von einem kräftigen türkischen [328] Ruderer auf wirklich sehr gewandte Weise geführt, brachte uns bald aus dem Gewühl von kleineren und größeren Schiffen, was dicht am Ufer herrschte, heraus, und etwas weiter in den Meerbusen, wo wir eine freie Stelle fanden, die sich vortrefflich zum Baden eignete. Daß übrigens das „schwarze Meer“ seinen Namen nicht ganz mit Unrecht führt, konnten wir jetzt, wo wir uns auf und in demselben befanden, besser erkennen, wie am gestrigen Abend, als wir es, von der Abendsonne vergoldet, zuerst aus der Ferne gesehen hatten. Die Farbe desselben hat etwas sehr dunkeles, geht fast in das Schwarzgraue über und weicht so sehr von den viel helleren Schattirungen ab, welche die sonstigen Meere in der Regel zeigen. Es wachsen hier nämlich am Boden des Meeres viele dunkel gefärbte Seegräser und andere Pflanzen, deren Widerschein dem Wasser diese düstere Färbung verleiht. Wie klar und leicht ist z. B. das Wasser im Meerbusen von Genua gegen das hier von Varna.

Die Rhede dieses Hafens ist übrigens in vieler Hinsicht vortrefflich und bietet durch die weit in die See sich hineinstreckenden Landzungen den Fahrzeugen einen sicheren Schutz gegen die Nord- und Westwinde, welche die Schifffahrt auf dem „schwarzen Meer“ oft so sehr gefährlich machen, daher Varna mit zu den besten Hafenplätzen desselben gezählt wird. Ganz große, tiefgehende Kriegsschiffe können nicht bis dicht an die Stadt heran, da das Wasser hier zu flach wird, für gewöhnliche Kauffartheischiffe und Korvetten und mäßige Dampfer reicht die Tiefe vollkommen aus. Dieser gute Hafen, verbunden mit den sonstigen Vorzügen seiner Lage, macht auch, daß Varna mit zu den bedeutendsten Handelsstädten der europäischen Türkei gerechnet werden kann. Zwar hat Rußland Varna 1828 möglichst zu zerstören gesucht, da es einen Rival von Odessa in demselben sah, doch erholte sich die Stadt seit jener Zeit schon ziemlich wieder. Es sind mehrere fremde Handlungshäuser hier etablirt, und österreichische, englische und griechische Handelsfahrzeuge besuchen den Hafen alljährlich in großer Anzahl. Besonders jetzt war ein wirklich reges Gewühl in demselben, denn der Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und der Türkei stand täglich zu erwarten und so galt es denn die letzten Augenblicke zu benutzen, bevor die russische Flotte den Hafen vielleicht gänzlich sperrte. Viele der in den Tagen, die ich in Varna verweilte, einlaufenden Schiffe hatten freilich keine Waaren des friedlichen Handels, sondern Werkzeuge des Krieges am Bord. Türkische und ägyptische Kriegs- und Handelsschiffe brachten Waffen, besonders auch schwere Geschütze aus den Gießereien von Constantinopel, Bomben, Vollkugeln und Pulver, Andere hatten wieder lebendige Ladungen von Soldaten am Bord. So war denn in den engen schmutzigen Straßen der Stadt oft ein solches Gedränge von Soldaten, Lastträgern und bulgarischen Bauern mit ihren plumpen, mit Büffeln bespannten Karren, welche die Sachen von hier nach Schumla und Silistria weiter schaffen sollten, daß man oft nur mit äußerster Mühe durch das Gewühl hindurchdrängen konnte. Wirklich gar manche interessante Genrebilder aller Art konnte man hier sehen, obgleich man dieselben wieder mit vielen und oft nicht geringen Unannehmlichkeiten erkaufen mußte.

Da wir uns doch einmal im Hafen befanden, so war es mit unser erstes Geschäft nach dem Bade, eine türkische Fregatte, die auf der Rhede vor Anker lag, zu besehen. Unser kleiner Kahn, mit dem wir zum Baden gefahren waren, konnte uns Alle, die wir zur Fregatte fuhren, denn außer unserem Dollmetscher hatten noch zwei türkische Artillerieoffiziere sich uns bei dieser Fahrt angeschlossen, nicht aufnehmen und so nahmen wir denn ein größeres Boot, das mit acht Ruderern bemannt war. Es waren Inselgriechen, welche uns fuhren, hübsche, gewandte Burschen, mit klugen und lebendigen Gesichtern, die ihre langen, schmalen Ruder so geschickt und tactmäßig zu handhaben wußten, daß unser leichtes Boot wie ein Pfeil schnell durch die dunkeln Fluthen schoß. Ich bin gewiß nichts weniger als ein Verehrer der Griechen und gehe denselben gerne so weit ich nur kann aus dem Weg, aber als geschickte und kühne Seeleute habe ich dieselben stets gefunden. Von allen den zahlreichen Völkern, welche die Küsten und Inseln des Mittel- und des „schwarzen Meeres“ bewohnen, sind die Griechen wohl unbedingt mit die besten Seeleute und nach ihnen die Genuesen, die schlechtesten aber gewiß die Neapolitaner.

Obgleich die türkische Fregatte, die Truppen gebracht hatte und jetzt schon wieder nach Constantinopel zurücksegeln wollte, ziemlich weit auf der äußersten Rhede lag, brachte uns unser Boot doch in kürzerer Zeit an Bord derselben, wie dies wahrscheinlich irgend wie andere Ruderer, Engländer und Norweger ausgenommen, gethan hätten. Die Fregatte, ein Schiff von 48 Kanonen, – sie ist seitdem bei Sinope mit zerstört – sah von Außen fast eben so ordentlich und gut gehalten aus, wie ein Kriegsschiff irgend einer andern Nation, und auch die Takellage war, so weit ich es wenigstens als Laie im Seewesen beurtheilen konnte, vollkommen in Ordnung. Unser englischer Seeoffizier wollte freilich nicht Alles ganz nach seinem Geschmacke finden und sagte mir, dies Tau müßte straffer angespannt und jene Rae anders gerichtet sein, erklärte sich aber doch, in Betracht, daß es nur ein türkisches und kein englisches Schiff sei, so ziemlich mit dem Ganzen zufrieden. Eine etwas schadhafte, kleine hölzerne Treppe, die in Haken hing, wurde uns vom Verdeck heruntergeworfen, und mit großer Willfährigkeit empfing uns sogleich am Bord der Commandant des Schiffes. Es war noch ein ziemlich junger, sehr kräftig aussehender Mann, unbedingt der schönste und stattlichste Türke, den ich je gesehen habe. Ein prächtiger Bart von einem seltenen glänzenden Schwarz umschloß sein ungemein edel geformtes Gesicht mit der gebogenen Römernase und den dunkelen, feurigen Augen und wallte ihm in zierlicher Kräuselung, bei der wahrscheinlich die Kunst das Ihrige mit gethan hatte, bis auf die Mitte der Brust herab. Sein Anzug bestand aus einem dunkelblauen Oberrock von militärischem Schnitt, weiten, blauen Pantalons, rothen Maroquinstiefeln und dem nie fehlendem rothen Fez, mit einer kleinen Diamant-Agraffe, dem Zeichen seines Ranges, an demselben. An einem dünnen, rothseidenen Gurt trug er einen kleinen gekrümmten Säbel in prächtiger, mit Gold verzierter Maroquinscheide, der Griff mit blitzenden Steinen ganz besetzt. Der Capitain, der einige Zeit in Toulon gewesen war, konnte etwas Französisch radebrechen und gebrauchte, uns zu Ehren, bisweilen einzelne französische Phrasen, fiel aber bald immer wieder in das Türkische zurück, so daß Stephan-Gregorio dann als Dolmetscher aushelfen mußte. Uns in seine Kajüte zum Frühstück zu begeben, war sogleich die Einladung des Schiffsbefehlshabers und da uns das Bad und unsere Fahrt ziemlich hungrig gemacht hatten, so leisteten wir dieser gastlichen Einladung auch recht gern Folge.

Die Kajüte, die sich im Spiegel der Fregatte befand, war nach türkischem Geschmack sehr elegant eingerichtet und sah ungleich besser aus, als das Gemach des Pascha, in das wir z. B. in Rustschuk geführt waren. Ein schöner Teppich bedeckte den ganzen Fußboden, und niedere, mit rothem Wollendamast überzogene Divans liefen rings an den drei Wänden herum, während der Plafond aus weißer, mehr reich wie gerade geschmackvoll vergoldeter Holztäfelung bestand. Eine vollständige Sammlung sehr schöner und kostbar mit Gold und Steinen verzierter Waffen hing an der einen Kajütenwand und fesselte die Aufmerksamkeit der Eintretenden.

Dem Capitain schien es Freude zu machen, daß wir sogleich großes Wohlgefallen an diesen Waffen fanden, und bereitwillig nahm er die einzelnen Stücke herab und gab sie uns in die Hände, damit wir sie bequemer besehen konnten. Es waren Handschars (breite, dolchartige Messer), mehrere krumme Säbel und auch reich ausgelegte Pistolen darunter, so daß die Sammlung gewiß einen bedeutenden Werth hatte. Das Prachtstück derselben war ein alter, ziemlich schwerer krummer Säbel mit einer der berühmten schwarzen Klingen, wie sie früher in Damascus verfertigt wurden. Der Capitain hieb einen dicken eisernen Nagel, der in der Wand eingeschlagen war, ohne Weiteres damit durch, als wenn es nur ein weicher Holzstift gewesen wäre, ohne daß die treffliche Klinge auch nur die mindeste Scharte bekommen hätte. Nicht ohne ein wohlgefälliges Lächeln hörte er die aufrichtigsten Lobsprüche an, die wir sowohl seiner Geschicklichkeit wie auch der Güte des Säbels spendeten, und die Stephan-Gregorio übersetzte und sagte uns, den Säbel würde er führen, wenn es nur erst gegen die verhaßten „Moskows“ (Russen) in den Krieg ginge. Die russischen Kanonen bei Sinope haben diesen kriegerischen Wünschen ein baldiges Ende gemacht, und der muthige Capitain sammt seiner tüchtigen Fregatte und den prächtigen Waffen ruht jetzt schon lange in dem kühlen Schooß des schwarzen Meeres, denn wenigstens den Zeitungsnachrichten nach soll dieselbe mit in die Luft geflogen sein. Wer weiß, ob nicht der Capitain selbst, mit einer jener glänzenden Pistolen, den letzten Schuß in die eigene Pulverkammer that, als er sein Fahrzeug nicht mehr retten konnte, damit die von ihm so bitter gehaßten Russen nicht den Triumph haben sollten, als Sieger am [329] Bord desselben zu kommen. Der Mann sah immer schon so aus, als könne er solch einer heroischen That fähig sein.

Nächst der Waffensammlung fesselten unsere Aufmerksamkeit mehrere kleine Tische, auf denen Seekarten, ein Kompaß, ein Sechstant und andere derartige Seeinstrumente, ein großes Sprachrohr und mehrere größere und kleinere Fernröhre lagen. Alle Instrumente waren aus bekannten englischen Werkstätten, und sahen sehr gut erhalten aus.

Nachdem wir so die Einrichtung der Kajüte besehen hatten, nahmen wir auf Einladung des Capitains, der sich selbst auch auf europäische Weise setzte, auf den Divans Platz. Mit einer kleinen silbernen Pfeife that derselbe jetzt einen hellen Pfiff, und sogleich traten zwei Neger, ganz in rothe Hosen und Jacken gekleidet, mit schon brennenden Tschibuks (Pfeifen) herein und steckten einem Jeden von uns die Spitze derselben in den Mund. Die Röhren der Pfeifen, wohl fünf bis sechs Fuß lang, waren von Weichselholz, in der Mitte mit einem rothseidenen, goldgestickten Handgriff verziert, die kleinen Köpfe ohne Deckel von rothem gebrannten Thon, die langen, breiten Spitzen von hellem glänzenden Bernstein. Als der Capitain sah, daß ich als Nichtraucher mich begnügte, nur den Dampf in die Lust zu paffen, lächelte er darüber und ließ mir durch den Dolmetscher, der sich übrigens nicht mit setzen durfte und auch keine Pfeife bekam, sagen, ich solle mich nur nicht geniren und die Pfeife weglegen, wenn ich nicht rauchen könne oder möge, was ich denn auch ohne Weiteres that.

Landungsplatz in Varna.

Nach aufgehobener Tafel, deren Schluß starker, heißer Kaffee in ganz kleinen Porzellantassen ohne Henkel, die in einer metallenen Untersatzschaale ruhten, bildete, besahen wir uns nun unter der Führung unsers gefälligen Wirthes das Innere der Fregatte genauer. So gut wie die englischen, französischen, holländischen, sardinischen, nordamerikanischen und dänischen Kriegsschiffe, die ich im Verlauf meiner Reisen gesehen hatte, gefiel mir diese Fregatte freilich nicht; mit den russischen Kriegsdampfern, die ich vor einigen Jahren in Swinemünde sah, konnte sie es aber in jeglicher Hinsicht vollkommen aufnehmen. Die Geschütze waren in guter Ordnung und von schwerem Kaliber, obgleich die neueren Erfindungen zum schnelleren Abfeuern derselben noch nicht sich dabei angebracht zeigten: auch die Enterwaffen der Mannschaft waren in brauchbarem Zustande. Die Leute selbst schliefen übrigens nicht in Hängematten, wie dies auf europäischen Kriegsschiffen der Fall ist, sondern kleine Stücke von einem groben Teppich, aus Kuhhaaren und Wolle, die bei Tage ausgerollt, des Nachts aber zwischen die Geschütze gelegt wurden, bildeten ihre Schlafstellen. Auch die Kajüten der Schiffsoffiziere und des Arztes, eines Armeniers, zeichneten sich durch übergroße Einfachheit ihres Mobiliars aus, wie denn auch die Reinlichkeit in allen Räumen lange nicht so groß war, wie dies auf nordeuropäischen Kriegsschiffen der Fall zu sein pflegt. Die Mannschaft selbst, wie uns der Capitain sagte, größtentheils aus den türkischen Besitzungen am adriatischen Meere her gebürtig, sah im Ganzen nur klein und etwas schwächlich aus, obgleich auch wieder einzelne sehr kräftige Gestalten sich darunter befanden. Auffallend waren uns die vielen jungen Bursche von sechzehn bis achtzehn Jahren, die unter den Matrosen waren, dann aber auch wieder mehrere Grauköpfe. Eine bestimmte Uniform, mit Ausnahme des rothen Fez, der oft aber schon so schmierig aussah, daß man seine Farbe kaum noch erkennen konnte, trugen die Matrosen nicht. Die Meisten hatten blaue oder braune baumwollene Hemden, die vorn an der Brust offen waren, und kurze weite Hosen von Segelleinwand an, die aber nur bis an das Knie reichten. Der übrige Theil des Fußes war bloß, und schienen die Fußsohlen förmlich mit einer dicken Hornhaut schon überwachsen zu sein. Da es gerade die Zeit der Mittagsmahlzeit war, so hatten wir Gelegenheit, die Mannschaft essen zu sehen. Um einen Kessel mit Reis hatten sich acht bis zehn Mann auf dem bloßen Verdeck, denn Tische und Bänke befanden sich im Mannschaftsraume nicht, auf den Hacken gekauert, und langten nun, Einer nach dem Andern mit der hohlen Hand in den Reis hinein, auf diese einfache Art die Portion zum Munde führend. Holzkannen mit Wasser standen auch an den Wandecken umher, aus denen dann die Matrosen, so wie sie durstig wurden, mit einem hölzernen Becher sich Wasser herausschöpften und gleich auf der Stelle austranken. Zweimal in der Woche erhalten die Leute nur ein einziges Stücklen Fleisch, sonst leben sie ausschließlich von Reis, Hirse, Bohnen und schlechtem Brot, ohne dabei die mindesten geistigen Getränke zu bekommen. Man dürfte in der That wenig Menschen finden, die so geringe Lebensbedürfnisse haben, und so wenig zu erhalten kosten, als diese türkischen Matrosen, wie denn überhaupt eine ungemeine Frugalität in allen materiellen Genüssen mit zu den vielen lobenswerthen militairischen Eigenschaften der Orientalen gehört. Die Subordination auf diesem Kriegsschiff mußte übrigens sehr strenge sein, denn so wie nur der Capitain sich in einem Verdeck sehen ließ, sprang sogleich die gesammte Mannschaft schnell von ihren Speisekesseln auf, und stellte sich reihenweise an den Kanonen hin, und erst wenn derselbe es ausdrücklich erlaubte, kauerten sie sich wieder auf ihren Plätzen nieder. Auch die Offiziere und Unteroffiziere näherten sich in einer sehr respectvollen Stellung ihrem Befehlshaber.

Sehr befriedigt von der freundlichen Aufnahme des Schiffscapitains [330] und auch im Allgemeinen von dem was wir gesehen hatten, verließen wir gegen drei Uhr Nachmittags die Fregatte wieder, um an das Land zu fahren. Ein ziemlich heftiger Wind, der dazu uns noch entgegenstand, hatte sich erhoben, und die Wellen gingen so hoch, daß unser leichtes Boot tüchtig von ihm hin und her geworfen wurde. Einer unserer Begleiter, ein türkischer Artilleriehauptmann, der noch nie auf dem Meere gewesen war, konnte diesen Kampf der Elemente nicht ertragen und wurde plötzlich in einem so hohen Grade seekrank, wie ich es selten noch von einem Menschen gesehen habe. Wirklich in völlig bewußtlosem Zustande lag der Türke zuletzt auf dem Boden unseres Bootes und wir fürchteten fast, er würde uns noch während der Fahrt sterben. So wie er aber nur erst wieder auf dem festen Boden war, erholte er sich ungemein rasch und kaum war eine halbe Stunde vergangen, so fühlte er sich schon völlig gesund. Mit fast übermenschlichen Anstrengungen mußten unsere Ruderer übrigens arbeiten, um uns endlich nach 11/2stündiger Fahrt wieder an das Land zu bringen. Sie legten sich dabei so mit der vollen Kraft ihres Körpers in die Ruder, daß ich stets glaubte, dieselben müßten zerbrechen. Ein Extratrinkgeld von einigen Piastern, was wir ihnen versprachen, erhöhte ihre gute Laune aber so, daß sie, trotz dieser harten Arbeit, sangen und lachten. Welch’ tollkühne und dabei doch kaltblütige Seeleute die Engländer aber besonders im stürmischen Wetter sind, davon konnten wir uns während dieser Fahrt auch wieder so recht überzeugen.

Eine kleine englische Kauffarthei-Brigg, die von Odessa kam, wollte in den Hafen von Varna gerade einlaufen, und da der Capitain derselben es sich in den Kopf gesetzt hatte, vor einem größeren österreichischen Barkschiff, was auch im Ansegeln war, vorbeizufahren, so ließ er trotz des schweren Wetters seine Segel nicht so weit einziehen oder doch wenigstens reffen, wie es nöthig gewesen wäre. Mit rasender Schnelligkeit, wie ich sie in der Art noch nie bei einem Segelschiff gesehen habe, kam der Engländer daher gejagt, und wir glaubten wiederholt, das Schiff müsse kentern, so ging es auf die Seite, wenn der so in Stößen stürmende Wind gerade so recht die vollen Segel faßte. Es war wirklich ein großes Beispiel von tollkühnem Leichtsinn, und selbst unser englischer Seeoffizier, so sehr er sich auf der einen Seite auch über den Muth seiner Landsleute freute, schüttelte doch auch wiederholt unwillig den Kopf und meinte, „hat der nicht besonders gute Matrosen, die trotz des Sturms zur rechten Stunde die Segel einziehen können, und paßt der Mann am Steuerruder nicht auf, als wenn er zehntausend Augen im Kopfe hätte, so muß er dort an jenem Vorgebirge scheitern.“ Aber der englische Schiffscapitain war seiner Sache gewiß, und gerade in dem rechten Augenblick drehte das Schiff scharf herum, die Segel verschwanden, als wenn sie durch, eine Maschine und nicht durch Menschenhände eingeholt wurden, und gewiß über eine halbe Stunde früher wie der Oesterreicher hatte der Engländer seinen Ankerplatz erreicht. Unser englischer Seeoffizier war über dies Manöver jetzt so erfreut, daß er mich beredete, sogleich mit ihm am Bord des Kauffahrers zu fahren, da er dem Capitain desselben seine Lobsprüche darüber sagen müsse, was denn auch geschah. Es war dies ein kleiner, rothbäckiger, munter aussehender Engländer von der Nordküste, dem es sehr zu schmeicheln schien, daß der Seeoffizier seine muthige und gewandte Führung des Schiffes so lobte (die Assecuradeure hätten wahrscheinlich andere Gesichter dazu gemacht) und der uns sogleich mit einem Glase steifen Grog bewirthete. Auch die Mannschaft, zehn oder elf Köpfe stark, bestand aus tüchtigen Matrosen, wahre Prachtexemplare der britischen Theerjacken. Der Seeoffizier gab ihnen eine Guinee, um davon die Gesundheit Ihrer Majestät der Königin Victoria zu trinken, was sie denn auch bereitwillig versprachen. Als er ihnen sagte: „Aber, Jungens, wenn es nun wirklich zum Kriege mit den Russen kommen sollte, dann müßt Ihr auch Dienste auf Ihrer Majestät Kriegsschiffen nehmen,“ antwortete Einer der Matrosen ihm lachend: „Ja, Ew. Gnaden, auf den Kriegsschiffen ist freilich nicht allzu gut dienen, denn die Katze mit den neun Schwänzen läßt sich da eben so oft wie das Grogglas sehen, kommt es aber zu einem tüchtigen Kriege, na, da muß man für Altenglands Ehre schon ein Uebriges thun und Dienste nehmen. Aber das „alte Karlchen“ müssen wir dann auch zum Admiral haben, unter dem hab’ ich schon früher gedient und das ist ein anderer Kerl wie hier der Dundas, der da immer herumlungert und mit seinen Schiffen sich nicht auf das schwarze Meer traut. Wäre Karlchen hier, der würde es anders machen. Ja, so ist es, Ew. Gnaden, das können Sie mir glauben,“ wiederholte noch einmal lachend der Matrose, und seine Kameraden stimmten ihm darin bei. Ein anderer Matrose meinte: „Ah, Ew. Gnaden, bald hätte ich Sie doch gar nicht mehr wiedergekannt. Wissen sie wohl noch, wie wir die langzöpfigen Chinesen zusammenarbeiteten, da waren Sie noch so ein Ding von einem „Midshipman“ und jetzt sind Sie so ein schmucker Herr Offizier geworden.“ Der Lieutenant erkannte jetzt auch den braungebrannten, verwetterten Matrosen wieder, der mit ihm im chinesischen Kriege auf ein und demselben Schiff gedient, und gab nun noch eine Extra-Guinee zum Trinken her, so daß wir unter einem dreimaligen lauten Hurrah der Mannschaft endlich vom Bord des Kauffahrers wieder abstießen.

Von der Seeseite her kann man übrigens die feste Lage von Varna theilweise besser wie nah vom Lande aus erkennen. Die Ufer sind fast durchgängig so steil und felsig, daß eine Landung außer unter den Kanonen der Festung ganz unmöglich ist, und besonders das südlich vom Hafen liegende Vorgebirge bildet eine steile, jäh in das Meer abfallende Felsenwand. Von der Landseite aus tragen die vorhin erwähnten Sümpfe und Niederungen sehr viel zur Befestigung der Lage bei und müssen die Belagerungsarbeiten des Feindes ungemein erschweren. Die Russen haben 1828, als sie die Festung endlich einnahmen, dieselbe auf jede mögliche Weise zerstört. Nicht allein, daß sie alle Festungswerke völlig vernichteten, sondern sie sollen auch möglichst viel größere Privathäuser zerstört haben. Mit der gewöhnlichen apathischen Sorglosigkeit, welche die Türken so sehr besitzen, sobald sie nicht zu Anstrengungen förmlich gezwungen werden, haben diese die Befestigung von Varna, obgleich dasselbe nebst Schumla den Schlüssel zu Constantinopel bildet, lange Jahre sehr vernachlässigt und erst seit 1850, wo der Krieg gegen Rußland immer wahrscheinlicher wurde, einige Sorgfalt auf ihre Wiederherstellung und Verbesserung verwandt. Jetzt grade, noch so vor Thorschluß, arbeiten mehrere Tausend Arbeiter an den Werken, und da geschickte fremde Ingenieur-Offiziere die Leitung der Befestigungsarbeiten hatten, und die natürliche Lage ungemeine Vortheile darbot, so sind Werke entstanden, deren Einnahme den Russen wahrlich nicht leicht sein dürfte. Sollte es wirklich im Verlauf des Krieges einem russischen Armeecorps gelingen, bis gegen Varna vorzudringen, und dies dürfte nicht zu den Unmöglichkeiten gehören, so wird es gewiß noch viele, viele Opfer kosten, bevor die Einnahme wirklich geschehen ist. Noch jetzt sieht man in der Umgebung derselben ebenso als wie bei Schumla lange Reihen hoher, üppig begraster Hügel, unter denen die Tausende von russischen Soldaten ruhen, die im Kriege von 1828–29 hier als Opfer fielen, und sollte es wieder zur Belagerung dieser beiden Festungen kommen, so dürfte die Zahl derselben noch gar sehr vermehrt werden. Entweder über Varna oder über Schumla, was übrigens noch ungleich besser befestigt ist, muß die russische Armee aber marschiren, wenn sie wirklich den kühnen Gedanken haben sollte, sich Constantinopels zu bemächtigen, andere Wege dahin führen nicht über den Balkan. Welche unermeßlichen Opfer von Menschen, Pferden und Kriegsmaterial aller Art den Russen die Feldzüge von 1828 bis 29 gekostet haben, davon erzählten uns wiederhohlt Einwohner dieser Gegenden, die Augenzeugen gewesen sind. Damals aber war den Russen die Verbindung mit ihrer Kriegsflotte frei, und von Odessa und Sebastopol konnten zur See Vorräthe aller Art leicht herbeigeschafft werden, während in dem jetzigen Kriege die englisch-französische Flotte dies völlig unmöglich macht. Gerade hierin besteht mit der Hauptnutzen, welchen diese Flotte im „schwarzen Meere“ leistet, denn ein wirklich erfolgreiches Bombardement von Sebastopol dürfte wohl zu den Unmöglichkeiten gehören.

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Aegyptische Truppen und ihr Aussehen. – Viel Prügel. – Die kurdische Reiterei. – Ein junger Scheik und seine Ausrüstung. – Die Albanesen. – Kriegslust der Türken. – Ein Kaffeehaus. – Wie man dort Kaffee siedet. – Türkische Frauen. – Das Liebesabenteuer eines Engländers. – Abreise.

Da der Sturm, der durch ein heftiges Gewitter entstanden war, sich am Nachmittag wieder mehr gelegt hatte, so machten wir gegen Abend noch einen weiteren Spaziergang um die Stadt herum, um die neuangelegten Werke zu besehen. Das Innere der bulgarischen Städte mit ihren engen, krummen, schmutzigen Straßen voll Unrath, Gestank und ganzen Schaaren halbverhungerter, ekelhafter Hunde, ist so wenig ansprechend, daß man gern jede Gelegenheit benutzen wird, denselben zu entfliehen und sich in Gottes schöner, freier Natur zu bewegen. Uebrigens herrschte auch in der Umgegend reges Leben, denn mehrere Bataillone regulärer ägyptischer Infanterie, die vor einigen Tagen in Varna gelandet waren, um nach Schumla zu marschiren, bivouakirten im Freien, da in der Stadt selbst kein Platz mehr für sie war. Diese ägyptischen regulären Truppen haben sich seitdem mit wahrem Löwenmuthe gegen die Russen geschlagen und verdienen wirklich die unbedingteste Anerkennung, ja selbst Bewunderung wegen ihrer trefflichen militärischen Eigenschaften; ihrem Aeußeren nach sind es aber mit die häßlichsten Soldaten, die ich je in meinem ganzen Leben sah. Kleine magere Menschen, mit braunen hageren Gesichtern, den schmierigen rothen Fez bis fast an die Augen herabgezogen, was ihnen ein sehr dummes Aussehen giebt. Der Abendfrische wegen in alte schmierige Mäntel von unbeschreiblich grobem, braungrauem Tuch mit langen Kaputzen gehüllt, schlotterten sie herum, und starrten neugierig die ihnen fremden Uniformen der englischen Offiziere an. Besonders auch die Fußbekleidung derselben war in der elendesten Beschaffenheit, und Viele hatten sich alte Schlarfen von Schuhen mit Bast an die Füße gebunden, während Einzelne auch ganz bloß gingen. Die Flinten mit Bayonnetten daran, waren englisches Fabrikat und in ziemlich gutem Zustande, die übrige Ausrüstung von Tornister, Lederzeug aber sehr schlecht und unordentlich. Die Disciplin bei diesen regulären ägyptischen Truppen ist ungemein streng, und gerade dies giebt ihnen hauptsächlich mit ihre große Brauchbarkeit für den Krieg. Es wird geprügelt bei ihnen, und während wir im Lager herumgingen, bekamen gewiß ein halbes Dutzend armer Teufel ihre Hiebe, die sie, als wenn dies eine Sache wäre, die sich von selbst verstände, auch in geduldiger Resignation hinnahmen, ohne auch nur den mindesten Klagelaut dabei auszustoßen. Die Procedur hierbei ist übrigens sehr einfach. Der Schuldige muß sich auf dem Bauche der Länge lang hinstrecken, ein Kamerad setzt sich ihm auf den Nacken, ein Anderer auf die Füße, so daß er unbeweglich liegen bleiben muß, und nun bearbeitet ein „Tschausch“ (Unteroffizier) ihm das Sitzfleisch mit einem dicken Bambusrohr so lange, bis der zuschauende Offizier, der unterdeß gemüthlich seinen Tschibuk raucht, den Befehl zum Einhalten giebt. Der Geprügelte springt dann aus seiner allerdings etwas unbequemen Lage auf, küßt demüthig die Hand des Offiziers, sagt: „Ich danke, Herr! Herr! Gott ist Gott!“ und trollt sich dann seiner Wege. Alles geht dabei so gemüthlich und patriarchalisch wie nur möglich zu. Auch ein Grieche, der beim Stehlen ertappt war, erhielt, während wir im Lager herumgingen, die Bastonade und schrie dabei zur großen Verwunderung der Aegypter, die lachend umherstanden, als wenn er am Spieße stäke. So eine Bastonade muß gewiß sehr schmerzhaft sein, und wird sie ordentlich gegeben, soll der Gestrafte oft in mehreren Wochen nicht wieder gehen können. Der Schuldige wird ebenfalls auf den Bauch gelegt, seine nackten Füße aber zwischen zwei Stangen gebunden und ausgerichtet, daß die Fußsohlen waagerecht daliegen, und der Fuß sich nicht bewegen kann. Auf diese bloßen Fußsohlen werden dann die bestimmten Hiebe, die oft bis hundert steigen sollen, mit einem fingerdicken Bambusrohr aufgehauen. Der Grieche erhielt nur zwanzig Hiebe, denn der englische Hauptmann bat für ihn bei dem ägyptischen Offizier, daß ihm die andern erlassen wurden, doch waren seine Fußsohlen davon so übel zugerichtet, daß er nur mühsam fortgehen konnte. Wir schenkten dem Burschen, der ein recht confiscirtes Gesicht hatte, aus Mitleiden einige Piaster, obgleich er dieselben eigentlich nicht verdiente.

So erbärmlich das Aussehen der ägyptischen Truppen war, so exercirten dieselben doch ziemlich gut und gewandt, wie ich mich am andern Tage überzeugen konnte. Freilich eine berliner Wachparade war es nicht, doch wurden alle Bewegungen regelmäßig und ohne Verwirrung, wenn auch freilich etwas langsam ausgeführt. Bei dem Exerciren hieben die Offiziere aber tüchtig mit den flachen Klingen auf die Leute, die etwas langsam waren, darein, und auch einige Unteroffiziere bekamen ihr Theil Hiebe mit ab. Prügel haben nun einmal bei den Orientalen nichts Ehrenrühriges und es wird gar viel bei denselben geschlagen.

Außer diesen Aegyptern waren in und um Varna noch ein gutes Theil türkischer Truppen von allen Waffengattungen versammelt, und in rein militairischer Hinsicht konnte man viel Neues daselbst sehen und kennen lernen. Die malerischsten Gestalten unter allen diesen Truppen befanden sich unter einer kleinen Abtheilung irregulärer kurdischer Reiterei, die auf dem Durchmarsch nach der Donau begriffen war. Diese Kurden ritten schöne, schlanke und kräftige Hengste, und man konnte es den feurigen Thieren schon äußerlich ansehen, welche Kriegstüchtigkeit sie haben würden. Das Sattelzeug derselben war ungemein reich geschmückt und bei einzelnen Führern gewiß von hohem Werthe. Einen jungen Scheik (Häuptling) sahe ich, dessen rabenschwarzer großer Streithengst am Halse und über die Brust förmlich eine Art Panzer von Stahldraht mit rothem Zeug gefüttert, trug, wie ähnliche im Mittelalter bisweilen bei den Turnierrüstungen der Ritterpferde angebracht waren. Der Reiter selbst, ein noch junger, ungemein stattlicher Mann, der mit großer Gewandtheit sein muthiges Roß zu tummeln wußte, hatte ebenfalls über seinen bunten kurzen Waffenrock einen Drahtpanzer, der ganz eng anschloß. Im Einzelkampf sind diese kurdischen Reiter gewiß sehr gefährliche Gegner für die russische Cavallerie, im Ganzen werden sie gegen die geschlossenen Reihen derselben aber wohl nicht allzu viel ausrichten. Sie sind ohne Disciplin und Ordnung und vermögen nicht recht in geschlossenen Reihen zu fechten und regelmäßige Bewegungen auszuführen, und wo diese Eigenschaften fehlen, da hilft bei der Kriegsführung unserer jetzigen Zeit auch die glänzendste Tapferkeit und größte Gewandtheit des Einzelnen nicht viel. So sind diese häßlichen regulären ägyptischen Truppen [341] für die Pforte von ungleich größerem Werth, als alle die unregelmäßigen Reiterschwärme, welche einzelne asiatische Volksstämme jetzt stellen, mag auch das Aussehen letzterer noch so kriegerisch und für das Auge bestechend sein. Auch die Albanesen, so muthige Kämpfer und geschickte Schützen dieselben sind, haben lange nicht den militärischen Werth, wie man ihrem äußeren Ansehen nach wohl glauben sollte, da ihnen jegliche Zucht und Ordnung gänzlich fehlt. Von allen Truppen, welche der Sultan jetzt unter seine Fahne gerufen hat, sind diese Albanesen die zuchtlosesten und verwildertsten und verüben die meisten Excesse aller Art. Werden die Albanesen übrigens unter das reguläre Militär gesteckt, und die Energie von Omer Pascha hat dies eingeführt, so sollen sich bei strenger Zucht die besten Soldaten von der Welt aus ihnen heranbilden lassen. Namentlich wurden uns die Albanesen, die man bei der regulären türkischen Artillerie eingestellt hatte, von den Artillerie-Offizieren als ihre besten und zuverlässigsten Soldaten ungemein gerühmt. Sie sollen sich durch Schnelligkeit, große Körperkraft und scharfen Blick beim Zielen vorzugsweise auszeichnen, Eigenschaften[WS 1], die freilich für Artilleristen, auch von einem besondern Werthe sind.

Die Kriegslust aller hier versammelten Truppen war ungemein groß, und sie konnten es kaum erwarten, daß die Kriegserklärung gegen Rußland bald erfolgen würde. „Giebt es keine Neuigkeiten? Man sagt, es wird Krieg geben, Herr!“ war eine Frage, welche die türkischen Offiziere durch den Dollmetscher gar unzählige Mal an uns richten ließen. Die regulären Truppen waren gegen meine Begleiter, die ihnen als englische Offiziere vorgestellt waren, ungemein respektvoll, und machten ihnen stets die gleichen militärischen Ehrenbezeigungen, wie ihren eigenen Vorgesetzten, von den irregulären aber wurden uns bisweilen einzelne Verwünschungen zugerufen, oder ein halblautes, ingrimmiges „Giaur“ kam ihnen zwischen die Lippen, wenn wir vorbeigingen. Ein Arnaut machte sich den Spaß, ganz unversehens seine scharf geladene Flinte uns über die Zöpfe abzuschießen, als wir vor den Thoren spazieren gingen, vermuthlich um uns zu erschrecken. Ein türkischer, höherer Offizier hatte dies aber gesehen und sandte sogleich zwei Gensd’armen dem Arnauten nach, die ihn arretiren mußten. Wie in der Türkei alle gerichtlichen Proceduren mit äußerster Schnelligkeit abgemacht werden, so geschah dies auch jetzt. Der Schuldige wurde zu fünfzig Stockschlägen verurtheilt, mußte sich sogleich niederlegen, erhielt seine fünfzig Hiebe aufgezählt, ohne daß er auch nur eine Miene dabei verzog, und konnte sich dann seiner Wege scheeren.

Außer der Besichtigung der verschiedenen Truppen und den Ausflügen in die Umgegend, so viel es das Wetter erlaubte, was gerade, während ich in Varna war, sich ziemlich schlecht gestaltete, bot der Ort selbst verzweifelt wenig Interessantes dar. Mehrere Stunden des Tages verbrachten wir in Begleitung unseres Wirthes und einiger türkischer Offiziere in einem echt türkischen Kaffeehaus, und es war das erste Mal, daß ich ein solches betrat, denn zufällig war dies in Schumla und Rustschuk nicht geschehen. Wir besuchten besonders häufig ein kleines Kaffeehaus, nicht weit vom Hafen gelegen, was von einem alten freundlichen Türken mit einem gutmüthigen, dabei aber doch schlauem Gesichte verwaltet wurde. Das Mobiliar dieses Kaffeehauses, welches auch keine Glasscheiben, sondern nur leere Fensteröffnungen hatte, zeichnete sich durch große Einfachheit aus und bestand aus mehreren herumlaufenden breiten, aber sehr niedern Divans, und einigen kleinen Tischen. Von Stühlen, Billards, oder gar Zeitungen war keine Spur zu finden, denn der echte Türke kennt alle dergleichen Bedürfnisse nicht.

Das erste war nun stets, wenn wir hereinkamen, daß der „Tschotschuck“ (Kellner) des Kaffeehauses, übrigens ein alter, einäugiger Bursche, der so und so viel Jahre schon beim Militär gedient hatte, Jedem von uns die Spitze einer schon angerauchten „Nargile“ (Wasserpfeife) präsentirte. Eine solche Wasserpfeife besteht aus einer plumpen Flasche mit Wasser, die in einen engen Hals zuläuft, unten mit einem kleinen Pfeifenkopf, in dem der fein geschnittene Taback gestopft wird, versehen. Von der Mitte der Flasche läuft ein mehrere Klafter langes, elastisches Rohr aus, so daß der Tabacksrauch erst immer durch das Wasser muß, und so ganz abgekühlt in den Mund des Rauchern gelangt. Solche „Nargiles“ sind theils für einen Raucher bestimmt, und haben dann nur kleine Köpfe, theils sind sie so groß, daß vier, sechs, acht Personen zu gleicher Zeit daraus rauchen, oder den Dampf trinken können, wie die Türken es nennen.

So wie nun ein Gast in das Kaffeehaus kommt, nimmt der Kaffeesieder ein sehr kleines offenes, kupfernes Kasserol mit einem langen Stiel versehen, gießt aus einer großen Kupferkanne kochendes Wasser hinein, wirft dann zwei kleine Löffelchen voll ganz fein zerriebnen Kaffee, der in verschlossenen Büchsen gehalten wird, in dies Wasser und hält das Kasserol nun über ein flammendes kleines Feuer auf einem Herde in der Ecke des Gemaches. So wie das Wasser dreimal aufgewallt ist, was augenblicklich geschehen, ist der Kaffee fertig und wird in einer Tasse, die auf metallener Untersatzchaale ruht, dem Gaste mit einem „Sei willkommen“ überreicht. So wird jede einzelne Tasse Kaffee besonders und vor den Augen des Gastes bereitet, doch geht das ganze Geschäft ungemein rasch vor sich. Der Kaffee ist sehr wohlfeil und kostet die Tasse nur einige Paras, die man beim Weggehen von selbst auf einen Polster legt. Für die Pfeife giebt man dem Aufwärter ebenfalls einige Paras als Trinkgeld. Von diesen Kaffeestuben, großen wie kleinen, gab es in Varna eine unzählige Menge und doch waren alle schon während des ganzen Tages fast immer sehr besucht. Sie gehören nebst den Bädern zu den einzigen öffentlichen Orten, welche die Türken zu besuchen pflegen und in denen sie oft einen großen Theil ihrer vielen müßigen Zeit verbringen. Allzu große Redelust entwickeln die Gäste in diesen Kaffeehäusern freilich nicht, doch war bisweilen die Unterhaltung ziemlich lebendig, obgleich sie stets in dem ruhigen gemessenen Ton geführt wurde, der den Türken so sehr eigen ist. An italienischen und griechischen Schenken und Restaurationen, für Gäste jeglichen Standes berechnet, war übrigens in Varna, als einer ziemlich belebten Hafenstadt, kein Mangel, obgleich sich auch das vornehmste Lokal dieser Art nicht über die Mittelmäßigkeit erhob und besonders hinsichtlich der Reinlichkeit auch Vieles zu wünschen übrig ließ. Dafür waren aber die Preise, die man uns als Fremde abforderte, so hoch, daß wir bequem in der elegantesten pariser Restauration dafür hätten essen können.

Wir gaben einigen türkischen Offizieren ein Mittagsessen nach französischer Weise zubereitet, und obgleich das Essen nur sehr mäßig war, und nur aus fünf bis sechs Gerichten bestand, so kostete das Couvert doch, außer dem Wein, einen Dukaten. Ueberhaupt ist eine Reise in Bulgarien eine ziemlich theure Sache, obschon Manches freilich wieder sehr wohlfeil ist, und man wird Alles in Allem zusammengerechnet selbst in England bedeutend billiger reisen wie gerade in diesem Lande.

Was unsere Aufmerksamkeit außer den Truppen auch besonders in Varna auf sich zog, war das Leben und Treiben der türkischen Frauen. Es reizte unsere Neugierde sehr, womöglich Eine dieser dicht vermummten Gestalten, deren wir in kleinen oder größeren Trupps häufig auf den Straßen begegneten, wenn sie sich in die Bäder begaben, auch ohne Schleier zu sehen, doch wollte uns dies, trotzdem daß wir zu List, ja selbst Bestechung unsere Zuflucht nahmen, nie gelingen. Auch der Dollmetscher Stephan-Gregorio, der sonst, wenn er nur Aussicht hatte Geld zu verdienen, und so leicht vor nichts zurückschreckte, wollte sich in eine Intrigue gegen die wachsame Eifersucht der Türken nicht einlassen und meinte, es sei leichter und ungefährlicher dem Padischah an dem Barte zu zupfen, wie in den Harem eines vornehmen Türken einzudringen. Wie aber gerade das Verbotene so ungemein anlockt, so war auch bei meinem jungen englischen Gefährten das Verlangen immer dringender, Eine jener schönen Türkinnen, deren Reize er sich in seiner Phantasie wahrscheinlich viel bezaubernder ausmalte, wie sie in Wirklichkeit waren, von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Bulgarische und griechische Mädchen aller Stände und darunter wirkliche Schönheiten hatten wir in Varna häufig gesehen, und dem Anschein nach waren Manche derselben von einer allzuspröden Zurückhaltung ziemlich entfernt, und hätten leicht zu einer Liebesintrigue sich bewegen lassen, er aber hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, einer Türkin und keiner andern die Gefühle seines Herzens zu offenbaren. Besonders eine sehr schön gewachsene, schlanke Frau, soviel man trotz des dichten Schleiers, der sie umwallte, erkennen konnte, die von einem alten widerlichen Verschnittenen bewacht sich öfters in einem Garten, nahe unserer Wohnung, sehen ließ, hatte seine Neugierde, oder wenn man es auch so nennen will, Neigung erweckt. Hat ein echter Engländer sich aber einmal erst eine Sache, mag sie nun so gut oder so [342] verrückt sein wie sie will, in den Kopf gesetzt, so ruht er auch so leicht nicht, bis er seinen Willen erreicht hat, koste das nun auch was es wolle. Dazu war mein Gefährte ein wirklich schöner, frisch aussehender Mann mit blondem vollen Haar, wie es die Türkinnen so sehr lieben sollen, Guineen zur Bestechung aller Hüter und Hüterinnen standen ihm auch hinreichend zur Verfügung, und so erreichte er doch endlich seinen Willen. Eine alte Kupplerin, wie sie bei den Türken zum Abschließen der Heirathen gewöhnlich gebraucht werden, hatte er sich durch Gold gewonnen, daß sie der schönen Geliebten die Gefühle seines Herzens offenbare, was durch einen, von der kundigen Frau gewundenen Blumenstrauß geschah. Mastik in Körnern, war in diesem Strauße angebracht und nach der türkischen Blumen- und Zeichensprache soll dies bedeuten, „ich sehne mich nach Dir,“ dann eine Aloe, was „Arznei für das Herzweh“ und ein Kleeblatt „ich liebe Dich unendlich“ bedeuten soll. Uebrigens soll die Bedeutung dieser Blumen, auch nach der Stelle, die sie im Strauße einnehmen, verschieden sein, und es förmlich eine große Geschicklichkeit erfordern, einen gut gewählten derartigen Strauß, der dann freilich auch die Stelle eines Billet-doux bei uns vertritt, zu binden.

Das erste Mal kam die alte Vermittlerin ziemlich betroffen zurück und brachte als Erwiderung nur eine kleine Staude Salat, was nach ihrer Verdollmetschung so viel heißen sollte, als „weiche von hinnen, Du Störer meiner Ruhe.“ Freilich ein böser Anfang, der leicht einen Andern, der weniger starrköpfig wie der Engländer war, hätte zurückschrecken können. „Ich kenne das schon, die Frauen in der ganzen Welt sind kokett und wollen nur gebeten sein“ meinte er in seiner unerschütterlichen Ruhe und gab dem alten Weibe Befehl, wieder einen andern Strauß, der wo möglich noch inniger wie der erste war, zu binden, und zu der Spröden hinzutragen. Jetzt nahm dieselbe einen kleinen Porcellanbecher, der ausdrücken sollte: „Es giebt keine Houris im Paradiese so schön wie Du,“ goß Weinessig darein, was hieß: „Erbarme Dich meiner,“ dann eine Hyacinthe, „ich weine, Du lachst“ und befestigte schließlich noch eine kleine getödtete Spinne im Kelche derselben, „ich liebe Dich bis zu meinem Tode.“ Das war doch schweres Geschütz auf das Herz der armen Türkin abgeschossen, und wenn dasselbe sich jetzt nicht auf Gnade und Ungnade dem kühnen Engländer ergab, zeigte es sich in der That uneinnehmbar. Wenige Stunden, bevor ich abreiste, erhielt der ungeduldig harrende Liebhaber aber durch die alte Frau, die jetzt sehr vergnüglich schmunzelte, denn er hatte ihr zehn Dukaten als Lohn versprochen, wenn sie ihm wirklich ein Rendezvous vermittelte, von der Türkin einen Strauß Mandelblüthe, „ich weine, weine auch Du,“ eine Bohnenblüthe, „nimm und behalte mein Herz;“ und dazwischen ein Stücklein Spiegelglas, „komm in mein Haus“ zugeschickt, und hatte so wenigstens den ersten Theil seines Wunsches schon erreicht. Das Rendezvous selbst, was eine ziemlich gefährliche Sache war, sollte durch Vermittlung der alten Kupplerin im Garten des Türken, wenn die Nacht erst ihren dunklen Schleier ausgebreitet hatte, stattfinden. Was nun weiter aus der Sache geworden und ob mein kühner und beharrlicher Freund seine Wünsche in jeglicher Hinsicht erfüllt gesehen hat, vermag ich nicht zu berichten, denn ich bin darüber von Varna abgereist. Mit dem Leben ist er übrigens davon gekommen, so viel ist gewiß, und soll jetzt auf einem Schiffe in der Flotte des „Sir Charles Napier“ auf der Ostsee schwimmen. Solches heimliche Eindringen in die Harems soll von Europäern häufig geschehen, aber doch immer eine ziemlich gefährliche Sache sein und mancher Franke dabei schon verschwunden sein, ohne daß man je über sein ferneres Schicksal wieder etwas erfahren. Eine türkische Behörde wird nie dazu zu bewegen sein, eine Untersuchung, oder gar eine Bestrafung zu verhängen, wenn ein Türke einen solchen Eindringling in seinen Harem auf der Stelle tödtet, und selbst der Einfluß des englischen Gesandten, so allmächtig dieser sonst auch jetzt in der Türkei ist, würde schwerlich dies durchsetzen können. Mich amusirte übrigens, wie ich nicht leugnen kann, dies verliebte Abenteuer des englischen Offiziers ungemein, und gab mir vielfachen Stoff zum Lachen. War es doch ein kleines ergötzliches Intermezzo in dem sonst so langweiligen Varnaer Aufenthalt.

Große Unruhe aller Art werden wohl jetzt die französischen Truppen den eifersüchtigen Türken in dieser Beziehung machen, und es wird gewiß an derartigen Abenteuern nicht fehlen. Können es doch in Algerien, obgleich in den Städten daselbst wahrlich mehr Ueberfluß wie Mangel an schönen und überaus gefälligen Frauen ist, die französischen Offiziere nicht unterlassen, Intriguen in den Harems anzuknüpfen, wenn so etwas auch durch besondere, oft wiederholte Befehle noch so strenge von dem Gouvernement untersagt wird. Die Studien, die sie mit gutem Erfolg in dieser Beziehung schon auf algerischem Boden begonnen, werden die lustigen und gewandten Offiziere und Soldaten der Chasseurs d’Afrique, Zouaven und der andern Korps auch in der Türkei ganz gewiß fortzusetzen versuchen. Was wird noch mancher strenggläubige, eifersüchtige Türke alle diese windbeuteligen, leichtfüßigen fremden Gäste, die zwar mit Vergnügen für ihn kämpfen, aber eben so gern auch seine Frauen küssen und mit gleicher Lust ein russisches Quarré wie einen wohlbewachten Harem angreifen, verwünschen! Fest bin ich überzeugt, an verdrießlichen Scenen aller Art wird es in dieser Beziehung nicht fehlen und wenn die französischen Oberoffiziere auch noch so strenge Befehle dagegen erlassen, die nun einmal angeborne Neigung zu galanten Intriguen und Abenteuern wird bei ihren Untergebenen nicht zu unterdrücken sein.

Sechs Tage hatte ich in Varna verweilt, und manches Interessante dort gesehen, dann schlug die Stunde der Abreise und ich kann nicht leugnen, daß ich mich im Allgemeinen darauf freute, die Türkei möglichst bald wieder im Rücken zu haben. Mit Dampf kann man auch von Silistria aus die Donau schnell stromaufwärts fahren, obgleich es etwas langsamer wie stromab geht, und als erst die langweilige Quarantaine, wenn schon dieselbe auch jetzt sehr verkürzt ist, überstanden war, kam ich in wenigen Tagen wieder in völlig andere Gegenden, und bewegte mich in Kreisen, die gar wenig Ähnlichkeit mit denen hatten, welche ich so eben verlassen.[1]
Julius v. Wickede. 

[343]


  1. Von unserm Correspondenten erhalten wir aus Varna noch folgende kurze Mittheilungen, die wir dem größern Artikel gleich anhängen: „Als die Franzosen und Engländer vor Kurzem in die Straßen von Varna kamen, fanden sie alle Häuser und Läden fest verschlossen. Man mochte die Russen von 1829 noch nicht vergessen haben und traute offenbar den jetzigen Freunden und Hülfstruppen nicht. Ein gefährliches Spiel den Soldatenmassen gegenüber, die am Ende mit Gewalt nehmen, was sie nicht für ihr Geld freiwillig bekommen können. Wenigstens stahl ein englischer Soldat gleich am ersten Tage etwas in einem Bazar. Er wurde bei der Gurgel genommen und von den beleidigten Türken tüchtig geschüttelt, bis die Wache kam und ihn in Empfang nahm. Schon nach einer Viertelstunde kam ein Korporal mit einem Dollmetscher, ließ sich die Umstände erzählen und versicherte, daß der Dieb exemplarisch bestraft werden solle. Dies flößte wieder Vertrauen ein, so daß sich mehrere Läden öffneten. Freilich kamen dann die englischen Soldatenweiber, welche auf die unverschämteste Weise in den feilgehaltenen Sachen herumwühlten und für ihre knappen Gelder alles Mögliche haben wollten. „Alle diese Weiber müssen gehangen werden,“ rief ein lediger Dragoner, indem er auf eine Heerde dieser Weiber zeigte, welche in dem unanständigsten Aufzuge durch die Straße lärmten. Wie nett und anständig sehen dagegen die französischen Marketenderinnen aus! Sie tragen das malerische, soldatenmäßige Costum ihres Standes offiziell, wie eine Uniform, stehen unter guter Disciplin und haben dafür den Sold eines Sergeanten außer dem Profite von ihrem Handel. Selbst die häßlichen bulgarischen Frauen und Mädchen, die hier und auf den Dächern und in Seitenstraßen sichtbar wurden, schienen Aergerniß an der Frechheit und Liederlichkeit der englischen, freien Soldatenweiber zu nehmen. Das Lager, welches die Engländer am 1. Juni erreichten, ist in einer Ebene unweit des großen See’s hinter der Stadt aufgeschlagen, zwischen Gesträuch und Gehölz. Das Wasser des See’s ist nicht zu gebrauchen, da es voller Leben und besonders voll von großen Blutegeln ist, so daß alles Wasser von den Brunnen und Quellen der Stadt geholt werden muß. Man wollte das Lager etwa drei Stunden weiter landwärts verlegen in die Nähe eines Dorfes Devno. Die Cavallerie, das 8. Husarenregiment und 4 Kanonen Artillerie liegen der Stadt am Nächsten. Dann kamen die Rifle-Brigade, die Füsiliere, das 7., 19., 88. und 77. Regiment. Das Lager, sehr compact und eng gebaut, bedeckte etwa eine englische Meile. Die Soldaten bekamen gute Lieferungen, doch wurden sie sehr rebellisch über Mangel an Salz, Pfeffer, Porter und Ale, woran sie sich während eines vierzigjährigen Friedens stark gewöhnt haben. Die Apotheke war gleich mitgekommen, aber die Tonnen Ale und Porter schlummerten noch in den unterirdischen Räumen der Kasernen von Scutari, so daß sich mehrere Soldaten, zwischen Blutegel und Varnabrunnenwasser erkrankt, Medizin verschreiben ließen, nur um kein Wasser trinken zu müssen. Am 2. Juni kam auch das französische Schraubendampfschiff „Caton“ mit dem General Conrobert und ein großer Kriegsdampfer mit dem 7. Regiment, dessen Musikcorps die Engländer mit „God save the Queen“ freundschaftlich anblies. Abends und die folgenden Tage wurden noch mehr französische Soldaten, Waffen und Mundvorräthe erwartet. Das Lager der Franzosen ist links vom englischen und sieht viel straffer und imposanter aus, als das englische. Omer Pascha hat für die nöthigen Vorräthe von Wagen und Ochsen gesorgt. In Reihen von Hunderten halten sie vor den Magazinen mit kleinen Armeen haariger, wilder Waldmenschen mit Buffalostacheln (einer Art Spieß zum Antreiben der Ochsen) in den Händen, jeden Augenblick der Befehle der Proviantmeister gewärtig. Die Cavallerie, welche Omer Pascha eine halbe Stunde vom Lager stationirt hatte, erwies sich sehr diensteifrig in Herbeischaffung aller möglichen Lebensmittel. Doch sind die Engländer mit dem magern, kleinen Rindvieh sehr unzufrieden. Ein starker Dragoner kann eine große Kuh tragen. Zwischen ihren Rippen ist nicht so viel Fleisch, wie auf dem Rücken eines englischen Hammels. Omer Pascha hat die Ausfuhr von Getreide aus Varna und allen Häfen Rumeliens verboten, so daß ein Kaufmann von Constantinopel selbst mit einem Briefe des Großveziers versehen, um Korn zu laden, abgewiesen ward. Ein anderer Befehl Omer Pascha’s verbietet allen Verkehr per Post zwischen Varna und Schumla. Nur specielle Couriere der Commandanten dürfen passiren. Die „Times“ ließ sich schreiben, Omer Pascha habe dies mehr seiner persönlichen Bequemlichkeit halber gethan; er wolle den Strom englischer und französischer Gäste, den er befürchtete, abhalten und sich manche lange Pfeife und kurze Audienz sparen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Eigengenschaften