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Bilder aus dem Seeleben

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Bilder aus dem Seeleben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 53-56
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder aus dem Seeleben.

Ein tragisches Ereigniß hat in jüngster Zeit alle Gemüther erschüttert. Die Zerstörung des Hamburger Dampfschiffes „Austria“ durch Feuer hat eine so große Zahl von Opfern gefordert, wie selten der Untergang eines Schiffes. Die Trauerkunde hat durch die Presse eine so allgemeine Verbreitung gefunden und ist so vielfach und ausführlich besprochen, daß sie einer nochmaligen Wiederholung nicht bedarf. Zugleich hat jedoch diese traurige Veranlassung das allgemeine Interesse auf einen Gegenstand gelenkt, dem zwar in der Neuzeit öfter, als früher, die Aufmerksamen des Publicums zugewandt, der jedoch noch nicht so bekannt ist, als seine Wichtigkeit für das gemeinsame Vaterland verdient.

Dies ist die Schifffahrt Deutschlands, die in dem letzten Jahrzehnt einen so bedeutenden Aufschwung genommen und dadurch indirect alle Schichten der Bevölkerung mehr oder minder berührt hat. Deutschlands Handel zur See hat sich in jenem Zeitraume verdreifacht, eine Erscheinung, die einzig in der Welt dasteht. Seine Schiffe bedecken alle Meere und diese Thatsache läßt uns hoffen, daß unser Vaterland bald denjenigen Antheil am Welthandel nehmen [54] wird, den es nach seiner Industrie und seiner geographischen Lage zu fordern berechtigt ist.

Ein blühender Handel ist die Grundlage zu Wohlstand und Staatenglück; Dank der Regierung, welche eine Politik verfolgt, die auf Förderung des Handels, und zwar des Seehandels, bedacht ist. Eine solche Politik ist die einzig richtige.

Das deutsche Volk hat dies seit lange erkannt. Der hohe Enthusiasmus, welcher sich einst für die Gründung einer deutschen Seemacht zum Schutze des Handels überall kund gab, war ein Zeugniß dafür. Leider ist das Unterpfand einer deutschen Einigkeit schmachvoll zu Grunde gegangen und manche schöne Hoffnung damit zu Grabe getragen.

Doch der einmal angeregte Gedanke an eine Geltung Deutschlands zur See ist im Volke wach geblieben und die lebhafte Theilnahme, mit der es die Entwicklung der österreichischen und der jungen preußischen Marine verfolgt, zeigt, daß es von ihr die Verwirklichung des nationalen Wunsches erwartet, eine Hoffnung, die allem Anscheine nach nicht zu Schanden werden wird.

Bei diesem regen Interesse für Deutschlands maritime Beziehungen und das Seeleben im Allgemeinen dürfte es vielleicht auch unserm Leserkreise nicht unwillkommen sein, näher mit dem Elemente bekannt zu werden, das jene Beziehungen vermittelt, und einen Blick in die kleinen Welten zu werfen, die als Schiffe zu Tausenden auf den Fluthen des Oceans sich wiegen.

Es ist ein eigenes Leben am Bord eines Schiffes, so ganz verschieden von dem am Lande. Es besteht fast nur aus Mühseligkeiten, Entbehrungen und ist reich an trüben, aber desto ärmer an freudigen Wechselfällen. Trotzdem besitzt es einen unendlichen Reiz für den Seemann, der in ihm aufgewachsen ist und mit unsichtbaren Banden an sein wunderbares Element gefesselt zu sein scheint.

Fragt man den Seemann, was ihn mit solcher Zaubermacht zum trügerischen Meere zieht, so weiß er keine Antwort darauf zu geben. Es ist nicht das bloße Verweilen auf dem Schiffe, das einsame Leben am Bord, das aller Annehmlichkeiten, die unser irdisches Dasein verschönern, beraubt ist. Ebensowenig ist es Reiselust. Mit geringen Ausnahmen sieht kein Reisender weniger von fremden Ländern, die er besucht, als gerade der Seemann, da der strenge Dienst am Bord seine Gegenwart stets in Anspruch nimmt. Was kann es also anders sein, als das Meer selbst, das ruhelos wallende Meer mit seinen Schrecken, seinen Wundern, seinen Schönheiten, dessen Bild sich ihm mit unauslöschlichen Zügen tief in das Herz gräbt?

Ja, es ist schön, groß, erhaben, das Meer mit seinem tiefen Blau, dem Wiederscheine des Himmelsgewölbes, das sich in seinen Fluthen spiegelt. Es ist schön, das Meer, wenn es sich vor dem trunkenen Blicke aufrollt, ein Bild der Ewigkeit, an dessen Azurstirn die Zeit spurlos dahinzieht, ohne ihre Furchen darauf einzugraben. Es ist schön bei der Sonne goldenem Licht, wenn ihre Strahlen in seinen weiten blauen Schooß sich senken, dort Kühlung zu suchen vor der eigenen Gluth – wenn in linder Nacht der sanfte Schimmer des Mondes über seine Spiegelfläche zittert und der Sternenhimmel seine eigene Pracht in ihm bewundert – wenn es erglüht in feurigem Glanze und Millionen Funken in ihm sprühen. Wie groß, wie erhaben zeigt es sich in seinem Zorne, wenn es im Kampfe mit dem Erbfeinde die Wogen aufthürmt zu mächtiger Höhe, wenn sie kochend in weißem Schaume und donnernd zusammenbrechen, daß fast der Sturm davor erbangt! Ja, schön, groß, erhaben ist der Ocean in jeder Gestaltung. Ueberall bleibt er sich gleich, von des Nordens eisiger Küste bis zu des Südens ewigem Lenze, die er beide mit seinen Riesenarmen umfängt. Wer sollte ihn vergessen können? Wer nur einmal ihn erschaut, sehnt sich nach ihm zurück, wie viel mehr der Seemann, der seit frühester Jugend sich auf ihm gewiegt. Darum strebt er ihm, seiner Heimath, zu; darum sehnt er sich nach ihm, bis er, sein Grab geworden, mit kühlen Armen ihn umschließt und auf feuchtem Grunde ihn zum ewigen Schlafe bettet.

In solchen Umgebungen aufwachsend und lebend ist es natürlich, daß der Charakter des Seemannes sich auf andere Weise bildet, als bei den Bewohnern des Landes. Er gelangt zu schnellerer Reife, da der Ernst des Lebens ihn früher berührt. Er sieht mit kühner Ruhe den Gefahren in das Auge, da er sie täglich bekämpft und als Sieger über sie triumphirt. Er ist harmlos und vertrauend, da die Falschheit der Außenwelt ihn nicht täuscht und ansteckt. Ein Kind der Natur, fühlt er sich in ihrem Schooße am wohlsten; muthig und unverdrossen erträgt er die Beschwerden seines mühseligen Lebens und vermißt nicht die erkünstelten Reize desselben, die der übersättigte Genuß hervorruft.

Willst Du ihn kennen lernen, ihn begleiten auf seinem Wege; willst Du sehen, wie er lebt auf der schwankenden Nußschale, mit der er sich dem Oceane anvertraut, so folge mir. Lange habe auch ich auf dem Meere mich gewiegt und bin zum Manne gereift auf seinen Wellen. Was ich zu schildern versuchen will, sind Scenen aus unserem bewegten Leben, wie sie sich täglich dem Seemanns bieten.

I. Abfahrt.

Es war ein trüber, regnerischer Novembertag, so ein Tag, an dem man am liebsten im Zimmer sitzen bleibt. Auf den schlüpfrigen Straßen des sonst belebten D. war es daher auch ziemlich öde und die einzelnen Menschen, welche in Geschäften das Haus verlassen mußten, eilten so schnell als möglich, das gastliche Dach wieder zu gewinnen.

Nur am Quai des Hafens und im letzteren selbst ging es außergewöhnlich lebhaft her. Eine Menge Boote fuhren hin und her und beförderten Passagiere zwischen dem Ufer und einer Fregatte, die in der Mitte des Hafens seefertig lag. Ihr einer Anker war bereits gelichtet und sie mit Tauen an den Pfählen festgemacht. Das schöne Schiff, dessen schlanke Linien auch jedes nicht seemännische Auge erfreuten, hieß der „Seestern“, führte 50 Kanonen, die trotzig aus den halbgeöffneten Pforten schauten, und die blaue Flagge mit weißem Viereck, der blaue Peter, welcher am Vortopp, der obersten Spitze des Fockmastes, wehte, kündete den Bewohnern der Hafenstadt an, daß die Fregatte heute segeln wollte.

Auf ihrem Oberdeck sah man nur wenige Menschen. Die Mannschaft hatte Erlaubniß, bei dem Regenwetter hinunterzugehen, und außer dem Officier und einem halben Dutzend Cadetten der Wache, einigen Bootsmannsmaten vom Dienst und den Schildwachen an den Fallreepstreppen befand sich dort nur noch der erste Lieutenant. Er maß mit großen Schritten die Länge des Decks und schien in keiner rosenfarbenen Laune zu sein.

„Maas!“ wandte er sich jetzt an den Bootsmannsmat vom Hinterdeck, der sich eine Viertelstunde vergebens abmühte, die Gläser eines Fernrohres mit dem Zipfel seines nassen Halstuches zu reinigen.

„Herr Lieutenant!“ erwiderte dieser, mit seiner Sisyphusarbeit innehaltend, indem er ehrerbietig seinen Wachstuchhut lüftete.

„Ist die Gigh noch nicht in Sicht?“

„Nein, Herr Lieutenant!“

„Hol’ der Teufel die Gigh,“ brummte der Officier für sich und stampfte dabei unwillig mit dem Fuße. Die Gigh war das Boot des Capitains, dessen Ausbleiben allein das Segeln der Fregatte verzögerte.

„Zu Befehl,“ stimmte Maas bei, dem diese Phrase einem Vorgesetzten gegenüber sehr geläufig war. Der erste Lieutenant achtete nicht darauf und nahm seine Promenade wieder auf. Die Cadetten hatten es jedoch gehört und lachten, freilich nur ganz leise. Sobald der Vorgesetzte sich umdrehte, waren alle sechs kleinen Schelmengesichter wieder in die vorschriftsmäßige Dienstform gebracht. Auf Sr. Majestät Hinterdeck darf nicht gelacht werden. Arme Jugend, schon so früh wird Dir das Lachen verboten; als ob der Ernst des Lebens Dich nicht zeitig genug anhauchte!

Unten in der Batterie bietet sich den Blicken ein lebendigeres Bild. Die Batterie ist die nächste untere Etage einer Fregatte und wird so genannt, weil in ihr die meisten und schwersten Geschütze stehen, und sie die eigentliche artilleristische Stärke des Schiffes ausmacht. Hier bewegen sich eine Menge Menschen; es sind jedoch nicht alles „Blaujacken.“ Man sieht auch viele lange Röcke und hohe Hüte, die häufig ihren Eignern vom Kopfe fallen, weil sie nicht für die niedrigen Decksbalken berechnet sind. Auch bunte Kleider und Schürzen schimmern aus den verschiedenen Gruppen, die sich überall gebildet haben. Es sind Verwandte, Freunde und Bekannte vom Lande, die gekommen sind, ihren scheidenden Lieben ein letztes Lebewohl zu sagen. Ach, vielleicht ist es wirklich das letzte! Dieser Gedanke beschleicht wohl manches Herz, und manche Wimper, die im Kampfe mit Sturm und Wogen nicht gezuckt, erzittert jetzt beim Abschiede vom liebenden Mutterherzen, das in banger Ahnung schmerzlich sich zusammenzieht. Wird der theure Sohn wiederkehren, der jetzt so frisch und jugendkräftig vor ihr steht, den das treue Mutterauge seit der zartesten Kindheit behütet und der sich jetzt dem trügerischen Meere anvertraut? Gott allein weiß es; so mancher lebensfrohe Jüngling zog auf gleiche Weise hinaus, und seine Gebeine [55] ruhen fern von der Heimath an fremder Küste oder bleichen auf dem Meeresgrunde zwischen Muscheln und Korallen.

Doch nicht alle Gruppen sind von gleich schmerzlichen Gefühlen bewegt. Wie in der großen Welt da draußen, gehen auch in dieser kleinen Trauer und Freude neben einander her, und an Contrasten fehlt es auch hier nicht.

Dort sucht ein ehrsamer Schuhmachermeister vergebens nach einem lockern Matrosen, der seine Schuld nach beliebter Weise mit dem Vormarssegel bezahlen und die Quittung auf das Kielwasser schreiben will. Der lose Vogel hat sich im Wasserraum versteckt, und der forschende Gläubiger wird von den Cameraden des Schuldners von Pontius zu Pilatus geschickt, und erhält schließlich auf alle seine dringenden Fragen nach dem Verschwundenen die eine Antwort: „Ueber Bord,“ bis er, die Fruchtlosigkeit seines Suchens einsehend, den Rückzug über die Fallreep antritt und seufzend an das umsonst verausgabte Fahrgeld denkt.

Hier steht ein altes Mütterchen vor einem blühenden Knaben, der kürzlich als Schiffsjunge eingekleidet ist, aber bereits so keck und verwegen darein schaut, als habe er Gott weiß wie oft die Linie passirt. Die Großmutter gibt ihm gute Regeln auf den Weg und prägt ihm besonders ein, sich vor nassen Füßen zu hüten und nicht auf die Masten zu klettern. Der Enkel hört jedoch nur mit halbem Ohre auf die Ermahnungen und schielt beständig nach einem Korbe, den die alte Frau als Geschenk zu seinem nächstens eintretenden Geburtstage mitgebracht hat. Er mustert im Geiste den aus Kuchen und andern wohlschmeckenden Sachen bestehenden Inhalt und beschließt, mit Umgehung aller Kalenderordnung seinen auf den 2. December fallenden Geburtstag unmittelbar auf den heutigen 20. November folgen zu lassen. Obwohl er erst wenige Tage das Schiffsleben kennt, sagt ihm bereits sein Instinct, daß an Bord, wo ohnehin der Raum so beschränkt ist, dergleichen Gegenstände am sichersten im eigenen Magen aufgehoben sind. Vorn bei der Schiffsküche, der Kombüse, geht es etwas lauter her, als sonst die Schiffsordnung gestattet. Der Thierbändiger, wie die Schiffsjungen ihren als Viehwärter bestellten Cameraden betiteln, hat die Thür des Schweinestalles offen gelassen, und ein entwichenes Stück Schwarzwild, das durch die Batterie galoppirt und den Leuten zwischen den Beinen durchfährt, wird mit lautem Jubel verfolgt und wieder eingefangen. Der Thierbändiger erhält für dies Versehen von dem Koch, seinem speciellen Vorgesetzten, eine handgreifliche Ermahnung, die er sofort mit Zinsen an den eigentlichen Uebelthäter weiter gibt.

Unten in der Cadettenmesse, die an Backbordseite im hintern Zwischendeck gelegen ist und durch einen Abschlag von zwanzig Fuß Länge und sechs Fuß Breite gebildet wird, geht es gleichfalls lustig her. Ein langer Tisch und zwei zu dessen Seiten laufende Bänke lassen zwar für jeden Cadetten nur einen Sitzplatz von achtzehn Zoll Breite, jedoch liefert das Local den Beweis, daß auch in der kleinsten Hütte nicht nur Raum für ein liebendes Paar, sondern auch für das Vergnügtsein von einigen zwanzig Seecadetten sein kann. Einige der letztern sind schon öfter zur See gewesen, die meisten jedoch noch „grün“, d. h. sie haben noch kein Salzwasser gesehen. Diese blicken mit einer Art ehrfurchtsvoller Scheu auf die älteren Cameraden, die nicht verfehlen, durch Schilderungen von allen möglichen Erlebnissen sich mit einer Glorie zu umgeben. Zwar durchweben sie ihre Erzählungen, die fast nur von den verschiedenen Gefahren reden, aus denen sie das Schiff gerettet, mit allen möglichen technischen Ausdrücken und machen sie dadurch den Neulingen nur halb verständlich; aber das gibt der Sache gerade mehr Reiz. Eine Abschiedsbowle hat die jungen Leute in ihrer Kammer versammelt und bereits so auf ihre Geister eingewirkt, daß sich sämmtliche zwanzig an der Unterhaltung betheiligen, und diese dadurch ungemein lebendig wird. Plötzlich wird die Sitzung durch einen Sendboten des ersten Lieutenants und den Befehl unterbrochen, auf das Deck zu kommen. Hastig werden die Gläser geleert und die ganze Schaar begibt sich eilig zu dem strengen Vorgesetzten.

„Ich wollte Ihnen nur mittheilen, daß Sie in Zukunft sich in Ihrer Kammer etwas ruhiger zu verhalten haben,“ redet dieser sie an, „am Bord eines Kriegsschiffes muß stets die größte Ruhe herrschen. Bitte, sich danach zu richten; Sie können gehen.“

Alle beeilen sich, dem Befehle sofort nachzukommen und den Rest der Bowle zu vertilgen, doch das Schicksal ist ihnen nicht hold und mißgönnt ihnen die Freude. Im selben Augenblicke meldet der Bootsmannsmat die Gigh in Sicht und für die nächsten Stunden ist an kein ungestörtes Beisammensein zu denken.

„Wache an Deck, Fallreep,“ tönt das Commando des wachhabenden Officiers.

Die Gewehre und Helme der Seesoldaten rasseln, die Wache stürzt eilig auf das Deck, formirt sich und faßt das Gewehr an, scheinbar jedoch nicht mit dem gehörigen avec, denn man hört den Unterofficier leise fluchen: „Gott verd– mich, Kerls, was war mich das für ein Griff!“ Die Cadetten lachen wieder, aber leiser, wie vorher – der Capitain kommt.

Auf einen eigenthümlichen Ruf der Bootsmannspfeife springen vier hübsche Knaben, die Fallreepsjungen, durch die Luken herauf und postiren sich an die Treppe, um dem Ankommenden die Taue zu halten. Ihr kleidsamer Anzug sitzt ihnen wie angegossen und die Hüte mit langflatterndem Seidenbande sind keck auf dem Kopfe nach hinten geschoben. Maas, der Bootsmannsmat, wirft einen prüfenden Blick auf sie, zieht die Beinkleider in die Höhe und verzieht sein hartes, wettergebräuntes Gesicht zu einer schmunzelnden Grimasse. Dies ist ein Zeichen der Zufriedenheit mit dem Aussehen der Knaben, deren Seevater er ist, d. h. deren seemännische Erziehung ihm speciell übertragen ist.

Erster und wachehabender Officier haben den Hut aufgesetzt und den Säbel umgeschnallt, und stehen an der Fallreep. Alle übrigen Officiere und Mannschaften treten nach der entgegengesetzten oder Backbordseite des Schiffes, der Bootsmann pfeift die Seite und Capitain Tratsert, Befehlshaber Sr. Maj. Fregatte Seestern, betritt das Deck. Alles greift ehrerbietig an die Kopfbedeckung und begrüßt den König des kleinen schwimmenden Fahrzeuges.

Capitain Tratsert hat indessen wenig Königliches an sich, ist klein und mager von Figur. Neben der stattlichen großen Gestalt des ersten Lieutenants erscheint er sehr unvortheilhaft. Er wechselte mit Letzterem einige Worte und verschwand gleich darauf in seiner Cajüte. „Lassen Sie alle Mann aufpfeifen,“ wendete sich der erste Lieutenant an den Officier der Wache, indem er die Commandobank bestieg. Der Bootsmann lockt mit einem Signal seine Maten, welche sich an die Luken der verschiedenen Decke begeben, und ein schrillendes Sextett von drei langen Rollpfiffen, das in die entlegensten Winkel des Schiffes dringt, avertirt die Mannschaft. Eine Todtenstille folgt und Jeder lauscht. In einem Basse, der in der übrigen Welt seines Gleichen sucht, aber unerläßliche Eigenschaft eines guten Bootsmannes ist und deshalb bei den Seeleuten Bootsmannsbaß heißt, donnert das „Alle Mann auf, klar zum Manöver!“ in die Räume hinunter und findet ein Echo in den Bootsmannsmaten, die in den untern Verdecks die Befehle repetiren.

Jetzt folgt der Stille ein Gepolter und Summen und Lärmen, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen kann. Vierhundertfunfzig Paar Beine setzen sich plötzlich in Bewegung und stürmen die Treppen hinauf, um sich auf dem Oberdeck in Manöverdivisionen zu formiren. Nach zwei Minuten ist Alles oben und es herrscht abermals die größte Stille.

Bei „Alle Mann auf“ übernimmt stets der erste Officier das Commando und der Wachehabende begibt sich auf seine Station.

„Boote heißen, Fremde von Bord,“ ertönt es von der Commandobank. Die Bootsgasten springen in ihre Fahrzeuge, die übrigen Leute bemannen die Bootstaljeläufer und der Stabswachtmeister ermahnt die Fremden, je nach Alter und Geschlecht mehr oder minder höflich, das Schiff zu verlassen.

Die bittere Scheidestunde ist gekommen. Noch ein warmer Händedruck, ein seelenvoller Blick wird ausgetauscht mit den Lieben, und dann bleibt nur – die Erinnerung. Doch jetzt ist nicht die Zeit, trüben Gedanken nachzuhängen, die Boote werden an ihren Strähnen aufgeheißt und das Commando „Klar zum Untersegelgehen“ beschäftigt alle Gemüther. Das Gangspill wird bemannt, die Musik spielt eine heitere Weise und unter dem taklmäßigen Marsche der Matrosen um die Ankerwinde hebt sich die Kette Glied für Glied aus dem Wasser.

„Der Anker ist auf und nieder,“ meldet der Officier auf der Bank. Die Musik schweigt, die Winde steht still und die Segellöser, welche das jetzt folgende Commando schon kennen, haben sich bereits an den Wanten aufgestellt.

„Segel los,“ lautet der Befehl, und im Nu wimmeln die Wanten von Blaujacken. Sie klettern wie die Katzen in den Strickleitern empor, Einer sucht dem Andern zuvorzukommen; wagehalsig laufen sie, ohne sich anzuhalten, auf den Raaen hinaus und in anderthalb Minuten sind alle die sauber aufgerollten Segel von den flinken Burschen gelöst. Auf das Commando „Fallen“ rauschen [56] die schweren Segeltuchmassen hernieder, die Schooten werden hervorgeholt und die Raaen fliegen in die Höhe. Wo sich vor einem Augenblicke noch die schmalen Linien symmetrisch gestellter Raaen zeigten, bedecken jetzt ungeheuere Flächen von schneeweißer Leinwand Masten und Stengen. Die Segellöser sind aber längst wieder unten, das Gehen war ihnen zu langweilig, sie ließen sich an einzelnen Tauen herniedergleiten, nur die Toppsgasten, welche in den Marsen oder Mastkörben die Wache haben, sind oben geblieben. Die Raaen werden jetzt in’s Kreuz gebrasst, um das Schiff beim Loslassen des Ankers sogleich auf den richtigen Curs bringen zu können. Abermals ertönt die heitere Melodie der Musik, abermals der taktmäßige Marsch um das Spill, der Anker hebt sich langsam aus dem Grunde, und, dem Drucke der backgelegten Vordersegel nachgebend, fällt das Schiff allmählich ab. Als die Hintersegel füllen, werden die vorderen mit ihnen parallel gestellt; die bisher abtreibende Fregatte steht einen Augenblick still, dann kräuselt sich leichter Schaum vor ihrem Bug, das Kielwasser bildet eine gerade Linie und mit wachsender Schnelligkeit treiben die vom günstigen Winde geschwellten Segel das schöne Schiff durch die glatte Wasserfläche. Das ganze Manöver hat zehn Minuten gedauert.

Die Arbeit ruht einen Augenblick. Die Blicke wenden sich unwillkürlich dem verlassenen Ufer zu; dann schaart sich Alles um die Want an. Auf ein stummes Zeichen wimmelt es wieder in der Takelage von Matrosen, doch diesmal sind es nicht allein die Segellöser, sondern Alle, Alle, und sie entern ohne Commando auf. Ein donnerndes Hurrah erschallt aus den Kehlen; es ist der letzte Abschiedsgruß an die Heimath, an das geliebte Vaterland, dem man auf so lange Zeit Lebewohl sagt. Der erste Lieutenant rügt nicht das Aufentern ohne Befehl. Er stimmt nicht mit in den Hurrahruf, er hat kein liebendes Herz zurückgelassen, er steht ganz allein in der Welt, aber vielleicht ist’s gerade dies, was ihm eine Thräne in’s Auge treibt, die brennend und heiß über die gebräunte Wange rinnt.

Immer weiter entfernt sich das Schiff vom Ufer, pfeilschnell fliegen Felder und Auen vorüber. Das Wehen der weißen Tücher dauert noch fort, es bildet die letzte Brücke, über welche die Gedanken der durch das Meer Geschiedenen zu einander fliegen. Da senkt sich ein grauer Nebel herab und verhüllt grausam den letzten schimmernden Streifen der heimathlichen Küste.

Der Seestern hat die Mündung des Flusses erreicht. Sein schmutzig gelbes Wasser wird heller und mischt sich hier und dort mit grünen Streifen des nahen Meeres. Die Wellen umspülen tanzend und hüpfend den schlanken Bug der Fregatte, als wollten sie mit ihr schäkern. Doch die Stolze achtet nicht der schmutzigen Gesellen; majestätisch bahnt sie sich den Weg durch das Wasser und immer schneller rauscht sie dahin. Fast ist es, als zöge es sie mit Zaubergewalt zu den krystallenen Fluthen des Oceans, die dort in der Ferne im reinsten Smaragd und in den Strahlen der durchbrechenden Sonne erglänzen. Dort auf der freien, unbegrenzten Ebene des Meeres ist der Tummelplatz der stolzen Schönen, nicht aber in dem trüben eingezwängten Flusse.

„Segler voraus!“ ertönt der Ruf des Ausguck auf der Vormarsraa. Die Fernröhre richten sich auf das gemeldete Fahrzeug, das, kaum als ein weißer Punkt am Horizonte bemerkbar, schnell emporwächst und mit fliegender Fahrt der Fregatte entgegensteuert. Seine Bauart und die am Topp seines Fockmastes wehende Signalflagge bezeichnen das Lootsenboot. Es hat die Lootsenflagge der Fregatte erkannt und kommt, um den Lootsen abzuholen, der den „Seestern“ durch die Sandbänke in der Mündung des Flusses geleitet.

Das „Alle Mann klar zum Manöver!“ bringt Jedermann schnell auf seine Station. Die Untersegel werden eingenommen, die Raaen am Großmast gegen und die übrigen scharf an den Wind gebracht. Auf „Ruder in Lee“ dreht sich dies unter den Händen der steuernden Matrosen nach der bezeichneten Seite, und das Schiff folgt den Wirkungen desselben, indem es sich mit dem Vordertheile gegen den Wind dreht. Dieser kommt allmählich von der Seite ein und wird dadurch stärker. Die Fregatte legt sich auf die Seite und das Tauwerk reckt sich und knackt, als ob es seine Stärke probiren wollte. Jetzt trifft er von vorn auf die backgelegten Segel, der dadurch ausgeübte Druck hemmt die Fahrt und in wenigen Minuten liegt das Schiff beigedreht, d. h. es geht nicht mehr vorwärts, sondern treibt nur langsam leewärts ab. Das Lootsenboot ist längseit gekommen; der Lootse, umringt von einem Theile der Mannschaft, steht an dem Fallreep, und packt die noch in Eile geschriebenen Briefe in seinen wasserdichten Kleidersack. Mit flüchtigem Händedruck und dem seemännischen Gruße „Behaltene Reise“ springt er in das kleine Fahrzeug, das seitwärts abscheert, um der Fregatte Raum zum Manövriren zu geben.

„Braßt voll!“ erschallt die Stentorstimme des ersten Lieutenants durch das Sprachrohr, accompagnirt von den Pfeifen der Unterofficiere. Die Raaen fliegen herum, die backgelegten Segel füllen, das Schiff erhält Fahrt und fällt langsam auf seinen Curs. Bald schäumen die Wellen von Neuem vor seinem Bug und die blähenden Segel treiben es pfeilschnell von dannen. In der entgegengesetzten Richtung segelnd, verschwindet das Lootsenboot im Nebel, der sich zwischen der Fregatte und dem Land gelagert.

An Backbord taucht ein anderes Fahrzeug aus den Fluthen empor, doch es führt kein Segel und schwankt wie ein Gespenst auf dem bewegten Wasser. Es ist das Feuerschiff, das dort in offener See ankert und die Schiffe vor einer gefährlichen Untiefe warnt. Aengstlich flieht jedes Fahrzeug seine Nähe. Einsam und verlassen, ein verlorener Posten des Landes, schaukelt es sich auf den Wogen, zur Gesellschaft nur den Sturm und die Möven, die schreiend und flatternd seine kahlen Masten umkreisen.

Das Deck der Fregatte ist aufgeklart, Boote und Geschütze sind seefest gemacht, und für die übrig bleibende Arbeit ist die ganze Mannschaft nicht mehr erforderlich. Steuerbordswache, die eine Hälfte der Besatzung, wird gemustert, der Officier der Wache übernimmt den Befehl, und Backbordswache kann vier Stunden unter Deck gehen und der Ruhe pflegen.

Heute jedoch wird die Freizeit nicht zum Schlafen benutzt. Die Eindrücke der letzten Stunden sind noch zu frisch, die Erinnerungen noch zu neu, um ihnen nicht nachzuhängen und das volle Herz den Freunden gegenüber auszuschütten. Bald haben sich die Tischcameraden zusammengefunden und an der gemeinschaftlichen Bank Platz genommen. Ueberall sieht man plaudernde Gruppen, und in der Officier- und Cadettenmesse werden die unterbrochenen Abschiedsbowlen fortgesetzt. Nur ein alter Bootsmannsmat, sonst einer der heitersten Gesellschafter, geht einsam und sinnend in der Batterie auf und ab. Vergebens sucht sein Freund Maas den alten Leberecht aufzuheitern; es gelingt ihm nicht, den Schweigsamen zum Sprechen zu bringen.

„’S ist Freitag,“ murmelte er, als Maas ihn verlassen; „sie lachen darüber,“ setzte er kopfschüttelnd hinzu, „aber ich weiß es besser, Freitagsegeln bringt nimmer etwas Gutes.“