Bilderschau in meinem Zimmer/3

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Franz Wallner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Bilderschau in meinem Zimmer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 173–175
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Anekdoten um Fanny Elßler, Johann Nestroy und Wenzel Scholz
Erinnerungsblätter III.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[173]
Bilderschau in meinem Zimmer.
Erinnerungsblätter von Franz Wallner.
III.


Ein treffliches Bild der berühmten Tänzerin Fanny Elßler hängt über meinem Schreibtisch. Nie hat eine ähnliche Erscheinung das Publicum erfreut, nie wird eine ihr gleiche Künstlerin die Bühne zieren. Fanny Elßler war die verkörperte Grazie, dabei, neben der vollendeten Tänzerin, eine Schauspielerin vom ersten Wasser; sie vermochte z. B. in der Titelrolle im Taubstummen, ohne alle musikalischen und choreographischen Behelfe, dem Zuschauer die heißesten Thränen zu entlocken; ihre Yelva, die russische Waise, wird Jedem unvergeßlich bleiben, der die Freude gehabt hat, sie als solche zu bewundern. Im Jahre 1850 brachte sie im Ballet des kaiserlichen Hoftheaters in Petersburg eine vollständige Umwälzung hervor. Die von ihr und dem genialen Perrot in Scene gesetzten neuen Arrangements enthusiasmirten die ganze Hauptstadt derartig, daß ihr Kaiser Nikolaus bei ihrem Benefize einen prachtvollen Blumenstrauß, „aus farbigen Diamanten“, mit den Worten übergab: „Er wollte heute der Erste sein, der ihr Blumen überreiche.“ Dabei war Fanny als gefeiertste Künstlerin das, was sie jetzt noch im Privatleben ist, das bescheidenste, anspruchsloseste Wesen; sie theilte ihr reiches Einkommen im Stillen mit den Armen und theilt es noch immer, verehrt von Allen, die je mit ihr in gesellige Berührung gekommen. Möge ihre Bescheidenheit mir verzeihen, wenn ihr diese Zeilen zu Gesicht kommen; ich habe meinem Herzen damit Luft gemacht und gethan, was ich nicht lassen konnte.

Sehr komisch war ihr erstes Zusammentreffen mit dem Geldfürsten Baron von Stieglitz in St. Petersburg, an den sie empfohlen war. Der reiche Bankier fuhr im Hotel Napoleon vor, um der berühmten Künstlerin einen Besuch abzustatten. Im Corridor sieht er einen Menschen auf und nieder gehen, der ihn auf die Frage, wo Fanny Elßler wohne, an die Zimmerthür führt. Stieglitz warf dem Mann, den er für den Lohndiener hielt, seinen kostbaren Zobelpelz zu und trat „schwarzbefrackt und weißbehandschuht“ bei der Dame ein. Als er sich wieder empfahl, bat er, den Diener zu rufen, dem er seinen Pelz übergeben habe, aber Niemand wußte etwas von einem solchen, und „Roß und Reiter sah man niemals wieder“. Ein zufällig anwesender Dieb hatte sich das Vertrauen des russischen Crösus zu Nutze gemacht und mit dem prachtvollen Kleidungsstück das Weite gesucht. Nun, der Mann konnte es verschmerzen, obgleich der Pelz mehr als tausend Silberrubel werth war. –

Von Kriehuber auf Stein gezeichnet und zum Sprechen getroffen, ziert eine sehr hübsche Portrait-Gruppe von Nestroy, Scholz und Treumann, dem Komikerkleeblatt, wie es kaum wieder in gleicher Vollendung und passenderem Zusammenwirken an einer Wiener Bühne erscheinen wird, die Wand meines Arbeitszimmers. Nur der letztere lebt noch, in erfreulich-erfolgreicher Thätigkeit als Director des ehemaligen Carltheaters; die Collegen aus früherer Zeit deckt der kühle Rasen. Ein größeres Original, nach allen Richtungen hin, als Nestroy war, hatte die deutsche Bühne wohl nie aufzuweisen. Geistreich wie Wenige, war er in Gesellschaft so scheu und wortkarg, daß man einen Dummkopf vor sich zu haben meinte, und nur dann und wann raunte er einem Freunde oder einem neben ihm sitzenden näheren Bekannten ein Witzwort, meist sarkastischen Inhalts, zu, welches an Schlagfertigkeit Alles übertraf, was im Verlauf mehrerer Stunden gesprochen worden war. Freilich sind fast alle diese bonmots so cynischer Natur, daß sich die meisten derselben nicht wieder erzählen lassen. Nestroy hat ein halbes Hundert Possen geschrieben, von denen eine namhafte Zahl, mustergültig und mit großem Beifall aufgenommen, über alle deutschen Bühnen ging. War das Buch einmal den bewährten Händen seines Directors Carl übergeben, hatte er seine Rolle in dem Stück einstudirt, so kümmerte er sich nie mehr um dasselbe, und selbst bei der ersten Aufführung seiner Arbeiten ließ er sich den Erfolg der Scenen, in welchen er nicht selbst beschäftigt war, in der Garderobe wieder erzählen. Der Autor dieser kleinen Feder-Zeichnungen erinnert sich noch mit Erstaunen an eine derartige Scene.

In der hundert und hundert Mal gegebenen Posse „Lumpaci-Vagabundus“ hatte Nestroy für sich die Rolle des Schusters Knieriem geschrieben, der im zweiten Act nicht beschäftigt ist. Während das Stück im vollen Cassenzuge war, wurde der Darsteller des Schneiders Zwirn, der geniale Scholz, einst krank und mir von meinem Chef das Wagniß aufgebürdet, die Partie von Mittags bis Abends zu lernen und für den leidenden Liebling des Wiener Publicums zu übernehmen. Ich zog mich leidlich genug aus der Affaire, und als ich, nach dem zweiten Acte von den nachsichtigen Zuschauern hervor gerufen, mit gewaltig erleichtertem Herzen von der Scene trat, kam mir Nestroy dankend mit freundlichen Worten entgegen. Die Neugierde, wie der bisher unbeachtete Anfänger seine schwierige Aufgabe lösen würde, hatte ihn als Zuschauer hinter die Coulissen gezogen, was er sonst nie that. Seine wohlwollende Rede endete mit den Worten: „Bei der Gelegenheit habe ich doch auch den zweiten Act meines Stückes kennen gelernt.“ Wirklich hatte er weder bei der ersten Scenirung, noch bei den unzähligen Wiederholungen der Posse sich um sein Werk bekümmert und den zweiten Act, in dem er nichts zu thun hatte, seit er aus seiner Feder hervorgegangen, total vergessen. Er arbeitete mit reißender Schnelligkeit, meist Vormittags im Bette liegend, mit Bleistift auf die halbe Seite großer, in Bittschriftenformat zusammengelegter Bogen schreibend. An der leeren halben Seite wurden spätere Aenderungen, Couplets, Witzfunken etc. notirt und das fertige Stück dann so der Direction übergeben. Nie bekümmerte er sich dann mehr um dasselbe, ebensowenig wie um die nöthige Ausstattung, Besetzung, Inscenesetzung etc. etc., er wußte das Alles bei Carl in den besten Händen.

[174] Täglich mit einer namhaften Rolle beschäftigt – als Director sagte er mir einst, er sei sein fleißigstes Mitglied – spielte er doch nur mit Widerwillen, kam erst in der letzten Minute seiner Verpflichtung, nach, war in der Garderobe, fünf Minuten vor dem Auftreten, noch der mißmuthige, faule Nestroy, der sich aber, sobald er die Scene betrat, mit Blitzesschnelle in den genialen, geistreichen Künstler verwandelte. Director Carl pflegte das Talent seiner Komiker in jeder nur denkbaren Weise auszubeuten, unter Anderem auch dadurch, daß er denselben kleine Rollen in ernsten, ja selbst in classischen Stücken aufbürdete, um die Zugkraft dieser Stücke zu erhöhen. Nestroy und Scholz nahmen sich vor, ihrem Chef dies in ihrer Art ein für allemal gründlich abzugewöhnen, und als ihnen dieser einst die Rollen der beiden Wächter des Hutes in Schiller’s Tell octroyirte, setzten sie dies Vorhaben in folgender Weise in Scene. In der bekannten dritten Scene des dritten Actes erschien Nestroy als Frießhardt mit einem riesigen Bart, Scholz als Leuthold mit glattem Gesicht, knallrothen Backen und über den Augen zwei schwarzen, kurzen, dicken, aufrechtstehenden Wülsten, welche die Brauen vorstellen sollten. Mit steinernem Ernst, der um so drastischer wirken mußte, nahmen die Söldlinge den Tell – von Kunst dargestellt – gefangen, „weil er dem Hut nicht Reverenz bewiesen“. Bis dahin lief die Sache leidlich ab, bis der böse Landvogt, mit großem Gefolge, Rudolf, Bertha und Rudenz, auf die Scene tritt und von den Wächtern erfährt, daß Tell gefangen sei, weil „er dem Hut nicht Reverenz bewiesen“.

Erzürnt spricht nun der Landvogt: „Verachtest Du so Deinen Kaiser, Tell –“

Nestroy als Frießhardt einfallend: „Daß Du dem Hut nicht Reverenz beweisest?“

Geßler (mit abwehrender Bewegung gegen Nestroy fortfahrend): „Und mich, der hier an seiner Statt gebietet –“

Scholz als Leuthold: „Daß Du dem Hut nicht Reverenz beweisest.“

Geßler: „Daß Du die Ehr’ versagst dem Hut, den ich zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?“

Nestroy, wie oben: „Daß Du demselben nicht Reverenz beweisest?“

Tell: „Verzeiht mir, lieber Herr! Aus Unbedacht, nicht aus Verachtung Euer ist’s geschehn. Wär’ ich besonnen –“

Scholz: „Würde er dem Hute Reverenz bewiesen haben.“

So ging die Scene fort, in immer unpassenderer, störenderen Weise, bis die Darsteller der ernsten Rollen sich vor Verlegenheit nicht mehr zu fassen wußten und die Zuschauer in ein nicht enden wollendes, brüllendes Gelächter ausbrachen. Wenn der Landvogt Tell befahl, die Armbrust zu nehmen, so rieth ihm Scholz, dem Hute Reverenz zu beweisen; wenn Geßler den armen Vater höhnte, daß er das Seltsame liebe, so meinte Nestroy, das bewiese er, „weil er dem Hut nicht Reverenz bewiese.“

Die Scene nahm ein Ende mit Schrecken; die Komiker wurden von der Direction in Ordnungsstrafe genommen, aber in kleinen Rollen ernster Stücke nie mehr beschäftigt.

Freilich hatte Nestroy noch oft genug Gelegenheit, in tragischen Scenen anderer Art seinen Jocus zu treiben. Ich erinnere mich noch des unauslöschlichen Gelächters, als in einem der damals modernen Ritterstücke ein Gottesgericht mit großer Feierlichkeit in Scene gesetzt wurde. Die Kämpfer standen unter der schwarzbehangenen Tribüne, die offenen Särge, bereit, die Leiche des Ueberwundenen aufzunehmen, an ihrer Seite. Der Kampfrichter theilt, unter dumpfem Trommelwirbel, „Sonne und Wind“, die Leibknappen – der eine von Nestroy dargestellt – stehen im Hintergrunde mit den Waffen ihrer Gebieter. Trompetenschall, der Kampf beginnt. „Knappe, mein Schwert!“ ruft der tapfere Held. Nestroy übergiebt ihm dasselbe mit den Worten: „Hier ist es, acht Groschen habe ich für’s Schleifen bezahlt.“

Alle Scherze, Witzworte und Calembourgs Nestroy’s trugen den Stempel des ausgesprochensten Cynismus oder der bittersten Ironie, und doch war er persönlich einer der gutmüthigsten Menschen, der mit Willen keiner Katze weh thun konnte. Ein wunderbareres Gemisch von guten und schlimmen Eigenschaften, von Schüchternheit und namenloser Frechheit, von böser Zunge und weichem Herzen ward wohl noch nie unter einem Menschenhaupt vereinigt gefunden.

„Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich habe mich nie getäuscht.“ Diese Phrase in seinem Munde, so absurd sie klingen mag, charakterisirte ihn doch auf das Entschiedenste. Nie, im Guten wie im Bösen, hat uns je etwas an Nestroy überrascht; er stand unter dem strengsten Pantoffelregiment eines ihn schwer drückenden Verhältnisses, darin ausharrend bis zum Ende seines Lebens, während ein rascher Entschluß die klirrenden Ketten gesprengt hätte. Dagegen entblödete er sich nicht, durch offene Untreue tausend und abertausend Mal die Eifersucht seiner Gebieterin bis zur rasenden Flamme anzufachen. Bei Gastspielen ließ er sich ein kleines „Extraconto“ für seine geheimen Plaisirs anlegen, da er „der Frau“ von der Verwendung eines jeden verdienten Guldens strenge Rechenschaft ablegen müsse. Dies gestand er selbst in größter Naivetät ein, obwohl er Gelegenheit genug fand, tausende von diesen Rechenschaftsgulden den Augen „der Frau“ zu entziehen.

Charakteristisch ist der Brief, den er an Scholz, seinen langjährigen Collegen, richtete, nachdem er die Direction des Carltheaters übernommen und Scholz ihn frug, ob jetzt das alte vertrauliche „Du“ zwischen ihm und seinem Director wegfallen müsse? Das Schriftstück lautete:

          „Lieber Freund Scholz!

Indem ich Dir beifolgend Deinen neuen Contract zusende (in demselben war Scholz das Doppelte seines bisherigen Gehaltes zugesichert), hoffe ich, Du wirst es als seinen Beweis meiner Freundschaft anerkennen, daß ich das Risico übernehme, ein Mitglied ohne Probegastspiel und ohne den Beisatz ‚auf Gefallen und Nichtgefallen‘ zu engagiren. Ich sichere Dir auch unser ‚Dusagen‘ contractlich zu, mit der Clausel, daß Du für jedesmalige Unterlassung eine Monatsgage als Strafe zu zahlen hättest.

„Wien, den 10. October 1854.

Dein alter Freund und junger Director
Johann Nestroy.“     

Einen größeren Gegensatz als den scharfen, sarkastischen, geistreichen Nestroy zu dem dicken behäbigen, gutmüthigen Scholz konnte man sich nicht denken. Nestroy mit angenehmen, feinen Zügen, Scholz mit einem kugelrunden verschwommenen Gesicht, kleinen munteren Augen, eine verkürzte Fallstafffigur, während Nestroy’s stattliche Persönlichkeit auch außer der Bühne imponirte. Auch die Witze der beiden Dioskuren trugen den Stempel ihrer Persönlichkeit. Die Scherze Nestroy’s waren immer scharf pointirt und ließen noch Vieles zwischen den Zeilen vermuthen, während die Späße des guten alten Scholz durch die knüppeldicke harmlose Dummheit stets eine enorme Wirkung hervorbrachten.

Bei dem Einzug eines Gutsbesitzers, dem auf einem nicht ganz reinlichen Kopfkissen die Schlüssel seines Schlosses von dem Amtmann entgegen gebracht wurden, hielt Scholz die Anrede und entschuldigte den Mangel an Sauberkeit des Kissens damit, „daß der Mann kleine Kinder habe“. In einer Posse, wo in einer Versammlung Gutgesinnter jeder angab, was er im Jahre 1848 für sein Vaterland gethan habe, erzählte Scholz: „Im Jahre Achtundvierzig habe ich für mein Vaterland gezittert.“ „Schlagt sie in Keden“ (Ketten), ruft er als Tyrann Sacripandus, „schlagt sie in Keden, aber mit einem weichen D, damit es ihr nicht so weh thut.“ Bei einer Herrschaft, bei der er sich zum Dienstantritt meldet, verlangt er, daß ihm sein neuer Herr alle Monate auf seine Kosten einen Zahn reißen lasse und ihm täglich einen Groschen für Milch gebe, denn er müsse täglich Milch trinken, da seine gute Mutter vergessen habe, ihn als Säugling zu entwöhnen.

Solche Späße erregten stets ein brüllendes Gelächter, welches freilich nur durch die Art des Vortrages, durch die unbeschreibliche Komik des Mannes begreiflich wurde.

Im Sommer des Jahres 1857 trat er ganz unverhofft zu mir in’s Zimmer. „Er sei mit seiner jungen Frau auf einer Reise nach Hamburg begriffen und wolle das ‚Mier‘ (das Meer) sehen,“ erzählte er mir, weshalb er auch meine Aufforderung, einigemal in Berlin zu spielen, ablehnte. Ich machte ihm nun den Vorschlag, er möge sechs Mal als Gast an meinem Theater auftreten, dann wolle ich mit ihm reisen und gemeinschaftlich mit ihm und seiner Frau das „Mier“ sehen, welches mir keine neue Erscheinung mehr war.

Während Scholze’s Gastspiel war das Haus täglich überfüllt und erdröhnte von schallendem Gelächter durch die ganze Vorstellung; nach Beendigung derselben raisonnirten die Zuschauer in fast maßloser Weise: es wäre doch gar zu dumm, es läge doch gar kein Sinn und Verstand in dieser Art von Komik etc. Mit diesen lauten Aeußerungen entfernte sich das Publicum jeden Abend, um [175] den nächsten Tag noch zahlreicher wiederzukommen. Nachdem nun mein alter College seinen improvisirten Gastspielausflug beendet und eine ganz ansehnliche Anzahl preußischer Thaler eingesackt hatte, eine Arbeit, die ihm unbeschreibliche Freude machte, weil sie so unverhofft kam, begleitete ich ihn, meinem Versprechen zufolge, mit seiner Frau, einem hübschen, einfachen Weibchen, die den alten Mann mit der aufmerksamsten Fürsorge einer zärtlichen Tochter behandelte, nach Hamburg. Nachdem ich ihn mit der reizenden Umgebung und den Merkwürdigkeiten der Stadt bekannt gemacht, stellte ich ihn dort in mehreren bekannten Kaufmannshäusern, namentlich bei einem der dortigen Geldfürsten, einem leidenschaftlichen Theaterliebhaber, vor, welcher den urkomischen Scholz von Wien aus kannte und schätzte. Den folgenden Tag waren wir dort zu einem solennen Frühstück eingeladen, welches der reiche Mann, dem fremden Künstler zu Ehren, auf seinem prachtvollen Landsitze veranstaltet hatte.

Scholz, der sich unter Kaufmann eine Art wohlhabenden Gewerbtreibenden vorstellte und dem die Species, deren Federzug in Canton wie in Paris, in Petersburg wie auf Java gleiche Gültigkeit und Achtung hatte, noch nie vorgekommen war, konnte sich vor Erstaunen nicht erholen, als ich ihn in die fürstliche Pracht der Wohnung seines neuen Gastfreundes einführte. Das lucullische Mahl ging in sehr heiterer Weise vor sich; Scholz ließ den trefflichen, ihm ganz fremden Gerichten ebensoviel Gerechtigkeit widerfahren, wie den zahlreichen Sorten edlen Rebensaftes, und als der freundliche Wirth die Gesundheit des Wiener Künstlers ausbrachte, stand Scholz, schon etwas überselig, mit verklärten Augen von seinem Sitze auf, wankte zu dem des Hausherrn hin, versicherte ihn seines Wohlwollens und seiner Dankbarkeit und bot ihm, den er heute zum ersten Male gesehen, zu meinem Entsetzen auf die naivste Weise an, mit ihm Brüderschaft zu trinken.

Es war überaus komisch anzusehen, wie der würdige, fein gebildete Millionär in ruhigster Weise diese Offerte entgegennahm und die Umarmungen des überschwänglich glücklichen Scholz über sich ergehen ließ. Derselbe bemühte sich, ihm seine Versicherung, daß er nicht etwa betrunken sei, dadurch zu beweisen, daß er auf dem Strich des Parkets zu gehen versuchte, was allerdings nicht ohne kleine Schwankungen ermöglicht wurde; er aß und trank Alles durcheinander, süß und sauer, kalt und warm, und duzte zuletzt die ganze Gesellschaft. Man sollte meinen, daß dies die Anwesenden etwa verletzt oder unwillig gestimmt habe, doch war dies keineswegs der Fall, denn als die erste Befremdung vorüber war, amüsirte sich Alles über den urkomischen Kauz, der hier mit hinreißender Drollerie zu singen, zu tanzen und zu declamiren anfing, als befände er sich in einer Kneipe seiner Vaterstadt. Auf mich machte die Scene einen um so überraschenderen Eindruck, als Scholz sonst außer der Bühne der ernsteste, stillste Mensch war, der stundenlang ruhig in Gesellschaft sitzen und den kräuselnden Rauchwolken aus seiner riesigen Meerschaumpfeife zusehen konnte. Nach dem Frühstück, welches an Quantität und Qualität drei festliche Mahlzeiten in sich schloß, wurden Mokka und Cigarren präsentirt. Die letzteren setzten meinen alten Freund durch ihre Güte wieder in Ekstase. „Erlaubst Du wohl,“ frug er den Gastgeber, „daß ich ein paar von diesen wunderbaren Cigarren einstecke, um sie in Wien zu zeigen?“

„Lieber Scholz,“ war die freundliche Antwort, „ich habe schon daran gedacht, und wenn Du in Dein Hotel zurückkommst, so wirst Du tausend Stück davon vorfinden, die ich Dich bitte, zur Erinnerung an mich mitzunehmen.“

Nachdem der gute Wenzel den Großmüthigen eine Weile verblüfft angeglotzt, kam er auf mich los und stöhnte unter hellem Schluchzen: „Sixst (siehst Du), solche Leut’ findt man bei uns nid!“

Den folgenden Tag frug er mich ganz unerwartet, ob ich ihn auf der Rückreise noch einige Mal in Berlin spielen lassen wolle, und als ich mit Vergnügen auf diesen Vorschlag einging, trieb er zur schleunigen Abreise. „Das Mier“ aber hat der alte Mann nicht mehr gesehen, denn noch in demselben Jahre trat er die Reise in jenes unbekannte Land an, von dem Hamlet behauptet, es sei noch kein Wanderer davon zurückgekehrt, obgleich er selbst kurz vorher den Geist seines Vaters gesprochen und geprüft, daß derselbe kein Gespenst aus der Hölle sei.

Am 7. October 1857 wurde in Wien unter unermeßlichem Zudrange des Publicums der Mann zur Gruft geleitet, der zahllose Male Tausende erheitert und, wie der Dichter sagt, nur ein Mal, durch seinen Tod, betrübt hat.