Biographie eines Löwen und Offiziers in der französischen Fremdenlegion

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Titel: Biographie eines Löwen und Offiziers in der französischen Fremdenlegion
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 500–501
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Biographie eines Löwen und Offiziers in der franz. Fremdenlegion.

Von den abenteuerlichen Franzosen Algeriens ist keiner besser bekannt als Monsieur Gérard, genannt der Löwen-Tödter. Seine Geschicklichkeit, sein Glück und sein Muth verdienen, daß er über Gordon Cumming, den südafrikanischen Nimrod, gestellt werde. Gérard hat unlängst seine Jagdabenteuer veröffentlicht, die in ihren Details äußerst spannend und interessant, im Ganzen aber freilich fast alle auf endliche Erlegung des Löwen oder auf ziemlich monotone Lebensrettung „bei einem einzigen Haar“ hinauslaufen. Folgendes Abenteuer ist aber, wenn nicht das effektvollste, so doch das entsprechendste, ich möchte sagen, humanste, und giebt die Biographie, statt die Erlegung eines Löwen. Jetzt, wo der Mensch von der immer reinern Wein einschenkenden Naturwissenschaft genöthigt wird, von der Höhe seiner „geistigen“ Privilegien vor den Thieren bescheiden herabzusteigen und die wegen ihrer „Geistlosigkeit“ verachteten Thiere näher zu sich heranzuziehen und würdigen zu lernen, wird man auch für das Leben und die treue Freundschaft eines „Königs der Wildniß“ die gehörige Theilnahme fühlen.

Im Februar 1846, erzählt Gérard, schickte der Commandeur von Ghelma, Monsieur de Tourville, zu mir und theilte mir mit, daß der Kabylenstamm „Beni-Bughal“ meinen Beistand gegen eine Löwin wünsche, welche unter ihren Heerden schreckliche Verwüstungen anrichte, um ihre Jungen zu mästen. Ich ritt sofort mit dem Sheik zu der Zeltenstadt des Stammes am Fuße des Jebel Mezrur-Berges. In der Abenddämmerung recognoscirte ich das Gehölz, in welchem die Löwin logirte. Sehr bald fand ich eine junge Löwin, etwa einen Monat alt; nicht größer als eine gute Katze. Ich wickelte sie in meinen Burnus und brachte sie in die Zeltenstadt, ritt dann zurück in die Nähe der Höhle, wo die Löwin ihre „Wochen“ hielt, setzte mich unter einen Korkbaum und wartete im Dickicht, nachdem ich mit meinem Dolche so viel freien Raum gehauen, daß ich meine Büchse handhaben konnte. Es ward Nacht. Mein Plan war einfach, der Löwin sofort das Gehirn auszublasen, wenn sie ihren Kopf zeige. Ich horchte gespannt durch die dicke Finsterniß. Einen Bären, der zuerst die schauerliche Stille unterbrach, erkannte ich bald an seinem schweren Tritt. Auch ein Schakal, der um die Höhle nach Leckerbissen der jungen Löwen schnüffelte, konnte mich mit seinem leichten, listigen Schritt nicht täuschen. Nach einer Weile aber glaubte ich mein Opfer deutlich zu hören, wie es durch das Dickicht rauschte, und die Knochen eines Schafes zerknackte, um es den Kindern mundrecht zu machen. Ich wartete zwei Stunden in der größten Aufregung und konnte den Arm nicht mehr halten. An den Korkbaum lehnend, wartete und wartete ich immerfort in der Hoffnung, die großen glühenden Augen der Löwin durch’s Dickicht aufleuchten zu sehen. Vergebens und abermals vergebens. Daß es immer wieder mäuschenstill ward, erhöhte nur meine Aufregung, die in der Erinnerung an frühere Abenteuer ohnehin nervös genug war. Mit furchtbarer Anstrengung suchte ich die dicke Finsterniß zu durchdringen, und die um den Verlust ihres einen Kindes rasende Löwin mit gestrecktem Halse, zurückgelegten Ohren und wuthzitterndem Körper zu entdecken, um ihrem Sprunge zuvorzukommen. Die Phantasie hatte in dem Dunkel völlige Herrschaft über mich. Obgleich es beißend kalt war, lief doch der Schweiß von meiner Stirn. Ich zitterte vor Furcht und habe keine Ursache, es zu leugnen. Doch kam mir der Einfall, auf den Baum zu klettern, eines Jägers zu unwürdig vor, so daß ich dadurch gerade mein Selbstvertrauen wieder gewann. Und was war ich wüthend auf mich, als ich endlich nicht nur das Rauschen und Rascheln wieder hörte, sondern auch das jämmerlich nach der Mutter quäkende Junge, den Bruder zu der schon gefangenen Schwester! Bald hatte ich meinen kleinen knurrenden Quälgeist in der Tasche und strauchelte drei Stunden lang durch Dick und Dünn nach dem Duar (der Zeltenstadt) suchend, oft unterbrochen durch vermeintliches Schnauben und Heulen der Löwin, die die Witterung ihrer Jungen verfolge.

Mein Erstes im Duar war, die beiden jungen Löwen – Bruder und Schwester, zu vergleichen. Ersterer war ein feiner Kerl und mindestens ein Drittel größer als letztere. Ich taufte ihn zu Ehren des Jägerschutzheiligen „Hubert,“ seine Schwester „Hubertine.“ Hubertine war sehr misanthropisch und kratzte und zischte Jeden an, der ihr zu nahe kam. Hubert dagegen guckte Tag für Tag mit einem ruhigen, aber erstaunten Blick umher, als könne er aus der Geschichte gar nicht klug werden, sei aber entschlossen, noch dahinter zu kommen. Die braunen, schlanken Araberinnen wurden nicht müde, ihn zu liebkosen und seine natürliche Liebenswürdigkeit zu belohnen. Sie banden eine Ziege und ließen ihn saugen. Erst benahm er sich sehr ungeschickt, aber als er erst gekostet, schien er sofort zu begreifen, daß dies die ihm bestimmte Amme sei. Er schloß sich kindlich an sie an und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Wie am ersten Abend legte er sich jedesmal, wenn er müde war, auf meinen Burnus und schlief so ruhig als wäre er bei „Muttern.“ Hubertine profitirte nichts von der Klugheit und Liebenswürdigkeit ihres Zwillingsbruders: sie blieb menschenscheu, bis sie am Zahnen starb, einer Periode, die überhaupt wohl eben so viel Löwen- als Menschenkindern das Leben kostet.

Die Löwin war trotz allen Nachforschungen nicht zu finden. Endlich erfuhren wir von einem Schäfer, daß sie mit einem dritten Jungen das Gebiet verlassen habe. Diese Nachricht stellte „Ruhe und Ordnung“ im Stamme Beni-Bughal wieder her, und ich ging mit Hubert nach Ghelma zurück, wo er sofort der Liebling des ganzen Lagers ward, besonders Lehmann’s, des Trompeters, mit deutscher Sentimentalität, Bibart’s, des Grobschmidts und Rustans, des Spahis.

Es ward für ihn ein besonderes Register angelegt, worin seine Dienste und Vergehen pünktlich protokollirt wurden. Er ward in dem Charakter eines Cavalleristen, der auf Einreihung wartet, eingetragen. Ich mache aus den Protokollen blos folgende Auszüge:

April 20, 1846. Am Geburtstage Hubert’s (als er nämlich drei Monate alt war) stand die Eskadron im Hofe des Hauptquartiers, um verlesen zu werden. So wie Lehmann das Zeichen bläs’t, springt Cavallerist Hubert, in sein Zimmer eingeschlossen, an’s Fenster und brüllt! Ici! (Hier!) wird aber nicht gehört und als fehlend notirt. Der Offizier commandirt: Marsch! Lehmann trompetet und Hubert springt herunter durch’s Fenster und marschirt mit ab auf den Exercierplatz. Für diesen Diensteifer wird die Notirung: „Abwesend“ gestrichen.

Mai 15. Hubert tödtet seine Amme, die alte Ziege, und wird dafür zum „Reiter erster Klasse“ ernannt.

September 8. Hubert machte einen Ausfall auf den Marktplatz und jagte sämmtliche Araber in die Flucht. Tödtet bei dieser Gelegenheit mehrere Schafe und einen Esel, wirft einen Wächter zu Boden und ergiebt sich Niemandem als seinen Specialfreunden, Lehmann, Rustan und Bibart. In Anerkennung dieser Beweise jugendlicher Tapferkeit wird er zum Supernumerar-Offizier ernannt und ihm eine eiserne Ehrenkette um den Hals zuerkannt, an welcher er als beständige Schildwache an die Thürpfoste des Pferdestalles angelegt wird.

Januar 16, 1847. Ein Beduine schleicht um die Ställe. Hubert, ihn für einen Räuber haltend, zerreißt seine Kette und hält ihn am Boden fest, bis er den Gefangenen in einem sehr „unheilen“ Zustande an einen Offizier abliefert. Für diese That bekommt Hubert den Titel: „Farben-Sergeant“ und zwei Ketten um den Hals. Im April tödtet er ein Pferd und schlägt zwei Soldaten nieder. So steigt er zu dem Range eines wirklichen Offiziers und wird in einen Käfig gesperrt.

Armer Hubert! und ich, sein bester Freund, war commandirt, ihn in’s Gefängniß zu bringen. Die Behörden, so lange nachsichtig gegen ihn wegen seiner Liebenswürdigkeit, durften jetzt ihre Güte nicht weiter ausdehnen. Es gab blos eine Wahl zwischen Todesstrafe oder lebenslänglichem Gefängniß. Mein erster Gedanke war, ihn flüchten zu lassen. Aber an Umgang mit Menschen gewöhnt, hätte er leicht zurückkehren, einen dummen Streich machen und dann getödtet werden können. So schloß ich die eisernen Stäbe vor ihm. Während der ersten Monate seiner Strafe ließ ich ihn gewöhnlich des Nachts heraus und spielte Versteckens mit ihm. Er war dann immer so glücklich und ausgelassen zärtlich, daß er mich oft drückte, wie der feurigste Liebhaber. Aber eines Abends umarmte er mich mit solcher Gewalt, daß er mich vielleicht erwürgt haben würde, hätten mich meine Kameraden nicht aus seinen liebkosenden Armen befreit. Ich weiß, er meinte es gut, denn er zeigte weder Klauen noch Zähne, nur daß er nichts von dem Uebermaße [501] seiner Kraft gegen menschliche Glieder wußte, und dies in dem Uebermuthe seiner Zärtlichkeit nicht berechnete. Aber ich sah deshalb auch ein, daß er von jetzt an nur mit der stärksten Kette um den Hals und an den Käfig geschmiedet herausgelassen werden könnte. Seitdem ward er traurig und launisch. Ein Offizier bot mir 3000 Francs, aber ich konnte es nicht über’s Herz bringen, ihn zu verkaufen, wie bisher die Felle erlegter Löwen. Der Offizier wollte ihn dem Könige von Sardinien schenken. Dies erinnerte mich an den Prinzen von Aumale, dem ich Dankbarkeit für manche Beweise von Güte schuldig war. Ich bot ihm meinen Freund Hubert, falls er ihm eine gute Stelle im zoologischeu Garten von Algier verschaffen wolle.

Hubert verließ Ghelma im Oktober 1846 zum größten Leidwesen der Damen, gegen die er stets besonders galant und liebenswürdig gewesen, zur Verzweiflung Lehmann’s, der sich dudeldick betrank, um den Schmerz des Scheidens besser tragen zu können, und mit Bibart solchen Lärm machte, daß Beide arretirt werden mußten, um Hubert ohne Opposition und Empörung fortschaffen zu können.

In Algier fand man Hubert zu groß und majestätisch für Algier. So beschloß man, ihn in den zoologischen Garten von Paris zu bringen, und gab mir den Befehl, ihn dahin zu begleiten. Armer König der Wüste! Ja wohl warst du zu majestätisch für das unglückliche Leben, zu welchem man dich jetzt verurtheilte!

Auf dem Schiffe hatte Hubert Erlaubniß zu seiner Mahlzeit (in der Regel einem zehnpfündigen Beefsteak) an der Kette aus dem Käfig herauszukommen. Sobald ich öffnete, sprang er freudig heraus, streichelte an mir herum, um seine Dankbarkeit zu beweisen, legte sich zu Tische und streckte sich dann aus in die Sonne, um friedlich zu blinzeln und zu verdauen. Er wußte bald ziemlich genau, wenn die ihm so vergönnte Stunde um war, denn er ging freiwillig in seinen Käfig zurück und ließ sich von Jedermann, besonders gern von schönen Händen, an den Ohren krauen. So vergingen die letzten Tage unseres freundschaftlichen Zusammenlebens. In Toulon trennten wir uns. Noch sah ich ihn einmal in Marseille, aber nicht mehr denselben. Er sah so trostlos und unglücklich aus. Zwar leuchtete die Freude aus seinen Augen auf, als er mich erblickte, aber zugleich starrte er mich so vorwurfsvoll fragend an: Warum hast Du mich verlassen? Wo bin ich? Wohin soll ich? Wirst Du mit mir kommen? Seine traurigen Blicke thaten mir weh. Ich entfernte mich, aber da wüthete er so fürchterlich in seinem Käfig und donnerte so Mark und Bein erschütternd, daß Alle in seiner Nähe mit blassen Gesichtern flohen. So wie ich mich wieder nahte, ward er ruhig und drückte sich an die Gitter, daß ich ihn streicheln möchte. Ich streichelte ihn so lange, bis er einschlief und ich mich langsam entfernte. Schlaf in Vergessenheit deiner Leiden, edles Thier! Schlaf ist Balsam für deine Leiden, so gut wie für unsere.

Drei Monate später kam ich nach Paris. Mein erster Besuch galt meinem Freunde Hubert im Jardin des Plantes. Ich ärgerte mich mit Staunen über die kleinen Käfige der wilden Thiere und den Gestank, den wohl Hyänen und Schakale vertragen, nicht aber Löwen, denen Reinlichkeit Leben ist. Sofort wandte ich mich an den Minister Geoffroy de Saint Hilaire, der die nöthigen Verbesserungen versprach, die aber in der Februarrevolution untergingen.

Unter diesen traurigen Eindrücken kam ich vor dem Käfig meines Freundes Hubert an. Er lag gleichgültig im Halbschlummer und blickte zuweilen nachlässig und verächtlich auf die ihn umdrängende Menge. Plötzlich schlug er mit dem Kopfe in die Höhe, die Augen funkelten, die Muskeln seines Gesichts zitterten: er hatte die Uniform „seines Regimentes“ gesehen. Doch erkannte er mich noch nicht. Unfähig, meine Bewegung noch länger zurückzuhalten, trat ich zu ihm und steckte die Hand durch das Gitter. Es war ein Anblick, der mich erschütterte und alle Anwesenden rührte. Er sah mich lange, lange fest und prüfend an, beroch meine Hand, sah mich wieder an, klarer, zärtlicher und schien nur noch auf ein Zeichen zu warten, ob ich’s auch sei. Ein Wort und es war ihm klar. „Hubert, alter Bursche!“ rief ich freudig. Mit einem furchtbaren Satze sprang er gegen die Eisenstäbe, daß sich einige bogen. Meine Freunde und das Publikum flohen im größten Entsetzen. Nobles Thier, selbst deine Freude verbreitet Schrecken. Hubert stand aufrecht und schüttelte die Eisenbarren, daß Alles umher krachte und wackelte. Er sah glorios aus, jeder Zoll der wahre Löwe, donnernd mit seinem erhobenen Krachen in Freude und Schmerz. Er leckte meine Hand mit seiner rothen Zunge so sanft und preßte die Tatzen durch die Gitter, mich zu umarmen. O, er liebkoste mich so gewaltig aus seinem starken Löwenherzen! Wie sollt’ ich wieder fortkommen? Zwanzig Mal ging ich, aber so wie er mich aus den Augen verlor, zitterte Alles umher von seinen Sprüngen und brüllenden Donnern. Zwanzig Mal kehrt’ ich um, ihm begreiflich zu machen, daß ich wieder käme. Doch nichts wollt’ ihn trösten. So mußt’ ich ihn endlich toben lassen, daß es eine halbe Stunde lang hinter mir her donnerte und krachte. Ich besuchte ihn fast jeden Tag auf mehrere Stunden, aber jedesmal traf ich ihn müder und melancholischer. Die Aufseher im Garten riethen mir, seltener zu kommen, da er sonst wahrscheinlich das Heimweh bekommen werde. So kam ich seltener, bis ich an einem schönen Maimorgen von dem Wärter mit folgenden Worten empfangen ward: „Sie brauchen nun wohl nicht mehr zu kommen, Monsieur, Hubert ist todt.“

Ich eilte hinweg mit dem Gefühle, als hätt’ ich den treuesten Freund verloren und komme oft zurück in Gedanken der Reue, daß ich ihn aus der Freiheit der Berge stahl, um ihn von Civilisation und Kerker tödten zu lassen. O, ihr Löwinnen des Atlas, nie in meinem Leben werde ich wieder eure Kinder stehlen! Besser, sie mit einem ehrlichen Jägerschusse zu tödten, mit einem Blitze in der Freiheit des Waldes unter ihrem heimatlichen Himmel, statt sie in die Gefangenschaft des Nordens zu schleppen. Das Blei des Jägers ist nobler, als das Blei der Langeweile und des ausgedehnten Schmerzes über die verzehrende Schwindsucht des Kerkers.“