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Singen und Schlingen; Sing- und Schlingorgane

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Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Singen und Schlingen; Sing- und Schlingorgane
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 501–503
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[501]

Vom Baue des menschlichen Körpers.

Singen und Schlingen; Sing- und Schlingorgane.

Beim Sprechen und Singen, sowie beim Schlingen (d. i. das Verschlucken von Speisen und Getränken) treten so ziemlich dieselben Organe in Thätigkeit, und es können diese deshalb, sowie ihres unmittelbaren Zusammenhanges wegen, gegenseitig großen Einfluß auf einander ausüben. Wahrscheinlich gründen sich auf diesen Umstand auch die Redensarten: „cantores amant humores (Sänger lieben das Gläschen)“ und! „Hast Du geredet, so trinke einmal.“ Vielleicht läßt sich daraus auch die Thatsache erklären, daß bei Schmäusen gern gesungen und getoastet wird. – Krankheiten gehen nicht selten von den Schling- auf die Singorgane über und umgekehrt. Wie beschwerlich aber und launeraubend dieselben sind, werden gewiß viele unserer Leser erfahren haben. Ja, es giebt nicht Wenige, die sich bei Halsbeschwerden ganz unnützerweise mit der Furcht vor Hals- oder Kehlkopfsschwindsucht ihr und ihrer Angehörigen Leben verbittern. Leider trägt man freilich heutzutage nicht die gehörige Sorge für den Sing- und Schlingapparat, und daher kommt es denn auch, daß man diese Apparate bei Vielen nicht gern sieht und hört.

Oeffnet man den Mund und blickt durch die Oeffnung zwischen den Lippen und den Zahnreihen in die Mundhöhle hinein (s. d. Fig.), so zeigt sich zunächst hinter den Zähnen des Unterkiefers (b) die aus Fleisch (oder Muskelsubstanz) gebildete Zunge (k) und als Dach der Mundhöhle, hinter der obern Zahnreihe (a), der knöcherne oder harte Gaumen (c), welcher zugleich auch den Boden der Nasenhöhle bildet. Wird nun die Zunge niedergedrückt, so erscheint ganz hinten in der Mundhöhle eine halbrunde Oeffnung (h), welche Rachenenge heißt und in den Theil des Schlundkopfes führt, welchen man Rachen nennt und der nach unten in die Speiseröhre übergeht. Nach oben wird die Rachenenge vom Gaumensegel oder weichen Gaumen, in welchen sich der harte Gaumen fortsetzt und Muskelfasern Bewegungen veranlassen können, begränzt; in seiner Mitte hängt das Zäpfchen(d) [502] herab, während sich zu beiden Seiten zwei häutige bogenförmige Falten, der vordere und hintere Gaumenbogen (e und f) herabziehen. Zwischen diesen beiden, mit Muskelfasern versehen Bögen ragt, auf der rechten wie auf der linken Seite, eine Mandel (g) hervor, ein rundliches, in vielen kleinen Säckchen dicken Schleim absonderndes Organ. Wird der unter dem Zäpfchen liegende hinterste Theil der Zunge, die sogen. Zungenwurzel, stark niedergedrückt, so läßt sich der obere Rand des Kehldeckels (i) erblicken, der schon hinter der Mundhöhle im Rachen, über dem Eingange des Kehlkopfs (der Stimmritze) liegt und diesen durch Ueberdeckung verschließen kann. Auf dieses Weise wird nämlich das Eindringen fremder Körper in den Stimm- und Athmungsapparat, in den Kehlkopf und in die Luftröhre oder sogen. falsche Kehle, verhindert.

a) Obere Zahnreihe. b) Untere Zahnreihe. c) Gaumen. d) Zäpfchen. e) Vorderer und
f) hinterer Gaumenbogen. g) Mandel. h) Rachenenge. i) Kehldeckel. k) Zunge.

Das Schlingen, d. i. die Beförderung des Genossenen aus der Mundhöhle in den Magen, geschieht auf folgende Weise: die von den Zähnen gehörig zerkaute und mit Speichel durchfeuchtete Speise (der Bissen) wird von allen Seiten auf den Rücken der Zunge geschoben, welche dieselbe durch Aushöhlung ihres Rückens und Hebung der Spitze gegen den harten Gaumen abrundet und dann, durch allmäliges Andrücken ihrer Rückenfläche von der Spitze aus nach rückwärts an den harten Gaumen, nach der Rachenenge befördert. Hier wird hinter der stark erhobenen Zungenwurzel durch den weichen Gaumen und die Gaumenbögen eine Art Tasche oder Schlund-Vorhof für den Bissen gebildet, welcher mit schlüpfrigem Schleime überzogen ist und sich verengern kann, so daß der Bissen hinterwärts in den Rachen gedrängt wird. Diese Taschenbildung kommt dadurch zu Stande, daß die hintern Gaumenbögen von beiden Seiten sich vorhangartig nach der Mitte zu vorschieben und der zwischen ihnen freibleibende Spalt durch das Zäpfchen des schräg nach hinten geneigten weichen Gaumens geschlossen wird, während die beiden vordern Gaumenbögen gleichzeitig vollständig zurücktreten, so daß nun die Mandeln frei hervorragen und mit ihrem Schleime den Bissen überziehen können. Aus dieser Tasche wird nun der Bissen dadurch hinterwärts in den Schlundkopf (oder Rachen) befördert, daß sich die Zungenwurzel stark erhebt und zurückzieht, wobei die hintern Gaumenbögen aus einander weichen und das Gaumensegel sich horizontal nach hinten erhebt, um dem Bissen das Abweichen nach oben und so das Eindringen in die Nasenhöhle (deren hintere Oeffnungen dicht über dem weichen Gaumen befindlich sind) zu verwehren. Beim Hinabgleiten des Bissens in den Schlund rutscht derselbe über den Kehldeckel hinweg, indem dieser durch das Zurückziehen der Zunge und das Heben des ganzen Kehlkopfs auf den Eingang desselben gedrückt wird, so daß also keine Speisetheilchen in die falsche Kehle gelangen können. Der Eingang des Kehlkopfs, die Stimmritze, scheint sich aber unter dem niedergeklappten Kehldeckel auch vollkommen zu schließen, da man bei zerstörtem Kehldeckel kein Eindringen von Speisen oder Getränken in die Luftröhre beobachtet hat. Nur beim gleichzeitigen Schlingen und Athemholen passirt dies wohl zuweilen; auch können fremde Körper aus der Mundhöhle durch starkes Einathmen in die Luftröhre gezogen werden. Deshalb ist das Spielen mit festen Körpern im Munde (Zahnstochern, Kernen u. dlg.) ja zu lassen, da es recht leicht gefährlich werden und sogar den Tod nach sich ziehen kann. – Ist der Bissen auf die angegebene Weise durch die Zunge und durch die Zusammenziehungen des Schlundkopfes in den Anfangstheil der Speiseröhre gelangt, so beginnt hier nun die für uns unbewußte und unwillkürliche, regelmäßig von oben nach unten successiv fortschreitende (peristaltische oder wurzelförmige) Zusammenziehung der fleischigen Speiseröhre, welche den Bissen nach und nach in den Magen schafft. Dies geschieht so, daß die Längenfleischfasern der Speiseröhre bei ihrer Verkürzung die zunächst unter dem Bissen befindliche Parthie der Speisröhre über den Bissen hinwegstreifen, während die Zusammenziehung der Ringfasern dicht hinter dem Bissen ihn vor sich herschiebt. Je härter, trockner und größer der Bissen ist, desto schwerer und langsamer geht sein Hinabschaffen durch die Speiseröhre in den Magen vor sich und desto leichter bleibt er stecken, bis wir durch Getränk sein Fortkommen erleichtern. – Auf dieselbe Weise, wie Festes verschluckt wird, geht auch das Schlingen von Getränken und des in der Mundhöhle sich ansammelnden Speichels (das sogen. Leerschlucken) vor sich.

Krankheiten der beim Schlingen betheiligten Organe, – also: der Zunge, des Gaumens und der Gaumenbögen, des Zäpfchens und der Mandeln, des Schlund- und Kehlkopfs, der Speiseröhre, – deuten sich hauptsächlich dadurch an, daß das Schlingen beschwerlich und wohl auch schmerzhaft wird. Auch ist dabei bisweilen das Athmen und Sprechen behindert, so wie sich in manchen Fällen auch noch das Gehörorgan, das Gesicht und der Hals betheiligt. In der Regel ist der Geruch aus dem Munde unangenehm, die Zunge belegt, die Schleim- und Speichelabsonderung verändert. Es versteht sich natürlich von selbst, daß bei allen Schlingbeschwerden von Seiten des Arztes der Schlingapparat stets genau untersucht werden muß. – Am häufigsten unterliegen die hintern Theile der Mundhöhle, die rings um die Rachenenge liegenden Organe (der weiche Gaumen, das Zäpfchen, die Gaumenbögen und Mandeln, der katarrhalischen Entzündung[WS 1] (Bräune), was im gewöhnlichen Leben meistens als böser Hals bezeichnet wird (s. unten). – Die Ursachen der Krankheiten des Schlingapparates, zu denen das kindliche und jugendliche Alter vorzugsweise geneigt ist, sind entweder rein örtliche und nicht selten äußerliche Schädlichkeiten (Erkältungen, Speisen, Medicamente, reizende Stoffe, Dämpfe und Gase u. s. w.), oder zu starke Anstrengungen der Schlingorgane und Erkrankungen benachbarter Theile (besonders der Nasenhöhle und des Kehlkopfes), oder auch Allgemein-(Blut-)Krankheiten, wie Scorbut, Syphilis, Metallvergiftungen, Ausschläge. – Die Behandlung aller dieser Krankheiten muß zunächst im Abhalten und Wegschaffen von Schädlichkeiten bestehen, weshalb vor allen Dingen eine milde (schleimige), warme und flüssige Kost anzurathen ist und kalte, feste und reizende Stoffe (wie Gewürze, Tabak, scharfe Säuren, kalte, unreine Luft) zu vermeiden sind. Sodann ist der Schlingapparat gehörig rein zu halten, was man in der Regel ganz fälschlicher Weise durch Gurgeln erzielen will, aber durch Ausspülen und Einspritzungen erreicht werden muß. Das Gurgeln ist deshalb nämlich als nachtheilig nicht zu empfehlen, weil bei demselben die kranken Theile in eine stark zitternde Bewegung versetzt und so aus der Ruhe gebracht werden, die aber gerade ein Haupterforderniß zur Heilung ist. Um die Einspritzungen (mit warmem Wasser) gehörig weit hinter in die Mundhöhle machen zu können, muß die Zunge herabgedrückt werden. Bei den allermeisten Krankheiten des Schlingapparates ist das Bestreichen der kranken Stelle mit Höllenstein (was gar nicht wehthut) von ausgezeichnet günstigem Erfolge. Uebrigens heilen fast alle Entzündungen im Schlingapparate bei dem oben angegebenen diätetischen Verhalten gewöhnlich in wenigen Tagen ganz von selbst und ohne Medicin, weshalb die Homöopathen auch glauben, daß ihre Chamille oder Belladonna u. s. w. geholfen habe. – Besprechen wir jetzt noch den sogen. bösen Hals etwas genauer.

Die Gaumen-, Zäpfchen- und Mandelbräune, gewöhnlich böser Hals genannt, ist eine entweder mildere oder heftige, bisweilen mit Fieber verbundene Entzündung (meistens Katarrh) der Organe an der Rachenenge, welche sich nicht selten auf die Ohrtrompete und Stimmritze ausdehnt und dann neben Schlingbeschwerden (die in Folge von Schwellung der entzündeten Organe und Verengerung der Rachenenge zu Stande kommen) auch noch Ohrenbrausen oder Schwerhörigkeit und Heiserkeit erzeugt. Gewöhnlich bedarf diese in einigen Tagen von selbst verschwindende Entzündung keiner besondern Behandlung, nur der Ruhe und Erwärmung der kranken Theile. Sollten jedoch die entzündeten Mandeln [503] sehr stark schwellen, wodurch das Athmen und Sprechen behindert wird, dann bildet sich gewöhnlich ein Eiterherd in denselben, und es ist dienlich, warme Umschläge um den Hals zu machen, so wie die Dämpfe kochenden Wassers in die Mundhöhle einzuziehen; bisweilen muß die Eiterhöhle auch zeitig eröffnet werden. – Bleibt nach solchen Bräunen Anschwellung der betheiligten Organe (besonders der Mandeln und des Zäpfchens) zurück, dann thut das Bestreichen derselben mit Höllenstein die besten Dienste, auch das Einspritzen und Bepinseln mit zusammenziehenden Mitteln (mit kalter Salbeiabkochung, Alaun- oder Zinkvitriollösung etc.) ist vortheilhaft. In hartnäckigen Fällen führt das theilweise Wegschneiden der stark geschwollenen Mandeln oder des Zäpfchens, was übrigens ganz ungefährlich und fast schmerzlos ist, am schnellsten zum Ziele und hat schon manchmal das Athmen, das Sprechen und Singen, sowie auch das Hören verbessert. Vergrößerte Mandeln geben nämlich der Stimme etwas Hohles, Rauhes und Gedämpftes, gerade als ob ein fremder Körper im Munde läge, und veranlassen tönendes (schnarchendes Athmen), durch die Nase und mit geöffnetem Munde (besonders im Schlafe). Auch können sie durch Hinaufdrängen des weichen Gaumens die Ohrtrompetenmündung verlegen und dadurch Schwerhörigkeit erzeugen. (Ueber das Singen und die Singorgane mit ihren Krankheiten später.)

(Bock.) 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Endzündung