Die Leiden des Stimm- und Singorgans

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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Die Leiden des Stimm- und Singorgans
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, S. 637–638
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.

Die Leiden des Stimm- und Singorgans.

Warum hört man wohl so selten eine schön, reine und klangvolle Stimme beim Sprechen und Singen? Weil man das Stimm- und Singorgan, den Kehlkopf (s. Gartenl. 1855. Nr. 43), so schlecht behandelt und zwar schon von Kindheit an. Eben deshalb wird dieses Organ aber auch so oft von Krankheiten heimgesucht. – Welch einen heisern Bierbaß mit obligatem Schleimgekrächze bringt nicht mancher Herr Candidat von der Universität als Frucht seiner Studien bei Rauch-, Sing- und Trinkconvivien mit in die Provinz. Wie hölzern-klanglos klingen nicht bei verfütterten krummbeinigen Kindern und leichtschnupfigen, sogen. scrophulösen Personen die Gaumentöne, welche sich zwischen dicken Mandeln wie zwischen einem Paare großer Klöße im Munde durchquetschen müssen. Als ob die Stimmbänder mit einem Pelzflecke überkleidet wären, so rauh und pelzig machen öfters wiederkehrende, durch Erkältung und unreine Luft herbeigeführte Kehlkopfskatarrhe, sowie Ueberanstrengung des Stimmorgans die Stimme. Kurz, würde besser auf das gehörige Maaß beim Gebrauche der Stimme, auf die Beschaffenheit der Luft, welche durch die Stimmritze strömt, auf die festen und flüssigen Stoffe, welche beim Verschlucken über und an dem Kehlkopfe hingleiten, auf die den Kehlkopf umgebenden Halsparthien und das Aeußere des Halses geachtet, es gäbe sicherlich viel mehr gute Stimmen und weniger Kehlkopfsleiden.

Sehr starke und längere Zeit anhaltende Anstrengungen der Stimmbänder (durch Schreien, Singen, Sprechen) erzeugen sehr oft, besonders bei Kanzelrednern, Schullehrern, Sängern und Commandirenden, eine Stimmverstimmung (dysphonia clericorum), bei welcher die Stimme schwach, klanglos und ungleich, weniger metallisch, vorübergehend rauh und heiser, bald hoch und überschlagend, bald tief und monoton wird. Lautes und längeres Sprechen und Singen ruft hierbei sehr bald Trockenheitsgefühl und Schmerzen im Kehlkopfe hervor. Diese Stimmverstimmung, welche Singlehrer gar nicht selten durch zu vieles und langes Ueben ihrer Schüler veranlassen, scheint theils auf einem durch Ueberreizung erzeugten Schwächezustande der Kehlkopfs-Muskeln und Nerven, theils auf einem, vorzugsweise einzelne Drüschen der Kehlkopfsschleimhaut befallenden Katarrh zu beruhen.

Was die Luft betrifft, welche durch die Stimmritze strömt, so kann diese, wenn sie sehr kalt und rauh, mit Staub, Rauch oder schädlichen, besonders ätzendscharfen Gasarten (Chlor, Ammoniak, Leuchtgas, Kohlensäure) verunreinigt ist, sehr leicht eine so heftige Entzündung der Kehlkopfsschleimhaut veranlassen, die, wenn sie auch wieder verschwindet, doch eine Verdickung des Stimmbänderüberzuges und somit eine schlechte Stimme hinterläßt. Vorzüglich leicht tritt eine solche Entzündung dann ein, wenn der durch Singen, längeres und lautes Sprechen, Einathmen warmer Luft u. s. w. erhitzte Kehlkopf plötzlich von kalter, rauher Luft durchzogen wird. Deshalb müssen Alle, die ihre Stimme lieb haben, wenn sie ihren Kehlkopf anstrengten oder sich im warmen Zimmer aufhielten und hinaus in kalte Luft treten, den Mund schließen und durch die Nase oder, können sie den Mund nicht halten, durch ein Tuch, am besten aber durch einen Respirator Athem holen. – Bei kleinen Kindern kann kalte rauhe Luft (Ost- und Nordwind) sehr leicht den tödtlichen Croup erzeugen, bei welchem Erstickung durch Verstopfung der Stimmritze des Kehlkopfes eintritt.

Speisen und Getränke können insofern Einfluß auf die Stimme ausüben, als sie beim Verschlucken über den Kehldeckel hinweg und an der hintern Wand des Kehlkopfes hinunter gleiten, dadurch aber mit derselben Schleimhaut in Berührung kommen, die sich auch in die Stimmritze hinein erstreckt. Deshalb können recht leicht scharfe Stoffe, besonders Gewürze (Pfeffer, Senf) und starke Spirituosa die Kehlkopfsschleimhaut in Entzündung versetzen. Am leichtesten ist dies aber möglich, wenn man nach Anstrengungen des Kehlkopfs Kaltes (Eis, Wasser) genießt. Es läßt sich hieraus auch der Nutzen milder, schleimiger Stoffe für den Kehlkopf erklärlich finden. – In seltenern Fällen trägt das Einbringen von Speisetheilchen in den Kehlkopf oder in die sogen. falsche Kehle Schuld an Kehlkopfsleiden.

Der Hals, von dem der Kehlkopf einen Bestandtheil ausmacht, besitzt außer diesem noch Organe, die bei Krankheitszuständen auf den Kehlkopf und so unmittelbar auch auf die Stimme einwirken können. Besonders thun dies oft die Anschwellungen der Drüsen des Halses, vorzüglich der Schilddrüse (d. i. der Kropf). – Auch kann enge Halsbekleidung, sowie plötzliche Kälteeinwirkung auf den warmen (erhitzten und schwitzenden) Hals dem Kehlkopfe und der Stimme Schaden bringen.

Unter den Krankheitserscheinungen bei Kehlkopfsleiden steht die Veränderung der Stimme und der Husten oben an. Die Stimme kann die verschiedensten abnormen Eigenschaften annehmen; sie kann heiser, rauh, pfeifend, klanglos, dumpf, matt u. s. f. werden (Dysphonie) und wohl auch ganz und gar verschwinden (Aphonie). Der Husten, gewöhnlich mit Auswurf von dünnem oder dicklichem Schleim in Klümpchen verbunden, zeigt ebenfalls große Verschiedenheiten; er kann kurz, hoch, tief, bellend, pfeifend, krähend u. s. w. sein. Das Athmen ist nicht selten (manchmal bis zur Erstickung) erschwert und geräuschvoll (scharf, rauh, zischend, pfeifend, rasselnd). Das Sprechen und bisweilen auch das Schlingen (wobei doch der Kehlkopf nicht blos bewegt, sondern auch berührt wird) rufen manchmal Schmerzen hervor, auch werden nicht selten unangenehme Empfindungen (von Trockenheit, Hitze, Drücken, Kratzen, Stechen, Kitzeln, Brennen, Spannen, Zusammenschnüren) [638] im Kehlkopfe verspürt. Für den Arzt muß dann noch die äußere und innere Untersuchung des Kehlkopfes weitere Auskunft über das Leiden desselben geben. – Was die Kehlkopfskrankheiten selbst betrifft, so ist von ihnen der Katarrh die häufigste, auch sehr viele andere Krankheiten begleitende und glücklicher Weise in den allermeisten Fällen die ungefährlichste, denn er verschwindet in der Regel nach 3 bis 8 Tagen bei richtigem diätetischem Verhalten ganz von selbst. Wohl kann derselbe aber bei Kindern, wenn nicht die gehörige Vorsicht dabei angewendet wird, durch Steigerung der katarrhalischen Entzündung zu Croup oder durch Ausdehnung derselben bis in die Lunge tödtlich ablaufen; auch ist es schon vorgekommen, daß durch Mißhandlung eines Kehlkopfkatarrhs bei Erwachsenen Erstickung durch wässrige Schwellung der Schleimhaut (Oedem) eingetreten ist. Jedenfalls vermögen bei Erwachsenen öfter wiederkehrende und längere Zeit andauernde Kehlkopfskatarrhe durch Verdickung des Schleimhautüberzuges der Stimmbänder der Stimme Klang und Metall für immer zu rauben, wenn nicht gar Verengerung der Stimmritze nach sich zu ziehen. Deshalb sind derartige Katarrhe so viel als möglich zu verhüten oder doch gleich bei ihrem Entstehen wohl zu beachten. Die von Vielen ganz mit Unrecht so sehr gefürchtete Kehlkopfsschwindsucht (d. i. die Zerstörung der Kehlkopfsschleimhaut durch Geschwüre) entspringt äußerst selten aus Katarrhen und ist überhaupt, wenn sie wirklich vorkommt, gewisser und nur dem Arzte wichtiger Nebenumstände wegen, von keiner großen Bedeutung.

Bei Behandlung der Kehlkopfskrankheiten ist die oberste Bedingung „Ruhe des Stimmorgans“ und deshalb muß, zumal lautes, Sprechen und Singen ganz unterbleiben. – Sodann muß die Luft, welche der Patient einathmet, stets (auch bei Nacht) warm (gegen + 15 ° R.) und ganz rein sein. Besonders ist schneller Wechsel zwischen warmer und kalter Luft, besonders bei Kindern, ängstlich zu vermeiden und deshalb kann, wenn der Patient nicht fortwährend in dem warmen Zimmer bleiben kann, der Respirator (s. Gartenlaube 1855, Nr. 8) bei Kehlkopfsleiden als das vortrefflichste Sicherungs- und Heilmittel empfohlen werden. – In Bezug auf Speise und Trank, so sind nur warme, milde und reizlose, vorzugsweise flüssige, breiige und schleimige Nahrungsstoffe zu genießen, alles Kalte und Reizende (Gewürze, Spirituosa) aber streng zu vermeiden. – Der Hals braucht nur mäßig warm und locker eingehüllt zu werden; Blutegel, Umschläge, Senfpflaster, Pockensalbe, spanische Fliegen[WS 1] und Haarseile nützen so gut wie nichts und dienen nur zur Plage des Kranken. Vortheilhaft sind dagegen Einathmungen von warmen Wasser-Dämpfen und in hartnäckigen Fällen von Seiten des Arztes die örtliche Anwendung des Höllensteins direkt auf die Schleimhaut des Kehlkopfes. Es versteht sich übrigens wohl von selbst, daß Alles, was den Herzschlag und das Athmen beschleunigt, also jede Erhitzung und Anstrengung, so viel als nur möglich zu fliehen ist, und daß man sich vor jeder Erkältung zu hüten hat. – Um den Hals gegen den schädlichen Einfluß rauher Witterung, kalter Zugluft und plötzlichen Temperaturwechsels unempfindlicher zu machen (d. i. stärken), gewöhne man denselben allmälig an größere Kälte und zwar mit Hülfe kühler und kalter Waschungen (besonders auch des Nackens) und durch leichte Bekleidung oder Bloßtragen desselben.
Bock. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fiegen