Blütentage in Florenz

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Autor: Isolde Kurz
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Titel: Blütentage in Florenz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 255–259
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Blütentage in Florenz.

Von Isolde Kurz.


Florenz heißt „die blühende“, und das Stadtwappen ist eine Blume. Nicht umsonst, denn was auch die Kunst für diese einzige Stadt gethan hat, ihr schönster Schmuck bleibt der unvergängliche Blumenkranz, in dem sie das ganze Jahr hindurch prangt. Die florentinischen Gärten hinter ihren hohen von Rosen umrankten Mauern sind kleine Paradiese, in denen es niemals Winter wird. Felder und Wiesen bleiben immer grün, die weißen Margeriten schmücken sie selbst, wenn einmal flüchtig der Schnee fällt, und die Rosenbeete des Viale de’ Colli hören nie zu blühen auf. Darum braucht der Frühling die Natur nicht aus dem Winterschlaf zu wecken, er schmückt sie nur mit neuen, überschwenglichen Gaben. Er hat kein Eis zu brechen, keinen Schnee zu schmelzen, keine Gewitterstürme begleiten ihn – unversehens ist er da, die lauen Lüfte haben ihn gebracht, und niemand weiß genau, wann er gekommen.

In den ersten Februartagen, bei milder Witterung zuweilen noch früher, regt sich schon das junge Leben auf den Feldern. Aus dem gelockerten Erdreich strecken die Anemonen ihre zarten Köpfchen hervor; sie stehen nach ihrer Farbe in Gruppen beisammen, purpurn, violett, blaßrosa, weißlich oder gesprenkelt. Die Veilchen sind auch schon da, und die leuchtenden gelben Narzissen bringen bald einen neuen lebhafteren Farbenton in die Landschaft. Bei den Italienern heißen sie nach ihrer Gestalt „bicchierini“ (Becher), die gefüllten aber „tromboni“ (Trompeten), und in der That könnte man ihr schreiendes Gelb die Blechmusik in diesem Farbenkonzert nennen.

Um diese Zeit bringt jeder Blick ins Grüne eine neue Ueberraschung. Ueber Nacht hat schon ein Mandelbäumchen als erstes unter den Geschwistern sein Hochzeitskleid angelegt, es ist so früh, daß das Auge noch kaum daran zu glauben wagt, aber nur ein paar warme Tage, so sind die anderen seinem Beispiel gefolgt und stehen wie von einem plötzlichen Schneefall überschüttet. Auch die Pfirsichblüte ist aufgegangen und webt zarte rosige Schleier durch die in Licht gebadete Landschaft.

Unmerklich wie ein Dekorationswechsel bei aufgezogenem Vorhang geht jetzt die Verwandlung vor sich: vor die dunkle Cypressenwand schiebt sich eine lichtgrüne Pappelreihe, Lorbeer und Steineiche, Mispel und Magnolie und all die anderen immergrünen Bäume ersetzen ihr düsteres Gewand so ganz allmählich durch neue glänzendere Blätter, zwischen den hellschimmernden Oliven bauen sich immer zahlreicher, immer höher die weißen und rosigen Kuppeln der blühenden Obstbäume auf, die Pinie hängt hellere Fransen um, und das junge Buchen- und Birkenlaub stiehlt sich ganz leise in die Landschaft ein, ohne daß man sagen kann, wann es zuerst ausschlug.

In diesen Tagen geht man wie mit Flügeln; kein Weg scheint weit und kein Hügel steil, denn so warm die Sonne scheint, die Lüfte sind noch frisch und ätherleicht. Draußen in der Campagna findet man Gebüsch und Hecken in Blüte, und die noch aufgerollten Blättchen drängen sich eilig nach. Die Rebe, auf ihr stützendes Ahornbäumchen gelehnt, weint die hellen Freudentropfen, die weithin in der Sonne funkeln. Der Buchfink ist [256] laut, die Amsel, noch ungeschickt, probiert unermüdlich dieselbe Strophe – das Landvolk versichert, sie rufe ganz deutlich: Bella mia, ti vedo, si – si – si! (Schätzel mein, ich seh’ dich, ja – ja – ja!) Auf den Feldern ist alles bunt, der ersten Blumengeneration folgen schon die wilden Tulpen nach, die zwischen dem grünen Weizen wachsen, die großen flammendroten an dicken strotzenden Stielen, die kleinen weiß- und rotgestreiften und die schmiegsamen gelben, die sich an langen schwanken Stengeln wiegen. Ebenso wie die Anemonen und Narzissen lassen sie sich im Glase über eine Woche frisch erhalten. In Massen wachsen die gewöhnlichen Wiesenblumen schon daneben, Erdrauch, Löwenzahn und die liebliche blaue Perlblume. Vor allen anderen aber leuchtet die Schwertlilie im dunkelblauen goldverbrämten Samtgewand, das Wahrzeichen von Florenz, denn sie ist es, deren stilisiertes Abbild die Stadt im Wappen führt.

In früheren Jahren konnte man von dieser Blumenpracht auf den Feldern pflücken, so viel das Herz begehrte. Der Landmann lächelte höchstens über die Sonderlinge, die ihm seine Aecker vom Unkraut säubern halfen. Aber seit der Blumenversand eine so ungeheure Ausdehnung angenommen hat, sind auch die wilden Blumen ein Handelsartikel geworden. Doch mit einem freundlichen Wort und einer kleinen Gabe läßt sich auch jetzt noch das Verbot brechen, wie die Tausende von Spaziergängerinnen beweisen, die jeden Abend mit Sträußen beladen zu den Thoren hereinströmen; die Britin kennt man von weitem an der Größe ihrer Beute und an der Energie, mit der sie Blütenzweige zur Zimmerdekoration heranschleppt, die oft länger sind als die Trägerin selbst – sie muß am Thor dem Fiaker winken, damit sie ihrer Last nicht erliegt.

Dies ist die Zeit, wo sich der große Menschenstrom von Nord nach Süden wälzt, er kommt mit der Gewalt einer Überschwemmung und wächst mit jedem Jahr, seitdem der Frühling in nordischen Landen eine Sage zu werden droht. Zwar ist Florenz nur eine Durchgangsstation; die große Masse schiebt sich nach kurzem Aufenthalt gegen Rom und Neapel weiter. Aber jeder Tag bringt neue Scharen nach, die Straßenadern schwellen, das Wagengerassel kommt Tag und Nacht nicht zur Ruhe, Gasthöfe, Restaurants, Theater, Läden sind überfüllt. Der Eingeborene erwartet von dieser jährlichen Fremdenüberschwemmung denselben Dienst, den der Austritt des Nils den Bewohnern seiner Ufer leistet: sie soll Wohlstand verbreiten, ohne den Fleiß der Hände in Anspruch zu nehmen, und soll in wenig Wochen den Bedarf des ganzen Jahres decken.

Die Natur übernimmt es, die Stadt zum Empfang der Gäste zu schmücken. Thorbogen und Laubgehänge überwölbt sie mit den lichtblauen Blütentrauben der Glycinen wie mit einem zartduftenden Baldachin, zwischen die dunklen Lorbeerwände sät sie eine wildwuchernde Fülle gelber und weißer Schlingröschen aus und bestreut den Boden mit Blütenschnee, der aus den Gärten niederregnet.

Und nicht nur Blumen spendet die Jahreszeit, auch Früchte sind schon da, die Orangenhändler durchziehen mit Karren und Körben die Stadt – ihre goldene Ware ist an allen Straßenecken ausgelegt – auch draußen vor den Thoren und in den umliegenden Ortschaften findet man sie als hochwillkommene Begegnung für den erhitzten durstigen Wanderer.

Noch haben die Blumen allein das Vorrecht, die Stadt zu schmücken, kein leichtes Frühlingskleid, kein heller Hut wagt sich heraus, denn eine unumstößliche Satzung will, daß erst bei den großen Pferderennen im Mai die bunten Stoffe und die Sommerhüte zum Vorschein kommen. Unterdessen mag die Sonne Gluten versenden, die Florentinerin lüftet höchstens den Pelzkragen, und die fremden Touristinnen im diskreten Reiseanzug tragen auch nichts zur Buntheit bei. Die Blumen aber sind überall: auf den Ständen der Blumenhändler und in den Händen der Vorübergehenden, Kinder bieten sie auf Brücken und Plätzen feil, sie leuchten aus den vorüberfahrenden Equipagen, und die breiten Steinbänke, die um die alten historischen Paläste herlaufen, sind durch die Auslagen der Gärtner in wahre Blumenkränze verwandelt, die balsamische Düfte durch die Straßen senden.

Der eigentliche Blumenmarkt ist eine Einrichtung der letzten Jahre und findet nur einmal wöchentlich, am Donnerstag Vormittag, unter den Loggien des Mercato nuovo statt. Was ihn vor den Blumenmärkten anderer Städte auszeichnet, ist die charakteristische Lokalität bei dem wasserspeienden antiken Bronzeeber, dem sogenannten porcellino (Schweinchen), und die überwiegende Menge von Feldblumen, die neben den Blütenreisern und den Gartenblumen verkauft werden. Die Ueberlieferung will, daß viele dieser Blumen, die sonst in Europa nicht wild wachsen, ursprünglich aus Palästina stammen; mit den Schiffsladungen heiliger Erde, welche die reichen Florentiner im Mittelalter für ihre Begräbnisstätten aus Jerusalem bezogen, sollen ihre Keime nach Florenz gekommen sein.

Zur Zeit des Himmelfahrtsfestes tritt noch eine weitere Besonderheit hinzu: die schwarze Grille, die alsdann in winzigen bunten Drahtkäfigen feilgeboten wird. Ein florentinisches Kind läßt sich um diese Zeit schwerlich vom Blumenmarkt heimführen, ohne daß die Mama ihm seinen grillo gekauft hat; man stellt die Tierchen zu Haus oder im Garten auf, wo sie sich hinter dem Gitter bald zu Tode zirpen, wenn nicht eine mitleidige Hand ihnen heimlich die Freiheit giebt. Es ist ein uralter florentinischer Brauch, daß am Himmelfahrtstage, der davon der Grillentag heißt, die jungen Leute zu Grillenfängern werden: frühmorgens zieht das Völkchen in Scharen nach den Cascinen hinaus, um seine Picknicks im Grünen abzuhalten, und der Liebhaber ist verpflichtet, seinem Mädchen eine schwarze, gelbgefleckte Grille von besonders musikalischer Gattung zu verehren – wenn sie zu Hause lustig musiciert, so gilt es für eine gute Vorbedeutung. – Außerhalb der Loggien, unter denen in bunter Pracht die Blumen aufgehäuft sind, drängt sich eine Reihe enger Buden, wo die bekannten Florentiner Strohhüte verkauft werden, auch künstliche Blumen giebt es hier, sowie Spitzen und Bänder und was sonst zum Aufputz eines Hutes gehört.

Blumen ganz anderer Art sind es, die drüben auf dem Trottoir unter der Häuserreihe verhandelt werden. Dort stehen die Tische der öffentlichen Schreiber, von denen Bauern, Dienstmädchen, Soldaten, und wer sonst im Alphabet nicht bewandert ist, sich ihre Korrespondenz besorgen lassen. Wie das Leben der Südländer sich überhaupt im Freien abspielt, so hat das Völkchen auch kein Arg dabei, seine Briefe vor der Oeffentlichkeit zu diktieren. Doch kann man die Abfassung ebensogut der Phantasie des Schreibers überlassen, der über einen blütenreichen, hochgeschwungenen Stil verfügt und, besonders wenn es sich um Liebessachen handelt, die Blumen der Rhetorik nicht sparsam einflicht.

Die letzten Jahre haben neben den großen Blumenausstellungen den Blumenkorso früherer Zeiten wieder eingeführt, bei dem die am schönsten geschmückten Wagen durch Preise ausgezeichnet werden. Es versteht sich, daß man mit Geschmack und Phantasie sehr Schönes leisten kann. Einen wundervollen Anblick gewährte z. B. ein mit tiefroten Rosen wie mit einem Teppich dicht belegter Landauer: die Speichen der Räder, die Pferde, alles war mit Rosen bekränzt und das Lederzeug so mit Blumen umwunden, daß es aussah, als wären die Tiere mit Guirlanden gezäumt und angeschirrt. Ein leichter Korbwagen, dessen Form unter einer abstehenden Umhüllung von Maiblümchen ganz verborgen war, nahm sich gleichfalls reizend und feeenhaft aus; die Insassen schienen in einem Korbe voll Maiblumen hinzugleiten, und wenn ein Flor junger Gesichter und duftiger Toiletten das Innere eines solchen Wagens schmückt, so ist das Bild vollkommen. Nur wird das Schauspiel durch die ungeheure Menschenmenge in den verhältnismäßig engen Straßen wesentlich beeinträchtigt. Dem Blumenkorso der Equipagen schließt sich als allerneuste Neuerung zuweilen auch noch ein solcher für Radfahrer an.

Mehr noch als der frühe Blumenflor und das blendende Licht, das am Tage über der Landschaft liegt, muß den nordischen Reisenden die blaue Tiefe der nächtlichen Himmelskuppel mit ihrem übermächtigen Sternenglanz in Staunen setzen. Der Deutsche hat selten Gelegenheit, sich am Himmel orientieren zu lernen, denn im Winter, wo die Luft klar ist und die hellsten Sternbilder über dem Horizont stehen, ist die Kälte der Beobachtung hinderlich, und die schwächeren Sommergestirne haben im Norden häufig gar nicht die Kraft, die dunstige Atmosphäre zu durchdringen. Und doch sollte heute noch ein jeder von uns [258] so gut wie unsere Vorfahren imstande sein, ohne Taschenuhr und Kompaß sich nach dem himmlischen Zifferblatt in Zeit und Raum zurechtzufinden.

Wer von seiner italienischen Reise einen Lebensgewinn nach Hause bringen will, der für manchen wertvoller sein dürfte als das gewissenhafte Abgrasen der Galerien und Kirchen, der versäume nicht, wenigstens eine kleine Sternkarte mit sich zu führen und stelle sich damit des Abends auf eine Terrasse oder Anhöhe, etwa auf den Piazzale Michelangelo. In diesen ersten Frühjahrsmonaten ist eine hocherlauchte Gesellschaft am Himmel beisammen. Hoch im Zenit leuchten die Zwillinge, die den Frühlingsreigen anführen, westlich und schon etwas vornüber geneigt steht die Riesengestalt des Orion mit dem funkelnden Gürtel, vor ihm her wandern die Gruppen der Plejaden und Hyaden, ihm nach der strahlende Sirius, „der herrlichste von allen“, und ganz tief unten am östlichen Horizonte steigt Arkturus mit der Schar der Sommergestirne herauf.

Wer so glücklich ist, sich einigen Kindersinn bewahrt zu haben, dem wird es auch Freude machen, den Bildern, nach denen eine naivere Menschheit die Sterngruppen benannt hat, mit der Phantasie nachzugehen; nur darf er dabei keinen Anspruch auf korrekte Zeichnung erheben.

Hat man einmal diese Beobachtungen eine gewisse Zeit lang jeden Abend zur gleichen Stunde wiederholt, so wird man bald nicht nur die verschiedenen Konstellationen unterscheiden, sondern auch an ihrem jeweiligen Stand die Stunde bestimmen lernen. Die in Italien gefundenen Sternbilder wird man alsdann auch an dem trüberen deutschen Himmel immer wieder erkennen. Allmählich werden sie zu Freunden, man freut sich bei einsamen Feldspaziergängen, wenn die bekannten Gestalten uns begleiten, man weiß die Jahreszeit und die Stunde ihres Erscheinens voraus und wartet auf ihre Wiederkehr wie auf die alter Freunde. Für Menschen, die dauernd auf dem Lande leben, und gar für solche, die von Natur einsam sind, können sie eine unschätzbare Gesellschaft sein.

Doch nicht die glühenden Himmelsaugen allein geben der südlichen Nacht einen so eigentümlichen Zauber, sie hat auch eine Stimme, die sie als beseelt erscheinen läßt. Ein heimliches Singen und Tönen zieht über die Felder und steigt aus den Gärten empor: es ist das Summen und Zirpen von Millionen Insekten mit dem fernen Quaken der Frosche, was sich zu einem langgezogenen, seltsam elementaren Laut vereinigt, der etwas unendlich Friedvolles und Beruhigendes hat. Durch keine wohlthuendere Musik kann man in Schlaf gesungen werden als durch diese. Das Kiuh, eine ganz kleine, nur im Süden heimische Eulenart, läßt seinen melodischen Klageruf ertönen, der sich in kurzen, immer gleichen Pausen wiederholt, feierlich, gesetzmäßig, unabweislich wie die Notwendigkeit. Erst gegen Morgen verstummt er, kurz bevor die Tagesvögel durch ein rasches helles Zwitschersignal den Sonnenaufgang ankündigen.

Der Reisende glaubt die Umgegend von Florenz zu kennen, wenn er in solchen Blütentagen bis Fiesole oder nach der Certosa gefahren ist, aber in Wahrheit geben diese Eindrücke von der unendlichen Mannigfaltigkeit der Florentiner Landschaft gar keinen Begriff. Schon in nächster Nähe dieser viel begangenen Wege thun sich Gegenden von völlig anderem Charakter auf.

Seitlich von Fiesole verwandelt sich der Zaubergarten in eine steinige Wildnis, wo nur verkrüppelte Cypressen und würzige Myrten sprossen, dort liegen die märchenhaften Steinbrüche des Monte Ceceri. Südlich von der Certosa, an den steilen Ufern der Greve, findet man wiederum eine von ihrer Umgebung völlig verschiedene Welt. Die hochgeschwungene Brücke, die über das Wasser führt, heißt Ponte agli scopeti, von scopa, Heidekraut, denn auf weiten Strecken steht am Ufer die mannshohe Heide, die sich zur Blütezeit mit einer Unzahl winziger weißer Glöckchen bedeckt. Neben ihr blüht der Ginster, der Pfriemenstrauch und andere gelbe Papilionaceen, die berauschende Düfte spenden. Selbst im Winter kommt man von dort nicht mit leeren Händen nach Hause, denn alsdann blüht die zarte lichtgrüne Weihnachtsrose, die unser Mörike besungen hat, dort zu Tausenden an den schattigen Abhängen.

Im April oder Mai sollte man den Monte Morello, den höchsten Berg in der Nähe der Stadt, besteigen, dann sind seine rötlichen sonnbeschienenen Halden – für den Rest des Jahres nur eine Steinwüste – in einen lachenden Rosengarten verwandelt.

Dagegen ist der östlich von der Stadt gelegene Monte Incontro auf seinem Nordabhang bis zur Spitze vollkommen lichtblau gefärbt durch die Kultur der blauen Schwertlilie (Iris florentina), die den schattenlosen dürren Boden viele Meilen weit bedeckt. Sie liefert das weltberühmte Veilchenpulver, das aus der Iriswurzel gewonnen wird und von der Apotheke von Santa Maria Novella aus als edelstes Wäscheparfüm über die ganze Erde wandert.

Die königlichen Schlösser Castello, Petraja, die alte Mediceervilla Poggio a Cajano muß man gleichfalls während der Rosenzeit besuchen. Mauern, Lauben, Dachvorsprünge sind dann von roten, weißen und gelben Rosen förmlich überschüttet. Auch die Gärten in und vor der Stadt, besonders die wunderbaren Anlagen des Boboli und des Bobolino, sind um diese Zeit ein Märchen. Die Citronen- und Orangenbäume brauchen die ganze Kraft ihrer starken Arme, um ihre goldene Last zu tragen, und daneben dauert die Blüte fort. Die gelbe Mispel reift, die labendste unter den Früchten des Frühjahrs. Bei den wilden Rosen stehen die Knospen in dicken Büscheln und sind nicht zu zählen, aber auch die edelsten Sorten wie Marschall Niel- und Dijonrosen kommen in besonders günstigen Rosenjahren so massenhaft, daß sie sich Raum und Licht streitig machen.

Dies ist der Frühling, wie ihn Botticelli in seiner „Primavera“[1] gemalt hat, und man muß solche florentinischen Blüten- und Zaubernächte erlebt haben, um die Märchenstimmung des wunderbaren Bildes ganz zu begreifen.

Der Zauber hat jetzt seinen Gipfel erreicht; neue Blumengeschlechter verdrängen die dahinsinkenden, und mit ihnen entwickelt sich auf dem unveränderlichen Hintergrund eine völlig neue Farbenskala. Zwischen dem reifenden Getreide bei Mohn und Kornblumen steht in Massen die hohe rote Gladiole, Adonisröschen glänzen wie kleine Blutstropfen hindurch, der wundersame schwellende Purpurklee macht den Eindruck, als seien brennend rote Plüschteppiche über die Felder hingebreitet. Der Kapernstrauch entfaltet seine Wunderblüte, an Spalieren rankt die „gaggia“, eine Mimosenart, deren kugelige gelbe Blüte der Florentiner Stutzer im Knopfloch trägt. Die verbreitetste Blume der Jahreszeit, die wilde Calla, steht überall an Mauern und Schutthaufen.

Der Frühling ist in dieser letzten Phase göttlich schön, aber erquickend ist er nicht mehr. Aus den Gärten strömt ein sinnverwirrender Wohlgeruch durch die weichliche Abendluft, gemischt aus Jasmin und Lilien, aus Linden- und Orangenblüten; von den Wiesen duftet das gemähte sonndurchtränkte Heu und die zarte aber berauschende Rebenblüte, die schon die Gewalt des künftigen Weines ahnen läßt. Die Leuchtkäfer führen ihren Fackeltanz in den Lüften auf, die Nachtigallen flöten und schmettern mit einer Inbrunst, als müßten sie ihre Seele in Tönen verhauchen. Nachtschwärmer durchziehen mit Gesang und Mandolinenbegleitung die Straßen; die Luft ist schwül und beklemmend.

Wer jetzt bei Einbruch der Dunkelheit über die Hügel geht, der sieht die Frühlingsgestirne im Untergang, Orion ist schon verschwunden – er wird erst im Spätsommer zu früher Morgenstunde am östlichen Himmel wieder sichtbar – die Zwillinge sinken ihm nach, während sommerliche Sternbilder den Zenit ersteigen.

Immer wilder, immer leidenschaftlicher wird das Blühen, der Rosenbusch kann sich nicht genug thun, der Oleander steht wie in Flammen, der Granatbaum schmückt sich mit korallenroten Rosen, die Magnolienblüte bricht auf und versendet einen Wohlgeruch, der Schwindel erregt. Alles, was an Lebenstrieben übrig ist, will sich schnell noch austoben, denn das Ende der ganzen Herrlichkeit ist nahe.

Eines Morgens ganz früh, wenn kaum die Vögel wach sind, ertönt ein schriller Laut in der Campagna, der in einen andauernden Lärm wie das Rasseln einer blechernen Kinderklapper übergeht – es ist die Cikade mit den durchsichtigen Flügeln, und ihre Stimme giebt das Signal, daß die Herrschaft des Sommers begonnen hat.

[259] Jetzt verlischt mit einem Male die Farbenglut, die Blumen sind ganz rasch verschwunden, das Grün verschmachtet unter dem immer stärkeren Gluthauch. Die Wege werden blendend weiß, eine Staubschicht legt sich über die Bäume; die Frühlingsstimmen verstummen, und die große glühende, farblose Stille des Hochsommers beginnt, wo nur die Cikade fort und fort bis zur Betäubung schrillt. Der große Strom der Touristen ist längst über die Alpen zurückgeflutet, jetzt fliehen erschreckt auch die letzten Nachzügler, und die Einheimischen geben sich der elementaren Gewalt der Hitze hin, wo der Geist die Arbeit einstellt und der Mensch sich bescheidet, als ein Stück Natur mit Busch und Wiese weiterzuvegetieren.

  1. In der Accademia delle belle arti befindlich.