Blaquiere’s Briefe aus Griechenland

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Titel: Blaquiere’s Briefe aus Griechenland
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aus: Das Ausland, Nr. 86. S. 342–343.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Blaquiere’s Briefe aus Griechenland.

Letters from Greece, with Remarks on the Treaty of Intervention. By Edward Blaquiere, Esq., Autor of „An historical Account of the Greek Revolution“. 8 vo London 1828.


Das vorliegende Werk erzählt die neueren Ereignisse des griechischen Kampfes bis zur Schlacht bei Navarin, theils in Briefform, theils in einer historischen Einleitung, unter Beifügung von erläuternden Beilagen und Original-Documenten. Es vertheidigt den Interventions-Vertrag und berichtigt die in P. J. Green’s „Skizzen des Krieges in Griechenland“ gegen die Griechen erhobenen Anklagen. Bei dieser Veranlassung werden wieder die oft berührten Fragen über den gegenseitigen sittlichen und geistigen Werth der Griechen und Türken abgehandelt, um daraus den Schluß zu ziehen, in wiefern die Griechen ein Recht auf Unabhängigkeit und Freiheit haben. Die Türken, als das herrschende Volk, haben größere und kühnere, aber weniger kleine und verächtliche Laster als die Griechen. Jene sind offener, redlicher und wahrhaftiger in Wort und That; in geistigen Eigenschaften aber, die doch wohl die Hauptbasis des Willens und eines edlen sittlichen Selbstbewußtseyns bilden, stehen sie weit unter ihren bisherigen Sklaven. Die Frage dreht sich jedoch, wie uns scheint, keineswegs darum, ob die Griechen tugendhaft oder lasterhaft, geistreich oder geistlos sind, sondern blos ob sie Menschen sind. Sind sie Menschen, schlecht oder gut, so haben sie auch ein Recht auf Unabhängigkeit und Freiheit. Wenn in einem Volke die Sehnsucht nach diesen ersten Bedingungen jedes geistigen und sittlichen Lebens einmal erwacht ist, wer sollte da wohl das Recht haben, ihm die Befähigung dazu streitig zu machen?

Die Gegner der Griechen werden nicht müde zu beweisen, daß letztere durch jahrhundertlange Sklaverei entwürdigt wurden. Vielleicht könnten die Tausende, die in siebenjährigem Kampfe von den Karpathen bis zu den Fluthen des griechischen Meeres, fürs Vaterland in den Tod gingen, Zeugniß geben, daß in dem Volke die höchste Tugend des Bürgers, der Stolz der Selbstständigkeit, nicht ganz erloschen ist. Mag es auch von der wilden Kraft, welche sich gegen die Ketten sträubt, noch ein großer Schritt seyn bis zu jener von innen und außen geschützten und gesicherten Freiheit, so sind doch die innern Verwirrungen und Kämpfe, die bis dahin noch eintreten müssen, geringe Uebel gegen das eine große, die Fortdauer des Despotismus. Indem man beweist, daß die Griechen durch Sklaverei entwürdigt wurden, beweist man damit nicht zugleich die Nothwendigkeit des Aufhörens derselben? Wenn der Despotismus die Geister erdrückt hat, gibt es da ein anderes Mittel als die Freiheit, um sie wieder aufzurichten? Die Antwort auf alle diese Fragen liegt so sehr auf platter Hand, daß es unbegreiflich ist, wie man glauben kann, die Ereignisse, die mit innerer Nothwendigkeit und mit dem Schwerte sich Bahn brechen, werden auf die Demonstrationen moralischer und politischer Sophisten horchen, welche mit philosophischer Unfehlbarkeit beweisen, daß dieses Volk zur Freiheit reif, jenes unreif sey. Mit welch unumstößlichen Gründen hatten deutsche Professoren einst dargethan, daß die Neger eine niederere Race seyen, nur bestimmt, die Sklaven der höher begabten Weißen zu seyn! Da brachen sie mit blutiger Hand die Fesseln ihrer Unterdrücker, und es scheint nicht, daß der in rascher Bildung sich erhebende Negerstaat nach den Ketten Europas sich zurück sehne.

Doch kehren wir von diesen allgemeinen Betrachtungen, zu denen uns der polemische Theil von Blaquiere’s Werk Veranlassung gab, zu diesem selbst zurück. Folgende Anekdote ist charakteristisch für den Kampf der Griechen gegen ihre Unterdrücker.

„Sophia Condulimo war die Wittwe eines ausgezeichneten Offiziers, welcher während der Belagerung Missolunghis gefallen war. Als die Türken in die Stadt eindrangen, befand sie sich, von ihrem Sohne und ihrer Tochter begleitet, unter jenen Haufen, welche der Wuth der Sieger durch die Flucht zu entrinnen suchten. Sie waren noch nicht weit gekommen, als die Mutter einen Trupp Türken erblickte, welche ihnen nachsetzten. Entsetzt über das Schicksal, das ihrer Tochter drohte, wandte sie sich zu ihrem Sohne, der bewaffnet war, und befahl im, seine Schwester, ein reizendes Mädchen von 16 Jahren, zu erschießen, damit sie nicht ein Opfer der türkischen Rohheit würde. Der Jüngling gehorcht im Augenblick dem furchtbaren Befehl, zieht eine Pistole aus seinem Gürtel und streckt seine Schwester zu Boden. Mutter und Sohn fliehen einer Höhle zu. In diesem Augenblicke fällt der Sohn, von einer Kugel der nachsetzenden Feinde verwundet, nieder. Die Mutter sucht ihn mit fortzuschleppen, wird aber von einigen türkischen Reitern eingeholt, von denen einer schon die Pistole auf sie richtet, als sie sich aufreißt und ihm mit dem Blick und dem Tone des Befehls zuruft: Barbar, siehst du nicht, daß ich ein Weib bin? Diese Wort haben die gewünschte Wirkung: Mutter und Sohn werden am Leben gelassen, um in die Gefangenschaft abgeführt zu werden. Als später mit dem Geld der Griechenvereine zweihundert der unglücklichen Gefangenen losgekauft wurden, befand auch Sophia Condulimo sich unter der Zahl der Befreiten, und erblickte unter denselben – ihre todtgeglaubte Tochter. Die Türken, die Schönheit des Mädchens bemerkend, hatten sie nach Missolunghi zurückgebracht, ihre Wunden verbunden und geheilt. Ihr Schicksal rührte die mit der Loskaufung beauftragten Agenten, und so kam sie, welche, um ihre Ehre zu retten, dem Tode geweiht war, durch die Hände der Feinde in die Arme der Mutter zurück.“

[343] „Tragischer war das Schicksal des unglücklichen Meyer, welcher die griechische Chronik gegründet und beinahe zwei Jahre lang mit vielem Geist redigirt hatte. Während meines Aufenthaltes in Napoli di Romania traf ich zufällig mit dem Capitano zusammen, den Meyer und seine Gattin, eine junge Missolunghiotin, die ihr erstes Kind an der Brust trug, bekleidete. Bereits in der Nähe des Gebirges angekommen, sahen sie plötzlich einen Trupp türkischer Cavallerie ihnen nacheilen. Meyer, die Unmöglichkeit einsehend, sein Weib und Kind zu retten, bat die Griechen ihn zu tödten. Diese aber rissen ihn in wilder Flucht mit sich fort, bis die Türken sie erreichten und Meyer unter ihren Säbeln fiel. Seine Gattin und sein Kind kamen in die Sklaverei, in der sie noch jetzt schmachten sollen, da die Fonds der Societät zu Corfu zu gering waren, um ihre wohlthätigen Bemühungen fortsetzen zu können. Meyer war ein geborner Preuße, und ganz von jenem Geiste des Republicanismus erfüllt, der in Deutschland so rasche Fortschritte macht.[1] Die Strenge und Rechtlichkeit, mit der er stets die Raubsucht der Capitäns und anderer Chefs bekämpfte, zog ihm viele Feinde zu. Als er getödtet wurde, trug er ein genaues Tagbuch über die ganze Belagerung bei sich, auf welches er, wie mich die Gefährten seiner Flucht versicherten, großen Werth legte.“

Ueber Cerigo schreibt Blaquiere: „Obgleich von Natur dürr und unfruchtbar, bietet Cerigo (das alte Cythära), doch vieles Interesse dar, theils wegen seiner klassischen Erinnerungen, theils weil es in den letzten Jahren ein Hauptzufluchtsort einer großen Anzahl griechischer Familien, sowohl vom Festlande als von den Inseln des Archipels war, welche die Revolution vom heimathlichen Heerde trieb. Von allen Inseln der jonischen Republik lernte Cerigo den brittischen Einfluß vielleicht am meisten von seiner wohlthätigen Seite kennen. Der Resident, Capitän Mc. Phail, hat wirklich Wunder gethan. Sein erstes Werk war, daß er herrliche Wege bauen ließ, wobei die größten Schwierigkeiten überwunden, lange Felsenrücken durchbrochen und gesprengt, Hügel und Thäler durch treffliche Brücken verbunden, und auf diese Art Communicationslinien hergestellt wurden, welche nicht nur für die Zukunft der Insel größern Wohlstand versprechen, sondern auch schon jetzt den Bewohnern unendlich viel Vortheile und Annehmlichkeiten darbieten. Dann richtete der Resident seine Aufmerksamkeit auf die Verbesserung des Ackerbaues, so daß auch hierin bedeutende Fortschritte gemacht wurden. Sein ruhmwürdigstes Verdienst aber bleibt die Gründung einer Anzahl Lancaster-Schulen in verschiedenen Theilen der Insel. Ich habe die meisten derselben besucht, und war nicht wenig erstaunt, sie nicht allein voll von Zöglingen beiderlei Geschlechts, sondern auch eben so gut geleitet, wie die in England zu finden. Die Fortschritte, welche manche von diesen Schülern gemacht haben, sind wirklich erstaunenswerth. Ich fand, daß von tausend Zöglingen – der gewöhnlichen Zahl, welche Unterricht genießt – gegen zweihundert und fünfzig nicht nur ihre Erziehung in drei Jahren vollendet hatten, sondern auch bereits alle mit passenden Anstellungen, meist in Handlungshäusern, versorgt waren. Dieses Resultat der Bemühungen des Residenten ist von der höchsten Wichtigkeit. Auf diese Weise muß Cerigo das Medium werden, durch welches die Wohlthaten der Erziehung und des Unterrichts rings in der Levante verbreitet werden, um so mehr, als ein großer Theil der Schüler aus Kindern der griechischen Flüchtlinge besteht.“

Von Epidaurus sagt der Verfasser: „Epidaurus ist sehr freundlich gelegen, und muß, wenn Griechenland eine unabhängige Existenz erhält, ein Platz von bedeutender Wichtigkeit werden. Es hat zwei Seehäfen, beide groß genug, um Kriegsschiffe aufzunehmen, doch nicht genug vor Winden geschützt. Das Vorgebirge, welches diese zwei Einfahrten trennt, ist mit Ruinen und Cisternen bedeckt. Manche Theile der alten Mauer, mit der es, gleich der alten Akropolis umgeben ist, sind noch ganz erhalten. Die angebaute Gegend in der Nähe derselben ist ausnehmend fruchtbar an Korn, Wein, Oel und Baumwolle. Eine große Strecke von Weinbergen an dem südlichen Seehafen, auf denen ehemals ein Theil der Stadt stand, erzeugt einen der herrlichsten Weine Griechenlands. Aus der Art und der Ausdehnung der Ruinen, unter denen man Tempeltrümmer, Triumphbögen, große Bäder findet, zu schließen, muß Epidaurus sehr bevölkert gewesen seyn. Die umgebenden Hügel sind mit Wald bedeckt, von dem ein großer Theil Materialien zum Schiffbau liefert, und der in früherer Zeit wohl von wilden Schweinen bevölkert war, welche einst in diesem Lande einen der größten Luxusartikel der Tafeln bildeten. Die Hügel scheinen sehr mineralreich zu seyn, besonders an Blei und Eisen, wahrscheinlich auch an Kupfer. Dieser Mineralreichthum ist den meisten der Gebirgszüge der jonischen Inseln gemein.“

„Die Umgegend von Epidaurus wird durch Jakals oder wilde Hunde, wie sie die Einwohner nennen, sehr unsicher gemacht. Regelmäßig jeden Abend nach Sonnenuntergang nähern sich dieselben dem Dorfe, beginnen ihr durchdringendes Geheul, bis sie damit ihre zahmen Brüder im Dorfe aufjagen, welche nun einen Ausfall auf sie machen, wo sodann ein allgemeiner Kampf beginnt, der stets damit endet, daß die Jakals zu ihren Lagern, in die Höhlen des benachbarten Waldes zurückgejagt werden.“

„In Epirus ist das wilde Schwein größer und wilder, als in irgend einem andern Theile Griechenlands. Die Jäger lauern auf ihre Beute häufig auf den Gipfeln der Bäume. Die Jagdpartien bestehen meist aus fünf oder sechs Mann, mit Musketen und Attaghans bewaffnet. Nichts kann mahlerischer seyn, als die Rückkehr eines solchen Jägerzugs, wenn er die gewundenen Pfade der Hügel herabsteigt. Die Beute wird auf einer Stange von zweien aus der Gesellschaft vorausgetragen, während die Uebrigen ihre Triumphlieder singen. Ich wurde dabei jedesmal sehr an die ganz ähnlichen Darstellungen auf den antiken Basreliefs erinnert.“


  1. Man übersehe nicht, daß hier Hr. Blaquiere spricht.