Illyrische Poesie

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: C. F. N.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Illyrische Poesie
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 86–88. S. 341–342; 347–348; 350–351.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[341]

Illyrische Poesie.

von C. F. N.

Lieder, welche die Thaten der Vorfahren preisen und verherrlichen, sie den nachkommenden Geschlechtern zum Vorbild und zur Nacheiferung hinstellen, sind die ersten Anfänge aller Kultur, und halten in ihrem Innern, wie in einem Embryo, alle Keime der Kunst und Wissenschaft verschlossen. Ohne es selbst zu wissen, haben deshalb mit Recht die faselnden Grammatiker und Rhetoren der spätern Jahrhunderte Griechenlands, den Altvater Homer zum Ahnherrn aller der vielzweigigen Künste und Wissenschaften gemacht, die das großgewordene Hellas erzeugt hat. Keine Nation, außer dem glücklichen Griechenland, hat einen Meister aufzuweisen, der, an den Pforten stehend, wo die mythische Geschichte von der Historie sich trennt, mit Einsicht den vorhandenen Stoff gesammelt, mit gigantischer Kraft ihn beherrscht und bearbeitet hätte, – bei allen Nationen aber finden sich ähnliche historisch-mythische Heldenlieder, bei allen Nationen findet sich der Stoff zu einer Ilias und Odyssee. bei den Deutschen wie bei den Slaven vertraten Heldenlieder die Stelle der Annalen; die einzelnen Gesänge, die sich von diesen poetischen Jahrbüchern der Nation in Illyrien erhalten haben, denen vielleicht eben soviel Wahrhaftigkeit zuzutrauen ist, als z. B. den Annalen des alten Ennius, sind als Episoden oder Fragmente einer großen Heldengeschicht der Slaven zu betrachten. „Eine solche Sammlung, wenn sie vollständig wäre,“ bemerkt mit recht Faurieil in der Einleitung zu seinen Chants populaires de la Grèce moderne, „würde zugleich die wahrhafte Geschichte der Nation und das treueste Gemälde der Einwohner eines Landes liefern.“ Die Popievke, – so werden diese Lieder slavisch genannt, – besingen bald die ruchlose That Eialo’s, der den Thron seines Vaters Radoslav an sich reißt, bald das liebende Weib, das als Janitschar verkleidet ihren Mann aus türkischer Gefangenschaft befreit; sie beklagen den Tod eines Kriegers, der unwissend seinen Bruder erschlägt und ein Opfer der Verzweiflung wird; allen kommenden Geschlechtern zur Schmach stellen sie den König Bodino hin, der seine Vettern mordet, seinem Weibe zu Gefallen.

Ragusa, gegen das Jahr 656 aus den Trümmern der Stadt Epidaurus entstiegen, wird slavisch Dubrownik genannt, von Dubrowa oder Dubrawa, welches einen Wald bedeutet. In dieser wundervollen, von hohen Gebirgen, von Wald und Meer umschlossenen Stadt ward höchst wahrscheinlich die Poesie der slavischen Illyrier geboren, und hier ward sie, was wir mit historischen Zeugnissen belegen können, von Georgio Darscich, von Orazio Mascibradich und Francesco Gondola in der Folgezeit groß gezogen. Schon gegen das Jahr 1000 unserer Zeitrechnung war ein slavischer Fürst den Ragusanern vorzüglich deßwegen gewogen, weil sie durch ihre Gesänge die Thaten und Denkwürdigkeiten des slavischen Volkes und seiner Fürsten unsterblich machen; selbst die Namen zweier Barden, slavisch gusbari genannt, haben sich aus dieser dunkeln Periode des Mittelalters erhalten: Sciscko und Giore heißen sie in den Sagen der Nation.

Die Illyrier konnten es so wenig wie die übrigen slavischen Stämme zu einer selbstständigen, aus dem eigenen Boden hervorgegangenen Cultur bringen; die Nation ward nicht, wie dieß bei den Griechen der Fall war, an den historischen Liedern aufgezogen; diese entfalteten sich nicht in mannigfache, selbst wiederum Blüthen und Früchte tragende Aeste und Zweige der Kunst und Wissenschaft, – sie blieben starr und unfruchtbar: es bedurfte hier, wie in dem ganzen übrigen Europa, des belebenden Othems von Griechenland und Rom, um die Nation einer höhern Bildung entgegen zu führen. Wie aus dem ferneren Deutschland so strömten im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert auch aus dem nahen Illyrien die Jünglinge auf die Hochschulen Italiens, wurden hier mit den Schätzen des Alterthums und mit den großen Schriftstellern, deren sich damals schon Italien erfreute, bekannt, und kehrten voll von neuem Wissen und neuen Ansichten in ihr Vaterland zurück. Die großen Geister Italiens nahmen sie in ihren poetischen und prosaischen Arbeiten sich zum Muster, und freigebig nannte man auch alsbald diesen einen illyrischen Petrarca, jenen einen Bocaccio. Die heutigen Illyrier aber kümmern sich wenig um diese Lobeserhebungen ihrer in Uebertreibungen sich gefallenden Vorfahren, und betrachten das fünfzehnte Jahrhundert, worin diese Petrarca und Bocaccio geblüht haben, nur als die Kindheit ihrer Literatur und Poesie. Georgio Darscich, der sogenannte Petrarca Illyriens, gehört dem vierzehnten Jahrhundert an, und wird von den Neuern als der Vater der illyrischen Dichtkunst verehrt; er schrieb ein Nationalschauspiel, ein Gedicht über die Keuschheit, und unzählige Sonette. Er ward das Musterbild vieler nachfolgenden Dichter im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert, eines Maurus Vetrami, Nicolaus [342] imitri, Franz Bucari, Marin Borrescich und vieler andern. Sigismund Menz, eigentlich Mincetich, der ebenfalls noch aus dem vierzehnten Jahrhundert stammt, wird der illyrische Bocaccio genannt, und erfreute sich ebenso wie Georgio Darscich einer Menge Nachahmer in den folgenden Jahrhunderten.

[347] Ueber alle diese Nachahmer und Sonnettenschmiede ragt Giovanni de Francesco Gondola, der Tasso Illyriens, hoch empor, sowohl durch die Kraft und Reinheit seiner Sprache, durch seinen Reichthum an großartigen Bildern und Vergleichungen, als durch die Originalität seiner Erfindungen. Francesco Gondola ward geboren zu Ragusa am 8. Januar 1588, und erhielt wahrscheinlich seine erste Bildung in dem Jesuitencollegium seiner Vaterstadt. Ich sage wahrscheinlich, weil sich über die Kindheit und die Jünglingsjahre Gondolas nur Sagen erhalten haben. Er ward der besondern Freundschaft des Orazio Mascibradich, eines hochgefeierten Dichters der slavischen Illyrier, schon als Jüngling gewürdigt, und suchte ihm in seinen mannigfachen poetischen Erzeugnissen nachzueifern; bei dem Tode Mascibradichs († 1620) zählte Gondola erst dreißig Jahre. In demselben Jahre ließ Gondola, den seine Vaterstadt durch Uebertragung der bedeutendsten Aemter ehrte, in Venedig bei Marco Ginami die sieben Bußpsalmen in metrischer Uebersetzung drucken, sowie ein Gedicht Suse Sina Rasmetnoga, d. h. die Thränen des verlornen Sohnes, überschrieben, ein Werkchen, welches mehrere Auflagen erlebte; ein Jahr später (1621) erschien sein erhabenes Gedicht: Ueber Gott, welches von den Illyriern als ein unübertreffbares Meisterwerk der lyrischen Poesie gepriesen wird. Viele seiner dramatischen Dichtungen und Liebeslieder sind bei dem großen Erdbeben und der furchtbaren Feuersbrunst, die 1667 zu Ragusa wütheten, zu Grunde gegangen.Die slavischen Liebeslieder, slavisch Sacinke genannt, sind so alt wie die Heldenlieder, von denen wir oben gesprochen haben, und gewöhnlich reimlos. Francescos erotische Gedichte sind äußerst schwärmerisch und meistentheils von düsterm, melancholischem Ton. Die Thränen Radmiros, eines seiner gepriesensten Liebeslieder, mögen uns als Beispiel dienen. Der Dichter ist aller seiner Sinne beraubt, seufzt bloß für die geliebte, grausame Rakle, und flieht dahin:

„Wo die Freundin der Töne, wo die Nachtigall Aurora nicht bewillkommt mit heiterm Gesange, wohin die Sonne nicht dringt noch den dunkeln Pfad vergoldet mit beseligendem Glanz,

Wo dichter Schatten im Walde sich ausbreitet über zackige nackte Felsen, woher wehet ein eisiger Wind und erstarret die Glieder,

In diesen waldigen Schlund fliehe ich, in diesen Raum ewiger Stille und Schrecken, daß Gufos[1] widriges Rauschen in Töne der Klage und des Mitleids ausbrechen möge.

Bricht dann ein die schweigsame Nacht, liege ich da auf kaltem Kiesel, ein Verzweifelnder, klagend über die Härte der undankbaren Schöne.“

Den Druck seines Heldengedichtes, das ihm die erste Stelle unter den illyrischen Dichtern verschaffen sollte, konnte Gondola nicht mehr selbst besorgen; er starb am 8. Dec. 1655. Unstreitig ward Gondola durch den außerordentlichen Beifall, dessen sich Tassos befreites Jerusalem allenthalben erfreute, das er selbst in’s Illyrische übersetzt hatte[2] auf den Gedanken gebracht, aber auch in dieser Form der ältesten und mannigfaltigsten aller poetischen Darstellungen sich zu versuchen; er wählte, kühn genug, seinen Stoff aus gleichzeitigen, allen Zeitgenossen wohl bekannten Gegebenheiten.

Constantin Mohocla, der tapfere Hospodar der Moldau, ward 1614 von den Türken abgesetzt und floh nach Polen; Stephano Potocki wollte ihn mit Heeresmacht wieder in sein Land einsetzen; sein Unternehmen mißlang, und er gerieth, wie viele seiner Nachfolger, unter welchen auch der polnische Fürst Korecki (bei Gondola wird er immer mit Unrecht Korenski genannt), in türkische Gefangenschaft. Die Polen mußten 1617 einen sehr nachtheiligen Frieden schließen, der aber zum Heil des Landes nur von kurzer Dauer war. Der Krieg begann von Neuem, und der tapfere Wladislav, König von Polen, schlug in der denkwürdigen Schlacht bei Choczim, am 7. October 1621, die Türken auf’s Haupt. Mit dieser Schlacht und den darauffolgenden [348] Friedensunterhandlungen der Türken beginnt die Osmanide und endigt mit der Entthronung und dem Tode Osmans im Jahre 1622.

Lange schon ward der Druck dieses classischen Werkes von allen Freunden der slavischen Sprache und Poesie sehnlichst gewünscht. Schwierigkeiten der Bekanntmachung, die in frühern Zeiten vorhanden waren, wurden durch die veränderte Stellung Ragusas zu den Nachbarstaaten beseitigt; man sagte nemlich, Gondola habe auf Befehl des dirigirenden Magistrats von Ragusa zwei Gesänge, den 13ten und 14ten, aus seiner Handschrift vertilgen müssen, aus Furcht, die Pforte möchte die harten Aeußerungen, welche beide Gesänge enthalten haben sollen, übel aufnehmen und die ragusanischen Kauffahrer ihren Unwillen fühlen lassen. Dieser Sage, die einige illyrische Historiker mit großer Umständlichkeit berichten, wird von andern geradezu widersprochen; sie behaupten, was aber sehr unwahrscheinlich ist, Gondola habe diese beiden Gesänge nie ausgearbeitet. So viel ist gewiß, was auch die entschiedensten Gegner dieser Sage nicht läugnen wollen, daß der 13te und 14te Gesang lange nach dem Tode Francescos von Peter Sorgo mit großer Kunst und Gewandtheit in das defekte Gedicht eingeschoben wurden. Mit diesen fremden Ergänzungen ist endlich vor einigen Jahren das Ganze zu Ragusa erschienen (Osman spievagne vitesko Giva Gundulichja, vlastelina Dubrovackoga. U Dubrovniku 1826. 3 Bde. 8.). Wer nur etwas von der illyrischen, d. h. von der bosnisch-ragusanischen Sprache versteht, der weiß, daß es außerordentlich schwer ist, die poetischen Werke dieser Sprache in irgend eine andere zu übertragen; die angeborne ausdrucksvolle Kürze und Kraft müssen nothwendig durch Umschreibungen und Präpositionen, deren andere Sprachen nicht in dem Grade, wie diese, der altslavischen Kirchensprache am meisten sich nähernde Mundart, entbehren können, wenn nicht ganz zu Grunde gehen, doch nothwendig verwischt werden. Die Osmanide bietet aber noch besondere Schwierigkeiten für einen Uebersetzer dar, wegen ihres reichen, wohlklingenden Reimes, und wegen ihres eigenthümlichen Versmaaßes; sie ist in vierzeiligen Stanzen, wovon auf jede Zeile acht Silben kommen, geschrieben. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn der italienische Uebersetzer, durch den wir zuerst mit diesem Meisterwerke bekannt wurden, mit seinem Originale auf eine ziemlich willkürliche Weise verfahren mußte, was der ehrliche Mann schon durch den Titel seiner Arbeit eingesteht (Versione libera dell’ Osmanide poema illirico di Giovanni Francesco Gondola, Patrizio di Ragusa. Collo di lui vita scritta dal patre Francesco Maria Appendini delle scuole pie. Ragusa per Antonio Martechine 1827, 1 Bd. 8.). Wir wollen vorläufig den Inhalt dieses epischen Gedichtes angeben, und behalten uns vor, in einem der folgenden Blätter einige wörtlich getreue Uebersetzungen nebst einigen Notizen über die illyrischen Dichter in den zwei letzten Jahrhunderten mitzutheilen. Freilich wird sich etwas ganz Anderes über die illyrische Poesie schreiben lassen, wenn ihre größtentheils in Handschriften vergrabenen Schätze dem Drucke übergeben seyn werden. Wir können den Freunden der slavischen Literatur die angenehme Nachricht mittheilen, daß dazu alle Hoffnungen vorhanden sind. Ein Canonicus Petrus Bassich zu Ragusa sammelte nämlich alle handschriftlich vorhandenen illyrischen Gedichte in 22 enggeschriebenen Octavbänden, die Antonio Martechine, der patriotische Verleger der Osmanide, an sich gekauft hat. Nach einer gedruckten Anzeige, die uns von Ragusa aus zugekommen ist, gedenkt Antonio, wenn er nur einige Unterstützung findet, die ganze Sammlung unter dem Titel: Parnassus Illyricus herauszugeben.

[350]
Inhalt der Osmanide.

Der Dichter beginnt mit einer glänzenden Beschreibung seines Helden, indem er die Niederlage der Türken und den Grimm Osmans über dieselbe berichtet. Unermüdet forscht der Sultan nach der Ursache des verlornen Treffens; er sieht sie bald in der verdorbenen Verfassung, bald in den schlechten Sitten, bald auch in der vernachlässigten oder verweichlichten Erziehung des einst den Erdkreis erschütternden Osmanenvolkes. Diesem Verderben zu steuern, ergreift er verschiedene Maßregeln; der Großvezier wird abgesetzt, er selbst will nach Asien ziehen, in der großen Ebene des Turkomanen-Landes, von wo Osman aufbrach, der Ahnherr seines Hauses, ungeheure Heere zusammenziehen und mit diesen die ganze Welt erobern. Schon sieht er sich in einem von seiner erhitzten Phantasie ihm vorgezauberten Traumbild als Herrn des Universums und vor ihm im Staube die Könige der Erde, – da erscheinen, im Beginne des zweiten Gesanges, die vielerfahrenen Alten und klugen Rathgeber, stellen dem Fürsten vor, in welchem Grade er aller Mittel zur Fortsetzung des Krieges ermangle und wie es unumgänglich nothwendig sey, an den Polenkönig Vladislaw Gesandte mit friedlicher Botschaft zu senden; der Sultan läßt sich überreden, der weise Ali geht als Gesandter nach Polen, indeß zugleich der Kislar-Aga nach dem Archipel segelt, um für den erhabenen Herrscher zu seiner Erheiterung und Zerstreuung die schönste der Frauen zu suchen.

Die drei folgenden Gesänge verwendet der Dichter auf die Reise der türkischen Gesandtschaft nach Warschau, auf die Besuche bei dem Fürsten der Moldau und bei Krunoslava, der hochherzigen Frau des von den Türken gefangenen Polen Korevski. Ziemlich umständlich erzählt der türkische Gesandte dem Hospodar der Moldau die wundervollen Thaten seiner Ahnen, wie sie hervorbrachen aus ihrem heimathlichen Gebirge, Asien bezwangen und nach Europa überschifften, der trauernden Krunoslava aber gibt er Bericht über die Gefangenschaft ihres Gemahls. Darauf versinkt das muthige Weib, die sich im Türkenkampf gegen eine riesenhafte Amazone tapfer geschlagen hatte, in tiefe Trauer, beklagt in einem einsamen, düstern Haine ihr Geschick und beschließt endlich, als Ungar verkleidet, ihren Mann zu retten.

Der Kislar-Aga landet (im siebenten Gesange) auf allen Inseln und Küsten des Archipels und Morea’s und verbreitet, wohin er sich wendet, Angst und Schrecken. Von bewaffneter Mannschaft unterstützt, raubt er Frauen und Jungfrauen, welche immer er würdig hält für den Harem seines Herrn; gewandt weiß der Dichter hier eine Beschreibung des alten Griechenlands einzuflechten, verwoben mit den gefühlvollsten Klagen über das traurige Schicksal dieser mütterlichen Heimath aller Cultur und Wissenschaft. Auch Serbien besucht der Kislar-Aga und kehrt auf seinem Raubzuge bei Gliudragh ein, einem alten, von den serbischen Königen abstammenden Schaafhirten. Hier sehen wir die der Nation eigenthümlichen, die Thaten ihrer Vorfahren feiernden Spiele, zur Verherrlichung des sechzigsten Geburtstages Gliudraghs. Seine einzige Tochter, die Freude und der Trost des alten Vaters, erscheint in der Versammlung, – alle Augen richten sich auf sie und alle Herzen schlagen ihr entgegen. Der große Weiberkenner, der Kislar-Aga selbst, muß gestehen, daß er bis jetzt von dem Liebreiz des Weibes keinen Begriff gehabt habe. Wohl kannte er, dieß sind seine Worte, die glühenden, feurigen, zum Sinnenrausch herausfordernden Augen der Töchter Osmans, nicht aber dieses sanfte, schwärmerische und das Herz entzündende Feuer, welches in den Augen Gliudra Suncianizza’s brenne; wenn je eine Sterbliche, setzt er hinzu, würdig sey das Lager des Herrn der Gläubigen zu theilen, so sey sie es, die glückselige Tochter Gliudraghs. Suncianizza wird gewaltsam entführt und der Vater verzweifelt.

Am Jahrestag der Schlacht von Choczim (7 Oktober 1622) feiern die Polen ein großes Nationalfest; unbesorgt entfernen sich viele Krieger weit vom Lager und werden von der tapfern Sokolizza, einer türkischen Amazone, und von ihren heldenmüthigen Gefährtinnen zu Gefangenen gemacht. Der Polenkönig Vladislaw überrascht indeß zufällig auf einer Jagd Sokolizza mit den Ihrigen im Bade und befreit seine Waffengefährten. Vladislaw zieht darauf mit seinen Polen (im 10ten Gesange) triumphirend nach Warschau, wo ihn die türkische Gesandtschaft bereits erwartet. Der weise Ali wird in einen prachtvollen Saal des königlichen Schlosses zu Warschau geführt, bewundert die Polen, die in einem ritterlichen Spiele die Schlacht von Chozim darstellen, wegen ihrer Gewandtheit in allen Waffenkünsten und hält eine Rede vor der ehrwürdigen Versammlung der polnischen Reichsräthe, entwickelt die Vortheile des Friedens und beschreibt in anmuthiger Rede die mannigfachen Freuden, die aus der Freundschaft benachbarter Nationen entspringen. Er bittet in dem Namen seines Herrn um den Frieden, erhält ihn unter gewissen Bedingungen und reist ab, mit Geschenken beladen. Nach Constantinopel zurückgekehrt, gibt Ali Rechenschaft über das Resultat seiner Botschaft, findet und erkennt Krunoslava, verräth sie dem Sultan, der sie zu ihrem Gemahl ins Gefängniß sendet. Krunoslava wähnt diesen untreu, und auch er schöpft gerechten Verdacht wegen der unvermutheten Erscheinung seines Weibes in Männertracht. Dieses doppelte Mißverständniß und die Entwicklung desselben bietet den Stoff zu einer der zartesten und rührendsten Schilderungen, welche je in einer Sprache geschrieben wurden.

Der Kislar-Aga und seine Begleiter, die gesandt waren den Harem des Großherrn zu füllen, kehren (im dreizehnten Gesange) mit ihrer schönen Beute zurück in die Hauptstadt [351] der Gläubigen. Kalt und ungerührt geht der Sultan vor dieser Auswahl aller Schönen seines Reiches vorüber, da erblickt er Suncianizza und wird gefesselt von der wundervollen Anmuth und der reizenden Unschuld der serbischen Jungfrau; aber erweicht von ihren Thränen und Bitten, bezwingt er sich selbst und seine Liebe, entläßt sie zu ihrem Vater, und nimmt statt ihrer zwei reizende Griechinnen.

Korevski, dessen Befreiung als unerläßliche Bedingung des Friedens von den Polen gefordert, und von Ali Pascha in Warschau zugestanden worden ist, wird vor den Sultan geführt. Mit ihm auch Sokolizza, die unbezwungene Amazone; sie widerräth dem Sultan einen so nachtheiligen Frieden mit den ungläubigen Polen einzugehen, sie selbst wolle ihn nach Asien begleiten, dort die unzähligen Schaaren der befreundeten Turkomannen sammeln, und dann die Christenheit mit Schmach und Schande bedecken. In Osmans Seele werden seine alten Traumgesichte wieder rege, auch schlägt sein wankelmüthiges Herz der muthigen Sokolizza entgegen. Er verspricht, ihrem Rath zu folgen, und zugleich sie zur Gemahlin zu nehmen. Die höllischen Dämonen halten (im 15ten Gesange) eine große Versammlung und verschwören sich zum Untergange der Polen; gegen ihre Wünsche wendet aber der mächtige Herr der Heerscharen Osmans Unternehmen zu dessen eignem Verderben. Die Janitscharen empören sich, als sie hören, Osman wolle nicht auf ihre Tapferkeit allein vertrauen, sondern nach Asien ziehen und neue Heere sammeln. Osman hierdurch erschreckt, ruft des Nachts seine getreuen Diener und klugen Räthe zusammen. Aber auch die Rebellen bleiben nicht unthätig; sie erstürmen das Serail, Osman wird gezwungen abzudanken und Mustapha, der lang verfolgte und gefangene, wird auf den Thron seiner Väter erhoben. Der Großvezier will sich als Derwisch verkleidet retten, wird aber erkannt und ermordet. Der großmüthige und tapfere Osman, dessen Seele damals schon von dem Gedanken erfüllt war, den Mahmud in unseren Tagen verwirklichte, wird in den sieben Thürmen eingesperrt und bald darauf erdrosselt. Still und geräuschlos wird er um Mitternacht begraben; keine Seele folgt der Leiche und kein Auge beweint das traurige Loos des menschenfreundlichen Herrschers der Gläubigen.


  1. Namen eines Flusses.
  2. Auch diese Uebersetzung ist leider bei dem Erdbeben und dem großen Brand 1667 zu Grunde gegangen.