Blicke in einen türkischen Harem

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Autor: Johannes Frisch
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Titel: Blicke in einen türkischen Harem
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 293–294
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Blicke in einen türkischen Harem.

Der Sultan der Türkei, um dessen Land und Leute fast ganz Europa und Asien und ein Theil Afrika’s in unruhige Bewegung gerathen sind, fährt ruhig fort, sich und seinen Frauen neue Paläste zu bauen, als wenn gar nichts vorgefallen wäre. Sein neuester Palast, der jetzt gebaut wird, erhebt sich am Bosporus zwischen Dalma Buktsché und Beschik Tash mit einer Façade von 1000 Fuß fast ganz von Marmor. Die Bäder sind von ägyptischem Alabaster. Triumphbogen, Säulengänge, Dachfenster von kostbarem colorirten Glas und Zimmer und Hallen für vierhundert Damen! Sie nähen nicht, sie spinnen nicht, sie sammeln nicht in die Scheuern, diese Sultan-Harems-Lilien, und sie essen doch den ganzen Tag Reis und Hammelfleisch, um sich in Schönheit (d. h. Fettigkeit) zu überbieten und rauchen immerwährend starken türkischen Taback dazu. Das ist beinahe zu starker Taback! Andere rechtschaffene Leute haben vollauf zu thun, um eine stetige Frau mit dem kleinen rothbäckigen Ueberfluß, der drum herum krabbelt, anständig zu ernähren, obgleich blos der Mann raucht und die Frau niemals die Cigarrentasche plündert, und unser verehrter Herr Sultan läßt zu seinen Dutzend Schlössern und Harems noch eine idyllische Hütte von Marmor und Alabaster mit 400 Frauen-Zimmern, 400 Ottomanen, 400 neuen Tabackspfeifen und 400 neuen Sklaven, die immer stopfen und anbrennen, und eine Compagnie Köchinnen, die stets Hammelrippen braten und Reis kochen müssen, läßt noch so ein Schäferhüttchen bauen, während die Welt um ihn herum sich die Hälse brechen will! Wenn ihm seine Damen wenigstens die Strümpfe stopften! Sie stopfen sich nicht einmal ihre eigenen und gehen lieber barfuß und bemalen sich die Hacken, die aus den Pantoffeln herausguken, roth. Kein höheres, sittliches Gefühl über ihre unwürdige Lage malt dieselbe Farbe auf ihre fetten Wangen!

Werden sie den „Kuhfuß“ in die Hand nehmen und das Schwert erheben, wenn ihr gemeinsamer Gatte, ihr Vaterland vom Streiche des Todes bedroht wird? Nicht doch! Sie lassen sich lachend von Russen, Engländern und Franzosen erobern und umarmen sie als ihre Erlöser. Die Engländer machen sich als Retter der Türkei jetzt gern den Spaß, ihre Schwerter in die Scheide zu stecken und den auf dem Bosporus spazieren fahrenden Damen die Cour zu machen. Die Spazierfahrten der Damen des Sultans und anderer Großen, die’s ihm nachmachen können, sind noch mitten im Kriege eine der häufigsten Tageserscheinungen auf den blanken Gewässern um Konstantinopel herum.

Neulich ließen sich einige englische Offiziere ganz dicht an einen solchen Haremskahn heranführen und addressirten die darin umwickelten Damen mit türkischen Phrasen, die sie sich zu diesem Zweck hatten einpauken lassen, wie: „Sie sind sehr hübsch! Ich liebe Sie!“ u. s. w. Die servischen Ritter, welche als ihr Schutz am Ufer sie begleiteten, beteten und fluchten und hieben ein, und da hieben die Engländer auch ein und paukten die Beschützer türkischer Tugend gehörig durch, so daß sie das Hasenpanier ergriffen. Die Damen lachten darüber aus vollem Halse und gaben überhaupt ihre höchste Freude zu erkennen über dieses Schicksal ihrer Tugendwächter.

In der Regel fährt blos die erste Klasse auf diese Weise aus, die „Kadin“, d. h. die „eigentlichen“ Frauen des Sultans, vier – sieben – zehn an der Zahl. Die nächste Klasse des Harems sind die „Gediklin“, etwa „Kammermädchen“, aus welchen zuweilen die schönste zur „Kadi“ erhoben wird. Die „Gediklin“ haben zum Theil Titel und Ehrennamen, welche die Grade ihrer Schönheit in den Augen des Sultans bezeichnen sollen. Diese Favoriten heißen dann auch „Ikbal“ (Kinder des Glücks) oder „Khaßodalisk“ (Privatdamen des Sultans).

Die dritte Klasse „Usta“ (Maitressen), auch „Khalfah“ (Gehülfinnen) genannt, zerfallen in „Lakim“, d. h. Compagnien von je dreißig. Als vierte Klasse sind die „Sahgird“ (weibliche Lehrlinge) rangirt, d. h. Mädchen von unreifem Alter, die besonders schön zu werden versprechen und in den Künsten des Harems, der Gefallsucht, des Schminkens u. s. w. unterrichtet werden.

Die Dienerinnen dieser Klassen bilden als „Lariyeh“ (Sklavinnen) eine fünfte Klasse.

Diese klassischen Damen stehen alle unter der Direktion des ersten Harem-Beamten, des „Kislar-agha“, das man analog dem Bürgermeister mit „Mädchenmeister“ übersetzt findet. Unter ihm stehen natürlich mehrere subalterne Beamte, auch eine Art Leibgarde, die aus lauter Serviern besteht und deren Geschäft es ist, die „Thore der Glückseligkeit“ zu bewachen und die Damen auf ihren Ausflügen zu Wasser und zu Lande zu beschützen. Die Großen des Landes ahmen diesen Sultanshaushalt je nach ihrem Range und ihren Geldkräften möglichst nach und sind deshalb allen Bestechungen zugänglich, weil sie die fabelhaftesten Summen blos für ihren Frauenstaat brauchen.

Jeder wird gestehen, daß diese Wirthschaft nicht eben besondern Anspruch auf Erhaltung in ihrer „Integrität“ machen kann. Und was die englischen und französischen Soldaten betrifft, die sich dort beinahe häuslich einrichten, so sorgen sie schon für „Reformen“, die freilich erst noch beweisen müssen, daß sie besser sind.

Eine türkische Schönheit kann aber gewaltige Wirkungen hervorrufen, wie ja auch seit Helena schöne Damen durch alle Jahrhunderte hindurch nicht blos Kinder, sondern auch Kriege und weltgeschichtliche Ereignisse geboren haben. Die türkische Schönheit ist in ihrer vollen Blüthe sechzehn Jahre alt, mit kohlschwarzem, glänzendem Haar, dünnen Augenbrauen von genauer Bogenform, langen, gebogenen, schmachtenden Lidern und Wimpern, geschminkt mit Surmah, einem Präparat von Antimonium. Das schöne Roth ihrer Lippen scheint durch eine dünne Ueberfärbung von Indigo, und wo das feine Netzwerk der Adern bläulich durch die weiße Haut schimmern würde, erröthet die Schminke der Henna, eines vegetabilen Carmins, das selbst auf den Nägeln der Füße und Zehen und an den strumflos aus den goldenen und geperlten Sandalen gukenden Fersen die natürliche Weißheit Lügen straft. Um die Füße wallen weite Beinkleider, an den Knöcheln zugebunden, an die Taille schließt sich eine Art Weste von Seide gestickt an und um diese ein gestickter, gold- und silberverbrämter Gürtel oder ein reicher Cashmir-Shawl. Das Haar fließt in langen Flechten herab, an den Enden mit kleinen Juwelen geschmückt. Goldene Armbänder glänzen an Armen und Füßen und kostbare Steine am Corsett. Nun denke man sich so eine reizende Creatur, hingeflegelt auf den niedrigen Divan, im reichgeschmückten Zimmer und aus dicker Bernsteinspitze durch ein langes, decorirtes Rohr behaglich und gedankenlos Rauchwolken vor sich hinblasend. Ja, sie rauchen alle, manche den ganzen Tag wie ein Stadtsoldat. Nichts thun und Taback dazu rauchen, das ist ihr Geschäft vom Aufgang zum Niedergang der Sonne jedes Tages. In der Linken hält sie die Pfeife, mit der Rechten empfängt sie von ihrer Sklavin ein Becherchen starken Mokka-Kaffee nach dem andern mit dem „Salz“ und ohne Zucker, um das [294] Aroma gründlich zu genießen. Kann sich der Harem durch Intriguen auch „Liqueur“ oder auch nur gemeinen Fusel verschaffen, desto besser. Von Geist und geistiger Nahrung kommt ihnen nichts zu, kein Buch, keine Literatur, keine Erzeugnisse der Kunst. Von Liebe zu ihrem „Eigenthümer“ kann auch keine Rede sein. So vergehen ihre öden Tage in thierischem Müßiggang, Klatschereien, Intriguen, mit Rauchen, Kaffeetrinken, Sehnsucht nach „Spiritus“ und in Bemühungen, durch Reiß und Hammelfleisch fett, d. h. türkisch schön zu werden. Zuweilen dürfen sie ausgehen und einkaufen oder auf den prächtigen Kirchhöfen die Todten beweinen oder mit Lebensgefahr Liebes-Intriguen spielen.

Die Stellung des weiblichen Geschlechts unter einem Volke ist ein Hauptmerkmal von dessen Civilisation. Das weibliche Geschlecht der Türken kann nicht niedriger gedrückt werden, als es ist. Nichts als Werkzeuge, Sachen, gekauftes Eigenthum. Dies hat für unsere Begriffe etwas Empörendes, um so mehr, als das weibliche Geschlecht in der Türkei sich durch die schönsten Tugenden auszeichnet, welche die Schönheit und Heiligkeit der Familie begründen, ganz besonders durch mütterliche Liebe zu Kindern und kindliche Verehrung der Aeltern, wenigstens der Mutter. Das weibliche Geschlecht ist nicht nur in der Regel schön, sondern auch von der größten Gutmüthigkeit und voll der herrlichsten Anlagen. Alles wird schmachvoll unterdrückt durch ihr sociales Loos. Das Weib in höhern Kreisen wird Gefangene des Harems, in niederen Plackholz des Hauses, um dem krummbeinigen Manne, der auf seinen Füßen sitzt und raucht, Essen und Trinken zu schaffen.

Diese Art von „Integrität“ wird nun allerdings nicht länger aufrecht erhalten, und diese Wirthschaft könnte durch die vereinigten Heere der Russen, Türken, Engländer, Franzosen, Preußen und Oesterreichs nicht gerettet werden, seitdem die Soldaten des Westens auf Türkisch zu sagen gelernt haben: „Ich liebe Dich! Du bist sehr schön!“ Liegt doch schon in diesen schnöden Spielereien übermüthiger, müßiger Krieger des Westens für die türkischen Damen eine höhere Civilisations- und Sittlichkeitsstufe!

In dem türkischen Boden schlummern unermeßliche Schätze mineralischen und vegetabilischen Reichthums, eben so in den verwahrlosten Herzen und Köpfen der Menschen. Diese in Todesschlummer gezwungenen Schätze warten nur auf den Tod des alten Türkenthums, damit alle Erden- und geistigen Kräfte zu freudigem Leben auferstehen. Was der Orient Schönes, Edeles in sich hat, wird nicht mit dem Lande sterben, sondern vielleicht als Ersatz für den geistigen und materiellen Export des Westens im Abendlande seine neue Culturstätte finden, mehr, als einst die Kreuzzüge für die Cultur des Westens sich wohlthätig erwiesen.