Blindschl

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Joachim Ringelnatz
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Blindschl
Untertitel:
aus: Allerdings, S. 19–21
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Ernst Rowohlt Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[19]
BLINDSCHL


Ich hatte einmal eine Liebschaft mit
Einer Blindschleiche angefangen;
Wir sind ein Stück Leben zusammen gegangen
Im ungleichen Schritt und Tritt.

5
Die Sache war ziemlich sentimental.

In einem feudalen Thüringer Tal
Fand ich – nein glaubte zu finden – einmal
Den ledernen Handgriff einer
Damenhandtasche. Es war aber keiner.

10
Ich nannte sie „Blindschl“. Sie nannte mich

Nach wenigen Tagen schon „Eierich“
Und dann, denn sie war sehr gelehrig,
Verständlicher abgekürzt „Erich“.

Allmittags haben gemeinsam wir

15
Am gleichen Tische gegessen,

Sie Regenwürmer mit zwei Tropfen Bier,
Ich totere Delikatessen.

Sie opferte mir ihren zierlichen Schwanz.
Ich lehrte sie überwinden

20
Und Knoten schlagen und Spitzentanz,

Schluckdegen und Selbstbinder binden.

[20]
Sie war so appetitlich und nett.

Sie schlief Nacht über in meinem Bett
Als wie ein kühlender Schmuckreif am Hals,

25
Metallisch und doch so schön weichlich.

Und wenn ihr wirklich was schlimmstenfalls
Passierte, so war es nie reichlich.

Kein Sexuelles und keine Dressur.
Ich war ihr ein Freund und ein Lehrer,

30
Was keiner von meinen Bekannten erfuhr;

Wer mich besuchte, der sah sie nur
Auf meinem Schreibtisch steif neben der Uhr
Als bronzenen Briefbeschwerer.

Und Jahre vergingen. Dann schlief ich einmal

35
Mit Blindschl und träumte im Betti

(Jetzt werde ich wieder sentimental)
Gerade, ich äße Spaghetti.

Da kam es, daß irgendwas aus mir pfiff.
Mag sein, daß es fürchterlich krachte.

40
Fest steht, daß Blindschl erwachte

Und – sie, die sonst niemals nachts muckte –
Wild züngelte, daß ich nach ihr griff
Und sie, noch träumend, verschluckte.

Es gleich zu sagen: Sie ging nicht tot.

45
Sie ist mir wieder entwichen,
[21]
Ist in die Wälder geschlichen

Und sucht dort einsam ihr tägliches Brot.

Vorbei! Es wäre – ich bin doch nicht blind –
Vergebens, ihr nachzuschleichen.

50
Weil ihre Wege zu dunkel sind.

Weil wir einander nicht gleichen.