Blutrache
Herr Thorstein in der Halle sitzt,
Der blinde Greis in Schmerzen,
Ein Enkel liegt in seinem Arm
Und weinet ihm am Herzen.
Sein Feind hat ihn erschlagen.
So tröste dich die Mutter dein! –
Todt ist sie von dem Klagen.
So hüte doch Allvater dich,
Und wachsen hoch und werden stark,
Bis du den Feind kannst strafen!
In der Halle sitzt der blinde Greis,
Er segnet seinen Enkel:
Es beben meine Schenkel.“
„O sänke nicht die welke Hand,
So oft ich sie will heben!
Was kann ich so in halbem Tod,
Da pocht es an die Pforte,
Und öffnet leis und ruft herein
Zur Schwelle die flücht’gen Worte:
Dabei, und den hab’ ich erschlagen;
Und willst du ihn rächen, es werden dich
Die alten Füße nicht tragen.“
„Schnell ist mein Tritt, irr’ ist mein Gang,
Es soll nach meinem rothen Blut
Vergebens euch gelüsten.“
„Doch Buße biet’ ich dir genug:
Du kannst den Beutel nicht schauen,
Deinen Ohren magst du trauen!“
Er schwingt den schweren Beutel hoch,
Steht harrend unter der Schwelle;
Doch aus den blinden Augen springt
„Weh mir, daß ich nicht wandeln kann
Wohl mir, daß ich nicht kann sehen!
Es darf in meiner Halle Thor
Des Sohnes Mörder mir stehen.“
Die nicht mehr weiß zu schlagen;
Er meint, daß ich das liebste Kind
Im Beutel müsse tragen.“
„Aus dem Herzen, wo den Sohn ich trag’,
Die Flüche schick’ ich nach dir aus,
Die sollen mir Rache schaffen.“
„Den Fluch all’ deinem Tritt und Schritt
Und deinem schnöden Gelde,
Er harret dein im Felde.“
„Er gehet um in meinem Stamm,
Er schreit in Aller Ohren;
Du, wandle nur aus meinem Haus,
So sitzt der blinde Greis im Stuhl,
Rührt keines seiner Glieder,
Und schlägt mit seiner Stimme Schall
Den Mörder doch darnieder.
Es spinnt ihn ein der Regen,
Es sausen ihm die Speere nach,
Und klirren Schwerter entgegen.
In Wind und Wetter schickt nach Ihm
Die Kämpfer hielten über ihn Tag,
Und friedlos ist er worden.
Er schweifet in den Klüften um,
Sucht Wohnung in den Wäldern
Wagt er sich nach den Feldern.
Da kehrt er bei den Kämpen ein,
Läßt Salz und Brod sich geben,
Er deckt die Augen mit der Hand
Doch zündet man die Lampen an,
So fährt er auf vom Sitze,
Daß nicht verrathend ihm der Strahl
In’s Mörderantlitz blitze.
Die mit ihm Brod gebrochen,
Sie wetzen das Messer hinter ihm;
Die Schuld will seyn gerochen.
Ihm kommt kein Becher mehr zur Hand,
Kein Kranz mehr in die Haare.
Bei seinen Feinden wohnt die Braut,
Er weiß nicht, was sie treibet.
Und ob sie ein Anderer weibet.
Und wie das fünfte Jahr ist um,
Wankt er zu Thorsteins Schwelle;
Der blinde Greis dort sitzt er noch
Es stürzt der Jüngling vor ihn hin:
„Bei dir ist kein Vergeben,
Ich lege mein Haupt in deinen Schooß,
Dein Fluch läßt mich nicht leben.“
In seinen welken Armen,
Die Fäuste fassen des Feindes Haupt,
Sie fassen es ohn’ Erbarmen.
Doch als er hielt so fest gedrückt
Am warmen Leben schaudert’s ihn
Den Fluch doch zu vollenden.
In Kindeslust gesprungen,
Hält er den Arm geschlungen.
Jetzt will dem Alten, aufgethaut
Die Faust nicht länger sich ballen,
Jetzt läßt er über des Jünglings Haupt
„Deine Wang’ ist weich, deine Stirn’ ist hoch,
Dein Haar ist lang und flachsen;
Es sitzt das Haupt am besten doch
Da, wo es ist gewachsen.“
In meinem Hof und Garten;
Du sollst an Sohnes Statt mein Feld,
So lang’ ich’s will, mir warten!“
„Fäll’ Holz aus meinem Walde dort,
Jetzt wird mir wohl und däucht mir gar,
Mein Kind sey wieder am Leben.“
Der Jüngling schnellte sein Haupt empor,
Hat rasch sich aufgeschwungen.
Die Thräne strömte dem Jungen.
Der Enkel wächst mit Lust heran,
Wie Nordlands Knaben blühen;
Um wenig Jahre sey es noch,
Die Stunden, die flogen schnell dahin,
Wie man ein Liedlein singet;
Das Feld gedieh, das Haus stieg auf,
Der Greis saß wie verjünget.
In seiner Stirne Falten;
Der Jüngling fragt nicht, dient so treu,
Bis es erfreute den Alten.
Doch wie die Zeit nun schneller ging,
Und aus den hohlen Augen war’s,
Als wollt’ ein Feuer blitzen.
Zuletzt das Schweigen doch er brach,
Das manchen Tag gedauert.
Er rief’s, von Schmerz durchschauert.
„Großvater, laß nicht führen mich!
Auch Frühling wird’s im Norden,
Du siehst nicht, wie ich gewachsen bin,
Ihn faßt der Greis mit Zittern,
„Ja,“ ruft er, „Sommer im Norden ward’s,
Ich horche den Ungewittern!“
Es schwellen die Glieder, die Knochen,
Er ist ein Mann geworden und hat
Den Vater noch nicht gerochen!“ –
„Blutrache, heilig, alt Gesetz,
Vor dir muß unsers Hauses Fried’
Und Liebe mir heut erbleichen!“
„Seht ihr es nicht? mir däucht, ich seh’s, –
Und bin ich doch blind so lange –
Du dort, ist dir nicht bange?“
„O weh’, du hast mir gedient so fromm,
Hast’s wie ein Sohn getrieben!
Du solltest führen in’s neue Haus
„Jetzt kannst du bei mir nicht bau’n dein Haus,
Bei mir dein Weib nicht freien.
Wie soll in seinem Angesicht
Dir dein Geschlecht gedeihen?“
Was mir der Sohn sollt’ erben!
So lange die Rach’ in dem Knaben schläft,
Fleuch, fleuch! du sollst mir nicht sterben!“
„Zur fernsten Orkneysinsel zeuch!
Dort bau von meinem Gute dir
Eine feste, helle Halle!“
„Dort lebe sicher und zeug’ ein Kind
Für deines Alters Tage!
Der dir den Sohn erschlage!“