Brief des Herrn Prof. Kiepert an die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
Zurückgekehrt von einer etwas über dreiwöchentlichen Reise im Lande östlich des Jordan, beeile ich mich kurz zu berichten über das allerdings weit hinter meinen Hoffnungen zurückbleibende Ergebniß derselben. Die ersten Recognoscirungen auf diesem Gebiete, welche den beiden ersten Decennien dieses Jahrhunderts angehören und schon gerade die interessantesten Punkte berührten, ließen namentlich eine größere Fülle von Spuren der griechischen Epoche, als sich wirklich erhalten hat, auch in den übrigen Landestheilen, nächst den berühmt gewordenen Ruinenstätten von Gadara, Gerasa und Ammon oder Philadelphia erwarten. Die letzten beiden sind bekanntlich auch von Hrn. Wetzstein vor 10 Jahren wieder [262] besucht, aber noch nicht beschrieben worden; durch Aufnahme specieller Stadtpläne haben ich selbst und mein Sohn, durch photographische Aufnahmen mein junger medicinischer Begleiter, Dr. P. Langerhans, für die Veranschaulichung dieser interessanten Culturstätten zu sorgen uns bestrebt. Mit mehr Muße und bedeutenderen Mitteln war in derselben Weise, besonders durch Aufnahme zahlreicher Photographieen an beiden Stellen, kurz vor uns ein englischer Forscher, Capt. Warren thätig gewesen, der überhaupt eine Reihe von Jahren im Auftrage des Palestine Exploration Found hier in Jerusalem durch Nachgrabungen, in der südwestlichen Landschaft bis Gaza durch trigonometrische Aufnahmen, im Ostjordanlande mehr durch bloße Recognoscirungsreisen gewirkt, damit aber den nicht unbedeutenden Fond vollständig erschöpft hatte, so daß er sich beim Mangel neuer Zuschüsse jetzt mit immer noch fragmentarischen und deshalb dem Vernehmen nach noch nicht zur baldigen Publication bestimmten Resultaten auf den Rückweg nach England begeben hat. Er war freundlich genug, da ich ihn glücklicherweise noch einen Tag vor meiner Abreise nach dem Jordan hier antraf, mir das theilweise Copiren, resp. Excerpiren seiner Kartenskizze eines Theiles des von mir zu besuchenden Landes zu gestatten, wodurch es mir möglich wurde, mit Rücksicht auf die von ihm, sowie von Herrn Wetzstein bereits besuchten Punkte und Routen, meine eigene Route möglichst nach noch nicht begangenen Linien zu dirigiren. Auch so mußte freilich bei der Ausdehnung des in Rede stehenden Gebietes und der Schwierigkeit, über manche aufzusuchende Punkte sich aus den vagen und widersprechenden Angaben der Beduinen vorher zu orientiren, endlich besonders wegen der durch die enormen Kosten einer solchen Reise auferlegten Beschränkung, manche empfindliche Lücke unausgefüllt bleiben, nur darf ich hoffen, daß die Lösung solcher auch diesmal noch ungelöst gebliebenen Fragen durch die von mir erkundeten Thatsachen, und die genaue Festlegung meiner Route jedem Nachfolger ungemein erleichtert sein wird. Für die sogenannte biblische Topographie ist das Ergebniß am geringfügigsten; wenn auch eine große Zahl von Trümmerstätten – oft ganz rohe und styllose Bauwerke, häufiger aber mit Resten der spätgriechischen oder römischen Periode – aufgefunden wurden, von denen nur ein Theil modern arabische Namen trägt, viele aber auch Namen eines alterthümlicheren Gepräges, so fehlt es doch, – soviel ich bei den dürftigen hier vorhandenen literarischen Hülfsmitteln übersehen kann – an allen Beziehungen derselben auf die allerdings sehr wenigen aus dem Alterthume überlieferten Ortsnamen. Von den Städten der Decapolis, welche innerhalb des bezeichneten Gebietes lagen, außer den drei bereits genannten, wurde Capitolias mit ziemlicher Sicherheit, Dium mit Wahrscheinlichkeit identificirt, aber die antiken Reste an beiden Plätzen erweisen sich im Gegensatz zu jenen monumentreichen Städten, als äußerst dürftig; inschriftliche Denkmäler waren, außer Djeransch und Ammân, nirgends zu erfragen.
Der im Gegensatz zum Westjordanlande bis auf wenige Ausnahmen fast vollständige Untergang der alten Ortsnamen ist offenbar auf einen durchgreifenden Wechsel der Bevölkerung zurückzuführen, die wenigstens in der Südhälfte des besuchten Landes, in dem Gebiete südlich vom Wadi Zerka (dem alten Jabbok) gegenwärtig fast durchaus nomadisch ist und dem Beduinenstamm der Aduân angehört; die einzige Ausnahme bilden die beiden zur Hälfte christlichen Dörfer [263] Salt und Fuhais. In der Nordhälfte bis zum Jarmûk trafen wir freilich auf den von uns durchzogenen Straßen eine größere Zahl bewohnter, größtentheils sehr ärmlicher und kleiner Ortschaften, als verlassene, aber nur 4 oder 5 derselben können als aus dem Alterthum herrührend gelten. Uebrigens war dieses von Fellachîn bewohnte Gebiet dem Beduinenlande im Süden kaum überlegen an Umfang des Anbaus; die Gerste-, Weizen- und Linsenfelder, welche durchschnittlich wohl die Hälfte des anbaufähigen Bodens einnehmen, standen jetzt überall im frischesten Grün. In beiden Landeshälften trafen wir überdies, im schärfsten Gegensatze zu dem baumleeren, schattenlosen, wasserarmen Westjordanlande, in den Thälern an rauschenden Bächen, wie auf den Höhenrücken ziemlich ausgedehnten Baumwuchs, allerdings nur auf zwei Arten: Terebinthe und Knopper-Eiche (Valonea) beschränkt, und nur ausnahmsweise von höherem Wuchse, als 30–40 Fuß, häufig auch zerstreut über weite Lichtungen, stellenweise doch aber auch, mitunter auf Stundenlänge, dichten Waldschatten gewährend – eine im Westen des Jordans völlig unbekannte Erscheinung. Das allgemeine Ergebniß der Configuration des Landes: ausgedehnte Hochebenen, von Dimensionen, wie sie im Westjordangebiet nirgend annähernd vorkommen, mit gegen Westen tiefer, gegen Osten meist sehr flach eingeschnittenen Thälern, darüber relativ unbedeutend ansteigend flache Höhenrücken von einer Axenrichtung, übereinstimmend mit derjenigen der Hauptthäler, welche sich zu derjenigen der gesammten Massenerhebung diagonal verhält, nämlich zwischen SW. und NO. verlaufend, – wird sich erst mit Hülfe der kartographischen Ausarbeitung des gesammelten Materials, wozu mir jetzt Muße und Gelegenheit fehlt, deutlich erkennen lassen. Gegen das nördliche Ende unseres Forschungsgebietes, im Südosten des Genezareth-Sees tritt statt der eben bezeichneten Linie vorherrschend ostwestliche Spaltenrichtung der Nebenthäler des Jordan auf, theilweise, wie am Wadi Jabis, bei Tibne, bei Gadara, durch sehr schroffe, felsige Abhänge die Communication in nordsüdlicher Richtung erschwerend. Von Gadara über die flacheren westöstlichen Höherücken längs den Spuren der alten Römerstraße auf die nur stellenweise fruchtbare, aber höchst eintönige Hochebene um Bêt-Râs, Irbid, el-Hosn, Remtha und Mzerîb gelangt, aus welcher die Quellen des größten Nebenflusses des Jordan, des Kherîat-el-Menâdire (oder Jarmuk der Alten) zusammenfließen, wünschte ich diesem bis jetzt nur hypothetisch bekannten Flußlaufe bis zur Mündung in den Jordan zu folgen, eine Aufgabe, die wegen der Unbekanntschaft meiner arabischen Begleitung mit den Oertlichkeiten, und wegen der natürlichen Gestaltung des Bodens selbst, die keinen regelmäßigen, namentlich für die gepäcktragenden Maulthiere gangbaren Weg zulassen, nicht ohne Schwierigkeit ausgeführt werden konnte. In den beiden ersten Wegstunden von Mzerîb westlich erschwert das Fortkommen der unerwartete Wasserreichthum der aus tiefem thonigen Erdreich bestehenden, von zahlreichen Bewässerungscanälen durchschnittenen, scheinbar weit nach Westen ausgedehnten und nur am nördlichen Horizont von dem zur halben Höhe beschneiten Hermon überragten Hochebene; denn in dem Dörfchen Zezun angelangt, standen wir plötzlich am obern Ende einer 6–800 Fuß tiefen Felsschlucht, in welche sich die gesammelten Gewässer der Ebene in mehreren Cascaden-Absätzen hinabstürzten; auf halsbrechenden Felsenpfaden ging es auf den Thalboden hinab, der vielfach an allzuengen Stellen wieder umgangen werden [264] mußte, um nach 14maligem öfters schwierigem Passiren des Flusses und seiner nördlichen Nebenflüsse am Ende eines mühseligen langen Tagemarsches, auf etwa nur 2½ Meilen geraden Abstandes, in die unterste Thalstufe mit den schon bekannten und durch antike Reste ausgezeichneten warmen Schwefelquellen unterhalb Gadara’s zu gelangen. – Eine geringere Wasserfülle, aber einen längeren Verlauf hat der untere Hauptfluß des Jordan, der Wadi Zerka, dessen untere Thalhälfte Capt. Warren recognoscirt hat, während es mir möglich war, die obere von Ammân abwärts, die vor einem Vierteljahr, als Warren dort war, noch für zu unsicher galt, hinzuzufügen. – Ich enthalte mich weitere Details anzuführen, die ohne Hülfe der Karte doch unverständlich bleiben würden. – Unter den vor Antritt der Reise von den Schwierigkeiten derselben gehegten Befürchtungen erwiesen sich die die Sicherheit betreffenden als völlig grundlos, begegneten wir doch sogar einer englischen Gesellschaft mit Ladies, die allerdings nur auf 3–4 Tage über den Jordan gegangen war; solche Touren sollen seit einigen Jahren in diesem Lande, wenn auch nur 3 oder 4 in jedem Jahre, gemacht worden sein. Die Unterwerfung unter die türkische Botmäßigkeit, welche freilich nur durch eine sehr kleine, zum Steuereintreiben eben ausreichende bewaffnete Macht repräsentirt wird, ist gegenwärtig vollständig genug, um die Beduinen zu einem Herablassen an den früher exorbitanten Preisen für Begleitung und Schutz zu veranlassen; entbehren und etwa durch türkische Begleitung ersetzen, die übrigens ebenso kostspielig sein würde, kann man dieselbe durchaus nicht, weil allein die Beduinen hinreichende Kenntniß der Oertlichkeiten und Wege besitzen. So blieb uns denn keine Wahl, als statt der zuerst verlangten 50 Napoleons nach längerer Verhandlung auf dem Consulate mit den betreffenden Scheichs schließlich 30 Napoleons für 5 Reiter auf 25 Tage zu bewilligen; noch mehr aber erhöht die Kosten und die Schwierigkeit des Reisens die Notwendigkeit, in dem größtentheils der festen Ansiedlungen ganz entbehrenden Lande Zelte und Vorräthe von Lebensmitteln, also auch eine große Anzahl von Begleitern mitzuschleppen, und dieselben für das jedesmalige Nachtlager an eine passende Stelle voraus zu dirigiren. – Ernstliche Hindernisse und mitunter wirkliche Schwierigkeiten bereitete uns die Unregelmäßigkeit der klimatischen Verhältnisse – nicht etwa der nach den ersten übertriebenen nach Aegypten gelangten Nachrichten befürchtete Wassermangel, sondern gerade das Uebermaß an Niederschlägen, welches die Trockenheit der Wintermonate abgelöst hatte. Der erste Reisetag von Jerusalem (von wo erst um Mittag aufgebrochen werden konnte) bis Jericho, am 7. April, ruinirte einen großen Theil der mitgenommenen Vorräthe und der Reiseeffecten durch die kolossale Masse des Hagels und des Regens, in den sich ein heftiges Gewitter aufgelöst hatte; die durchdringende, jede Bewegung der Finger unmöglich machende Kälte wich erst am Abend beim Hinuntersteigen in das Jordanthal einer milderen, doch immer noch kühlen Temperatur, und die Thalebene bis zum todten Meer war folgenden Tages in ein Schlammmeer aufgelöst, in welches die Pferde tief einsanken, während die Nachbarschaft von Jericho selbst vom Regen gänzlich unberührt geblieben war. Die höchsten Rücken des östlichen Gebirges, namentlich der etwa 3600 Fuß über dem Meer hohe Djebel Oscha bei Salt und die bis 2700 Fuß ansteigenden Berge bei Hebron zeigten sich mit Schnee bedeckt, der erst zwei Tage später ganz verschwand. [265] Die folgenden Tage blieben aber empfindlich kühl; noch am zehnten hinderte ein eiskalter Regen stundenlang am Beobachten und Aufzeichnen, und sowohl am 12. April in Ammân, als noch am 23ten in Remte wechselten Temperaturen von +2½°R. früh um 6 Uhr mit mittäglichen von +25 bis 26°; das Maximum von +29° R. im Schatten hatten wir wieder im Ghor am 30. April (während die Quelle, an der wir diesmal, wie an dem kalten 7. April gelagert hatten, ihre Temperatur von +18¼°R. unverändert zeigte, und dieselbe Gluthhitze dauert jetzt hier in Jerusalem schon seit einer Woche bei herrschendem Ostwind und droht, wenn nicht Westwind eintritt, alles weitere Reisen in diesem Lande unmöglich zu machen. Wenigstens haben die spät aber unerwartet reichlich eingefallenen Regen hier in Jerusalem die halbleeren Cisternen, auf deren Wasservorrath nur die Möglichkeit der Existenz bis zum November beruht, vollständig gefüllt; dagegen hatte Tiberias, das wir als äußersten nördlichen Punkt am 21. April berührten, seit Januar noch keinen Tropfen Regen erhalten. Für ein nicht allzu reichliches Gedeihen, vielleicht für vollständige Vertilgung der fast durchweg bei unserer Durchreise üppig stehenden Saaten werden übrigens die Heuschrecken sorgen, deren junge Brut wir in den letzten Tagen im Ghor in Zahlen, die weit über die Millionen hinausgehen müssen, herumhüpfen sahen. – An Käfern und Schnecken, deren Sammeln von einigen Mitgliedern der geogr. Gesellschaft speciell als wünschenswerth bezeichnet worden war, hat sich ein größerer Reichthum an Individuen als an Arten ergeben, was allerdings das Sammeln sehr vereinfacht hat, ebenso wie die außerordentliche Gleichförmigkeit der geologischen Beschaffenheit dasjenige von Fundstücken. – Zur Berechnung der Höhen von etwas über 200 Punkten barometrischer Beobachtung erwarte ich von dem englischen Arzte Dr. Chaplin hier, der seit Jahren regelmäßig beobachten läßt und in wenigen Tagen von einer Reise zurückerwartet wird, die correspondirenden Beobachtungen zu erhalten.