Briefe eines Wissenden/2

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Titel: Briefe eines Wissenden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 702–705
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Briefe eines Wissenden.
Zweiter Brief. Eulenburg. – Mühler. – Adelheid. – Moltke’s Schweigsamkeit.


Soeben komme ich von meinem alten lieben Freunde Eulenburg und habe mich wieder recht von Herzen an seinem unverwüstlichen Humor erquickt. Welch angenehmer Gesellschafter! Wie gefällig sind seine Formen, wie heiter fließt seine Unterhaltung! Immer wieder und wieder kommt mir der Gedanke: „Schade, daß mein lieber Freund Minister, und nun gar Minister des Innern und der Polizei, geworden ist! Da muß er arbeiten, sich quälen und ärgern, und die Welt hat auch nichts als Aerger von ihm.“ Wie seitab vom rechten Wege oft das Leben den Menschen führt, und Eulenburg’s Beruf war doch so klar ausgesprochen. Wo hätten Könige und Kaiser einen vortrefflicheren Truchseß finden können, um „des perlenden Weines zu schenken“, wo einen geistvolleren grand-maître des menus plaisirs? – Polizeiminister! Was bedarf es in solchem Amte der Liebenswürdigkeit? Sie verträgt sich eigentlich nicht mit solcher Stellung, in der die lachenden und erheiternden Gaben der Geselligkeit ungenützt und unbenutzbar verkommen müssen. Zudem kann ein Minister sich einer ganzen Reihe von unschuldigen Belustigungen nicht füglich, ohne Anstoß zu erregen, hingeben, und darf selbst keine schlechten Witze machen, ohne die schlechten Witze Anderer zu provociren. In solcher Zwangsjacke kann ein Mann wie Fritz Eulenburg nicht gedeihen. Seine schönen Gaben müssen schimmlig werden, und er selbst kommt in die schiefe Lage, daß er, statt der allgemeine Liebling zu sein, doch hie und da zum Aergerniß wird. Niemals hat ein fatalerer Mißgriff stattgefunden, als da man ihn in sein heutiges Amt berief, verhängnißvoll für ihn selbst wie für das Land. Seine Jugend, seine Vergangenheit und Gegenwart, Alles in und an ihm wies darauf hin, daß in seiner jetzigen Stellung keine richtige Verwendung seiner Fähigkeiten und Kräfte, die in der That gar nicht unbedeutend sind, erfolgen konnte.

Eulenburg war, als ich ihn auf der Universität Königsberg kennen lernte, allgemein beliebt, unter seinen Studien- und Kneipgenossen sowohl wie in der Gesellschaft. Auf der Mensur und bei dem Glase hatte er kaum seines Gleichen, und es gehörte seine starke Natur dazu, um ohne Schaden an der Gesundheit die durchschwärmten Nächte zu verwinden. Der Rohheit, die damals unter den Studenten Königsbergs in der widerlichsten Weise förmlich gefeiert wurde und in einem Grade herrschte, wie man sie auf anderen Universitäten schon zu jener Zeit nicht mehr kannte, heute aber Niemand begreifen würde, ergab er sich nicht, hatte vielmehr in der dortigen besten Gesellschaft, der er als Sprößling einer der ältesten und vornehmsten Familien Ostpreußens angehörte, Gelegenheit, sich in feiner Sitte und gutem Tone zu bilden. Von Königsberg ging Eulenburg nach Bonn, arbeitete später in verschiedenen Provinzen als Auscultator und Referendarius und erwarb sich zuerst einen gewissen Ruf in Köln, wo er als Assessor bei der Regierung Censor der „Kölnischen Zeitung“ wurde, eine Function, die er mit aller nach den damaligen Vorschriften zulässigen Liberalität wahrnahm. Seine persönliche Liebenswürdigkeit, die ihm überall Freunde schuf und nirgends Gegner erweckte, half ihm über manche Schwierigkeit hinweg, die Anderen Verlegenheiten bereiten kann. So gerieth er beispielsweise eines Nachts, in sehr angeheiterter Gesellschaft aus einem Weinhause kommend, mit einem Nachtwächter in einen Conflict, der schließlich solche Dimensionen annahm, daß Eulenburg genöthigt wurde, den kleinen Rest der Nacht auf der Wache zuzubringen. Daß dieser Vorfall, so unerheblich er in den Augen jedes Billigdenkenden ist, bei der damaligen gereizten öffentlichen Stimmung und der Stellung Eulenburg’s zu der Presse von dieser in keiner feindseligen Weise gegen ihn ausgebeutet wurde, ist gewiß ein sprechender Beweis, daß man seine amtliche Thätigkeit von seiner Person zu scheiden allen Grund hatte.

Später ward Eulenburg in das Ministerium, dem er jetzt vorsteht, von dem Minister v. Westphalen als Hülfsarbeiter berufen [703] und erhielt das wichtige Decernat der Personalien. So vielfach in dieser schwierigen und einflußreichen Stellung seine Humanität gerühmt wurde, so wenig schien es dem lebensfrohen Manne darin zu behagen, und bald veranlaßten ihn Differenzen mit seinen Vorgesetzten seine Entlassung zu nehmen und sich nunmehr in der diplomatischen Carrière zu versuchen, von der er 1862 zurückkehrte, um in das Ministerium einzutreten.

Herr v. Bismarck hatte soeben die Erbschaft des Prinzen Hohenlohe angetreten und ein Unicum von Ministerium vorgefunden – Holzbrück, Mühler, Jagow, Itzenplitz, Lippe – eine Sammlung berühmter Namen und erleuchteter Köpfe, Staatsmänner von wirklich seltenem Werthe. Ueber einen Nachfolger Jagow’s aber, der zuletzt als Oberpräsident in Potsdam doch verwendbarer erschien, denn als Mitglied des Ministercollegiums, schwankte man lange, bis endlich Eulenburg auf der Bühne erschien.

Er trat, aus den Ländern der Antipoden kommend, in einen romantischen Nimbus gehüllt hervor und wußte die Neugierde, die ihm entgegenkam, geschickt zu benutzen. Eine frische und obendrein eigenthümliche Erscheinung ist an einem Hofe stets willkommen und kann von vornherein auf einen gewissen Erfolg zählen. Kommt Verstand, Unterhaltungsgabe und geselliges Benehmen hinzu, so ist das Glück des Neulings gemacht. So spielte das Glück mit Eulenburg, der zu der Rolle, die ihm ein freundliches Geschick zutheilte, wie geschaffen war. In kürzester Frist hatte er sich das Wohlgefallen des Königs, der Königin und sämmtlicher Prinzen und Prinzessinnen erworben, ganz besonders aber der kronprinzlichen Herrschaften, die in ihm sogar die geeignete Persönlichkeit zu sehen glaubten, mit deren Hülfe Herr v. Bismarck, gegen den, wie bekannt, damals eine scharfe Abneigung vorhanden war, ersetzt werden könnte. Die im Grunde liberal angelegte Natur Eulenburg’s schien dieser Absicht zu entsprechen, die Gunst, welche der König ihm unzweideutig zeigte, die Sache zu erleichtern, Widerstreben von seiner Seite unwahrscheinlich. So wurde ihm denn alsbald ein Portefeuille angeboten, und er fühlte sich so sicher, daß er sogar das ihm zuerst angetragene landwirthschaftliche Ministerium ablehnte. Seine Wünsche gingen auf das Handelsministerium; doch konnte dies dem Grafen Itzenplitz, der schon Landwirthschaftsminister war, nicht füglich vorenthalten werden, und Eulenburg gab sich daher mit dem Innern zufrieden. Wie und in welchem Sinne er seine Verwaltung geführt hat, gehört der Geschichte und einer ernstern Kritik an, als ich in diesen Briefen zu üben mich veranlaßt sehe; doch wird die Meinung, daß er jede andere Stellung mehr zum Heile des Landes bekleidet hätte, bei Ihren Lesern wohl auf ungetheilten Beifall rechnen können. Daß er die ihm von einer Seite zugemuthete Aufgabe, Bismarck in liberalem Sinne entgegenzuwirken, nicht lösen würde, mußte übrigens Jeder, der ihn genauer kannte, voraussetzen; er ist kein Mann der Intrigue und dem Reichskanzler im geistigen Kampfe doch nicht gewachsen.

Seine Freunde aus älterer Zeit hat es allerdings überrascht, daß Eulenburg als Minister sich zu einem so entschiedenen Werkzeuge der Reaction hergegeben hat. Ich glaube aber eine Erklärung dieser Thatsache, die freilich in keiner Weise vorausgesehen werden konnte, in zwei Umständen zu finden.

Einmal ist Eulenburg nicht ein so selbstständiger, festgegliederter Charakter, um mächtigen Einflüssen zu widerstehen, und sein Eintritt in das Amt fiel gerade in die Periode, als die reactionären Elemente in der Hauptstadt wie in den Provinzen, ganz besonders aber bei Hofe, sich mit frischer Kraft und im Bewußtsein des gegen die neue Aera erkämpften Sieges erhoben. Eulenburg war viele Jahre von Berlin und aus Preußen abwesend gewesen, und als er ersteres wieder betrat, kamen ihm in langen Zügen aus allen Winkeln des Landes die Deputationen mit den sogenannten Loyalitätsadressen entgegen, die damals täglich den König zum Festhalten an den conservativen Maximen bestürmten und das ganze Volk wie eine Landwehr der Reaction schilderten. An der Spitze dieser Schaaren sah und sprach Eulenburg viele alte Freunde und Bekannte, die nach Kräften bemüht waren, den an dem politischen Himmel neu aufgehenden Stern zu gewinnen, und deren Darstellungen, Schmeicheleien und Lockungen sicherlich nicht ohne nachhaltigen Eindruck geblieben sind. Sodann unterlag Eulenburg wohl nicht minder als die meisten Personen, welche das Schicksal mit dem Fürsten Bismarck in dauernden Verkehr gebracht hat, der geistigen Uebermacht des Letzteren und lenkte mehr oder minder willig in die von diesem damals gesteckten Bahnen ein.

Zum anderen nahm die liberale Opposition in dem preußischen Abgeordnetenhause Eulenburg gegenüber sofort eine Stellung ein, die ihr mehr von der ehrlichen Ueberzeugung, als von der politischen Klugheit bezeichnet wurde. Wäre der neue Minister nicht sofort auf das Schonungsloseste angegriffen worden, so hätte er vielleicht einen wünschenswerthen Vermittelungspunkt zwischen Regierung und Opposition abgegeben; die scharfe Feindschaft aber, welche ihm von Hause aus entgegentrat, trieb ihn um so schneller in das conservative Lager.

Immer wieder liebt es die Presse, Gerüchte von einem baldigen Rücktritte Eulenburg’s zu verbreiten; wer aber die Verhältnisse in den maßgebenden Kreisen kennt, weiß, daß solche Erwartungen vorläufig jedes Grundes entbehren. Eulenburg steht bei Hofe fortdauernd in allseitiger großer Gunst; nicht nur der Kaiser, auch die Kaiserin, der Kronprinz und die Kronprinzessin haben ihn gern; und von dem Reichskanzler hat er gleichfalls nichts zu befürchten. Ueberhaupt hüte man sich vor der Ansicht, als könne der Letztere nach Belieben einen ihm unbequemen Minister beseitigen; dem ist durchaus nicht so. Eine Hauptstärke Bismarck’s und des ganzen Ministeriums ist die dem Kaiser beigebrachte Ueberzeugung von der Einigkeit seiner Räthe. Nachdem dieser Jahre lang sich mit Ministerien, deren Mitglieder unter einander im Hader lagen, abgemüht hatte, fühlte er sich angenehm erleichtert, als ihm endlich eines mit der Versicherung voller Einmüthigkeit entgegenkam. Diesen vortheilhaften Eindruck muß der Ministerpräsident zu erhalten suchen, und er wird deshalb nicht so leicht angriffsweise gegen einen seiner Collegen vorgehen. Die Entlassung des Grafen Lippe war ein Ausnahmefall. Es galt damals, auch in dem Ministerium die neuen Provinzen vertreten zu sehen; von der Zweckmäßigkeit einer solchen Maßnahme war auch der König zu überzeugen, und für Lippe bot sich auch gerade ein passend scheinender Ersatz. Ein Zwiespalt in den Principien ist nicht Ursache seines Rücktritts gewesen, und sein späteres Auftreten in dem Herrenhause ist nur der Ausfluß des Aergers darüber, daß man ihn, ohne daß er Veranlassung dazu gegeben, hatte fallen lassen.

Eulenburg ist heute am Hofe der am liebsten gesehene Mann. Neben den vielen langweiligen Gästen ist er einer der wenigen, wo nicht der einzige, der Munterkeit und Leben in das ewige Einerlei bringt, und man ist ihm für diese Störung der fast unerträglichen Gleichförmigkeit höchst dankbar. Wie jedem Lieblinge wird ihm sogar manche Unart verziehen, die bei jedem Anderen vielleicht mit Verbannung bestraft würde.

Seine Untergebenen sind mit ihm stets zufrieden. Er ist wohlwollend und höflich, und die Freiheiten, die er sich selbst erlaubt, gestattet er auch seinen Umgebungen. Vor einiger Zeit ging ich in sein Hôtel, um ihn zu sprechen, und durch den Anmelderaum, in dem ich Niemand traf, gleich hindurch in das dahinter gelegene Zimmer, das für gewöhnlich mit als antichambre benutzt wird. Wie erstaunte ich aber, als ich dasselbe mit Tabaksrauch gefüllt und eine Anzahl Herren, sämmtlich mit brennenden Cigarren bewaffnet, um den großen Tisch sitzend fand. Ich zog mich eilig zurück und hörte nun, daß der Herr Minister mit einigen seiner Räthe eine Session abhalte, und daß bei solchen Gelegenheiten das Rauchen stehender Gebrauch sei. Gewiß eine den Herren Räthen nicht unwillkommene Neuerung. – Sie sehen, daß mein alter Freund Eulenburg kein ganz übler Mann ist, wenn ich schon mein Gewissen nicht mit einer Vertheidigung seiner Politik beschweren will.

Mit Eulenburg zusammen oft genannt, obwohl kein Geistesverwandter, wird Herr v. Mühler, der unter den leitenden Größen des preußischen Staats sich vorzugsweise der zweideutigen Ehre erfreut, von rechts und links zugleich angegriffen zu werden. „Viel Feind’, viel Ehr’“ ist aber nur eine Wahrheit, wenn die Feinde auch Feinde der Wahrheit sind; ist dies nicht der Fall, steht der Angegriffene den Freunden der Wahrheit gegenüber, so bringt die Zahl der Feinde nicht Ehre, sondern das Gegentheil; sie giebt dann nur den Maßstab für die Verblendung oder Verhärtung des Widerstrebenden. Wo, wie hier, eine Nation zu Gericht sitzt, kann der Einzelne sein Urtheil sparen, und es würde nur Eulen nach Athen tragen heißen, wenn ich in eine Kritik einer allseits abfällig beurtheilten Amtsthätigkeit eintreten wollte. Nur [704] über gewisse Verhältnisse und Beziehungen, die vielfach unrichtig aufgefaßt werden, möchte ich mich auslassen.

Herr v. Mühler, ein Sohn des früheren Justizministers Mühler, ist vor allen Dingen nicht Theologe, sondern Jurist und war vor seiner Ernennung zum Cultusminister Justitiarius im Oberkirchenrathe. Sein Interesse für kirchliche Dinge bethätigte er auch außer seinem Amte mehrfach, unter Anderem durch die Mitbegründung des „Evangelischen Vereins“, eines Instituts, das noch heute eine ausgebreitete Wirksamkeit übt. Als er im Jahre 1862 in seine jetzige Stellung berufen wurde, geschah dies keineswegs, weil in ihm der Vertreter einer extremen kirchlichen Richtung herangezogen werden sollte, sondern weil man in ihm einen Mann von so gemäßigten Ansichten zu finden glaubte, daß er eine wenigstens äußerliche Versöhnung der im Kampfe liegenden kirchlichen Parteien herbeizuführen geeignet sein würde. Einen Bekenner der ultraorthodoxen Anschauungen würde der König unter keinen Umständen gewählt haben; und ebensowenig würde von Herrn v. Bethmann-Hollweg, Mühler’s Vorgänger, der diesen dem Könige empfohlen hatte, ein solcher Vorschlag ausgegangen sein. Mühler steht auch in der That nicht mit einem Knak, Steffan und Genossen auf gleicher Linie und kann sich der Gunst der „Evangelischen Kirchenzeitung“ und des „Volksblattes für Stadt und Land“ nicht rühmen. Wenn diese Organe der reinsten Orthodoxie ihn trotzdem glimpflich behandeln, so ist doch nicht außer Acht zu lassen, daß sie den größten Theil seiner Maßnahmen und Erlasse bekämpfen und ihre der Person gezeigte Milde wohl nur eine Aeußerung der Klugheit ist. Gerade dieser überall hervortretende Gegensatz dient zur Befestigung der Stellung Mühler’s, weil sie an entscheidender Stelle den Glauben an seine Mäßigung erhält. Auch weiß er geschickt nachzugeben und einzulenken, wenn er an eben dieser Stelle die Mißbilligung eines eingeschlagenen Weges bemerkt. Dies fand zum Beispiel vor zwei oder dritthalb Jahren statt, als der König ihm seine Unzufriedenheit mit dem Verfahren in den Synodal-Angelegenheiten zu erkennen gab; es trat sofort eine Wandlung zu Gunsten einer freieren Richtung ein.

Es verstößt nicht allein gegen die Grundsätze des constitutionellen Staatsrechts und führt zu Inconsequenzen, die in verwirrender Weise auf die Verwaltungsmaschinen einwirken müssen, sondern es ist auch kein Beweis männlich festen Charakters und gereifter Ueberzeugung, wenn der politisch verantwortliche Beamte sich an sein Amt in dem Maße festklammert, daß er lieber langvertheidigte Anschauungen preisgiebt, als diesem entsagt. In solchem Fall aber hat Herr v. Mühler sich schon öfters befunden. Ein Beispiel – die Behandlung der Synodal-Einrichtung in der evangelischen Kirche – ist schon angeführt. Aus dem offenen Gegner der Synodal-Verfassung wurde zunächst ein widerwilliger Förderer und dann ein durchgreifender Parteigänger derselben, und nicht etwa allmählich, in Folge eines Wechsels des Urtheils, sondern urplötzlich und zusammenfallend mit kundgewordenen allerhöchsten Meinungs- oder Willensäußerungen. Gegenwärtig vollzieht sich vor den erstaunten Augen Deutschlands eine gleiche, vielleicht noch schroffere Wandlung – in der Auffassung und Leitung der katholischen Angelegenheiten.

Es ist wohl als bekannt vorauszusetzen, daß unter Herrn von Mühler’s Aegide der katholische Klerus sich bis vor Kurzem der zartesten Rücksichten erfreute, die Bischöfe beinahe nicht wie Unterthanen des Staats, sondern wie gleichberechtigte Mächte behandelt wurden, daß die größte Sorgfalt, jede Einmischung in das Regiment der katholischen Kirche zu vermeiden, vorherrschte und diese daher eine bei Weitem größere Selbstständigkeit und Freiheit als die evangelische Landeskirche genoß. Dazu kam, daß der Chef der katholischen Abtheilung im Ministerium, Geheimrath Krätzig, mit dem Minister innig befreundet war und in seinem vollkommenen Vertrauen stand. Mit einem Schlage hat sich dies geändert. Fürst Bismarck erklärt sich bereit, die Altkatholiken gegen die Infallibilisten zu schützen, und sofort schwenkt Herr von Mühler in wahrhaft naiver Weise herum, macht gegen das Episcopat Front, löst die ganze katholische Abtheilung in seinem Ministerium auf und stellt seinen Freund Krätzig zur Disposition. Merkmale einer inneren Umkehr sind bei dem Herrn Minister nirgends wahrnehmbar, und man giebt sich auch nicht die Mühe, solche zu suchen; für Herrn v. Mühler’s Bekannte erklärt der Wille des Reichskanzlers die eingetretene Wendung genügend. Die Abneigung, den einflußreichen Posten aufzugeben, ist schließlich das Motiv, welches die Stellung des preußischen Cultusministers bestimmt, und das öffentliche Mißtrauen, welches seine Operationen begleitet, ist deshalb der berechtigte Ausdruck des Zweifels an seiner Aufrichtigkeit.

Will man – und meinerseits bin ich gern dazu bereit – Herrn von Mühler auf das Günstigste beurtheilen, so muß man ihn für einen schwankenden, unselbstständigen Charakter von nicht ganz klaren Anschauungen und ohne den Muth, seinen Ueberzeugungen ein Opfer zu bringen, erklären. Seine Geschäftsführung spricht für die Richtigkeit dieses Urtheils.

Für jede Verwaltung ist es ein großer Uebelstand, wenn sie nicht in einheitlichem Sinne geführt wird; jedes Regiment muß aus einem Gusse sein, wenn es etwas taugen soll. Zumal wenn die Wogen der Zeit hoch gehen, darf nur ein fester Wille das Steuer lenken; kommt der Wille Vieler zur Geltung, so wird das Fahrzeug gefährdet. In dem preußischen Cultusministerium aber fehlt der klare einheitliche Wille; Herr von Mühler besitzt nicht die erste nothwendigste Eigenschaft eines Staatsmannes, seine Gehülfen zu Werkzeugen seiner Absichten zu machen; es werden vielmehr alle denkbaren Schattirungen der Ansichten über Grenzen und Ziele von Kirchenregiment und Schulverwaltung durch seine Räthe vertreten und ungescheut offen ausgesprochen. Neben Stiehl, dem Verfasser der Regulative, sitzt von Wussow, ein eifriger Gegner der Bevormundung der Schule durch die Kirche. Ein Zusammenwirken so auseinander gehender Kräfte kann zu keinem heilsamen, ja überhaupt zu keinem Ziele führen. Wie aber soll einem solchen Uebelstande abgeholfen werden, wenn der Herr und Meister selbst nicht weiß, was er will; wenn er hier einem Allerhöchsten Winke, dort dem Drängen des Oberkirchenraths, bald dem Zureden seiner Räthe, bald den Strafpredigten der „Evangelischen Kirchenzeitung“ nachgiebt; wenn er in Berlin und Pommern den Nationalismus verfolgt und in Hessen die Altgläubigen absetzt; wenn er Kreis- und Provinzial- und Generalsynoden organisirt und dem einzelnen Geistlichen sein Maß von Glauben zudictirt!

Die „Gartenlaube“ ist keine Kirchenzeitung, und ich enthalte mich daher schicklicherweise jeder Würdigung theologischer Systeme und kirchlicher Glaubenssätze; aber das darf ich behaupten, daß Herrn von Mühler’s System gar kein System ist, sondern nur in haltlosem Schwanken zwischen den auf ihn eindringenden Mächten besteht. Jeder treue Freund seiner Ueberzeugungen, nicht allein der Jünger eines sich historisch fortbildenden Christenthums, sondern auch der an den alten Symbolen Hangende, muß das baldige Ende dieser unseligen Verhältnisse herbeiwünschen; der Anfang dieses Endes könnte nur der Rücktritt des jetzigen Cultusministers sein.

Ehe ich mit diesem abschließe, muß ich noch für eine gekränkte Unschuld eine Lanze brechen, nämlich für die vielberufene Adelheid, nehme aber dabei die Nachsicht in Anspruch, die einem alten Verehrer nicht versagt werden darf. Es war ein reizendes, gescheidtes und aufgewecktes Mädchen, Fräulein Adelheid von Goßler, und das Haus ihres Vaters am Leipziger Platze (jetzt das Palais des Prinzen Adalbert) ein mächtiger Anziehungspunkt für junge Männer. Wie hätte das Herz eines Studenten, an sich so leicht entzündbar, zwei so lieblichen Gestalten gegenüber, wie die beiden Töchter des Hauses waren, nicht in Feuer gerathen sollen! Aber tempi passati! Es sind nun vierunddreißig Jahre; die Jugend ist hin, und auch die Erinnerung ist verblaßt!

„Ach, wie der Jugend Ruf verhallt,
Und wie der Blick sich trübt!“ –

Es ist durchaus unrichtig, was in den Witzblättern und in Bierkneipen von dem Einflusse der Frau von Mühler auf die amtliche Thätigkeit ihres Mannes geschwatzt wird. Sie ist eine viel zu verständige Dame, als daß sie sich um Dinge bekümmern sollte, die einer braven Hausfrau und Mutter eines ganzen Häufchens Kinder gerade so fern liegen, wie irgendwelche Alfanzereien. Weiß der Himmel, wer dies thörichte Gerede aufgebracht hat; jedenfalls kein Wissender.[1]

Ich wundere mich öfters, wie Geschichten, die auch nicht eine Spur von Wahrheit an sich haben, plötzlich auftauchen, sofort die Runde durch weite Kreise machen und, ohne auf Widerspruch zu stoßen, so allgemeinen Glauben finden, daß sie bald als unumstößliche Facta dastehen. Was diesen Geschichten die weitverbreitete [705] Geltung schafft, ist offenbar eins mit der Macht der Phrase, der unheimlichen Gewalt, die in unseren Tagen mehr zu herrschen scheint, als je in anderen Zeiten geschehen ist. Eine solche auf Nichts basirte Geschichte ist die Adelheid-Sage; und doch ist sie überall erzählt und geglaubt, und Niemand hat ihr meines Wissens bis jetzt öffentlich widersprochen.

Dabei fällt mir eine andere gleich unwahre und noch viel weiter gedrungene Fabel ein, nämlich die von Moltke’s Schweigsamkeit. Alle Zeitungen erzählen Wunderdinge von dieser Eigenthümlichkeit des großen Schlachtendenkers; der Oberbürgermeister von Berlin begrüßt ihn selbst bei feierlicher Gelegenheit (1866 bei einem Festmahle im Kroll’schen Locale) als den „Schweiger und Macher“; in Gesellschaften, die durch keine besondere Kluft von ihm getrennt sind, hört man hübsche Anekdoten zum Belege seiner Kunst zu schweigen; in Schulbüchern und Compendien, die auf den Namen von Geschichtswerken Anspruch erheben, wird diese Kunst als ein höchst bedeutender Charakterzug betont; im Auslande wird die Fabel eifrig nachgebetet; – und doch ist nichts in der Welt unwahrer als sie. Graf Moltke ist nicht nur kein besonders schweigsamer Mann, obwohl er natürlich zu verschweigen wissen wird, was er am zweckmäßigsten für sich behält, sondern er ist sehr gesprächig, besitzt eine angenehme, lebhafte Unterhaltungsgabe und theilt sich gerne mit. Von den Hunderttausenden, die von seiner Schweigsamkeit erzählen, hat unmöglich auch nur ein Einziger Gelegenheit gehabt, ihn in engerem Kreise zu sehen, oder eine etwas längere Zeit sich in seiner Nähe befunden, oder gar selbst mit ihm gesprochen. Wäre dem Herrn Oberbürgermeister Seydel früher ein solches Glück zu Theil geworden, oder hätte er nicht die Fabel ohne Prüfung geglaubt, so hätte er solch thörichtes Zeug nicht dem General ins Gesicht geredet, und es wäre ihm das verwunderte Lächeln erspart worden, das Bismarck und Stolberg, die dabei standen, austauschten. – Und nun soll man nicht zum Ungläubigen und Skeptiker werden, wenn man solche Dinge erlebt!

  1. Und die musikalische Affaire mit Joachim?
    D. Red.