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Briefliche Mittheilungen über Hadhramaut

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Textdaten
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Autor: Heinrich von Maltzan
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Titel: Briefliche Mittheilungen über Hadhramaut.
Untertitel:
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. S. 465–467
Herausgeber: Wilhelm David Koner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans auf Commons Google
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[465]
Briefliche Mittheilungen über Hadhramaut.
Vom Freih. H. v. Maltzan.
Cairo, den 18. Oct. 1870.

 Hochgeehrter Herr!

Auf meinem Wege nach Arabien, wohin mich die von mir in der Juli-Sitzung 1870 des Vereins für Erdkunde angekündigte Reise führt, hatte ich hier Gelegenheit, einige interessante Notizen über den gegenwärtigen Zustand von Ḥadhramaut einzuziehen und zugleich die geographischen Angaben in der von mir herausgegebenen Reise Adolph von Wrede’s in Ḥadhramaut theils berichtigt, theils bestätigt zu hören. Ich kam nämlich durch einen glücklichen Zufall mit einigen Arabern aus dem Wâdý Do῾ân, den bekanntlich unser Wrede entdeckt und außer ihm noch kein Europäer bereist hat, zusammen und freute mich aus ihrem Munde die beinahe vollständige Bestätigung aller Wrede’schen Angaben zu vernehmen. Selbst in den Namen, deren Schreibart oft so sehr schwer zu fixiren ist, fand ich die Wrede’schen, von mir nach einem systematischen Lautprincip transscribirten Formen nur sehr selten einer Revision bedürftig. Bis jetzt habe ich erst zwei von Wrede fehlerhaft wiedergegebene Städtenamen entdeckt, nämlich Ḥalbun, welches Wrede fälschlich Ghalbun schreibt, und Badhy بَضى, das bei ihm Bedà بَدَى lautet. (Wrede’s Reise in Hadhramaut S. 253.) Diese Namen werden also in Zukunft anders zu schreiben sein. Auch muß bemerkt werden, daß das Wrede’sche Werk die Städtenamen in der Transscription der literalen Form wiedergiebt, welche von der Aussprache zuweilen differirt. Da letztere jedoch auch ihre Wichtigkeit hat, so führe ich dieselbe von den Städten, bei deren Namen jener Unterschied stattfindet, an, um der literalen Form an die Seite gestellt zu werden. Die Aussprache von Choraybe ist Chorêbe, die von Qarrayn ist Grên, die von Schiḥr ist Scheher, der Wâdý Mayfa῾a wird merkwürdiger Weise ganz so ausgesprochen, wie er sich auf den alten ḥimyârischen Inschriften (z. B. der von ῾Obne) findet, nämlich Mayfa῾t. Meine Gewährsmänner waren freilich wenig über die Grenzen des Wâdý Do῾ân hinausgekommen. Ein einziger war bis 3 Meilen vom Qabr Hud (dem Grabe des Propheten Hud) im Wâdý Qaçr vorgedrungen. Den mystischen Styx, den Brunnen Borhut oder Barahut, der bei den arabischen Geographen eine so große Rolle spielt, wollte Keiner von ihnen gesehen haben, auch schienen sie gelinde Zweifel über ihn zu hegen. Es waren überhaupt verhältnißmäßig aufgeklärte Männer. Einer von ihnen ist sogar Freimaurer. Ein anderer war mir im höchsten Grade interessant, indem ich nämlich aus seinen Erzählungen schließen konnte, daß er Wrede gekannt haben mußte; wenigstens erzählte er mir von einem Deutschen, der vor 27 Jahren (was genau zu Wrede’s 1843 unternommene Reise paßt) sein Vaterland, Ḥadhramaut, bereist habe, und seine Beschreibung desselben entsprach ganz dem Bilde, welches wir uns von Wrede machen.

Leider scheint der intolerante Fanatismus, der allen Europäern das Eindringen in’s Innere von Ḥadhramaut untersagt, noch heute ebenso mächtig zu sein, [466] wie zu Wrede’s Zeit. Alle die hiesigen Ḥadhramauter riethen mir auf’s Höchste ab, ihr Land zu bereisen und zwar nicht aus fanatischen Beweggründen, sondern lediglich im Interesse meiner Sicherheit. Ohne Verkleidung werde ich mich natürlich nicht dorthin wagen können. Dagegen erfuhr ich zu meiner Freude, daß die Küstenstädte Borûm, Makalla und Schiḥr jetzt den Europäern viel zugänglicher geworden seien, als sie es zu Wrede’s Zeit waren. Wrede reiste bekanntlich sehr bald nach der Einnahme ῾Aden’s durch die Engländer, und damals war der durch jenes Ereigniß angeschürte Haß gegen alle Europäer noch so mächtig, um selbst die sonst vorurtheilsfreieren Küstenbewohner zu beeinflussen. Seitdem haben die Handelsinteressen selbst mit den Engländern freundschaftlichere Beziehungen herbeigeführt. Namentlich der Naqyb, ausgesprochen Negîb (d. h. Sultan) von Makalla soll den Europäern wohlgesinnt sein. Dieser Negîb scheint ein sehr energischer Mann zu sein, sehr verschieden von demjenigen, welcher zu Wrede’s Zeit regierte. Er hat sich erst seit kurzer Zeit durch Gewalt in den Besitz von Makalla gesetzt, wo seit Wrede’s Reise schon zwei verschiedene Schattendynastien nach einander das Scepter schwangen, d. h. eigentlich nur den Herrschertitel führten, in Wahrheit aber unter dem Joch der Beduinen standen. Der jetzige Negîb heißt Çalâḥ el Kesâdy und ist nicht aus dem Lande, sondern aus Yâfi῾a, der zwischen Ḥadhramaut und Yemen gelegenen Provinz. Er hat sich nicht nur von den Beduinen unabhängig gemacht, sondern besitzt sogar eine stehende Truppe (früher in diesen Gegenden etwas Beispielloses) von 200 Negern, mit der er das umliegende Land beherrscht.

In allerneuester Zeit hat er sogar ein Unternehmen in Angriff genommen, das in der Geschichte Ḥadhramauts Epoche machen dürfte. Es klingt zwar lächerlich, wenn man von Epoche machenden Ereignissen spricht, welche mittels einer Truppe von 200 Mann bewerkstelligt wurden. Aber dennoch ist der Ausdruck beziehungsweise richtig. Denn in Ḥadhramaut, wo die Bevölkerung dünn und stehende Truppen sonst unbekannt sind, kann man selbst mit einem Häuflein von 200 Mann wichtige Eroberungskriege ausführen. Dies hat der Negîb, Çalâḥ el Kesâdy so eben gethan. Er hat nämlich einen glücklichen Kriegszug gegen den wenigstens 6 Tagereisen entfernten und durch sehr schwierige Bergpässe von Makalla getrennten Wâdý Do῾ân ausgeführt, die Stadt Choraybe (Chorêbe) eingenommen und deren Sultan (den die Ḥadhramauter wegen dieses seines Endschicksals scherzweise mit Napoleon dem Dritten vergleichen) gefangen nach seiner Hauptstadt Makalla abgeführt. Wer die Zustände, wie sie bis jetzt in Ḥadhramaut herrschten, kennt, wird dieses uns Europäern vielleicht kleinlich vorkommende Ereigniß nicht unterschätzen. Bisher hatte jede Stadt, jedes Städtchen dieses Landes seinen eigenen Sultan, der keinen Herrn de jure über sich anerkannte, aber de facto unter der Botmäßigkeit der umwohnenden Beduinen stand. Gegen diese konnte er kaum in der Stadt seine Gewalt behaupten, über deren Mauern aber ging dieselbe nie hinaus. Daß ein Sultan mit dem andern Krieg geführt hätte, war deshalb geradezu unmöglich. Nun ist dies mit einem Schlage anders geworden. Der Eroberungskrieg des Negîb von Makalla scheint in diesem sonst nur aus allerkleinsten Duodezfürstenthümern zusammengesetzten Lande, einen verhältnißmäßig nicht unbedeutenden kleinen Einheitsstaat gebildet zu haben. Ob er übrigens Choraybe behalten oder ob er den dortigen Sultan [467] als seinen Tributär wieder einsetzen wird, weiß man noch nicht. Die Araber scheinen das letztere zu glauben.

Einer meiner hiesigen Bekannten aus Ḥadhramaut knüpfte an das oben erwähnte Ereigniß für mich die Hoffnung, vielleicht unter der Aegide des Eroberers nach dem Wâdý Do῾ân reisen zu können; die nächste Zukunft wird lehren, ob er sich nicht geirrt.

Die ganze Truppe des Kesâdy ist noch mit Luntenflinten bewaffnet. Darauf bezieht sich auch das neueste Kriegslied Südarabiens, welches mit dem Vers beginnt:

Ruft den Kesâdy, ihr Volk der Feuerfäden und Lunten,
Damit er komme die Eselsköpfe zu züchtigen.

Die „Eselsköpfe“ sind natürlich die Leute von Do῾ân und Choraybe. Was sie gethan, um den Zorn des Negîb auf sich zu laden, wußten mir meine Gewährsmänner nicht zu sagen.

Ebensowenig konnte ich von ihnen über die Länder Mahra und Qâra (gesprochen Gara), welche das eigentliche Ziel meiner Reise bilden sollen, erfahren. Ein alter sonst wohlunterrichteter Mann, den ich über das Eḥkyly, die interessante altarabische Sprache jener Stämme ausfragte, behauptet sogar, die Mahriten sprächen das Somâly (die Sprache der afrikanischen Küste, Aden gegenüber). Dies ist offenbar falsch. Es ist überhaupt merkwürdig, wie schlecht die Araber oft über die ihnen zunächst gelegenen Provinzen unterrichtet sind, während sie manchmal von ferneren mehr wissen, namentlich wenn diese dem größeren Verkehr zugänglicher sind. Von ihrem Grenzland Mahra wußten diese Ḥadhramauter nichts, wohl aber waren sie über die neuesten Ereignisse des viel entfernter gelegenen ῾Omân unterrichtet. Auch dort haben seit Palgrave’s Reise schon viele Wechsel stattgefunden. Der Sultan Thowayny, den Palgrave kannte, wurde von seinem Sohne Selîm ermordet. Selîm, den England als Sultan anerkannt hatte, wurde vor zwei Jahren von seinem Schwager Ḥasan ben Qays (Ghez) entthront und dieser regierte seitdem ungestört, obgleich ihm England die Anerkennung verweigerte. Diesen Sommer ist nun in einem gewissen Sayd Tarky ein glücklicher Rival und Rebell gegen Ḥasan aufgetreten. Sayd Tarky, vom Sultan von Zanzibâr unterstützt, rekrutirte in Bombay eine kleine Armee, hielt sein Lager bis Ende August in Kohy Mobârik an der Beludschenküste und segelte dann nach Çûr beim Râs el Ḥadd (östlichstes Vorgebirge von Arabien), wo er seine Truppen landete und gegen Ḥasan führte. Dieser war zur Zeit auch wegen der Empörung des wichtigen Stammes der Na῾ym bei Biyr ῾Ayme in großer Verlegenheit. Auch der Stamm der Al Sa῾ad soll sehr unzufrieden sein. Nach den letzten Nachrichten soll Ḥasan in Person gegen Biyr ῾Ayme, und sein Chalyfa (Statthalter) gegen Sayd Tarky ausgerückt sein. Man erwartet allgemein den Fall Ḥasans und daß Sayd Tarky der künftige Souverän ῾Omân’s sein wird.