Gegenwärtiges Verhältniß der Namaqua zu den Hereró
Nach vielfachen Bemühungen ist es endlich gelungen einen – allerdings vorläufig ziemlich problematischen – Frieden zwischen den Hereró und Namaqua herbeizuführen. Mein Vater, der Missionar Hugo Hahn, lud den Häuptling der Afrikaner, den bekannten Jan Afrikander, zu einer freundschaftlichen Besprechung nach seiner Station Otyimbingué ein. Letzterer hatte sich zu Friedensunterhandlungen bereit erklärt, doch nur mit meinem Vater, da er es unter seiner Würde hielte, mit einem Hereró selbst zu verhandeln. Nach längerem Zaudern erschien Jan Afrikander im October 1869 in Begleitung seiner sechs Brüder und einer bewaffneten Schaar auf Otyimbingué und wurde in allen Ehren empfangen. Elf Tage lang verweilte er als Gast bei meinem Vater und schied alsdann mit der dringenden Bitte, daß derselbe fortan bei ihm wohnen möchte, ein Wunsch, den mein Vater jedoch aus manchen gewichtigen Gründen nicht erfüllen konnte. Derselbe Jan Afrikander hatte vor einigen Jahren geschworen, nicht eher ruhen zu wollen als bis er meinem Vater eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte. „Er schied als guter Freund“, wie mein Vater damals schrieb, „und wir hoffen, daß er es bleiben wird. Jedenfalls ist er für dieses Land der bedeutendste Mensch und hat noch große Pläne im Kopf. Wenn er in’s rechte Geleise kommt, kann er noch ein Segen für’s Land werden“. – Das Resultat der Besprechungen war, daß Jan sich an einer aus Hereró- und Namaqua-Häuptlingen zusammengesetzten Friedensconferenz zu betheiligen versprach. Es hatten sich nämlich unterdessen auch die Häuptlinge der südlichen Namaquastämme, die sich bisher neutral verhalten hatten, als Friedensvermittler angeboten und waren schon auf dem Wege nach Hereróland. Auf Okahandya, dem Platze des Hereróhäuptlings Kamahareró, trafen allmälig die Häuptlinge der Hereró und Namaqua ein. Seinem Versprechen gemäß erschien auch Jan. Mein Vater, der beiderseits ebenfalls schriftlich eingeladen war, blieb daheim, um den Verdacht zu vermeiden, daßer durch seine Gegenwart auf eine der beiden Parteien eine Pression hätte ausüben wollen. Nur für den Fall, daß die Verhandlungen zu schwierigen Verwickelungen führen sollten, wollte er seine Vermittelung anbieten. Doch wurde dieselbe nicht nöthig. Jan und Kamahareró reichten sich die Hände zur Versöhnung und letzterer ging sogar so weit, dem Jan die Mitregentschaft über seinen Stamm anzubieten und ihn feierlich als solchen vor den anwesenden Häuptlingen zu proklamiren. Dies war ein großer Fehler, wie es sich auch bald herausstellte. Kamahareró ist ein ganz unbedeutender und charakterloser Mensch. Die geistige Ueberlegenheit Jans mußte ihn bald zu seinem Sklaven machen, und die durch langjährige und blutige Siege erkämpfte Unabhängigkeit der Hereró war durch einen augenblicklichen schwächlichen und überschwänglichen Gefühlserguß ihres angesehensten Häuptlings plötzlich wieder in Frage gestellt, sobald Jan mit seiner Charge als Mitregent des Kamahareró Ernst machte. Die Zukunft mußte es bald zeigen, ob diese Befürchtungen Grund hatten. – Im April dieses Jahres (1870) mußte mein Vater eine Reise zu den Ocambó und den am Cunene wohnhaften Völkerschaften, die er schon 1866 besucht hatte, unternehmen, um eine Anzahl junger Missionare daselbst zu placiren. Vor seiner Abreise hatte er [469] Kamahareró und Jan veranlaßt eine Zusammenkunft zu halten, in welcher mit meines Vaters Hülfe das Verhältniß der beiden Regenten zu einander näher präcisirt werden sollte. Da diese Zusammenkunft jedoch zu lange aufgeschoben war und mein Vater die zum Reisen günstigste Jahreszeit nicht verstreichen lassen durfte, reiste er ab und schickte einen stellvertretenden Missionar zu Jan und Kamahareró. Diesem gegenüber erklärte Kamahareró, daß fortan er und Jan die einzigen Häuptlinge im Lande seien. Beiden gehöre jetzt das Land ungetheilt und es sollten die übrigen Hereróhäuptlinge abgesetzt und die Weißen aus dem Lande vertrieben werden. – Sofort wurden nach dieser Erklärung von Seiten der Weißen und einiger Hereróhäuptlinge meinem Vater Boten mit dieser Nachricht nachgesandt mit der Bitte schleunigst umzukehren. Da mein Vater jedoch die jungen Missionare nicht allein reisen lassen konnte, erbot sich der bekannte englische Reisende Green die Expedition in’s Innere zu dirigiren und bat meinen Vater ebenfalls im Interesse des Landes und der Europäer umzukehren. Sehr dankbar für diese edle Aufopferung Green’s reiste mein Vater sofort zurück, suchte zuerst Kamahareró auf und fragte ihn, ob es sein Ernst gewesen sei, was er in Betreff der Absetzung der Hereróhäuptlinge und der Vertreibung der Europäer gesagt habe. Kamahareró war feig genug alles zu läugnen. Darauf reiste mein Vater nach Otyimbingué und fand daselbst eine Proklamation Jan’s an die Europäer vor (meinen Vater glaubte er längst über alle Berge), worin er sich fortan als alleiniger Herrscher der vereinigten Hereró und Namaqua bezeichnete und sämmtliche Europäer aufforderte, sofort nach Empfang seiner Proklamation das Land eiligst zu verlassen. Mein Vater schrieb darauf einen längeren versöhnlichen Brief an Jan, worin er ihn darauf aufmerksam machte, daß er mit einer solchen Politik sämmtliche Hereróhäuptlinge außer Kamahareró und den größten Theil der Namaquahäuptlinge, die ihm eine solche Macht nicht gönnen würden, gegen sich aufhetzen würde. Außerdem schlug er ihn eine freundschaftliche Zusammenkunft vor. – Soweit reichen die letzten Nachrichten.