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Briegg, an der Simplonstrasse, in der Schweiz

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XLV. Tempe in Griechenland Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XLVI. Briegg, an der Simplonstrasse, in der Schweiz
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BRIEG
in der Schweiz.

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XLVI. Briegg, an der Simplonstrasse, in der Schweiz.




Alle Alpenstraßen bieten dem Reisenden den Genuß grandioser und reizender Naturscenen in Fülle dar; auf keiner indeß ist die Mannichfaltigkeit derselben so groß, der Wechsel vom Lieblichen und Gemüthlichen zum Erhabenen und Erschütternden so reich als auf der Simplonstraße, jenes Werk, das unter allen Napoleon’s seinen Riesengeist am würdigsten bezeichnet. – Der Stahlstich vor uns, der auch als Kunstwerk ungewöhnlichen Werth hat, versinnlicht von jenen Naturscenen eine der schönsten. – Wenn man von Genf her auf der Simplon-Straße, die sich bald rechts, bald links vom Strome im Rhonethal aufwärts windet, die Bäder von Leuk passirt hat, gelangt man nach Visp. Hier öffnet sich eine der schauerlichsten Aussichten das Visperthal hinauf, welches, an 3 Stunden lang, enge an [108] seiner Mündung, sich weiter hinauf erweitert und rund um mit von ewigem Schnee bedeckten Alphörnern eingefaßt ist, die in den seltsamsten Gestalten zum Himmelsgewölbe sich emporthürmen. Darunter sind einige der höchsten Kegel der Alpen: der Fletschhorn, der Matterhorn, der Cervin und der Montrosa. Von ihren Häuptern senken sich strahlende Gletscher in die Tiefe des Thals hinab, und aus ihnen brausen oder stürzen in Kaskaden zahllose Gießbäche hervor, welche, vereint, den Visp bilden, der sich da, wo ihn die Simplonstraße überschreitet, in die Rhone stürzt. Seine Wassermasse ist größer als die der Rhone selbst. Von Visp geht der Heerweg an hohen Felswänden und nahen Gletschern vorbei über die furchtbar tobende Gamsa, bei deren Brücke die Ueberreste eines Römerkastells, einst Schutz gebend gegen die, die höchsten Alpenthäler bewohnenden, unbezwinglichen Viberier, die Aufmerksamkeit fesseln. Man erreicht Glits, einen kleinen Flecken und Poststation. Gleich hinter diesem Ort, der zwischen Strom und Felswand eingeklemmt ist, wird das Rhonethal plötzlich weit und es bildet einen fast zirkelrunden Kessel von wunderbarer Schönheit; denn das liebliche Thal, in welchem, zwischen den üppigsten Feldern und Matten, Meiereien, Dörfer und Flecken malerisch liegen und in dem die Flora Italiens und alle Erzeugnisse eines südlichen Himmels vortrefflich gedeihen, ist mit Bergriesen umschlossen, auf deren breiten Rücken sich ewige Schneewüsten lagern; traulich wohnt da das üppigste, freudigste Leben neben Erstarrung und Tod! Einen der angenehmsten Blicke in dieser Landschaft gewährt der Flecken Briegg, der, zwischen Obsthainen versteckt, die Mitte des Thals einnimmt. Von da geht das Zickzack-Aufklimmen der von der Rhone sich wegwendenden Straße zum Nacken des Simplon an, welcher in schauerlicher Majestät vor den Füßen des Wanderers zu den Wolken steigt. Ungern verläßt dieser die schöne Landschaft, bald nimmt ihn die höhere Alpenregion auf, und die Natur, von Liebreiz entkleidet, tritt ihm entgegen in den ernstesten, erhabensten Gestalten.