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Lissabon (Meyer’s Universum)

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XLVI. Briegg, an der Simplonstrasse, in der Schweiz Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
XLVII. Lissabon
XLVIII. Der Giganten-Damm (The Giants’s causeway)
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LISSABON VOM FORT ALMEIDA
jenseits des Tajo

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XLVII. Lissabon.




Prächtig ist der Anblick von Neapel, Genua, Venedig; reizend und malerisch der von Stockholm und Messina; erhaben und kolossal der von Constantinopel: aber weder an Größe noch an Schönheit übertreffen sie den von Portugal’s Hauptstadt, dem Thore Europa’s. Von Almada’s Felsenbastei (dem günstigsten Standtpunkte für die Betrachtung Lissabon’s), schweift der Blick über den mäjestätisch wie ein Meer sich zwischen hohen Borden fortwälzenden Tajo, und jenseits, auf 3 Hügeln, von denen unzählige Häuserreihen nach allen Richtungen bis an’s Ufer und weit in die benachbarten Niederungen sich hinranken, thront, in malerischer Gruppirung, die Königsstadt. Sieben bis achttausend, zum Theil prächtige, Sommerwohnungen (Quinta’s), Schlösser, Kapellen und Klöster bedecken in einer Entfernung von mehreren Meilen und so weit das Auge reicht, die romantischen Ufer des Stromes, die Hügel, wie die Thäler, und die üppigste Vegetation in lachenden Gärten, in Weinpflanzungen, Oliven- und Orangenhainen, hilft, vereint mit dem tiefen reinen Blau des südlichen Himmels, ein Panorama vollenden, das den Beschauer mit Entzücken und Bewunderung erfüllt.

Glücklich der, der in diesem herrlichen Anblick ungestört schwelgen kann. Wem aber Harmonie in Wesen und Form, im Innern und im Aeußern allein reinen, dauernden Seelengenuß gibt, – ihm, dem denkenden Beschauer, dem wird bald in all dieser Herrlichkeit ein Gefühl der Trauer und des Wehes ergreifen! – Wie er in dem prachtvollen Riesenpanorama von Constantinopel, in den tausend Minarets der Moscheen und in den goldenen Kuppeln des Serails und der Kiosk’s an des Bosphorus lachenden Ufern, nur Maalzeichen sieht einer untergegangenen schöneren menschlichen [4] Kultur, nur die traurigen Symbole der Despotie und Sclaverei, des vollständigsten Sieges der List und Gewalt Einzelner über die schwache, zur Gedankenlosigkeit erzogenen rohen Menge: so kann er Lissabon nicht schauen, ohne daß ähnliche niederdrückende Empfindungen in ihm rege werden. Er gedenkt der Zeit, als Lissabon der Sitz der europäischen Kultur war, als die edelsten Eigenschaften, welche den Menschen zieren, hier, unter seinen Einwohnern, häufiger als irgendwo Ausbildung erhielten; als Heldenmuth und Vaterlandsliebe seine Bürger zu Großthaten begeisterten, als ihr Unternehmungsgeist vorher unbekannte Länder und Meere entdeckte und durchschiffte, und in den fernsten Welttheilen Königreiche dem Vaterlande zinsbar machte; – der Zeit, als das kleine Portugal in der politischen Waagschale der Reiche die Rolle Venedig’s übernahm und alle Macht in sich vereinigte, die der Besitz des Welthandels und seiner Reichthümer gewährt. – Vergleicht er das Lissabon von damals mit dem von jetzt, so gemahnt’s ihm nur noch wie ein Riesenschatten vergangener Wirklichkeit und die prachtvollen Klöster und Abteien, welche so malerisch seine Hügel zieren, erscheinen ihm wie ungeheuere Buchstaben, die, zum Worte vereint, den Fluch ausdrücken, welcher auf diesem gesegneten Lande lastet.

Ehe die Jesuiten, zwar nicht dem Namen, aber der That nach, Jahrhunderte lang Portugal’s Thron beherrschten; ehe die schlaue, tiefe, selbstsüchtige Politik dieser Priester das hochherzigste, freiheitssinnigste, unterrichtetste und gewerbfleißigste Volk in den faulsten, unwissendsten, stupidesten und bigottesten Menschenhaufen der Erde verwandelte; – damals, im sechzehnten Jahrhunderte, bedeckten 56,000 Häuser diese hesperidischen Hügel und 600,000 Einwohner belebten sie. Mit 2000 eigenen Schiffen befuhren die Lissaboner Kaufleute, reich und stolz wie Könige, alle Meere der Erde, und die Schätze und die Erzeugnisse des Portugal meist zinsbaren Indien’s und Afrika’s, die von China und Japan, fielen ihm ausschließlich zu. Die portugiesische Flagge wehete in allen Häfen, Lissabon’s Seefahrer erfüllten die Welt mit ihrem Ruhm, seine Helden stritten für des Vaterlandes Ehre in Asien und am Congo und besangen zugleich ihre und ihrer Genossen Großthaten in unsterblichen Liedern. Sprüchwörtlich war Lusitanische Hochherzigkeit und Lusitanischer Unternehmungsgeist unter allen Völkern geworden. – Zwei Jahrhunderte der Jesuiten-Erziehung genügten, um Alles dieß in Gegensätze zu verwandeln. Aus Manufakturen und Fabriken sind Klöster geworden; wo der Fleiß wohnte, haußt die Faulheit; der portugiesischen Schiffahrer Ruhm ist verschollen; Portugal’s Flagge ist unbekannt geworden auf den meisten Meeren; Indien und Afrika gehorchen Lusitanien’s Zepter nicht mehr; Lissabon selbst ist zum Theil verödet; Gärten und Parkanlagen grünen auf Marktplätzen, der Weinstock auf dem Schutte von Straßen, und die Volksmenge der Königsstadt ist unter 200,000 gesunken. Fremde Kaufleute beuten die Vortheile ihrer herrlichen Handelslage aus und die brittische Flotte wiegt sich, mit dem Stolze des Herrschers, auf des Tajo’s wogendem Busen; das Volk aber, dumpfsinnig gehorcht’s, wie eine Viehheerde, den [5] wechselnden Hirten und diese werden von der auswärtigen Diplomatie, Unmündigen gleich, am Gängelbande geleitet. – Selbst Italien bietet kein Beispiel tieferer Entwürdigung, größerer Entartung von Volk und Staat.

Kehren wir jedoch von dieser allgemeinen Betrachtung zurück zu unserm Bilde. – Almada, auf hohem Felsen, Lissabon gegenüber, ist eine Festung, welche die Hauptstadt von dieser Seite des Tajo beschützt. Der Strom, von der Rechten herkommend, ist hier ¾ Stunden breit und wälzt sich gegen die Linke hin in’s Meer. Unterhalb der Stadt gewinnt er die Breite von 1½ Meile und oberhalb erweitert er sich zu einem See, der romantische Ufer zur Einfassung hat. Nach der Mündung zu beschützen ihn mehrere Forts, St. Juliao, Torre di Bugio, St. Sebastiao; am Ende der Stadt aber das alte maurische Castell Belem. – Nur der Haupttheil Lissabon’s, der auf den 3 Anhöhen, ist im Bilde sichtbar. Auf dem Hügel links liegt das prachtvolle Kloster von Penha de França; die Spitze des zweiten bedeckt die Kirche von Nossa Senhora de Monte; vom Rücken des äußersten rechten Hügels schimmern die Thürme von St. Vinzente, der prächtigen Basilika, in welchem die Leiber der lusitanischen Könige ruhen. Etwas weiter unten, in derselben Richtung, sind die 2 Thürme der Cathedrale kenntlich; noch tiefer, an der äußersten Spitze, die Gebäude, welche den großen Commerzplatz umgeben, den schönsten Lissabon’s, geziert durch die prachtvolle Börse, das Zollhaus und das Arsenal. Unter den 350 Kirchen und 50 Klöstern (letztere zum Theil magnifik von stadtgroßem Umfange), zeichnet sich die uralte Patriarchalkirche, die mit verschwenderischer Pracht, aber geschmacklos, gebaut ist und unermeßliche Schätze an Kunstgegenständen, Reliquien und Kostbarkeiten bei einem königlichen Einkommen von 700,000 Thalern besitzt und die weniger große, aber weit schönere sogenannte neue Kirche, aus. – Palläste gibt es wenige und diese sind mehr wegen ihres großen Umfangs, als um ihres Styls bemerkenswerth. – Lissabon’s Lage ist nach allen Seiten hin offen, die meisten Straßen der Stadt sind uneben, ungerade, oft mit Gärten und Weinbergen unterbrochen; die Häuser sind hoch und haben ein finsteres, ungefälliges, oft verfallenes, keinesweges eine Königsstadt andeutendes Ansehen. Die ansehnlichsten Straßen laufen am Tajo hin. Hier wohnen die fremden Kaufleute; sie bilden den Mittelpunkt des Verkehrs. – Der schönste Stadttheil ist O Meja, derjenige, welcher nach dem Erdbeben vom 1. Nov. 1755 auf den Trümmern von 16,000 Häusern, welche 30,000 Menschen erschlugen, neu gebaut wurde. Er hat gerade und regelmäßige Straßen, meistens schöne, nicht zu hohe Häuser und große Plätze, unter denen sich der genannte Commerzplatz (auf welchem ebenfalls der, durch das Erdbeben eingestürzte, königliche Pallast stand) und der berüchtigte Roccio auszeichnet. Dieser, ein 1800 Fuß langes und 1400 Fuß breites Viereck, war der Ort, auf dem die Jesuiten durch die sogenannte heilige Inquisition vor dem verblendeten, dummen Volke jene gräßlichen Schauspiele aufführten, [6] die unter dem Namen AUTO DA FÉ’S das schwärzeste Blatt in der Geschichte des Pfaffenthums bilden. Hier brachte man Menschenopfer dem Gott der Liebe und Barmherzigkeit und noch bei Menschengedenken rauchten auf offnem Markte, im civilisirten, christlichen Europa, jene Altäre des scheuslichsten Götzendienstes. Erst der Blitzstrahl der französischen Revolution stürzte sie nieder. – Aber wenig hat gefehlt, so hätte die Menschheit die Schmach erlebt, sie in unsern Tagen wieder aufgerichtet zu sehen durch einen Fürsten, der mit dem lauten und stillen Beifall vieler andern Mächtigen, den Mordstahl gegen seinen Bruder erhob, Portugal in Blut ersäufte, die edelsten Männer der Nation in den Gefängnissen würgte; einen Fürsten, der mit Neronischer Grausamkeit und der Ruchlosigkeit eines Galba die Tigerarglist eines Tiber in sich vereinigt. Don Miguel, der hohe Schützling, hatte bereits die Jesuiten wieder herbeigerufen und war schon im Begriff, auch die Inquisition wieder einzuführen, als ihn, nicht das portugiesische, dumpfsinnig sich Schlächtern und Pfaffen hingebende Volk, sondern das Schwert der auf Portugal’s Boden für Volksfreiheit Kampf suchenden Polen, Britten, Deutschen, Belgier und Franzosen aus dem Lande jagte. – Möge das Licht, welches in Don Pedro’s hochherzigen und heldenkühnen Reformen über Portugal dämmert, einen langen heitern Tag für dasselbe verkündigen, und keine schnell wieder erlöschende Flamme seyn, oder gar das Feuerzeichen eines neuen Brandes werden, der Land und Volk vollends verzehrt. –

Zwar nicht auf unserm Bilde zu sehen, aber das grandioseste und zugleich nützlichste Werk, womit die Baukunst die Königsstadt ziert, ist die berühmte Wasserleitung, welche Lissabon mit Trinkwasser versorgt. Sie führt dasselbe von einem Berge auf 35 Bögen von Marmor, deren höchster sich 230 Fuß vom Grunde erhebt, über das Thal von Alcantera nach dem obern Theile der Stadt. Ihre Länge beträgt zwei Stunden. Sie ist ein Werk, das sich den stupendesten Bauten der alten Römer an die Seite stellen darf. Selbst bei dem großen Erdbeben brach es nicht, obschon sich mehre Bögen unter der wellenförmigen Bewegung der Erde senkten. – Das Werk ist die Zierde der Regierung Johann V.; vollendet ward’s 1743.