Charon oder die Weltbeschauer
1. Merkur. Ah, Charon, bist du da? Was lachst du? Was trieb dich, deinen Nachen im Stiche zu lassen, und auf die Oberwelt zu kommen? War es doch bis auf diesen Tag nicht leicht deine Sache, dich hier oben umzutreiben.
Charon. Ich habe Lust bekommen, Merkur, zu sehen, wie es in der Welt aussieht, was die Menschen hier treiben, und was das für Dinge sind, deren Verlust Alle beklagen, [306] wenn sie zu uns kommen. Denn bis jetzt habe ich Keinen derselben übergefahren, der nicht Thränen vergossen hätte. Da machte ich’s denn, wie jener junge Thessalier (Protesilaus), und erbat mir auf einen einzigen Tag Urlaub, verließ meinen Kahn und stieg an’s Licht herauf. Und nun begegnest du mir wie gerufen. Denn du bist hier allenthalben wohl bekannt, und wirst also, wie ich hoffe, mich Fremdling herumführen, und mir alles Sehenswürdige zeigen.
Merkur. Wenn ich nur Zeit, hätte, lieber Fährmann! Aber ich bin eben auf dem Wege, dem obern Jupiter ein Geschäftchen, in menschlichen Angelegenheiten, auszurichten. Jupiter ist hitzig, und da fürchte ich, wenn ich mich verspätete, er möchte mich vollends ganz zu dem Eurigen machen und in die Finsterniß verbannen, oder, wie er es neulich dem Vulcan machte, an der Ferse mich fassen und über die heilige Himmelsschwelle schleudern,[1] damit ich der zweite lahme Mundschenk wäre, der sich auslachen lassen muß.
Charon. Du wirst doch deinen alten Freund, deinen Schiffskameraden, deinen Kollegen im Todtenführeramte, nicht so auf’s Gerathewohl auf der Erde herumirren lassen? Es wäre doch nicht schön von dir, Sohn der Maja, wenn du vergessen hättest, daß ich dich noch nie Wasser schöpfen oder rudern geheißen habe. Während ich alter Mann ganz allein mit beiden Rudern zugleich arbeite, liegst du mit deinen breiten Schultern auf dem Verdecke ausgestreckt und schnarchest, oder plauderst während der ganzen Ueberfahrt, wenn du irgend einen Schwätzer unter den Schatten antriffst. [307] Hörst du, liebstes Merkurchen, laß mich nicht im Stiche, ich bitte dich um deines Vaters willen; führe mich allenthalben herum in der Welt, damit ich doch auch etwas gesehen habe, wenn ich wieder nach Hause komme. Denn wenn du von mir gehst, ist mir’s, als ob ich stockblind wäre. Gerade wie die Leute, wenn sie in unsere Finsterniß kommen, unsichern Trittes herumtappen, so geht es mir hier am Sonnenlicht: es blendet mich zu sehr. Thu mir also immer den Gefallen, lieber Cyllenier; ich werde dir ewig dafür dankbar seyn.
2. Merkur. Das Ding wird mir übel bekommen: ich sehe voraus, der Lohn dieses Herumführens wird in Ohrfeigen bestehen. Doch – sey’s d’rum! Wenn man von einem so guten Freunde genöthigt wird, was will man machen? Daß ich dir aber Alles, Stück für Stück, zeige, ist eine Unmöglichkeit, lieber Fährmann. Dazu wäre ein Aufenthalt von vielen Jahren erforderlich, und inzwischen würde mich Jupiter wie einen entlaufenen Sklaven durch öffentlichen Ausruf erfragen lassen. Und du selbst wärest abgehalten, dein Leichenamt zu verwalten: Pluto’s Reich käme zu Schaden, wenn du ihm in so langer Zeit keine Todten zuführtest; und wie ungehalten würde der Zolleinnehmer Aeacus werden, wenn ihm kein Obolus mehr eingienge? Wir wollen also nur darauf denken, wie du das Hauptsächlichste, was es hier oben giebt, zu sehen bekommest.
Charon. Siehe du selbst, wie das am besten zu machen ist: ich bin fremd, und weiß hier oben keinen Bescheid.
Merkur. Das Ganze ist: wir brauchen einen hohen Standpunkt, von welchem aus du Alles überschauen kannst. [308] Wenn du freilich den Himmel besteigen dürftest, so wären wir aller Mühe überhoben: denn von da könntest du, wie von einer Warte, das Ganze genau betrachten. Allein, da du stets mit den Schatten der Todten verkehrest, so ist dir nicht erlaubt, Jupiter’s Himmelsburg zu betreten; und so bleibt uns nichts übrig, als nach irgend einem hohen Berge uns umzusehen.
3. Charon. Du weißt, Merkur, was ich euch zu sagen pflege, wenn wir auf dem See sind? Wenn da ein Windstoß schief in das Segel fährt, und die Wellen hoch gehen, so schreit ihr, die ihr doch von der Sache nichts verstehet, der Eine, ich soll das Segel einziehen, ein Anderer, ich soll es weiter auslassen, wieder ein Anderer, man müsse vor dem Winde fahren. Da ermahne ich euch jedesmal zur Ruhe: ich müsse am besten wissen, was zu thun sey. So thue nun auch du, was du fürs Beste hältst: du bist jetzt mein Steuermann; und ich werde, wie ein Passagier soll, stille und bescheiden dasitzen und mich in Allem deinen Anordnungen fügen.
Merkur. Vernünftig gesprochen: denn ich werde am besten wissen, was zu thun ist, und bald einen bequemen Standpunkt ausfindig gemacht haben. – Laß einmal sehen, ob wir den Caucasus dazu brauchen können – oder wäre der Parnassus höher? Oder ist der Olymp höher als beide? Halt – beim Olympus fällt mir etwas ein, das nicht uneben seyn sollte. Aber du müßtest mir ein bischen Hand anlegen helfen.
Charon. Befiehl nur: ich will thun, was ich kann.
[309] Merkur. Der Dichter Homer sagt, die beiden Söhne des Alòeus (Otus und Ephialtes), also auch nur ihrer zwei, hätten einmal, wiewohl sie noch Knaben waren, den Ossa aus seinen Grundvesten reißen und ihn auf den Olymp, und oben drauf noch den Pelion setzen wollen, in der Meinung, daß dieß eine hinreichende Treppe seyn würde, um in den Himmel zu gelangen. Nun freilich, diese beiden Jungen mußten ihr Beginnen schwer büßen, denn ihre Absicht war frevelhaft. Wir beide aber, die wir nichts zum Nachtheile der Götter dabei im Sinne haben, warum sollten wir nicht auf dieselbe Weise etliche Berge auf einander wälzen und uns einen hohen Standpunkt errichten, der uns eine vollständigere Aussicht gewährt?
4. Charon. Aber werden wir beide auch im Stande seyn, den Pelion oder den Ossa in die Höhe zu heben?
Merkur. Warum denn nicht? Meinst du denn, wir wären schwächer als jene beiden Knäblein, da wir doch Götter sind?
Charon. Das nicht: allein das Unternehmen wäre ein so starkes Stück Arbeit, daß ich die ganze Sache nicht glauben kann.
Merkur. Du bist freilich kein Gelehrter, lieber Charon, und durchaus nicht von poetischem Schlage. Der Kraftmann Homer hingegen hat uns mit zwei einzigen Versen den Himmel ersteigbar gemacht: so leicht wurde es ihm, Berge auf Berge zu thürmen. Ich verstehe nur nicht, wie dir das so unbegreiflich vorkommt, da dir doch gewiß bekannt ist, daß der einzige Atlas den ganzen Himmel, sammt uns Olympiern allen, auf seinen Schultern hat? Ohne Zweifel hast [310] du auch gehört, wie mein Bruder Hercules sich einst unter diese Last gestellt hat, um jenen Atlas auf eine Weile abzulösen und sich erholen zu lassen?
Charon. Gehört habe ich es wohl, Merkur: ob es aber wahr ist, werdet ihr, du und die Dichter, wissen.
Merkur. Die lautere Wahrheit, guter Charon. Warum sollten denn so weise Männer uns Lügen berichten? – Also, wohlan, laß uns zuerst den Ossa aus dem Grunde heben, wie uns der Gesang des großen Baumeisters Homer anweist,
– – – – dann auf den Ossa
Pelion’s Waldgebirg[2]
emporthürmen. – Siehst du, wie leicht und poetisch wir damit zu Stande gekommen sind? – Nun will ich hinaufsteigen und sehen, ob es hoch genug ist, oder ob wir noch darauf bauen müssen. –
5. O wehe! wir sind noch weit unter dem Himmel! Gegen Morgen wird kaum Ionien und Lydien sichtbar; auf der Abendseite sieht man nicht über Italien und Sicilien hinaus; gegen Mitternacht sehe ich blos bis an die Donau, und hier vor uns nur bis Creta, und das nicht ganz deutlich. Wir müssen auch noch den Oeta herbeischaffen, lieber Fährmann, und auf die andern Berge alle den Parnassus oben auf stellen.
Charon. Machen wir es so! Nur siehe zu, daß unser Werk, wenn wir es über alle Gebühr in die Höhe strecken, nicht am Ende baufällig wird, und wir nicht sammt [311] demselben zu Boden stürzen, wo alsdann unsere zerschellten Köpfe einen traurigen Beweis liefern würden, wie Homer zu bauen versteht.
Merkur. Sey ohne Sorgen. Es wird Alles ganz gefahrlos ablaufen. Bring den Oeta herüber – jetzt den Parnassus draufgewälzt! Siehst du, ich steige hinauf. – Herrlich! ich sehe Alles. Komm du nun auch herauf!
Charon. Reiche mir die Hand, Merkur! Es ist ein ansehnliches Gerüstchen, das ich besteigen soll.
Merkur. Wenn du Alles sehen willst, Charon, so mußt du dir nichts daraus machen. Man kann nicht zugleich sehlustig seyn, und immer auf dem sichern Boden bleiben wollen. – Halte mich nur fest an der Hand, und nimm dich in Acht, daß du auf keine schlüpfrige Stelle geräthst! – Schön! nun bist du ja auch oben! – Weil der Parnaß zwei Gipfel hat, so wollen wir Jeder von einer dieser Spitzen Besitz nehmen, und uns auf denselben niederlassen. Schau nun rings um dich her, und betrachte dir Alles der Reihe nach.
6. Charon. Ich sehe viel Land, und einen großen See um dasselbe her und Berge und Ströme noch größer, als der Kocyt und Pyriphlegethon, und winzige Menschlein, und eine Art Löcher oder Höhlen, in denen sie wohnen.
Merkur. Das sind Städte, was du für Höhlen hältst.
Charon. Weißt du auch, Merkur, daß wir nun erst nichts ausgerichtet haben? daß wir den Parnaß sammt dem castalischen Brunnen und den Oeta und alle die anderen Berge vergebens von der Stelle schafften?
Merkur. Wie so?
[312] Charon. Ich sehe von dieser Höhe nichts deutlich genug: ich sollte nicht blos Städte und Berge, wie in einem Gemälde vor dem Auge haben, sondern möchte die Menschen und ihr Treiben selbst betrachten, und hören, was sie reden. Wie zum Beispiel vorhin, als du mich antrafst, da ich eben lachte, und du mich fragtest, warum ich lache, da hatte ich eben etwas gehört, was mir überaus lustig vorkam.
Merkur. Und was war das?
Charon. Es ward einer von einem seiner Freunde auf den folgenden Tag eingeladen, mit ihm zu speisen. „Ich werde unfehlbar erscheinen,“ war die Antwort. Kaum hatte er das gesagt, als – der Himmel weiß wie – ein Ziegel vom Dache fiel, und ihn erschlug. Da mußte ich lachen, daß der Mann sein Versprechen so schlecht erfüllte. – Ich werde mich also wohl weiter herunter begeben müssen, um Alles besser zu sehen und zu hören.
7. Merkur. Bleib ruhig sitzen. Auch für dieses Uebel weiß ich ein Mittel. Homer hat eine Zauberformel, die auch in diesem Falle hilft, und mit welcher ich dir auf der Stelle das schärfste Gesicht geben kann. Stelle dir nur, wenn ich die Worte spreche, recht deutlich vor, deine Blödsichtigkeir wäre verschwunden, und du sehest alles auf’s Klarste.
Charon. Sprich nur!
Merkur.Auch entnahm ich den Augen die Finsterniß, welche sie deckte;
Daß du wohl erkennest den Gott und die sterblichen Menschen.[3]
[313] Charon. Was ist das?
Merkur. Siehst du nun?
Charon. Ach unübertrefflich! Der berühmte Lynceus war blind gegen mich. Erkläre mir nun sogleich Alles, was ich sehe, und antworte mir auf meine Fragen. Erlaubst du mir aber, diese Fragen mit Homerischen Worten zu thun, damit du dich überzeugest, daß ich mit dem Dichter so unbekannt nicht bin?
Merkur. Wie wärest denn du zu dieser Bekanntschaft gekommen, ein Mann, der nie seinen Nachen und seine Ruderbank verließ?
Charon. Siehst du, wie geringschätzig du von meinem Geschäfte denkst! Als Homer gestorben war, und ich ihn überführte, hörte ich ihn Vieles declamiren und singen, wovon mir noch Manches im Gedächtniß geblieben ist. Wir wurden damals von keinem geringen Sturm überfallen. Denn Homer hatte einen Gesang angestimmt, der für Schiffende nicht von der besten Vorbedeutung war, wie nämlich Neptun die Wolken zusammengetrieben, und das Meer mit seinem Dreizack, wie mit einer Kelle aufgewühlt, und alle Sturmwinde in Bewegung gesetzt habe, und dergleichen mehr: wie er so das Meer in seinen Versen durcheinander rührt, stürzt sich ein so gräßlicher Sturm aus einer finstern Wetterwolke auf uns, daß unser Schifflein am Umschlagen war. Da ward Homer seekrank, und gab mehrere seiner Rhapsodieen samt der Scylla, Charybdis und dem Cyclopen von sich.
Merkur. Aus diesem reichlichen Ergusse war es nun freilich nicht schwer, Einiges zu behalten.
[314] 8. Charon. Sage mir also:
Wer ist der Sterbliche dort, dickleibig, groß und gewaltig,
Höher denn alles Volk an Haupt und mächtigen Schultern?[4]
Merkur. Das ist der Athlete Milo aus Croton: eben klatschen ihm die Griechen Beifall zu, weil er einen Ochsen auf seinen Schultern mitten durch das Stadium trug.
Charon. Aber wie viel größern Beifall werde ich verdienen, Merkur, der ich dir nun nächstens diesen Milo selbst auspacken und in meine Fähre legen werde, wenn er überwältigt von dem unbezwinglichsten aller Gegner, dem Tod, bei uns erscheinen wird, ohne begreifen zu können, wie Jener ihm ein Bein unterschlagen konnte? Das wird ein Jammer seyn, wenn ihm dieß Beifallklatschen und seine Siegerkränze einfallen werden! Jetzt freilich, so lange er sich wegen seines Ochsentragens anstaunen läßt, bildet er sich gewaltig viel ein. Sollte man wirklich glauben, Merkur, diesem Mann könne der Gedanken kommen, daß er einmal sterben werde?
Merkur. Wie wäre es auch möglich, in dieser kräftigen Blüthe an den Tod zu denken?
Charon. Laß ihn! Er wird uns bald genug was zu lachen geben, wenn er keine Mücke mehr, geschweige einen Ochsen zu tragen im Stande seyn wird. Aber sage mir nun auch, wer der majestätische Mann dort ist? Seinem Gewande nach ist er kein Grieche.
[315] 9. Merkur. Das ist Cyrus, des Cambyses Vater, der die Herrschaft, welche die Medier so lange besessen, auf die Perser gebracht, erst kürzlich die Assyrer besiegt, und Babylon erobert hat. Und nun ist er, wie es scheint, im Begriffe, nach Lydien zu ziehen, um mit Ueberwindung des Crösus Herr von ganz Asien zu werden.
Charon. Crösus? wo ist denn der?
Merkur. Siehst du dort unten die große Festung mit der dreifachen Mauer? Das ist Sardes: dort sitzt Crösus, wie du siehst, auf einem goldenen Stuhle und spricht eben mit Solon aus Athen. Wollen wir hören, was sie sprechen?
Charon. Recht gerne!
10.„Crösus. Du hast nun meinen Reichthum gesehen,
„Athenischer Fremdling, meine Schatzkammern,
„die ganze Menge ungeprägten Goldes, die ich besitze,
„und alle meine übrigen Kostbarkeiten – nun
„sage mir, welchen hältst du unter allen Sterblichen
„für den Glücklichsten.“
Charon. Was wird Solon hierauf antworten?
Merkur. Sey ohne Sorgen: gewiß nichts Gemeines.
„Solon. O Crösus! die Glücklichen sind selten.
„Von denen, die ich kenne, schienen mir Cleobis
„und Biton es am meisten geworden zu seyn, die
„beiden Söhne der argivischen Priesterin.“
Charon. Ach, er spricht von den beiden Jünglingen, die neulich zu gleicher Zeit starben, nachdem sie sich vor den Wagen ihrer Mutter gespannt, und sie bis vor den Tempel gezogen hatten.
[316]
„Crösus. Mögen denn diese die ersten unter den
„Glücklichen seyn! Wer wäre aber der Nächste nach
„ihnen?“
„Solon. Tellus, ein Bürger aus Athen: dieser
„starb nach einem glücklichen Leben den Tod für’s
„Vaterland.“
„Crösus. Wie? und ich? Unverschämter? ich gelte
„dir nicht für glücklich?“
„Solon. Das weiß ich nicht, Crösus, so lange du
„das Ende deines Lebens nicht erreicht hast. Der
„Tod ist die sicherste Probe in dieser Sache: ob Einer
„bis zu diesem letzten Augenblicke glücklich geblieben,
„darauf kommt es an.“
Charon. Brav, Solon, daß du auch unser nicht vergessen hast, und die Entscheidung über jene Frage auf meine Fähre ausgesetzt seyn lässest!
11. Was sind aber das für Leute, die Crösus jetzt aussendet, und was tragen sie denn auf ihren Schultern?
Merkur. Goldene Ziegel sind’s, die er dem delphischen Gott als Weihgeschenk für die Orakelsprüche überschickt, die ihn nächstens zu Grunde richten werden. Denn auf Prophezeihungen hält der Mann über die Maaßen viel.
Charon. Jenes blaßgelbe, ins röthliche spielende Ding also, das so hell glänzt, ist Gold? Nun seh’ ich doch einmal, wovon ich so viel reden höre.
Merkur. Ja, Charon, Gold ist sein vielbesungener Name: alle Welt streitet sich um seinen Besitz.
Charon. Und gleichwohl sehe ich nicht, was es für einen besondern Vorzug haben soll: es müßte denn das dafür [317] gelten, daß es diejenigen, die es tragen, tüchtig beschwert.
Merkur. Du weißt also nicht, wie viele Kriege um seinetwillen geführt, hinterlistige Plane geschmiedet, falsche Eide geschworen, Räubereien und Mordthaten verübt werden, und wie viele Menschen durch seine Schuld Ketten tragen? weißt nicht, daß um dieses Metalles willen die Sterblichen Handel treiben, in entlegene Meere schiffen, und in Sklaverei gerathen?
Charon. Wie, Merkur, um eines Metalles willen, das sich doch nur so wenig vom Kupfer unterscheidet? Denn das Letztere kenne ich gut, da ich, wie du weißt, einen Obolus als Fährlohn von jedem Ueberfahrenden beziehe.
Merkur. Weil es Kupfer in Menge giebt, bemüht man sich nicht sonderlich darum. Aber dieses Metall gräbt man aus tiefen Schachten und nur in geringer Menge – freilich auch nur aus der Erde, wie das Blei und andere Metalle.
Charon. O aber die große Thorheit, in eine schwere Masse von hellgelber Farbe verliebt zu seyn!
Merkur. Solon dort ist es nicht, wie du siehst. Er lacht über Crösus und den dummen Stolz des Barbaren. Eben will er, wie mir scheint, eine Frage an ihn thun. Wir wollen hören.
12.„Solon. Sage mir doch, Crösus, glaubst du
„denn, daß Apollo dieser Ziegel bedürfe?“
„Crösus. Allerdings. Denn in ganz Delphi besitzt
„er kein Weihgeschenk von diesem Werthe.“
[318]
„Solon. Du glaubst also diesen Gott glücklich zu
„machen, wenn er unter andern Kostbarkeiten auch
„goldene Ziegel besäße?“
„Crösus. Wie sollte ich nicht?“
„Solon. Da setzest du eine große Armuth im Himmel
„voraus, Crösus, wenn du meinst, man müsse
„dort, wenn man Gold haben wolle, dasselbe aus
„Lydien holen lassen.“
„Crösus. Wo fände sich auch Gold in solcher Fülle,
„wie bei uns?“
„Solon. Sage einmal, giebt es auch Eisen in Lydien?“
„Crösus. Nicht sehr viel.“
„Solon. So geht euch gerade das vornehmste Metall
„ab.“
„Crösus. Wie? Eisen wäre edler als Gold?“
„Solon. Wenn du nicht böse werden willst über meine
„Fragen, so sollst du dich gleich davon überzeugen.“
„Crösus. Frage immerhin.“
„Solon. Wer ist der Vornehmere, der Beschützer,
„oder der Beschützte?“
„Crösus. Versteht sich, der Beschützer.“
„Solon. Wenn nun Cyrus, wie verlauten will,
„einen Angriff auf Lydien machen wird, wirst du
„deinen Soldaten goldene Säbel machen lassen, oder
„dich dazu des Eisens bedienen müssen?“
„Crösus. Des Letzteren allerdings.“
„Solon. Wenn du dir also kein Eisen zu verschaffen
„wüßtest, so würde dein Gold als Beute zu
„den Persern wandern?“
[319]
„Crösus. Das wolle Gott verhüten!“
„Solon. Ferne sey es immer! Aber wirst du nun
„zugeben, daß Eisen das Bessere ist?“
„Crösus. Wie? Du wärest also der Meinung, ich
„sollte dem delphischen Gotte eiserne Ziegel zum
„Geschenke machen, und meine goldenen wieder holen
„lassen?“
„Solon. Apoll bedarf des Eisens eben so wenig.
„Magst du Gold oder ein anderes Metall nach Delphi
„stiften, so wird es nur für die Phocenser,
„Böotier oder Delphier selbst, oder irgend einen
„Despoten oder Räuber eine willkommene Beute
„seyn: der Gott wird sich wenig um die Arbeit deiner
„Goldschmiede bekümmern.“
„Crösus. Immer ziehst du doch gegen meine Schätze
„zu Felde, aus Neid, wie mich dünkt.“
13. Merkur. Hörst du, Charon? die Freimüthigkeit und Wahrheit in diesen Aeusserungen ist dem Lydier unerträglich: es dünkt ihn gar zu seltsam, daß ein armer Kerl sich vor ihm nicht duckt, sondern frei heraussagt, was ihm auf die Zunge kommt. Aber er wird sich bald genug wieder des Solon erinnern, wenn er als des Cyrus Gefangener auf dessen Befehl auf den Scheiterhaufen gelegt werden wird. Ich habe nämlich die Clotho neulich in dem Buche des Schicksals lesen gehört; und da kam denn unter Anderem auch vor, Crösus werde von Cyrus gefangen genommen, Cyrus aber von jenem Massagetischen Weibe umgebracht werden. Du siehst sie doch, die Scythin auf dem weißen Pferde dort?
Charon. Recht gut sehe ich sie.
[320] Merkur. Das ist Tomyris. Diese wird dem Cyrus den Kopf abhauen, und in einen mit Blut gefüllten Schlauch werfen. Siehst du auch den Jüngling dort, den Sohn des Cyrus? das ist Cambyses. Dieser wird dem Vater in der Regierung nachfolgen, und nach tausend Unfällen in Libyen und Aethiopien, sein Leben endlich im Wahnsinn enden, weil er den Apis getödtet hat.
Charon. O der närrischen Geschöpfe! Wer kann aber den Hochmuth ansehen, mit welchem sie heute auf alle Andern herabschauen? Und wer sollte glauben, daß der Eine in Kurzem ein Gefangener seyn, der Andere seinen Kopf in einem Schlauche voll Blut stecken haben werde?
14. Wer ist aber jener Mann, Merkur, in dem Purpurmantel mit der goldenen Spange, und mit dem Diadem auf dem Haupte, dem sein Koch einen Ring überreicht, den er so eben beim Aufschneiden eines Fisches gefunden,
Dort auf umflutheter Insel, ein König rühmt er zu seyn sich?[5]
Merkur. Schön homerisirt, lieber Charon! Der Mann, den du siehst, ist Polycrates, Herr von Samos. Er hält sich für vollkommen glücklich: allein der Aermste wird mit Einem Male von der Höhe seines Glücks herabstürzen: sein Sclave, der dort neben ihm steht, Mäandrius, wird ihn an den Satrapen Orötes verrathen, und von diesem wird er an’s Kreuz geschlagen werden. Auch dieses habe ich von der Clotho gehört.
[321] Charon. Brav, vortreffliche Clotho, herzhaft die Kerls gekreuzigt! die Köpfe ihnen abgehauen! Sie sollen erfahren, daß sie Menschen sind! Bis dahin mögen sie immer höher stehen als Andere; ihr jäher Sturz wird dann nur um so erbärmlicher seyn. Habe ich sie nur einmal in meinem Nachen, wie ich sie auslachen will! Ich werde Jeden von ihnen wieder erkennen, so nackt und bloß sie erscheinen werden nach Zurücklassung ihrer Purpurmantel, Diademe und goldenen Stühle.
15. Merkur. Das wird das Schicksal dieser Großen seyn. Sieh’ aber nun auch diese übrige Menschenmenge, Freund Charon, hier diese Seefahrer, dort jene streitenden Kriegsheere; da Leute, die sich vor Gericht herumzanken, dort Arbeiter auf dem Felde; hier reiche Wechsler, dort Bettler.
Charon. Welch buntes, verwirrtes Gewimmel! Diese Städte kommen mir vor wie Bienenstöcke, wo Jeder seinen eigenen Stachel hat, und seinen Nachbar zu stechen sucht. Einige wenige gleichen den Wespen: sie fallen über den Schwächern her und plündern ihn aus. Ein Schwarm kaum sichtbarer Nebelgestalten umflattert beständig diese Menge: was sind das für Wesen, Merkur?
Merkur. Dieß sind die Hoffnungen, Charon, die Besorgnisse, die Thorheiten, die Lüste, die Geldsucht, der Zorn, der Haß und andere Genien dieser Art. Die meisten von ihnen, als: die Thorheit, der Haß, der Zorn, die Eifersucht[WS 1], die Unwissenheit, die Rathlosigkeit, die Geldsucht, haben sich unter den Menschen niedergelassen, und leben in wahrer Staatsgemeinschaft mit ihnen: die Furcht aber und die Hoffnungen [322] schweben über ihren Häuptern; so oft sich jene auf einen Sterblichen wirft, bringt sie ihn ausser Fassung, oder drückt ihn bisweilen gänzlich zu Boden: Die Hoffnungen hingegen flattern immer ganz nahe um ihre Köpfe; sobald aber einer sie zu fassen glaubt – flugs sind sie davon, und der Mensch steht da mit offenem Munde, wie Tantalus bei euch in der Unterwelt an der Quelle.
16. Wenn du deine Sehkraft etwas anstrengen willst, so wirst du auch die Parzen über ihnen erblicken, wie sie Jedem an seiner Spindel das zarte Gespinnste zuspinnen, an welches sein Daseyn geknüpft ist. Siehst du nicht, daß feine Fäden, wie die eines Spinnengewebes, auf sie herunterlaufen?
Charon. Wohl sehe ich, daß unendlich zarte Fäden in großer Menge hier Einen und dort Einen umschlingen.
Merkur. Ganz richtig, Fährmann. Wenn nun Einer so angekettet ist, so deutet dieß das Verhängniß an, daß Einer von der Hand des Andern das Leben verlieren, oder daß der, dessen Faden länger ist, den Andern beerben werde. Du siehst aber, an was für dünnen Fädchen Alle hängen. Da wird Einer in die Höhe gezogen, und ragt über alle Andere hervor; der Faden aber, der zu schwach für das Gewicht ist, reißt ab, und der Mensch stürzt mit um so größerem Getöse, je höher er gehangen hatte. Ein Anderer, der nur wenig über die Erde gehoben worden war, fällt so geräuschlos, daß sein Fall kaum von den Nachbarn vernommen wird.
Charon. Schnakische Dinge das!
17. Merkur. Wahrhaftig guter Charon, du würdest keine Worte finden, das Lächerliche der eiteln Bestrebungen [323] zu schildern, in welchen die Menschen sich abmühen, während sie doch unser guter Freund Thanatos (Tod) oft mitten aus ihren Planen und Wünschen davon führt. Indessen hat er, wie du siehst, der Diener und Boten genug, die ihn melden, kalte und hitzige Fieber, Schwindsucht, Lungenentzündung, Gift, Schwert, Räuber, Richter und Tyrannen. An alles das denken sie nicht, so lange sie’s gut haben und wohl sind: so wie sich aber ein Unfall einstellt, so ist des Ach und O, des Heulens und Wehklagens kein Ende. Bedächten sie gleich anfangs, daß sie sterblich sind, und nach einem kurzen Besuch in diesem Leben gleich Reisenden, wieder wie aus einem Traume, mit Zurücklassung aller Erdendinge, davon müssen, so betrügen sie sich vernünftiger im Leben, und stürben mit größerer Ruhe. Nun aber, da sie meinen, wie sie es jetzt haben, so soll es immer seyn, sind sie untröstlich, wenn ein Todesbote zu ihnen tritt, um sie mit der Auszehrung oder einer Lungenkrankheit zu binden und von dannen zu führen. Das macht, sie hatten sich’s nicht gedacht, daß sie weggerafft werden könnten. Was würde jener arme Schelm, der jetzt mit allem Eifer sich ein neues Haus baut und die Arbeiter so emsig antreibt, machen, wenn man ihm sagte, daß er zwar die Beendigung desselben erleben würde, aber wenn er kaum das Dach darauf gesetzt hätte, sterben, und seinem Erben den Besitz desselben hinterlassen müsse, ohne auch nur ein einzigesmal darin gespeist zu haben? Jener dort, der sich freut, daß ihm seine Gattin einen Sohn geboren, der deswegen seinen Freunden ein Gastmahl giebt, und den Knaben nach seinem Namen nennt, meinst du wohl, er würde sich so sehr über dessen Geburt [324] freuen, wenn er wüßte, daß ihm nach sieben Jahren das Kind schon wieder sterben soll? Der Grund seiner Freude ist der, daß er nur auf jenen glücklichen Vater sieht, dessen Sohn als Ringer in Olympia den Preis davon getragen, daß er hingegen den Nachbar, der eben sein Knäbchen zu Grabe trägt, nicht bemerkt, und nicht weiß, an welch kurzem Fädchen das Leben des seinigen hängt. Und wie Viele siehst du hier, die wegen der Grenzen ihrer Besitzungen im Streite liegen, oder solche, die Gold und Silber zusammenhäufen: ehe sie anfangen, ihre Güter zu genießen, erscheinen jene Boten des Todes, und rufen sie ab.
18. Charon. Ich sehe das Alles, und denke eben darüber nach, worin denn eigentlich das Angenehme, das dieses Leben für sie hat, bestehe, und was denn das seyn könne, dessen Verlust sie so unglücklich macht. Betrachten wir ihre Könige, welche für die Glücklichsten unter ihnen gelten, so ist, abgesehen von dem Unbeständigen und Zweideutigen des Glücks überhaupt, des Lästigen weit mehr, als des Angenehmen ihnen zu Theil geworden; denn Furcht, Haß, Zorn, Leidenschaften aller Art, geheime Nachstellungen, Schmeichelei und andere Uebel sind im steten Gefolge aller Fürsten. Ich übergehe hier den Schmerz über Trauerfälle, übergehe so mancherlei andere Leiden des Körpers und der Seele, welche ihre Macht über sie so gut, als über andere Sterbliche ausüben. Ist aber das Loos der Könige so traurig, so läßt sich leicht entnehmen, wie die Geringen daran seyn werden.
19. Ich will dir sagen, Merkur, mit was ich das Menschenleben vergleiche. Du sahest wohl schon oft die Blasen, [325] die eine mit Gewalt hervorsprudelnde Quelle bildet, und aus deren Zusammenhäufung der Schaum entsteht? Viele derselben sind nur klein, und platzen und verschwinden im Augenblicke. Einige aber dauern länger aus, und indem sich mehrere andere mit ihnen vereinigen, blähen sie sich auf und schwellen zu bedeutender Höhe an: allein – es kann nun einmal nicht anders seyn – nach einiger Zeit platzen auch diese. Siehe hier das Bild des Menschenlebens. Alle werden mit Lebenshauch angeschwellt, die Einen mehr, die Andern weniger. Bei Vielen hält dieser Hauch einige, doch nur kurze Zeit aus: Andere verschwinden zugleich mit dem Entstehen; zerplatzen aber müssen sie Alle.
Merkur. Deine Vergleichung ist nicht minder glücklich, als die des Homer, der das Menschengeschlecht mit Baumblättern vergleicht.[6]
20. Charon. Ungeachtet nun, daß es sich so mit ihnen verhält, sehen wir sie gleichwohl mit einander um den Besitz von Gewalt, Ehrenstellen und Reichthümern ringen und wetteifern, während sie doch alles dieses einst zurücklassen und mit einem einzigen Obolus sich bei uns einstellen müssen. Meinst du also nicht, ich soll, da wir nun schon auf der Höhe stehen, ihnen, so laut ich kann, zurufen, eitler Bemühungen sich zu enthalten und im Leben stets den Tod vor Augen zu haben? Ich würde ihnen sagen: „O ihr Narren, was bemüht ihr euch um solcherlei Dinge? Hört auf, euch zu plagen! Ihr werdet nicht immer leben, und keines der hier viel geltenden Dinge ist von ewiger Dauer: Keiner von [326] euch kann etwas davon im Tode mit sich nehmen; Jeder muß nackt und bloß davon, und sein Haus, sein Geld, seine Güter kommen von einem Herrn auf den andern.“ Wenn ich dieses und Aehnliches recht vernehmlich ihnen in die Ohren schreien würde, glaubst du nicht, die Menschheit hätte großen Nutzen davon, und würde um Vieles vernünftiger werden?
21. Merkur. O ehrlicher Charon, du weißt nicht, wie fest ihnen der Unverstand und der Selbstbetrug die Ohren verstopft haben: man könnte sie mit keinem Bohrer öffnen. Ist es doch, als hätten sie eben so viel Wachs darin, als einst Ulysses aus Furcht vor dem Sirenengesang seinen Gefährten einstopfte. Sie würden dich also nicht vernehmen, und wenn du zum Bersten schreien wolltest. Denn was bei euch ein Trunk aus der Lethe vermag, das bewirkt bei ihnen der Unverstand. Doch giebt es einige Wenige unter ihnen, die kein Wachs in den Ohren haben, und die, ihrer natürlichen Neigung zur Wahrheit folgend, die menschlichen Dinge scharf durchschauen und für das erkennen, was sie sind.
Charon. Nun, so will ich wenigstens meinen Zuruf an diese richten.
Merkur. Es wäre überflüssig, ihnen zu sagen, was sie schon wissen. Siehst du nicht, wie sie sich von der Menge absondern, wie sie das allgemeine Thun und Treiben verlachen, und weit entfernt, ein Gefallen an diesen Dingen zu haben, offenbar nur darauf denken, sich aus der Welt zu euch zu flüchten? zumal da sie von Andern nur gehaßt sind, weil sie den Leuten ihre Thorheiten unter die Augen halten.
Charon. Herrliche Leute! Nur Schade, daß ihrer so wenige sind.
[327] Merkur. Es muß auch an diesen wenigen genügen. – Aber nun laß uns wieder herabsteigen!
22. Charon. Nur Eins noch möchte ich wissen, Merkur! Um mich vollständig mit der Oberwelt bekannt gemacht zu haben, zeige mir auch die Behältnisse, in welche sie ihre Leichen versenken.
Merkur. Sie nennen das Gräber, Grüfte, auch Leichenhügel. Siehst du vor den Thoren der Städte jene Erdaufwürfe, jene Säulen und Pyramiden? Diese sind sämmtlich Todtenbehausungen und Leichenbehälter.
Charon. Und was wollen denn die Leute dort, welche die Grabsteine salben und mit Blumenkränzen behängen? Auch sehe ich welche, die Holzstöße neben den Grabhügeln aufrichten, und Gruben in die Erde machen: auf jenen verbrennen sie ganze Mahlzeiten, und in die Gruben gießen sie, wenn ich recht unterscheiden kann, Wein und Honigtrank?
Merkur. Ich weiß nicht, mein lieber Fährmann, was dieß Alles denen in der Unterwelt helfen soll. Die Leute haben einmal den Glauben, die Seelen der Abgeschiedenen kämen herauf, flatterten um das Todtenopfer, und genößen, so viel sie könnten, den Fettdampf der Speisen, und tränken den Honigtrank aus den Gruben.
Charon. Das wäre! Essen und trinken sollen die nackten Todtenschädel? Doch es wäre lächerlich, dir zu sagen, wie albern diese Vorstellung ist, da du ja täglich Todte hinabführst, und so gut weißt, als ich, ob es möglich ist, daß sie, nachdem sie einmal zu Unterirdischen geworden sind, wieder heraufkommen. Es wäre doch lustig, Merkur, wenn du zu deinen übrigen vielen Geschäften, die Todten nicht [328] bloß hinunter-, sondern auch heraufführen dürftest, um sie trinken zu lassen. O ihr dummen Leute, die ihr nicht wißt, wie himmelweit der Zustand der Todten und der Lebenden verschieden ist, und wie es bei uns zugeht, und daß
Todt sind beide, der Grabesberaubte und der Begrabne:
Gleich wie Irus geehrt ist Völkerfürst Agamemnon,
Und Thersites gleich dem Sohne der lockigten Thetis.
Aber Alle gesammt sind klägliche Leichengestalten,
Ausgetrocknet Geripp’ im Asphodilengefilde.[7]
23. Merkur. Herkules! Welche Menge homerischer Brocken! Aber, weil du mich an Achill erinnerst, so will ich dir doch auch sein Grab zeigen. Siehst du es dort am Meere auf dem troïschen Vorgebirge Sigéum? Gegenüber auf Rhötèum liegt Ajax begraben.
Charon. Diese Grabhügel sind nicht eben groß. Zeige mir aber nun auch noch die berühmten Städte, von welchen wir unten so viel reden hören, Ninus (Ninive) die Residenz des Sardanapal, Babylon, Mycenä, Cleonä, und besonders Troja selbst; denn noch erinnere ich mich gar zu wohl, wie ich einst, von dorther so viele Passagiere bekam, daß ich während zehn ganzer Jahre mein Schifflein weder an’s Land ziehen, noch auslüften konnte.
Merkur. Mein guter Fährmann, Ninus ist so gänzlich zu Grunde gegangen, daß keine Spur mehr von ihm vorhanden ist, und du die Stelle nicht erkennen würdest, wo es gestanden hatte. Babylon steht zwar noch dort mit seinen Thürmen und seiner gewaltigen Ringmauer: aber es wird [329] nicht lange anstehen, so wird man auch seine Stätte suchen müssen. Mycenä aber, und Cleonä, und besonders Troja schäme ich mich, dir zu zeigen: denn ich bin gewiß, du würdest bei deiner Zurückkunft den guten Homer beim Kopfe nehmen, daß er in seinen Gesängen so viel Aufhebens von ihnen gemacht hat. Vor Altern waren sie zwar reich und blühend, aber nun sind sie gleichfalls nicht mehr. Ja, mein Charon, auch die Städte sterben, wie die Menschen, und, was du mir nicht glauben wirst, ganze Ströme vergehen. Vom Inachus in Argolis ist auch nicht einmal das Bette mehr zu finden.
Charon. O wehe, Homer, wie schlimm steht es da mit deinen hochklingenden Beinamen aus: „Ilion’s heilige Stadt.“ – „Die weitdurchwanderte Troja.“ – „Das herrlichgebaute Cleonä.“ –
24. Aber fast hätte ich über unserm Plaudern zu fragen vergessen, wer denn jene Krieger dort sind, die einander um die Wette todtschlagen?
Merkur. Du siehst hier Argiver und Lacedämonier, und den schon halbtodten Anführer der Letztern, Othryades, wie er noch mit seinem eigenen Blute die Namen seiner Mitbürger auf die Trophäe schreibt.
Charon. Worüber fiengen sie denn Krieg an?
Merkur. Ueber den Besitz eben des Feldes, auf welchem sie sich schlagen.
Charon. O die Thoren! Sie wissen nicht, daß, wenn auch jeder Einzelne von ihnen einen ganzen Peloponnes besäße, er einst von Aeacus doch kaum einen Fuß breit Raum erhalten wird. Jenes Feld aber wird immer wieder neue [330] Besitzer und Bearbeiter erhalten, und mehr als einmal wird die Pflugschar die Steine dieses Denkmahles auswühlen.
Merkur. So wird es am Ende gehen. – Nun aber wollen wir wieder herabsteigen, und, nachdem wir die Berge wieder an Ort und Stelle gebracht haben, unserer Wege gehen, ich, um meinen Auftrag zu besorgen, und du zu deiner Fähre. Mit Nächstem werde ich dich wieder sehen, und dir neue Todte zuführen.
Charon. Nun, bester Merkur, du hast dich recht sehr um mich verdient gemacht: ich werde dir stets zu Danke verpflichtet seyn; denn ohne dich hätte mich meine Reise wenig geholfen – – [im Weggehen für sich] Was doch alles die armen Menschen sich zu schaffen machen mit ihren Königen, goldenen Ziegeln, Festopfern und Schlachten, und – von Charon ist die Rede nicht!
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Eifersu cht