Chemische Briefe/Vierunddreissigster Brief
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In einigen der vorhergehenden Briefe habe ich es versucht, Ihnen meine Ansichten über die verschiedenen Nahrungsmittel und über die Zwecke vorzuführen, welche sie in dem thierischen Organismus zu erfüllen haben – in meinem heutigen Briefe will ich einen Gegenstand berühren von gleichem Interesse, von gleicher Wichtigkeit, die Mittel nämlich, auf einer gegebenen Fläche Landes ein Maximum dieser Nahrungsmittel für Thiere und Menschen zu erzielen.
Die Landwirthschaft ist eine Kunst und eine Wissenschaft. Die wissenschaftliche Grundlage derselben umfasst die Kenntniss aller Bedingungen des Lebens der Vegetabilien, des Ursprungs ihrer Elemente und der Quellen ihrer Nahrung. Aus dieser Kenntniss entwickeln sich bestimmte Regeln für die Ausübung der Kunst, Grundsätze der Nothwendigkeit oder Nützlichkeit aller mechanischen Operationen des Feldbaues, welche das Gedeihen der Gewächse vorbereiten und befördern und die auf sie einwirkenden schädlichen Einflüsse beseitigen. Keine in der Ausübung der Kunst gemachte Erfahrung kann in Widerspruch stehen mit den wissenschaftlichen Principien, eben weil diese, aus allen Beobachtungen zusammengenommen abgeleitet, nur ein geistiger Ausdruck dafür sind. Die Theorie kann keiner Erfahrung widersprechen, weil sie nichts anderes sind, als die Zurückführung einer Reihe von Erscheinungen auf ihre letzten Ursachen.
Ein Feld, auf dem wir eine Anzahl von Jahren hintereinander die nämliche Pflanze cultiviren, wird in drei, ein anderes in sieben, ein
[324] anderes in zwanzig, ein anderes erst in hundert Jahren unfruchtbar für die nämliche Pflanze. Das eine Feld trägt Weizen, keine Erbsen, es trägt Rüben, aber keinen Tabak, ein drittes giebt reichliche Ernten von Rüben, aber keinen Klee. Was ist der Grund, dass der Acker nach und nach für eine und dieselbe Pflanze seine Fruchtbarkeit verliert? Was ist der Grund, dass die eine Pflanzengattung darauf gedeiht, dass die andere darauf fehlschlägt? Diese Fragen stellt die Wissenschaft.
Welche Mittel sind nothwendig, um dem Acker seine Fruchtbarkeit für eine und dieselbe Pflanze zu erhalten? Um ihn für zwei, für drei, für alle Culturpflanzen fruchtbar zu machen? Diese letzteren Fragen stellt sich die Kunst; sie sind aber nicht lösbar durch die Kunst.
Wenn der Landwirth, ohne durch ein richtiges, wissenschaftliches Princip geleitet zu sein, sich Versuchen hingiebt, um einen Acker für eine Pflanze fruchtbar zu machen, die er sonst nicht trägt, so ist die Aussicht auf Erfolg nur gering. Tausende von Landwirthen stellen ähnliche Versuche nach mannichfaltigen Richtungen an, deren Resultat zuletzt eine Anzahl von praktischen Erfahrungen umfasst, welche zusammen eine Methode der Cultur bilden, wodurch der gesuchte Zweck für eine gewisse Gegend erreicht wird. Allein die nämliche Methode schlägt häufig für den nächsten Nachbar schon fehl; sie hört auf, für eine zweite und dritte Gegend vortheilhaft zu sein. Welche Masse von Capital und Kraft geht in diesen Experimenten verloren! Wie ganz anders, wie viel sicherer ist der Weg, den die Wissenschaft befolgt; er setzt uns nicht der Gefahr des Misslingens aus und gewährt uns alle Bürgschaften des Gewinns. Ist die Ursache des Fehlschlagens, die Ursache der Unfruchtbarkeit des Bodens für eine, für zwei, für die dritte Pflanze ermittelt, so ergeben sich die Mittel zur Beseitigung von selbst. Die bestimmtesten Beobachtungen beweisen, dass die Culturmethoden je nach der geognostischen Beschaffenheit des Bodens von einander abweichen. Denken wir uns in dem Basalt, in der Grauwacke, in dem Porphyr, Sandstein, Kalk eine gewisse Anzahl chemischer Verbindungen in wechselnden Verhältnissen enthalten, welche, für die Pflanzen zu ihrem Gedeihen unentbehrlich, der fruchtbare Boden ihnen darbieten muss, so erklärt sich die Verschiedenheit der Culturmethoden auf eine höchst einfache Weise, denn es ist klar, dass der Gehalt der Ackererde an diesen so wichtigen Bestandtheilen in eben dem Grade wie die Zusammensetzung der Felsarten, durch deren Verwitterung sie entstanden ist, wechseln muss.
Die Weizenpflanze, der Klee, die Rüben bedürfen gewisser Bestandtheile aus dem Boden; sie gedeihen nicht in einer Erde, in welcher sie fehlen. Die Wissenschaft lehrt uns aus der Untersuchung ihrer Asche diese Bestandtheile kennen, und wenn uns die Analyse eines Bodens zeigt, dass sie darin fehlen, so ist die Ursache seiner Unfruchtbarkeit ermittelt.
Die Beseitigung dieser Unfruchtbarkeit ist damit aber gegeben. Die Empirie schreibt allen Erfolg der Kunst, den mechanischen Operationen des Feldbaues zu; sie legt ihnen den höchsten Werth bei, ohne darnach zu fragen, auf welchen Ursachen ihr Nutzen beruht, und doch ist diese Kenntniss von der höchsten Wichtigkeit, weil sie die Verwendung der Kraft und des Capitals auf die vortheilhafteste Weise regelt und jeder Verschwendung derselben vorbeugt. Ist es denkbar, dass der Durchgang
[325] der Pflugschar, der Egge durch die Erde, dass die Berührung des Eisens dem Boden wie durch einen Zauber Fruchtbarkeit ertheilt? Niemand wird diese Meinung hegen, und dennoch ist diese Frage in der Agricultur noch nicht gelöst; gewiss ist es beim sorgfältigen Pflügen nur die weit getriebene mechanische Zertheilung und Mischung, der Wechsel, die Vergrösserung und Erneuerung der Oberfläche, durch welche der günstige Einfluss ausgeübt wird, aber die mechanische Operation ist nur Mittel zum Zweck.
Unter den Wirkungen der Zeit (im Besonderen in der Landwirthschaft dem Brachliegen, dem Ausruhen des Feldes) begreift man in der Naturwissenschaft gewisse chemische Actionen, welche unausgesetzt ausgeübt werden durch die Bestandtheile der Atmosphäre auf die Oberfläche der festen Erdrinde. Es ist die Kohlensäure, der Sauerstoff der Luft, die Feuchtigkeit des Regenwassers, durch deren Einwirkung gewisse Bestandtheile der Fels- und Gebirgsarten oder ihrer Trümmer, welche die Ackererde bilden, die Fähigkeit empfangen, sich im Wasser zu lösen, und im Boden zu verbreiten.
Man weiss, dass diese chemischen Actionen den Begriff von dem Zahn der Zeit in sich fassen, welcher die Werke der Menschen vernichtet und die härtesten Felsen nach und nach in Staub verwandelt. Durch ihren Einfluss werden in der Ackererde gewisse Bestandtheile des Bodens durch die Pflanzen assimilirbar, und es ist nun gerade dieser Zweck, welcher durch die mechanischen Operationen des Feldbaues vermittelt werden soll. Sie sollen die Pflanzennahrungsstoffe löslich und verbreitbar machen und damit einer neuen Generation von Pflanzen die ihr nöthigen Bodenbestandtheile allerorts in dem zur Aufnahme geeigneten Zustande darbieten. Es ist einleuchtend, dass die Schnelligkeit der Aufschliessung eines festen Körpers zunehmen muss mit seiner Oberfläche; je mehr Punkte wir in der gegebenen Zeit dem einwirkenden Körper darbieten, desto rascher wird die Verbindung vor sich gehen.
Um in der Analyse ein Mineral aufzuschliessen, um seinen Bestandtheilen Löslichkeit zu geben, verfährt der Chemiker wie der Landwirth mit seinem Acker; er muss sich der ermüdendsten, langweiligsten und sehr schwierigen Operation der Verwandlung desselben in das feinste Pulver hingeben; durch Schlämmen scheidet er den feinsten Staub von den gröbern Theilen ab, er setzt seine Geduld auf alle möglichen Proben, weil er weiss, die Aufschliessung ist nicht vollkommen, seine ganze Operation misslingt, wenn er in der Vorbereitung minder aufmerksam verfährt.
Welchen Einfluss die Vergrösserung der Oberfläche eines Steins auf seine Verwitterbarkeit ausübt, auf die Veränderungen nämlich, die er durch die chemische Thätigkeit der Bestandtheile der Atmosphäre und des Wassers erfährt, lässt sich in den Goldbergwerken zu Yaquil in Chili, welche Darwin auf eine so interessante Weise beschreibt, in einem grossen Massstab beobachten. Das goldführende Gestein wird auf Mühlen in das feinste Pulver verwandelt und die leichteren Steintheile von den Metalltheilen durch einen Schlämmprocess geschieden. Durch den Wasserstrom werden die Steintheilchen hinweggeführt, die Goldtheilchen fallen zu Boden. Der abfliessende Schlamm wird in Teiche geleitet, wo er in Ruhe sich wieder absetzt. Wenn der Teich sich nach und nach damit anfüllt, wird
[326] der Schlamm herausgezogen und auf Haufen sich selbst, d. h. der Wirkung der Luft und Feuchtigkeit überlassen. Nach der Natur des Waschprocesses, dem es unterworfen war, kann dieses feinzertheilte Gestein keinen löslichen Bestandtheil mehr enthalten; die löslichen sind ja beim Schlämmen durch den Wasserstrom hinweggeführt worden. Mit dem Wasser bedeckt, also beim Abschluss der Luft, auf dem Boden des Teiches erlitt der Schlamm keine Veränderung, allein der Luft und Feuchtigkeit gleichzeitig ausgesetzt, stellt sich eine mächtige chemische Action in seiner ganzen Masse ein, die sich durch Auswitterung reichlicher Salzefflorescenzen, welche die Oberfläche bedecken, zu erkennen giebt. Nach einer zwei- bis dreijährigen Aussetzung wird der Schlämmprocess mit diesem hartgewordenen Schlamm wiederholt, und so sechs- bis siebenmal, wo man stets, wiewohl in abnehmendem Verhältniss, neue Quantitäten Gold daraus gewinnt, welche durch den chemischen Process der Verwitterung blossgelegt, d. h. ausscheidbar wurden. Es ist dies die nämliche chemische Action, die in der Ackererde vor sich geht, die wir durch die mechanischen Operationen des Feldbaues steigern und beschleunigen. Wir erneuern die Oberfläche und suchen jeden Theil der Ackerkrume der Wirkung der Kohlensäure und des Sauerstoffs zugänglich zu machen. Wir verbreiten damit den Ueberschuss von mineralischen Nahrungsmitteln, der sich an einem Orte befindet, an andere hin, wo daran Mangel ist, so dass die neue Generation von Pflanzen überall die zu ihrem Gedeihen nothwendige Nahrung findet.