Cherbourg und der atlantische Telegraph

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Titel: Cherbourg und der atlantische Telegraph
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 531-534
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Cherbourg und der atlantische Telegraph.

Zwei pikante, moralisch und materiell scharf entgegengesetzte Ereignisse bewegen gleichzeitig die Köpfe, Herzen, Zungen und Federn Englands und Frankreichs im Besonderen und der Welt im Allgemeinen – das vollendete Cherbourg und der vollendete atlantische Telegraph zwischen der alten und neuen Welt; ersteres eine aus grimmigem Mauerwerk mit dreitausend Kanonenaugen stierende, massive, feindselige Drohung gegen das drüben liegende England, und letzterer – der Telegraph – das über zweitausend englische Seemeilen lange Freundschaftsband zwischen zwei Erdtheilen, die doppelte Bruderhand, welche ferne, weite Völkermassen aus überoceanischer Entfernung und Entfremdung für alle friedliche, nützliche und Culturzwecke heranzieht zu freundnachbarlicher Gemeinsamkeit, der großartigste Sieg der Wissenschaft, Technik und industriellen Unternehmungskühnheit, ein Draht, gegen welchen alle Mauer- und Metallwerke von Cherbourg zu einer lächerlich drohenden Kinderfaust herabsinken. Ein bourbonischer Louis rühmte sich einst, daß er die Pyrenäen abgeschafft habe – für den Krieg. Amerika und England können sich einer nobleren That rühmen: es gibt keinen atlantischen Ocean mehr für Frieden, Freundschaft und deren segensreiche Thaten – wohl aber noch für den Krieg.

Noch ist’s nicht ausgemacht, ob das elektrische Freundschaftsband aushalten und sich bewähren wird. Aber die Thatsache wird ewig groß und richtig bleiben, daß es wirklich bis zum 5. August – dem großen Cherbourgfesttage – 2022 Meilen lang von Valentia in Irland bis zur Trinity-Bucht in Neufundland ausgestreckt und so durch den großen atlantische Ocean gelegt und versenkt worden war. Wir überschätzen diese welthistorische That nicht. Sie muß sich erst bewähren. Und wenn sie sich bewährt, spricht der Telegraph zunächst die Sprache der Börse, der Marktpreise, der Baumwollen- und Sclavenzüchter, der Twistspinner und Kattunfabrikanten – eine trockene, erbarmungslose Sprache mit Zahlen und Brüchen. – Beide Völker an den Endpunkten des Telegraphen haben sich jetzt nichts Gescheidtes, Menschenerfreuendes zu sagen; aber es werden andere Interessen aufsteigen und durch den Telegraphen reden. Und der Telegraph ist erst ein Anfang, wie die erste Entdeckung und grausame Eroberung Amerika’s (der Telegraph ist eine zweite, bessere, menschliche) ein Anfang für ganz andere große Erfolge in der Menschheitsgeschichte war, das Hauptband für eine längst von einem Deutschen speciell ausgearbeitete elektrische Umspinnung der ganzen runden Erdkugel, ein Werk, welches nun rasch über andere Theile des Meeres, durch das in neuer Cultur auflebende Sibirien u. s. w. fortgesetzt und vollendet werden wird, so daß wir bald jeden Morgen zu einem Thore hinausfragen können, wie’s den Völkern der Erde gehe, um jeden Abend die Antwort zum entgegengesetzten Thore hereinzittern zu sehen.

Ich glaube nicht, daß dann die Menschheit danach fragen wird, wie sich die dreitausend Kanonen und dreißig Festungen von Cherbourg befinden. Jetzt freilich, – während der pikanten Festtage mit der Königin von England – war’s die Frage aller Fragen, über die man selbst den atlantischen Telegraphen vergaß.

„Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.“

Für den Augenblick, und beständt’ es aus dreißig Fuß dicken Mauern und dickem, dreitausendfachem Kanonenmetall. Wir tragen aber dem Augenblicke Rechnung und zeigen unsern Lesern zeit- und pflichtgemäß Cherbourg aus der Vogelperspective der Höhen dahinter, von welchen unsere Ansicht aufgenommen ward.

Cherbourg, ursprünglich „Cäsar’s“ oder der „Ceres“ Burg (beide Ableitungen bestehen nebeneinander), liegt in einer Bucht, der Insel Wight gegenüber und in fast gleicher Entfernung von den englischen Küstenstädten und Kriegshäfen Plymouth und Portsmouth, so recht als auserkorner, drohender Mlttelpunkt aller Gefahren, die dem sich Frankreich gegenüber weit ausbreitenden England von den französischen Gestaden entstehen können. Hinter Cherbourg und dessen Hügeln breitet sich die germanische Normandie aus, von welcher aus Wilhelm der Eroberer vor 792 Jahren nach England übersegelte, um es zu erobern und zu beherrschen bis auf den heutigen Tag. Die Aristokratie, welche Englands Boden und Vorrechte besitzt, wurde von Wilhelm dem Eroberer geschaffen. Die neue Eisenbahn, welche Cherbourg mit Paris und mittelbar allen Hauptmilitairstationen von Frankreich verbindet, bringt die bisher entlegene und obscure Stadl in nahe Verbindung mit den Militairgewalten, welche Frankreich jetzt noch mehr zu beherrschen scheinen, als Napoleon III. selbst.

Wir übergehen die vielfach sich windende Geschichte Cherbourgs, das ein Mal beinahe ein halbes Jahrhundert den Engländern gehörte, und beschränken uns auf Skizzirung seiner jetzigen Gestalt und Bedeutung.

Louis XIV. dachte zuerst an eine große, französische Flotte für seine brutalen Kriegs- und Eroberungszwecke, also auch an Häfen zur Beherbergung der Schiffe. Als man sich nach Häfen umsah, entdeckte man Cherbourg, das vom Jahre 1688 an befestigt und zu einem Kriegshafen vorbereitet ward. Man baute unter mancherlei Unterbrechungen fort. Stürme zerstörten wiederholt die

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Der Hafen von Cherbourg

[534] Hafenbauten und den mächtigen Querbau durch das Meer von einem Ende der Hafenbucht bis zum anderen, der als „Wogenbrecher“ dienen sollte. Erst Napoleon, der sich ärgerte, daß man den „Wogenbrecher“ für eine Unmöglichkeit erklärte, ließ wieder mit Energie und Wuth daran arbeiten. Aber seine Kriege zu Lande und sein Ende vor seiner Zeit verhinderten seine Pläne gegen England und die Vollendung des Wogenbrechers. Er ward fortgesetzt 1829–30, 1840 ziemlich und 1853 ganz vollendet, nachdem man 68 Jahre daran gebaut. Der jetzige Napoleon ließ blos vervollkommnen und abrunden, was noch fehlte. Er ist der großartigste Wasserbau in der Welt, 2 1/2 englische Meilen lang und auf dem Grunde 200 Fuß breit, im Durchschnitt 50 Fuß hoch, ganz von Stein und Cement. Er bildet dem Oceane gegenüber einen Winkel von 169 Grad. Beide Endpunkte sind befestigt und mit Kanonen gespickt, eben so die gegenüberliegenden festen Punkte des Landes, die blos enge Durchfahrten in das Haupthafenwasser bieten. Letzteres gewährt nun eine geschützte Herberge für 50 Segel- und eben so viel Fregattenschiffe.

Der Kriegshafen innerhalb ist ein Werk Napoleon’s I., begonnen 1803 und bestehend aus einem Hafen und zwei Fluth-Docks, einem Marine-Arsenal etc. Sein Beschluß, noch einen inneren Dock auszuführen, blieb unerfüllt und ward erst 1836 begonnen und von dem jetzigen Napoleon vollendet, um am 6. August in Gegenwart der Königin von England und der meisten Größen Englands eingeweiht und gefüllt zu werden. Er ist 70 Fuß tief in soliden Felsen hineingesprengt und groß genug, 12 Kriegsschiffe erster Classe aufzunehmen. Die Füllung dieses ungeheuern Felsenwasserbeckens war die Hauptscene bei den Festlichkeiten und dauerte länger, als eine fünfactige Tragödie, nämlich vier Stunden.

Wir sehen, daß das künstliche Hafenwerk aus drei Bassins besteht, dem Außenhafen 900 Fuß lang und 750 breit, groß genug für eine ganze Kriegsflotte, mit Eingangscanälen zwischen 200 bis 500 Fuß breit, einem Fluth-Bassin 900 Fuß lang und 700 breit mit Schuppen für Kriegsschiffbau und einem speciellen Dock, drittens dem inneren Fluthhafen oder dem Bassin Napoleon III., in Verbindung und Trennung durch Fluththore mit den anderen Hafentheilen, 1300 Fuß lang, 650 breit und 70 tief – das ungeheuerste künstliche Wasserbecken in solider Felsenwandung. Drum herum kleinere Trocken-Docks etc. Das Bassin „Napoleon III.“ besteht nach Tocqueville „aus egyptischen Pyramiden, abwärts in den Felsen gehauen, statt aufwärts gethürmt.“

Diese stolzen, gigantischen Kriegshafenwerke sind umgeben von einem Sebastopol von dreißig Festungswerken mit mehr als dreitausend Kanonen, die Eingänge zu Wasser doppelt und dreifach durch sich kreuzende Kanonenschußlinien schützend, so daß jedes Schiff, das sich in feindlicher Absicht hineinwagte, von drei Seiten zugleich binnen drei bis vier Minuten von mehreren hundert Kanonenkugeln durchlöchert werden würde, um, wenn es diesen träufelnden Regen dennoch überstanden haben sollte, vor sich noch andere derartige Kanonenkugel-Cascaden auf sich herabspielen zu lassen. Wir wollen die einzelnen Forts, die an allen Ecken der Meeresseite und weit draußen im Meere lauern, nicht namentlich nennen; auch begnügen wir uns mit der Bemerkung, daß die hinter malerischen Hügeln und Felsen nistende, an sich unbedeutende Stadt von der Landseite her eben so doppelt und dreifach mit Forts und Redouten gespickt ist, um eine Einnahme auf trockenem Wege ebenfalls doppelt und dreifach unmöglich zu machen, die Einfuhr von Soldaten und Munition aber zu schützen, zu erleichtern und zu beschleunigen.

So wäre das Kriegsvorrathshaus, der Hebelpunkt, um von da aus England aus den Angeln zu schleudern oder das ganze mittelländische Meer unsicher zu machen, das Sebastopol Napoleon’s vollendet, nachdem er in Alliance mit den Engländern das Sebastopol Nikolaus I. seiner Schrecken beraubte.

Mehrere englische Zeitungen wüthten gegen den Besuch der Königin als „die größte Schmach, die England je erduldet“ und drohten mit Meetings, dem offen ausbrechenden Zorne der Nation, welche diesen Besuch zu verhindern wissen werde. Aber in dieser Richtung blieb Alles still. Nur in dem Eifer, das Geschwader der Königin in besonderen, auf Speculation eingerichteten Yachten und Booten à 5 oder 10 Pfund die Person (letztere mit Beköstigung) zu begleiten, zeigten die höheren und reicheren Classen den heißesten Eifer. Daraus geht hervor, daß die Engländer diese Art von Schmach nicht mehr zu fühlen fähig sind, oder daß diese Auffassungsweise überhaupt veraltet ist und ihre Macht verloren hat. „Nationale Gefühle“ haben dabei gar keine Macht gezeigt. Jeder, der Geld genug hatte, fühlte nur, daß es in Cherbourg ein ungewöhnliches Schauspiel geben werde, das nicht alle Tage vorkomme und das man deshalb auf jeden Fall mit zu genießen suchen müsse. Dies trieb mehr Engländer nach Cherbourg, als Franzosen zugelassen wurden. Sie waren es, welche das Fest verherrlichten und dem Kaiser Napoleon freiwillig den höchsten Triumph bereiteten. Die Königin war eingeladen und kam, kam mit der Elite der ganzen Nation.

„Wenn er nun als Feind nach England käme,“ sagte eine Zeitung, „wär’s eben so schlimm, als hätte er bei dem Banket den Wein der Königin eigenhändig vergiftet.“

Aber die Zeit zieht ihre eigenen Schlüsse und diese wollen wir abwarten. Was den atlantischen Telegraphen anlangt, so sprechen wir mit unsern Lesern noch ein Weiteres darüber.