Chinesische Schuhmacher in Amerika

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Textdaten
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Autor: L. K-r.
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Titel: Chinesische Schuhmacher in Amerika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 108
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[108] Chinesische Schuhmacher in Amerika. Eine große Schuhfabrik im Staate Massachusetts beschäftigt neben einhundertundsieben Amerikanern dreiundneunzig junge Chinesen. Die Idee, Chinesen in diesem Etablissement zu verwenden, wird seit einigen Jahren mit so gutem Erfolge durchgeführt, daß fortwährend neue Engagements abgeschlossen werden. Die Söhne des himmlischen Reiches, die in anderen Zweigen der europäisch-amerikanischen Industrie schon seit etwa einem Jahrzehnt sich hübsche Kenntnisse erworben hatten, waren im modernen Schuhwesen bis vor vier Jahren ziemlich unbewandert. So lange ist es her, seit die erwähnte Fabrik die ersten fünfundsiebenzig Verehrer des Confucius aufnahm. Der Contract wird stets auf drei Jahre gemacht. Die Bezahlung variirt zwischen zweiundzwanzig und dreißig Dollars monatlich. Die Chinesen können bekanntlich sparsamer sein als Angehörige aller anderen Nationen. Sie begnügen sich mit der denkbar elendesten, dafür aber auch billigsten Befriedigung ihres Schlafbedürfnisses und der Anforderungen ihres Magens; ihre Natur kann eben einen Puff ertragen. So kam es, daß jenes Fünfviertelschock Jünglinge nicht mehr als neun Dollars per Monat und Kopf ausgaben. Ihre Ersparnisse sendeten sie allmählich nach Hause. Nach den ersten achtundzwanzig Monaten hatten dieselben die Höhe von siebenunddreißigtausend Dollars erreicht, und als die wackeren Arbeiter in ihre Heimath zurückkehrten – was sofort nach Ablauf ihrer Verträge geschah –, besaß jeder von ihnen etwa achthundert Dollars – in ihrem Lande ein Vermögen, mit dem sie auf eigene Faust operiren können. Diese asiatischen Arbeiter sind fleißiger als die amerikanischen und europäischen, aber nicht so geschickt, weshalb sie auch weniger Arbeit fertig bringen. In der Werkstätte sind sie ruhig, anständig, verträglich; auch außerhalb derselben vergehen sie sich niemals gegen die öffentliche Ordnung. Aber „stille Wasser sind tief“; während die Leute aussehen, als könnten sie nicht drei zählen, und thun, als ob sie sich um gar nichts bekümmerten, beobachten sie sorgfältig Alles, was sie sehen, machen es im Geheimen nach und lachen bald die verblüfften Inländer aus, die nicht wissen, woher das Gelbgesicht seine Kenntnisse genommen. So ein Schlitzauge geht zu einem Spengler oder Seifensieder oder Hutmacher in die Lehre, nach einigen Monaten tritt er aus und macht, da er viel billiger lebt, also auch billiger verkaufen kann, seinem Herrn bald erfolgreich Concurrenz. So werden die Vortheile, welche chinesische Gesellen bieten – Fleiß und spottgeringer Lohn, da es ihnen ja nur darauf ankommt, das Geschäft zu lernen – zu Danaergeschenken. Auch auf allerlei Listen kommt es den mongolischen Schlauköpfen nicht an, wenn es sich darum handelt, den Yankees ihre industriellen Geheimnisse abzuforschen. In einem transoceanischen Localblatt fanden wir kürzlich ein amüsantes Beispiel davon. Ein „Chinaman“ (Chinese) brauchte zehn hölzerne Cabinen und kam mit einem Zimmermann über den Preis in’s Reine. Während der Zimmermann von dem im Bette liegenden Kuli glaubte, er schlafe fest, beobachtete dieser genau die ganze Arbeit. Des andern Tages war der Zimmermann nicht wenig aufgebracht, als der Arbeitgeber ihm den Preis für die eine vollendete Cabine bezahlte und sagte: „No more makee; me makee, hihihi, me makee!“ Das heißt, aus dem chinesischen Englisch übersetzt: „Ich brauche Dich nicht mehr; ich werde den Rest selbst machen; hahaha!“ Da der Chinese die Worte der Uebereinkunft von vornherein tendenziös gefärbt hatte, konnte ihm der überrumpelte Yankee nichts anhaben.

Es ist gewiß erfreulich, eine so lange innerhalb ihrer ausgedehnten Mauern und hohen Berge begraben gewesene intelligente Nation aus ihrer Zurückhaltung immer mehr heraustreten zu sehen. Wenn die Japanesen sich so eifrig zeigen, sich die geistigen Errungenschaften der modernen Civilisation anzueignen, – warum sollten ihre Nachbarn nicht wenigstens den materiellen nachstreben?L. K–r.