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Christliche Symbolik/Jesaias

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[437]
Jesaias,

der erste unter den grossen Propheten, verdient diesen Rang, weil in ihm alle Hoheit des Prophetenthums offenbart ist.

Er beginnt damit, Gottes tiefen Eckel an dem Treiben der Menschen zu schildern, unter König Ahas, dem Götzendiener. Das Haupt des Volkes ist krank, das Herz ist matt, von der Fusssohle bis zum Haupt ist nichts Gesundes an ihm. Ich bin satt eurer Opfer, spricht der Herr, ich habe keine Lust an euren Farren; euer Rauchwerk ist mir ein Greuel. Breitet ihr auch die Hände nach mir aus, ich wende mein Angesicht von euch. Sie treiben Schinderei, Einer über den Andern, und der Jüngere ist stolz wider den Aelteren, Kinder sind Treiber des Volkes und Weiber herrschen über sie. Die Tochter Zion ist zur Hure geworden, stolzirt, schwänzt, wirft die Augen umher. Die Priester und Propheten selbst sind toll von starkem Getränk und taumeln und köken die Urtheile heraus, und die Altäre sind voll Speiens und Unflath. Die köstlichen Weintrauben sind in unfruchtbarem Boden zu Herlingen verputtet und versäuert. Niemand aber will dies erkennen, die Lüge umstrickt Alles. Gutes nennen sie böse, Böses gut; aus Licht machen sie Finsterniss und aus Finsterniss Licht.

Da erweckt Gott einen Propheten, um das Volk aufzurütteln aus seiner tiefen Verderbniss. Jesaias dachte nicht daran, dass ein so hoher Beruf ihm werden sollte, da erschien ihm der Herr selber auf dem Thron, umgeben von sechs geflügelten Seraphim, die da sangen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehren voll.“ Und Gott sprach zu Jesaias: „Gehe hin und sprich zu dem Volke: Höret und verstehet's nicht, sehet und merket's nicht.“ Der Prophet gehorcht, fragt aber: bis wann das Volk in dieser Verstocktheit beharren werde? „Bis die Städte zerstört [438] sind und das Land entvölkert ist," spricht der Herr. So tritt nun Jesaias das Prophetenamt an, ganz so wie die troische Cassandra das Amt der Sibylle, denn es ist ihm verheissen, dass Niemand auf ihn achten werde. Seine ersten Weissagungen noch unter König Ahas beziehen sich auf die Strafe der Sünder und auf das endliche Erbarmen Gottes, der den Messias senden werde. Da die letzten Weissagungen dasselbe noch kräftiger wiederholen, übergehen wir sie hier, um am Schluss darauf zurückzukommen, und gehen zu den Weissagungen über, die in die Regierungszeit des guten, aber schwachen Königs Hiskia fallen.

Hiskia liess sich in ein thörichtes Bündniss mit Aegypten wider Babylon ein. Jesaias ging fortan barfuss und im Busskleide, um im Voraus den Untergang des Reichs zu betrauern. Aber man glaubte ihm nicht. So nahe die Gefahr war, kam man zu[WS 1] keinem oder nur zu verkehrtem Entschlusse. Dieses fruchtlose Gezänke schildert der Prophet mit colossaler Ironie: „Das ist ein Tag des Trübsals, Scheltens und Lästerns, und geht gleich als wenn die Kinder bis an die Geburt kommen sind und ist keine Kraft da zu gebären." Verwandt damit sind die Schilderungen der Eitelkeit und Arglist, die ihr Unwesen forttreiben, ohne zu ahnen, dass der Tod hinter ihnen ist. „Mit Stroh geht ihr schwanger, Stoppeln gebäret ihr, das Feuer wird euch verzehren. — Sie brüten Basiliskeneier und wirken Spinnweb. Isst man von ihren Eiern, so muss man sterben; zertritt man's, so fährt eine Otter heraus. Ihr Spinnweb taugt nicht zu Kleidern etc." — Der übermächtige Feind rückt heran; da erkennt Hiskia Gottes Gerichte und thut Busse, betet und jammert. Nun ist es aber der Prophet, der ihn tröstet und in seinem Kleinmuth erhebt und ihm weissagt, Sanherib und sein gewaltiges Heer, das damals wider Aegypten zog und Jerusalem, als der Aegypter Bundesgenossin, schwer bedrohte, werde selber untergehen. Sanheribs Heer wurde vom Würgengel geschlagen, worunter die modernen Erklärer eine plötzlich ausgebrochene Pest verstehen. Herodot erzählt das Mährchen, die [439] Mäuse hätten bei Nacht alles Lederwerk der Assyrer zerfressen und diese dadurch entwaffnet. Die Landesplage war abgewendet. Nun gerieth aber Hiskia in eine persönliche Gefahr, indem er schwer erkrankte. Auch diesmal tröstete ihn der Prophet und verhiess ihm Genesung. Als nun der König wirklich genas, stellte sich auch wieder der Uebermuth bei ihm ein, und er zeigte den Gesandten, die Sanheribs Nachfolger an ihn schickte, prahlend seine Schätze. Da zürnte der Prophet und verkündete ihm, alle diese Schätze würden den Weg nach Babylon einschlagen.

So weit der historische Faden, an den sich die grossartigen Weissagungen des Jesaias anreihen. Sie gehen übrigens weit über den engen Gesichtskreis jener Tage hinaus. Das eben ist des Jesaias Grösse, dass er sich über den jüdischen Standpunkt zu erheben weiss, wie kein anderer. Es liegt in ihm schon das ganze Christenthum, wie der Schmetterling in der Puppe verschlossen. Jesaias verkündet der gesammten alten Welt ihren Untergang. Nicht nur Jerusalem, sagt er, wird wegen seiner Sünden untergehen, nicht nur Israel, sondern auch die stammverwandten und so feindseligen Moabiter, Edomiter, die benachbarten Phöniker etc., das so hochcultivirte Aegypten, das so übergewaltige Babylon. Die Vernichtung aller dieser Völker wird in besondern Kapiteln der Reihe nach verkündet, und wie bei einem langanhaltenden Gewitter der Donner, so rollen die Prophetenworte majestätisch in die Runde der Länder. Am gewaltigsten sind die Donnerschläge und die Blitze gegen das alte Babel. Die Ruthe der Völker soll zerbrochen, der Zerstörer soll selber nun zerstört werden; über den Schrecklichsten kommt Einer, der noch schrecklicher ist. Die Schinder der Völker sollen nun ihr eignes Fleisch fressen, und die alle Länder in Brand steckten, vergehen nun selbst in diesem Feuer. Babylon wird personificirt als ein Verdammter, der in die Hölle hinabstürzt. Die Hölle selbst erzittert, alle darin begrabenen Völker erwachen, ihre Könige erheben sich staunend und [440] rufen aus: „So bist auch du gefallen, die uns Alle fällte, und geht dir nun, wie uns Allen?“

Der Zorn Gottes ruht nicht, bis Alle vertilgt sind, die sich wider ihn aufgelehnt. Aber der Zürnende erbarmt sich wieder. Den Uebergang vom Grimm zur Gnade bildet ein überaus schönes Doppelgleichniss. Kapitel 29 Vers 8 heisst es, die Heiden, die wider Jerusalem stritten und wirklich Jerusalem überwältigten, werden plötzlich alle diese sichern Erfolge wieder verlieren, und es wird seyn, als hätte ein Durstiger zu trinken nur geträumt, die Wirklichkeit wird zum Schein werden. Dagegen heisst es Kap. 35 Vers 7 weiter, das Volk Gottes verschmachtete in der Wüste und sah vor sich den täuschenden Schein des Wassers, das seinen Durst nicht stillen konnte, weil es nur die Luftspiegelung, Serab (die Fata Morgana) war. Aber siehe, plötzlich quillt es lebendig und wahres Wasser füllt die Wüste an. Der Schein wird Wirklichkeit. Also ist, was die Sinne greifen, dennoch nur Schein, sofern es nicht aus Gott ist; und was ein leeres Gedankenbild scheint, weniger noch als ein Schatten, wird volle Wirklichkeit, wenn es aus Gott ist. Ein ungemein geistreicher Gegensatz, auf den noch kein Commentator aufmerksam gemacht hat, denn man hatte zu viel mit den Worten zu thun, um den Geist zu suchen.

Nun erklärt sich, wie die Visionen des Propheten in der Zeit des tiefsten Elends, des allgemeinen Untergangs eine grosse Hoffnung zu beleben vermögen. Was ihr jetzt unter dem Schrecken einer hoffnungslosen Wirklichkeit für eitlen Traum haltet, es wird dennoch wirklich werden.

Das tiefste Motiv, aus dem der Prophet diese glückliche Wendung erklärt, ist die Gnade Gottes. Die Hauptstelle ist Kap. 49 Vers 15: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? und ob sie denselbigen vergässe, so will Ich doch deiner nicht vergessen. In demselben Sinne heisst es Kap. 9 Vers 10: Nach der allgemeinen Zerstörung wird Gott wieder bauen, und wenn eure Ziegelsteine zerstört sind, wird er [441] mit grossen Werksteinen bauen, und wenn eure Maulbeerbäume ausgerottet sind, wird er hohe Cedern pflanzen. Kap. 25 Vers 7 und 8 heisst es noch schöner: Allen Leidtragenden wird er das Gewand der Trauer nehmen und alle Thränen trocknen. Kap. 26 Vers 19 verkündet er die allgemeine Auferstehung. Die ganze Apokalypse ist in diesem Kapitel des Jesaias vorgebildet.

Jesaias will überhaupt den Juden sagen, dass, was sie sich von den Schicksalen ihres Volkes träumen, tief unter den wirklichen Rathschlägen Gottes zurückbleibe. Nur Er kenne Alles, sein Blick umfasse alle Völker und alle Zeiten. Eure Gedanken, sagt er Kap. 55 Vers 8, sind nicht meine Gedanken und so hoch der Himmel über der Erde, so sind meine Wege höher als eure.

Das Ziel aber, dem der Messias nicht blos die Juden, sondern alle Völker zuführen soll, ist nach Jesaias das wiedergewonnene Paradies. Der Himmel, heisst es Kap. 51 Vers 6, wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid veralten, aber mein Heil bleibt ewiglich. Kap. 54 Vers 10: Es sollen die Berge weichen und die Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen. Kap. 65 Vers 17 ff.: Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken wird, noch zu Herzen nehmen. Es sollen nicht mehr da seyn Kinder, die ihre Tage nicht erreichen. Sie sollen nicht bauen, das ein Anderer bewohne. Sie sollen nicht umsonst arbeiten, noch unzeitige Geburt gebären. Wolf und Lamm sollen weiden zugleich etc. Vgl. hiezu Kap. 11 Vers 6 ff. Alle Schwerter werden zu Pflugschaaren und alle Spiesse zu Sicheln werden. Kap. 2 Vers 4. Der Berg Zion aber wird erhoben seyn über alle Berge der Erde, und alle Kinder werden da den wahren Gott anbeten. Kap. 2 Vers 2. Das ist das neue Jerusalem, wie es nachmals in der Apokalypse beschrieben wird. Bedeutsam aber verkündet der letzte Vers des Jesaias, wiederum im Sinne des Christenthums, denen, die da Gott misshandelt haben, d. h. wohl, welche die Sünde [442] wider den heiligen Geist begangen haben, dass ihr Wurm nie sterben, ihr Feuer nie erlöschen werde.

Eine so grossartige Conception und aus so alter Zeit beglaubigt (denn auch die etwaigen Zusätze gehen nach dem Zugeständniss der skeptischesten Ausleger bis in die Zeiten des Exils zurück), verdient wohl auch eine grossartige Auffassung und nicht die kleinliche, welche sie so oft gefunden hat, und die so weit geht, dass man über den Propheten glaubt spotten zu müssen, weil Tyrus erst viel später untergegangen, als er glauben zu machen schien, und weil Damascus, das er untergehen lässt, noch gar nicht untergegangen ist.

Die Wiedergeburt soll sich nicht blos auf die Juden beziehen, sondern auf alle Völker ausdehnen. Dieser Umstand allein schon beweist, dass der Prophet, ohne noch etwas von Christo zu wissen, doch schon eine allgemein sittliche Weltreligion ahnte, die mehr als das Judenthum seyn würde. Der Herr sieht nicht auf äussere Formen, sondern auf die innere Gesinnung, nicht auf Ceremonien, sondern auf edle Handlungen. Der Herr ist nicht Vater der Juden allein, sondern aller Völker, und wer verachtet und ehrlos hier erscheint, ist in Gottes Augen nichts destoweniger gerechtfertigt. Der Heide soll Gnade finden, wie der Jude. Der Verschnittene soll gleich geachtet seyn dem Patriarchen. Die Unfruchtbare soll mehr Kinder haben, als die Fruchtbare (Kap. 54.). Das alles sind christliche, nicht mehr jüdische Ideen.

Die Weissagung des Jesaias deutet aber auch unmittelbar auf Christum hin, denn er verkündigt einen Messias aus dem Geschlechte Isais (der Davids Vater war), Kap. 11 Vers 1; der von einer Jungfrau geboren werden soll, Kap. 7 Vers 14; den die Könige anbeten sollen, Kap. 52 Vers 15; der auf sich nehmen soll aller Menschen Schmerzen, Kap. 53 Vers 4. Das ist sehr deutlich gesprochen. Gleichwohl haben viele rationalistische Erklärer die grossartige Ahnung in dieser Prophezeihung übersehen und bei dem verkündigten Messias nur an einen Judenkönig, wohl gar an einen Sohn des Hiskia selbst, gedacht. Wenn die Juden allerdings ihren Messias [443] meist nur rein jüdisch als einen sieghaften König ihres Volks dachten (wie sogar noch die Apostel thaten), so war doch gerade Jesaias von dieser engherzigen Vorstellung weit entfernt, gewiss so entfernt wie Paulus, welcher grosse Heidenapostel in Jesaias sein vollkommen entsprechendes alttestamentalisches Vorbild hat.

Von des Jesaias Tode bringt der jüdische Talmud (Mischna, tract. Jehamoth IV. und dazu die Commentation der Gemara) eine seltsame Fabel. Dem fliehenden Propheten nämlich öffnete sich auf sein Gebet eine Ceder und verschlang ihn und schloss sich hinter ihm wieder zu. Der König liess den Baum absägen und als die Säge an des Propheten Mund kam, starb er.

Jesaias wird nach byzantinischem Typus als Greis mit langem Barte dargestellt (Kunstbl. 1832, S. 10). Doch herrscht in seinem Charakter keineswegs das Greisenhafte, wie bei Jeremias, sondern mehr etwas Männliches vor. Michel Angelo malte ihn in der sixtinischen Kapelle mit grosser Kraft und eben so viel Bewusstseyn derselben im Ausdruck, Raphael wollte ihn in einer Freske zu S. Agostino in Rom nachahmen, fiel aber in's Affektirte (Kugler, Gesch. d. Mal. I. 241. Beschreibung von Rom III. 3. 312.).

Jesaias hat, wie alle andern Propheten, von denen Bücher vorhanden sind, eine Schriftrolle in der Hand. Ausserdem ist sein Attribut die Säge, weil er zersägt worden seyn soll. So auf byzantinischen Miniaturen in Paris (Waagen 213.). Mit dieser ist eine andere nicht zu verwechseln, die Waagen S. 223 und Didron, icon. 208. beschreiben, und auf welcher der Prophet, in sehr edler Gestalt in hellblauer Tunica und hellrother Toga, zwischen eine Frau im Sternengewande (die Nacht) und einen Knaben mit der Fackel (den Morgenstern) gestellt ist, weil es bei Jesaias einmal heisst: „Von Herzen begehre ich deiner des Nachts und wache Morgens mit dir auf.“ Noch besser aber bezieht man diese schönen Sinnbilder auf die Gesammtverheissung in dem Buche des Propheten. Auf allen Kirchenbildern, welche die Weissagungen [444] des alten Testamentes auf die Maria zusammenstellen, ist Jesaias gewöhnlich an dem blühenden Zweige kenntlich, der den Zweig Jesse oder den Stammbaum bedeutet, der von Davids Vater Isai bis zur Maria reicht. Didron, annales IV. 67. Nach Jes. 11, 10.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: su