Christliche Symbolik/Kreuzigung
Zur Ergänzung des Art. Crucifix muss ich hier noch auf die äussern Umstände der Kreuzigung Christi eingehen.
Der Ausdruck des tiefsten Schmerzes und äussersten irdischen Leidens gehört den Momenten der Kreuzschleppung, des Durstes und des Ausrufs: „Warum hast du mich verlassen?“ an; der Ausdruck der göttlichen Huld dem Trost, den er Marien, dem Evangelisten Johannes und dem Schächer spendet; der Ausdruck der innigsten Liebe des Sohnes zum Vater den Worten: „In deine Hände befehle ich meinen Geist;“ der Ausdruck des Sieges aber, die letzte Verklärung vor dem Tode, den Worten: „Es ist vollbracht!“ Diese Momente sollen von der bildenden Kunst nicht verwechselt werden. Es ist sehr schön, wenn Fra Bartholomeo auf seinem berühmten Bilde der Kreuzigung zu Siena den Heiland ganz Liebe seyn lässt und allen Schmerz nur auf die [523] Mutter und die Freunde zu seinen Füssen überträgt. Aber man darf über dem Gott nicht den Menschen in seinem bittersten Leiden vergessen. Am wenigsten ziemt dem Heiland am Kreuz eine stolze und verachtende Miene. Auf der andern Seite aber darf auch der Ausdruck des körperlichen Leidens nicht über die oben bezeichneten Momente hinausgehen, und namentlich soll im Tode und im Antlitz des Gestorbenen nicht mehr der Kampf und Schmerz, sondern der Frieden und die Verklärung ausgedrückt werden.
Während der Kreuzigung bilden sich um das Kreuz dreierlei Gruppen, die Angehörigen und Jünger Jesu, die ihm das letzte Geleit geben und um ihn trauern; die Pharisäer und Schriftgelehrten nebst allerlei Pöbel, die ihn verhöhnen; endlich die römische Wache, die sich gleichgültig verhält wie bei einer gewöhnlichen Hinrichtung, um den Rock des Gekreuzigten würfelt etc., unter der aber doch ein Hauptmann tief ergriffen wird, und ausruft: „Fürwahr, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“
Die erste Gruppe sammelt sich auf den Kirchenbildern gewöhnlich zunächst am Kreuzesstamme, und zwar steht die Mutter rechts, der Evangelist Johannes links (wie später beim Weltgericht Maria rechts, der Täufer Johannes links). In der Mitte kniet Magdalena und umfasst, in Thränen zerfliessend, den Stamm des Kreuzes (wie sie einst des Heilands Füsse mit köstlichem Balsam wusch). Maria, die hier gewöhnlich als ältere Matrone in blauem Kleide mit weissem Wittwenschleier gemalt wird, sinkt auf vielen Bildern in ähnlicher Weise wie Magdalena hin, von Schmerz überwältigt oder in besinnungsloser Ohnmacht. Das ziemt ihr aber nicht. Würdiger sind die Bilder, die sie, wenn auch im tiefsten Seelenschmerz, doch standhaft darstellen, nach dem herrlichen Hymnus Stabat mater dolorosa und nicht jacebat. Das Schwert des Schmerzes, das durch ihre Seele geht, wird auf älteren Bildern als wirkliches Schwert gemalt, eine fromme Naivetät, die einem falschen oder schwächlichen Seelenausdruck vorzuziehen ist.
[524] Diese unglückliche Gruppe erhält auf vielen Bildern eine beträchtliche Verstärkung durch die Anwesenheit von theilnehmenden Engeln, die entweder schmerzvoll dem Blut des Heilandes goldne Kelche unterhalten oder triumphirend seinen Sieg lobsingen. Zuweilen erscheint auch Gott Vater und der heilige Geist (als Taube) in Wolken über dem Kreuz. Durch den Anblick dieses himmlischen Beistandes wird aber der Eindruck geschwächt, den das Leiden und Sterben Jesu auf uns machen soll. Auch passen die Klageworte: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ nicht mehr, wenn wir den Vater leibhaftig über dem Sohne sehen. Noch minder passend erscheint das neugierige Herbeidrängen von viel späteren Heiligen, Donatoren, Fürsten etc., die man auf vielen Bildern der Kreuzigung findet. Hat doch Lucas Cranach sogar Luther und seine Anhänger der Kreuzigung assistiren lassen (auf einem Bilde in der Schlosskirche zu Weimar). Hier gilt die Ehre nicht mehr dem Heiland, sondern den Nebenpersonen, die sich so anmassend herbeidrängen.
Die zweite Gruppe begreift die Lästerer in sich, die triumphirenden Pharisäer und Schriftgelehrten, die in der Hoffahrt ihres Geistes sich über einen Tod freuen, von dem sie wähnen, er beweise, dass Christus kein Gott gewesen sey, ohne zu ahnen, wie gerade durch diesen Tod alle Verheissungen in Erfüllung gehen und ihr eigenes Reich gestürzt wird. In den Physiognomien dieser jüdischen Gelehrten muss nicht reine Bosheit und hämische Schadenfreude, sondern vielmehr Selbstgerechtigkeit, befriedigte Eitelkeit, Dünkel des Besserwissens und jene Vornehmthuerei beschränkter Köpfe ausgedrückt werden, die in unserer Zeit Aufklärung heisst. Daneben aber muss dem eigentlichen Pöbel sein volles Anrecht an der Freude bleiben, der Kreuzigung zuzusehen. Derselbe, der „kreuzige, kreuzige!“ vor dem Richter schrie, gehört auch unter die Schaulustigen bei der Execution. Der sogenannte Höllenbreughel malte die Kreuzigung so, dass Christus ausschliesslich vom verworfensten Lumpengesindel umgeben ist. Kugler, Berliner Museum 247. Auf altdeutschen [525] Bildern zeichnet sich unter dem Kreuzigungspöbel die oft wiederholte Gestalt eines rothen, daher auch Rufus benannten, Juden von scheusslichster Bosheit aus, ein Ideal des „süssen Pöbels“ für alle Zeiten, in welchem die Maler damals alles Hässliche des beim Tode Christi hohnlachenden Judenthums personificirten. Auf einem Bild in Wien, gemalt von Martin Schön, sind die Widersacher Christi unter dem Kreuz mannigfach karikirt, und auf einem Bilde des älteren Holbein macht sich ein bleicher Mann mit scharfen italienischen Zügen und einer Hahnenfeder bemerklich (gleichfalls auf mehreren Bildern wiederkehrend), dem man eine fast dämonische Bedeutung geben könnte. Vgl. Kugler, Gesch. d. Malerei II. 79.
In der dritten Gruppe vertreten die römischen Kriegsknechte jene stolze Omnipotenz des Staats, die, der alleinigen Weltherrschaft sich bewusst, für das Heilige blind ist und in roher Gleichgültigkeit das menschliche Gesetz vollzieht, ahnungslos die Nähe Gottes verkennend. Nur ein Hauptmann gelangt zu dieser Ahnung. Vgl. d. Art. Lanze. Die niedern Knechte würfeln um den ungenähten Rock, weil ihnen herkömmlich die letzte Habe der Verurtheilten zugehört. Vgl. Rock. Man hat sich Mühe gegeben, herauszubringen, dass eine in Germanien geworbene Cohorte der Römer jenen Dienst am Kreuz versehen, und unnützen Witz an den Westphalen geübt, die man vorzugsweise dabei betheiligt sehen wollte.
Neben diesen lebendigen Gruppen drängt sich eine vierte aus den Gräbern hervor, denn nach Matth. 27, 50 f. nahm die stumme Natur an dem Tode Jesu nicht minder Antheil, als sie an seiner Geburt genommen hatte. Die Erde bebte, indem die göttliche Seele vom menschlichen Leibe schied; der Vorhang des Tempels zerriss von oben bis unten, Felsen stürzten ein, die Gräber thaten sich auf und aufstunden viele Leiber der Heiligen, die bis dahin geschlafen hatten, und gingen hervor und erschienen vielen Personen in Jerusalem. Unter diesen Heiligen sind wahrscheinlich die Propheten zu verstehen, die lange Jahrhunderte vorher den Messias verkündet [526] hatten, während die Patriarchen der ältesten Zeit, denen die Prophetengabe nicht eingewohnt, ihre Gräber nicht verliessen, sondern in der Vorhölle der Ankunft des Erlösers harren mussten.
Wie bei der Geburt des Heilandes ein neues glänzendes Sternenlicht erschienen war, so verfinsterten sich bei seinem Tode die gewohnten Leuchten am Himmel, Sonne und Mond. Diese Verfinsterung fehlt fast nie auf älteren Bildern der Kreuzigung, und wird öfters gar naiv ausgedrückt, indem die beiden Himmelskörper als ganze Figuren sich mit dem Gewand verhüllen oder die Thränen trocknen, oder als blosse Köpfe (Sonnen- und Mondgesichter) weinen. Vgl. Fiorillo I. 50. Waagen, Deutschland I. 95. 106. Piper, Myth. II. 138. 154. In der Strassburger Handschrift des Herrad von Landsberg sind sie noch in antiker Weise als Apollo und Diana gemalt, ohne dem christlichen Gefühl Eintrag zu thun, weil es in unschuldiger Naivetät geschieht.
Von einer herrlichen neuen Blume, die unter dem Kreuze aus Christi Blut entsprossen sey, berichtet Nieremberg, hist. nat. 465. Sie soll von allen Krankheiten heilen, Majoli, hist. I. 5. Man nennt sie wegen ihrer rothen Flecken Rothseelchen. Wolf, niederl. Sagen 670. Vom Todtenkopf Adams, der gleichfalls unter dem Crucifix in einem symbolischen Sinn vorkommt, s. den Artikel Adam. Die Schlange unter dem Crucifix, als Gegenbild der Schlange am Baume im Paradiese ist Symbol des durch den Tod Christi überwundenen bösen Princips. So auf dem schönen Elfenbeindeckel des berühmten Bamberger Missale. Förster, deutsche Kunst I. 63. In dem reichen Evangelienbuch der Münchner Bibliothek (aus dem Kloster Niedermünster) steht rechts vom Crucifix vita, ein gekröntes Weib mit erhobenen Händen, und mors, ein zerlumptes Weib mit durchschnittenem Halse und zerbrochener Lanze. Kugler, Gesch. d. Mal. II. 14. Sehr ähnlich den einander häufig gegenüberstehenden Gestalten der christlichen Kirche und jüdischen Synagoge.
Auf einem berühmten spanischen Bilde ist Christus am [527] Kreuze todt und ganz allein in tiefer Nacht gemalt. Viardot II. 210. v. Quandt, Reise in Spanien S. 97. A. Stolz, Spanisches S. 152. Eben so in Miniaturen. Waagen, Paris 381. Im Gebetbuch Kaiser Karls V. steht Maria ganz allein in tiefer Nacht beim Sohne am Kreuz. Rathgeber, Annalen 76. Das ist tiefsinniger und unendlich rührender, als auf andern Bildern die häufige Umgebung von Engeln, die den Eindruck der Einsamkeit des Todes stören. — Voll genialer Kühnheit ist der Gedanke, neben dem Heiland am Kreuze ganz allein den Teufel zu malen, der ihn verhöhnt, wähnend, er sey für immer todt. Im alten Stuttgarter Psalterium. Bibl.-Nr. 23. p. 102b. Daselbst, p. 27., wird Christus, der einsam am Kreuze hängt, oben von einem Einhorn, unten von einem Löwen feindlich bestürmt. Der Löwe erklärt sich aus Psalm 22, 14.
Zu Laupheim in Oberschwaben befindet sich ein Crucifix, von dem eine lange Kette ausgeht, welche die ganze Kirche umschliesst, gestiftet von einem Fuhrmann, der einer grossen Gefahr entging, aber mit allegorischer Anwendung auf die Gebundenheit der Kirche an das Crucifix. Auf einem sehr alten Elfenbeindeckel in Bamberg ist Christus am Kreuz dargestellt, links der Kriegsknecht, der ihn mit der Lanze in die Seite stösst, und dahinter eine weibliche Figur mit der Siegesfahne und einem Kelch, in dem sie das Blut auffängt, rechts hinter dem Evangelisten Johannes dieselbe Figur vor einer andern thronenden und gekrönten weiblichen Figur, der sie Geschenke darzureichen scheint. Die siegende und die triumphirende Kirche. Unter dem Kreuz windet sich der Höllendrache. E. Förster, Gesch. d. deutschen Kunst I. 63. Molanus, hist. imag. 401., erwähnt alter Bilder, auf denen neben dem Crucifix zur Rechten die jugendliche Allegorie der Kirche steht, die das aus Christi Seitenwunde strömende Blut im Kelch auffängt; zur Linken aber die Synagoge mit verbundenen Augen, gesenktem Kopf und herabfallender Krone. Dagegen widerspricht es dem menschlichen Gefühle, Mariens Mutterbrust dergestalt mit des Sohnes Seitenwunde [528] parallelisirt zu sehen, dass aus jener Milch, aus dieser Blut in dasselbe Gefäss fliesst. Vgl. Berckenmeyer, kur. Antiqu. I. 484.
In einem Auto des Lope de Vega hängt Christus am Kreuz zwischen dem zersägten Jesaias und dem enthaupteten Johannes, als seinen alttestamentalischen Vorbildern. Gott Vater ist auch zugegen und droht den Juden schreckliche Rache. v. Schack, dramat. Lit. d. Span. II. 410. Sonst ist das umfassendste Vorbild der Kreuzigung im Psalm 22. enthalten. Auch in Abrahams Opfer, wobei insbesondere Isaak, indem er das Holz selber zum Altar trägt, an dem er vom Vater soll geopfert werden, Vorbild der Kreuztragung wird.
Den Tod der Kreuzigung erlitten nach Christi Vorgang viele Heilige. Der Apostel Petrus bat sich aus Demuth aus, verkehrt, d. h. kopfüber gekreuzigt zu werden. Der Apostel Andreas betete das schiefe Kreuz an, bevor er an dasselbe geschlagen wurde. Beide, so wie auch der gekreuzigte heilige Nestor (6. Februar), sollen noch am Kreuz gepredigt haben. Gekreuzigt wurde auch der heilige Bischof Simeon von Jerusalem. (Sein Bild an der Decke der Abtei Braunweiler wurde von Kugler irrig für Christus gehalten.) Auch viele heilige Frauen und Jungfrauen starben am Kreuz, St. Benedikta, Eulalia, Falconia, Julia von Corsika. Auf vielen alten Kirchenbildern kommt eine bärtige und gekrönte Jungfrau am Kreuze vor unter den verschiedenen Namen Liberata, Wilpefortis, St. Gehülfe, St. Kümmerniss. Vgl. den Art. Kümmerniss.