Christliche Symbolik/Thamar
das alttestamentalische Vorbild der äussern Schmach, welcher das Christenthum so oft unterzogen worden ist und sich freiwillig unterzogen hat, um seine höhere Mission zu vollbringen. Indem Thamar durch uneheliche und sogar blutschänderische Geburt gleichwohl die Stammmutter Davids, der Maria und des Heilands wurde, wird damit ausgedrückt, dass Gott, indem er seinen eingebornen Sohn als Heiland der Welt gerade in diesem Schmutz des Judenthums und in der Gesetzwidrigkeit einer sündigen Umarmung die irdischen Wurzeln schlagen liess, nur das Uebel dieser Welt gleichsam mit der Wurzel ausheben und nicht sowohl den Weisen und Gerechten, als vielmehr den Verlornen und Verachteten, den Ausgestossenen und Parias die Erbarmung und Erlösung bringen wollte. Die Legitimität nach dem äussern Gesetz, der starren Gerechtigkeit des Mosaismus, hatte keinen Werth mehr für den [479] Allerbarmer, der nicht das einseitige Volkswohl der Hebräer, sondern die Erlösung des gesammten menschlichen Geschlechts wollte und darum sich gerade am liebsten an die Elenden und Heiden wandte, und seine Apostel unter Zöllnern und Sündern wählte. Noch specieller ist Thamar das Vorbild der Sünderin Magdalena, die dem Heiland geistig so nahe stand, wie Thamar durch die Abstammung. Rupert von Deutz hat Thamar und Ruth zusammengestellt als poenitentia und paupertas, die beiden Vorbedingungen alles christlichen Heils. Seine Deutung der Geschichte Thamars ist sehr sinnreich. Er sieht in Thamar selbst die Busse; im Judas das Erbarmen; in Ring, Schnur und Stab, die sie zum Pfand erhält, Glaube, Liebe und Hoffnung; in dem Bock, den sie zum Preis empfängt, das Lamm Gottes oder die Erlösung; in den beiden Zwillingen endlich den Gegensatz von Judenthum und Heidenthum, so zwar, dass Serah mit dem rothen Faden an der Hand, der zuerst zum Vorschein kommt, aber doch das Recht der Erstgeburt wieder verliert, das Judenthum, Perez dagegen das anfangs zurückgesetzte Heidenthum bedeutet, in welchem das Christenthum segensreicher wirkte und von dem es viel umfassender und gehorsamer anerkannt und aufgenommen wurde, als vom Judenthum. Rupertus Tuit. p. 97.