Critik der reinen Vernunft (1781)/Der Transscendentalen Doctrin der Urtheilskraft (oder Analytik der Grundsätze) Erstes Hauptstück. Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe.

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Der
Transscendentalen Doctrin
der Urtheilskraft
(oder Analytik der Grundsätze)
Erstes Hauptstück.
Von dem
Schematismus der reinen Verstandesbegriffe.

In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit der leztern gleichartig seyn, d. i. der Begriff muß dasienige enthalten, was in dem darunter zu subsumirenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sey unter einem Begriffe enthalten. So hat der empirische Begriff eines Tellers mit dem reinen geometrischen eines Cirkels Gleichartigkeit, indem die Rundung, die in dem ersteren gedacht wird, sich im lezteren anschauen läßt.

 Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ia überhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig und können niemals in irgend einer Anschauung angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion der lezteren unter die erste, mithin die Anwendung der Categorie auf Erscheinungen möglich, da doch niemand sagen wird: diese, z. B. die Caussalität, könne auch durch Sinne angeschauet werden und sey in der| Erscheinung enthalten? Diese so natürliche und erhebliche Frage ist nun eigentlich die Ursache, welche eine transscendentale Doctrin der Urtheilskraft nothwendig macht, um nemlich die Möglichkeit zu zeigen: wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können. In allen anderen Wissenschaften, wo die Begriffe, durch die der Gegenstand allgemein gedacht wird, von denen, die diesen in concreto vorstellen, wie er gegeben wird, nicht so unterschieden und heterogen sind, ist es unnöthig, wegen der Anwendung des ersteren auf den lezten besondere Erörterung zu geben.

 Nun ist klar: daß es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der Categorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muß, und die Anwendung der ersteren auf die lezte möglich macht. Diese vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits intellectuel, andererseits sinnlich seyn. Eine solche ist das transscendentale Schema.

 Der Verstandesbegriff enthält reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen überhaupt. Die Zeit, als die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknüpfung aller Vorstellungen, enthält ein Mannigfaltiges a priori in der reinen Anschauung. Nun ist eine transscendentale Zeitbestimmung mit der Categorie (die die Einheit derselben ausmacht) sofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber andererseits mit der Erscheinung so fern| gleichartig, als die Zeit in ieder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird eine Anwendung der Categorie auf Erscheinungen möglich seyn, vermittelst der transscendentalen Zeitbestimmung, welche, als das Schema der Verstandesbegriffe, die Subsumtion der lezteren unter die erste vermittelt.
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 Nach demienigen, was in der Deduction der Categorien gezeigt worden, wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen, sich über die Frage zu entschliessen: ob diese reine Verstandesbegriffe von blos empirischem oder auch von transscendentalem Gebrauche seyn, d. i. ob sie lediglich, als Bedingungen einer möglichen Erfahrung sich a priori auf Erscheinungen beziehen, oder ob sie, als Bedingungen der Möglichkeit der Dinge überhaupt, auf Gegenstände an sich selbst (ohne einige Restriction auf unsre Sinnlichkeit) erstreckt werden können. Denn da haben wir gesehen; daß Begriffe ganz unmöglich seyn, noch irgend einige Bedeutung haben können, wo nicht, entweder ihnen selbst, oder wenigstens den Elementen, daraus sie bestehen, ein Gegenstand gegeben ist, mithin auf Dinge an sich, (ohne Rücksicht, ob und wie sie uns gegeben werden mögen) gar nicht gehen können; daß ferner die einzige Art, wie uns Gegenstände gegeben werden, die Modification unserer Sinnlichkeit sey, endlich, daß reine Begriffe a priori, ausser der Function des Verstandes in der Categorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit| (namentlich des innern Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Categorie allein auf irgend einen Gegenstand angewandt werden kan. Wir wollen diese formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringirt ist, das Schema dieses Verstandesbegriffs, und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schematen den Schematismus des reinen Verstandes nennen.

 Das Schema ist an sich selbst iederzeit nur ein Product der Einbildungskraft; aber indem die Synthesis der lezteren keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde zu unterscheiden. So, wenn ich fünf Puncte hinter einander setze, ..... ist dieses ein Bild von der Zahl fünf. Dagegen, wenn ich eine Zahl überhaupt nur denke, die nun fünf oder hundert seyn kan, so ist dieses Denken mehr die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge (z. E. Tausend) in einem Bilde vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im leztern Falle schwerlich würde übersehen und mit dem Begriff vergleichen können. Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe.

 In der That liegen unsern reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemate zum| Grunde. Dem Begriffe von einem Triangel überhaupt würde gar kein Bild desselben iemals adäquat seyn. Denn es würde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daß dieser für alle, recht- oder schiefwinklichte etc. gilt, sondern immer nur auf einen Theil dieser Sphäre eingeschränkt seyn. Das Schema des Triangels kan niemals anderswo als in Gedanken existiren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume. Noch vielweniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben iemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich iederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe. Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüssigen Thieres allgemein verzeichnen kan, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein iedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kan, eingeschränkt zu seyn. Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer blossen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich iemals abrathen, und sie unverdeckt vor Augen legen werden. So viel können wir nur sagen: das Bild ist ein Product des empirischen Vermögens der productiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der| Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Monogram der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wornach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig congruiren. Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kan, sondern ist nur die reine Synthesis, gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Categorie ausdrükt, und ist ein transscendentales Product der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des inneren Sinnes überhaupt, nach Bedingungen ihrer Form, (der Zeit) in Ansehung aller Vorstellungen, betrift, so fern diese der Einheit der Apperception gemäß a priori in einem Begriff zusammenhängen sollten.

 Ohne uns nun bey einer trockenen und langweiligen Zergliederung dessen, was zu transscendentalen Schematen reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird, aufzuhalten, wollen wir sie lieber nach der Ordnung der Categorien und in Verknüpfung mit diesen darstellen.

 Das reine Bild aller Grössen (quantorum) vor dem äussern Sinne, ist der Raum, aller Gegenstände der Sinne aber überhaupt, die Zeit. Das reine Schema der Grösse aber (quantitatis) als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die successive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anders, als die| Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge.

 Realität ist im reinen Verstandesbegriffe das, was einer Empfindung überhaupt correspondirt; dasienige also, dessen Begriff an sich selbst ein Seyn (in der Zeit) anzeigt. Negation, dessen Begriff ein Nichtseyn (in der Zeit) vorstellt. Die Entgegensetzung beider geschieht also in dem Unterschiede derselben Zeit, als einer erfülleten, oder leeren Zeit. Da die Zeit nur die Form der Anschauung, mithin der Gegenstände, als Erscheinungen ist, so ist das, was an diesen der Empfindung entspricht, die transscendentale Materie aller Gegenstände, als Dinge an sich (die Sachheit, Realität). Nun hat iede Empfindung einen Grad oder Grösse, wodurch sie dieselbe Zeit, d. i. den innren Sinn in Ansehung derselben Vorstellung eines Gegenstandes, mehr oder weniger erfüllen kan, bis sie in Nichts (= 0 = negatio) aufhört. Daher ist ein Verhältniß und Zusammenhang, oder vielmehr ein Uebergang von Realität zur Negation, welcher iede Realität, als ein Quantum vorstellig macht, und das Schema einer Realität, als der Quantität von Etwas, so fern es die Zeit erfüllt, ist eben diese continuirliche und gleichförmige Erzeugung derselben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewissen Grad hat, in der Zeit bis zum Verschwinden derselben hinabgeht, oder von der Negation zu der Grösse derselben allmählig aufsteigt.

|  Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andre wechselt. (Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Daseyn des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, correspondirt in der Erscheinung das Unwandelbare im Daseyn, d. i. die Substanz, und blos an ihr kan die Folge und das Zugleichseyn der Erscheinungen der Zeit nach bestimmet werden).

 Das Schema der Ursache und der Caussalität eines Dinges überhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesezt wird, iederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der Succession des Mannigfaltigen, in so fern sie einer Regel unterworfen ist.

 Das Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung), oder der wechselseitigen Caussalität der Substanzen in Ansehung ihrer Accidenzen, ist das Zugleichseyn der Bestimmungen der Einen, mit denen der Anderen, nach einer allgemeinen Regel.

 Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt, (z. B. da das entgegengesezte in einem Dinge nicht zugleich, sondern nur nach einander seyn kan), also die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgend einer Zeit.

|  Das Schema der Wirklichkeit ist das Daseyn in einer bestimten Zeit.

 Das Schema der Nothwendigkeit [ist] das Daseyn eines Gegenstandes zu aller Zeit.

 Man siehet nun aus allem diesem, daß das Schema einer ieden Categorie, als das der Grösse, die Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst, in der successiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema der Qualität die Synthesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die Erfüllung der Zeit, das der Relation das Verhältniß der Wahrnehmungen unter einander zu aller Zeit (d. i. nach einer Regel der Zeitbestimmung), endlich das Schema der Modalität und ihrer Categorien, die Zeit selbst, als das Correlatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre, enthalte und vorstellig mache. Die Schemate sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Categorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Ansehung aller möglichen Gegenstände.

 Hieraus erhellet nun, daß der Schematismus des Verstandes durch die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft auf nichts anders, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in dem innern Sinne, und so indirect auf die Einheit der Apperception, als Function, welche dem innern Sinn (einer Receptivität) correspondirt, hinauslaufe. Also sind die Schemate der reinen| Verstandesbegriffe die wahre und einzige Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Obiecte, mithin Bedeutung zu verschaffen, und die Categorien sind daher am Ende von keinem andern, als einem möglichen empirischen Gebrauche, indem sie blos dazu dienen, durch Gründe einer a priori nothwendigen Einheit (wegen der nothwendigen Vereinigung alles Bewustseyns in einer ursprünglichen Apperception) Erscheinungen allgemeinen Regeln der Synthesis zu unterwerfen, und sie dadurch zur durchgängigen Verknüpfung in einer Erfahrung schicklich zu machen.

 In dem Ganzen aller möglichen Erfahrung liegen aber alle unsere Erkentnisse, und in der allgemeinen Beziehung auf dieselbe besteht die transscendentale Wahrheit, die vor aller empirischen vorhergeht, und sie möglich macht.

 Es fällt aber doch auch in die Augen, daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Categorien allererst realisiren, sie doch selbige gleichwol auch restringiren, d. i. auf Bedingungen einschränken, die ausser dem Verstande liegen (nemlich in der Sinnlichkeit). Daher ist das Schema eigentlich nur das Phänomenon, oder der sinnliche Begriff eines Gegenstandes, in Uebereinstimmung mit der Categorie. (numerus est quantitas phaenomenon, sensatio realitas phaenomenon, constans et perdurabile rerum substantia phaenomenon - - aeternitas, necessitas phaenomena etc.) Wenn wir nun eine restringirende Bedingung weglassen; so amplificiren wir, wie es| scheint, den vorher eingeschränkten Begriff; so sollten die Categorien in ihrer reinen Bedeutung, ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit, von Dingen überhaupt gelten, wie sie sind, anstatt, daß ihre Schemate sie nur vorstellen, wie sie erscheinen, iene also eine von allen Schematen unabhängige und viel weiter erstreckte Bedeutung haben. In der That bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine, aber nur logische Bedeutung der blossen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand, mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Obiect abgeben könte. So würde z. B. Substanz, wenn man die sinnliche Bestimmung der Beharrlichkeit wegliesse, nichts weiter als ein Etwas bedeuten, das als Subiect, (ohne ein Prädicat von etwas anderen zu seyn) gedacht werden kan. Aus dieser Vorstellung kan ich nun nichts machen, indem sie mir gar nicht anzeigt, welche Bestimmungen das Ding hat, welches als ein solches erste Subiect gelten soll. Also sind die Categorien, ohne Schemate, nur Functionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor. Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisirt, indem sie ihn zugleich restringirt.


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