Critik der reinen Vernunft (1781)/Des dritten Hauptstücks Fünfter Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines cosmologischen Beweises vom Daseyn Gottes.

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Des dritten Hauptstücks
Fünfter Abschnitt.
Von der
Unmöglichkeit eines cosmologischen Beweises
vom Daseyn Gottes.
Es war etwas ganz Unnatürliches und eine blosse Neuerung des Schulwitzes, aus einer ganz willkührlich entworfenen Idee das Daseyn des ihr entsprechenden Gegenstandes[WS 1] selbst ausklauben zu wollen. In der That würde man es nie auf diesem Wege versucht haben, wäre nicht das[WS 2] Bedürfniß unserer Vernunft, zur Existenz überhaupt irgend etwas Nothwendiges (bey dem man im Aufsteigen stehen bleiben könne) anzunehmen, vorhergegangen und, wäre nicht die Vernunft, da diese Nothwendigkeit unbedingt und a priori gewiß seyn muß, gezwungen worden, einen Begriff zu suchen, der, wo möglich, einer solchen Foderung ein Gnüge thäte, und ein Daseyn völlig a priori zu erkennen gäbe. Diesen glaubte man nun in der Idee eines allerrealesten Wesens zu finden, und so wurde diese nur zur bestimteren Kentniß desienigen, wovon man schon anderweitig überzeugt oder überredet war, es müsse existiren, nemlich des nothwendigen Wesens gebraucht. Indeß verheelete man diesen natürlichen Gang der Vernunft, und, anstatt bey diesem Begriffe zu endigen, versuchte man von ihm anzufangen, um die Nothwendigkeit des Daseyns aus ihm abzuleiten, die er doch nur zu ergänzen| bestimt war. Hieraus entsprang nun der verunglückte ontologische Beweis, der weder vor den natürlichen und gesunden Verstand, noch vor die schulgerechte Prüfung etwas genugthuendes bey sich führet.

 Der cosmologische Beweis, den wir iezt untersuchen wollen, behält die Verknüpfung der absoluten Nothwendigkeit mit der höchsten Realität bey, aber, anstatt, wie der vorige, von der höchsten Realität auf die Nothwendigkeit im Daseyn zu schliessen, schließt er vielmehr von der, zum voraus gegebenen unbedingten Nothwendigkeit irgend eines Wesens, auf dessen unbegränzte Realität, und bringt so fern alles wenigstens in das Gleiß einer, ich weiß nicht ob vernünftigen, oder vernünftelnden, wenigstens natürlichen Schlußart, welche nicht allein vor den gemeinen, sondern auch den speculativen Verstand die meiste Ueberredung bey sich führt, wie sie denn auch sichtbarlich zu allen Beweisen der natürlichen Theologie die erste Grundlinien zieht, denen man iederzeit nachgegangen ist und ferner nachgehen wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk und Schnörkel verzieren und verstecken, als man immer will. Diesen Beweis, den Leibnitz auch den a contingentia mundi nante, wollen wir iezt vor Augen stellen und der Prüfung unterwerfen.

 Er lautet also: Wenn etwas existirt, so muß auch ein schlechterdingsnothwendiges Wesen existiren. Nun existire, zum mindesten, ich selbst: also existirt ein absolutnothwendiges Wesen. Der Untersatz enthält eine Erfahrung,| der Obersatz die Schlußfolge aus einer Erfahrung überhaupt auf das Daseyn des Nothwendigen[1]. Also hebt der Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gänzlich a priori geführt, oder ontologisch, und weil der Gegenstand aller möglichen Erfahrung Welt heißt, so wird er darum der cosmologische Beweis genant. Da er auch von aller besondern Eigenschaft der Gegenstände der Erfahrung, dadurch sich diese Welt von ieder möglichen unterscheiden mag, abstrahirt: so wird er schon in seiner Benennung auch vom physicotheologischen Beweise unterschieden, welcher Beobachtungen der besonderen Beschaffenheit dieser unserer Sinnenwelt zu Beweisgründen braucht.
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 Nun schließt der Beweis weiter: das nothwendige Wesen kan nur auf eine einzige Art, d. i. in Ansehung aller möglichen entgegengesezten Prädicate nur durch eines derselben bestimt werden, folglich muß es durch seinen Begriff durchgängig bestimt seyn. Nun ist nur ein einziger Begriff von einem Dinge möglich, der dasselbe a priori durchgängig bestimt, nemlich der des entis realissimi: Also ist der Begriff des allerrealesten Wesens der| einzige, dadurch ein nothwendiges Wesen gedacht werden kan, d. i. es existirt ein höchstes Wesen nothwendiger Weise.
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 In diesem cosmologischen Argumente kommen so viel vernünftelnde Grundsätze zusammen, daß die speculative Vernunft hier alle ihre dialectische Kunst aufgeboten zu haben scheint, um den größtmöglichen transscendentalen Schein zu Stande zu bringen. Wir wollen ihre Prüfung indessen eine Weile bey Seite setzen, um nur eine List derselben offenbar zu machen, mit welcher sie ein altes Argument in verkleideter Gestalt vor ein neues aufstellt und sich auf zweier Zeugen Einstimmung beruft, nemlich einem reinen Vernunftzeugen und einem anderen von empirischer Beglaubigung, da es doch nur der erstere allein ist, welcher blos seinen Anzug und Stimme verändert, um vor einen zweiten gehalten zu werden. Um seinen Grund recht sicher zu legen, fusset sich dieser Beweis auf Erfahrung und giebt sich dadurch das Ansehen, als sey er vom ontologischen Beweise unterschieden, der auf lauter reine Begriffe a priori sein ganzes Vertrauen sezt. Dieser Erfahrung aber bedient sich der cosmologische Beweis nur, um einen einzigen Schritt zu thun, nemlich zum Daseyn eines nothwendigen Wesens überhaupt. Was dieses vor Eigenschaften habe, kan der empirische Beweisgrund nicht lehren, sondern da nimt die Vernunft gänzlich von ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen: was nemlich ein absolutnothwendiges Wesen überhaupt| vor Eigenschaften haben müsse, d. i. welches unter allen möglichen Dingen die erforderliche Bedingungen (requisita) zu einer absoluten Nothwendigkeit in sich enthalte. Nun glaubt sie im Begriffe eines allerrealesten Wesens einzig und allein diese Requisite anzutreffen, und schließt sodann: das ist das schlechterdingsnothwendige Wesen. Es ist aber klar: daß man hiebey voraussezt, der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität thue dem Begriffe der absoluten Nothwendigkeit im Daseyn völlig gnug, d. i. es lasse sich aus iener auf diese schliessen, ein Satz, den das ontologische Argument behauptete, welches man also im cosmologischen Beweise annimt und zum Grunde legt, da man es doch hatte vermeiden wollen. Denn die absolute Nothwendigkeit ist ein Daseyn aus blossen Begriffen. Sage ich nun: der Begriff des entis realissimi ist ein solcher Begriff und zwar der einzige, der zu dem nothwendigen Daseyn passend und ihm adäquat ist, so muß ich auch einräumen, daß aus ihm das leztere geschlossen werden könne. Es ist also eigentlich nur der ontologische Beweis aus lauter Begriffen, der in dem sogenanten cosmologischen alle Beweiskraft enthält, und die angebliche Erfahrung ist ganz müssig, vielleicht, um uns nur auf den Begriff der absoluten Nothwendigkeit zu führen, nicht aber um diese an irgend einem bestimten Dinge darzuthun. Denn sobald wir dieses zur Absicht haben, müssen wir so fort alle Erfahrung verlassen, und unter reinen Begriffen suchen, welcher von ihnen wol die Bedingungen| der Möglichkeit eines absolutnothwendigen Wesens enthalte. Ist aber auf solche Weise nur die Möglichkeit eines solchen Wesens eingesehen, so ist auch sein Daseyn dargethan; denn es heißt so viel, als: unter allem Möglichen ist Eines, das absolute Nothwendigkeit bey sich führt, d. i. dieses Wesen existirt schlechterdingsnothwendig.

 Alle Blendwerke im Schliessen entdecken sich am leichtesten, wenn man sie auf schulgerechte Art vor Augen stellt. Hier ist eine solche Darstellung.

 Wenn der Satz richtig ist: ein iedes schlechthinnothwendiges Wesen ist zugleich das allerrealeste Wesen (als welches der neruus probandi des cosmologischen Beweises ist), so muß er sich, wie alle beiahende Urtheile, wenigstens per accidens umkehren lassen; also einige allerrealeste Wesen sind zugleich schlechthinnothwendige Wesen. Nun ist aber ein ens realissimum von einem anderen in keinem Stücke unterschieden und, was also von einigen unter diesem Begriffe enthaltenen gilt, das gilt auch von allen. Mithin werde ich (in diesem Falle) auch schlechthin umkehren können, d. i. ein iedes allerrealste Wesen ist ein nothwendiges Wesen. Weil nun dieser Satz blos aus seinen Begriffen a priori bestimt ist: so muß der blosse Begriff des realesten Wesens auch die absolute Nothwendigkeit desselben bey sich führen, welches eben der ontologische Beweis behauptete und der cosmologische nicht anerkennen| wolte, gleichwol aber seinen Schlüssen, obzwar versteckter Weise, unterlegte.

 So ist denn der zweite Weg, den die speculative Vernunft nimt, um das Daseyn des höchsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten gleich trüglich, sondern hat noch dieses tadelhafte an sich, daß er eine ignoratio elenchi begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußsteig zu führen, aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum auf den alten zurück bringt, den wir seinetwegen verlassen hatten.

 Ich habe kurz vorher gesagt: daß in diesem cosmologischen Argumente sich ein ganzes Nest von dialectischen Anmassungen verborgen halte, welches die transscendentale Critik leicht entdecken und zerstören kan. Ich will sie iezt nur anführen und es dem schon geübten Leser überlassen, den trüglichen Grundsätzen weiter nachzuforschen und sie aufzuheben.

 Da befindet sich denn z. B. 1. der transscendentale Grundsatz: vom Zufälligen auf eine Ursache zu schliessen, welcher nur in der Sinnenwelt von Bedeutung ist, ausserhalb derselben aber auch nicht einmal einen Sinn hat. Denn der blos intellectuelle Begriff des Zufälligen kan gar keinen synthetischen Satz, wie den der Caussalität, hervorbringen, und der Grundsatz der lezteren hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauchs, als nur in der Sinnenwelt; hier aber solte er gerade dazu dienen, um über die Sinnenwelt hinaus zu kommen. 2. Der| Schluß, von der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe über einander gegebenen Ursachen in der Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schliessen, wozu uns die Principien des Vernunftgebrauchs selbst in der Erfahrung nicht berechtigen, vielweniger diesen Grundsatz über dieselbe (wohin diese Kette gar nicht verlängert werden kan) ausdehnen können. 3. Die falsche Selbstbefriedigung der Vernunft, in Ansehung der Vollendung dieser Reihe, dadurch: daß man endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein Begriff einer Nothwendigkeit statt finden kan, wegschaft und, da man alsdenn nichts weiter begreifen kan, dieses vor eine Vollendung seines Begriffs annimt. 4. Die Verwechselung der logischen Möglichkeit eines Begriffs von aller vereinigten Realität (ohne inneren Widerspruch) mit der transscendentalen, welche ein Principium der Thunlichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das aber wiederum nur auf das Feld möglicher Erfahrungen gehen kan, u. s. w.
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 Das Kunststück des cosmologischen Beweises zielet blos darauf ab, um dem Beweise des Daseyns eines nothwendigen Wesens a priori durch blosse Begriffe auszuweichen, der ontologisch geführt werden müßte, wozu wir uns aber gänzlich unvermögend fühlen. In dieser Absicht schliessen wir aus einem zum Grunde gelegten wirklichen Daseyn (einer Erfahrung überhaupt), so gut es sich will thun lassen, auf irgend eine schlechterdingsnothwendige Bedingung desselben. Wir haben alsdenn dieser ihre Möglichkeit nicht nöthig zu erklären. Denn, wenn| bewiesen ist, daß sie da sey, so ist die Frage wegen ihrer Möglichkeit ganz unnöthig. Wollen wir nun dieses nothwendige Wesen nach seiner Beschaffenheit näher bestimmen, so suchen wir nicht dasienige, was hinreichend ist, aus seinem Begriffe die Nothwendigkeit des Daseyns zu begreifen, denn könten wir dieses, so hätten wir keine empirische Voraussetzung nöthig; nein, wir suchen nur die negative Bedingung, (conditio sine qua non), ohne welche ein Wesen nicht absolutnothwendig seyn würde. Nun würde das in aller anderen Art von Schlüssen, aus einer gegebenen Folge auf ihren Grund, wol angehen; es trift sich aber hier unglücklicher Weise, daß die Bedingung, die man zur absoluten Nothwendigkeit fodert, nur in einem einzigen Wesen angetroffen werden kan, welches daher in seinem Begriffe alles, was zur absoluten Nothwendigkeit erfoderlich ist, enthalten müßte, und also einen Schluß a priori auf dieselbe möglich macht, d. i. ich müßte auch umgekehrt schliessen können: welchem Dinge dieser Begriff (der höchsten Realität) zukomt, das ist schlechterdings nothwendig und, kan ich so nicht schliessen, (wie ich denn dieses gestehen muß, wenn ich den ontologischen Beweis vermeiden will), so bin ich auch auf meinem neuen Wege verunglückt und befinde mich wiederum da, von wo ich ausging. Der Begriff des höchsten Wesens thut wol allen Fragen a priori ein Gnüge, die wegen der inneren Bestimmungen eines Dinges können aufgeworfen werden, und ist darum auch ein Ideal ohne| Gleichen, weil der allgemeine Begriff dasselbe zugleich als ein Individuum unter allen möglichen Dingen auszeichnet. Er thut aber der Frage wegen seines eigenen Daseyns gar kein Gnüge, als warum es doch eigentlich nur zu thun war, und man konte auf die Erkundigung dessen, der das Daseyn eines nothwendigen Wesens annahm und wissen wolte, welches denn unter allen Dingen davor angesehen werden müsse, nicht antworten: Dies hier ist das nothwendige Wesen.

 Es mag wol erlaubt seyn, das Daseyn eines Wesens von der höchsten Zulänglichkeit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen, anzunehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklärungsgründe, welche sie sucht, zu erleichteren. Allein, sich so viel herauszunehmen: daß man so gar sage: ein solches Wesen existirt nothwendig, ist nicht mehr die bescheidene Aeusserung einer erlaubten Hypothese, sondern die dreuste Anmassung einer apodictischen Gewißheit; denn, was man als schlechthinnothwendig zu erkennen vorgiebt, davon muß auch die Erkentniß absolute Nothwendigkeit bey sich führen.

 Die ganze Aufgabe des transscendentalen Ideals komt darauf an: entweder zu der absoluten Nothwendigkeit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgend einem Dinge die absolute Nothwendigkeit desselben zu finden. Kan man das eine, so muß man auch das andere können; denn als schlechthinnothwendig erkent die Vernunft nur dasienige, was aus seinem Begriffe nothwendig ist. Aber beides| übersteigt gänzlich alle äusserste Bestrebungen, unseren Verstand über diesen Punct zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu beruhigen.

 Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den lezten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund vor die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhafterhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemüth; denn sie mißt nur die Dauer der Dinge, aber trägt sie nicht. Man kan sich des Gedanken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das Höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, ausser mir ist nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung blos vor der speculativen Vernunft, der es nichts kostes, die eine so wie die andere, ohne die mindeste Hinderniß verschwinden zu lassen.

 Viele Kräfte der Natur, die ihr Daseyn durch gewisse Wirkungen äussern, bleiben vor uns unerforschlich; denn wir können ihnen durch Beobachtung nicht weit genug nachspühren. Das den Erscheinungen zum Grunde liegende transscendentale Obiect und, mit demselben der Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als andere| oberste Bedingungen habe, sind und bleiben vor uns unerforschlich, obzwar die Sache selbst übrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen ist. Ein Ideal der reinen Vernunft kan aber nicht unerforschlich heissen, weil es weiter keine Beglaubigung seiner Realität aufzuweisen hat, als die Bedürfniß der Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich, vielmehr muß er, als blosse Idee, in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden und also erforscht werden können; denn eben darin besteht Vernunft: daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sey aus obiectiven, oder, wenn sie ein blosser Schein sind, aus subiectiven Gründen Rechenschaft geben können.


Entdeckung und Erklärung
des dialectischen Scheins
in allen transscendentalen Beweisen vom Daseyn eines
nothwendigen Wesens.
 Beide bisher geführte Beweise waren transscendental, d. i. unabhängig von empirischen Principien versucht. Denn, obgleich der cosmologische eine Erfahrung überhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht aus irgend einer besonderen Beschaffenheit derselben, sondern aus reinen Vernunftprincipien, in Beziehung auf eine durchs empirische[WS 3] Bewustseyn überhaupt gegebene Existenz, geführet| und verläßt so gar diese Anleitung, um sich auf lauter reine Begriffe zu stützen. Was ist nun in diesen transscendentalen Beweisen die Ursache des dialectischen, aber natürlichen Scheins, welcher die Begriffe der Nothwendigkeit und höchsten Realität verknüpft und dasienige, was doch nur Idee seyn kan, realisirt und hypostasirt? Was ist die Ursache der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich nothwendig unter den existirenden Dingen anzunehmen, und doch zugleich von dem Daseyn eines solchen Wesens als einem Abgrunde zurückzubeben, und wie fängt man es an, daß sich die Vernunft hierüber selbst verstehe und aus dem schwankenden Zustande eines schüchternen und immer wiederum zurückgenommenen Beifalls, zur ruhigen Einsicht gelange?
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 Es ist etwas überaus Merkwürdiges: daß, wenn man voraussezt, etwas existire, man der Folgerung nicht Umgang haben kann: daß auch irgend etwas nothwendigerweise existire. Auf diesem ganz natürlichen (obzwar darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhete das cosmologische Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, so finde ich, daß sein Daseyn niemals von mir als schlechterdings nothwendig vorgestellt werden könne, und daß mich nichts hindere, es mag existiren was da wolle, das Nichtseyn desselben zu denken, mithin ich zwar zu dem Existirenden überhaupt etwas Nothwendiges annehmen müsse, kein einziges Ding aber selbst, als an sich nothwendig, denken könne: Das| heißt: ich kan das Zurückgehen zu den Bedingungen des Existirens niemals vollenden, ohne ein nothwendig Wesen anzunehmen, ich kan aber von demselben niemals anfangen.
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 Wenn ich zu existirenden Dingen überhaupt etwas Nothwendiges denken muß, kein Ding aber an sich selbst als nothwendig zu denken befugt bin, so folgt daraus unvermeidlich: daß Nothwendigkeit und Zufälligkeit nicht die Dinge selbst angehen und treffen müsse, weil sonst ein Widerspruch vorgehen würde, mithin keiner dieser beiden Grundsätze obiectiv sey, sondern sie allenfalls nur subiective Principien der Vernunft seyn können, nemlich einer Seits zu allem, was als existirend gegeben ist, etwas zu suchen, das nothwendig ist, d. i. niemals anderswo, als bey einer a priori vollendeten Erklärung aufzuhören, anderer Seits aber auch diese Vollendung niemals zu hoffen, d. i. nichts Empirisches als unbedingt anzunehmen, und sich dadurch fernerer Ableitung zu überheben. In solcher Bedeutung können beide Grundsätze als blos hevristisch und regulativ, die nichts, als das formale Interesse der Vernunft besorgen, ganz wol bey einander bestehen. Denn der eine sagt, ihr sollt so über die Natur philosophiren, als ob es zu allem, was zur Existenz gehört, einen nothwendigen ersten Grund gebe, lediglich um systematische Einheit in euer Erkentniß zu bringen, indem ihr einer solchen Idee, nemlich einem eingebildeten obersten Grunde, nachgeht: der andere aber warnet euch, keine| einzige Bestimmung, die die Existenz der Dinge betrift, vor einen solchen obersten Grund, d. i. als absolutnothwendig, anzunehmen, sondern euch noch immer den Weg zur ferneren Ableitung offen zu erhalten und sie daher iederzeit noch als bedingt zu behandeln. Wenn aber vor uns alles, was an den Dingen wahrgenommen wird, als bedingtnothwendig betrachtet werden muß: so kan auch kein Ding (das empirisch gegeben seyn mag) als absolutnothwendig angesehen werden.

 Es folgt aber hieraus: daß ihr das Absolutnothwendige ausserhalb der Welt annehmen müßt; weil es nur zu einem Princip der größtmöglichen Einheit der Erscheinungen, als deren oberster Grund, dienen soll und ihr in der Welt niemals dahin gelangen könt, weil die zweite Regel euch gebietet, alle empirische Ursachen der Einheit iederzeit als abgeleitet anzusehen.

 Die Philosophen des Alterthums sahen alle Form der Natur als zufällig, die Materie aber, nach dem Urtheile der gemeinen Vernunft, als ursprünglich und nothwendig an. Würden sie aber die Materie nicht als Substratum der Erscheinungen respectiv, sondern an sich selbst ihrem Daseyn nach betrachtet haben, so wäre die Idee der absoluten Nothwendigkeit so gleich verschwunden. Denn es ist nichts, was die Vernunft an dieses Daseyn schlechthin bindet, sondern sie kan solches, iederzeit und ohne Widerstreit, in Gedanken aufheben; in Gedanken aber lag auch allein die absolute Nothwendigkeit.| Es mußte also bey dieser Ueberredung ein gewisses regulative Princip zum Grunde liegen. In der That ist auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit (die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberste empirische Principium der Einheit der Erscheinungen und hat, so fern als es empirisch unbedingt ist, eine Eigenschaft des regulativen Princips an sich. Gleichwol, da iede Bestimmung der Materie, welche das Reale derselben ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit, eine Wirkung (Handlung) ist, die ihre Ursache haben muß und daher immer noch abgeleitet ist, so schickt sich die Materie doch nicht zur Idee eines nothwendigen Wesens, als eines Princips aller abgeleiteten Einheit; weil iede ihrer realen Eigenschaften, als abgeleitet, nur bedingt nothwendig ist und also an sich aufgehoben werden kan, hiemit aber das ganze Daseyn der Materie aufgehoben werden würde, wenn dieses aber nicht geschähe, wir den höchsten Grund der Einheit empirisch erreicht haben würden, welches durch das zweite regulative Princip verboten wird, so folgt: daß die Materie, und überhaupt, was zur Welt gehörig ist, zu der Idee eines nothwendigen Urwesens, als eines blossen Princips der größten empirischen Einheit, nicht schicklich sey, sondern daß es ausserhalb der Welt gesezt werden müsse, da wir denn die Erscheinungen der Welt und ihr Daseyn immer getrost von anderen ableiten können, als ob es kein nothwendig Wesen gäbe und dennoch zu der Vollständigkeit der Ableitung unaufhörlich streben können,| als ob ein solches, als ein oberster Grund, vorausgesezt wäre.
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 Das Ideal des höchsten Wesens ist nach diesen Betrachtungen nichts anders, als ein regulatives Princip der Vernunft, alle Verbindung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus einer allgnugsamen nothwendigen Ursache entspränge, um darauf die Regel einer systematischen und nach allgemeinen Gesetzen nothwendigen Einheit in der Erklärung derselben zu gründen und ist nicht eine Behauptung einer an sich nothwendigen Existenz. Es ist aber zugleich unvermeidlich, sich, vermittelst einer transscendentalen Subreption, dieses formale Princip als constitutiv vorzustellen und sich diese Einheit hypostatisch zu denken. Denn, so wie der Raum, weil er alle Gestalten, die lediglich verschiedene Einschränkungen desselben sind, ursprünglich möglich macht, ob er gleich nur ein Principium der Sinnlichkeit ist, dennoch eben darum vor ein schlechterdings nothwendiges vor sich bestehendes Etwas und einen a priori an sich selbst gegebenen Gegenstand gehalten wird, so geht es auch ganz natürlich zu: daß, da die systematische Einheit der Natur auf keinerley Weise zum Princip des empirischen Gebrauchs unserer Vernunft aufgestellet werden kan, als so fern wir die Idee eines allerrealesten Wesens, als der obersten Ursache, zum Grunde legen, diese Idee dadurch als ein wirklicher Gegenstand und dieser wiederum, weil er die oberste Bedingung ist, als nothwendig vorgestellet, mithin ein regulatives Princip| in ein constitutives verwandelt werde, welche Unterschiebung sich dadurch offenbart: daß, wenn ich nun dieses oberste Wesen, welches respectiv auf die Welt schlechthin (unbedingt) nothwendig war, als Ding vor sich betrachte, diese Nothwendigkeit keines Begriffs fähig ist, und also nur als formale Bedingung des Denkens, nicht aber als materiale und hypostatische Bedingung des Daseyns, in meiner Vernunft anzutreffen gewesen seyn müsse.



  1. Diese Schlußfolge ist zu bekant, als daß es nöthig wäre, sie hier weitläuftig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich transscendentalen Naturgesetz der Caussalität: daß alles Zufällige seine Ursache habe, die, wenn sie wiederum zufällig ist, eben sowol eine Ursache haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Ursachen sich bey einer schlechthinnothwendigen Ursache endigen muß, ohne welche sie keine Vollständigkeit haben würde.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gegestandes
  2. Vorlage: die
  3. Vorlage: empiriche


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