Daniel OConnell
Unter allen Lebenden wird in diesem Augenblick Niemand in dem Grade gepriesen und geschmäht, wie OConnell. Der Eine haßt, der Andere vergöttert sein Thun; die Meisten staunen ihn an wie eine beispiellose Erscheinung. Wir wollen versuchen, die Wirksamkeit dieses merkwürdigen Mannes begreiflich zu machen.
Wer hätte nicht von den Indianern gehört, die der Bürger der Vereinigten Staaten durch Bluthunde aufspüren läßt, mit Weib und Kindern vertilgt oder aus dem Lande ihrer Väter nach fernen Einöden vertreibt. Daß es auch solche Unglückliche in Europa gab und daß die freien Engländer ebenso verfuhren, ist weniger bekannt. Und doch liegt Irland uns näher.
Vier Jahrhunderte – von 1172 bis 1612 – dauerte die Menschenjagd, welche der Sasse, ein eingedrungener Eroberer, gegen den Celten, den rechtmäßigen Ureinwohner von Irland, führte. Nicht blos straflos blieb, ein Verdienst war es, Celten todt zu schlagen. Wo man die Menschen nicht erreichen konnte, zerstörte man ihre Wohnungen, vernichtete man ihre Ernten. Mit einem Worte: der Celte wurde behandelt wie die Rothhaut in Amerika, wie der Araber in Algerien. Die Bewohner Irlands ließen sich aber nicht ausrotten; der Celte behauptete sich in den unzugänglichen Mooren und Klüften seines Vaterlandes.
Am Ende hätte die allmächtige Zeit wohl auch den Stammeshaß abgestumpft, wäre nicht ein neuer Zwietrachtsapfel hineingefallen. Die Reformation trennte Protestanten und Katholiken. Was von den Sassen kam, war schon deshalb dem Celten verdächtig; er hing fest an der Ueberlieferung, wurde 13 Jahre – von 1612 bis 1625 – mit wüthendem Glaubenseifer verfolgt und aus der ganzen Provinz Ulster vertrieben, nahm aber dennoch an Macht zu, weil auch ein Theil der Sassen katholisch blieb und das Loos der Verfolgten theilte.
Als der Revolutionskrieg ausbrach, Karl I. sein Haupt auf’s Schaffot trug, und Cromwell’s eiserne Hand die Zügel ergriff, – von 1625 bis 1660 – hielten die Celten abermals am Hergebrachten fest und blieben königlich gesinnt. Auch das Haus Braunschweig fand sie den bisherigen Fürsten treu und überzog ihr Land mit einem neuen Kriege – von 1660 bis 1692 –. Wie man sie früher als Nichtmenschen, dann als Glaubensfeinde, so behandelte man sie jetzt als Hochverräther. Hinrichtung und Confiscation nannte sich nun der Mord und der Raub; und diese Verfolgungen waren dennoch ein Glück. Mancher Edle theilte sie, und wenn auch grausam, wurde der Celte jetzt doch als Mensch behandelt und in rechtlichen Formen mittels einer sogenannten Strafgesetzgebung – von 1692 bis 1778 – gemartert. Wer den Engländern diente, Protestant war und Grundbesitz hatte, konnte sich gegen den Irländer Alles erlauben; dem Unansässigen, dem Katholiken, dem Celten waren bürgerliche und persönliche Rechte abgesprochen; Vermögens- und Freiheitsbeschränkungen mahnten denselben in jedem Augenblicke an seine Knechtschaft.
Und dennoch wuchsen die Bedrückten an Zahl und an Kraft. Als der Unabhängigkeitskrieg in den Vereinigten Staaten, als die französische Revolution die Macht ihrer Dränger anderwärts in Anspruch nahm – von 1778 bis 1800 –, sahen sich diese allmälig zur Gewährung von Milderungen genöthigt. Ja der Einfluß der celtisch-katholischen Arbeiterbevölkerung stieg in dem Grade, daß das Uebergewicht der englisch-protestantischen Grundeigenthümer gefährdet erschien und man deshalb im Jahr 1800
[82] die Selbstständigkeit der in einem Parlament zu Dublin ausgeübten Gesetzgebung aufhob und die Vertretung Irlands mit dem Reichsparlament zu London verschmolz, um sie desto leichter bewältigen zu können. Dies ist die sogenannte Union, deren Wiederauflösung mit dem Ausdruck Repeal bezeichnet wird.
Haben auch nach der Vereinigung mit England bedeutende Milderungen in der Behandlung von Irland stattgefunden, worunter die sogenannte Emancipation der Katholiken oder die Abschaffung von Eiden, welche den Glaubenssätzen dieser Kirche widersprachen und deren Mitglieder daher von Aemtern und aus dem Parlament ausschlossen, die bedeutendste ist, so sind dieselben doch sämmtlich erzwungen, keine ist demselben freiwillig zugestanden worden und noch befindet sich Irland in einer beispiellos unglücklichen Lage. Neun Zehntel des nutzbaren Bodens gehören einigen wenigen Grundeigenthümern, die beständig auswärts leben und ihre Einkünfte entweder in London, oder in Paris, Neapel oder sonst auf dem Festland verzehren. Ihnen muß jährlich der Ertrag des Landes und die Frucht der darauf verwendeten Arbeit hingeschickt werden, und sie verausgaben ihre Einnahmen nicht zur Bezahlung von Dienstleistungen und zum Ankauf von Fabrikaten ihrer Landsleute, sondern verschleudern sie an Tänzerinnen und Sängerinnen des Auslandes, und auf allen den Wegen, die den Reichthum der Engländer in der ganzen Welt sprichwörtlich gemacht haben. Dieser stets offene Schlund verschlingt Irlands Wohlstand um so rascher, weil die geringe Anzahl der Grundbesitzer und die große Menge der auf Pachtung und Tagelohn angewiesenen Bevölkerung eine solche Concurrenz in der Pachtwerbung und beim Arbeitssuchen hervorruft, daß Einer immer den Andern überbietet und auch ohne Aussicht, den versprochenen Pacht vollständig bezahlen oder mit dem geringen Lohn auskommen zu können, schon froh ist, wenigstens auf einige Zeit gegen den Hunger geschützt zu sein. Auf diese Weise hat sich in Irland das System der Verpachtung auf beliebige Kündigung in einem Grade entwickelt, wie nirgends sonstwo. Während in andern Ländern, wo nicht Erbpacht, doch mehrjährige, bestimmte Pachtfristen gebräuchlich sind, kann in Irland der Pächter augenblicklich entfernt werden, sobald ein Mißwachs ihm einmal die rechtzeitige Abtragung des Pachtgelds unmöglich macht oder eine von ihm ausgegangene Verbesserung des Bodens Aussicht auf einen höhern Pachtschilling gewährt. Die verschwenderischen und hartherzigen Grundbesitzer benutzen diesen Umstand zu fortwährender Steigerung der Pacht, und für die Bodencultur in Irland hat es die Folge, daß Niemand Etwas darauf verwenden mag, da er nicht sicher ist, selbst den Nutzen davon zu ziehen. Auf diese Weise versinkt die Bevölkerung in Armuth und Trägheit; Noth und Verzweiflung führt zu Verbrechen; Gewaltthaten und Mord gegen den Verwalter, der einem Pachter kündigte, wie gegen den Bauer, der das Gut wieder pachtete, finden fast täglich statt; dies veranlaßt Ausnahmegesetze und Zwangsmaßregeln, die statt dem Uebel abzuhelfen, nur neue Beschwerden hervorrufen. So ist Irlands Lage jetzt. Sie entstand aus der Verfolgung der Celten, der Bedrückung der Katholiken, der Beraubung der Jacobiten, wodurch alles Grundeigenthum in einige wenige Hände kam und die Ausbildung eines Standes von kleinen Eigenthümern oder doch erblichen Pächtern verhindert wurde. Verschlimmert wird sie durch die Abwesenheit der Grundeigenthümer selbst, die zum großen Theil auf dem Mangel einer einheimischen Regierung, und der Entfernung des Parlamentes beruht, welche dem Reichen und Vornehmen Beschäftigung und Unterhaltung zu gewähren vermöchten. Ihre Abhülfe erschwert eine Menge anderer Uebelstände, die zwar meistentheils aus ihr hervorgegangen sind, aber erst nach ihr wieder verschwinden würden.
Ein Volk in dieser Lage kann unmöglich ruhig sein; einer so gerechten Sache kann es nicht an Vertheidigern fehlen. Ihre nächsten und natürlichen Wortführer sind die katholischen Geistlichen, die dort ohne Besoldung ganz durch freiwillige Beiträge ihrer Gemeindemitglieder unterhalten werden. Kein Wunder, daß sie, von der Meinung des Volks abhängig, ein Ausdruck desselben sind, daß sie den Einfluß besitzen, ohne den sie nicht bestehen könnten. Allein eben weil sie ihrer Herde so nahe steht, besitzt die katholische Geistlichkeit in Irland nicht die Bildung, um mit Erfolg gegen die weltliche Macht der englischen Gesetze anzukämpfen. Zu diesem Zweck bedurfte Irland eines rechtsgelehrten Sachverwalters, und dies ist OConnell.
Auf der Südwestküste Irlands, am Busen des atlantischen Oceans, in einem wilden Gebirgsdistrict, von armen Aeltern, die aber einer irischen Fürstenfamilie verwandt waren, um das Jahr 1775 geboren, sollte OConnell anfänglich Geistlicher werden, und wurde zu diesem Beruf in einem französischen Jesuitenkloster erzogen. Der Scharfblick des Ordens oder frühe Selbsterkenntniß bestimmten ihn später, die Rechtswissenschaft zu studiren, und 1798 trat er als Advocat in Dublin auf. Seine derbe Beredsamkeit verschaffte ihm Ansehen. Schon 1809 war er ein bedeutendes Mitglied des Katholischen Vereins, einer der mannigfaltigen Verbindungen, in denen die Irländer die ihnen versagten Staatsrechte von jeher zu erstreben gewohnt waren. Eine schmähende Aeußerung über den protestantischen Stadtrath in Dublin verwickelte ihn 1815 in einen Zweikampf mit dem Alderman d’Esterre, worin dieser fiel, was OConnell seitdem als Grund angiebt, sich allen Ausforderungen zu entziehen, die sonst von der vornehmen Jugend schon längst benutzt sein würden, um sich eines so gefährlichen Feindes ihres Standes zu entledigen. Auch mit Peel, der damals Regierungssecretär in Irland war, gerieth OConnell in einen ähnlichen Zwist, der aber nicht bis zum Kampf gedieh.
Politisch handelnd trat OConnell 1821 zum ersten Mal auf. Von jeher hatte er den Grundsatz geltend gemacht, auf Irlands gerechte Forderungen müsse man auch Abschlagszahlungen annehmen, da man durch diese in den Stand gesetzt werde, den Rest um so gewisser einzutreiben. Als daher Georg IV. Irland besuchen wollte, wurde der Plan gemacht, den König persönlich zu gewinnen, damit er Irland und England wie zwei, gleich Hannover und England, neben einander gestellte Staaten behandle. In dieser Absicht empfing man den König überall mit außerordentlichen Ehrenbezeichnungen, und OConnell selbst überreichte ihm bei seiner Landung in Dublin eine Krone aus irländischen Lorbern. Aber Georg IV. war kein Mann für die Irländer. Als er nach London zurückkam, dankte er ihnen öffentlich, daß sie ihn auf seiner Reise nicht mit ihren Klagen behelligt hätten. Diese schmachvolle Herzlosigkeit empörte das ganze Land, und jetzt begann OConnell das System der Aufwiegelung, was er bis zum heutigen Tage fortsetzt und die deutschen Zeitungen in ihrer Scheu vor seiner Derbheit mit Agitation bezeichnen. Sein Zweck ist, alle Irländer allmälig zur Theilnahme an seinen Bemühungen für die Abstellung der Leiden ihres Vaterlandes anzuregen, an den Gedanken eines selbstständigen Staates: Irland, unter einem mit England gemeinschaftlichen König zu gewöhnen und durch Organisirung der ganzen Volkskraft ohne irgend eine Uebertretung der Gesetze, welche die Regierung zum verfassungsmäßigen Einschreiten berechtigen könnte, die verlangten Zugeständnisse den Engländern entweder nach und nach abzutrotzen oder am Ende in einem bedrängten Augenblick plötzlich mit Gewalt zu entreißen.
Sein erster Schritt auf dieser Bahn war die Geltendmachung des Grundsatzes, daß die Irländer auch Katholiken zu Vertretern im Unterhause wählen könnten, was bis dahin unterblieben war, theils weil man die Mißachtung kannte, in der die Mitglieder dieser Kirche bei den Engländern standen, theils wegen der Unmöglichkeit, den beim Eintritt ins Parlament erforderlichen Eid zu leisten. OConnell lehrte dagegen, wählt nur erst katholische Vertreter, die Zulassung wird man ihnen dann schon gewähren, oder sie werden sich dieselbe zu verschaffen wissen. Er selbst wurde auch wirklich 1828 zum Mitgliede des Unterhauses für die Grafschaft Clare gewählt, und sein Erscheinen im Parlament brachte die Emancipationsfrage soweit vorwärts, daß bereits 1829 die Eide, welche ihm den Zutritt unmöglich machten, vollständig abgeschafft wurden. Damit dies aber nicht völlig wie ein ihm gemachtes Zugeständniß erscheine, fügte man die Clausel hinzu, daß jedes vor Erlassung der Emancipationsacte gewählte Mitglied die alten Eide leisten müsse. Demgemäß war OConnel genöthigt, sich von Neuem wählen zu lassen, was dann auch 1830 geschah.
Dieser bedeutende Erfolg hatte einerseits OConnel’s Kühnheit, andrerseits den Zorn seiner Gegner erhöht, und so ließ ihn die Regierung 1831 wegen Verletzung eines zur Aufrechterhaltung der Ruhe bestimmten Zwangsgesetzes verhaften. Allein der Parteistreit zwischen Whigs und Tories nöthigten den König zu einer Auflösung des Parlaments, ehe das betreffende Gesetz, welches, wie viele Ausnahmebestimmungen, nur bis zum Schluß der nächsten Parlamentssession gültig war, erneuert werden konnte, so daß OConnell ohne Weiteres freikam. Unmittelbar darauf gelangte ein Whigministerium zur Gewalt und versuchte ihn durch eine Beförderung in der Advocatur, durch das Anerbieten einer Oberrichterstelle, durch Begünstigung der von ihm empfohlnen Amtsbewerber oder Parlamentscandidaten persönlich zu gewinnen. OConnell schlug die Anstellung aus und blieb, was er gewesen: Sachwalter seines Vaterlandes, und damit er demselben desto vollständiger seine ganze Zeit und alle seine Kräfte widmen könne, ist seit längerer Zeit unter Mitwirkung der Geistlichkeit die Einrichtung getroffen, daß jährlich an bestimmten Tagen durch Kirchencollecten freiwillige Beiträge zur Entschädigung für das Aufgeben seiner höchst bedeutenden Praxis gesammelt werden, die unter dem Namen OConnel’s Rente bekannt sind, ihm jedoch bei seinen Gegnern den Schmähnamen eines Bettlers und Betrügers der Armen zugezogen haben. Daneben unterließ OConnell nicht, auch das Verbindungswesen zu pflegen, indem er, so wie die Theilnahme des Volkes größer wurde, die gebräuchlichen Beiträge zu den Vereinszwecken anfänglich von 5 auf 1 L. und später sogar auf 1 Shilling jährlich herabsetzte. Den Namen und den ausgesprochenen Zweck dieser Verbindungen wechselte er, so oft deren Thätigkeit sich übereilte und in vorzeitigen Zwiespalt mit den Gesetzen zu kommen Gefahr lief. Katholischer Verein, Vorläuferverein, Repealverein sind einige von den Benennungen, deren er sich nach und nach bediente, und in diesem Augenblick umfaßt der Repealverein einen so bedeutenden Theil der Bevölkerung, daß die monatlichen Beiträge von 1 Penny – 12 Pence sind 1 Shilling, 20 Shilling sind 1 Pfund Sterling oder 62/3 Thlr. – für jedes Mitglied wöchentlich eine Einnahme von 2 bis 3000 L. St. gewähren. Sollte die Regierung gegen den Repealverein einschreiten, so dürfte er wieder eine andere Form wählen und eine Nationalverbindung oder dergleichen aufs Tapet bringen, wie der Grundsatz des englischen Staatslebens, daß man Alles thun dürfe, was nicht ausdrücklich verboten ist, es ihm erlaubt.
Unter dem Whigministerium saß OConnell für verschiedene Ortschaften, unter andern auch für die Hauptstadt Dublin, mit 20 – 30 Verwandten und Freunden im Unterhause, und gab durch die Stimmen seiner Anhänger, OConnell’s Schweif genannt, nicht selten den Ausschlag, so wie er namentlich zur Aufrechthaltung dieses Ministeriums beitrug, als dessen Majorität bis auf 1 oder 2 Stimmen gesunken war. Seitdem das jetzige Toryministerium am Ruder ist, welches seiner Feindseligkeit noch im vorigen Jahre sehr unstaatsmännisch den Zügel schießen ließ, als es ihm, damaligen Lord Mayor von Dublin, bei der Geburt des Prinzen von Wales die übliche Ertheilung der Ritterwürde versagte, erscheint OConnell nicht mehr im Parlament, weil er dort doch nichts auszurichten vermöchte. Dagegen zieht er nun fortwährend in Irland umher, beruft Versammlungen, bei denen sich unter Anführung ihrer Priester zuweilen eine halbe Million Menschen einfindet und hält Reden ans Volk, die immer kräftig, oft derb, stets klar, zuweilen anregend, zuweilen beschwichtigend sind. Das allgemein verständliche und überall drückende Verhältniß der Pächter zu den Grundbesitzern, die Vernachlässigung, wo nicht Mißachtung des Katholicismus in England, die Stammesabneigung zwischen Sassen und Celten bilden natürlich den Hauptgegenstand seiner Reden. Außerdem spricht er von den Abgaben, welche die Katholiken an protestantische Geistliche zahlen müssen; von der Kostspieligkeit der neu eingerichteten Armenverpflegung und den Beschränkungen, an die der Genuß von Almosen geknüpft ist; von der Gewalt, die sich in den Händen der protestantischen Stadträthe befindet; von den Ausnahmsgesetzen, wozu das Verbot gehört, ohne Erlaubniß Waffen zu besitzen, denen die Irländer unterworfen sind; von der Staatsschuld von 840 Mill. L., die Irland zu gleichen Theilen mit England tragen soll, obwohl es bei der Vereinigung blos 20 Mill. L., England aber bereits 446 Mill. L. schuldig gewesen sei. Ferner berechnet er, daß Irland im Verhältniß zu seiner Größe und Volkszahl weit mehr Vertreter im Unterhause haben müßte, daß dort wegen der Armuth des Landes nicht so viel Vermögen zur Vorbedingung für die Ausübung des Wahlrechts gemacht werden dürfe und dies nie ohne Wirkung. Als einziges Hülfs- und Rettungsmittel bezeichnet er dann die Wiederherstellung eines selbstständigen Parlaments in Dublin, und schildert mit glühenden Farben die wohlthätigen Folgen, welche die dadurch veranlaßte Rückkehr der reichen Grundbesitzer auf die Belebung des Verkehrs und aller Nahrungszweige im Inlande ausüben würde.
Ueberall und zu allen Zeiten, wenn wichtige Interessen einer großen Menschenzahl in Frage kamen, fanden und finden sich Leiter und Wortführer. In England selbst ist dies eine tägliche Erfahrung. Die Chartisten, welche nichts besitzen, als ihre Arbeitskräfte und Beschäftigung für diese verlangen, ohne durch Concurrenz darum den Lohn herabdrücken zu müssen, haben ihren Lowell für den besonnenen, ihren OConnor für den gewaltthätigen, ihren Duncombe für den staatsklugen Theil. Den Handels- und Fabrikstand führend Cobden, Villiers, Bowring im Kampf um wohlfeiles Brod gegen die Gutsherren an. Die Lords J. Russell und Palmerston sind die Fürsprecher der Freiheit [83] bei den Vertretern der Ordnung. Was unterscheidet nun OConnell’s Stellung von dem Wirken dieser und ähnlicher Männer? Er steht allein und ist seinen Anhängern weit mehr überlegen. Auch andere Parteiführer können den ersten Platz einnehmen, allein neben und dicht hinter ihnen steht eine solche Menge gleichbefähigter Mitbewerber, daß ihre eigene Wichtigkeit dadurch ebenso vermindert wird, wie ein Berg in hügeliger Umgebung minder hoch erscheint. OConnell hat keinen Nebenbuhler, und seine Weltkenntniß und Geistesbildung erhebt ihn ebensosehr über die große Masse der Irländer, welche er anführt, wie einst Moses über das jüdische Hirtenvolk, welches er nach Canaan führen sollte, hervorragte.
Daß die Vereinzelung OConnell’s einen Hauptcharakterzug seiner eigenthümlichen Stellung bildet, tritt noch klarer hervor, sobald man ihn mit Wellington, dem Führer seiner Gegner, vergleicht. In diesen beiden Männern prägt sich das ganze Wesen der beiden Parteien, in welche die acht Mill. Bewohner Irlands zerfallen, auf das Ueberraschendste aus. OConnell ist gemüthlich, phantasiereich, lebendig, beweglich, heftig, zuversichtlich; Wellington kalt, ernst, fest, ruhig, trocken, hart, übermüthig. Der Celte erscheint arm, schmutzig, träge, unwissend, der Sasse reinlich, wohlhabend, geschickt und betriebsam. Beten und Messelesen auf der einen, die Schärfe des Schwerts und ungemeßnes Selbstvertrauen auf der andern Seite. Wie OConnell ist auch Wellington in Irland geboren, in Frankreich erzogen. An der Spitze zweier feindlicher Lager stehen sie sich jetzt gegenüber, und doch welch ein Unterschied! OConnell vertritt ein ganzes gemißhandeltes Volk, Wellington, selbst Absentee, – eine entartete Partei. Stirbt Jener, so ist Keiner da, der ihn völlig ersetzen könnte; neben und hinter Wellington steht eine große Anzahl von Männern, die seine Stelle einnehmen und vollkommen ausfüllen würden; allein Wellington ist von OConnell schon zweimal besiegt, OConnell steht nach hundert Rückzügen noch unbesiegt da, und der Tag seines letzten Siegs ist ein Siegestag der Menschheit.26.