Das Blutbad am Kleinen „Big-Horn“-Flusse

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Titel: Das Blutbad am Kleinen „Big-Horn“-Flusse
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 550–552
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[550]
Neue Indianerkämpfe.
1. Das Blutbad am Kleinen „Big-Horn“-Flusse.

Seit den wildromantischen Kämpfen gegen die Modocs in ihrer unzugänglichen Felsenburg inmitten der Bergwildnisse Oregons, die mit der völligen Vernichtung des Stammes und der Gefangennehmung ihres Häuptlings, Capitain Jack, endeten, schien sich die Lust zu größeren, organisirten Aufständen gegen die Regierung der Republik bei den Rothhäuten einigermaßen gelegt zu haben. Wenngleich einige Male ein Indianerkrieg drohte, so genügte doch die Entfaltung einer mäßigen Militärmacht, jedesmal das Feuer zu ersticken, ehe es weiter um sich greifen konnte; es blieb bei den alten Ruhestörungen, bei Ueberfällen einsamer Grenzbewohner, Ermordung schwacher Reisegesellschaften und gelegentlichen Scharmützeln mit kleinen Truppendetachements, alles Vorfälle, die, obwohl entsetzlich genug für die Betreffenden, dennoch zu alltägliche Ereignisse waren, als daß sie die Sympathie des großen Publicums tiefgehend zu erregen vermocht hätten. Erst im Laufe dieses Jahres zeigten sich, in Folge des Blackhill-Goldfiebers, schwerere Kriegswolken am westlichen Himmel, so daß im Frühjahr ein Feldzug gegen die Siouxstämme von Montana und Dakota vorbereitet und vor etwa einem Monate begonnen wurde. Das Alles absorbirende Interesse indessen, welches der Osten mit seiner Weltausstellung forderte, ließ es die Meisten fast vergessen, daß in den Wildnissen des fernen Westens eine brave, todesmuthige Schaar im grausamsten aller Kriege ihr Leben für die Civilisation und für den Frieden ihrer Mitbürger in die Schanze schlagen mußte, und als am vergangenen hundertjährigen Geburtstage der Republik froher Jubel das ganze Land erfüllte, da ahnte es wohl Niemand, daß unmittelbar nach dem Nationalfesttage die Kunde von einer Blutthat das Land erschüttern würde, welche in der langen Geschichte der Indianerkämpfe ihres Gleichen nicht gehabt hatte. Am 6. Juli blitzte der Telegraph die grause Nachricht nach allen Theilen der Republik, daß General Custer mit seinem ganzen Commando, über dreihundert Mann stark, in einem blutigen Treffen von den Sioux niedergemetzelt sei. Nicht ein Mann war entronnen, um die Nachricht von dieser Schreckensthat zu überbringen; erst die nachrückenden Truppen fanden die Leichen der Gemordeten, beraubt, scalpirt und scheußlich verstümmelt; nur aus der Beschaffenheit des Schlachtfeldes, der Gruppirung der Todten und aus ergänzenden Muthmaßungen vermochten sie die Geschichte der grausigen Tragödie zusammenzustellen, deren genauere Details kein Lebendiger jemals verrathen wird. Ein düsterer, häßlicher Schlagschatten auf den hellen Jubel des 4. Juli!

Es wird den Lesern der „Gartenlaube“ nicht entgangen sein, daß, seit im vorigen Jahre die Expedition der Regierung nach den Black Hills das Vorhandensein edler Metalle in jenen Bergen bestätigte, ein neues, unsinniges Goldfieber ausbrach, welches Tausende nach dieser von Indianern sehr unsicher gemachten Gegend trieb. Die „Schwarzen Berge“ waren uraltes Eigenthum der Rothhäute, der heilig gehaltene Begräbnißplatz mächtiger Stämme seit unvordenklichen Zeiten. Man erwartete folglich blutigen Widerstand gegen die Eindringlinge in ein Gebiet, das bis dahin noch nie von eines Weißen Fuß betreten worden war. Die Regierung beabsichtigte auch die Wilden in ihren Rechten zu schützen und verbot die Einwanderung von Goldgräbern, aber das Verbot wurde wenig beachtet. Die Folge waren blutige Schlächtereien, ein Guerillakrieg, in welchem die Weißen natürlich den Kürzeren zogen. Dies bewog die Regierung, Unterhandlungen mit den Häuptlingen der umwohnenden Stämme anzuknüpfen, indem die wachsende Aufregung derselben ernstere Conflicte befürchten ließ. Ein Vertrag mit „Sitting Bull“, dem großen Häuptling der mächtigen Siouxstämme, kam zu Stande, kraft dessen er sich verpflichtete, mit seinen Leuten nach der ihnen am oberen Missouri angewiesenen Reservation auszuwandern. Dies sollte bis bis spätestens Ende Januar dieses Jahres geschehen sein. Es geschah indeß nicht; im Gegentheil verband sich Sitting Bull mit mehreren Siouxstämmen, zog andere Indianer aus Wyoming und Colorado mit in das Bündniß und sammelte ein Heer wohlbewaffneter und gutberittener Krieger, dessen Stärke von Wohlunterrichteten auf mindestens viertausend Mann geschätzt wurde.

Zunächst um diesen Häuptling wegen Verletzung seines Vertrages zu züchtigen, wurde die Expedition dieses Frühjahr ausgerüstet. Sie war in drei Divisionen getheilt, deren eine von General Terry und unter ihm von den Generalen Custer und Gibbons befehligt wurde. Terry’s Operationsplan war in kurzem folgender: Das Lager der Indianer befand sich Ende Juni im südlichen Montana zwischen dem Big-Horn- und Rosebud-Flusse, die sich beide parallellaufend von Süden her in den Yellow-Stone-Fluß ergießen. Dieses sollte umzingelt und dann womöglich vernichtet werden. Gibbons’ Abtheilung, bei welcher Terry selbst sich befand, sollte an der Mündung des Big-Horn landen, dem Laufe desselben folgen und sich dann ostwärts gegen die Indianer wenden; Custer hatte Ordre, von der Mündung des Rosebud stromaufwärts zu marschiren, dann sich ostwärts gegen die Indianer zu wenden und nach seiner Vereinigung mit Gibbons, die am 27. Juni erfolgen sollte, das Lager mit der ganzen ungefähr tausend Mann starken Truppenmacht anzugreifen. Der Plan war derart, daß man diesmal mit Recht hoffen durfte, den Rothhäuten einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Die Soldaten und ihre Führer ließen nichts zu wünschen übrig. In jahrelangem Grenzdienste hatten sie die Ränke und Schliche der Wilden gründlich kennen gelernt, und niemals marschirten bravere Männer gegen einen grausameren und heimtückischeren Feind.

In besonderem Maße galt dies von dem erst siebenunddreißig Jahre alten General Custer. Er hatte die Kriegsschule in Westpoint kaum absolvirt, als die Rebellion ausbrach, welche er von Anfang bis zum Ende durchmachte. In nicht weniger als sechszig Schlachten und Gefechten kämpfte er für die Union, stieg vom Range eines Secondelieutenants bis zu dem eines Generalmajors und war, als der Friede geschlossen wurde, einer der gefeiertsten Reiterführer der Armee, von seinen Soldaten vergöttert und wegen seiner todesverachtenden Kühnheit im ganzen Lande gefeiert.

Wie mit dem Schwerte, so war Custer auch mit der Feder ausgezeichnet. Seine Schilderungen des Kriegslebens auf den westlichen Prairien, das er im Grenzdienste gründlich kennen lernte, wurden stets mit Vergnügen von den Lesern der Magazine aufgenommen, deren Mitarbeiter er jahrelang war.

Am 22. Juni zu Mittag brach Custer mit seinem ganzen Regimente, aus zwölf erlesenen Veteranencompagnien bestehend, von der Mündung des Rosebud-Flusses auf, begleitet von einer Abtheilung indianischer Kundschafter. Er marschirte etwa zwanzig Meilen stromaufwvärts, das heißt südlich, bis er auf einen stark betretenen Indianerpfad traf, der genauer Recognoscirung zufolge westwärts nach dem Kleinen Big-Horn-Flusse führte, einem Nebenflüßchen des Big-Horn, der, von Südosten kommend, sich westwärts in denselben ergießt. Er schlug den Pfad ein und stieß nach einiger Zeit auf ein Indianerdorf oder Lager von ganz ungewöhnlicher Größe, das sich in einer Ausdehnung von drei Meilen am linken oder südlichen Ufer des Kleinen Big-Horn hinzog. Trotz der Größe des Lagers und der wahrscheinlichen bedeutenden Uebermacht [551] des Feindes beschloß der überkühne General den Angriff. Es war am Morgen des 25. Juni, also zwei Tage vor der verabredeten Vereinigung mit Terry und Gibbons. Custer selbst wollte mit fünf Compagnien drei Meilen stromabwärts am Ende des Dorfes dasselbe in der rechten Flanke fassen, während Major Reno mit drei Compagnien den Fluß überschreiten und auf dem linken Ufer den Feind angreifen sollte. Die übrigen vier Compagnien hatten sich letzterem bei ihrer Ankunft anzuschließen. Reno setzte durch das seichte Wasser und begann mit seinen tapfern Reitern den blutigen Gang. Im Galopp sprengten die Reiter in’s Lager hinein, und bald hatten sie, was sie suchten.

Wie Ameisen aus ihrem aufgewühlten Baue hervorstürzen, so wimmelte es im Nu von wilden rothen Gestalten, meist zu Pferd und gut bewaffnet, um das dem Verderben geweihte Häuflein. Löwenmuthig fechtend, häuften die Tapferen Leichen und Verwundete um sich her, aber auch die Kugeln der Wilden trafen nur zu gut. Es war nutzlose Arbeit. Einer nach dem andern sank todt oder verwundet nieder; die Zahl der Angreifer wuchs von Minute zu Minute; in kurzer Zeit mußten sie von der Uebermacht erdrückt werden. Da befahl Reno den Rückzug. Fechtend wurde das Buschwerk am Ufer des Flusses erreicht und der Uebergang begonnen. In diesem Momente trafen die drei Reservecompagnien auf dem Kampfplatze ein, und wohl sehend, daß jede Erneuerung des Angriffes Wahnsinn sein würde, schlossen sie sich Reno an und deckten seinen Rückzug. Am rechten Ufer, welches, hoch und steil abfallend, das linke weit überragt, wieder angelangt, befahl Reno Halt zu machen und ließ die Truppen absitzen, um in aller Eile eine nothdürftige Verschanzung auf einer der höchsten Stellen aufzuwerfen. Hier stieß die letzte noch zurückgebliebene Compagnie mit der Bagage zu ihm. Diese sieben schon arg decimirten Compagnien waren bald von einer zwischen ein- bis zweitausend Krieger zählenden Feindesschaar umgeben, die mehrere Punkte besetzt hatten, welche die von den Weißen eingenommene Stellung völlig beherrschten. Vor halb zwei Uhr Nachmittags des 25. bis zum Abend des 26. wurde der ungleiche Kampf fortgesetzt, der mit der totalen Vernichtung der Truppen geendet haben würde, wenn nicht noch rechtzeitig Hülfe eingetroffen wäre, durch welche die Indianer zum Abzuge bewogen wurden.

Wo war unterdeß Custer geblieben? Reno wußte nichts von ihm, die Entsatztruppen ebenso wenig. – Ehe sein Schicksal berichtet wird, mögen die Leser einige Tage zurückgehen, um den Bewegungen der Generale Terry und Gibbons zu folgen. – Am Abend des 24. Juni befand sich Gibbons’ Commando, aus fünf Compagnien Infanterie, vier Compagnien Cavallerie und drei Geschützen bestehend, auf der Südseite des Yellow-Stone-Flusses, nicht weit von der Mündung des Big-Horn in denselben. Terry, der dieses Commando selbst begleitete, befahl sofort den Marsch, der, bis die Nacht anbrach, fortgesetzt wurde. Am 25. marschirte die Colonne fünfundzwanzig Meilen den Big-Horn aufwärts über ein überaus schwieriges, ermüdendes Terrain, sodaß sie am Abend völlig erschöpft ein Lager bezog. Obwohl erst der 27. als Angriffstag bestimmt war, ließ es Terry keine Ruhe im Lager; er stellte sich selbst an die Spitze der Cavallerie und Artillerie und ritt noch in der Nacht mit seinen Getreuen dreizehn Meilen weiter bis an die Mündung des Kleinen Big-Horn, in dessen Nähe man die Indianer vermuthete. Hier wurde um Mitternacht Halt gemacht. Bei Tagesgrauen brachten die Kundschafter drei Indianer in’s Lager, die sich indessen als freundlich gesinnte Crows erwiesen; durch diese erhielt Terry die erste Nachricht von der unglücklichen Schlacht, ohne ihr jedoch rechten Glauben zu schenken; man konnte und wollte das Entsetzliche nicht glauben. Sobald die Infanterie, welche sehr früh aufbrach, eingetroffen war, setzte sich die ganze Colonne wieder in Bewegung, indem sie am linken oder südlichen Ufer des Kleinen Big-Horn hinaufmarschirte. Ohne Rast zogen die Soldaten den ganzen Tag durch das zerrissene, unwegsame Terrain; die Sorge um die Cameraden ließ ihnen keine Ruhe und machte sie die eigene Erschöpfung vergessen. Am südöstlichen Horizonte lag eine Rauchwolke; jedes Auge war unverwandt auf dieselbe gerichtet; man hoffte, sie sei ein Zeichen, daß Custer doch noch erfolgreich gewesen sei und das Dorf in Brand gesteckt habe. Kundschafter wurden vorausgeschickt, um sich mit Custer in Verbindung zu setzen, aber Indianerhaufen, die sich in immer größerer Anzahl vor der Front der anrückenden Colonne herumtrieben, zwangen sie zur Umkehr.

Von Custer und seinen Leuten zeigte sich keine Spur; die Unruhe Terry’s und der Seinen stieg von Stunde zu Stunde. Und abermals senkte die Nacht sich auf die todmüden Truppen herab, und nochmals mußten sie sich nach einem Tagesmarsche von dreißig Meilen durch die pfadlose Wildniß mit den Waffen in der Hand zu kurzer Rast niederlegen. Das Tageslicht mußte erwartet werden; wußte man doch nicht, wie nahe und in welcher Anzahl der tückische Feind sie bedrohte. Als am frühen Morgen des 27. der Marsch wieder aufgenommen wurde, begannen die Zeichen des stattgefundenen Kampfes sich zu zeigen und bei jedem Schritte sich zu mehren. Man erreichte eine Ebene, die sich etwa eine halbe Meile breit am linken Ufer des Kleinen Big-Horn hinzog. Hier hatte ein ungeheures Indianerdorf gestanden, mindestens drei Meilen lang; jetzt war es völlig verlassen. Mehrere Begräbnißplätze zeigten noch die Spuren der Ceremonie. Geschlachtete Pferde lagen um dieselben; in einer Loge wurden die Leichen von neun Häuptlingen gefunden. Der Boden war allenthalben mit Pferdecadavern, Monturstücken, Büffelhäuten und Provisionen, mit Waffen und Lagergeräthschaften aller Art bedeckt. Hier hatte der wilde Kampf getobt; man begann an die Nachrichten des vorigen Tages zu glauben. Bald stieß man auf mehrere Leichen, die trotz ihrer Verstümmelungen sofort als die von Officieren des Custer’schen Regiments erkannt wurden. Da sprengten Kundschafter auf schaumbedeckten Pferden mit der Meldung heran, daß Major Reno mit dem Reste des siebenten Cavallerie-Regimentes auf einer Höhe des rechten Ufers verschanzt sei und nach sechsunddreißigstündigem blutigem Kampfe auf Entsatz sehnlichst warte. Im Schnellschritte ging es vorwärts; bald war man der Stelle gegenüber, wo die kleine Heldenschaar erschöpft und blutend lag. Von Indianern war nichts mehr zu sehen; sie hatten sich schon am Abend des 26., wahrscheinlich durch Terry’s Anrücken erschreckt, mit Allem, was sie mitschleppen konnten, aus dem Staube gemacht. Terry sprengte sogleich mit einigen Officieren in den Fluß, und bald begrüßten sich Retter und Gerettete unter dem stürmischen Jubelgeschrei der Truppen. Vom Flusse bis zur Verschanzung waren alle Abhänge mit Menschenleichen und todten Pferden besäet; mitten unter ihnen fand man Reno mit zwölf Officieren und dem Reste von sieben Compagnien. Einige fünfzig Schwerverwundete hatte man in einer Vertiefung in der Mitte der Schanze, so gut es eben ging, gegen die Kugeln der Wilden und gegen die sengenden Sonnenstrahlen zu schützen gesucht.

Aber wo war Custer? Reno wußte nichts, und auch Terry und Gibbons hatten keine Spur außer einigen Leichen von seinen Cameraden gefunden. Man machte sich auf, ihn und seine Leute zu suchen. Sein Plan war gewesen, drei Meilen am nördlichen Ufer stromabwärts zu reiten, dann überzusetzen und das Dorf am westlichen Ende anzugreifen. Man zog also flußabwärts, und bald bot sich ein Anblick dar, der das Blut der an Gräuelscenen aller Art gewöhnten harten Grenzer fast gerinnen machte. Custer hatte offenbar versucht, den Uebergang über den Fluß zu erzwingen, war aber dabei von einer überwältigenden Macht angegriffen und auf die steilen Höhen des rechten Ufers zurückgedrängt worden. Zugleich mußte ihm der Rückzug und die Verbindung mit Reno abgeschnitten worden sein, sodaß den Umzingelten nichts übrig blieb, als ihr Leben so theuer wie möglich zu verkaufen, denn von einer Uebergabe im Sinne civilisirter Kriegsführung war hier selbstverständlich keine Rede. Die hart an’s Ufer herantretenden Höhen sind von tiefen Schluchten und Rissen durchfurcht, und hier lagen die Erschlagenen in Reih und Glied, wie sie gestanden und gefochten hatten, jede günstige Stelle zur Vertheidigung benutzend, bis kein Mann mehr übrig geblieben war, um Büchse und Säbel zu führen. In den engen Schluchten lagen Menschen und Pferde aufeinander geschichtet, die ersteren meist scalpirt und sonst gräßlich verstümmelt. Eine Compagnie nach der andern hatte sich vor den anstürmenden Feind geworfen und war bis auf den letzten Mann vernichtet worden. So hatte sich der Kampf immer höher hinaufgezogen, bis auf den höchsten Punkt des Ufers. Dort lag Custer selbst, umgeben von seinen zwei Brüdern, einem Neffen, den Obersten Yates und Cooke und Capitain Smith, Alle nur wenige Schritte voneinander, ihre todten Pferde an ihrer Seite. [552] Hier, hinter der letzten gefallenen Compagnie des Obersten Yates, hatte der brave General mit den letzten übrig gebliebenen Officieren seines Regiments noch einmal Stand gemacht, bis einer nach dem andern unter den Händen der wüthenden Wilden verblutet war.

Nicht eine Seele war entronnen, um die Geschichte dieser Blutthat zu erzählen, aber deutlicher und glühender, als es mit Menschenhand beschrieben werden kann, stand es auf den kahlen, felsigen Uferhöhen zu lesen, welch neues Opfer die nimmersatte Mordgier der rothen Teufel gefordert hatte, und beredter, als Menschenworte es aussprechen können, schrie das Blut der Gemordeten, das den Boden röthete, nach Rache. Zweihunderteinundsechszig Leichen wurden gefunden und am blutgetränkten Ufer des Kleinen Big-Horn begraben; die einundfünfzig Schwerverwundeten von Reno’s Commando schaffte man auf Tragbahren bis zur Mündung des Flusses, wo sie von einem zur Expedition gehörenden Dampfer aufgenonnnen und nach Fort Lincoln geschafft wurden.

Obwohl die Hauptmasse der Indianer, welche nach der Schätzung der Officiere sich auf drei- bis viertausend belaufen hatte, südwestlich nach den Big-Horn-Bergen gezogen war, schwärmte doch die ganze Gegend von Banden, welche die Bewegungen der Truppen beobachteten, um bei der geringsten Nachlässigkeit derselben den Angriff zu erneuern. Gibbons’ Cavallerie folgte den Wilden eine Strecke von zehn Meilen, bis sie sich von ihrem einstweiligen Abzuge überzeugt hatte. Die Zahl der todten Rothhäute war schwer zu ermitteln, da sie, wenn irgend möglich, ihre Gefallenen stets mitschleppen; doch dürfte ihr Verlust kaum geringer als derjenige der Truppen gewesen sein. Nur wenige Todte wurden in den Schluchten versteckt gefunden, unter diesen mehrere Arapahoes und Cheyennes, ein Beweis, daß auch weiter südlich wohnende Stämme sich Sitting Bull und seinen Sioux angeschlossen hatten.

Was die eigentliche Ursache dieser grauenvollen Katastrophe war, wird wahrscheinlich nie völlig aufgeklärt werden. Daß der Angriff Custer’s mit seinen fünf- bis sechshundert Mann gegen einen sechsfach überlegenen Feind verfrüht war, steht fest, denn die Ordre Terry’s lautete, bis zur Vereinigung mit Gibbons, die frühestens am 27. erfolgen konnte, zu warten. Vielleicht fürchtete Custer, die Indianer würden ihm entschlüpfen, wenn er wartete, vielleicht waren Umstände vorhanden, die ihm einen Angriff nothwendig erscheinen ließen. Seine bekannte Kühnheit ließ ihn dabei wohl die Kriegstüchtigkeit der Sioux unterschätzen, und gewiß war die Hoffnung, durch einen entscheidenden glorreichen Sieg dem wilden Kriege ein schnelles Ende zu machen, für einen Mann, dem kriegerischer Ruhm und Ehre das Höchste war, eine starke Versuchung. Sei dem wie ihm wolle: sein Mund ist stumm wie der seiner tapferen Genossen. Hat er einen Fehler begangen, so hat er ihn schwer gebüßt und mit seinem Herzblute gesühnt; das Volk der Republik, dem er so treu gedient, wird seiner nur gedenken als des braven Soldaten und Patrioten; ihm so wie seinen gefallenen Kampfgenossen wird willig und dankbar ein Platz unter den Helden der Republik eingeräumt werden.

In Washington verursachte die Kunde eine große Sensation. Eine Conferenz des Präsidenten mit dem Kriegsminister und dem General der Armee Sherman wurde augenblicklich berufen, da ein allgemeiner Indianerkrieg fast unausbleiblich scheint. Zu gleicher Zeit wurde eine Bill im Senat eingebracht, welche den Präsidenten autorisirt, fünf Regimenter Freiwillige aus den Grenzern der westlichen Staaten und Territorien auszuheben, um die regulären Truppen zu verstärken. Einstweilen wird General Terry’s Truppenmacht durch verschiedene Detachements auf zweitausend Mann gebracht werden, mit welchen er für’s Erste im Stande sein dürfte den Feind zu verfolgen oder wenigstens im Schach zu halten. Die Aufregung und Erbitterung namentlich im Westen ist selbstverständlich groß, und das Verlangen allgemein und dringend, daß die Regierung doch endlich einmal ihre gefährliche, verderbenbringende Indianerpolitik aufgeben und diejenigen Stämme wenigstens, welche sich der Cultur und den Gesetzen durchaus nicht beugen wollen, der Controlle des unseligen Indianerbureaus entziehen und dem Kriegsdepartement zur Züchtigung übergeben möge. Dies Letztere dürfte gleichbedeutend mit Ausrottung sein; die Truppen werden wenig Umstände mit den Mördern ihrer Cameraden machen, wenn ihnen nur freie Hand gelassen wird. Und wehe den Rothhäuten, die in die Hände der ergrimmten Grenzregimenter fallen! Es wird dann heißen: Auge um Auge und Zahn um Zahn; die Abrechnung wird eine blutige werden.

Welche Hindernisse der Armee bisher von der Regierung selbst in den Weg gelegt worden sind, zeigt eine Aeußerung General Sherman’s, welche er bei Gelegenheit dieser letzten Metzelei machte: „Ich habe,“ sagte er, „jeden Mann, den ich entbehren konnte, nach Montana geschickt; die Regierung aber beurtheilt die Verhältnisse in jenen Gegenden nach ihrer eigenen Weisheit. Sie befiehlt eine Expedition, und wir thun das Aeußerste mit dem Material, das sie uns giebt. Wir sind nicht in der Lage, mit demselben das auszuführen, was von uns gefordert wird.“ Hätte General Sherman statt des „Hofkriegsraths“ in Washington unumschränkte Vollmacht, Freiwillige auszuheben und auszurüsten, dann würde mit Sitting Bull und seinen Banden ein schnelles Ende gemacht werden. Und mit ihm würde die Gefahr eines allgemeinen Indianerkriegs beseitigt sein, denn wie er seit Jahren die Seele und der Mittelpunkt aller Indianerunruhen und -Aufstände gewesen ist, so ist er auch jetzt der Leiter der weitverzweigten Verschwörung gegen den Frieden der westlichen Territorien. Sein Tod oder seine Gefangennehmung würde der ganzen Bewegung die Einheit und den Zusammenhalt nehmen und eine schleunige Unterwerfung der einzelnen Stämme wahrscheinlich zur Folge haben.

Das erste Jahrhundert der Republik hat mit einer Katastrophe geschlossen, wie sie die Jahrbücher dieser blutigen Kämpfe bisher nicht aufzuweisen gehabt haben. Möchte es doch eine der ersten Arbeiten der Republik im zweiten Jahrhundert ihrer Existenz sein, das Land von der Indianerpest zu reinigen, die schon so viele Millionen verschlungen und so viele Tausende kostbarer Menschenleben zum Opfer gefordert hat! Denn erst wenn dies geschehen, wird es dem Pionier des Westens möglich sein, in Ruhe und Sicherheit unter dem Schutze der Gesetze der Republik zu leben.