Das Burgfräulein auf Wißneck

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Textdaten
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Autor: Heinrich Schreiber
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Titel: Das Burgfräulien auf dem Wißneck
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 399–405
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
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Das Burgfräulein auf Wißneck.

Auf den Ruinen andrer Schlösser ziehen weiße Frauen um Mitternacht einher und verbreiten, als Verboten trauriger Ereignisse, Furcht und Schrecken; das Fräulein aus Wißneck läßt [400] sich dagegen am hellen Tage sehen, verweilt oft Stunden lang, wie ein heller Lichtstreifen, mitten im Gebüsche oder in dem dunkeln Gemäuer, verschwindet plötzlich und erscheint wieder, doch thut sie keinem guten Menschen etwas zu Leide. Wer aber mit beschwertem Gewissen oder mit böser Absicht in ihre Nähe kommt, der hat gewöhnlich seine Unvorsichtigkeit sehr zu bereuen. Eh’ er es sich versieht, schlingt sich das Dorngebüsch so fest um ihn, daß er nicht mehr vorwerts kann; eine unerklärliche Angst überfällt ihn und, zerrissen an seinen Kleidern, blutend an Gesicht und Händen, eilt er zurück, oder es wird vom Thurme Mauerwerk auf ihn herabgeschüttet, und er steht in Gefahr, lebendig begraben zu werden. Früher zeigte sich das Fräulein öfter und half manchem Nothleidenden, wovon viel zu erzählen wäre; aber seit einigen Jahren hat man sie nur noch hin und wieder und wie in tiefer Betrübniß gesehen. Alte Leute meinen, sie zeige sich gar nicht mehr, wegen der Schatzgräber, welche sie so empfindlich hätte strafen müssen. Ich will darüber nicht entscheiden, denn wie könnte ich in das verborgene Herz eines solchen Geisterwesens hineinrathen? sondern nur getreu berichten, was ich gehört und gesehen habe.

Die Burg Wißneck liegt zu oberst in dem lieblichen Kirchzartner Thale. Rechts an ihr vorbei zieht die Hauptlandstraße nach Schwaben, und kein Reisender geht vorüber, ohne sich der romantischen Ruinen auf dem kleinen, mit Gras und Buschwerk überzogenen Vorhügel zu erfreuen. Rückwärts von der Burg befindet sich ein Brunnen, um welchen sich zur Mittagszeit gemeiniglich die Heerden lagern und erquicken. Dort sitzen auch die Hirten und schneiden Stäbe, oder versuchen neue Stückchen auf ihren Pfeifen. Hie und da mag wohl ein Thalmädchen dadurch angelockt und herbei gezogen werden; dem Burgfräulein aber ist dieses Getöse zuwider und sie läßt sich nach dieser Seite hin nicht blicken. Dagegen schien ein anderer Hirtenknabe ihr Liebling zu seyn, welcher sich gewöhnlich von den übrigen absonderte und in der biblischen Geschichte oder einem andern Buche blätterte und las. Anfänglich zeigte sie sich ihm aus der Ferne, lächelte, als sie den Knaben ein großes Kreuz schlagen sah, wie es ihn seine Mutter gelehrt hatte, und verschwand wieder. Nach und nach kam sie etwas näher und der Knabe legte [401] allmälig seine Furcht ab. Auffallend war es, daß sie stets über eine gewisse Stelle nahe bei den Mauern hinging, einige Augenblicke wie sinnend dort verweilte, und dann sich wieder schnell entfernte. Eines Tages dachte der Knabe, er wolle doch nachsehen, was es mit diesem Stillstehen für eine Bewandtniß habe, merkte sich den Ort und ging nach einiger Zeit daselbst hin. Sieh, da schien ihm etwas aus dem Grase wie eine große Silbermünze entgegen zu glänzen, schnell bückte er sich nieder und hatte einen halben Thaler aus den Schwedenzeiten in der Hand. Hocherfreut und zugleich neugierig wühlte er mit seinem Stabe die Erde ein wenig auf, und es kam noch ein zweites und ein drittes Stück zum Vorschein. Schon wollte er, der noch nie so viel Geld beisammen gehabt hatte, voll Entzücken aufjauchzen, aber was sah er, als er seinen Kopf emporhob? Das Burgfräulein, wie es leibte und lebte, dicht vor ihm. Freundlich lächelnd sah es seiner Arbeit zu, legte aber, als er aufschaute, zwei Finger auf den Mund und verschwand. Der arme Kleine war wie versteinert, denn so nahe stand sie noch nie vor ihm, und selbst der alte Segen, den er geschwind hermurmeln wollte: „Alle gute Geister u. s. w.“ blieb ihm im Munde stecken. Er wußte nun nichts Angelegentlicheres als auch schnell fort zu gehen, und wagte es noch lange nicht, in die Tasche zu greifen, weil er gelöschte, oder gar noch glimmende Kohlen, wie es sonst geschieht, hervor zu ziehen besorgte. Als er endlich mit aller Vorsicht die Untersuchung anstellte, so fand er, daß die Stücke richtig Silber geblieben seyen, und verwahrte sie nun sorgfältig, um sie am nächsten Markttage nach Freiburg zu bringen und auszuwechseln. Sie kamen in die Hände des Alterthumsfreundes, welcher dieses Märchen erzählt, und in diesen Münzen einen schlagenden Beweis für die Wahrheit desselben vorlegen kann.

Der Knabe kam ganz glücklich nach Hause und wußte kaum, wo er seinen Schatz unterbringen sollte. Um so bereitwilliger trieb er jezt seine Heerde auf die Weide und verweilte Tage lang bei dem alten Schlosse, aber so oft er auch über seine Büchelchen nach den Mauern hinschielte, so war es doch lange vergebens. Man könnte freilich sagen, er hätte nur an der ihm wohlbekannten Stelle nachgraben sollen, aber damit hatte es [402] sein gutes Bewenden. Denn auch dieser Geisterspuck, so lieblich er war, hatte doch das Eigne, daß die Erinnerung an Ort und Stelle sich augenblicklich wieder verwischte und der Knabe den halben Berg hätte umwühlen können, bis er wieder zu dem Schatze gelangt wäre. Endlich schien sich doch das Burgfräulein ihres Lieblings wieder zu erinnern; er hatte nämlich einen Schulpreis gewonnen, und hielt das schöne rotheingebundene Buch so lange nach dem Schlosse hin und las so fleißig darin, daß des Fräuleins Herz von Stein hätte seyn müssen, wenn es nicht bewegt worden wäre. Kurz, sie erschien auf einmal wieder, nickte sehr freundlich und winkte wieder auf die bezeichnete Stelle. Dem Knaben schien es, als fielen ihm die Schuppen von den Augen; er sah nun wieder, was er seither nicht mehr gesehen, übergab dem Hund die Wache über die Heerde, nahm den schönen Schulpreis unter seinen Arm, zog höflich den Hut ab und näherte sich unter vielen ehrfurchtsvollen Bücklingen wieder der Stelle. Richtig, auch jezt ging er nicht leer aus, vielmehr war der ganze Boden mit Silberstücken wie übersäet. Er that also einen tüchtigen Griff und wollte noch einen zweiten thun, da fing plötzlich sein Hund an zu bellen; „Gewiß,“ dachte er, „ist bei der Heerde etwas vorgegangen, ich darf mich nicht langer aufhalten!“ und mit diesem Gedanken, und nachdem er dem Fräulein noch eine tiefe Verbeugung gemacht hatte, eilte er davon. Er sah nur noch, wie sie neuerdings die zwei Finger, fast ängstlich bittend, zum Munde führte, und rief vor sich hin: „Weiß schon, keiner Seele ein Wörtchen!“ Als er bei der Heerde ankam, lag diese in größter Ruhe beisammen und es schien, als hätte der Hund nur aus Muthwillen eine kleine Stimmübung vorgenommen, vielleicht auch einen Bekannten zu grüßen, der unten am Berge neben dem Führer hinter einer Ziegenheerde bedächtig hertrabte. Zum erstenmal wurde der Knabe über seinen Spitz recht mißmuthig, und wies dessen Liebkosungen mit einem derben Stoße zurück.

Jetzt zählte er sein Geld; es waren zwölf Stücke, für die er wenigstens fünf oder sechs Thaler erwarten durfte. Bald verschwand deßhalb sein Unmuth und machte einer um so größeren Munterkeit Platz. Auch Spitz wurde zu Ehren gezogen und nahm sein Unterkommando bei der Heerde wieder ein, welche [403] sehr erstaunt war, ihn in Ungnade fallen zu sehen. Früher als gewöhnlich, und mehr singend und tanzend, als im Alltagsschritte, ging er nach Hause. Ein so verändertes Betragen mußte seinen Mitdienstboten auffallen und den Verdacht bestätigen, welchen wenigstens Einer unter denselben bereits geschöpft hatte. Dieses war der boshafte und neidische Knecht des Hauses, welcher nun beschloß, sich an den Knaben zu machen und demselben das Geheimniß zu entlocken. Er brachte daher während des Essens die Rede auf das Burgfräulein und dessen bekannte Freigebigkeit; zugleich frug er ganz obenhin den Knaben, ob ihm, der doch täglich um das Schloß herum hüte, noch nichts zu Theil geworden sey? Vergebens folgte eine ausweichende Antwort; die Röthe, welche schnell das Gesicht des Knaben überflog, ließ kaum einen Zweifel übrig. Der folgende Tag war ein Sonntag. Auch dieser zufällige Umstand begünstigte den Betrüger, welcher den arglosen Kleinen in ein Wirthshaus lockte, und demselben so lange mit Wein zusetzte, bis er Alles rein ausplauderte. Auch die muthmaßliche Stelle mußte er dem Knechte möglichst genau angeben, und dann entließ ihn dieser mit einigen Schlägen, und nahm ihm noch überdies den größten Theil des gefundenen Geldes ab. Bitterlich weinend kehrte der Knabe beim anbrechenden Dunkel nach Hause zurück, und sein Schmerz wurde noch vermehrt, als er zufällig auf die Schloßruine hinüber sah und dort die Gestalt des Burgfräuleins erblickte, wie sie mit gehobenem Finger gegen ihn herab drohte. Er wehklagte die ganze Nacht und fuhr am Morgen weit früher als gewöhnlich mit seiner Heerde auf den Burgplatz, um dort unter bitteren Thränen das Fräulein um Verzeihung zu bitten. Er weinte Tage und Wochen lang, aber vergeblich; schon lang ist er einer der schönsten Burschen im ganzen Thale geworden, doch hat er noch immer die Thränen in den Augen, wenn er von dem himmlischen milden Fräulein spricht; aber gesehen hat er sie seither nicht wieder.

Der arge Knecht dagegen glaubte um so zuversichtlicher, daß jetzt für ihn die Stunde des Glückes gekommen sei. Schon lange hatte er sich mit zwei Schatzgräbern in eine Bekanntschaft eingelassen, welche durch die Mittheilung, die er ihnen machte, den höchsten Grad der Vertraulichkeit erhielt. Gemeinschaftlich [404] wurde das alte Gemäuer untersucht und es ergab sich aus den Bewegungen der Wünschelruthe, daß an dem Orte, welchen der Knabe zufällig bezeichnet hatte, ganz gewiß ein großer Schatz liegen müsse. Die nöthigen Vorkehrungen wurden schleunig gemacht. Das Gefäß mit Weihwasser und das Büchlein mit den Zauberformeln wurde in eine abgelegene Nische niedergelegt, wo es nach Jahren der Erzähler dieses Mährchens bei einem Besuche der Burg zufällig und mit traurigen Gefühlen wieder fand. Der Ort zu den verhängnißvollen drei Kreisen wurde abgesteckt, vierzehn Tage streng gefastet und endlich in einer dunkeln und schaurigen Herbstnacht der bedauernswürdige Versuch vorgenommen. Es war den ganzen Tag über umwölkt und stürmisch gewesen, das Unwetter mehrte sich auf die Nacht und steigerte sich von Stunde zu Stunde. Schneidend strich der Wind durch das Gebüsch und trieb ganze Haufen abgestreiften Laubes vor sich her. Die wilde Dreisam rauschte stärker und unheimlicher erscholl die Stimme des einsamen Uhu’s in dem Walde. Jedermann verschloß sich in sein Häuschen und seine Hütte und beschwerte sich über den schaurigen Abend; nur den drei Schatzgräbern war er ganz willkommen und je menschenleerer die Gegend wurde, desto mehr freuten sie sich. Endlich, als sie sich völlig sicher wußten, machten sie sich mit den Werkzeugen zum Graben auf den Weg und eilten dem alten Gemäuer zu. Die Wünschelruthe schlug neuerdings an, die Kreise wurden nach Vorschriften gezogen und die furchtbaren Beschwörungsformeln begannen. Der Mittelpunkt der Kreise befand sich an dem, durch Brand und Zeit gespaltenen Gemäuer, welches weit über ihre Köpfe herausragte. Dreimal wurde das sogenannte Christophelsgebet oder der Höllenzwang vorgelesen; die Erwartung der unglücklichen war auf das Höchste gespannt – da kam plötzlich ein weit stärkerer Windstoß als alle bisherigen, das ganze Gebüsch schien lebendig zu werden und die Schatzgräber drehten voll Gierigkeit und Angst ihre Köpfe dahin, weil sie von daher das Geisterfräulein und die abzuliefernde Geldkiste erwarteten. Aber umgekehrt, die Laterne hinter ihrem Rücken wurde umgeworfen und ausgelöscht, ein furchtbares Brüllen donnerte in ihre Ohren hinein und als sie sich entsetzt umkehrten, fühlten sie über ihrem Nacken die zottigen Tatzen des Höllenhundes und [405] sahen, wie er mit feuersprühenden Radaugen sie anglotzte und den Rachen öffnete, sie zu verschlingen. In dem Entsetzen waren sie ihrer selbst nicht mehr mächtig und stürzten mit dem Geheule der Verzweiflung aus den Kreisen heraus, von welchen sie Rettung erwarteten. Wenig Augenblicke vergingen und altes sank in die tiefste Stille zurück; nur der Wind peitschte die Blätter umher nach wie vor.

Des folgenden Tages fand man alle Drei bewußtlos um die Trümmer herum liegen, und konnte leicht errathen, was hier geschehen war. Zwei kehrten nicht mehr in das Leben zurück, der Dritte kam wohl wieder zu sich, aber ein dumpfer Wahnsinn hatte sich seiner für immer bemächtigt. Oft sah man ihn an der Landstraße, nicht weit von dem Schlosse, unter einem steinernen Kreuze sitzen und die Vorübergehenden um eine Gabe bitten. Er kehrte dem Orte seines Unglücks den Rücken zu, stierte gedankenlos vor sich hin, und sprach keine Sylbe; auch soll seit dieser Zeit kein verständliches Wort aus seinem Munde gegangen seyn. Er murmelte nur abgebrochen vor sich hin und drückte den Hut in seine Stirne. Wenn aber zufällig sein Blick auf die Schloßruine fiel, fing er am ganzen Leibe zu zittern an und umfaßte unter Angstgeschrei das steinerne Kreuzbild, als wenn dieses allein ihm Schutz und Ruhe zu gewähren vermöchte.

Dr. Heinrich Schreiber.