Das Chaisewägelche

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Chaisewägelche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 155
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[155] Das Chaisewägelche. Auch seine heiteren Bilder hat der Krieg. Unter diese gehört folgendes kleine Erlebniß.

Eines Abends saß der Oberst Kurth, welcher die öffentliche Sicherheit in der zweiten Armee zu überwachen hat, in seiner Wohnung in Orleans, hatte verschiedene Dienstgeschäfte erledigt und war eben im Begriff sich zur Ruhe zu begeben, als unten an der Hausthür heftig geschellt wurde. Nicht lange, so wurden die Treppe herauf, die zu der Wohnung des Obersten führte, schwere Tritte vernehmbar und darauf an der Thür derselben ein starkes Klopfen.

„Herein!“

Die Thür wurde geöffnet, ein Soldat erschien und hinter ihm noch ein Mann in Civilkleidung. Die Uniform des Ersteren ließ einen hessischen Chevauxleger erkennen, die andren Anzeichen, das geröthete Gesicht, der laute Ton ließen darauf schließen, daß er des süßen Weines ein wenig zu viel genossen hatte, wie dem besten Soldaten zu Zeiten passirt.

„Wohnt hier der Officier von der Gensd’armerie?“

„Der bin ich. Was steht zu Diensten?“

„Nu, des is g’scheidt, daß wir Sie g’funne habbe – nu habbe mer g’wunne. Verzeihe Sie, Herr Officier, aber ich muß Ihne des Alles erscht explicire. Ich g’hör’ zu de Hesse, des werde Se schon an mei Uniform g’sehe habbe, und der do“ – damit zog der Sprecher aus der Tiefe und einer Ecke des Zimmers den Civilisten hervor – „der do, der is e Mann von der Colonn’, die als die Fourag’ und des All’s fahre, Se werde mich scho verstehe. Nu, wir sind do uf einem Dorf drei Stund von Orleans beime Bauern einquartiert – des arm’ Luder hat selber nix zu nage und zu beiße und das soll uns noch was gebbe. Aber Hunger hat mer drumdem. Du, hebb’ ich zu dem da g’sagt – er is e Mann von der Colonn’, die als die Fourag’ und des All’s fahre –“

„Ich weiß, ich weiß –“

„Na, denn ist’s gut, dann brauch’ ich’s Ihne net erst zu explicire. Du, weßte was – mer nehme unserm Bauer sei Chaisewägelche und fahre da in die groß’ Stadt Orleans und kaufe, was mer zu esse brauche. Geld habbe mer g’nug – ja, Herr Officier, Geld habbe mer immer – und so habbe mer a’g’spannt und sind rei’g’fahre. Dann habbe mer eig’kauft Fleisch und Mehl und Butter und Paschtete und Pommad’ und Stiefelwichs und was mer so halt braucht, und dann – dann –“

„Nu was denn dann?“

„Verzeihe Se, Herr Officier, aber es passirt einem Mensche halt manchmal, daß er was thut, das er nit thun sollt’ – und so sind mer in’s Wirthshaus g’rathe – wie? Ei das kann ich Ihne selber nit sage, wie das zu’gange is, aber uf e Mal ware mer halt drin.“

„Und haben eins über den Durst getrunken – nicht wahr?“ frug der Officier, den die Sache anfing zu belustigen.

„Was Se von mer denke, Herr Officier –! Ich e Soldate, e Kämpfer für’s Vaterland zu Pferd – ich soll mich so weit vergesse? Des sehe Se mer doch an, deß ich noch ganz nüchtern bin – aber der do, der Mann von der Colonn’, die als die Fourag’ –“

„Was ist mit dem Manne?“

„Was mit dem ist? Des mußte Se doch schon lang g’sehe habbe, zu viel getrunke hat er – es giebt so unmäßige Leut’.“

„Der Mann scheint aber doch ganz nüchtern zu sein – dagegen Sie –“

„Ich? Frage Se mei Rittmeister, ob ich net sei beschter Mann in der ganze Schwadron bin – ich sage Ihne, ich habb’ uf de Franzose eig’haue, daß se sich heilig gedacht habbe, wenn mehr solche Kerl komme, denn sind mer perdus – das heißt uf deutsch futsch. No, Se habbe doch von de Hesse g’hört!“

„Im Ernst, sie haben sich vortrefflich geschlagen, aber nun würde ich Sie auch bitten, ein wenig leiser zu sprechen – ich verstehe Sie sehr gut.“

„Nit wahr, zu laut? Siehst de’s,“ wandte sich der Soldat an seinen Begleiter, „ich hab’ mer’s gleich gedacht, du sprichst zu laut – vor einem Vorgesetzte, wie dem Herre, muß mer ganz leis rede.“

„Und nun muß ich Sie ersuchen, mir zu sagen, was Sie eigentlich wollen.“

„Unser Chaisewägelche wolle mer wieder habbe,“ platzte der Sprecher in demselben lauten Ton, in dem er vorher gesprochen hatte, heraus. „Wie mer in dem Orleans eig’fahre sind, habbe mer immer uf de Kathedral’, was mer bei uns zu Haus die Domkirch’ nennt, zugehalte, – des is in einer fremde Stadt immer das Best’, grad’ uf de Kirchthurm zu – und dort habbe mer des Chaisewägelche denn stehe lasse und habbe unsere Einkäuf g’macht, und wie mer jetzt wieder hinkomme, um mit des Chaisewägelche heimzufahre, is kei Chaisewägelche mehr do und gar nirgends mehr zu finne.“

„Nun und was soll ich denn dabei thun?“

„No, Se solle uns des Chaisewägelche suche helfe.“

„Wenn ich nur wüßte, wie man das jetzt in der Nacht macht.“

„Was? Das wisse Se net? Ei, wozu sind Se denn Officier von de Gensd’armerie, wenn Se uns net sage könne, wie mer unser Chaisewägelche wieder attrapire könne?“

„Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich sehr gute Ohren habe, und daß Sie sich gar nicht so sehr anzustrengen brauchen, um sich mir verständlich zu machen.“

„Hörst Du’s,“ wendet sich der Soldat wieder zu dem Colonnenmann, der nicht den Mund aufthat, „ich habb’ Dir’s schon e Mal g’sagt, ganz leis muß mer mit eneme Vorgesetzte spreche, so leis, daß er’s gar net höre kann.“

„Daß Ihr Wagen weg ist, darf Sie nicht Wunder nehmen. Irgend ein Verwundeter, irgend ein Truppentheil, der ankam und der das herrenlose Fuhrwerk da stehen sah, der hat natürlich zugegriffen. Das wäre nicht geschehen, und Sie hätten Ihr Chaisewägelchen wieder, wenn Einer von Ihnen bei dem Fuhrwerk zurückgeblieben wäre.“

„Siehst Du’s, ich habb’ dersch gleich g’sagt, bleib’ Einer bei dem Chaisewägelche zurück – aber nei – g’soffe muß werde – und immer g’soffe, bis der Verstand und de militärische Attraitität und zuletzt auch des Chaisewägelche fort is. Nu könne mer in der Nacht gucke, wie mer wieder hem komme mit unsere Lebensmittel, mit der schwere Last.“

„Wo haben Sie denn Ihre Lebensmittel?“

„Ei, die habbe mer uf die Domtrepp’ hingelegt, weil mer doch erscht Ihne ufsuche wollte, um zu wisse, wie und wo denn?“

„Heute kann ich unmöglich noch etwas thun, meine Leute sind alle auswärts, aber morgen will ich versuchen, ob man Ihnen das Fuhrwerk wieder herbeischaffen kann. Bleiben Sie hier, quartieren Sie sich irgend wo ein, aber gehen Sie und versichern Sie sich Ihre Einkäufe auf der Domtreppe, sonst geht es Ihnen mit diesen wie mit dem Wagen.“

„Do könne Se Recht habbe. An Allem is aber nur der do schuld, ich habb’ ihm g’sagt, Du bleib’ hier bei de Paschtete und bei der Stiefelwichs – aber noi, mit hat er müsse, um zu sehe, wie Sie denn aussehe. ’s ischt e Kreuz mit so eneme Mann von der Colonn, die als die Fourag’ und des Alles fährt.“

„Aber nun gehen Sie. Gute Nacht – gute Nacht!“

Endlich gingen sie. Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, da wurde unten an der Hausklingel so stark gerissen, daß der Oberst erschreckt aus dem Schlafe auffuhr, an das Fenster trat, dasselbe öffnete und hinaus frug, was denn vorgefallen sei?

„Herr Officier,“ ließ sich von unten die Stimme des hessischen Chevauxlegers vernehmen, „ich wollt’ Ihne nur g’horschamst melde, daß mer auch de Lebensmittel uf der Domtrepp’ net mehr vorg’funne habbe. Nu hat All’s der Teufel g’holt – no könne mer zu Fuß unsere Weg finne. Ich habb’s dem Mann von der Colonn’ ebbe explicirt, was doch des Saufe vor e Laster is. Schönen Dank für Ihre Müh’ – jetzt brauche mer auch kee Chaisewägelche mehr.“
Georg Horn.