Das Clavier und seine Geschichte

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Titel: Das Clavier und seine Geschichte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4–5, S. 54–56, 71–72
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Clavier und seine Geschichte.

Kein musikalisches Instrument hat den Sinn und die selbstthätige Liebe zur Tonkunst in hervorragenderer Weise angeregt, befördert und verallgemeinert und von einer gewissen Zeit an in Wahrheit auch auf die Entwicklung der Musik wesentlichern Einfluß ausgeübt, als das Clavier. Es ist nicht zu leugnen, daß das Clavier in mancher Beziehung weniger vollkommen ist, als viele andere Instrumente; daß es namentlich rücksichtlich der vornehmsten Zierde jedes Tonwerkzeugs, der Klangschönheit und Modulationsfähigkeit des Tones, trotz der hohen Vervollkommnung, die ihm auch nach dieser Seite hin seit Ende des vorigen Jahrhunderts zu Theil geworden ist, dennoch von fast allen Streich- und Blasinstrumenten übertroffen wird, wir erinnern nur an die so rührend und eindringlich zum Herzen redende Violine, an das romantische Waldhorn, an die majestätisch prächtige Posaune. Diesen Vorzügen gegenüber aber, die alle nur eine einseitige, melodische Ueberlegenheit begründen, hat das Clavier eine glänzende und siegeskräftige Gegenseite aufzuweisen, in der Vereinigung der Melodie mit der Harmonie. In dieser Vereinigung der beiden mächtigsten musikalischen Factoren liegt sein Schwerpunkt; sie ist ihm, und zwar nur ihm, mit alleiniger Ausnahme der Orgel, welche jedoch dem täglichen und gesellschaftlichen musikalischen Verkehr aus mancherlei Gründen wohl für immer entzogen bleiben wird, in höchster Vollendung eigenthümlich, so daß die tiefsinnigsten und complicirtesten harmonischen und melodischen Combinationen ihm ebenso zu Gebote stehen und seinem Wesen entsprechend sind, wie die einfachste Verbindung und Wendung; sie weist ihm einen unerschöpflichen Reichthum zu und verleiht ihm die Befähigung zur Darstellung selbst des Höchsten in der Kunst.

Zunächst als Soloinstrument betrachtet, mußte es die besondere Vorliebe und Auszeichnung der größten Tonmeister gewinnen. Die Literatur keines andern Instrumentes hat auch nur eine annähernd glänzende Reihe der bewundernswerthesten Geistesschätze eines Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Weber, Mendelssohn, Chopin, Schumann u. A. m. aufzuweisen. Aus derselben Quelle entspringt ihm aber noch eine andere Eigenthümlichkeit von größter Bedeutung: die Fähigkeit, alle übrigen Instrumente zu repräsentiren, sei es einzeln oder gleichzeitig, und überhaupt ohne fremde Hülfe Alles, was die Tonkunst nur auf irgend einem Gebiete Großes geschaffen hat, mit mehr oder minder großer Treue und Vollkommenheit zu reproduciren, wie etwa ein vollendeter Kupferstich ein Oelgemälde wiederzugeben vermag, und wir meinen, daß bei der Beurtheilung des Werthes des Claviers diese seine Repräsentationsfähigkeit, sein universeller Charakter wohl nicht minder schwer in die Wagschale fallen dürfte, wie seine Vorzüge als Soloinstrument. Wer wollte denn nicht gern zugestehen, daß z. B. die vortrefflichen vier- und zweihändigen Arrangements Haydn’scher, Mozart’scher und Beethoven’scher Symphonien, Ouverturen, Quartetten u. dergl., die heut zu Tage auf keinem Clavierpulte fehlen und nichts anderes als die schimmernde Farbenpracht der Originale vermissen lassen, mehr als alle immerhin doch nur seltnen Orchesteraufführungen das volle Verständniß dieser erhabenen Schöpfungen vermittelt und verbreitet haben, und daß vornehmlich der Mithülfe des Claviers nach dieser Richtung hin die hohe Stufe der musikalischen Durchbildung zu danken ist, die ein so charakteristisches Zeichen unsrer Zeit ausmacht? Und so ist das Clavier auch überall, wo dem menschlichen Geiste eine Freistätte geboten ist, in jeder Familie, in jedem Kreise, der, nur einigermaßen über die materiellen Bedürfnisse des Lebens sich erhebend, Empfänglichkeit für ein höheres Dasein sich bewahrt hat, der treueste Dolmetscher der reinsten Kunst, der freundlichste Vertraute in Freud’ und Leid, den großen musikalischen Geistern aber der sicherste Bahnbrecher für die Anerkennung ihres Wirkens und ihre dereinstige Unsterblichkeit geworden.

So allgemein bekannt nun aber auch das Clavier in allen seinen Formen und verschiedenen Theilen ist, so zwar, daß es uns Niemand Dank wissen würde, wollten wir, auf die obigen Bemerkungen mehr allgemeiner Art, hier eine specielle Beschreibung folgen lassen, so höchst spärlich verbreitet ist dagegen eigenthümlicher Weise die Kenntniß seiner Geschichte geblieben. Wir glauben uns keiner Uebertreibung schuldig zu machen, wenn wir behaupten, daß namentlich in den Kreisen der clavierspielenden Dilettanten – und mit diesen haben wir es hier wohl fast ausschließlich zu thun – über dieses für jeden Clavierspieler so vielfach interessante und wissenswürdige Thema noch vollkommene Dunkelheit herrsche. Wie viele von unsern freundlichen Lesern haben auch nur über den Ursprung des Claviers jemals das Geringste erfahren, oder den Namen des Erfinders unseres heutigen Claviers, des Pianoforte, nennen hören? Wer von ihnen weiß es, daß das glanzvolle Prachtinstrument, das heutzutage unter der Hand des Meisters bald wie im Sturm und Ungewitter daherzubrausen und bald wieder lieblich wie mit Elfen im Mondscheine zu flüstern und zu tändeln versteht; dessen mächtige Tonfluth nicht mehr blos ausreicht, das „Boudoir der intimern musikalischen Conversation“ auszufüllen, sondern im glänzend großen Concertsaale Tausende von Zuhörern in Bewunderung und Mitvibration zu versetzen vermag; wer von ihnen weiß es, daß das Clavier noch vor einer kurzen Spanne Zeit, vor nicht länger als etwa hundertfünfzig Jahren, nur ein kleines unscheinbares Instrument war, das in ärmlicher Hülle auch nur einen dem entsprechenden dünnen und reizlosen Ton enthielt, und in seiner musikalischen Dürftigkeit sich nicht hinauswagen durfte in die strenge anspruchsvolle Oeffentlichkeit? Und ferner, daß, während es gegenwärtig in allen Welttheilen zu finden ist, so weit die Civilisation gedrungen, in dem bescheidenen Stübchen des einfachen Bürgers sowohl wie in den prunkenden Palästen der Großen dieser Erde; während seine Fabrikation ein eigner Industriezweig von staunenerregender Ausdehnung geworden ist – in London allein werden von etwa zweihundertundfünfzig Fabrikanten alljährlich an 25,000 Instrumente gefertigt – daß es zu jener Zeit meist nur ein seltner Schmuck, ein fast heilig gehaltenes Kleinod in den Studirstübchen weniger hervorragender Gelehrten und Organisten war; daß diese zugleich auch wieder in dem alleinigen Besitze und der langsamen Ausübung der Kunst seiner Verfertigung sich befanden, und daß eigentlich erst von der Mitte des vorigen Jahrhunderts, seit der berühmte Organist und Orgelbauer Johann Andreas Stein in Wien die erste wirkliche Kunstwerkstätte für den Clavierbau einrichtete, die allgemeinere Verbreitung des Claviers datirt?

Der Stammvater des Claviers[1] ist das Monochord (Einsaiter), als dessen Erfinder der im elften Jahrhundert lebende berühmte Benerictinermönch Guido von Arezzo anzusehen ist. Es bestand aus einem zwei bis vier Fuß langen und etwa drei Zoll breiten gerade gehobelten Bretchen, worüber, auf einem beweglichen Stege ruhend, eine Drahtsaite gezogen war, die mit dem Finger angerissen wurde. Das Monochord diente und genügte auch nur dazu, um beim Gesange den Ton anzugeben. In Folge der Unbequemlichkeit des steten Verschiebens des Stegs mit der Hand, zur Erlangung eines andern Tones, kam man darauf, mehrere Saiten von verschiedener Tonhöhe nebeneinander anzubringen; später legte man Holzleistchen (Tasten, Claves) darunter, an deren einem Ende kleine aufrechtstehende Messing- oder Eisenstifte, sogenannte Tangenten, in der Art befestigt waren, daß sie beim Niederdrücken der Taste an die Saiten schlugen und diese erklingen machten; dann erweiterte man nach und nach die Anzahl der Saiten und Tasten, zunächst nur bis auf zwanzig, umgab das Ganze mit einem Kasten, und das Clavier war erfunden! In dieser Gestalt existirte es wohl schon im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert. Längere Zeit behielt es noch den Namen Monochord bei, wurde aber in der Folge Clavichord (Clavis, Schlüssel, chorda, Saite, Sehne) genannt. Natürlich war es noch ein in jeder Hinsicht äußerst unvollkommenes Tonwerkzeug. Die zwanzig Saiten waren, mit Ausnahme von zwei, welche das kleine und eingestrichne B angaben, sämmtlich in der diatonischen Tonreihe von C gestimmt; die dazwischen liegenden halben Töne konnten nur durch stärkeres Anschlagen der Tangenten an die Saiten hervorgebracht werden, wodurch aber neben dem Uebelstande, daß sie nie vollkommen rein erklangen, der Nachtheil eintrat, daß die Saiten häufig der angewendeten Kraft nicht widerstanden und zersprengt wurden, zudem wurde aber auch bei dem nöthig werdenden zu ungleichmäßigen Anschlage eine rasche [55] Aufeinanderfolge der ganzen und halben Töne fast unmöglich gemacht. Um dem abzuhelfen, unterlegte man jeder Saite noch eine zweite Taste, deren Tangente die Saite an einer andern Stelle anschlug und so deren klingenden Theil um so viel, als nöthig war, verkürzte. Auch ging man über den bisherigen Tonumfang immer mehr hinaus, so daß derselbe zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts bereits über drei Octaven (E bis zweigestrichen A) umfaßte. Schon Mitte desselben Jahrhunderts hatte das Clavichord so sehr auch an Kraft gewonnen, daß der herzoglich bairische Capellmeister Orlando di Lasso am Hofe zu München nicht allein seine meisten „Spiele“ auf demselben begleiten, sondern auch andere „sanft klingende“ Instrumente ihm beigesellen konnte. Eine große Verbesserung erhielt es ums Jahr 1725 durch den Organisten Daniel Faber zu Crailsheim im Anspachischen, der es „bundfrei“ machte, d. h. den halben Tönen eigne Saiten, resp. Claves gab. Er war auch der Erste, der zur Verstärkung des Tones jeder Saite noch eine zweite (unisono gestimmte) hinzufügte. Den größten Ruf in der Verfertigung des Claviers erlangte, zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, der königlich polnische und kurfürstlich sächsische Hof- und Landorgelbauer Gottfried Silbermann zu Freiberg, dessen Instrumente europäische Berühmtheit erlangten.

Von französischen oder englischen Instrumenten verlautete bis zu jener Zeit noch nichts. In England aber standen außer den Silbermannschen in hohem Ansehen die Claviere (dort nicht Clavichords, sondern Harpsichords genannt) von Hans Rukers und dessen Sohn Andreas aus Antwerpen. Die Harpsichords des Letztern waren namentlich auch hochbegehrt wegen ihres überaus glänzenden, mit vergoldeten Ornamenten reich verzierten und mit herrlichen Gemälden der berühmtesten vlämischen Maler versehenen äußeren Kastens. Als später die Harpsichords von den Pianofortes verdrängt wurden und außer Gebrauch kamen, verloren dennoch diese Rukers’schen Instrumente keineswegs ihren Werth, da die auseinandergeschlagenen bemalten Holzwände als selbständige Kunstwerke in hohem Ansehen blieben und theuer bezahlt wurden. Die äußere Form des Clavichords glich der unserer heutigen Instrumente in Tafelform; der Kasten, auf Füßen ruhend, bestand meist aus Tannenbolz, hatte eine Länge von etwa sechs Fuß, eine Breite von nicht ganz zwei Fuß und eine Höhe von sieben bis acht Zoll. Sein Ton war nichts weniger als kräftig, aber ungemein zart und weich, fast melancholisch: Koch in seinem Alt. Lexikon nennt es „das Labsal des Dulders und des Frohsinns theilnehmenden Freund“. Namentlich zu Ende des achtzehnten Jahrhhunderts ward seine Verbreitung eine allgemeine. Daniel Schubart behauptet in seiner „Aesthetik der Tonkunst“: „Clavier jetzt spielt, schlägt, trommelt und dudelt Alles; der Edle, Unedle, der Stümper, Kraftmann; Frau, Mann, Bube, Mädchen; es gehört mit zur guten Erziehung“ etc.

Inmittelst hatte sich neben dem Clavichord ein Clavierinstrument in Flügelform ausgebildet, das dem erstern ein gefährlicher und später siegreicher Nebenbuhler werden sollte, nämlich das sogenannte Cembal, Clavicembal, Clavecin, in verkleinerter Form Spinett, mit aufrecht stehendem Flügel (Giraffenform) Clavicytherium genannt. Es war wegen der größern Länge seiner Saiten auch von entsprechend größerer Tonstärke und überflügelte das Clavier namentlich auch als Directons- und Concertinstrument. Von dem uralten Cymbal oder Hackebret abstammend, entstand es wohl schon zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, Wenigstens erfuhr es bereits im Jahre 1548 von dem Kapellmeister an St. Marcus zu Venedig, Giuseppe Zarlino, eine wesentliche Verbesserung hinsichtlich der Temperatur. Der Ton wurde nicht, wie beim Clavier, durch Anschlagen der Tangenten an die Saiten hervorgebracht, sondern durch Reißen der Saiten vermiitelst spitziger Züngelchen (ebenfalls Tangenten genannt), die in der ersten Zeit aus Kielen von Rabenfedern, später aus Messing und zuletzt aus getrockneter Ochsenhaut oder Leder gemacht wurden. Als Hauptverbesserer und -Veränderer dieses Kielflügels thaten sich außer obigem Giuseppe Zarlino noch in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hervor: Piechbeck zu London durch Anbringung von Trommeln und Pauken und eines Flötenregisters, was ungemeines Aufsehen hervorrief; Wiclef in Anspach durch Anwendung von Messingenfedern statt der sich sehr bald abnutzenden und einer steten mühseligen Reparatur bedürftigen Rabenkiele; die Gebrüder Wagner in Schmiedefeld durch Hinzufügung eines Pianozuges; in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts: Pascal Taskin in Paris, durch Verfertigung der Tangenten aus getrockneter Ochsenhaut (Clavecin à peau de buffle), wodurch ein weicherer Ton erzielt wurde; Friederici in Gera, durch Erfindung einer Bebung des Tones; Milchmaier zu Mainz, durch Anbringung von drei Claviaturen mit zweihundert und fünfzig Veränderungen, unter welchen ein Crescendo und Decrescendozug; Mercia zu London, durch Nachahmung des Pauken- und Trompetentons; Hopkinson zu London und Oesterlein zu Berlin, durch Bekielung mit Leder.

Trotz aller dieser Verbesserungen (die jedoch zum Theil weiter nichts, als der Natur des Instrumentes widerstreitende Spielereien waren) und trotz der in vieler Hinsicht vortrefflichen Eigenschaften, die ihm eine Ueberlegenheit über das Clavichord einräumten, genügte doch auch der Flügel nicht den sich immer mehr steigernden Ansprüchen. Sein Ton, zwar durchdringend und rauschend, ja sogar brillant zu nennen, war dennoch ohne wirkliche Schönheit und auch ohne wahre Fülle und Kraft, schon wegen des dünnen Saitenbezuges, der nothwendig war, damit die Saiten von so schwächlichen Mitteln, wie die Kiele und Tangenten, in genügende Vibration versetzt werden konnten. Vor Allem war es eine gewisse nicht zu überwindende Monotonie, die beiden Instrumentenarten anklebte und die ihren Grund darin hatte, daß zwar wohl die zarteren Tonmodificationen auf vorzügliche Weise zur Geltung gebracht werden konnten, schärfere Unterschiede aber, z. B. ein eigentlicher Contrast zwischen forte und piano, nicht möglich waren.

Nach langen Versuchen zur Abstellung dieser Uebelstände kam endlich der Organist Christoph Gottlieb Schröter zu Nordhausen (geb. den 10. August 1699 zu Hohenstein, gest. im Novbr. 1782 zu Nordhausen) zu der Erkenntniß, daß mit dem bisher gebräuchlichen Mechanismus eine Besserung nicht zu erzielen sei, daß vielmehr ein ganz neues Princip zur Erzeugung des Tones zur Anwendung kommen müsse. An Stelle der Tangenten setzte er nun Hämmerchen, die mit getrockneter Thierbaut überzogen und so construirt waren, daß sie nach Willkür stark oder schwach gegen die Saiten geschnellt werden konnten, so daß man also auch die Stärke und Schwäche des Tones vollständig in der Gewalt hatte. Er nannte das Instrument deshalb auch Fortepiano oder Pianoforte.[2] Der Ton war unvergleichlich voller und stärker, da nicht allein die Hammerköpfe den Saiten eine breite Anschlagsfläche boten, sondern die Saiten selbst nun auch stärker genommen werden konnten. Auf diese glückliche Idee war er gebracht worden durch das von dem kurfürstlich polnischen Kammermusikus Pantaleon Hebenstreit zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts erfundene Pantaleon, ein in der vergrößerten Form des Cymbals gebautes Instrument, dessen Saiten durch Klöppel mit den Händen angeschlagen wurden und das durch die Kraft und Modificationsfähigkeit des Tones, nicht weniger freilich auch durch die erstaunliche Virtuosität des Erfinders in Deutschland, Frankreich und Italien große Bewunderung erregte.[3] Schröter verpflanzte nun dieses bei dem Pantaleon angewandte Anschlagsprincip auf das Clavier und ist somit als der eigentliche Schöpfer des heute in so hoher Vollkommenheit glänzenden Instrumentes zu betrachten.

Im Jahre 1721 legte er zwei verschiedene Modelle seines bereits 1717 erfundenen Instrumentes dem Dresdner Hofe zur Ansicht vor. Von diesem aber ohne Aufmunterung und Unterstützung gelassen, sah er sich, bei der Unzulänglichkeit seiner eigenen Vermögensverhältnisse, außer stande, den Bau des neuen Instrumentes selbst auszuführen, und mußte dies dem genannten Silbermann überlassen, der auch bereits im Jahre 1726 das erste Fortepiano, unter Vervollkommnung des Schröter’schen Mechanismus, anfertigte. Die Silbermann’schen Pianofortes waren, wie früher seine Claviere, weit und breit berühmt, namentlich nachdem er sie, in Folge eines Tadels des alten Joh. Seb. Bach, „daß sie doch gar zu schwer zu spielen seien“ – ein charakteristischer Tadel bei der Riesenkraft eines Sebastian Bach! – durch unablässiges Nachdenken und nach jahrelangen opferreichen Versuchen (er gab z. B. [56] während dieser Zeit kein Instrument der alten Bauart mehr aus) „von der Seite des Tractements“ so bedeutend verbessert hatte, daß selbst Bach sie gutheißen und seinen Tadel zurücknehmen mußte. Einen großen Bewunderer fanden sie u. A. an Friedrich dem Großen, der so viele Silbermanns, als man habhaft werden könne, anzukaufen befahl und der denn auch bald des stolzen Glückes sich erfreute, nicht weniger als fünfzehn dieser seltenen Instrumente in seinem Palais zu Potsdam versammelt zu sehen. Diese fünfzehn Instrumente waren es auch, die der alte Joh. Seb. Bach bei seinem Besuche bei dem Könige (1747) allesammt, eines nach dem andern, vor diesem Revue passiren lassen mußte, bei welcher Gelegenheit er das Entzücken des Königs, u. A. auch durch Improvisation einer vierstimmigen Fuge über ein von demselben ihm aufgegebenes Thema, erregte.

Bei den entschiedenen Vortheilen, die das Fortepiano auszeichneten, konnte es nicht fehlen, daß der Erfindungsgeist und die Vervollkommnungsversuche sich von seinen Vorgängern ab- und ihm sich zuwendeten. Von größter Wichtigkeit war die von Lenker in Rudolstadt erfundene Dämpfung, die dem störenden Forthallen und Durcheinanderrauschen der Saiten ein Ende machte. Roller in Paris brachte eine Transpositionsvorrichtung an; Aehnliches war aber schon im sechszehnten Jahrhundert an den Clavichords bekannt. Späth in Regensburg änderte viele Claviere in Pianofortes um und trug dadurch viel zu ihrer Verbreitung bei. In England that ein Gleiches der Deutsche Becker, dort Bakers Amerikus genannt. Graf Brühl, sächsischer Gesandter in London, ließ 1774 ein Pianoforte mit blau angelaufenen Stahlsaiten bauen, welche dem Rost besser widerstanden. Dennoch gelang es erst einem Schüler Silbermann’s, dem Orgelbauer Joh. Andreas Stein, durch Erfindung seines berühmten, Ton und Spielart außerordentlich verbessernden Mechanismus (unter dem Namen „deutsche“ oder „Wiener“ Mechanik bekannt und noch heute angewendet) das alte Clavichord und den Kielflügel, welch letzterer besonders sich in der Gunst des Publicums festgesetzt hatte, vollständig zu verdrängen. Er errichtete zu Wien eine eigne und, wie oben schon gesagt, die erste wirkliche Pianofortefabrik. Seine Instrumente übertrafen Alles, was man bisher kennen gelernt hatte, und fast alle deutschen Fabrikanten ahmten bis zu einer gewissen Epoche ihm fast sclavisch nach. Die von ihm begründete „Wiener Schule“ gelangte durch die glücklichen Vervollkommnungen seiner Nachfolger, seines Sohnes Andreas Stein, noch mehr aber seines Schwiegersohnes Andreas Streicher, dessen Instrumente unter der Firma „Nanette Streicher, geb. Stein“ wohl noch in vortrefflichem Andenken stehen, zur höchsten Blüthe und galt bis tief in dieses Jahrhundert hinein als Muster in der Pianofortebaukunst. Streicher durfte nicht mit Unrecht von sich behaupten, „daß die Grenze der Versendung seiner Instrumente da beginne, wo die Civilisation aufhöre.“

Der „Wiener“ oder „deutschen“ Mechanik gegenüber steht die sogenannte „englische“. Auch sie ist ursprünglich eine deutsche Erfindung, nämlich die von Joh. Zumpe um’s Jahr 1766 oder 1767 nach England und von den beiden Gebrüdern Ehrhardt, zwei andern Deutschen aus Straßburg, gegen 1780 nach Frankreich eingeführte und dort zu weiterer Vervollkommnung gelangte Silbermann’sche Mechanik. Wir müssen uns selbstverständlich in diesen Zeilen ein genaues Eingehen und specielle Beschreibung dieser beiden Mechaniken, ihrer Unterschiede und allmählichen Verbesserungen versagen, es wäre dies Sache einer Fachzeitung. Wir können nur constatiren, daß es in England vor Allen der Schotte John Broadwood, in Frankreich aber der weltberühmte Sebastian Ehrhardt (französirt Erard) waren, welche durch eigenen Erfindungsgeist sowohl, wie auch durch weise Benutzung der von ihren Zeitgenossen erzielten Fortschritte die englische Mechanik (und die für das Clavier daraus entspringenden Consequenzen in Betreff der übrigen Bauart) nach und nach zu solcher ausgezeichneten Ausbildung und Vollendung brachten, daß sie unbestritten und verdientermaßen den entschiedenen Sieg über den Wiener Mechanismus davongetragen hat. Thatsache ist, daß schon seit mehr als zwanzig Jahren fast sämmtliche deutsche Fabrikanten sich ebenfalls der englischen Mechanik zugewendet haben; mit welch schließlichem Erfolge, werden wir im zweiten Abschnitte unserer Darstellung sehen. [71] In Betreff der äußeren Form der Instrumente sei erwähnt, daß die ersten von Silbermann gebauten Fortepianos Flügelform hatten. Die Fortepianos in Tafelform rühren von dem Instrumentenmacher Friederici in Gera her (gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts); sie wurden von ihm, zur Unterscheidung von den Silbermannschen Instrumenten, Fortbien genannt. Das erste Instrument in aufrechter (Flügel-) Form, von dem also die heutigen Pianinos abstammen, baute im Jahre 1742 der Hoforganist Gerber zu Nordhausen. Als Verfertiger des ersten Pianinos (Anfang des neunzehnten Jahrhunderts) ist der Londoner Fabrikant Southwell zu nennen. Es wurde von Pape im Jahre 1815 nach Frankreich eingeführt und gelangte dort durch ihn und namentlich durch Roller und Pleyel zu allgemeiner Geltung. In Deutschland baute es zuerst Grüneberg in Halle, im Jahre 1821. Auch an Spielereien und horriblen Auswüchsen fehlte es dem Fortepiano, wie früher dem Claviere, nicht. Der Ergötzlichkeit wegen sei in ersterer Beziehung hier ein von Pape in Paris, freilich in sehr sinnreicher Weise, verfertigtes Instrument in Form eines achteckigen Theetisches, angeführt, woran ebensoviele Personen Platz hatten. Mittelst Drucks auf eine Feder war das Instrument auf der Säule, die ihm als Fuß diente, zu drehen, sodaß die Claviatur, die ebenfalls vermittelst Federdrucks hervorsprang, ohne weitere Unbequemlichkeit beliebig jedem Theilnehmer des Theekränzchens zugeschoben werden konnte. Ja, es bedurfte nur eines dritten Druckes, so zauberte dieses seltsame Theegesellschaftstischpianoforte allsogleich eine zweite Claviatur hervor und flugs ging’s an die Verdoppelung der bisherigen musikalischen Begeisterung. Zum Beweise der behaupteten „horriblen Auswüchse“ brauchen wir wohl nur an die jetzt freilich ausgestorbenen, aber der ältern Generation unter den heutigen Musikliebhabern wohl noch in gutem Andenken gebliebenen Pianofortes mit Pauken, Trommeln, Triangeln, Becken und der ganzen übrigen Janitscharenmusik zu erinnern.

Ueber die verschiedenen Bemühungen, am Pianoforte einen Mechanismus anzubringen, der die sofortige Notenaufzeichnung des eben Gespielten ermögliche, glauben wir wohl hinweggehen zu können, da diese Einrichtung, trotz vielfacher scharfsinniger Versuche, bis jetzt eben nur – ein Versuch geblieben ist. Nicht vergessen aber dürfen werden, wegen ihres großen Einflusses auf die Qualität des Tones, die von Joh. Andr. Stein zuerst angewandte Belederung der Hammerköpfe und die von Pape eingeführte Garnirung derselben mit dem von ihm zu Anfang dieses Jahrhunderts erfundenen Filze.

Indem wir auf den heutigen Stand der Clavierfabrikation übergeben, wollen wir zunächst einen Blick werfen auf die ungeheure Ausdehnung und hohe mercantilische Bedeutung, den dieser Industriezweig gegenwärtig einnimmt. Leider ist es bei den gänzlich mangelnden statistischen Angaben über die in den verschiedenen Ländern bestehenden Fabriken und die Anzahl der von ihnen verfertigten Instrumente durchaus unmöglich, eine auch nur annähernd zuverlässige Uebersicht über die Gesammtfabrikation zu geben; aus einigen Zahlen aber werden unsere Leser leicht die Großartigkeit derselben erkennen. Wir beginnen den Reigen mit dem Auslande. Wie schon früher angegeben, beläuft sich die Zahl der in London allein von etwa zweihundert und fünfzig Fabrikanten alljährlich verfertigten Instrumente auf etwa fünfundzwanzigtausend. Davon kommen z. B. auf Collard u. Collard über eintausend fünfhundert, auf Stoddart fast ebensoviele, auf Broadwood and Sons aber sogar zweitausend fünfhundert. Dieses alte berühmte Haus, das weit über sechshundert Arbeiter beschäftigt, baute überhaupt seit Anfang 1780, von welcher Zeit an die verfertigten Instrumente in den Büchern sich einregistrirt finden, bis zu Ende 1861 nicht weniger als 124,048 Instrumente und muß also in diesem Augenblicke die fast unglaubliche Zahl von 130,000 überschritten haben. In dem Magazine dieser Fabrik, worin die fertigen Instrumente aufgestellt werden, fanden wir in einer unabsehbaren Reihe von Sälen über tausend Claviere jeglicher Form zum Verkauf bereit stehen.

Außer den genannten liefern noch viele andere Londoner Fabriken, wie Kirkman, P. O. Erard, Wornum, Peachy (an achthundert), Hopkinson, Towns und Parker, Addison u. A. m. jede jährlich mehrere Hunderte. In Frankreich ist, wohl zum Theil in Folge der vielen Unruhen und Umwälzungen, denen es zu Ende des vorigen und im Laufe dieses Jahrhunderts unterworfen war und von denen auch die Pianofortefabriken nicht unberührt bleiben konnten, die Zahl der alljährlich gebauten Claviere nicht so groß; doch gehen aus den Pariser Fabriken von Herz, Pleyel, Pape, Roller und Blanchet, Kriegelstein und namentlich Erard, der Broadwood wohl sehr nahe kommen dürfte, große Massen von Instrumenten hervor. Großen Aufschwwng hat in den letzten Jahren auch Amerika genommen, und es kann sich namentlich rühmen, in der von dem Braunschweiger Steinweg erst vor wenigen Jahren zu New-York gegründeten Fabrik überhaupt die größte der Welt zu besitzen. Steinweg baut jetzt wöchentlich sechszig bis fünfundsechszig Instrumente, also dreitausend und einige Hundert jährlich! Als von ebenfalls gewaltigen Dimensionen nennen wir noch die Chickering’sche Fabrik zu Boston.

Was nun Deutschland anlangt, so kann sich zwar keine seiner Städte mit den obengenannten in Bezug auf die Großartigkeit der Fabrikanlagen messen, aus dem einfachen Grunde, weil eine Concentration nach einem Punkte hin, wie in jenen Ländern, in Deutschland nicht vorhanden ist. So baute z. B. Wien, mit einhundert und acht Fabrikanten, im Jahre 1851 im Ganzen nur etwa zweitausend sechshundert Instrumente; eine sehr thätige und ausgedehnte Fabrik, die von Schiedmayer und Söhne in Stuttgart, lieferte in einem Zeitraume von 40 Jahren nicht mehr als 4200, die Irmler’sche Fabrik in Leipzig vollendete vor Kurzem, nach etwa 50-jährigem Bestehen, ihr 6000. Instrument – Zahlen, die den obigen gegenüber fast verschwinden. Dagegen besitzt Deutschland allerwärts, nicht allein in seinen zahlreichen Haupt- und Residenzstädten, sondern in jeder Stadt von nur einiger Ausdehnung blühende Fabriken, deren Totalproduction, bei der hervorragend musikalischen Bildung des deutschen Volkes, die alle Schichten der Gesellschaft durchdringt, wohl noch eine bedeutendere sein dürfte, als die Englands. Erfreulich und von hoher Wichtigkeit ist besonders auch die jetzt wieder mit jedem Jahre wachsende Ausfuhr nach Amerika und andern überseeischen Ländern, die eine lange Zeit in Folge der äußerst unsoliden und auf das heiße Klima jener Gegenden nicht genug Rücksicht nehmenden Bauart auf ein Minimum sich reducirt hatte. In frühern Jahren exportirte man dahin, durch Gewinnsucht getrieben, nur die schlechtesten Instrumente; dieselben wurden selbst in Deutschland verachtet als „erbärmliche Arbeit“, und die größte Zahl derselben war ruinirt, ehe sie an dem Orte ihrer Bestimmung anlangte, so daß die nothwendigen Reparaturen oft mehr kosteten, als die Instrumente werth waren. So konnte es auch nicht fehlen, daß Deutschland bald von andern Ländern und namentlich von England, das sich die Fehler andrer Nationen so gut zu Nutze zu machen versteht, fast vollständig aus jenen Gegenden verdrängt wurde, und es hat lange genug gedauert, bis die soliden deutschen Fabrikanten durch ihre in jeder Hinsicht mustergültige Arbeit die Achtung vor der deutschen Fabrikation sich zurückerobert haben. Die bei gleicher Güte beträchtlich größere Wohlfeilheit der deutschen Instrumente vor den englischen und französischen mag wohl auch nicht wenig dazu beitragen, den Sieg der erstern beschleunigen zu helfen; schon jetzt wandern alljährlich wieder viele Tausende derselben über den Ocean, ja, manche deutsche Fabriken arbeiten fast ausschließlich für außereuropäische Länder. – Fügen wir nun noch hinzu, daß auch in Rußland, Dänemark, Belgien, Italien, kurz, in allen übrigen europäischen Staaten dieser Fabrikzweig in großer Blüthe steht, so leuchtet ein, daß das Heer von Pianofortes, welches alljährlich nach allen vier Himmelsgegenden auszieht, um das Reich der Töne auf Erden immer weiter auszubreiten, ein gar gewaltiges ist und sicherlich kein geringer Mitstreiter sein dürfte im Kampfe der Civilisation gegen Uncultur und Barbarei.

Wir kommen endlich zur Betrachtung des heutigen Claviers vom musikalischen Standpunkte. Es bleibt uns hierüber nur Weniges zu berichten übrig. Wie schon früher erwähnt, ist die hohe Vervollkommnung vor Allen Erard und Broadwood zu danken. Auch jetzt noch gehören ihre Fabriken, wie weltbekannt, zu den hervorragendsten Vertretern der Pianofortebaukunst; doch besitzen sie nicht mehr allein das Monopol, vorzügliche Instruniente zu [72] liefern. In Frankreich und England selbst stehen ihnen die oben schon genannten Fabrikanten würdig zur Seite, jeder Vorzüge für sich in Anspruch nehmend und in einer oder der andern Hinsicht auch verdienend. Bekannt ist z. B., daß Chopin in seinen letztern Lebensjahren den Pleyel’schen Flügeln wegen ihres verschleierlen, fast melancholischen Tones vor den Erard’schen den Vorzug gab. Als Hauptunterschied zwischen den englischen und französischen Instrumenten möchte der anzugeben sein, daß die ersteren durchgängig einen markigeren, vollern Ton aufzuweisen haben, der Ton der letztern dagegen entschieden graciöser, eleganter, einschmeichelnder, auch ihre Spielart meist leichter und gefügiger ist.

Von den Amerikanern, deren Instrumente wohl nur höchst selten nach Europa gelangen, hat sich besonders Steinweg hervorgethan. In Betreff Deutschlands sei zu unsrer hohen Genugthuung die Anerkennung ausgesprochen, daß es sich in den letzten zehn Jahren dem Auslande gegenüber die volle Ebenbürtigkeit wiedererrungen hat. Lange genug war es, Dank dem starren Festhalten an der „deutschen“ Mechanik, England und namentlich Frankreich unterthan und tributpflichtig. Wer erinnerte sich nicht noch der Zeit, wo Erard fast alle Concertsäle Deutschlands beherrschte und es nur eine seltene, meist nur durch Localgründe bedingte Gnade war, wenn die großen Heroen des Virtuosenthims deutscher Instrumente sich zu bedienen die Herablassung hatten? Freilich grassirte damals die Mode, in Kunstangelegenheiten nur das als wahrhaft vortrefflich anzuerkennen, was in Paris vorher die „Weihe“ erhalten hatte, und wie z. B. erst ein von den Parisern ausgestellter Paß dem deutschen Kunstjünger erlaubte, in seinem Vaterlande ungehindert die steilen Wege des Ruhmes zu wandeln, so konnten auch nur die von den Parisern approbirten Erard’schen Instrumente als würdig befunden werden, in einem deutschen Concertsaale zu erscheinen. Und dennoch wäre es ungerecht, dieses Resultat etwa nur der Mode zuschreiben zu wollen: es war eben so sehr Folge wahren Verdienstes, denn in der That ragten diese Instrumente durch ihren klangvollen Ton und ihre vortreffliche Spielart weit hinaus über fast Alles, was Deutschland damals hervorzubringen vermochte. Den ersten Schritt zur Wiederbelebung seines Pianofortebaus that Deutschland durch die rückhaltlose Wiederaufnahme der „englischen“ Mechanik. Zu Anfang noch unbeholfen und in mehr oder minder ängstlicher Nachahmung an ihre fremden Vorbilder, namentlich Erard, sich anlehnend, haben die bessern Fabrikanten sich allmählich von diesem Zwange befreit, und durch eignes Nachdenken, unermüdlichen Fleiß und durch ihren hervorragend musikalischen Sinn Erfolge erzielt, die wohl dazu angethan sind, unsern gerechten Stolz zu erwecken. Wir wählen unter vielen Andern nur die Namen Einiger aus, deren guter Klang allerwärts in Deutschland Zeugniß ablegt für die Wahrheit unseres Ausspruches. Es sind dies: Schiedmayer und Söhne in Stuttgart, Dörrner und Lipp ebendaselbst, Ehrbar, Bösendorfer, Streicher in Wien, Scheel in Cassel, Steinweg in Braunschweig, Breitkopf und Härtel, Irmler, Wankel und Temmler, Feurich in Leipzig, Rosenkranz in Dresden, Klems in Düsseldorf, Stöcker in Berlin und Bechstein ebendaselbst, dessen Instrumente zumeist durch die Concerte Hans von Bülow’s weithin bekannt geworden sind. Ganz besonders sei hier noch als einer der hervorragendsten Vertreter deutscher Pianofortebaukunst Julius Blüthner in Leipzig genannt, dessen Flügel, namentlich seine sogenannten „symmetrischen“ Flügel, einen Vergleich mit den besten Instrumenten des Auslands aushalten.

Schließlich dürfen wir nicht unterlassen noch mitzutheilen, daß Deutschland auch in der Fabrikation der wichtigsten Materialien zum Clavierbau eine hervorragende Stelle einnimmt. So z. B. liefert Miller in Wien die anerkannt besten Stahlsaiten; Broadwoods, die bisher nur englische Saiten anwandten, hatten ihre sämmtlichen auf der eintausendachthundertzweiundsechziger Weltausstellung zu London befindlichen Flügel nur mit Miller’schen Saiten bezogen. Das vorzüglichste Leder zur Garnirnug der Hammerköpfe fertigen die Gebrüder Geyer zu Eisenberg im Altenburgischen; es bedienen sich desselben selbst die amerikanischen Fabrikanten. Vortrefflichen Filz, der an Güte dem besten englischen und französischen gleichsteht, liefert Weickert in Leipzig und Wurzen; auch sein Fabrikat wird in großer Menge nach dem Auslande, besonders nach Amerika, ausgeführt.

Wir können also mit höchster Genugthuung auf unsere gegenwärtige inländische Clavierfabrikation schauen: sie steht entschieden „auf der Höhe der Zeit“, und wir begingen nur einen Act der Gerechtigkeit, indem wir ihre Verdienste hier nachdrücklich betonten. Möchte nur auch das deutsche Publicum solches erkennen und danach handeln! Es giebt aber kaum eine andere Nation, die so rasch bei der Hand wäre im Aufgeben eignen Verdienstes, wie die deutsche. Wir können tagtäglich die Wahrnehmung machen, daß, während andere Völker in wohlberechtigtem Nationalstolz auf ihre Industrie dieselbe mit aller Kraft und Hingebung unterstützen, mit allen Mitteln an ihrer immer weiteren Entwicklung arbeiten, sie überall fast rücksichtslos geltend zu machen suchen und im Gefühl ihrer Ueberlegenheit sich stolz abwenden von fremden Erzeugnissen, das deutsche Volk leider immer noch gar häufig in unglücklicher Verblendung nach dem fremden, als dem deshalb unfehlbar Bessern, greift und, indem es seiner eigenen Arbeit sich nicht annimmt und ihr die Anerkennung versagt, ihr auch die Nahrung zum nöthigen Gedeihen entzieht. So finden wir auch jetzt noch in allen unseren bedeutenden Städten große Magazine ausländischer Instrumente, die namentlich noch immer in die Salons unserer „Vornehmen“ wandern. Man zahlt gern eintausend, eintausend fünfhundert, ja eintausend siebenhundert Thaler für einen Erard, Pleyel oder Broadwood, glaubt aber nicht die Hälfte dieser Summe für ein ebenso vortreffliches Instrument des bescheidenen deutschen Fabrikanten zahlen zu dürfen! Das Vorurtheil fremder Ueberlegenheit ist es, das wie ein Alp auf der deutschen Kraft lastet. Möchte das deutsche Volk endlich nach allen Seiten hin sich seines Werthes bewußt werden! Möchte der aller Orten erwachende nationale Geist mit der politischen Selbstachtung namentlich auch die Achtung des Deutschen vor deutscher Arbeit verbreiten helfen, damit auch in dieser Beziehung Deutschland nicht mehr zu dienen braucht, wo es herrschen könnte!



  1. In der Benennung werden wir den Namen „Clavier“ als allgemeinen Classennamen beibehalten; wo von den verschiedenen Gattungen als Clavichord (auch kurzweg Clavier genannt), Clavicembal, Pianoforte etc. die Rede ist, werden deren Namen gebraucht werden.
  2. Wie so oft auf anderm Gebiete, so geschah es auch hier, daß dieselbe Erfindung fast gleichzeitig in andern Ländern auftauchte und der Ruhm derselben dem Deutshcen streitig gemacht wurde. So soll nach italienischen Quellen nicht Schröter, sondern der Italiener Bartolomeo Christosali, cembalista stipendiato del Serenissimo Principe di Toscana, nach Fetis’ Behauptung aber keine von ihnen, sondern vielmehr der Franzose Marius der Erfinder des Pianoforte sein.
  3. Den Namen Pantaleon erhielt es von dem entzückten Ludwig dem Vierzehnten, vor dem sich Hebenstreit im Jahre 1705 in Paris hören ließ.