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Das Deutschthum in Südafrika

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Textdaten
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Autor: Rudolf Marloth
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Titel: Das Deutschthum in Südafrika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 58–62
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Deutschthum in Südafrika.

Von Rudolf Marloth.

Von dem gewaltigen Menschenstrom, welcher jahraus jahrein die deutsche Küste verläßt, wendet sich der bei weitem größte Theil nach Westen, nach den volkreichen Städten oder den weiten von der Kultur kaum berührten Flächen der Vereinigten Staaten. Nur kleinere Scharen von Europamüden erwählen sich die südamerikanischen Republiken oder Australien zum Ziel, noch weniger aber Südafrika. Die Zahl deutscher Einwanderer, welche alljährlich das Kap erreichen, beträgt für gewöhnlich nur einige Hundert, bei besonderen Gelegenheiten jedoch, z. B. bei der Entdeckung von Diamanten- oder Goldfeldern, wuchs die Zahl schon mehreremal in die Tausende.

Die Gründe, welche diese Landsleute veranlaßt haben, die deutsche Heimath mit Südafrika zu vertauschen, sind wohl im allgemeinen dieselben wie diejenigen, welche schon Hunderttausende oder vielmehr Millionen über den Ocean nach Westen getrieben haben. Gar viele zogen hinaus, den Handel der Heimathstadt auszubreiten. Sie gründeten Niederlassungen in den verschiedenen Häfen und zogen Freunde, Handwerker und Gehilfen nach sich. Andere trieb der Wunsch, leichteren Erwerb, reicheren Lohn für ihrer Hände Arbeit zu finden. Noch andere aber folgten nur dem altgermanischen Wandertrieb, der ihnen keine Ruhe ließ:

„Die Berge dünkten mich zu Haus zu flach,
Zu eng die Thäler und der Rhein ein Bach;
Ich wollte Alpen, Meer und Welten sehn.
Trotz bieten wollt’ ich Stürmen und Orkan,
Der Tropen Pracht mit eignen Augen schauen,
Gen Westen zieh’n ins neue Kanaan
Und am Ohio Mais und Weizen bauen.

So sang einst Konrad Krez. Es ist jetzt fünfundzwanzig Jahre her, daß sein Gedicht in der „Gartenlaube“ erschien. Damals lernte der Jüngling die Verse, welche seine Einbildungskraft anregten; heute läßt sie der Mann an gleicher Stelle auferstehen, nachdem ihm eigene Erfahrung sie bestätigt.

So mancher von denen, welche voll glänzender Hoffnungen auszogen nach dem fernen Süden, mußte erfahren, daß auch hier wie überall „die Gänse barfuß gehen“, wie ein volkstümlicher Ausdruck meiner Heimath lautet.

„Und magst Du ziehn nach Süd und Nord,
Gen Ost und West, nach allen Winden,
So wirst Du stets dasselbe Losungswort,
Die Arbeit und des Lebens Mühsal finden.
Dasselbe Kämpfen um Dein täglich Brot,
Das sich nicht lohnt, so schwer verdient zu sein,
Erwartet Dich am Hudson wie am Rhein.
Ihr Bürgerrecht hat überall die Noth.“

Und doch, die Noth, die bleiche bittere Noth giebt es in dem sonnigen Kaplande nicht! Hunger und Kälte, die Quellen unsäglichen Elends in dem Gewühl der heimischen Fabrikstädte wie in den Hütten der schlesischen Berge oder der Eifelthäler, sind hier so gut wie unbekannt. Der faulste Hottentott wie der trägste Lump von weißer Farbe verdienen in einigen Tagen immer noch genug, um für den Rest der Woche den herrlichen Sonnenschein und das süße Nichtsthun genießen zu können.

Freilich, weit bringen es diese Drohnen der menschlichen Gesellschaft nicht, denn gerade infolge ihrer Unthätigkeit verfallen [59] sie schließlich dem Fluche auch dieses Landes, dem Branntwein. Aber die günstigen äußeren Bedingungen, welche es solchen Schmarotzern ermöglichen mit so geringem Kraftaufwande ihr Dasein zu fristen, kommen auch denen zu statten, welche vorwärts streben. Wer seinen Beruf versteht, sich der fremden Sprache, den fremden Zuständen anpaßt und dabei fleißig und genügsam ist, gelangt hier selbst als Arbeiter oder Handwerker verhältnißmäßig leicht zu einer gewissen Selbständigkeit.

Und das ist es auch, was so manchen Deutschen hier festgehalten hat, der auszog mit dem Gedanken, nach ein paar Jahren des Wanderns in fernen Landen wieder heimzukehren in das Vaterland. So kommt es, daß von den in Europa geborenen Einwohnern des Kaplandes 13½ Prozent Deutsche sind, während alle übrigen nicht aus Großbritannien stammenden Europäer zusammen noch nicht ganz sieben Prozent ausmachen. Nicht ganz so hoch dürfte sich die Verhältnißzahl stellen, wenn wir die gesammte weiße Bevölkerung in Betracht ziehen, aber ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich die Zahl der Deutschen in Südafrika auf mindestens zehn Prozent der Weißen, also etwa sechstausend Seelen schätze. In jedem Beruf sind daher auch unsere Landsleute zahlreich vertreten. Bei vielen ist der deutsche Ursprung allerdings nur noch in den deutschen Namen zu erkennen, aber wir finden deren unter Ministern, Richtern und anderen hohen Beamten, und der einzige Schriftsteller des Landes, oder richtiger die Schriftstellerin, welche auch in England berühmt geworden, ist Fräulein Olive Schreiner, deren Großeltern noch Deutsche waren.

Daß das musikalische Element zum größeren Theile aus Deutschland stammt, ist leicht erklärlich, denn noch jetzt zählt man nur sehr wenige Erziehungsanstalten des Landes, an denen der Musikunterricht nicht von deutschen Lehrkräften gegeben wird.

Deutsche Kaufleute und Handwerker giebt es überall; besonders zahlreich sind sie natürlich in den Hafenplätzen, und in den drei bedeutendsten derselben, in Kapstadt, Port Elizabeth und Durban, gehören deutsche Firmen unter die ersten des Landes. Das erklärt denn auch den verhältnißmäßig großen Antheil, welchen Dentschland an dem Handel Südafrikas hat. So sind z. B. die eingeführten Klaviere und Lampen zum größeren Theile deutsches Erzeugniß, und die Zahl der ersteren mag wohl an die tausend Stück im Jahre betragen. Deutsches „Lagerbier“ wird nicht nur von unsern Landsleuten, sondern auch vielfach von Engländern und Einheimischen bevorzugt, und bei den Cigarren wird das auf den Kistchen eingebrannte „made in Germany“ zwar immer noch nicht als eine Empfehlung, aber auch nicht mehr als eine Warnung betrachtet. Deutscher Zucker dürfte zu etwa einem Viertel den hiesigen Bedarf befriedigen. Glaswaren, Kattune, Chemikalien kommen in beträchtlichen Mengen und die Spielsachen für jung Südafrika fast ausschließlich aus Deutschland, auch wenn dieselben in London gekauft wurden.

Da die regelmäßige Einwanderung aus Deutschland nicht groß ist, so würde das Deutschthum in Südafrika niemals seine heutige Bedeutung erreicht haben, wenn nicht außer den nach den Diamant- und Goldfeldern Strömenden ab und zu größere Scharen hierher geleitet worden wären. Den Anfang dieser organisierten Einwanderung machte die deutsche Legion des Krimkrieges. Dieselbe hatte nach Beendigung jenes Feldzuges eine Stärke von ungefähr 7000 Mann, und als gegen Schluß des Jahres 1858 die angeworbenen Regimenter aufgelöst wurden, stellte es die englische Regierung auch den deutschen Legionären frei, entweder nach Empfang ihres Soldes in die Heimach zurückzukehren oder aber kostenfrei nach Südafrika befördert zu werden, wo ihnen unentgeltlich Land zur Ansiedlung überwiesen werden sollte. Die meisten wählten das letztere, doch als es endlich zur Abreise kam, waren fast zwei Drittel der Leute schon von andern Agenten für Argentinien angeworben worden.

Viele der nach dem Kapland Bestimmten wurden noch in aller Eile im Hafen von Portsmouth mit einer Hausfrau versorgt. Zu dem Zwecke wurden Scharen englischer Mädchen, welche Lust verspürten, ausgedienten Kriegern in die afrikanische Wildniß zu folgen, so schnell als möglich auf eine Hulk, d. h. auf ein altes abgetakeltes Schiff gebracht, und nachdem sich dort die Paare mit Kotillon-Geschwindigkeit gefunden hatten, ward sofort die allgemeine Trauung vollzogen. Der deutsche Feldprediger, welcher sich so ohne weiteres über die englischen Gesetzesbestimmungen bezüglich der Eheschließung hinweggesetzt hatte, mußte sich schleunigst aus dem Staube machen, und die Ehen selbst mußten noch nachträglich durch ein besonderes Gesetz des Kapländischen Parlamentes für gültig erklärt werden.

Bei ihrer Ankunft in der Tafelbai zogen viele der Söldner es vor, ihr Glück auf eigene Faust zu versuchen, die andern wurden nach Britisch-Kaffrarien gebracht und dort zwischen dem Buffalo und dem St. Johns Fluß angesiedelt. Doch den Leuten, welche aus Lust am freien Soldatenleben Heimath und Freunde verlassen hatten, behagte es nicht, jetzt im Schweiße ihres Angesichtes den Acker zu bestellen. Die meisten verließen ihr Land, und viele von ihnen folgten einem neuen Werberuf der englischen Regierung, welche Truppen zur Bekämpfung des Aufstandes in Indien brauchte.

Da kam der Gouverneur der Kapkolonie auf den Gedanken, an Stelle der ruhelosen Krieger deutsche Familien in jenen Gegenden seßhaft zu machen, um so an der östlichen Grenze der Kolonie eine lebendige Mauer gegen etwaige Einfälle der Eingeborenen zu schaffen. Durch Vermittlung des Kapstädter Vertreters des Hamburger Hauses Godeffroy wurden im folgenden Jahre mehrere tausend Familien eingeführt und zum größern Theile an der Mündung des Buffalo gelandet. Man wies ihnen Land an und gab ihnen darlehnsweise Unterstützung an Geld, Geräthen und Saatkorn. Da das Gebiet eines der fruchtbarsten von ganz Südafrika ist, so gelang es den meisten Leuten, vorwärts zu kommen. Wo sich damals noch gewaltige Büffelherden tummelten, wo Elefanten, Nilpferde und Giraffen umherstreiften, wo der Löwe herrschte, da finden wir jetzt blühende Dörfer und zahlreiche kleinere Ansiedlungen, umgeben von Weizen- oder Maisfeldern und von üppigen Obst- und Gemüsegärten. Viele der Orte und viele der Bewohner sind noch deutsch nach Sprache und Art. In Stutterheim, Frankfurt, Braunschweig, Berlin, Potsdam und Charlottenburg sind nicht nur die Namen, sondern auch die Leute deutsch, und auf dem Wochenmarkt zu Kingwilliamstown, der Hauptstadt jener Provinz, ist das Platt von den Ufern der Elbe, Havel und Ucker die herrschende Verkehrssprache.

Daß dies so ist, verdanken wir vor allen Dingen der Thätigkeit der deutschen Geistlichen, welche nicht bloß überall die Ansiedler zu kirchlichen Gemeinden vereinigten und ihnen in der heimathlichen Sprache predigten, sondern auch, wo es irgend angängig war, Schulen errichteten. So lernten die Kinder außer der Kaffernsprache, welche sie zum Verkehr mit den Arbeitern brauchten, Deutsch. Einige dieser Schulen, z. B. die von East London, entwickelten sich zu den bedeutendsten jener Bezirke, und wenn auch schließlich bei ihrer Umwandlung in regierungsseitig unterstützte Anstalten die deutsche Unterrichtssprache der englischen weichen mußte, so blieb Deutsch doch immer das wichtigste Nebenfach.

Weniger widerstandsfähig gegen ihre Umgebung haben sich die späteren Einwanderer erwiesen, welche zuerst im Jahre 1878 und dann 1883 in ähnlicher Weise ins Land gebracht wurden. Sie wurden zum Theil nach denselben Gebieten wie jene ersten geführt, zum Theil aber auch in der Nähe von Kapstadt, in der „Vlakte“ angesiedelt. „Vlakte“ heißt eigentlich ganz allgemein „Fläche“, doch wird es hier im besondern auf jene weite sandige Ebene angewendet, die sich vom Tafelberge aus nach Osten erstreckt und die in vielen Punkten der Lüneburger Heide gleicht, der Heimath eines Theiles dieser Einwanderer. Die Regierung gab ihnen freie Ueberfahrt und unterstützte sie auch im Anfang mit zinsenfreien Darlehen. Die meisten vermochten jedoch nicht die ersten Schwierigkeiten zu überwinden. Sie gaben ihr Land auf und suchten sich passende Arbeit in der Stadt. Manchen gelang es dabei, in einigen Jahren so viel zu ersparen, daß sie von neuem beginnen konnten, und heute leben wohl an die 2000 Menschen, meist deutscher Abkunft, in dieser Ebene.

Der Erfolg dieser Leute ist ein glänzendes Zeugniß für die Arbeitsamkeit des deutschen Landmannes. Die landeingesessenen holländischen Bauern lachten über den Gedanken, auf jenen Flächen Ansiedlungen zu gründen und waren sicher, daß alle diejenigen, welche es versuchen würden, elendiglich verhungern müßten. Diese Spötter hatten eben keine Ahnung davon, was Arbeit heißt. Die deutschen Einwanderer haben es ihnen gezeigt. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht waren sie thätig, den Boden urbar zu machen, einzuzäunen und zu bestellen. Anfangs wohnten sie in Zelten, die ihnen die Regierung geliefert hatte, dann bauten sie sich Lehm- und Reisighütten, später kleine Häuschen. Da der [60] Boden sehr arm ist und viel Dünger verlangt, so konnten sie natürlich zuerst nur ein kleines Stück bebauen. Darauf zogen sie allerlei Gemüse und betrieben zugleich Geflügelzucht. Später hielten sie sich Vieh und gewannen Milch und Butter. Einmal in der Woche brachten sie ihre Waren zum Verkauf nach der Stadt. Durch tiefen losen Sand zogen und schoben Mann und Frau die kleine Karre nach der meilenweit entfernten Hanptstadt und kehrten dann nachmittags mit den nothwendigsten Einkäufen wieder heim. Schrittweise verbesserte sich ihre Lage. Erst konnte ein Ochse oder eine Kuh, später schon ein Pferd vor die Karre gespannt werden, und heute sieht man diese Bauern flott mit ihren wohlbespannten Wagen zur Stadt kutschieren.

Denjenigen Einwohnern der Stadt, welche bisher achtlos an so viel Fleiß und Ausdauer vorüber gegangen waren, wurde im April des letzten Jahres Gelegenheit gegeben, sich von den Erfolgen dieser Leute zu überzeugen. Um die Regierung zu bewegen, ihnen bessere Wege anzulegen, hatten sie auf eigene Faust eine landwirthschaftliche Ausstellung veranstaltet, und man giebt ihnen allgemein das Zeugniß, daß sie dabei Hervorragendes geleistet haben.

Gerade der Umstand, daß sich diese Leute ihre jetzige bessere Lage durch jahrelange schwere Arbeit und Mühsal erkauft haben, erklärt es aber auch, daß ihnen jene schmerzlichen Empfindungen unbekannt sind, welche Freiligrath solchen Auswanderern andichtet:

„Wie wird es in den fremden Wäldern
Euch nach der Heimathberge Grün,
Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern,
Nach seinen Rebenhügeln ziehn!

Wie wird das Bild der alten Tage
Durch Eure Träume glänzend wehn!
Gleich einer stillen, frommen Sage
Wird es Euch vor der Seele stehn.“

Das ist ergreifend geschildert, aber der Wirklichkeit entspricht es nicht, wenigstens nicht bei den deutschen Bauern der „Vlakte“. Wohl mag einzelne in der ersten Zeit der Noth ab und zu das Heimweh gepackt haben, all die anderen kannten und kennen nicht die Gefühle, welche ihnen der Dichter zuschreibt. Und das ist auch gar nicht zu verwundern. Fast alle diese Einwanderer waren arme Leute, ohne die geringste Aussicht, in der Heimath jemals ein Stückchen Land ihr eigen nennen zu können. Die Weizenfelder und die Rebenhügel gehörten dem Gutsherrn, für den sie sich hatten plagen müssen jahraus jahrein. Hier dagegen sind sie die Herren, hier ernten sie den Ertrag ihrer Arbeit, hier fahren sie die Weizengarben in ihre eigenen Scheuern, hier keltern sie die Trauben in das eigene Faß und hier beschließen sie selber, wie die Gemeinde, wie die Kreis- und Provinzialangelegenheiten, wie Schule und Kirche verwaltet werden sollen. Wer wollte da mit ihnen rechten, daß sie keine Sehnsucht haben, zurückzukehren an den Hof des früheren Herrn!

Die Gefahr des „Verafrikanderns“ ist allerdings bei diesen Bewohnern der „Vlakte“ viel größer als bei den Ansiedlern im Osten des Landes. Diese stehen Eingeborenen oder Engländern gegenüber, deren fremde Sprache die eigene nicht verdrängen kann; jene aber umgiebt das verwandtere Kapisch-Holländische als Sprache der Bauern und der Farbigen. Die Einwanderer selbst bleiben zwar meist in Sprache und Sitte deutsch, anders aber ist es schon mit ihren Kindern. Diese erlernen die verhältnißmäßig rohe und einfache Sprache der farbigen Arbeiter viel schneller als das schwere Deutsch. Daß sie trotzdem auch die Sprache ihrer Eltern sprechen lernen, ist meist nicht das Verdienst dieser selbst, sondern der Schule und Kirche, für welche die Bauern übrigens recht beträchtliche Opfer bringen.

Ganz ähnlich liegt die Sache bei den gebildeten Deutschen, welche hier eine zweite Heimath gefunden haben. Hat ein Deutscher eine englische oder holländische Frau an seinen Herd geführt, so ist es in den meisten Fällen um sein Deutschthum geschehen und die Kinder neigen fast stets der anderen Sprache zu, ja meistens lernen sie überhaupt nicht mehr Deutsch. Nur selten gelingt es dem Manne, in Haus und Familie die Sprache der Heimath zu erhalten. Aber selbst dann kann man die Kindeskinder kaum noch Deutsche nennen, und sie selbst werden das nur thun, wenn sie selbst sowohl wie ihre Eltern in Deutschland erzogen wurden.

Wie sollte es auch anders sein! Was ist ihnen Deutschland? Das Land ihrer Ahnen, das Land, von dem sie viel Herrliches und Schönes gehört haben; das Land, das sie sich sehnen, mit eigenen Augen zu schauen, wie der daheim geborene Deutsche für Italien schwärmt! Aber das Vaterland ist es nicht. Ihr Vaterland ist Südafrika! Mag ihre Wiege am Fuße des Tafelberges, auf den Hochflächen des Innern oder im Schatten natalischer Palmen gestanden haben, sie lieben das Land, darinnen sie als Knaben gespielt, sich als Jünglinge auf Rossen getummelt haben und darinnen sie als Männer wirken. Und wäre das Land selbst aller Reize bar, sie würden es lieben, weil es das Land ihrer Geburt ist.

Aber dieses Land ist herrlich und reich begünstigt von der Natur. Klima und Landschaft sind in vieler Beziehung gleich denen Italiens. Noch keinen habe ich gesprochen, der nach ein paar Jahren Aufenthaltes im nordischen Europa nicht gern zurückgekehrt wäre in die sonnige Heimath. Hier dräut kein Winter mit seinem Schnee und Eis, denn was man hier trotzdem Winter nennt, ist besonders in den Küstenstrichen immer noch milder als der deutsche Frühling. Wie kann man von Winter reden, wenn alle Gehänge, alle Flächen mit Blumen übersät, wenn die Orangenbäume mit goldigen Früchten beladen sind, wenn man den Schnee nur auf den Berggipfeln glänzen sieht! Hier ist eben ein halbes Jahr Frühling, das andere gehört dem Sommer mit seinen reichen Gaben an allerlei Früchten in Hülle und Fülle.

Wohl lernen noch viele dieser Söhne des Landes Deutsch, aber sie lernen es wie eine fremde Sprache, denn von Jugend auf mußten sie in Schule und Beruf englisch sprechen, englisch denken.

Gar viele Schriftsteller gefallen sich darin, es als eine ganz besondere Schwäche des Deutschen hinzustellen, daß er es nicht vermag, im Ausland seinen Kindern und Kindeskindern auch seine Sprache, seine Nationalität zu vererben. Aber verhalten sich denn die Angehörigen anderer Völker anders, wenn sie im fremden Lande von fremden Elementen umgeben sind? Würden etwa die Enkel nach Pommern eingewanderter englischer Bauern noch lieber englisch als plattdeutsch reden, und nennen sich die Nachkommen von Italienern, Engländern und Franzosen, welche einst in den Vereinigten Staaten eine zweite Heimath fanden, nicht mit Stolz Amerikaner? Anders freilich liegt die Sache mit denjenigen Deutschen, welche selbst schon ihre Sprache vernachlässigen. Was soll man dazu sagen, wenn deutsche Eltern mit ihren Kindern englisch sprechen, nur weil dieselben diese Sprache im Verkehr mit ihren Spielgenossen leichter erlernen! So kommt es wirklich vor, daß Kinder deutscher Eltern nicht imstande sind, ein deutsches Buch zu lesen oder sich über die alltäglichsten Dinge des Lebens in ihrer Muttersprache zu unterhalten.

Glücklicherweise sind solche Fälle selten. Die Mehrzahl der Deutschen Südafrikas hängt mit Liebe und Ausdauer an den deutschen Sitten und der deutschen Sprache, und sie pflegen beide eifrig in mancherlei Weise.

Fast überall, wo eine Anzahl Deutscher zusammen wohnt, finden wir auch eine deutsche Kirche. Es giebt jetzt schon mehr als 25 deutsche Gemeinden mit eigener Kirche und Schule, und diese vor allem waren es, welche schon vor Aufrichtung des Deutschen Reiches den Sinn für deutsches Wesen und deutsche Sprache auch hier wach gehalten haben. Und das haben sie gethan unter Opfern, wie sie zu Hause für gleiche Zwecke nur höchst selten öder überhaupt nicht gebracht werden. So kostete z. B. die deutsche Kirche von East London 50000 und die von Kapstadt 75000 Mark, wozu natürlich weder Staat noch Stadt einen Beitrag geleistet haben.

Mit der Wiedererstehung des Reiches erhielten auch die Deutschen im Ausland größeres Selbstbewußtsein, und heute herrscht ein reger nationaler Geist unter den Deutschen Südafrikas. Außer in Schule und Kirche wird derselbe vor allem durch die zahlreichen Vereine und die seit einigen Jahren bestehende „Südafrikanische Zeitung“ gepflegt. In jedem größeren Orte des Landes giebt es einen oder mehrere dentsche Vereine, darin sich die Männer vom Osten und Westen, vom Norden und Süden, von Oesterreich und der Schweiz zusammenfinden. Von diesen ist der „Deutsche Klub“ in Port Elizabeth der am besten begründete. Er besitzt ein eigenes Klubhaus mit großen Gesellschaftsräumen, Lese- und Spielzimmern, Kegelbahn und Garten. Dasselbe ist geräumig genug für größere Festlichkeiten, wie solche am 15. und 16. März vorigen Jahres gegeben wurden, als das aus den Schiffen „Leipzig“, „Sophie“ und „Alexandrine“ bestehende deutsche Geschwader auf [61] seinem Wege von Chile nach Sansibar auch Port Elizabeth anlief. Ein Kommers und am zweiten Tage ein Ball, auf welchem wohl 250 Personen anwesend waren, bewies den deutschen Offizieren, welcher Blüthe sich die dortige kleine Kolonie erfreut, und wie stolz sie darauf war, auch wieder einmal die deutsche Kriegsflagge in ihrem Hafen wehen zu sehen.

In Kapstadt mit seiner viel größeren, aber weniger wohlhabenden deutschen Bevölkerung bestehen zur Zeit zehn deutsche Vereine, von denen ein jeder einen besonderen Zweck verfolgt. Der „Hilfsverein“, der „Schulverein“, der „Jünglingsverein“, der „Plattdeutsche Verein“ und der „Kegelklub“ kennzeichnen sich durch ihre Namen; die „Germania“, der „Gothenbund“ und die „Palme“ pflegen besonders die Geselligkeit, die „Amicitia“ ist ein Krankenunterstützungsverein, und die Ortsgruppe des „Allgemeinen Deutschen Verbandes“ verfolgt ähnliche Zwecke wie der Verband in der Heimath. Sie alle aber sind Erhalter des Deutschthums am Kap.

Leider hat es keiner dieser Vereine bisher möglich machen können, ein eigenes Heim zu erwerben. Das Bedürfniß dafür ist jedoch in letzter Zeit so stark hervorgetreten, daß die Deutschen Kapstadts jetzt im Begriff sind, ein „Deutsches Haus“ zu begründen, das geeignete Versammlungsräume bieten und ein Mittelpunkt für die Deutschen Südafrikas werden soll. Vertreter der verschiedenen Vereine haben einen Ausschuß gebildet, um die nöthigen Mittel zusammen zu bringen. Die Zeichnungen zum Baukapital betragen schon über 35000 Mark, aber noch zweimal soviel dürfte erforderlich sein. Um einen Schritt weiter zu kommen, hat am 1. und 2. September 1892 ein großartiger Jahrmarkt und Bazar stattgefunden, welcher den stattlichen Reinertrag von 10000 Mark abwarf. Ist erst einmal die Hälfte des Baukapitals beisammen, so ist der Plan gesichert, und die deutschen Vereine Kapstadts, welche sich jetzt mühselig mit höchst unzureichenden Räumlichkeiten behelfen müssen, können sich dann unter eigenem Dache viel besser ihren verschiedenen Aufgaben widmen.

Und auch ihr, Landsleute in der Heimath, die ihr Werth darauf legt, daß dieser vorgeschobene Posten des Deutschthums gekräftigt und gestärkt werde, auch ihr könnt dazu beitragen![1]

Soll die vorstehende Schilderung der Stellung, welche das Deutschthum in Südafrika einnimmt, nicht unvollständig sein, so dürfen wir nicht unterlassen, auch die Leistungen der Missionsgesellschaften zu betrachten. In der Heimath haben freilich die meisten Leute eine höchst mangelhafte Kenntniß von der Thätigkeit derselben. Sie meinen, die Aufgabe der Missionäre bestehe nur darin, in unbekannte Gegenden vorzudringen, um den Wilden das Evangelium zu predigen und die rohen Heiden zu gläubigen Christen zu machen. Eine solche Wirksamkeit gehört jedoch zu den Ausnahmen. Die meisten widmen ihre Kräfte nicht der Eroberung neuer Gebiete, sondern der Erhaltung der gewonnenen. Sie widmen sich denjenigen Volksstämmen, welche schon zum Theil oder ganz zum Christenthum bekehrt sind; eine ganz beträchtliche Anzahl der Missionäre wohnt in den Städten und Dörfern des Landes als Seelsorger der farbigen Eingeborenen.

Von den vier deutschen Missionsgesellschaften, welche besonders erfolgreich in Südafrika wirken, unterhält die Hermannsburger 50, die Berliner 46, die Rheinische 25 und die Herrnhuter Mission 24 Stationen. Das sind also im ganzen 145, wozu wohl noch einige in den letzten Jahren gegründete, sowie einige Baptistengemeinden kommen. Von diesen Stationen haben sich einige im Laufe der Zeit zu ganz bedeutenden Niederlassungen entwickelt.

Betrachten wir z. B. Genadendal, eine Station der Herrnhuter Brüdergemeinde. Im Jahre 1792 in Baviaanskloof, einem Thale im Südwesten der Kapkolonie, gegründet, erhielt sie später die ziemlich ausgedehnten Ländereien von der englischen Regierung zum Eigenthum überwiesen. Heute besteht daselbst ein blühendes Dorf, von mehreren tausend Farbigen meistens hottentottischer Abkunft bewohnt. Die Leute treiben vorzugsweise Ackerbau und vermiethen sich auch als Tagelöhner während der Erntezeit oder an der Eisenbahn. Einige haben ein Handwerk erlernt und sind nun Maurer, Schmiede, [62] Zimmerer, Schuhmacher, Schneider oder dergleichen, während andere kleine Kaufläden haben, darin die Dorfbewohner die nothwendigen Einkäufe an Fleisch, Mehl und Krämerwaren machen können. Eine Schenke giebt es nicht. Die Verwaltung wird zum Theil von gewählten Gemeindeältesten bewirkt, die Oberleitung liegt natürlich in den Händen der Missionäre.

Die Kinder erhalten Unterricht ähnlich dem unserer deutschen Volksschule. Sind sie älter geworden, so werden die besseren in die Schmiede, die Schreinerei oder andere Werkstätten genommen und die begabtesten in dem Seminar zu Hilfslehrern ausgebildet. Die nöthigen Unterrichtsbücher und Gesangbücher, sowie zwei regelmäßig erscheinende Blätter, der „Bode van Genadendal“ und der „Kindervriend“, werden in der 1859 errichteten Druckerei und Buchbinderei hergestellt, und zwar von Eingeborenen, gerade wie das z. B. von seiten der englischen Mission für die Betschuanen in Kuruman geschieht.

Es ist selbstverständlich, daß eine so umfassende Thätigkeit auch eine größere Anzahl von leitenden Kräften erforderlich macht, und so finden wir hier neun Missionäre mit ihren Familien, welche mit den ihrer Obhut anvertrauten Eingeborenen ein großes patriarchalisches Gemeinwesen bilden.

Keine der anderen Missionsniederlassungen hat es nun allerdings zu derselben Bedeutung wie Genadendal gebracht, aber dennoch leuchtet es ein, daß die Thätigkeit dieser Männer für die Kultur des Landes von dem größtem Gewicht ist. Kommt sie auch nicht immer unmittelbar dem Deutschthum zu gute – diese Missionäre müssen sich natürlich der unter ihren Pfleglingen am meisten verbreiteten Sprache anbequemen – so ist es doch die Arbeit deutscher Männer, die hier im Dienste des Fortschritts und der Gesittung geleistet wird. Und das giebt ihr ein Recht, genannt zu werden, wo von dem Deutschthum in Südafrika die Rede ist.




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