Das Ende der Thaten General Walker’s

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Autor: unbekannt
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Titel: Das Ende der Thaten General Walker’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 360–362
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Ende der Thaten des General Walker’s.[1]

Hospital in Granada.

Man rühmt es unserer Zeit häufig nach, sie sei im Allgemeinen der Vergangenheit an Bildung und Moral weit überlegen; leider aber kommen gar nicht selten Beispiele vor, die das Gegentheil von dieser Lobeserhebung beweisen. Ein recht schlagendes ist, ich will nicht sagen die blutbefleckte Laufbahn des Generals Walker in Central-Amerika, denn Verbrecher in größerem und kleinerem Maßstabe wird es zu allen Zeiten geben, wohl aber die Gleichgültigkeit, ja beifällige Zustimmung, mit welcher die civilisirte Welt anderthalb Jahre lang den Thaten jenes Freibeuters zugesehen hat, vor allem die Rettung desselben durch die Regierung der großen amerikanischen Union, die zu seinen Gunsten einschritt und um seinetwillen ein Kriegsschiff absandte, damit er nicht dem Galgen verfalle, den er hundert Mal verdient hatte, und die Begeisterung, mit der ihn mehr als 10,000 Menschen bei seiner glücklichen Ankunft in Neu-Orleans empfingen.

Blicken wir in die Geschichte zurück, so finden wir auf demselben Schauplatze, auf dem Walker seine Jammertragödie spielte, Vorgänge, die ein treues Vorbild derselben waren. Am 7. April 1685 überfiel Ravenneau de Lussan mit 345 Mann, Engländern und Franzosen, welche die Spanier und Indianer mit „den Fortschritten der Civilisation“ beglücken wollten, die Stadt Granada am Ufer des Nigaragua-See’s. Sie griffen die fliehenden Einwohner an, wie der alte Lussan selbst naiv erzählt, verloren nur etwa vier Mann im Kampfe, zogen dann in die Kirche, um ein Te Deum zu singen, und ließen den Spaniern sagen, wenn sie nicht Lösegeld für ihre Stadt zahlten, würde dieselbe niedergebrannt werden. Da die Spanier gar nicht darauf antworteten, sahen sich die Helden genöthigt, die Häuser der Stadt anzuzünden, „um Wort zu halten“, und dabei mordeten und schändeten sie nach Herzenslust.

Die, welche damals so handelten, waren und nannten sich selbst Freibeuter; das Gesetz hatte sie geächtet und sie übten ihre Thaten in einem Lande ohne Gesetz, das Spanien unterworfen war, mit welchem sich England und Frankreich im Kriege befand. Trotzdem wurden ihre Raub- und Mordzüge nicht etwa gepriesen, sondern laut gemißbilligt und mit dem wahren Namen genannt und die daran Betheiligten ohne Proceß als Räuber und Mörder gehangen, [331] sobald sie ehrlichen Leuten, von welcher Nation sie sein mochten, in die Hände fielen.

Vom Schlachtfelde.

Die Freibeuter und Buccanier der alten Zeit suchten Gold und Silber und sie sengten und mordeten, bis sie es fanden, dann ließen sie Te Deum singen; Walker, welcher dasselbe Granada niederbrennen ließ, wie vor ihm Lussan, überdies Rivas in Asche legte, wie der alte Flibustier Morgan Panama, raubte zwar auch alles, was er erlangen konnte, aber unter dem lügenhaften Vorgeben, dadurch die Mittel zu erhalten, um dem civilisirenden anglo-sächsischen Stamme Raum zur Ausbreitung zu schaffen und die Herrschaft der demokratischen Gleichheit zu fördern. Die Leiden, die er über Nicaragua, eines der lieblichsten tropischen Länder, brachte, sind tausendfältig grauenhafter als die, welche die Raubzüge der alten Freibeuter in ihrem Gefolge hatten. Mit vollem Rechte sagt der Correspondent eines deutschen Blattes: „der anderthalbjährige Kampf hat, gering gerechnet, 12,000 Menschenleben und Millionen an Eigenthumswerth gekostet. Wohl ist nie eine verhältnißmäßig so große Masse von Gräueln und Scheußlichkeiten auf einen so kleinen Raum und eine so kurze Zeit zusammengedrängt worden, als während des Walker’schen Regiments in Nicaragua. Die kaltblütige Grausamkeit, die er gegen seine eigenen Untergebenen und gegen seine eifrigsten Freunde unter den Eingebornen geübt hat, wäre eines Caracalla würdig gewesen; die entsetzlichen Martern, unter denen die Verwundeten und Kranken in den Lazarethen, aller Pflege baar, nicht sowohl gestorben als bei lebendigem Leibe verfault, von Maden und Würmern aufgefressen worden sind, entziehen sich jeder Beschreibung und finden nur in den Einzelnheiten der Feldzüge von 1812 entsprechende Seitenstücke.“

Ausladen von Verwundeten.

Von dem Hospital, das eine Zeit lang in Granada bestand, gibt Einer, der selbst darin gelegen und gelitten hat, eine Schilderung. Nur ein Theil davon stehe hier:

„Wenn ein am Fieber Erkrankter in das Hospital zu Granada gebracht wird, legt man ihn auf eine rohe Kuhhaut ohne Matratze oder wollene Decke, wenn er nicht etwa so glücklich ist, selbst etwas der Art zu besitzen, was freilich sehr selten vorkommt. Häufig legt man den neuen Kranken auf das Lager, von dem eben ein armer Teufel entfernt worden ist, nachdem er am gelben Fieber, an der Cholera, oder irgend einer ansteckenden Krankheit gestorben. An eine Reinigung des Lagers vorher denkt Niemand. Der Leidende darf kein Wasser trinken, weil die Aerzte sagen, es sei dasselbe Gift. Das einzige erlaubte Getränk ist „Orangenblüthenthee,“ aber keineswegs immer zu haben, so daß der Kranke vor Durst fast umkommt. Ich habe Stunden lang gelegen und gebeten, nur einen Löffel voll zu erhalten; vergebens. Die Aerzte und die Wärter waren die meiste Zeit über betrunken. Mein ganzes Frühstück bestand häufig in nichts als einer Tasse Thee, aus dem einfachen Grunde, weil es nichts Anderes gab. Zum Mittagsessen bekamen wir ein Stück Rindfleisch mit dem Wasser, in dem es gekocht worden, sonst nichts. Bisweilen erhielt das Hospital etwas Geld, um Gemüse für die Kranken zu kaufen, aber die betrunkenen Aerzte oder vielmehr Quacksalber eigneten sich dasselbe gewöhnlich zu und die Patienten bekamen nichts …

Hülflos gestorben.

Gleich nach meiner Ankunft in Granada dachte ich an Flucht, die aber schwer zu bewerkstelligen ist. Niemand, weder Bürger noch Soldat, darf die Stadt ohne einen Erlaubnißschein oder Paß verlassen; wird ein Soldat ohne denselben betroffen, so [362] gilt er als Deserteur und wird ohne Weiteres erschossen. Entgeht er Walker, so fällt er wohl den Chamorristas (der Gegenpartei) in die Hände, die ihn erschießen, weil er zu den Leuten Walkers gehörte. Entkommt er Beiden, so muß er das Land zu verlassen suchen und die Gefahren und Mühseligkeiten, die dabei zu bestehen, sind unbeschreiblich … Ich lag drei Monate im Hospitale, meist in Gesellschaft von hundert Leidensgefährten. Sie bilden die schrecklichste Zeit in meinem Leben. Viele Soldaten sterben lieber, ehe sie sich in das fürchterliche Hospital bringen lassen, und manche Kranke darin geben sich für genesen aus, um nur hinwegzukommen und irgendwo unter freiem Himmel sterben zu können … Eingeborene hat Walker gar nicht in seiner Armee. Seine Officiere sind meist betrunken. Er selbst ist fast gar nicht sichtbar. Von Lebensmitteln hat er nichts, als was geplündert wird. Als ich in die Armee eintrat, war ich ein kräftiger, gesunder Mann und wog 164 Pfund; als ich entflohen war und in Californien ankam, war ich ein Schatten meines früheren Selbst und wog noch 110 Pfd.“

Für die Verwundeten gab es ein Hospital auf der Insel Ometepe in dem See Nicaragua, weil sie so günstig gelegen, daß von allen Seiten her die Leidenden auf einem Dampfschiffe dahin befördert werden konnten. Von dem Dampfschiffe mußten die Verwundeten in ein Boot hinabgelassen werden, in dem man sie dann an’s Land setzte. „Die Leiden,“ sagt ein Augenzeuge, „welche die Verwundeten und Sterbenden ertragen mußten, während man sie von dem Verdeck des Schiffes in das Boot schaffte, waren grausenhaft, zumal sie nicht immer mit der erforderlichen Schonung und Sorgfalt behandelt wurden. Einige schrieen laut vor Schmerz, andere winselten und fluchten abwechselnd, nur wenige ertrugen was nicht zu ändern war in Schweigen. Am schlimmsten befanden sich immer die, welche von der Stadt Granada an den See hatten gehen und dann vierundzwanzig Stunden auf dem Verdeck des Schiffes, jeder Witterung ausgesetzt und ohne Nahrung liegen müssen. Drei bis vier waren meist auf der Ueberfahrt schon gestorben, blieben aber unter den anderen, den Sterbenden, liegen. Als Nahrung hatte man nichts als harten Schiffszwieback, den die Gesundesten kaum genießen konnten. Viele hatten seit mehreren Tagen nichts gegessen und mußten buchstäblich verhungern.“ Gelangte das Boot mit seiner schrecklichen Ladung endlich an die Insel, so trug man einen Verwundeten nach dem andern heraus und legte ihn zuerst am Ufer nieder. Waren alle gelandet, so trug oder führte man sie in das Dorf, in welchem sich das Hospital befand, das etwa zehn Minuten von der Küste lag und aus ungefähr 70 bis 100 Hütten aus Lehm und Rohr unter Orangen und andern herrlichen Bäumen bestand. Die Einwohner waren sämmtlich geflohen, sobald sie erfahren, daß Walker ein Hospital zu ihnen verlegen wollte, und so wurden denn die Kranken und Verwundeten in die verlassenen Häuser und Viehställe gelegt. Wie die Pflege der Unglücklichen gewesen sein mag, läßt sich nach dem Vorausgehenden leicht errathen. Sie lagen am feuchten und kalten Boden, in der Nacht ohne Licht. Einige, die ihre Glieder noch etwas regen konnten, von Durst und Hunger gequält wurden und trotz ihren Bitten und Rufen nichts erhielten, rafften sich wohl auf, um selbst etwas zu suchen. Draußen fielen sie häufig oder die Kräfte verließen sie und sie mußten sich niederlegen, wo sie sich eben befanden, so daß man bald in und neben dem Dorfe im Dunkeln nicht gehen konnte, ohne auf Todte oder Sterbende zu treten.“

An Mitteln, die Verwundeten vom Schlachtfelde wegzutragen, fehlte es ganz und gar; jeder mußte selbst dafür sorgen, wie er hinwegkomme, oder sich darein ergeben, wie er elendiglich unter freiem Himmel umkomme.

Nicht einmal odentlich begraben wurden die Todten. Meist blieben sie liegen, wo sie gestorben waren; nur wenige konnten auf Karren geladen und in eine Art Grab gelegt werden; denn die Eingebornen weigerten sich entweder hartnäckig, ein Grab graben zu helfen, oder noch häufiger, es fehlte an den nöthigen Werkzeugen, Spaten, Hacken und Schaufeln. Deshalb scharrte man meist nur eine Vertiefung von einen oder anderhalb Fuß, legte die Todten darein und streute ein wenig Erde über sie, die sie nur leicht bedeckte.

Zuletzt war Walker mit noch nicht 300 Mann – seine ganze Armee – in der Stadt Rivas eingeschlossen, welche von den Costa Ricanern belagert wurde. Sie hatten keine Lebensmittel mehr und bereits Pferde, Maulthiere, Hunde und Ratten gegessen. Da erschien, von der amerikanischen Regierung officiell abgesandt, der Capitain Davis von der Kriegsschaluppe St. Mary im Lager der Costa Ricaner und bestimmte den Befehlshaber derselben, General Mora, den Walker’schen Räubern und deren Führer freien Abzug unter der amerikanischen Flagge zu bewilligen. Nach der Capitulation sollte Walker Munition, Geschütz etc. überliefern; er gelobte dasselbe, brach aber nochmals sein Wort, indem er die Munition vernichten und die Kanonen vernageln ließ.

Trotzdem ließ man ihn ziehen. Er veröffentlichte zum Abschied einen Befehl, in dem er sagt, „seine Armee habe ein Blatt der amerikanischen Geschichte geschrieben,“ und das amerikanische Kriegsschiff brachte ihn mit den Seinen nach Neu-Orleans, wo er wie ein Triumphator, oder – da sein Unternehmen mißlungen – wie der Märtyrer einer großen heiligen Sache empfangen wurde.

Das Blatt der amerikanischen Geschichte aber, das er geschrieben, wird sein und seiner Helfershelfer Schande auf die Nachwelt bringen.




  1. Siehe Nr. 31. (Jahrgang 1856).